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Stasi-Erbe: Jahn vs. Thierse – "Die Täter blieben alle da"

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Stasi-Erbe: Jahn vs. Thierse – "Die Täter blieben alle da" Empty Stasi-Erbe: Jahn vs. Thierse – "Die Täter blieben alle da"

Beitrag  Andy So Jan 29, 2012 11:02 pm

Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse über Stasi-Spitzel, das Los der Opfer und das DDR-Erbe.

Stasi-Erbe: Jahn vs. Thierse – "Die Täter blieben alle da" Schmid1_DW_Sonstig_1556966p

Vor einem Jahr wählte der Bundestag den Journalisten Roland Jahn zum dritten Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU). In seiner Antrittsrede erregte der frühere DDR-Dissident Aufsehen mit der Feststellung, die Beschäftigung Stasi-belasteter Mitarbeiter seiner Behörde sei ein "Schlag ins Gesicht der Opfer“. Sie müssten deshalb in andere Bundesbehörden versetzt werden.

Die Regierungsfraktionen im Bundestag haben in der im Herbst verabschiedeten achten Novelle des Unterlagen-Gesetzes diese Bedenken aufgegriffen. Zu den Kritikern der Novelle gehört Wolfgang Thierse (SPD), Bundestagsvizepräsident und schon 1990 in der Volkskammer intensiv mit der Stasi-Aufarbeitung befasst. Thomas Schmid, Herausgeber der "Welt“-Gruppe, bat Jahn und Thierse zum Streitgespräch.

Welt Online: Herr Thierse, Sie sagen, die Beschäftigung ehemaliger hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter bei der Behörde des BStU sei nicht gut. Aber Sie wenden sich entschieden gegen den Weg, den Roland Jahn beschritten hat. Warum?

Wolfgang Thierse: Ich wiederhole die Kritik, die ich im Deutschen Bundestag vorgetragen habe. Ich halte es für rechtsstaatlich bedenklich, in einem rückwirkenden Einzelfallgesetz ein gewiss missliches Personalproblem lösen zu wollen. Diese ehemaligen Stasi-Mitarbeiter sind ja in dieser Behörde nicht tätig, obwohl sie bei der Stasi waren, sondern weil sie bei der Stasi waren. Man kann nicht den Grund, dessentwegen man sie eingestellt hat, jetzt zur Ursache machen, sie wieder hinauszuwerfen, zwangsweise zu versetzen.

Ich halte das für rechtsstaatlich hoch problematisch. Mein zweiter Kritikpunkt an der aktuellen Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist, dass der Kreis der überprüfbaren Personen noch einmal ausgeweitet worden ist. Ich halte das 20 Jahre nach dem Ende der DDR für unverhältnismäßig, denn diese zwei Jahrzehnte sollten inzwischen mindestens so zählen wie die Zeit vorher. Man sollte mehr Vertrauen investieren. Vertrauen ist ein wichtiges Grundkapital der Demokratie. Und die Stasi-Vergangenheit sollte nicht mehr so viel Macht über die Gegenwart haben!

Welt Online: Herr Jahn, sind Sie ein Behördenchef, der, statt Vertrauen aufzubauen, was Sie eigentlich erklärtermaßen wollen, faktisch in Misstrauen investiert?

Roland Jahn: Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin nicht der Gesetzgeber. Die Kritik an der Novellierung des Gesetzes kann nicht bei mir abgeladen werden. Natürlich kann man mich kritisieren, aber bitte schön für Punkte, für die ich auch verantwortlich bin. Ich habe ein altes Problem, das schon 20 Jahre existiert, öffentlich benannt. Dazu stehe ich, weil ich für Aufklärung und Transparenz eintrete.

Die Frage ist doch, wie man das Problem löst. Alles, was getan wird, muss rechtsstaatlich sein. Das ist eine Grundlage all meines Handelns. Deswegen ist es immer wichtig zu betonen: Diese Mitarbeiter sollen nicht entlassen, sondern versetzt werden in eine andere Behörde. Sie haben einen Arbeitsvertrag mit der Bundesrepublik Deutschland, und es ist ganz normal im öffentlichen Dienst, dass Menschen dort arbeiten, wo sie für die Gesellschaft das meiste einbringen können. Deshalb verstehe ich die Aufregung nicht ganz.

Welt Online: Der Vorsitzende des BStU-Beirates, Richard Schröder, hat geschrieben: "Jahn sagt, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ich sage, Rechtsstaatlichkeit verbietet viele Wege.“

Jahn: Den Satz von Richard Schröder kann ich so nicht stehen lassen. Ich werde immer betonen, dass der Rechtsstaat unsere Wege bestimmt.

Natürlich gibt es Punkte, an denen man mal sagen muss: Stopp, da geht’s nicht weiter. Aber entscheidend ist, Wege zu suchen. Deshalb habe ich ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die arbeitsrechtlichen Fragen einmal richtig untersucht hat. Das Ergebnis: keine Kündigung, aber Versetzung ist möglich, auf der Grundlage eines Gesetzes. Und das ist vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages überprüft worden, vom Justiz- und vom Innenministerium.

Wenn die SPD das Gesetz für verfassungswidrig hält, hätte sie eine Normenkontrollklage einreichen können. Das ist nicht geschehen. Und noch etwas: Der Großteil der ehemaligen Stasi-Mitarbeiter beim BStU waren Personenschützer, Kraftfahrer oder Haushandwerker. Die hat man für die Arbeit mit den Akten nicht „gebraucht“. Man sollte die Dinge nicht vermengen.

Welt Online: Herr Jahn hat gesagt, das Gesetz ist verfassungskonform. Sie, Herr Thierse, reden von einem Sondergesetz.

Jahn: Ich nehme wahr, dass es andere als verfassungskonform betrachten. Ich maße mir nicht an, der oberste Verfassungsrichter zu sein.

Thierse: Den Vorwurf, dass wir keine Normenkontrollklage eingereicht haben, sehe ich ganz gelassen. Das wäre nicht verhältnismäßig gewesen. Ich bin dagegen, ein problematisches Gesetz zur Staatsaffäre aufzublasen. Wenn betroffene Mitarbeiter vor das Arbeitsgericht gehen, wird es Richter geben, die darüber noch einmal urteilen.

Eigentlich steckt ja etwas anderes dahinter: Wie gehen wir mit diesem Erbe der DDR, eines Unrechtsstaates, auf eine strikt rechtsstaatliche Weise um? Das ist meine Intention. Eine der großen Leistungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist, dass wir dort ein rechtsstaatliches Verfahren kodifiziert hatten, wie wir mit dieser Unrechtserbschaft umgehen.

Jahn: So weit sind wir gar nicht auseinander. Ich kann mir nur den Vorwurf nicht gefallen lassen, ich handelte nicht rechtsstaatlich. Das muss ich deutlich zurückweisen. Jeder ehemalige Stasi-Mitarbeiter, der beim BStU seit Jahren gute Arbeit geleistet hat, verdient meinen Respekt dafür. Deswegen möchte ich auch ganz persönlich, dass sie alle eine Stelle bekommen, wo sie sich wirklich gut fühlen können. Das ist mein persönliches Anliegen.

Welt Online: Vor einem Jahr ging es um etwa 45 ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Um wie viele geht es heute noch?

Jahn: Wir geben nicht täglich Wasserstandsmeldungen. Darum kümmert sich die Personalabteilung. Ich habe noch mal die Ministerien angeschrieben und um Stellenangebote gebeten und natürlich mit den Kollegen noch mal insgesamt gesprochen, und ich kann sagen, es ist alles auf dem Weg.

Welt Online: Herr Thierse kritisiert die Erweiterung des Personenkreises, der überprüft werden soll. Verstehen Sie das?

Jahn: Da ist Herr Thierse nicht der Einzige. Auch der Kultusminister von Thüringen, Christoph Matschie, sagt, man solle Menschen nicht nur danach beurteilen, was sie früher in der DDR, sondern was sie in den vergangenen 20 Jahren gemacht haben. Dem stimme ich zu. Nur: Im novellierten Gesetz steht ja etwas ganz anderes. Der Gesetzgeber hat ein klares Zeichen gesetzt für Transparenz, für Vertrauen, weil es um das Vertrauen in den öffentlichen Dienst geht. Wenn von "Generalverdacht“ gesprochen wird, sage ich: Gerade die Möglichkeit nachzuschauen, also Transparenz herzustellen, beseitigt jeden "Generalverdacht“.

Ich bin mir da mit meiner Kollegin Ulrike Poppe, der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur in Brandenburg, sehr einig. Sie hat ja die Probleme vor Ort. Dort sind ja gerade in den letzten Monaten zahlreiche Stasi-Fälle aufgedeckt worden – durch die Presse. Und der Innenminister von Brandenburg, Dietmar Woidke, übrigens SPD, hat uns gebeten zu überprüfen.

Wir mussten das ablehnen, weil das vorherige Gesetz es nicht erlaubte. Nur Behördenleiter durften überprüft werden. Woidke ist jetzt glücklich, dass der Bundestag dieses Gesetz novelliert hat: Jetzt kann er Angehörige der Brandenburger Polizei überprüfen lassen.

Welt Online: Sie kennen die Ansicht von Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 1990, der am liebsten die Stasi-Akten vernichtet hätte. Er fürchtete Mord und Totschlag in den neuen Bundesländern und sah die Gefahr, es käme Unangenehmes über westdeutsche Politiker und Wirtschaftsleute ans Licht. Stimmt es, dass diese Behörde überhaupt nur existiert durch den ungeheuren Einsatz der Bürgerrechtler?

Thierse: Es gehört zu den geschichtlichen Wahrheiten, dass diese Behörde von Ostdeutschen den Westdeutschen aufgezwungen worden ist, gewiss durch die Initiative der Bürgerrechtler. Aber dann war es eben die frei gewählte Volkskammer, die sich mit Ausnahme der SED/PDS einig war, wir wollen anders als nach 1945 Aufklärung über Vergangenheit.

Wir wollen den unterdrückten Opfern ihr Recht wiedergeben auf ihre Biografien. Man kann es fast pathetisch sagen: Es ist der Preis der Friedlichkeit der Revolution, dass wir mit dieser Erbschaft so intensiv umgehen müssen. Weil der Sturz des SED-Regimes unblutig war, blieben die Täter alle noch da. Die Behörde ist Ergebnis des demokratischen Konsenses der Parteien, der Fraktionen in der Volkskammer und jetzt im Bundestag. Ich wünsche mir sehr, dass wir diesen Konsens auch weiterhin durchhalten.

Welt Online: Halten Sie es für denkbar, dass die Unterlagenbehörde über das Jahr 2019 hinaus existiert?

Thierse: Wir sollten in den kommenden Jahren ohne Eile besprechen, welche Aufgaben wie, möglicherweise auch in anderen Formen, fortgeführt werden sollen.

Jahn: Da kann ich nur zustimmen.

Welt Online: Herr Jahn, Sie haben 1989 und vor allem 1990 sehr hautnah erlebt, welche Widerstände es auch gegeben hat gegen die Behörde. Haben Sie heute insgeheim das Gefühl, dass sie eigentlich vom Konsens der Bevölkerung nicht wirklich getragen werden?

Jahn: Nein, im Gegenteil. Egal, wo ich hinkomme, erlebe ich, dass die gesamtdeutsche Bevölkerung unsere Arbeit schätzt. Das gilt übrigens auch für das Ausland.

Es ist ein tolles Erlebnis, wenn Delegationen aus Ägypten, aus Tunesien oder aus dem Irak zu uns kommen und fragen: Wie habt ihr das gemacht mit den Akten? Gab’s da nicht Mord und Totschlag? Wie kann man das sichern? Und ich kann antworten, dass wir den rechtsstaatlichen Weg gegangen sind.

Wir haben den Spagat hinbekommen, Transparenz über das Handeln der Staatssicherheit herzustellen und zugleich Datenschutz für die Betroffenen zu gewährleisten, also für jene, die bespitzelt worden sind. Dafür bekommen wir weltweit Anerkennung. Übrigens ein wesentliches Verdienst meiner beiden Amtsvorgänger Joachim Gauck und Marianne Birthler. Ich sehe mich in ihrer Kontinuität.

Welt Online: Oft kann man hören, die Konzentration auf die Stasi sei irreführend. Es habe doch auch ein gutes Leben in der DDR gegeben. Dagegen wendet sich Hubertus Knabe, der Leiter der Stasi-Opfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen. Er sagt, man könne und dürfe den Unterdrückungsapparat der DDR nur aus der Perspektive betrachten. Ist der Satz in dieser Schärfe und Härte richtig?

Thierse: Ich frage anders: Was hilft gegen Verklärung der DDR? Jedenfalls nicht Verteufelung und undifferenzierte Aburteilung. Wir sollten sehr deutlich unterscheiden zwischen dem harten und klaren Urteil über das System, das falsch war, das zu Recht gescheitert ist, und dem Urteil über die Menschen, die darin gelebt haben.

Dieses Urteil muss behutsam und differenziert sein, denn wahrlich nicht alle Biografien waren mit dem System verwoben und sind mit dem System gescheitert. Schon 1990 auf dem Vereinigungsparteitag der kleinen ostdeutschen SPD, deren Vorsitzender ich war, und der großen westdeutschen SPD habe ich gesagt: "Es gab auch ein richtiges Leben im falschen System.“

Wenn man will, dass frühere DDR-Bürger selbstkritisch mit ihrer Geschichte umgehen, dann muss man sich vor Pauschalurteilen hüten. Trotzdem muss bei der Darstellung des Unterdrückungssystems die Perspektive der Opfer dominant sein – schon aus Gründen der Empathie.

Jahn: Ich staune, wie nah wir beieinander sind. Wobei ich sagen möchte, dass Hubertus Knabe in der Gedenkstätte Hohenschönhausen hervorragende Arbeit leistet. Gerade was die Führungen durch Zeitzeugen betrifft. Zeitzeugen sind etwas, auf das wir nicht verzichten dürfen, besonders auf die Zeitzeugen nicht, die unter der Stasi, aber auch der SED gelitten haben. Das ist ja ganz wichtig, dass wir den Unrechtsstaat DDR nicht auf die Stasi reduzieren, sondern dass wir die Diktatur insgesamt betrachten: Es war die SED, die die Stasi als Instrument benutzt hat.

Welt Online: Wo sollen die künftigen Schwerpunkte der Arbeit Ihrer Behörde liegen?

Jahn: Jede Behörde ist ein Dienstleister für die Gesellschaft. Nicht ich sage, die Behörde des BStU "muss“ dies oder das machen. Nein, die Gesellschaft bestimmt, was die Behörde tun soll.

Der Bundestag hat zum Beispiel mit der Festlegung "Überprüfung des öffentlichen Dienstes ist möglich bis 2019“ eine klare Aufgabe definiert. Die tägliche Arbeit zeigt, dass der Bedarf an persönlicher Akteneinsicht ungebrochen ist. Natürlich gehen die Zahlen leicht zurück, aber im vergangenen Jahr haben wir 80.000 Anträge auf Akteneinsicht gezählt, davon mehr als die Hälfte Neuanträge.

Andererseits sind wir herausgefordert, ein modernes Archiv zu präsentieren, das den Nutzern eine eigenständige Recherche ermöglicht. Da ist auch noch einiges zu tun. Ich wünsche mir, dass Forscher und Journalisten schon von zu Hause aus im Netz nachschauen können: Was gibt es überhaupt an Akten? Wo kann ich weiter recherchieren? Da können wir noch einiges verbessern.

Welt Online: Herr Thierse, eine heikle Frage: Die SPD war lange Zeit nicht offen für SED/PDS-Mitglieder. Geht man in Ihrer Partei vielleicht auch deswegen auf eine gewisse Distanz zu den Positionen von Roland Jahn, weil man freundliche Signale an die Wähler der Linkspartei senden will, die man gerne für die SPD gewinnen möchte?

Thierse: Nein, überhaupt nicht. Ich habe keinerlei parteitaktische Überlegungen. Die Linkspartei argumentiert, wir wollten den sozialistischen Versuch delegitimieren. Da muss ich lachen, denn das haben wir doch 1989/90 erledigt: Die Friedliche Revolution war die faktische Delegitimierung der DDR. Dennoch ist das Argument der Linkspartei nicht ganz ungefährlich.

Viele frühere DDR-Bürger denken, auch ihr Leben sei delegitimiert worden. Dagegen habe ich etwas, weil das letztlich zu einer Verteidigung der DDR durch Menschen führt, die das nicht getan haben, solange sie dort leben mussten. Ich wünsche mir, dass wir neben den notwendigen Gedenkstätten wie etwa Hohenschönhausen oder der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße ein Museum bekommen, das den Alltag in der DDR und unterschiedliche Formen des Verhaltens, vor allem auch widerständiges Verhalten, darstellt.

Ich finde, das wird nach wie vor nicht angemessen gewürdigt. Die Robert-Havemann-Gesellschaft könnte so etwas wunderbar machen.

Jahn: Ich glaube auch, in der SPD handelt es sich dabei um Einzelmeinungen, auch was die Kritik an der Behörde und jetzt meiner Arbeit angeht.

Welt Online: Deutschland hat etwas historisch ziemlich Einzigartiges gemacht – eine Diktatur überwinden und sofort danach beginnen, sich mit ihr kritisch auseinanderzusetzen. In anderen Ländern, etwa Japan oder Kambodscha, gab es Ähnliches nicht. Wie kommt das? Hat das mit dem deutschen Charakter zu tun?

Thierse: Ich stimme Ihnen zu. Das ist eine wirkliche politisch-moralische Leistung, die wir zustande gebracht haben, auf eine solch kritische und zugleich auch kontrollierte Weise mit der Stasi-Erbschaft umzugehen. Natürlich kann man salopp sagen: Die Deutschen sind immer so gründlich. Der wunderbare Pole Adam Michnik hat mir damals gesagt: "Ach, Wolfgang, wir hatten doch gesiegt. Da können wir doch großzügig sein.“

Dieser Satz hat mich lange beschäftigt. Machen wir es anders, weil wir nicht so das richtige Gefühl haben, gesiegt zu haben? Aber das ist es wohl nicht. Ich glaube, wir hatten eine Erfahrung, wie man mit Vergangenheit falsch oder problematisch oder unvollkommen umgeht. Das war die Zeit nach 1945. Das war für uns ein ganz starkes Motiv. Wir wollen es anders machen als nach der Nazizeit – ehrlicher, selbstkritischer und zugleich rechtsstaatlicher.

Jahn: Tatsächlich ist hier ein energischer Wille, der aus der Friedlichen Revolution stammt, in den Rechtsstaat gemündet. Das ist hier glücklicherweise gut zusammengekommen. Gerade Transparenz ermöglicht es, differenziert zu bewerten, am Ende – mit großen Worten gesagt – ein Klima der Versöhnung zu schaffen. Denn ich kann nur das vergeben, was ich auch weiß. Deswegen ist Aufklärung das, worum es geht.

Thierse: Ich wäre vorsichtig mit dem Wort Versöhnung, weil Versöhnung nur etwas zwischen konkreten Individuen sein kann. Das ist weder Aufgabe der Behörde noch Aufgabe von Politik, ich wäre da …

Jahn: … ich sagte: "Klima der Versöhnung“…

Thierse: … sehr vorsichtig.

Jahn: Aber wir sind uns doch einig. Es gibt manche in dieser Republik, die sagen: Die Opfer sollen es mal gut sein lassen, sie haben jetzt mal zu vergeben. Dagegen muss man auch ein deutliches Zeichen setzen, denn Zeit heilt eben nicht alle Wunden.

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