Die Angst vor den Killerviren
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Die Angst vor den Killerviren
Ende 2011 verändern Forscher Vogelgrippe-Viren so, dass sie auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind. Seit dem beschäftigt das Thema die WHO: Darf man Studien mit Bauanleitungen für tödliche Erreger publizieren? Nach langem Hickhack sagt die Gesundheitsbehörde nun Ja.
Das Szenario erinnert an Dürrenmatts Physiker. In der Tragikomödie des Schweizer Schriftstellers hat ein Wissenschaftler die Weltformel entdeckt. In falschen Händen könnte sie allerdings zur Vernichtung der gesamten Menschheit führen. Aus Angst vor Missbrauch lässt sich der Protagonist in eine psychiatrische Klinik einweisen.
Ganz so schlimm ist es in dem Streit um die Veröffentlichung zweier Studien mit Vogelgrippe-Viren noch nicht gekommen. Zwar befürchten noch immer viele Menschen, dass Bioterroristen die Forschungsergebnisse missbrauchen könnten. Doch nachdem sich jetzt sogar die WHO in die Diskussion eingemischt hat, scheint klar zu sein, dass die Arbeiten der beiden Teams aus den Niederlanden und den USA nun doch publiziert werden, und zwar in voller Länge.
Den Feind besser verstehen
Ende des vergangenen Jahres war bekanntgeworden, dass Forscher Vogelgrippe-Viren genetisch so verändert hatten, dass sie nicht nur vom Vogel auf den Menschen, sondern wahrscheinlich auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind – und somit eine Grippe-Pandemie ungeahnten Ausmaßes hervorrufen könnten. Die Wissenschaftler hegten keine bösen Absichten. Ihre Arbeiten (siehe Kasten) sollen dazu dienen, den unbekannten Feind besser zu verstehen und im Notfall schneller einen Impfstoff gegen ihn herstellen zu können.
Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka hatten einen Teil ihrer Ergebnisse bereits auf Tagungen vorgestellt. Und die zwei wichtigsten Fachzeitschriften weltweit, Science und Nature, wollten die Studien veröffentlichen. Doch dann schaltete sich ein Gremium der US-Gesundheitsbehörde ein. Es legte den Chefredaktionen von Science und Nature nahe, die Arbeiten nicht im Detail zu veröffentlichen – aus Angst vor neuem Bioterrorismus.
Es war klar, dass sich der Empfehlung niemand widersetzen würde. Allerdings schrieb der Chefredakteur von Science, Bruce Alberts, im Dezember in einer Stellungnahme, er habe Bedenken, der Öffentlichkeit derart wichtige Informationen vorzuenthalten. Auch Nature-Chefredakteur Philip Campbell erklärte, dass die kompletten Ergebnisse der wissenschaftlichen Gemeinde zugänglich gemacht werden müssten. Man einigte sich schließlich darauf, die Studien vorerst unter Verschluss zu halten und die Arbeit mit den neuartigen Viren für 60 Tage ruhen zu lassen.
Sorge über veränderte Viren "sehr groß"
Zuletzt schaltete sich die WHO in die Debatte ein. Zwei Tage lang hatte ein Gremium aus 22 Experten – darunter Vertreter der beiden Forscherteams und der beiden Fachzeitschriften – in Genf gestritten, ob, in welchem Umfang und wann man die Studien publizieren solle. Dann gab Keiji Fukuda, der WHO-Sonderberater für Grippe-Pandemien, das Ergebnis der Tagung auf einer Pressekonferenz bekannt. „Die Expertengruppe ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine komplette Veröffentlichung in Science und Nature zu einem späteren Zeitpunkt der Bevölkerung einen größeren Nutzen in Sachen Gesundheit liefert als eine sofortige Teilveröffentlichung“, sagte Fukuda.
Die Ergebnisse der Studien hätten gezeigt, dass das Risiko einer Pandemie durch veränderte H5N1-Viren sehr groß sei, führte Fukuda aus. Auch außerhalb der Labore könnten sich die Viren schnell verändern. „Die Forschung muss deshalb weitergehen“, forderte der WHO-Mann. Zunächst müsse man aber die Öffentlichkeit besser über die Risiken informieren, die von den Viren ausgingen, sagte Fukuda: „Die Diskussion in der letzten Zeit hat gezeigt, dass die Sorgen über die veränderten Viren sehr groß sind.“
Auch gebe es noch eine Reihe von Sicherheitsaspekten zu klären. Zum Beispiel müsse man prüfen, ob die Standards in den Hochsicherheitslabors ausreichten, um zu verhindern, dass die Viren versehentlich in die Umwelt gelangten. Einen Zeitplan bis zur Veröffentlichung der Studien legte die WHO nicht vor. Die veränderten Viren sollen vorerst dort bleiben, wo sie sind. Andere Forscher dürfen mit ihnen noch nicht experimentieren.
Deutsche Virologen begrüßen Veröffentlichung der Studie
Deutsche Virologen begrüßen den Beschluss der WHO, die Arbeiten von Fouchier und Kawaoka komplett zu veröffentlichen. „Das war die richtige Entscheidung“, sagt Klaus Osterrieder, der Direktor des Instituts für Virologie der Freien Universität (FU) Berlin. Stephan Becker, der das Institut für Virologie an der Philipps-Universität Marburg leitet, ist der gleichen Ansicht. „Wir sollten endlich genau wissen, worüber wir eigentlich die ganze Zeit diskutieren.“ Beckers Institut betreibt eines der zwei deutschen Hochsicherheitslabore der höchsten Sicherheitsstufe vier. Der Marburger Wissenschaftler hofft, dass durch die Debatte der vergangenen Monate jetzt tatsächlich eine breitere Diskussion in Gang kommt. Es liegt an uns Wissenschaftlern, der Öffentlichkeit besser zu erläutern, was wir mit solchen Versuchen bezwecken“, sagt er. Es sei wichtig, jetzt ein geeignetes Forum zu finden, in dem diskutiert werden könne.
In einem Punkt allerdings können weder Becker noch Osterrieder den WHO-Entschluss nachvollziehen: Beide hätten sich eine sofortige Veröffentlichung gewünscht. „Mir ist unklar, was die WHO mit dem Aufschub bezwecken will“, sagt Becker. „Wir können ja nicht die ganze Welt geimpft haben, bevor die Details der Arbeiten bekanntwerden.“ Wer an die Informationen herankommen wolle und genügend kriminelle Energie besäße, käme so oder so ans Ziel, sagt Klaus Osterrieder.
Kriminelle Energie ist nicht mal vonnöten. „Zu viele Personen kennen die Studien bereits“, sagt der FU-Forscher. Becker stimmt ihm zu: „Das Wissen lässt sich nicht mehr geheim halten.“ Es ist eben doch wie bei Dürrenmatts Physikern. Wie heißt es dort? „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“
Quelle
Das Szenario erinnert an Dürrenmatts Physiker. In der Tragikomödie des Schweizer Schriftstellers hat ein Wissenschaftler die Weltformel entdeckt. In falschen Händen könnte sie allerdings zur Vernichtung der gesamten Menschheit führen. Aus Angst vor Missbrauch lässt sich der Protagonist in eine psychiatrische Klinik einweisen.
Ganz so schlimm ist es in dem Streit um die Veröffentlichung zweier Studien mit Vogelgrippe-Viren noch nicht gekommen. Zwar befürchten noch immer viele Menschen, dass Bioterroristen die Forschungsergebnisse missbrauchen könnten. Doch nachdem sich jetzt sogar die WHO in die Diskussion eingemischt hat, scheint klar zu sein, dass die Arbeiten der beiden Teams aus den Niederlanden und den USA nun doch publiziert werden, und zwar in voller Länge.
Den Feind besser verstehen
Ende des vergangenen Jahres war bekanntgeworden, dass Forscher Vogelgrippe-Viren genetisch so verändert hatten, dass sie nicht nur vom Vogel auf den Menschen, sondern wahrscheinlich auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind – und somit eine Grippe-Pandemie ungeahnten Ausmaßes hervorrufen könnten. Die Wissenschaftler hegten keine bösen Absichten. Ihre Arbeiten (siehe Kasten) sollen dazu dienen, den unbekannten Feind besser zu verstehen und im Notfall schneller einen Impfstoff gegen ihn herstellen zu können.
Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka hatten einen Teil ihrer Ergebnisse bereits auf Tagungen vorgestellt. Und die zwei wichtigsten Fachzeitschriften weltweit, Science und Nature, wollten die Studien veröffentlichen. Doch dann schaltete sich ein Gremium der US-Gesundheitsbehörde ein. Es legte den Chefredaktionen von Science und Nature nahe, die Arbeiten nicht im Detail zu veröffentlichen – aus Angst vor neuem Bioterrorismus.
Es war klar, dass sich der Empfehlung niemand widersetzen würde. Allerdings schrieb der Chefredakteur von Science, Bruce Alberts, im Dezember in einer Stellungnahme, er habe Bedenken, der Öffentlichkeit derart wichtige Informationen vorzuenthalten. Auch Nature-Chefredakteur Philip Campbell erklärte, dass die kompletten Ergebnisse der wissenschaftlichen Gemeinde zugänglich gemacht werden müssten. Man einigte sich schließlich darauf, die Studien vorerst unter Verschluss zu halten und die Arbeit mit den neuartigen Viren für 60 Tage ruhen zu lassen.
Sorge über veränderte Viren "sehr groß"
Zuletzt schaltete sich die WHO in die Debatte ein. Zwei Tage lang hatte ein Gremium aus 22 Experten – darunter Vertreter der beiden Forscherteams und der beiden Fachzeitschriften – in Genf gestritten, ob, in welchem Umfang und wann man die Studien publizieren solle. Dann gab Keiji Fukuda, der WHO-Sonderberater für Grippe-Pandemien, das Ergebnis der Tagung auf einer Pressekonferenz bekannt. „Die Expertengruppe ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine komplette Veröffentlichung in Science und Nature zu einem späteren Zeitpunkt der Bevölkerung einen größeren Nutzen in Sachen Gesundheit liefert als eine sofortige Teilveröffentlichung“, sagte Fukuda.
Die Ergebnisse der Studien hätten gezeigt, dass das Risiko einer Pandemie durch veränderte H5N1-Viren sehr groß sei, führte Fukuda aus. Auch außerhalb der Labore könnten sich die Viren schnell verändern. „Die Forschung muss deshalb weitergehen“, forderte der WHO-Mann. Zunächst müsse man aber die Öffentlichkeit besser über die Risiken informieren, die von den Viren ausgingen, sagte Fukuda: „Die Diskussion in der letzten Zeit hat gezeigt, dass die Sorgen über die veränderten Viren sehr groß sind.“
Auch gebe es noch eine Reihe von Sicherheitsaspekten zu klären. Zum Beispiel müsse man prüfen, ob die Standards in den Hochsicherheitslabors ausreichten, um zu verhindern, dass die Viren versehentlich in die Umwelt gelangten. Einen Zeitplan bis zur Veröffentlichung der Studien legte die WHO nicht vor. Die veränderten Viren sollen vorerst dort bleiben, wo sie sind. Andere Forscher dürfen mit ihnen noch nicht experimentieren.
Deutsche Virologen begrüßen Veröffentlichung der Studie
Deutsche Virologen begrüßen den Beschluss der WHO, die Arbeiten von Fouchier und Kawaoka komplett zu veröffentlichen. „Das war die richtige Entscheidung“, sagt Klaus Osterrieder, der Direktor des Instituts für Virologie der Freien Universität (FU) Berlin. Stephan Becker, der das Institut für Virologie an der Philipps-Universität Marburg leitet, ist der gleichen Ansicht. „Wir sollten endlich genau wissen, worüber wir eigentlich die ganze Zeit diskutieren.“ Beckers Institut betreibt eines der zwei deutschen Hochsicherheitslabore der höchsten Sicherheitsstufe vier. Der Marburger Wissenschaftler hofft, dass durch die Debatte der vergangenen Monate jetzt tatsächlich eine breitere Diskussion in Gang kommt. Es liegt an uns Wissenschaftlern, der Öffentlichkeit besser zu erläutern, was wir mit solchen Versuchen bezwecken“, sagt er. Es sei wichtig, jetzt ein geeignetes Forum zu finden, in dem diskutiert werden könne.
In einem Punkt allerdings können weder Becker noch Osterrieder den WHO-Entschluss nachvollziehen: Beide hätten sich eine sofortige Veröffentlichung gewünscht. „Mir ist unklar, was die WHO mit dem Aufschub bezwecken will“, sagt Becker. „Wir können ja nicht die ganze Welt geimpft haben, bevor die Details der Arbeiten bekanntwerden.“ Wer an die Informationen herankommen wolle und genügend kriminelle Energie besäße, käme so oder so ans Ziel, sagt Klaus Osterrieder.
Kriminelle Energie ist nicht mal vonnöten. „Zu viele Personen kennen die Studien bereits“, sagt der FU-Forscher. Becker stimmt ihm zu: „Das Wissen lässt sich nicht mehr geheim halten.“ Es ist eben doch wie bei Dürrenmatts Physikern. Wie heißt es dort? „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“
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