Manche Kurse sind reine Zeitverschwendung
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Manche Kurse sind reine Zeitverschwendung
NÜRNBERG - Über drei Jahre gab Ina Freiwald als freie Dozentin Arbeitslosen Rhetorik-, Schreib- und Bewerbungskurse. Was die Autorin bei ihrer Arbeit für einen Bildungsträger im Auftrag der Arbeitsagenturen und Jobcenter erlebte, beschreibt sie in ihrem Buch „Können Sie strippen?“ (Riemann Verlag, 16,95 Euro). Die NZ wollte von der 49-Jährigen wissen, wie sinnvoll solche Maßnahmen sind.

NZ: Frau Freiwald, der Titel „Können Sie strippen?“ klingt doch recht skurril. Wurden das im Jobcenter Ihre Kursteilnehmer wirklich gefragt?
Ina Freiwald: Ja, tatsächlich. Ein Kursteilnehmer wollte in die Porno-Branche. Bei einem Job-Coaching fragten ihn Job-Vermittlerinnen, ob er strippen könne – und da wurde ihm klar, dass er selbst für diese Arbeit gewisse Voraussetzungen mitbringen muss. Es gibt Erwerbslose, die Anforderungen falsch einschätzen. Manche meinen, wenn sie sich um ihre Oma kümmern, können sie im Altenheim anfangen oder weil sie ein Haustier haben, in die Tierpflege gehen.
NZ: In Ihren Kursen saßen Lagerarbeiter ebenso wie Akademiker. Wie findet man als Dozentin für eine solche heterogene Gruppe eine Schnittmenge?
Freiwald: Das ist nicht immer leicht. Manche haben sehr gute PC-Kenntnisse, andere wiederum wissen nicht, wie man einen Computer anschaltet. Bei Kursteilnehmern mit Migrationshintergrund muss man als Dozentin die Bewerbungen womöglich selbst schreiben. Richtig schwierig ist es, Leute zu fördern, die keine Lust haben. Auch bei Langzeitarbeitslosen ist die Arbeit oft schwer. Im Laufe der Jahre findet man heraus, bei wem sich die Müht lohnt, und bei wem nicht.
NZ: Es gibt Erwerbslose, die eine Qualifizierungsmaßnahme nach der nächsten absolvieren. Wie sinnvoll ist ein solches Hopping?
Freiwald: Nicht sehr. Es gibt tatsächlich einen Gewinn, wenn die Leute gefördert werden und das Angebot annehmen. Damit kann sich ihre Situation schon verbessern. Bisweilen kann es sinnvoll sein, wenn zwei Maßnahmen aufeinander aufbauen. Aber es kommt auch vor, dass sich mancher Arbeitsuchende zu lange auf der Arbeitslosen-Liste befinden. Die Mitarbeiter in den Jobcentern dort stehen unter einem gewissen Vermittlungsdruck und müssen sich gegenüber ihren Vorgesetzten rechtfertigen. Sobald sie einen Arbeitslosen in einer Maßnahme unterbringen, haben sie ihn vom Hof, und er zählt nicht mehr als arbeitsuchend.
NZ: Also reine Statistik-Schönfärberei?
Freiwald: Einerseits ja; andererseits muss sich der Vermittler dann um denjenigen, der in einer Maßnahme ist, nicht mehr kümmern – gerade wenn dieser nicht besonders zuverlässig ist und seine Termine nicht einhält. Sobald der Arbeitsuchende an einem Qualifizierungsprogramm teilnimmt, ist der Mitarbeiter des Jobcenters nicht mehr zuständig.
NZ: Was bringt es, wenn ein arbeitsloser Ingenieur zum Bewerbungstraining soll?
Freiwald: Gerade Akademiker halten ihre Bewerbungsschreiben oft für perfekt. Dennoch können auch sie noch deutlichen Beratungsbedarf haben, sei es, dass sie Sachverhalte zu kompliziert darstellen oder sich im Gespräch nicht gut präsentieren. Aber natürlich gibt es Fälle, bei denen die angeordneten Maßnahmen überflüssig sind.
NZ: Wie effektiv ist das Fördermaßnahmen-System überhaupt?
Freiwald: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Der Erfolg hängt insbesondere vom Engagement des Kursteilnehmers ab. Manche sind über ihre Kurse richtig glücklich und profitieren auch wirklich davon. Anderen hilft es schon weiter, endlich wieder eine Tagesstruktur und sozialpädagogische Beratung zu bekommen. Es kommt aber auch das Gegenteil vor: nämlich dass einige über Monate hinweg in einer Maßnahme sitzen – und es bringt gar nichts.
NZ: Verstehen Sie eine anschließende Vermittlung als persönlichen Erfolg?
Freiwald: Ich werte es auf jeden Fall als persönlichen Erfolg, wenn ich mit meinem Unterricht jemanden weiterbringen kann. Wenn der Bewerber durch meine Beziehungen zusätzlich einen Praktikumsplatz bekommt, freue ich mich doppelt. Ich habe zum Beispiel schon einmal eine arbeitslose Lohnbuchhalterin als Praktikantin an eine befreundete Unternehmerin vermittelt – die ehemalige Kursteilnehmerin arbeitet heute noch dort.
NZ: Viele, die nach derartigen Maßnahmen einen Job finden, landen im Niedriglohnsektor mit prekären Arbeitsverhältnissen. Kann man da von Vermittlungserfolg sprechen?
Freiwald: Jein. Wenn heute jemand einen Job hat, kann man wirklich nicht immer sagen, dass das positiv ist. Zeitarbeitsfirmen drücken die Löhne bis auf sieben, acht Euro in der Stunde. Einer meiner Teilnehmer hat eine Anstellung im Lagerbereich gefunden und bekam für eine 40-Stunden-Woche 1400 Euro brutto – für eine vierköpfige Familie. Solche Arbeitnehmer brauchen staatliche Hilfe, obwohl sie den ganzen Tag hart arbeiten. Das Gleiche gilt für die Gastronomie, wo das Personal oft auf 400-Euro-Basis angestellt ist, aber die ganze Woche arbeitet. Aber Mitarbeiter in diesen Bereichen fallen aus der Arbeitslosenstatistik raus, egal, wie mies ihr Job ist.
NZ: Wie beurteilen Sie die Einschnitte der Fördermaßnahmen durch die Bundesregierung?
Freiwald: Wenn es Alternativen gibt, die die Vermittlungsvoraussetzungen bei den Arbeitslosen verbessern, wäre das kein Problem. Die Fördermaßnahmen sollen ja ausgleichen, was im Argen liegt. Wenn man bei den Fördermaßnahmen Änderungen vornimmt, sollte man das ganze System etwas transparenter gestalten.
NZ: Sie haben als Journalistin eher über Filmstars und Promis berichtet. Wie hat die Arbeit mit schwer Vermittelbaren Ihre Sicht verändert?
Freiwald: Am Anfang war das für mich eine komplett andere Welt; ich hatte auch Berührungsängste. Da waren plötzlich Teilnehmer aus Kasachstan, die wochenlang den gleichen Anzug trugen. Mit der Zeit kommt aber die Empathie und man kann sich immer mehr in die Situation hineindenken – so sehr, dass ich bei einigen Geschichten eigentlich nur heulen kann. Zum Beispiel, wenn Mitarbeiter nach 25 Jahren aus dem Job gemobbt werden, um jemand Billigeren einzustellen.
NZ: Wie geht es mit Ihnen weiter?
Freiwald: Der Bildungsträger, für den ich tätig war, will mich nach Veröffentlichung des Buches nun nicht mehr beschäftigen. Da ich aber freiberuflich bin, habe ich noch weitere Auftraggeber – und muss nicht zur Arbeitsvermittlung gehen.
Quelle

NZ: Frau Freiwald, der Titel „Können Sie strippen?“ klingt doch recht skurril. Wurden das im Jobcenter Ihre Kursteilnehmer wirklich gefragt?
Ina Freiwald: Ja, tatsächlich. Ein Kursteilnehmer wollte in die Porno-Branche. Bei einem Job-Coaching fragten ihn Job-Vermittlerinnen, ob er strippen könne – und da wurde ihm klar, dass er selbst für diese Arbeit gewisse Voraussetzungen mitbringen muss. Es gibt Erwerbslose, die Anforderungen falsch einschätzen. Manche meinen, wenn sie sich um ihre Oma kümmern, können sie im Altenheim anfangen oder weil sie ein Haustier haben, in die Tierpflege gehen.
NZ: In Ihren Kursen saßen Lagerarbeiter ebenso wie Akademiker. Wie findet man als Dozentin für eine solche heterogene Gruppe eine Schnittmenge?
Freiwald: Das ist nicht immer leicht. Manche haben sehr gute PC-Kenntnisse, andere wiederum wissen nicht, wie man einen Computer anschaltet. Bei Kursteilnehmern mit Migrationshintergrund muss man als Dozentin die Bewerbungen womöglich selbst schreiben. Richtig schwierig ist es, Leute zu fördern, die keine Lust haben. Auch bei Langzeitarbeitslosen ist die Arbeit oft schwer. Im Laufe der Jahre findet man heraus, bei wem sich die Müht lohnt, und bei wem nicht.
NZ: Es gibt Erwerbslose, die eine Qualifizierungsmaßnahme nach der nächsten absolvieren. Wie sinnvoll ist ein solches Hopping?
Freiwald: Nicht sehr. Es gibt tatsächlich einen Gewinn, wenn die Leute gefördert werden und das Angebot annehmen. Damit kann sich ihre Situation schon verbessern. Bisweilen kann es sinnvoll sein, wenn zwei Maßnahmen aufeinander aufbauen. Aber es kommt auch vor, dass sich mancher Arbeitsuchende zu lange auf der Arbeitslosen-Liste befinden. Die Mitarbeiter in den Jobcentern dort stehen unter einem gewissen Vermittlungsdruck und müssen sich gegenüber ihren Vorgesetzten rechtfertigen. Sobald sie einen Arbeitslosen in einer Maßnahme unterbringen, haben sie ihn vom Hof, und er zählt nicht mehr als arbeitsuchend.
NZ: Also reine Statistik-Schönfärberei?
Freiwald: Einerseits ja; andererseits muss sich der Vermittler dann um denjenigen, der in einer Maßnahme ist, nicht mehr kümmern – gerade wenn dieser nicht besonders zuverlässig ist und seine Termine nicht einhält. Sobald der Arbeitsuchende an einem Qualifizierungsprogramm teilnimmt, ist der Mitarbeiter des Jobcenters nicht mehr zuständig.
NZ: Was bringt es, wenn ein arbeitsloser Ingenieur zum Bewerbungstraining soll?
Freiwald: Gerade Akademiker halten ihre Bewerbungsschreiben oft für perfekt. Dennoch können auch sie noch deutlichen Beratungsbedarf haben, sei es, dass sie Sachverhalte zu kompliziert darstellen oder sich im Gespräch nicht gut präsentieren. Aber natürlich gibt es Fälle, bei denen die angeordneten Maßnahmen überflüssig sind.
NZ: Wie effektiv ist das Fördermaßnahmen-System überhaupt?
Freiwald: Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Der Erfolg hängt insbesondere vom Engagement des Kursteilnehmers ab. Manche sind über ihre Kurse richtig glücklich und profitieren auch wirklich davon. Anderen hilft es schon weiter, endlich wieder eine Tagesstruktur und sozialpädagogische Beratung zu bekommen. Es kommt aber auch das Gegenteil vor: nämlich dass einige über Monate hinweg in einer Maßnahme sitzen – und es bringt gar nichts.
NZ: Verstehen Sie eine anschließende Vermittlung als persönlichen Erfolg?
Freiwald: Ich werte es auf jeden Fall als persönlichen Erfolg, wenn ich mit meinem Unterricht jemanden weiterbringen kann. Wenn der Bewerber durch meine Beziehungen zusätzlich einen Praktikumsplatz bekommt, freue ich mich doppelt. Ich habe zum Beispiel schon einmal eine arbeitslose Lohnbuchhalterin als Praktikantin an eine befreundete Unternehmerin vermittelt – die ehemalige Kursteilnehmerin arbeitet heute noch dort.
NZ: Viele, die nach derartigen Maßnahmen einen Job finden, landen im Niedriglohnsektor mit prekären Arbeitsverhältnissen. Kann man da von Vermittlungserfolg sprechen?
Freiwald: Jein. Wenn heute jemand einen Job hat, kann man wirklich nicht immer sagen, dass das positiv ist. Zeitarbeitsfirmen drücken die Löhne bis auf sieben, acht Euro in der Stunde. Einer meiner Teilnehmer hat eine Anstellung im Lagerbereich gefunden und bekam für eine 40-Stunden-Woche 1400 Euro brutto – für eine vierköpfige Familie. Solche Arbeitnehmer brauchen staatliche Hilfe, obwohl sie den ganzen Tag hart arbeiten. Das Gleiche gilt für die Gastronomie, wo das Personal oft auf 400-Euro-Basis angestellt ist, aber die ganze Woche arbeitet. Aber Mitarbeiter in diesen Bereichen fallen aus der Arbeitslosenstatistik raus, egal, wie mies ihr Job ist.
NZ: Wie beurteilen Sie die Einschnitte der Fördermaßnahmen durch die Bundesregierung?
Freiwald: Wenn es Alternativen gibt, die die Vermittlungsvoraussetzungen bei den Arbeitslosen verbessern, wäre das kein Problem. Die Fördermaßnahmen sollen ja ausgleichen, was im Argen liegt. Wenn man bei den Fördermaßnahmen Änderungen vornimmt, sollte man das ganze System etwas transparenter gestalten.
NZ: Sie haben als Journalistin eher über Filmstars und Promis berichtet. Wie hat die Arbeit mit schwer Vermittelbaren Ihre Sicht verändert?
Freiwald: Am Anfang war das für mich eine komplett andere Welt; ich hatte auch Berührungsängste. Da waren plötzlich Teilnehmer aus Kasachstan, die wochenlang den gleichen Anzug trugen. Mit der Zeit kommt aber die Empathie und man kann sich immer mehr in die Situation hineindenken – so sehr, dass ich bei einigen Geschichten eigentlich nur heulen kann. Zum Beispiel, wenn Mitarbeiter nach 25 Jahren aus dem Job gemobbt werden, um jemand Billigeren einzustellen.
NZ: Wie geht es mit Ihnen weiter?
Freiwald: Der Bildungsträger, für den ich tätig war, will mich nach Veröffentlichung des Buches nun nicht mehr beschäftigen. Da ich aber freiberuflich bin, habe ich noch weitere Auftraggeber – und muss nicht zur Arbeitsvermittlung gehen.
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