Kolumne zum Nahost-Konflikt: Der zionistische Staat Israel
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Kolumne zum Nahost-Konflikt: Der zionistische Staat Israel
Die israelische und arabische Seite führen den Nahost-Konflikt oft pragmatischer, als es scheint.
Die politische Idee des Zionismus erstarkte um 1890 aus einem einzigen Grund: Weil „die Welt widerhallt vom Geschrei gegen die Juden“. So sagte es Theodor Herzl in seinem Manifest „Der Judenstaat“. Aus nationaljüdischer Sicht bildeten die Juden keine Religionsgemeinschaft, sondern ein Volk. Statt individueller Rechtsgleichheit in der Diaspora und Assimilation an das jeweilige Mehrheitsvolk propagierten die Zionisten die kollektive Emanzipation im Sinne des europäischen Nationalismus – die Gründung eines eigenen Staates. Das erschien seinerzeit nicht ungewöhnlich. Belgien gibt es seit 1830, Griechenland formierte sich in mehreren Expansionsstufen, Norwegen löste sich 1905 von Schweden, nicht zu reden von den vielen Staaten, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts aus der Habsburger Monarchie, aus dem Russischen und Osmanischen Reich und schließlich aus den kolonialen Imperien entstehen sollten. Die Besiedlung fremder, noch dünn bevölkerter Länder gehörte zu Herzls Zeiten zum Alltag. Allein 1896, dem Erscheinungsjahr des „Judenstaats“, wanderten 2,3 Millionen Europäer nach Übersee aus.
Es ist bekannt, unter welchen Umständen und nach welchen Schrecken der Staat Israel 1948 schließlich entstand – glücklicherweise entstehen konnte. Für die mittlerweile ebenfalls nationalisierte arabische Umwelt bedeutete die Neugründung eine schwere Zumutung. Das kann man aus arabischer Sicht gut verstehen. Im Lauf der Jahrzehnte kamen einige Millionen Menschen und erklärten: Vor 2000 Jahren haben unsere Vorfahren hier gelebt; wir sind misshandelt und mörderisch verfolgt worden; wir kehren zurück. Es gibt keinen anderen Weg.
Einen derart gravierenden Konflikt hatten die Europäer in den vergangenen Jahrhunderten nicht zu bestehen, aber dennoch Hunderte Kriege geführt mit Millionen Toten und schweren Zerstörungen. Deutsche und Franzosen legten ihre Erbfeindschaft erst bei, nachdem Generationen von Männern auf einem angeblichen Feld der Ehre verblutet waren. Noch vor Kurzem starben in den jugoslawischen Bürgerkriegen 175.000 Menschen mitten in Europa. Hunderttausende, oft Millionen Kriegstote waren in den vergangenen Jahrzehnten im Kongo, in Kambodscha, Vietnam, Tschetschenien, im Sudan oder während des Irak-Iran-Krieges zu beklagen. Dagegen haben die israelisch-arabischen Kriege und Aufstände seit 1948 maximal 80.000 Menschenleben gefordert.
Natürlich kann jedes einzelne unschuldige Opfer nicht gegen andere aufgewogen werden, aber eines ergibt der Zahlenvergleich: Die israelische und arabische Seite führen ihren Streit mit zurückhaltenden Mitteln, sie verfügen über eine erhebliche, oft übersehene Portion an Pragmatismus. Dafür braucht Israel auch abschreckende Waffen, und seien es deutsche. Die arabische Seite bedarf administrativer und wirtschaftlicher Hilfe. Im Moment ist die Lage wegen der arabischen Revolutionen noch unübersichtlicher geworden; die Folgen für Israel sind unklar. Es wird zu wenig bedacht, dass etwa Teile der syrischen Opposition Assad vorwerfen, er sei „israelhörig“. Bis die nahöstlichen Konfliktparteien zum Frieden finden, können weitere Jahrzehnte vergehen. Auch das wäre im geschichtlichen Vergleich keine lange Zeit. Die Europäer müssen diplomatisches Fingerspitzengefühl und Geduld zeigen – deutscher Moraldünkel hilft niemandem.
Götz Aly ist Historiker.
Quelle
Die politische Idee des Zionismus erstarkte um 1890 aus einem einzigen Grund: Weil „die Welt widerhallt vom Geschrei gegen die Juden“. So sagte es Theodor Herzl in seinem Manifest „Der Judenstaat“. Aus nationaljüdischer Sicht bildeten die Juden keine Religionsgemeinschaft, sondern ein Volk. Statt individueller Rechtsgleichheit in der Diaspora und Assimilation an das jeweilige Mehrheitsvolk propagierten die Zionisten die kollektive Emanzipation im Sinne des europäischen Nationalismus – die Gründung eines eigenen Staates. Das erschien seinerzeit nicht ungewöhnlich. Belgien gibt es seit 1830, Griechenland formierte sich in mehreren Expansionsstufen, Norwegen löste sich 1905 von Schweden, nicht zu reden von den vielen Staaten, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts aus der Habsburger Monarchie, aus dem Russischen und Osmanischen Reich und schließlich aus den kolonialen Imperien entstehen sollten. Die Besiedlung fremder, noch dünn bevölkerter Länder gehörte zu Herzls Zeiten zum Alltag. Allein 1896, dem Erscheinungsjahr des „Judenstaats“, wanderten 2,3 Millionen Europäer nach Übersee aus.
Es ist bekannt, unter welchen Umständen und nach welchen Schrecken der Staat Israel 1948 schließlich entstand – glücklicherweise entstehen konnte. Für die mittlerweile ebenfalls nationalisierte arabische Umwelt bedeutete die Neugründung eine schwere Zumutung. Das kann man aus arabischer Sicht gut verstehen. Im Lauf der Jahrzehnte kamen einige Millionen Menschen und erklärten: Vor 2000 Jahren haben unsere Vorfahren hier gelebt; wir sind misshandelt und mörderisch verfolgt worden; wir kehren zurück. Es gibt keinen anderen Weg.
Einen derart gravierenden Konflikt hatten die Europäer in den vergangenen Jahrhunderten nicht zu bestehen, aber dennoch Hunderte Kriege geführt mit Millionen Toten und schweren Zerstörungen. Deutsche und Franzosen legten ihre Erbfeindschaft erst bei, nachdem Generationen von Männern auf einem angeblichen Feld der Ehre verblutet waren. Noch vor Kurzem starben in den jugoslawischen Bürgerkriegen 175.000 Menschen mitten in Europa. Hunderttausende, oft Millionen Kriegstote waren in den vergangenen Jahrzehnten im Kongo, in Kambodscha, Vietnam, Tschetschenien, im Sudan oder während des Irak-Iran-Krieges zu beklagen. Dagegen haben die israelisch-arabischen Kriege und Aufstände seit 1948 maximal 80.000 Menschenleben gefordert.
Natürlich kann jedes einzelne unschuldige Opfer nicht gegen andere aufgewogen werden, aber eines ergibt der Zahlenvergleich: Die israelische und arabische Seite führen ihren Streit mit zurückhaltenden Mitteln, sie verfügen über eine erhebliche, oft übersehene Portion an Pragmatismus. Dafür braucht Israel auch abschreckende Waffen, und seien es deutsche. Die arabische Seite bedarf administrativer und wirtschaftlicher Hilfe. Im Moment ist die Lage wegen der arabischen Revolutionen noch unübersichtlicher geworden; die Folgen für Israel sind unklar. Es wird zu wenig bedacht, dass etwa Teile der syrischen Opposition Assad vorwerfen, er sei „israelhörig“. Bis die nahöstlichen Konfliktparteien zum Frieden finden, können weitere Jahrzehnte vergehen. Auch das wäre im geschichtlichen Vergleich keine lange Zeit. Die Europäer müssen diplomatisches Fingerspitzengefühl und Geduld zeigen – deutscher Moraldünkel hilft niemandem.
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