Regale einräumen für 5,70 Euro
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Regale einräumen für 5,70 Euro
Supermarktketten heuern Billigkräfte von Subunternehmen an, um den geltenden Einzelhandels-Tarifvertrag zu umgehen. Doch der Ruf, auf Billigpersonal zu setzen, ist dem Image der Handelsketten nicht sehr förderlich.
Abends um 22 Uhr ging ihre Schicht los. Bis in die Morgenstunden hinein füllte sie Regale in einem südhessischen Real-Supermarkt auf. Laut damals – 2009 – geltendem Einzelhandels-Tarifvertrag hätte die Frau einen Stundenlohn von 10,97 Euro erhalten müssen. Tatsächlich verdiente sie aber nur 5,70 Euro plus 18 Cent Kilometerpauschale für die Anfahrt. Denn angestellt war sie nicht bei Real, sondern bei der Firma Night Stocking Crew (NSC), die heute unter SIG Instore Logistics firmiert. Und die setzt ihre Beschäftigten über Werkverträge bei Real und anderen Einzelhändlern ein.
Razzia bei Netto und Kaufland
Werkverträge – seit der Zoll Ende Januar in einer Großrazzia bei den Einzelhändlern Netto und Kaufland Warenzentren, Wohn- und Geschäftsräume durchsuchte, stehen sie im Fokus der Öffentlichkeit. Der Vorwurf: Die Unternehmen sollen für Lagerarbeiter und Staplerfahrer rechtswidrige Werkverträge geschlossen haben.
Insbesondere Einzelhändler haben in den vergangenen Jahren systematisch Werkverträge als Instrument für Lohndrückerei und die Umgehung von Mindestlöhnen missbraucht. Früher räumten Leiharbeiter billig die Regale ein. Nachdem für sie ein Mindestlohn eingeführt wurde, fanden die Arbeitgeber mit den Werkverträgen ein neues Schlupfloch.
Seither wird das Zusammenstellen von Lieferungen in Verteilzentren, das Staplerfahren oder das Regaleinräumen an Subunternehmen ausgelagert – im Fall von Real an die genannte SIG Instore Logistics. Der Dienstleister bezahlt seine Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des 2010 gegründeten Verbandes Instore und Logistik Services (ILS). Dessen 16 Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten decken nach eigenen Angaben rund die Hälfte des Marktes ab, auf dem insgesamt an die 120 Dienstleister tätig sind. Das mit der christlichen Gewerkschaft DHV als Tarifpartner vereinbarte Mindestentgelt liegt deutlich unter dem, was der Tarifvertrag des Einzelhandels für einfache Packtätigkeiten wie das Einräumen von Regalen vorsieht.
Leiharbeit-Mindestlohn umgehen
Da der Subunternehmer die Verantwortung für einen ganzen Betriebsbereich übernimmt und seinen Mitarbeitern gegenüber allein weisungsbefugt ist, gelten diese nicht als Leiharbeiter. So kann der Leiharbeit-Mindestlohn umgangen werden. Den Unternehmen kommt entgegen, dass die Beschäftigten meist nicht gewerkschaftlich organisiert sind und kaum ihre Rechte kennen. Nur selten suchen sie Hilfe bei Gewerkschaften. Die eingangs genannte NSC-Beschäftigte immerhin tat es. In ihrem Fall ging es um zu wenig abgerechnete Stunden.
„Das sind Billigst-Arbeitskräfte ohne Ausbildung, häufig mit Migrationshintergrund und ohne Deutschkenntnisse“, sagt Horst Gobrecht, Gewerkschaftssekretär von Verdi Hessen. Sie seien angewiesen auf das Geld und auch schnell wieder weg, wenn sie anderswo ein paar Cent mehr verdienten. Viele hielten still aus Angst, den Job zu verlieren.
„Werkverträge sind so lange problemlos, wie die Werkarbeiter nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden sind und von ihm keine Weisungen erhalten“, sagt Verdi-Handelsexperte Rainer Kuschewski. Sobald das nicht mehr der Fall sei, fielen Werkarbeiter aber in den Bereich der Leiharbeit und müssten auch so bezahlt werden.
Einzige Lösung Mindestlohn
Die Staatsanwälte hegen nun den Verdacht, dass auch Netto und Kaufland nur Schein-Werkverträge abgeschlossen haben. Beide weisen jeden Verdacht von sich: Netto erklärt, die Aufgabenbereiche von Mitarbeitern und Dienstleistern seien „strikt getrennt“. Zudem garantierten die Fremdfirmen in Verpflichtungserklärungen, dass sie ihr Personal nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlten. Dies werde regelmäßig geprüft.
Kaufland gibt sich ebenfalls unschuldig: Der interne Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gelte auch für die Beschäftigten von Werkvertragsunternehmen, heißt es dort. Man überprüfe dies in Stichproben.
Auf solche Kontrollen durch die Auftraggeber verweist auch der Handelsverband HDE. Durch sie könne die Einhaltung tariflicher Standards gewährleistet werden. Das Outsourcing von Tätigkeiten an Dienst- oder Werkvertragsunternehmen hält der Verband für „normal und sinnvoll“, da es wegen der Spezialisierung der Werkunternehmer zu Effizienzgewinnen führe.
Der Branchenverband ILS wiederum legt Wert auf die Feststellung, dass keines seiner Mitgliedsunternehmen von den Razzien betroffen sei.
Dennoch: Viele in der Branche dürften nun vorsichtiger werden. Neben Real nutzen auch Rewe, Edeka oder Rossmann das Modell Werkvertrag. Auf der sicheren Seite sind sie nur, so lange sie auf eine saubere Trennung achten. Tatsächlich aber sind die Arbeitsbedingungen von Werkarbeitern vielerorts zweifelhaft. Gewerkschaftern zufolge werden sie in vielen Betrieben wie eigene Mitarbeiter behandelt und erhalten Anweisungen vom Auftraggeber. Bislang hätten die Gerichte aber „sehr arbeitgeberfreundlich geurteilt“, so Kuschewski.
Klar ist: Der Ruf, auf Billigpersonal zu setzen, ist dem Image der Handelsketten nicht sehr förderlich. Real reagierte bereits. In einzelnen Supermärkten lässt das Unternehmen testweise ausschließlich Real-Mitarbeiter während der Ladenöffnungszeit Regale auffüllen.
Aus Sicht von Verdi gibt es nur ein wirksames Mittel gegen Niedrigstlöhne durch Werkverträge: einen branchenübergreifenden Mindestlohn.
Quelle
Abends um 22 Uhr ging ihre Schicht los. Bis in die Morgenstunden hinein füllte sie Regale in einem südhessischen Real-Supermarkt auf. Laut damals – 2009 – geltendem Einzelhandels-Tarifvertrag hätte die Frau einen Stundenlohn von 10,97 Euro erhalten müssen. Tatsächlich verdiente sie aber nur 5,70 Euro plus 18 Cent Kilometerpauschale für die Anfahrt. Denn angestellt war sie nicht bei Real, sondern bei der Firma Night Stocking Crew (NSC), die heute unter SIG Instore Logistics firmiert. Und die setzt ihre Beschäftigten über Werkverträge bei Real und anderen Einzelhändlern ein.
Razzia bei Netto und Kaufland
Werkverträge – seit der Zoll Ende Januar in einer Großrazzia bei den Einzelhändlern Netto und Kaufland Warenzentren, Wohn- und Geschäftsräume durchsuchte, stehen sie im Fokus der Öffentlichkeit. Der Vorwurf: Die Unternehmen sollen für Lagerarbeiter und Staplerfahrer rechtswidrige Werkverträge geschlossen haben.
Insbesondere Einzelhändler haben in den vergangenen Jahren systematisch Werkverträge als Instrument für Lohndrückerei und die Umgehung von Mindestlöhnen missbraucht. Früher räumten Leiharbeiter billig die Regale ein. Nachdem für sie ein Mindestlohn eingeführt wurde, fanden die Arbeitgeber mit den Werkverträgen ein neues Schlupfloch.
Seither wird das Zusammenstellen von Lieferungen in Verteilzentren, das Staplerfahren oder das Regaleinräumen an Subunternehmen ausgelagert – im Fall von Real an die genannte SIG Instore Logistics. Der Dienstleister bezahlt seine Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des 2010 gegründeten Verbandes Instore und Logistik Services (ILS). Dessen 16 Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten decken nach eigenen Angaben rund die Hälfte des Marktes ab, auf dem insgesamt an die 120 Dienstleister tätig sind. Das mit der christlichen Gewerkschaft DHV als Tarifpartner vereinbarte Mindestentgelt liegt deutlich unter dem, was der Tarifvertrag des Einzelhandels für einfache Packtätigkeiten wie das Einräumen von Regalen vorsieht.
Leiharbeit-Mindestlohn umgehen
Da der Subunternehmer die Verantwortung für einen ganzen Betriebsbereich übernimmt und seinen Mitarbeitern gegenüber allein weisungsbefugt ist, gelten diese nicht als Leiharbeiter. So kann der Leiharbeit-Mindestlohn umgangen werden. Den Unternehmen kommt entgegen, dass die Beschäftigten meist nicht gewerkschaftlich organisiert sind und kaum ihre Rechte kennen. Nur selten suchen sie Hilfe bei Gewerkschaften. Die eingangs genannte NSC-Beschäftigte immerhin tat es. In ihrem Fall ging es um zu wenig abgerechnete Stunden.
„Das sind Billigst-Arbeitskräfte ohne Ausbildung, häufig mit Migrationshintergrund und ohne Deutschkenntnisse“, sagt Horst Gobrecht, Gewerkschaftssekretär von Verdi Hessen. Sie seien angewiesen auf das Geld und auch schnell wieder weg, wenn sie anderswo ein paar Cent mehr verdienten. Viele hielten still aus Angst, den Job zu verlieren.
„Werkverträge sind so lange problemlos, wie die Werkarbeiter nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden sind und von ihm keine Weisungen erhalten“, sagt Verdi-Handelsexperte Rainer Kuschewski. Sobald das nicht mehr der Fall sei, fielen Werkarbeiter aber in den Bereich der Leiharbeit und müssten auch so bezahlt werden.
Einzige Lösung Mindestlohn
Die Staatsanwälte hegen nun den Verdacht, dass auch Netto und Kaufland nur Schein-Werkverträge abgeschlossen haben. Beide weisen jeden Verdacht von sich: Netto erklärt, die Aufgabenbereiche von Mitarbeitern und Dienstleistern seien „strikt getrennt“. Zudem garantierten die Fremdfirmen in Verpflichtungserklärungen, dass sie ihr Personal nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlten. Dies werde regelmäßig geprüft.
Kaufland gibt sich ebenfalls unschuldig: Der interne Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gelte auch für die Beschäftigten von Werkvertragsunternehmen, heißt es dort. Man überprüfe dies in Stichproben.
Auf solche Kontrollen durch die Auftraggeber verweist auch der Handelsverband HDE. Durch sie könne die Einhaltung tariflicher Standards gewährleistet werden. Das Outsourcing von Tätigkeiten an Dienst- oder Werkvertragsunternehmen hält der Verband für „normal und sinnvoll“, da es wegen der Spezialisierung der Werkunternehmer zu Effizienzgewinnen führe.
Der Branchenverband ILS wiederum legt Wert auf die Feststellung, dass keines seiner Mitgliedsunternehmen von den Razzien betroffen sei.
Dennoch: Viele in der Branche dürften nun vorsichtiger werden. Neben Real nutzen auch Rewe, Edeka oder Rossmann das Modell Werkvertrag. Auf der sicheren Seite sind sie nur, so lange sie auf eine saubere Trennung achten. Tatsächlich aber sind die Arbeitsbedingungen von Werkarbeitern vielerorts zweifelhaft. Gewerkschaftern zufolge werden sie in vielen Betrieben wie eigene Mitarbeiter behandelt und erhalten Anweisungen vom Auftraggeber. Bislang hätten die Gerichte aber „sehr arbeitgeberfreundlich geurteilt“, so Kuschewski.
Klar ist: Der Ruf, auf Billigpersonal zu setzen, ist dem Image der Handelsketten nicht sehr förderlich. Real reagierte bereits. In einzelnen Supermärkten lässt das Unternehmen testweise ausschließlich Real-Mitarbeiter während der Ladenöffnungszeit Regale auffüllen.
Aus Sicht von Verdi gibt es nur ein wirksames Mittel gegen Niedrigstlöhne durch Werkverträge: einen branchenübergreifenden Mindestlohn.
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