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Das Demokratiedefizit der Europäischen Union

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Das Demokratiedefizit der Europäischen Union Empty Das Demokratiedefizit der Europäischen Union

Beitrag  checker Do März 23, 2017 8:42 pm

Das Demokratiedefizit der Europäischen Union ist ein geläufiges Schlagwort, mit dem die Einschätzung bezeichnet wird, dass die Europäische Union in ihrem politischen Wirken nicht ausreichend demokratisch legitimiert sei.[1] Unter den Kritikern verweist ein Teil auf das Fehlen eines europäischen Staatsvolks und sieht darin ein „strukturelles Demokratiedefizit“; andere beziehen sich auf Mängel des politischen Systems der Europäischen Union und monieren ein „institutionelles Demokratiedefizit“.

Zugleich sind Entwicklung und Ausbau der europäischen Integration seit den Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg aber auch von einer zunehmenden Verschiebung der Gewichte innerhalb des EU-Institutionengefüges gekennzeichnet, die mit einer zunehmenden Stärkung demokratiegemäßer Komponenten einherging. Dies zeigt sich insbesondere an der veränderten Rolle des Europäischen Parlaments, das von einer nicht direkt gewählten, lediglich beratenden Institution stufenweise zu einem mit dem Ministerrat in nahezu allen Bereichen gleichberechtigten Gesetzgebungsorgan geworden ist.

Das schwer überschaubare EU-Vertragsgeflecht wirkt intransparent; die Vielzahl an Regelungen und Normvorschriften auch sehr spezieller Art, die von den EU-Organen für den Binnenmarkt erlassen werden, ruft Kritik an der „Brüsseler Bürokratie“ hervor und nährt auf einzelstaatlicher und regionaler Ebene Vorbehalte und Widerstände gegen eine „Eurokratie“. In der Betonung des Subsidiaritätsprinzips, in der Einführung einer Unionsbürgerschaft, in der Grundrechte-Charta und in der Stärkung von Partizipationsmöglichkeiten der Unionsbürger finden sich aber auch gegenläufige Impulse.

Strukturelles Demokratiedefizit

Die Europäische Union leidet, so Reinhold Zippelius, unter einem gravierenden (gesamt)demokratischen Defizit vor allem deshalb, weil ihre Organe weitreichende Entscheidungen treffen, die für die Unionsbürger (unmittelbar oder mittelbar) verbindlich sind, obwohl diese Organe nicht nach dem demokratischen Elementargrundsatz "one man one vote" bestellt sind.[2]

Ohne einheitliches Staatsvolk, so die Kritiker des strukturellen Demokratiedefizits, fehle es der EU ohnehin an elementarer demokratischer Legitimation.[3] Die Vielfalt der Sprachen und das Fehlen „europäischer Medien“ lasse keinen gesamteuropäischen politisch-öffentlichen Diskurs zu.[2] Die bestehenden Medien seien nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich hauptsächlich auf nationale Belange ausgerichtet. Ohne eine europaweite Öffentlichkeit könne aber auch keine gemeinsame Identität eines „europäisches Staatsvolks“ entstehen. Bislang gebe es nur vereinzelte Ansätze, diesem Problem zu begegnen, etwa durch den deutsch-französischen Sender ARTE oder euronews. Auch die englische Sprache als Lingua Franca könne das Problem der Sprachenvielfalt nicht überwinden, da vielen Menschen das entsprechende Fachvokabular fehle, um politische Auseinandersetzungen angemessen zu verfolgen oder führen zu können.

Kritiker des strukturellen Demokratiedefizits sind in den Reihen der sogenannten Intergouvernementalisten stark vertreten, die die EU auf eine reine zwischenstaatliche Zusammenarbeit beschränken wollen und weitere Kompetenzen für die supranationalen Organe (etwa Europäische Kommission und Europäisches Parlament) ablehnen. Ein wichtiger Vertreter dieser Kritik ist z. B. Prof. Karl Albrecht Schachtschneider, der unter anderem 1993 Beschwerdeführer beim Bundesverfassungsgericht gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht war. Im sogenannten Maastricht-Urteil befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob die Teilnahme der Bundesrepublik an der Europäischen Union mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar ist und ging dabei auf die Problematik des fehlenden europäischen Staatsvolks ein. Das Urteil führt für die EU die Bezeichnung „Staatenverbund“ ein und fordert als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft Deutschlands, dass „eine vom Volk ausgehende Legitimation und Einflussnahme auch innerhalb eines Staatenverbundes gesichert ist“. In diesem Zusammenhang negierte das Bundesverfassungsgericht zwar die Existenz eines europäischen Staatsvolkes, sah dies aber auch nicht als notwendige Bedingung für die demokratische Legitimation der EU an: Vielmehr erhalte die EU Legitimation für hoheitliche Aufgaben über die nationalen Parlamente, die die Staatsvölker der einzelnen Mitgliedstaaten repräsentieren. Das Bundesverfassungsgericht hob hervor, dass demokratische Legitimation im Rahmen der EU nicht in gleicher Form hergestellt werden könne „wie innerhalb einer durch eine Staatsverfassung einheitlich und abschließend geregelten Staatsordnung“.

Das Europäische Parlament wurde vom Bundesverfassungsgericht als eine Vertretung der Staatsvölker aufgefasst, „von der ergänzend eine demokratische Abstützung der Politik der Europäischen Union ausgeht“. Die Europäische Union ist nach dieser Sichtweise also kein Staat, der sich unmittelbar auf ein europäisches Staatsvolk stützt, gleichwohl aber vereinbar mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes.[4] Damit lehnte das Bundesverfassungsgericht die Kritik eines strukturellen Demokratiedefizits der Europäischen Union ab.
Institutionelles Demokratiedefizit

Auch der Einfluss und das Zusammenspiel der EU-Organe ist Gegenstand der Kritik. Nach dieser Auffassung liege ein Demokratiedefizit darin, dass die Interessenvertretung und politische Partizipation der Unionsbürger im bestehenden Institutionengefüge nicht hinreichend gewährleistet sei. In dem 1988 verabschiedeten Toussaint-Bericht definierte das Europäische Parlament das „Demokratiedefizit in der Europäischen Gemeinschaft“ als

„Kombination zweier Phänomene: (i) die Übertragung von Vollmachten von den Mitgliedstaaten auf die Europäischen Gemeinschaften; (ii) die Ausübung dieser Vollmachten auf Gemeinschaftsebene durch andere Institutionen als das Europäische Parlament, auch wenn vor der Übertragung die nationalen Parlamente die Vollmacht hatten, in den betroffenen Bereichen Gesetze zu verabschieden.“

– Toussaint-Bericht 1988[5]

Im Zentrum der Kritik steht dabei vor allem der Ministerrat der EU. Dieser ist das wichtigste Gesetzgebungsorgan der EU, besteht aber aus Mitgliedern der jeweiligen nationalen Regierungen. Diese Form des Exekutivföderalismus führt dazu, dass im Rat die Gewaltenteilung zwischen (supranationaler) Legislative und (nationaler) Exekutive nicht stattfindet. Dadurch war es möglich, dass nationale Regierungen bei entsprechender Mehrheitsbildung im Ministerrat in die Lage versetzt wurden, über den Umweg der EU ohne parlamentarische Kontrolle Gesetze einzuführen. Durch die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens im Vertrag von Maastricht wurde das Europäische Parlament jedoch dem Rat in der Legislative gleichgestellt, sodass ein solches „Spiel über Bande“ zur Rechtsetzung ganz ohne parlamentarische Beteiligung in den meisten Politikfeldern nicht mehr möglich ist. Dennoch kann dadurch der Vorwurf des Exekutivförderalismus nicht entkräftet werden: Der Ministerrat bleibe funktional die erste Kammer des Gesetzgebungsprozesses, da es schlussendlich mehr Kompetenzen habe. Das Europäische Parlament, als zweite Kammer, hingegen sei stärker legitimiert, verfüge aber über eine geringere Ausstattung mit Kompetenzen[6].

Unter den Kritikern des institutionellen Demokratiedefizits lassen sich mit konträrer Zielsetzung Intergouvernementalisten und europäische Föderalisten unterscheiden. Während Erstere sich gegen die Übertragung weiterer Kompetenzen an die EU aussprechen und stattdessen eine Stärkung der nationalen Parlamente fordern, setzen sich die Föderalisten insbesondere für die Stärkung des Europäischen Parlaments ein. Etwas vereinfacht fordern die Intergouvernementalisten eher „weniger“, die Föderalisten eher „mehr Europa“.
Intergouvernementalistische Kritik

Intergouvernementalisten, die mit dem institutionellen Demokratiedefizit argumentieren, werfen der EU meist vor, sich Kompetenzen in Politikbereichen anzueignen, die nach dem Subsidiaritätsprinzip sinnvoller auf nationalstaatlicher Ebene geregelt werden sollten. Dabei spielen insbesondere folgende Kritikpunkte eine Rolle:

eine zu weitreichende Regulierung durch gut gemeinte Versuche und/oder ein Streben nach Macht. Als Beispiel dient hier etwa die am 20. März 2000 erlassene Richtlinie 2000/9/EG über Seilbahnen für den Personenverkehr, nach der auch flachländische Länder wie Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern Gesetze für Seilbahnen erlassen müssen (siehe etwa das Landesseilbahngesetz (Mecklenburg-Vorpommern)).

das oben dargestellte „Spiel über Bande“, durch das den Kritikern zufolge den nationalen Parlamenten eine effektive Kontrolle ihrer eigenen Regierung unmöglich gemacht wird.

sogenannte Paketbeschlüsse im Ministerrat, bei denen sachfremde Themen zusammengefasst und gemeinsam beschlossen werden. Hierdurch kommen aus Sicht der intergouvernementalistischen Kritiker viele Beschlüsse zustande, die sonst keine Mehrheit gefunden hätten. Auch dies trage zur Überregulierung bei.

die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Dieser ist vertraglich der „Verwirklichung einer immer engeren Union“[7] verpflichtet. Den Kritikern zufolge neige er daher in seinen Urteilen dazu, die EU-Verträge zentralistisch zu interpretieren und der EU immer mehr Zuständigkeiten zuzusprechen.

Als Lösung dieser Demokratie- bzw. Subsidiaritätsprobleme wird von intergouvernementalistischer Seite vorgeschlagen, den Rat seiner Funktion als „Subsidiaritätswächter“ zu entheben und statt seiner vier neue Subsidiaritätswächter zu errichten. Diese wären:

Ein Kompetenzkatalog, der den Umfang der EU-Zuständigkeiten festlegt.
Ein Kompetenzgerichtshof, der über Maßnahmen der Kommission, des Parlaments und auch über die Urteile des Europäischen Gerichtshofes entscheidet. Wichtig wäre dabei, dass die nationalen Parlamente klagebefugt wären.
Ein Rückholungsrecht, mit dem es den Mitgliedstaaten über den Rat möglich wäre, bestimmte Politikbereiche wieder der nationalen Verantwortung zu übertragen. (Bereits jetzt wäre es den Mitgliedstaaten möglich, Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückzuholen, allerdings nur durch eine – relativ aufwendige – Änderung des EU-Vertrags.)
Die Anwendung des Diskontinuitätsprinzips, nach dem Gesetzgebungsverfahren nach Ablauf einer Legislaturperiode verfallen würden.

Föderalistische Kritik
Die europäischen Föderalisten, die in der langfristigen Perspektive einen europäischen Bundesstaat anstreben, fordern vor allem die konsequente Demokratisierung des europäischen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozesses. Kritisiert wird, dass das Europäische Parlament noch immer nicht in allen Politikbereichen volles Mitwirkungsrecht hat. Auch fehlt ihm in der Gesetzgebung das Initiativrecht, das allein bei der Kommission liegt, die aber auch nicht vom Parlament zu wählen, sondern lediglich zu bestätigen (oder abzulehnen) ist. Das Europaparlament hat daher nur indirekt Einfluss auf die Tätigkeit der Kommission.

Teilweise umstritten ist auch die Sitzverteilung im Europäischen Parlament, wo jedem Mitgliedstaat ein gewisses Kontingent an Sitzen zusteht. Dabei stellen gemäß dem Prinzip der „fallenden Proportionalität“ kleine, bevölkerungsarme Länder wie Malta anteilsmäßig wesentlich mehr Abgeordnete als bevölkerungsreiche Länder wie Deutschland. Ein Abgeordneter aus Malta vertrat bis 2009 etwa 76.000 Europäer, während ein deutscher Abgeordneter 826.000 EU-Bürger repräsentierte.[8] Dieser Disproportionalitätsfaktor wird allgemein als Bruch des Gleichheitsprinzips und damit eines der vier Prinzipien einer demokratischen Wahl (allgemein, frei, gleich, geheim) angesehen.[9]

Am EU-Gesetzgebungsverfahren kritisiert wird zudem eine mangelnde Zurechenbarkeit der Entscheidungen. Es gebe eine Vielzahl von Akteuren, die am Normsetzungsprozess beteiligt seien, gleichzeitig aber kein Entscheidungszentrum. Dies führe zu Verantwortungsdiffusion beziehungsweise zu einem System organisierter Verantwortungslosigkeit.[10] Voraussetzung für demokratische Legitimation sei aber, dass der gewählte Repräsentant (durch Abwahl oder Abberufung) zur Verantwortung gezogen werden könne.

Als Lösung des Demokratiedefizits wäre es aus föderalistischer Sicht vor allem notwendig, das Europäische Parlament zu einem vollwertigen Parlament auszubauen. Dies könnte beispielsweise im Rahmen der Errichtung eines Zwei-Kammer-Systems geschehen, in dem der Rat als Vertretung nationaler Interessen fungieren würde, das Parlament allerdings in sämtlichen Bereichen der Gesetzgebung ebenbürtig wäre – etwa nach dem Vorbild des Verhältnisses zwischen Bundestag und Bundesrat in Deutschland. Weitergehende Forderungen wären die Wahl der Europäischen Kommission durch das Parlament sowie die Wahl des Parlaments nicht nach nationalen Sitzkontingenten, sondern etwa mit europaweiten Parteilisten.
Veränderungen durch den Vertrag von Lissabon

Der Vertrag von Lissabon folgt im Wesentlichen der seit Einführung der Direktwahl des Parlaments 1979 und des Mitentscheidungsverfahrens durch die EEA 1987 erkennbaren Tendenz, sowohl die Kompetenzen der EU als auch die demokratischen Elemente innerhalb der EU schrittweise zu stärken. Während föderalistische Kritiker daher einige ihrer Forderungen erfüllt sehen, befürchten intergouvernementalistische Kritiker eine Verfestigung der bestehenden Defizite. Diese Befürchtungen werden auch als einer der Gründe für das Scheitern des EU-Verfassungsvertrags 2005 angesehen. Mit der europäischen Bürgerinitiative führte der Lissabon-Vertrag erstmals ein Instrument direkter Demokratie in die Europäische Union ein.
Intergouvernementalistische Argumente

Aus intergouvernementalistischer Sicht droht durch den Lissabon-Vertrag eine weitere Zentralisierung der EU. So sei der im Vertrag aufgeführte Katalog der EU-Kompetenzen nicht eindeutig genug; durch die „gemischten Kompetenzen“ sei eine dynamische Aneignung von Zuständigkeiten durch die EU möglich.

Das in den Vertrag aufgenommene Bekenntnis der EU zum Subsidiaritätsprinzip geht den meisten intergouvernementalistischen Kritikern dabei nicht weit genug. Zwar sollen die nationalen Parlamente nun bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip Rügen aussprechen können, diese sind jedoch nicht bindend. Ein weiterer Kritikpunkt ist die sogenannte Passerelle-Regelung, durch die es künftig möglich werden soll, im Ministerrat Einstimmigkeits- in Mehrheitsentscheidungen umzuwandeln. Die nationalen Parlamente besitzen dagegen zwar ein sechsmonatiges Widerspruchsrecht; allerdings wird befürchtet, dass sich die praktische Umsetzung dieses Rechts schwierig gestalten werde.

Auch die Forderung nach einem Kompetenzgerichtshof wurde nicht in den Lissabon-Vertrag aufgenommen; das von intergouvernementalistischen Kritikern gesehene Problem der pro-europäischen Parteilichkeit des Europäischen Gerichtshofes bliebe daher weiterhin bestehen.

Schließlich wird kritisiert, dass außer in Irland in keinem EU-Mitgliedsstaat eine Volksabstimmung zu dieser wesentlichen EU-Reform stattgefunden hat.
Föderalistische Argumente

Das Fehlen einer Volksabstimmung zum Lissabon-Vertrag ist auch ein wesentlicher Kritikpunkt der Föderalisten; allerdings wurde von diesen statt einer Vielzahl nationaler Referenden meist eine gemeinsame europaweite Abstimmung gefordert, durch die der Vertrag zu ratifizieren wäre.

Inhaltlich bringt er aus föderalistischer Sicht zahlreiche Vorteile. Als entscheidend wird dabei meist die neuerliche Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments angesehen. So wird das Mitentscheidungsverfahren (fortan: „Ordentliches Gesetzgebungsverfahren“) nun in mehr Politikbereichen angewendet, insbesondere in der bisher rein intergouvernemental organisierten polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Außerdem fällt durch den Vertrag von Lissabon die Unterscheidung in „obligatorische“ und „nicht-obligatorische“ Ausgaben weg; das Parlament hat dadurch also volle Mitbestimmungsrechte über den gesamten EU-Etat einschließlich der Agrarausgaben.

Des Weiteren sollte durch den Lissabon-Vertrag die Transparenz der Entscheidungen im Ministerrat erhöht werden: Dieser muss nun immer, wenn er legislativ tätig wird, öffentlich tagen. Andere föderalistische Forderungen, etwa das Initiativrecht für das Europaparlament, die Wahl der Kommission durch das Parlament oder die Wahl des Parlaments nach europaweiten Listen, um die degressive Proportionalität der Sitzverteilung zu überwinden, finden sich im Vertrag von Lissabon jedoch nicht.
Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts

In seinem Urteil vom 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon (Lissabon-Urteil) bekräftigt das Bundesverfassungsgericht seine bereits im Maastricht-Urteil angelegte Linie, wonach die EU kein Bundesstaat sei und auch nicht werden dürfe, solange das Grundgesetz gelte und das deutsche Volk einem solchen Schritt nicht in einer Volksabstimmung zugestimmt habe.[11] Das Strukturproblem der EU bestehe darin, dass mit der europäischen Integration der Umfang politischer Gestaltungsmacht der Union - nicht zuletzt durch den Vertrag von Lissabon - stetig und erheblich gewachsen sei, so dass inzwischen in einigen Politikbereichen die Europäische Union einem Bundesstaat entsprechend - staatsanalog - ausgestaltet sei. Demgegenüber blieben die internen Entscheidungs- und Ernennungsverfahren überwiegend völkerrechtsanalog dem Muster einer internationalen Organisation verpflichtet; die EU sei weiterhin im Wesentlichen nach dem Grundsatz der Staatengleichheit aufgebaut.

Das Bundesverfassungsgericht spricht die Gefahr an, dass die EU-Organe sich selbständig entwickeln und dabei eine Tendenz zur politischen "Selbstverstärkung" aufwiesen. Konkret wird auf die extensive Kompetenzauslegung im Sinne der Implied-Powers-Doktrin und die effet-utile-Regel verwiesen. Da die in den Mitgliedstaaten verfassten Völker aber die maßgeblichen Träger der öffentlichen Gewalt, einschließlich der Unionsgewalt, blieben, liege die primäre „Integrationsverantwortung“ in der Hand der für die Völker handelnden nationalen Verfassungsorgane. Deshalb werden vom Bundesverfassungsgericht innerstaatliche Sicherungsmechanismen gegen eine Aushöhlung der politischen Gestaltungsfähigkeit der Staaten und des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung angemahnt.

Zur Rolle des Europäischen Parlaments heißt es mit Blick auf die Frage eines Demokratiedefizits:

„Gemessen an verfassungsstaatlichen Erfordernissen fehlt es der Europäischen Union auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon an einem durch gleiche Wahl aller Unionsbürger zustande gekommenen politischen Entscheidungsorgan mit der Fähigkeit zur einheitlichen Repräsentation des Volkswillens. Es fehlt, damit zusammenhängend, zudem an einem System der Herrschaftsorganisation, in dem ein europäischer Mehrheitswille die Regierungsbildung so trägt, dass er auf freie und gleiche Wahlentscheidungen zurückreicht und ein echter und für die Bürger transparenter Wettstreit zwischen Regierung und Opposition entstehen kann. Das Europäische Parlament ist auch nach der Neuformulierung in Art. 14 Abs. 2 EUV-Lissabon und entgegen dem Anspruch, den Art. 10 Abs. 1 EUV-Lissabon nach seinem Wortlaut zu erheben scheint, kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes. Dies spiegelt sich darin, dass es als Vertretung der Völker in den jeweils zugewiesenen nationalen Kontingenten von Abgeordneten nicht als Vertretung der Unionsbürger als ununterschiedene Einheit nach dem Prinzip der Wahlgleichheit angelegt ist.“

Es sei daher weder in seiner Zusammensetzung noch im europäischen Kompetenzgefüge dafür hinreichend gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen als einheitliche politische Leitentscheidungen zu treffen und auch innerhalb des supranationalen Interessenausgleichs zwischen den Staaten nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen. Es könne deshalb auch nicht eine parlamentarische Regierung tragen und sich im Regierungs-Oppositions-Schema parteipolitisch so organisieren, dass eine Richtungsentscheidung europäischer Wähler politisch bestimmend zur Wirkung gelangen könnte.

Zur Wahrung der Wirksamkeit des Wahlrechts und zur Erhaltung der demokratischen Selbstbestimmung sei es nötig, dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Zuständigkeit darüber wache, dass die Unionsgewalt nicht mit ihren Hoheitsakten die Verfassungsidentität verletze und nicht ersichtlich die eingeräumten Kompetenzen überschreite.

Im Urteil zum Lissabon-Vertrag bestätigt das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung, wonach die Wahlen zum Europäischen Parlament den Bürgern eine ergänzende Mitwirkungsmöglichkeit böten, die ein ausreichendes Legitimationsniveau vermittele.[12] Das Europäische Parlament sei allerdings weiterhin eine Vertretung der Völker der Mitgliedstaaten und nicht einer europäischen Unionsbürgerschaft.[13] Dies werde durch einen Wertungswiderspruch belegt: Einerseits beruhe die Konzeption des Binnenmarkts darauf, dass es keinen Unterschied machen dürfe, aus welchem Mitgliedstaat eine Ware/Dienstleistung oder ein Arbeitnehmer/Unternehmer stammt (Diskriminierungsverbot). Andererseits sei aber das Kriterium der Staatsangehörigkeit entscheidend für die politischen Einflussmöglichkeiten der Bürger in der Europäischen Union. Damit befinde sich die EU in einem Wertungswiderspruch zu der Grundlage ihres Selbstverständnisses als Bürgerunion.[14]

Die degressiv proportionale Vertretung der Bürger im Europäischen Parlament nahm durch den Vertrag von Lissabon sogar wieder etwas zu. Nach dem Vertrag von Nizza bildeten Spanien und Luxemburg die beiden Extreme: In Spanien kamen 50 Sitze auf 46 Mio. Einwohner, d. h. 917.000 Einwohner pro Sitz, in Luxemburg 6 Sitze auf 0,5 Mio. Einwohner, also 82.000 Einwohner pro Sitz (Disproportionalitätsfaktor: 11,2). Seit dem Vertrag von Lissabon sind die Extremfälle Deutschland mit 96 Sitzen auf 82 Mio. Einwohner und Malta mit 6 Sitzen auf 0,4 Mio. Einwohner. Ein deutscher Abgeordneter vertritt nun ca. 854.000 Einwohner, ein maltesischer ca. 67.000 (Disproportionalitätsfaktor von 12,Cool.
Debatte

Seit Einführung des Lissabon-Vertrages werden Vorschläge zur institutionellen Fortentwicklungen vermieden. 2009 forderte der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Demokratisierung mit Hilfe einer Direktwahl des Präsidenten des Europäischen Rates durch die Unionsbürger, die er im Zuge der Eurokrise 2011 wiederholte.[15]

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