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Beitrag  Andy Mo Jun 09, 2014 1:32 am

HAMM, im Juni. Franz Gockel sagt, dass Ernest Hemingway sich geirrt hat. Am 6. Juni 1944 stand der Schriftsteller auf einem amerikanischen Landungsboot, das auf den Strand zuhielt, den man später Omaha Beach nennen wird. In seinen "49 Depeschen" schreibt Hemingway: "Die ganze Küste war voller Rauch. Das Boot steuerte auf die Kirche von Colleville zu. In Küstennähe war eine Hausruine mit einem Maschinengewehrnest." Franz Gockel sagt, dass es in dem Haus kein Maschinengewehr gab, es war vor dem Haus in einem Erdbunker versteckt. Franz Gockel weiß das. Er stand hinter dem Maschinengewehr. Gegen ein Uhr morgens war Franz Gockel aus dem Schlaf geschreckt. "Kerls, jetzt wird's ernst, sie kommen!", brüllte ein Unteroffizier in den Bunker. Gockel sprang in seine Stiefel, nahm seinen Karabiner und hetzte durch den Laufgraben. In der Ferne sah er Blitze durch den Himmel zucken. Geschützdonner hallte herüber. Bei ihm, im "Widerstandsnest 62" nahe Colleville-sur-Mer, war alles ruhig. Vom Meer kam ein kalter Wind, Gockel trug leichtes Drillichzeug. Er zitterte. Der Koch brachte heißen Rotwein. Gockel stand hinter dem Maschinengewehr und wartete. Kurz nach vier kam die Morgendämmerung. Franz Gockel sah dunkle Schatten am Horizont. Schatten, die immer größer wurden. Irgendwann konnte er Umrisse erkennen. Hunderte große und kleine Schiffe. Dann kamen die Flugzeuge. Franz Gockel duckte sich unter den Maschinengewehrtisch. Heulend und zischend gruben sich die Bomben um ihn herum in den Boden. Schiffsgranaten trafen seinen MG-Stand. Gockel brüllte. Gegen sechs Uhr steuerten dicht besetzte Sturmboote auf den Strand zu. Die ersten amerikanischen Soldaten sprangen heraus, das Wasser reichte ihnen bis zur Brust. Sie waren noch einhundertfünfzig Meter entfernt. Franz Gockel richtete das MG aus und feuerte ohne Pause. Keiner der Amerikaner erreichte das Ufer. Franz Gockel hatte zum ersten Mal getötet. Er war gerade achtzehn Jahre alt geworden. "Ich hatte eine solche Wut, weil die so viele waren. Ich habe mir gesagt, dass ich kämpfen muss, dass ich überleben muss." Franz Gockel sitzt im Wintergarten seines Hauses in Hamm-Rhynern in Westfalen. Die Flügeltüren stehen weit offen. Sonne scheint herein. In einer Blumenvase stecken zwei Fahnen, eine amerikanische und eine französische. Daneben steht ein bunter Hahn aus Gusseisen. Ein Gockel. Er spricht mit ruhiger, fast tonloser Stimme. So als ob die Geschichte dieses jungen Wehrmachtssoldaten in der Normandie gar nicht seine ist. Vielleicht liegt es daran, dass Franz Gockel sie gerade so oft erzählen muss. Weil wieder ein Jahrestag ansteht. Und weil es nicht viele deutsche Landser gibt, die den 6. Juni 1944 am Omaha Beach überlebt haben. Franz Gockel hat einen großen Schreibtischkalender, in den seine Frau die Termine einträgt, die anstehen. Interviews mit Time, BBC, Daily Mail und Paris Match. Veteranentreffen, Denkmalseinweihungen, Podiumsdiskussionen. Fernsehsender wollen in der Normandie drehen. In letzter Zeit war er fünf Mal dort. Er macht dann eigentlich jedes Mal dasselbe: Er läuft um den Betonklotz herum, der einmal sein Mannschaftsbunker war, er hockt sich in die Erdmulde oben auf der Steilküste, die einmal seine MG-Stellung war, er schaut von oben ziemlich lange und möglichst nachdenklich auf das Meer und gibt dann das Interview am Strand. "Die waren immer sehr zufrieden", sagt Franz Gockel. Hedwig Gockel bringt ein Glas Wasser und erinnert ihren Mann an den Arzttermin. Die Zuckerwerte sind nicht gut. Die Aufregung. Franz Gockel nickt, stemmt sich aus dem Sessel hoch und schlurft ins Wohnzimmer. Er kommt mit drei dicken Ordnern zurück. Er legt auch ein paar Fotos auf den Tisch: Ein mit Pomade frisierter Junge in Uniform. Ein dicklicher Dachdeckermeister vor seinem Betrieb in Hamm. Ein alter Mann vor einem Grabkreuz an der Steilküste der Normandie. Um acht Uhr klemmte Franz Gockels Maschinengewehr. Er wechselte den Munitionsgurt. In diesem Moment wurde ihm die Waffe unter den Händen zerschossen. Gockel blieb unverletzt, nahm seinen Karabiner und feuerte weiter. Die zweite Welle der amerikanischen Landungsboote kam heran. Durch die langsam steigende Flut konnten die Boote diesmal näher an den Strand fahren. Sie waren jetzt weniger als hundert Meter von Gockels Stellung entfernt. Er sah, wie die Amerikaner zu Hunderten im Feuer der deutschen Granatwerfer und Maschinengewehre zusammenbrachen. Er hörte sie schreien. Franz Gockel sagt, dass er nicht weiß, wie viele Amerikaner er getötet hat. "In der Hektik des Schießens achtet man da nicht drauf. Man merkt überhaupt nur ganz wenig. Man hat Angst, man wehrt sich." Er sagt, dass so viele Amerikaner kamen, dass man gar nicht daneben schießen konnte. In einem der Ordner liegt ein Brief, den Franz Gockel am 10. Juni 1944 an seine Eltern geschickt hat. Vier vergilbte Seiten, eng mit Bleistift beschrieben. Die Handschrift ist die eines Kindes: "Dann begann das Morden. Es wurde geschossen, was die Läufe nur hielten. Bald lang der ganze Strand voll von Amerikanern. Auch viele Unverletzte blieben auf dem Sand liegen. Aber als das Wasser kam, mußten auch sie weiter. Dabei wurden sie abermals von uns unter Feuer genommen. (...) Wir konnten es gar nicht begreifen, daß die in dem Feuerhagel trotz ihrer schweren Verluste immer wieder kamen. (...) Die hundertfache Übermacht hat wohl jeder von uns beseitigt. Ich habe mit meinem Gewehr über 400 Schuß verschossen. Und das auf die günstige Entfernung von 100 bis 250 Meter. Für heute nun genug davon. Es grüßt Euch nun nochmals alle recht herzlich Euer Sohn und Bruder Franz." Zwei Millionen alliierte Soldaten hatten sich monatelang in britischen Camps auf die Landung in der Normandie vorbereitet. 6 991 Schiffe, 12 837 Flugzeuge und 200 000 Soldaten waren in der Nacht zum 6. Juni 1944 über den Ärmelkanal gekommen, um die bis dahin größte militärische Seeinvasion der Geschichte einzuleiten und in Frankreich eine Westfront gegen Hitler aufzubauen. Am Omaha Beach, einem der fünf Landungsabschnitte, war die Schlacht am blutigsten. Fast alle für diesen sechs Kilometer langen Strand vorgesehenen amerikanischen Schwimmpanzer versanken aus bis heute ungeklärtem Grund im Meer. Damit waren die bereits gelandeten Infanteristen den zahlenmäßig weit unterlegenen Deutschen auf offenem Gelände schutzlos ausgeliefert. Der berühmte amerikanische Kriegsfotograf Robert Capa landete gegen acht Uhr direkt gegenüber von Franz Gockels MG-Nest. Später schrieb Capa, er habe die ersten Aufnahmen aus der Hölle gemacht: "Die Neigung des Strandes gab uns, solange wir flach lagen, etwas Schutz, aber die Flut drängte uns gegen den Stacheldraht, wo die deutschen Gewehre freies Schussfeld hatten." Capas Fotos der amerikanischen Soldaten im Todeskampf inspirierten später den Regisseur Steven Spielberg, der in seinem Film "Der Soldat James Ryan" die Landung in Omaha Beach nachstellte. Dem Strand, an dem am Abend des 6. Juni 4 184 tote Amerikaner lagen. Gegen zwei Uhr Nachmittags spürte Franz Gockel plötzlich einen harten Schlag an seiner linken Hand. Er sah, dass drei Finger nur noch an den Sehnen hingen. Er schlug sich zum Kompaniebunker in Colleville durch. Einer der Soldaten beglückwünschte ihn zum "Heimatschuss". Gockel setzte sich auf einen Sanitätstransporter und fuhr ins Lazarett nach Balleroy. Dort erfuhr er am Abend, dass die Amerikaner Omaha Beach genommen haben. Franz Gockel kam nach Deutschland zurück. Nach dem Krieg versuchte er, den Strand in der Normandie zu vergessen. Seine Mutter sagte, dass er sprechen soll, dass er sich befreien muss von dem Grauen. Aber er wollte nicht sprechen. Es war wohl noch zu früh. Er trat in den Dachdeckerbetrieb seines Vaters ein. Er arbeitete wie ein Besessener. Er lernte seine Frau Hedwig kennen, heiratete, bekam Kinder und baute ein Haus. Irgendwann muss sich Franz Gockel dann sicher genug gefühlt haben. Er begann zu schreiben. Erinnerungen. Es packte ihn wieder, die Geschichte von damals, stärker als er es gedacht hätte. Im Sommer 1958 fuhr er mit seiner Frau in die Normandie. Er musste noch mal hin. Dann, so dachte er, könnte er die ganze Sache ruhen lassen. Er hatte ein mulmiges Gefühl, er wusste nicht, was passieren würde. Der Bauer, bei dem Gockel als Wehrmachtsgefreiter Milch und Käse gekauft hatte, begrüßte den "soldat allemand" mit Champagner. Der Bürgermeister von Colleville lud ins Rathaus ein. Mit Madame Renard, die den Deutschen die Uniformen gewaschen hatte, plauderte Gockel bei Kaffee und Kuchen über die alten Zeiten. Es war so, als wäre ein Sieger zurückgekehrt, als hätte Franz Gockel die Normandie nicht besetzt, sondern befreit. Woher diese Freundlichkeit kam, weiß Franz Gockel nicht so genau. Vielleicht waren die Franzosen froh, dass da ein Deutscher ohne Uniform zurück kam. Einfach nur als Mensch. Einer, der wie sie gelitten hatte unter dem Krieg. Es kann sein, dass Franz Gockel da angefangen hat, sich sein Bild neu zusammenzusetzen. Sein Bild von dem jungen Soldaten, der seine Jugend in der Normandie verlor. Der töten musste, der keine Wahl hatte, der so sehr Opfer war, dass er gar kein Täter sein konnte. Der heute sagt, dass er keinerlei Schuldgefühle hat. Weil der Krieg eben der Krieg war. Und weil man sich ja nicht aussuchen konnte, auf welcher Seite man kämpft. Franz Gockel fuhr immer wieder in die Normandie. Zu allen Jahrestagen, zu allen Festveranstaltungen. Er traf amerikanische Veteranen, wurde herzlich behandelt. Sie luden ihn nach Amerika ein. Er, der deutsche MG-Schütze, war Ehrengast auf ihren Überlebendentreffen. Er bekam Briefe von ehemaligen GI's, die ihm von ihren Stunden am Ohama Beach erzählten. Er schrieb Briefe mit seinen Erinnerungen zurück. Er wurde ein Veteran unter Veteranen. Einer, der dazugehört. Sie alle haben den 6. Juni am Omaha Beach verbracht. Sie alle haben überlebt. Das schien das Einzige zu sein, was zählte. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwamm. Gockel sagt, dass es einfach ist, sich den Amerikanern nahe zu fühlen. Dass es da etwas gibt, das man nicht erklären kann. Viel schwieriger ist es wohl mit seinen ehemaligen Kameraden, mit denen, die tot sind. Er geht oft auf den großen Soldatenfriedhof La Cambe, um sie zu besuchen. Das macht ihn jedes Mal fertig. Weil er da auf einmal ein schlechtes Gewissen hat. Er, als Überlebender. Franz Gockel wurde Ehrenbürger von Colleville. Wegen seiner Freundschaft mit den Amerikanern wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er war jetzt der Aussöhner, der Völkerverständiger. So kam er ganz mit sich ins Reine. So kann er heute verwundert sein, wenn man mit ihm über die Schuld der Deutschen im Krieg sprechen will. So kann er nicht begreifen, dass ein von ihm aufgestelltes Holzkreuz "für die gefallenen Kameraden" an der Ruine seines Mannschaftsbunkers schon zwei Mal umgestoßen wurde. So konnte er sich von seiner Geschichte befreien, ohne ihr je zu nahe gekommen zu sein. An diesem 6. Juni wird Franz Gockel wieder in der Normandie sein. Er wird vor der Gedenkstätte in Caen stehen, wenn zum ersten Mal ein deutscher Kanzler mit Frankreichs Präsidenten der Opfer der Landung in der Normandie gedenkt. Gockel wird das nicht so besonders erscheinen. Der deutsche Kanzler wird für ihn ein Staatsmann unter Staatsmännern sein. Einer, der dazu gehört. Wie Franz Gockel. ------------------------------ Foto: "Ich habe mit meinem Gewehr über 400 Schuß verschossen. Und das auf die günstige Entfernung von 100 bis 250 Meter." Franz Gockel

Quelle

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