"Kriegsverbrechen müssen noch stärker auf nationaler Ebene verfolgt werden."

"Kriegsverbrechen müssen noch stärker auf nationaler Ebene verfolgt werden."



Veröffentlicht am 05.03.2012 von euronewsde

http://de.euronews.net/ Serge Brammertz, Chefankläger in Den Haag

Alex Taylor, euronews: "Seit dem 2. Weltkrieg ist die Justiz eine internationale Angelegenheit geworden: Kriegsverbrecher werden nicht nur für die Verbrechen an ihren Opfern verurteilt, sondern auch für ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber sind die Instanzen, die diese Verbrecher vor Gericht bringen, effizient? Uns ist heute Serge Brammertz zugeschaltet, der Chefankläger beim Internationalen Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien in Den Haag. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für die Fragen unserer Zuschauer nehmen. Die erste Frage:"

Miriam: "Ich heiße Miriam und bin Belgierin. Haben Sie das Recht, Verbrecher der ganzen Welt zu verurteilen? Und können die Leute in einer anderen Instanz auch gegen Sie vorgehen?"

Serge Brammertz: "Die Kompetenz des Tribunals für Ex-Jugoslawien ist auf die Länder im Gebiet des früheren Jugoslawiens beschränkt. Das Tribunal wurde 1993 vom Weltsicherheitsrat gegründet, um die hochrangigen Verantwortlichen für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auf diesem Gebiet begangen wurden, zu verfolgen und zu verurteilen. "

Alex Taylor: "Und wer kann Sie selbst gerichtlich verfolgen - ein Individuum, oder ein Staat?"

Serge Brammertz: "Nein. Da das Tribunal ein Produkt des Weltsicherheitsrats ist, sind alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verpflichtet, mit uns zusammenzuarbeiten. Hinsichtlich der Anrufung des Gerichts ist es das Büro des Chefanklägers, das Ermittlungen einleitet und entscheidet, welche Fälle vor dem Richter landen und welche Fälle an die nationalen Gerichte weitergeleitet werden."

Alex Taylor: "Die zweite Frage:"

Florence: "Ich heiße Florence, bin Belgierin und möchte Folgendes wissen: Ist Ihr Gericht wirklich unabhängig, wo es zum Teil von der NATO finanziert wird, und kommt es nicht vor, dass die NATO Druck auf das Gericht ausübt?"

Alex Taylor: "Generell: Sind Sie eine zu westliche Instanz? Dazu hat es in der Vergangenheit Kritik gegeben."

Serge Brammertz: "Also, es ist gewiss nicht korrekt, zu sagen, dass wir von der NATO finanziert werden. Wir sind eine Schöpfung des Weltsicherheitsrats, also wird unser Tribunal mit dem Geld der Vereinten Nationen finanziert. Das Budget wird alle zwei Jahre beraten und beschlossen.

Ist das Tribunal eine objektive Institution? Mit Sicherheit. Wir haben Juristen, Richter, Ermittler, Forscher aus 65 verschiedenen Ländern, und fast alle kommen aus der nationalen Justiz und nationalen Instanzen und sind Profis, die völlig unabhängig und unparteilich arbeiten."

Alex Taylor: "Wer nominiert Sie zum Beispiel?"

Serge Brammertz: "Der Chefankläger wird vom Weltsicherheitsrat auf Vorschlag des UN-Generalsekretärs ernannt."

Alex Taylor: "Ok, die dritte Frage:"

Laurie: "Ich bin Laurie aus Frankreich. Kann das Internationale Kriegsverbrechertribunal amerikanische Militiärs verfolgen, die in Afghanistan oder im Irak Verbrechen begangen haben - oder auch Präsidenten wie G.W. Bush, die den Einmarsch in ein Land befahlen, ohne letztlich wirklich Beweise für ihre Anschuldigungen gehabt zu haben?"

Serge Brammertz: "Ja, wie ich anfangs sagte, hat das Tribunal für das ehemalige Jugoslawien eine territorial sehr begrenzte Kompetenz, die sich auf die Verbrechen auf dem Territorium Ex-Jugoslawiens beschränkt. Sie haben in Den Haag aber auch den Internationalen Strafgerichtshof, ein ständiger Gerichtshof, der eine sehr viel umfassendere Kompetenz hat. Er kann Verbrechen in all den Ländern verfolgen, die das Rom-Statut ratifiziert haben, mit dem der Internationale Strafgerichtshof gegründet wurde. Er ist auch zuständig für Fälle, die vom Weltsicherheitsrat an dieses internationale Gericht verwiesen wurden, wie es zum Beispiel beim Sudan und Libyen der Fall war."

Alex Taylor: "Jetzt eine andere Frage, die uns schriftlich eingereicht wurde: Glauben Sie, dass Kroatien genug getan hat, um Verbrechen an Serben zu verfolgen?"

Serge Brammertz: "Also, ich würde ganz generell sagen, dass es sehr wichtig ist, dass in den kommenden Jahren sowohl in Kroatien, als auch in Serbien und Bosnien mehr Ermittlungen auf nationaler Ebene durchgeführt werden. Das ist die Herausforderung für die nächsten Jahre. Es gibt hunderte oder besser tausende Fälle, die auf Ermittlungen und Verfolgung warten, das wird eine große Herausforderung. Und das betrifft die Verbrechen, die in Kroatien begangen wurden, und sehr wohl die Verbrechen an Serben, ob in Kroatien oder in anderen Ländern."

Alex Taylor: "Aber die Serben haben offensichtlich den Eindruck, dass immer gegen SIE Prozesse geführt werden."