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Kriegsrecht: Dürfen Soldaten überhaupt töten?

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Kriegsrecht: Dürfen Soldaten überhaupt töten?  Empty Kriegsrecht: Dürfen Soldaten überhaupt töten?

Beitrag  checker Mi Dez 28, 2011 6:35 am

Was im Krieg nicht verboten ist, soll erlaubt sein: Diese Meinung ist herrschend, aber unbegründet. Kundus lehrt: Die Erlaubnis zum Töten braucht eine gesetzliche Grundlage.

Kriegsrecht: Dürfen Soldaten überhaupt töten?  947959254

Wenn die parlamentarischen Auseinandersetzungen um die Tötung von Zivilpersonen durch deutsche Soldaten in Kundus wenigstens etwas Zukunftsweisendes erbracht haben, dann die Einsicht, dass militärische Aktionen im Auslandseinsatz mit schwerlich vermeidbaren tödlichen Folgen eine klare Rechtsgrundlage brauchen. Der Komplex bedarf um so dringlicher der Klärung, je mehr die Grenzen zwischen internationalen „Kriegen“ und innerstaatlichen „bewaffneten Konflikten“ zerfließen und man sich im Kampf gegen Terrorismus und vergleichbare Bedrohungen des Staates auf kriegerische Tötungslizenzen soll berufen dürfen - bis hin zu dem von manchen Strafrechtslehrern angedienten „Feindstrafrecht“.

Warum werden solche Legitimationsprobleme kaum zur Sprache gebracht? Man meint wohl, die Tötung im Krieg als menschheitsgeschichtliche Selbstverständlichkeit hinnehmen zu müssen: Der Krieg wird als rechtsfreier Raum verstanden, in dem alles als erlaubt gilt, was nicht verboten ist. Um sich die Radikalität dieser Annahme bewusst zu machen, braucht man sich nur die unterschiedliche Behandlung des Tötens innerhalb und außerhalb eines militärischen Konflikts vor Augen zu führen: Während ein „normaler“ Totschlag ohne ausdrückliche Rechtfertigung rechtswidrig ist, gilt das Töten im Krieg als rechtmäßig, ohne dass dafür jeweils eine besondere Begründung verlangt würde. Ja noch mehr: Von steigendem Tötungserfolg darf man sich sogar Belobigungen und statusfördernde Auszeichnungen erhoffen. Das ist um so erstaunlicher, als selbst bei intensivster Recherche offenbar kein Rechtssatz zu finden ist, durch den das Töten im Krieg ausdrücklich für rechtmäßig erklärt würde.
Eine ungeheuerliche Vorstellung

Diesem Mangel einer unmittelbaren positiven Rechtfertigung meint man, wie angedeutet, auf negativ-indirektem Wege abhelfen zu können: Nur das ausdrücklich Verbotene soll im Krieg nicht erlaubt sein. In dieser Weise von nicht verboten auf erlaubt zu schließen, mag zwar auf das allgemeine Grundrecht auf freie Entfaltung passen, nicht jedoch auf eine Freiheit zu töten, die es grundsätzlich gar nicht gibt. Vielmehr ist das Töten eines Menschen grundsätzlich verboten. Es gibt somit keine von vorneherein unbeschränkte Tötungsfreiheit, und daher bedürfen Ausnahmen vom Tötungsverbot auch im Krieg einer Begründung.

Durch die Haager Landkriegsordnung wie auch durch die neueren Verbotskataloge der verschiedenen internationalen Strafgerichtsbarkeiten sind nur schwerste Verletzungen des humanitären Völkerrechts unter Strafe gestellt. Demzufolge hätte der Umkehrschluss von nicht verboten auf erlaubt zur Konsequenz, dass bei militärischen Auseinandersetzungen jedes Töten von Menschen zulässig wäre, solange es nur nicht die hohe Schwelle eines Völkerrechtsverbrechens überschreitet - eine ungeheuerliche Vorstellung angesichts massenhafter Menschenopfer moderner bewaffneter Konflikte.
Beide Rechte sind allen Menschen garantiert

Im traditionellen Strafrecht versucht man über solche Legitimationsdefizite meist damit hinwegzukommen, dass man im Kriegsfall das allgemeine Tötungsverbot schon von vorneherein für grundsätzlich aufgehoben sieht - wobei dies freilich seinerseits einer Begründung bedürfte. Oder soweit man eine tatbestandsmäßige Tötung nicht mit (ohnehin nur ausnahmsweise einschlägigen) Notwehr- und Notstandsrechten zu rechtfertigen vermag, pflegt man schlicht auf Kriegs- und Völkergewohnheitsrecht zu verweisen. Eines wird bei dieser Zuflucht zum Gewohnheitsrecht jedoch meist übersehen: Vor diesem transnationalen Schritt wären erst auch noch gewisse innerstaatliche Hürden zu überwinden.

Erst die vom Bundesverfassungsgericht verworfene Ermächtigung des Luftsicherheitsgesetzes zum Abschuss terroristisch eingesetzter Luftfahrzeuge hat ins allgemeine Bewusstsein gehoben, dass es sich bei dem Staat zurechenbarer Vernichtung von menschlichem Leben um Grundrechtseingriffe handelt, die nicht ohne weiteres mit internationalem Kriegsrecht überspielt werden können. Das gilt für die Unantastbarkeit der Menschenwürde wie für das Grundrecht auf Leben, in das nach dem Grundgesetz nur „aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden“ darf. Beide Rechte sind jedem Menschen - ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit oder sonstigen Status - garantiert, und demzufolge auch insoweit, als die Wirkungen staatlicher Betätigung im Ausland eintreten. Insofern kommt auch Kriegsteilnehmern, gleich auf welcher Seite sie stehen, grundsätzlich der gleiche Achtungs- und Schutzanspruch zu.
Soweit nicht ausdrücklich verboten

Versucht man zu ermitteln, worin die weithin als geradezu selbstverständlich angenommene Lizenz zum Töten im Krieg ihren letzten Grund haben könnte, muss man sich in der wechselvollen Geschichte des modernen Völkerrechts umsehen. Zunächst galt nach der mittelalterlichen Lehre vom „gerechten Krieg“ die Tötung eines Feindes nur als erlaubt, wenn die kriegerische Auseinandersetzung erstens aus gerechtem Grund, zweitens mit guter Absicht und drittens vom Herrscher autorisiert war. Dem darin liegenden „Gerechtheitserfordernis“, das leicht von jeder Seite in Anspruch genommen werden konnte, meinte man dann mit der angeblichen „Indifferenz“ des Völkerrechts und der damit einhergehenden Vorstellung eines beiderseits gerechten Krieges“ begegnen zu können, was schließlich zum „ius ad bellum“ als freiem „Recht zum Krieg“ führte.

Für den damit eingeräumten „selbstgerechten“ Krieg brauchte es nur noch darum zu gehen, die grundsätzlich zulässige Kriegsführung hinsichtlich ihrer Mittel bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen, wie dies für das „ius in bello“ schließlich durch die Haager Landkriegsordnungen geschehen ist. Nachdem bereits damit das aus der souveränen Selbstbestimmung der Staaten abgeleitete „freie Kriegsführungsrecht“ eingeschränkt war, wurde es schließlich durch die Charta der Vereinten Nationen einem grundsätzlichen Gewaltverbot unterworfen. Dieses Verbot gilt zwar nicht ausnahmslos, wie insbesondere nicht bei Wahrnehmung des „naturgegebenen Rechts zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“; gleichwohl wird damit militärische Gewaltanwendung begründungsbedürftig und damit, so die Hoffnung, auch die Opferung von Menschenleben eingeschränkt.

Trotz dieser begrüßenswerten Entwicklung von einem „selbstgerechten Kriegsrecht“ zu einem „rechfertigungsbedürftigen“ Konfliktvölkerrecht wird aber in der Praxis von Militär und Justiz weiterhin ungerührt nach dem Motto „kriegerische Tötungslizenz soweit nicht ausdrücklich verboten“ verfahren. Eine Erklärung dafür könnte in einer Verknüpfung eines quasi naturrechtlich gedachten Kriegsrechts mit der Souveränitätslehre zu finden sein. Wenn man, wie immer wieder zu lesen ist, das Recht zur Tötung von Menschen als von der Kriegsbefugnis „impliziert“ oder als dem bewaffneten Konflikt „innewohnend“ ansieht, dann liegt es nahe, Töten als ein geradezu selbstverständliches Mittel des Krieges zu verstehen.
Die Berechtigungen müssen begründet sein

Eine solche „Selbstverständlichkeit“ wäre jedoch allenfalls dann hinzunehmen, wenn aus dem Fehlen eines ausdrücklichen Verbots von Tötung im Krieg deren Erlaubtheit abgeleitet werden könnte. Dies würde aber voraussetzen, dass auf völkerrechtlicher Ebene das Leben im Kriegsfall prinzipiell rechtlos wäre und erst durch das Verbot seiner Vernichtung Rechtschutz erlangte. Wie eine solche primäre Rechtlosigkeit von Leben mit seiner menschenrechtlichen Garantie zu vereinbaren wäre, ist nicht ersichtlich - es sei denn, dass man für den Kriegsfall das Leben von vornherein aus dem menschenrechtlichen Schutzbereich ausnimmt, wie man dies offenbar den einschlägigen Konventionsgarantien meint unterstellen zu können. Soll dem nicht so sein, so wird man auch auf völkerrechtlicher Ebene besonderer Ermächtigungsnormen für die Vernichtung von menschlichem Leben bedürfen. Solche Ermächtigungen werden aber nicht einfach den begrenzenden Verbotsnormen zu entnehmen sein, wie es sie bislang ausschließlich gibt.

Wenn ich der weitverbreiteten Annahme eines der staatlichen Souveränität inhärenten Kriegsführungsrechts und einer daher fraglos hinzunehmenden Tötungslizenz entgegentrete, dann nicht etwa deshalb, weil ich so weltfremd wäre zu meinen, dass dem Töten im Krieg generell die Rechtmäßigkeit abzusprechen sei. Eine Privatperson muss sich gegen einen rechtswidrigen Angriff erforderlichenfalls mit tödlicher Folge verteidigen dürfen, und Gleiches muss auch für ein angegriffenes Land und für die zur Verteidigung eingesetzten Soldaten gerechtfertigt sein. Wohl aber müssen solche Berechtigungen zur Tötung von Menschen begründet und in ihren Voraussetzungen und Grenzen gesetzlich umschrieben sein.
Die Rechtfertigung des Tötens

Drei Grunderfordernisse seien angedeutet. Erstens: Militärische Gewaltanwendung mit möglichen Todesfolgen kann vorneherein nur dann legitimierbar sein, wenn und soweit sie unter Beachtung des Gewaltverbots autorisiert ist. Zweitens: Um autorisierbar zu sein, muss - über formale Souveränitätsbehauptung hinaus - ein gewichtiger Grund vorliegen, dessen Zielsetzung nicht außer Verhältnis zu möglichen Verlusten an Menschenleben stehen darf. Dafür wären die in allgemeinen Notwehr- und Notstandskonzepten enthaltenen Verteidigungs- und Abwägungskriterien als Richtpunkte heranzuziehen. Drittens: Um rechtsstaatlichen Erfordernissen zu genügen, sind Eingriffe in das Recht auf Leben durch Ermächtigung zu militärisch erforderlichen Tötungshandlungen so klar wie möglich in gesetzesförmiger Weise zu bestimmen.

Was durch die wohlgemeinte Unterstellung „bewaffneter Konflikte“ schwer eingrenzbarer Art unter das humanitäre Völkerrecht an Kombattantenschutz gewonnen wird, geht andererseits durch kriegsrechtliche Suspendierung des Tötungsverbots verloren. Soll das zudem über internationale Konflikte hinaus auch für nicht-internationale gelten, so bleibt die Erleichterung des Tötens nicht auf „äußere“ Feinde beschränkt, dieser Weg wird dann vielmehr auch gegenüber „inneren“ Feinden eröffnet.

Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, wohin diese Entwicklung schließlich führen könnte, wenn in allem, was heute leichthin als „War“ - wie beispielsweise im „War on Terror“ - bezeichnet wird, ein kriegsübliches Recht zu töten in Anschlag gebracht würde. Die positivrechtliche Konturierung der Rechtfertigung des Tötens im Krieg ist ein elementares Gebot der Sicherheit.

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