Das originellste Kind der Punkbewegung
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Das originellste Kind der Punkbewegung
Macht ist sexy, braucht aber viel Mode: Für Vivienne Westwood war die Anarchie des Punk Voraussetzung einer freien Entdeckung der britischen Tradition. Heute feiert die Modedesignerin ihren siebzigsten Geburtstag.
08. April 2011 2011-04-08 06:54:00
Vivienne Westwoods Karriere teilt sich in zwei Etappen, die anarchistische Phase ihrer Jugend und den Historismus ihrer reifen Jahre. Das stürmische Talent der im englischen Derbyshire geborenen Schusterstochter wurde durch eine Ausbildung zur Grundschullehrerin, frühe Ehe und Mutterschaft zunächst in geordnete Bahnen gelenkt. Doch als die Londoner Hilfslehrerin den Künstler und Punk-Impresario Malcolm McLaren kennenlernte, warf sie alle Anstandsfesseln ab und verwandelte sich in eine Muse jener nihilistischen Generation, der McLaren mit Löcher-T-Shirts, obszönen Sprüchen, Fahrradketten und Vinylklamotten aus der Taufe half.
Der gemeinsame Laden an der Londoner King's Road, in dem man sich seit 1971 die Bürgerschreck-Outfits zusammenstellte, wurde zum Salon der Punk-Offensive, mit den von McLaren gegründeten „Sex Pistols“ in vorderster Linie. Zehn Jahre später war Vivienne Westwood der antiautoritären Attitüde entwachsen. Sie hatte den kanadischen Malerphilosophen Gary Ness zum Mentor erkoren und las sich mit Heißhunger in die Kunstgeschichte ein.
Flamboyante Ausrichtung
Schon an der King's Road hatte sie das begrenzte Schnittrepertoire der Anti-Looks mit den feinen Herrenschnitten der Teddy-Boy-Ära aufgemöbelt und zu diesem Zweck die Kleidung der fünfziger Jahre zerlegt und analysiert. Nun weitete sie diese Strategie auf die gesamte Modegeschichte aus und wurde so in England zur Vorreiterin der „New Romantics“. 1979 machte sie in ihrer „Piraten“-Show mit Pumphosen, gebauschten Blusen, dramatischen Gürtelschnallen und goldgeknöpften Offiziersjacken Furore.
Diese flamboyante Ausrichtung sollte sie nie wieder an den Nagel hängen. Mit der National Portrait Gallery und der Wallace Collection in Reichweite, ließ sie sich vom galanten Zeitalter Bouchers und Watteaus inspirieren und studierte bei van Dyck, Hayman und den Holbeins das vestimentäre Instrumentarium weiblicher Souveränität.
Zipfelige Asymmetrien
Vivienne Westwoods Vokabular konzentrierte sich nunmehr auf weite Röcke, Minikrinolinen, Korsagen, hervorblitzende Spitzenunterwäsche und elaborierte Dekolletés. Fest entschlossen, nie zum ausführenden Organ des Massengeschmacks zu werden, schockierte sie durch Nostalgie fürs Kurtisanenwesen und den Rückgriff auf längst ausrangierte Methoden der erotischen Inszenierung. Sie modernisierte die Stundenglaslinie durch aggressive Herausarbeitung erogener Zonen, sagenhaft hohe Plateauschuhe und die Einbeziehung englischer Herrenschnitte in die Gestaltung grandioser Stutzerjacketts. Sie entwarf ein hauseigenes Schottenkaro, erfand neue Wickeltechniken, betörend zipfelige Asymmetrien und eine Drapierung, die jeder noch so antiquarischen Silhouette den Odem der freien Willkür einhauchte.
Vieles, was über ihren Laufsteg kam, hatte die Anmutung des nach einer Liebesnacht lässig Übergestreiften, einen Hauch von Jakobinertum und dem Marsch der Marktfrauen auf Versailles. Dass die selbstbewusste Offerierung des weiblichen Körpers als sinnlicher Ware dem kapitalistischen Prinzip durch die Hintertür entgegenkam, würde sie kaum gelten lassen. Eher schon würde sie mit der selbstbestimmten und effektvollen Zurichtung argumentieren, die schon die Punks bewog, sich Sicherheitsnadeln durch die Wangen zu stoßen und Ratten auf die Schultern zu setzen. Und man muss in diesem Zusammenhang wohl auch die Hakenkreuze erwähnen, die ihr damals als Punk-Accessoires dienten, freilich mit gegenläufiger Drehung.
Macht ist sexy: so kommentierte Vivienne Westwood einmal die Wucht ihrer großen Modeauftritte; und als in der Wolle gewaschene Engländerin weiß sie sehr wohl, dass aristokratische Positionen sich am besten durch Disziplin erringen lassen.
Sinn für ferne Epochen
Alles, was vom Bequemlichkeitsethos der Jetztzeit abweicht, imponiert ohnehin schon. Wie viel mehr der Exhibitionismus der Eleganz! Durch ihre kaltblütige Rückwendung auf phantasiereichere Zeiten und das Sampling der Traditionen hat sie nicht zuletzt Alexander McQueen und John Galliano ermutigt, sich von der weiblichen Kostümgeschichte, diesem langen Martyrium der Schönheit, zu den atemberaubenden Kühnheiten des britischen Fin-de-siècle-Stils verführen zu lassen. Doch bei allem Drama, das auf ihrer Runway herrscht, hat Vivienne Westwood es verstanden, ihre höchste handwerkliche Standards respektierende Mode tragbar und begehrenswert zu machen. Sie inszenierte den Körper nicht nur in raschelnden, schwingenden Stoffabenteuern, sondern kreierte auch Bleistiftrock-Silhouetten, kokett geschürzte Wespentaillen und Brokatmäntel im Dandystil.
Als Professorin der Berliner Akademie der Künste bereicherte sie die Berliner Szene durch ihren archäologischen Sinn für ferne Epochen. Darüber ist sie zur rückwärtsgewandten Prophetin geworden, zum wohl originellsten Kind der Punkbewegung. Denn sie bewies, dass in selbstgefälligen Zeiten nichts so subversiv ist wie die Umarmung der Tradition. Am heutigen Freitag feiert sie ihren siebzigsten Geburtstag.
Quelle
08. April 2011 2011-04-08 06:54:00
Vivienne Westwoods Karriere teilt sich in zwei Etappen, die anarchistische Phase ihrer Jugend und den Historismus ihrer reifen Jahre. Das stürmische Talent der im englischen Derbyshire geborenen Schusterstochter wurde durch eine Ausbildung zur Grundschullehrerin, frühe Ehe und Mutterschaft zunächst in geordnete Bahnen gelenkt. Doch als die Londoner Hilfslehrerin den Künstler und Punk-Impresario Malcolm McLaren kennenlernte, warf sie alle Anstandsfesseln ab und verwandelte sich in eine Muse jener nihilistischen Generation, der McLaren mit Löcher-T-Shirts, obszönen Sprüchen, Fahrradketten und Vinylklamotten aus der Taufe half.
Der gemeinsame Laden an der Londoner King's Road, in dem man sich seit 1971 die Bürgerschreck-Outfits zusammenstellte, wurde zum Salon der Punk-Offensive, mit den von McLaren gegründeten „Sex Pistols“ in vorderster Linie. Zehn Jahre später war Vivienne Westwood der antiautoritären Attitüde entwachsen. Sie hatte den kanadischen Malerphilosophen Gary Ness zum Mentor erkoren und las sich mit Heißhunger in die Kunstgeschichte ein.
Flamboyante Ausrichtung
Schon an der King's Road hatte sie das begrenzte Schnittrepertoire der Anti-Looks mit den feinen Herrenschnitten der Teddy-Boy-Ära aufgemöbelt und zu diesem Zweck die Kleidung der fünfziger Jahre zerlegt und analysiert. Nun weitete sie diese Strategie auf die gesamte Modegeschichte aus und wurde so in England zur Vorreiterin der „New Romantics“. 1979 machte sie in ihrer „Piraten“-Show mit Pumphosen, gebauschten Blusen, dramatischen Gürtelschnallen und goldgeknöpften Offiziersjacken Furore.
Diese flamboyante Ausrichtung sollte sie nie wieder an den Nagel hängen. Mit der National Portrait Gallery und der Wallace Collection in Reichweite, ließ sie sich vom galanten Zeitalter Bouchers und Watteaus inspirieren und studierte bei van Dyck, Hayman und den Holbeins das vestimentäre Instrumentarium weiblicher Souveränität.
Zipfelige Asymmetrien
Vivienne Westwoods Vokabular konzentrierte sich nunmehr auf weite Röcke, Minikrinolinen, Korsagen, hervorblitzende Spitzenunterwäsche und elaborierte Dekolletés. Fest entschlossen, nie zum ausführenden Organ des Massengeschmacks zu werden, schockierte sie durch Nostalgie fürs Kurtisanenwesen und den Rückgriff auf längst ausrangierte Methoden der erotischen Inszenierung. Sie modernisierte die Stundenglaslinie durch aggressive Herausarbeitung erogener Zonen, sagenhaft hohe Plateauschuhe und die Einbeziehung englischer Herrenschnitte in die Gestaltung grandioser Stutzerjacketts. Sie entwarf ein hauseigenes Schottenkaro, erfand neue Wickeltechniken, betörend zipfelige Asymmetrien und eine Drapierung, die jeder noch so antiquarischen Silhouette den Odem der freien Willkür einhauchte.
Vieles, was über ihren Laufsteg kam, hatte die Anmutung des nach einer Liebesnacht lässig Übergestreiften, einen Hauch von Jakobinertum und dem Marsch der Marktfrauen auf Versailles. Dass die selbstbewusste Offerierung des weiblichen Körpers als sinnlicher Ware dem kapitalistischen Prinzip durch die Hintertür entgegenkam, würde sie kaum gelten lassen. Eher schon würde sie mit der selbstbestimmten und effektvollen Zurichtung argumentieren, die schon die Punks bewog, sich Sicherheitsnadeln durch die Wangen zu stoßen und Ratten auf die Schultern zu setzen. Und man muss in diesem Zusammenhang wohl auch die Hakenkreuze erwähnen, die ihr damals als Punk-Accessoires dienten, freilich mit gegenläufiger Drehung.
Macht ist sexy: so kommentierte Vivienne Westwood einmal die Wucht ihrer großen Modeauftritte; und als in der Wolle gewaschene Engländerin weiß sie sehr wohl, dass aristokratische Positionen sich am besten durch Disziplin erringen lassen.
Sinn für ferne Epochen
Alles, was vom Bequemlichkeitsethos der Jetztzeit abweicht, imponiert ohnehin schon. Wie viel mehr der Exhibitionismus der Eleganz! Durch ihre kaltblütige Rückwendung auf phantasiereichere Zeiten und das Sampling der Traditionen hat sie nicht zuletzt Alexander McQueen und John Galliano ermutigt, sich von der weiblichen Kostümgeschichte, diesem langen Martyrium der Schönheit, zu den atemberaubenden Kühnheiten des britischen Fin-de-siècle-Stils verführen zu lassen. Doch bei allem Drama, das auf ihrer Runway herrscht, hat Vivienne Westwood es verstanden, ihre höchste handwerkliche Standards respektierende Mode tragbar und begehrenswert zu machen. Sie inszenierte den Körper nicht nur in raschelnden, schwingenden Stoffabenteuern, sondern kreierte auch Bleistiftrock-Silhouetten, kokett geschürzte Wespentaillen und Brokatmäntel im Dandystil.
Als Professorin der Berliner Akademie der Künste bereicherte sie die Berliner Szene durch ihren archäologischen Sinn für ferne Epochen. Darüber ist sie zur rückwärtsgewandten Prophetin geworden, zum wohl originellsten Kind der Punkbewegung. Denn sie bewies, dass in selbstgefälligen Zeiten nichts so subversiv ist wie die Umarmung der Tradition. Am heutigen Freitag feiert sie ihren siebzigsten Geburtstag.
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