Weimarer Reden 2012: Über die Freude an Europa
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Weimarer Reden 2012: Über die Freude an Europa
Wohin geht Europa? Welche Wege führen aus der europäischen Krise? Diesen Fragen widmete sich die diesjährige Auflage der Weimarer Reden an vier Sonntagen im Deutschen Nationaltheater. Am 25. März hinterfragte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin, unser Verhältnis zu Europa.
Im April 1986 hat die Europäische Gemeinschaft sich für Beethovens "Ode an die Freude" als die Europahymne entschieden. Sie wird zwar ohne Worte gespielt, aber Schillers Text war für die Wahlentscheidung doch von Belang. Zu Ihrer Erinnerung den Wortlaut der ersten Strophe der Schillernden Ode: "Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt."
Schiller hat diese Ode für seinen Mäzen Christian Gottfried Körner und dessen Freimaurerloge als Auftragswerk gedichtet. Es heißt in der Interpretationsgeschichte, dass er sie später als dichterisches Werk nicht mehr besonders schätzte. Aber sie ist sofort schnell populär geworden, und als vierter Satz von Beethovens Neunter Sinfonie hat sie weltweit begeisterte Anhänger gefunden. Jedes Jahr wird sie zum Beispiel am Jahresende in Japan vom sogenannten Chor der 10.000 gesungen, in deutscher Sprache und auswendig! Darauf bereiten sich Scharen von Japanern mit Begeisterung vor. In Schulaulen und Turnhallen finden die Chorproben statt. Ganze Familien treffen sich dabei. Kann man sich das in Deutschland vorstellen? Solche Begeisterung? Wohl eher nicht, zumal die Deutschen schon im Vergleich mit ihren europäischen Nachbarn besonders wenig singen. Freuen sie sich auch weniger?
Was zeichnet Freude aus? Worüber und wann freuen wir uns?
Die Popularität von Schillers Ode an die Freude mag zunächst daher rühren, dass Menschen eine Sehnsucht nach Freude haben. Ich kenne jedenfalls niemanden, der sich nicht gerne freute. Aber wann und unter welchen Bedingungen freuen wir uns? Als Kinder in der Regel auf unseren Geburtstag oder auf Weihnachten. Dem geht eine Zeit der Erwartung voraus, an deren Ende wir Geschenke erhalten, vielleicht auch Zuwendung von anderen und selbst Geschenke basteln. Würden wir uns ohne solche Erwartung ebenfalls freuen? Würden wir uns noch freuen, wenn wir jeden Tag Geburtstag hätten? Vermutlich eher nicht. Das würde uns langweilen, wir würden dessen überdrüssig.
Als Erwachsene merken wir, dass uns Freude auf den Geburtstag oder auf Weihnachten viel schwerer fällt als früher. Weihnachten wiederholt sich, da geschieht nichts besonders Schönes mehr. Im Gegenteil: Viele beginnen, sich vor den notorischen Familienkrächen am Weihnachtsabend zu fürchten, die vielfach literarisch beschrieben wurden. Psychologisch werden sie als Ergebnis der Enttäuschung darüber analysiert, dass wir uns eben nicht mehr so freuen können wie als Kinder und dass alltägliche Enttäuschungen im familiären Leben im Laufe des Jahres sich am Weihnachtsabend plötzlich Bahn brechen.
Offenbar gehören zur Freude ein Erwartungshorizont, auch eine Fähigkeit ebenso wie ein menschlich positives Umfeld und die Tatsache, dass das Erwartete - eher Erhoffte - nicht selbstverständlich ist, sondern uns als Geschenk zuteil wird. Offenbar möchten wir uns freuen, aber es gelingt uns nicht ohne Weiteres. Offenbar können wir auch Freude nicht einfach herstellen oder bei anderen anordnen. "Nun freut Euch doch endlich!" - diese Aufforderung klingt absurd - obwohl sie vermutlich in der einen oder anderen Familie am Weihnachtsabend ausgesprochen oder zumindest gedacht wird. Gedeiht Freude nur in Freiheit? Steht Freude im Gegensatz zur Routine? Braucht Freude Überraschung? Braucht sie eine positive Gestimmtheit, die sich aus der Zuwendung anderer nährt?
Wir freuen uns, wenn uns jemand ein Geschenk macht. Sofern wir allerdings merken, dass er daraus für sich einen Vorteil gewinnen will, ist die Freude schnell vorbei. Wir spüren die Berechnung und sind enttäuscht. Freude braucht die freiwillige Zuwendung des Schenkenden. Gedeiht sie nur in einem Klima freiwilliger Mitmenschlichkeit? Offenbar freue ich mich nur, wenn ich den Eindruck gewinnen kann, es ginge dem anderen um mich und nicht berechnend um seinen eigenen Vorteil. Freude zu bereiten vermag wohl nur jemand, der von seinen eigenen Interessen absehen kann. Umgekehrt erleben wir, dass wir Menschen aufschließen und zusammenführen können, indem wir Ihnen eine Freude bereiten. Können Menschen sich auf diese Weise auch gegenseitig verbinden?
Quelle
Im April 1986 hat die Europäische Gemeinschaft sich für Beethovens "Ode an die Freude" als die Europahymne entschieden. Sie wird zwar ohne Worte gespielt, aber Schillers Text war für die Wahlentscheidung doch von Belang. Zu Ihrer Erinnerung den Wortlaut der ersten Strophe der Schillernden Ode: "Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt."
Schiller hat diese Ode für seinen Mäzen Christian Gottfried Körner und dessen Freimaurerloge als Auftragswerk gedichtet. Es heißt in der Interpretationsgeschichte, dass er sie später als dichterisches Werk nicht mehr besonders schätzte. Aber sie ist sofort schnell populär geworden, und als vierter Satz von Beethovens Neunter Sinfonie hat sie weltweit begeisterte Anhänger gefunden. Jedes Jahr wird sie zum Beispiel am Jahresende in Japan vom sogenannten Chor der 10.000 gesungen, in deutscher Sprache und auswendig! Darauf bereiten sich Scharen von Japanern mit Begeisterung vor. In Schulaulen und Turnhallen finden die Chorproben statt. Ganze Familien treffen sich dabei. Kann man sich das in Deutschland vorstellen? Solche Begeisterung? Wohl eher nicht, zumal die Deutschen schon im Vergleich mit ihren europäischen Nachbarn besonders wenig singen. Freuen sie sich auch weniger?
Was zeichnet Freude aus? Worüber und wann freuen wir uns?
Die Popularität von Schillers Ode an die Freude mag zunächst daher rühren, dass Menschen eine Sehnsucht nach Freude haben. Ich kenne jedenfalls niemanden, der sich nicht gerne freute. Aber wann und unter welchen Bedingungen freuen wir uns? Als Kinder in der Regel auf unseren Geburtstag oder auf Weihnachten. Dem geht eine Zeit der Erwartung voraus, an deren Ende wir Geschenke erhalten, vielleicht auch Zuwendung von anderen und selbst Geschenke basteln. Würden wir uns ohne solche Erwartung ebenfalls freuen? Würden wir uns noch freuen, wenn wir jeden Tag Geburtstag hätten? Vermutlich eher nicht. Das würde uns langweilen, wir würden dessen überdrüssig.
Als Erwachsene merken wir, dass uns Freude auf den Geburtstag oder auf Weihnachten viel schwerer fällt als früher. Weihnachten wiederholt sich, da geschieht nichts besonders Schönes mehr. Im Gegenteil: Viele beginnen, sich vor den notorischen Familienkrächen am Weihnachtsabend zu fürchten, die vielfach literarisch beschrieben wurden. Psychologisch werden sie als Ergebnis der Enttäuschung darüber analysiert, dass wir uns eben nicht mehr so freuen können wie als Kinder und dass alltägliche Enttäuschungen im familiären Leben im Laufe des Jahres sich am Weihnachtsabend plötzlich Bahn brechen.
Offenbar gehören zur Freude ein Erwartungshorizont, auch eine Fähigkeit ebenso wie ein menschlich positives Umfeld und die Tatsache, dass das Erwartete - eher Erhoffte - nicht selbstverständlich ist, sondern uns als Geschenk zuteil wird. Offenbar möchten wir uns freuen, aber es gelingt uns nicht ohne Weiteres. Offenbar können wir auch Freude nicht einfach herstellen oder bei anderen anordnen. "Nun freut Euch doch endlich!" - diese Aufforderung klingt absurd - obwohl sie vermutlich in der einen oder anderen Familie am Weihnachtsabend ausgesprochen oder zumindest gedacht wird. Gedeiht Freude nur in Freiheit? Steht Freude im Gegensatz zur Routine? Braucht Freude Überraschung? Braucht sie eine positive Gestimmtheit, die sich aus der Zuwendung anderer nährt?
Wir freuen uns, wenn uns jemand ein Geschenk macht. Sofern wir allerdings merken, dass er daraus für sich einen Vorteil gewinnen will, ist die Freude schnell vorbei. Wir spüren die Berechnung und sind enttäuscht. Freude braucht die freiwillige Zuwendung des Schenkenden. Gedeiht sie nur in einem Klima freiwilliger Mitmenschlichkeit? Offenbar freue ich mich nur, wenn ich den Eindruck gewinnen kann, es ginge dem anderen um mich und nicht berechnend um seinen eigenen Vorteil. Freude zu bereiten vermag wohl nur jemand, der von seinen eigenen Interessen absehen kann. Umgekehrt erleben wir, dass wir Menschen aufschließen und zusammenführen können, indem wir Ihnen eine Freude bereiten. Können Menschen sich auf diese Weise auch gegenseitig verbinden?
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