Biker in Havanna: Ein bisschen Revolution
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Biker in Havanna: Ein bisschen Revolution
Legendäre Amischlitten locken unzählige Touristen nach Kuba - überraschen dürfte Oldtimer-Liebhaber aber, dass auch antike Motorräder durch die Straßen von Havanna flitzen. Vor allem samstags, wenn die Jungs vom kubanischen Bikerclub vorrevolutionäre Maschinen aus der ganzen Welt ausführen.
Donnerhall. An- und abschwellend. Das Geräusch nähert sich und schon biegt es um die Ecke. Der röhrende Sound stammt von einer Harley Davidson. Sie ist nicht fabrikneu, aber vorzeigbar. Blitzblank poliert und auf dem Scheinwerfer klebt das amerikanische Stars-and-Stripes-Banner. Auch der Fahrer kommt stilecht daher: mit Blue Jeans, Piratentuch und angegrautem Zöpfchen. Seine Lederhandschuhe, der Lederblouson, die Lederboots - alles in Schwarz. Unter dem grauen T-Shirt wölbt sich ein Bauch.
Pedro steigt von seiner Maschine, lässig wie einst Marlon Brando. Eine Handvoll Besucher, Touristen aus Kanada, eilen heran und zücken ihre Fotoapparate. Der Biker aalt sich in der Aufmerksamkeit, obwohl sie hauptsächlich seinem Motorrad gilt, einem Modell aus den sechziger Jahren. "Gefällt dir die Maschine?" fragt Pedro und lächelt, als er ein "Klar!" als Antwort bekommt. "Todo bien?", sagt er, als er sich mit seinen Kumpels abklatscht. "Sí, bien!" Die Jungs tragen Kutten. Hinten drauf sind zwei Flügel und der Schriftzug "Latino Americanos Motociclistas Asoc., Habana, Cuba".
Wir befinden uns nicht etwa in Kalifornien, Arizona oder Florida, den Hochburgen der Harley-Driver, sondern in der Hauptstadt von Kuba, wo eigentlich US-Schlitten mit vier Rädern die Touristenattraktionen sind. Doch hin und wieder ziehen auch Zweiräder die Aufmerksamkeit auf sich. Keine klapprigen Mofas, die bald auseinanderfallen - sondern gut erhaltene, liebevoll restaurierte Motorräder.
Jeden Samstag geben ihre Besitzer Gas und flitzen über die Stadtpisten ans westliche Ende des Malecóns, der berühmten Uferstraße von Havanna. Dort, zwischen dem geschichtsträchtigen Hotel Nacional und dem protzigen, Schatten werfenden Focsa-Hochhaus, das jede zweite Havanna-Postkarte verschandelt, befinden sich ein paar Straßenkioske. Davor, auf einem kleinen Platz, ist der Treffpunkt der "Latino Americanos". Im Volksmund heißt er La Piragua, das Kanu.
Whizzer, Triumph, Puch
Bei den Bikertreffen geht es freilich nicht um Paddelboote, sondern um Feuerstühle. Nicht wenige sind aus vorrevolutionärem Bestand: Raritäten aus den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren. Amerikanische Whizzer sind darunter, englische Triumph oder österreichische Puch. Und natürlich Harleys. Allesamt fein herausgeputzt, aufpoliert und in gutem Zustand, was in Kuba eine Herausforderung ist.
Denn es mangelt an vielem, erst recht an Verzichtbarem wie Motorradersatzteilen. Doch mit ihrem Improvisationsgeist und ihrer Feilkunst machen kubanische Mechaniker alles flott. Außerdem helfen Exil-Kubaner und Freunde aus dem Ausland, die schon mal mit Luftfiltern, Ventilen oder Zündkerzen im Gepäck auf der Insel landen.
Auch Motorräder aus den Zeiten des Eisernen Vorhangs sind zu bestaunen, oftmals sind sie über Umwege auf der Insel gelandet. Vor allem Krafträder aus den früheren sozialistischen Bruderstaaten. Etwa Ural-Bikes aus der Sowjetunion oder MZ-Motorräder aus der DDR. Viele sind beflaggt. Auf einigen flattert die kubanische einträchtig neben der US-Fahne. Ein seltener Anblick.
Die sozialistische Regierung Kubas ist den Vereinigten Staaten nach wie vor in inniger Abneigung verbunden. Doch die Bevölkerung ist gespalten: Manche tragen ihren Anti-Amerikanismus offen zur Schau, manche kümmert Politik wenig und manch ein "Latino Americano" sympathisiert unverhohlen mit dem kapitalistischen American Way of Life - wenigstens mit seinen angenehmen Seiten. Mit der Illusion von Wohlstand jenseits der Grenze.
Dabei ist der Bikerclub von Havanna ausgerechnet ein Ergebnis von Diskriminierung in den USA. Einwanderer aus Puerto Rico gründeten ihn 1977 in Chicago, wo sie von anderen Bikerzünften abgewiesen worden waren. Über Exil-Kubaner, die in Florida leben, schwappte die Clubidee dann auf den Inselstaat über. Samt Flügelemblem.
Hauch von Rebellentum
Rund 300 Vereinsmitglieder zählt man heute auf Kuba, 70 davon in Havanna. Den Club gibt es auch in Argentinien, Uruguay und Mexiko. Sogar in Australien und Deutschland tragen ein paar Menschen das Logo der "Latino Americanos". Doch nur auf Kuba lässt ihre Existenz richtig aufhorchen. Erstens, weil der Besitz eines Fahrzeugs in Kuba noch immer ein Privileg ist. Wer eins hat, der benutzt es weniger als Statussymbol, sondern um mit Personenbeförderung harte konvertible Pesos dazuzuverdienen.
Und zweitens, weil die Versammlungsfreiheit in Kuba stark eingeschränkt ist. Private Verbände und Organisationen sind unerwünscht, die meisten Sozialvereine sind längst Geschichte. Kurz: Die "Latino Americanos" bewegen sich am Rande der Legalität.
Und doch ist es nur ein Hauch von Rebellentum, denn die "Latino Americanos" werden vom Staat in Ruhe gelassen. "Weil wir freundlich und kooperativ sind", vermutet Vereinsmitglied Lucas, der eine BMW-Maschine fährt: eine R50, Baujahr 1957. Sein Club trage zum Gemeinwohl bei, etwa durch Engagement für die Umwelt oder durch Sammelaktionen für Kinderhospitäler und Waisenhäuser beim jährlichen internationalen Bikertreffen, das dieses Jahr im August stattfinden wird.
Das Tourismusministerium sieht in den Motorradfreaks gar eine Chance, die Vielfalt Kubas zu demonstrieren. Bei der vorletzten Touristikmesse in Havanna, der FITCuba, wurden die "Latino Americanos" offiziell eingeladen - für den schönen Schein. Sie nahmen dankend an, denn den Rum gab es an diesem Tag gratis.
Bei ihren wöchentlichen Treffen am La Piragua fließt Cuba Libre oder kubanisches Bier. Aber alles in Maßen, die Stimmung ist friedlich. Die Männer tragen Rockeroutfits, die Frauen kauen auf Lutschern und versuchen auf ihren Highheels Haltung zu bewahren. "Bei uns gibt es keine Probleme", sagt Lucas. Auch musikalisch ist bei den Bikern eher Kuschelrock als Heavy Metal angesagt. Aus den Lautsprechern schallt ein Achtziger-Jahre-Hit des Schmusebarden Chris de Burgh: "Lady in Red".
Quelle
Donnerhall. An- und abschwellend. Das Geräusch nähert sich und schon biegt es um die Ecke. Der röhrende Sound stammt von einer Harley Davidson. Sie ist nicht fabrikneu, aber vorzeigbar. Blitzblank poliert und auf dem Scheinwerfer klebt das amerikanische Stars-and-Stripes-Banner. Auch der Fahrer kommt stilecht daher: mit Blue Jeans, Piratentuch und angegrautem Zöpfchen. Seine Lederhandschuhe, der Lederblouson, die Lederboots - alles in Schwarz. Unter dem grauen T-Shirt wölbt sich ein Bauch.
Pedro steigt von seiner Maschine, lässig wie einst Marlon Brando. Eine Handvoll Besucher, Touristen aus Kanada, eilen heran und zücken ihre Fotoapparate. Der Biker aalt sich in der Aufmerksamkeit, obwohl sie hauptsächlich seinem Motorrad gilt, einem Modell aus den sechziger Jahren. "Gefällt dir die Maschine?" fragt Pedro und lächelt, als er ein "Klar!" als Antwort bekommt. "Todo bien?", sagt er, als er sich mit seinen Kumpels abklatscht. "Sí, bien!" Die Jungs tragen Kutten. Hinten drauf sind zwei Flügel und der Schriftzug "Latino Americanos Motociclistas Asoc., Habana, Cuba".
Wir befinden uns nicht etwa in Kalifornien, Arizona oder Florida, den Hochburgen der Harley-Driver, sondern in der Hauptstadt von Kuba, wo eigentlich US-Schlitten mit vier Rädern die Touristenattraktionen sind. Doch hin und wieder ziehen auch Zweiräder die Aufmerksamkeit auf sich. Keine klapprigen Mofas, die bald auseinanderfallen - sondern gut erhaltene, liebevoll restaurierte Motorräder.
Jeden Samstag geben ihre Besitzer Gas und flitzen über die Stadtpisten ans westliche Ende des Malecóns, der berühmten Uferstraße von Havanna. Dort, zwischen dem geschichtsträchtigen Hotel Nacional und dem protzigen, Schatten werfenden Focsa-Hochhaus, das jede zweite Havanna-Postkarte verschandelt, befinden sich ein paar Straßenkioske. Davor, auf einem kleinen Platz, ist der Treffpunkt der "Latino Americanos". Im Volksmund heißt er La Piragua, das Kanu.
Whizzer, Triumph, Puch
Bei den Bikertreffen geht es freilich nicht um Paddelboote, sondern um Feuerstühle. Nicht wenige sind aus vorrevolutionärem Bestand: Raritäten aus den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren. Amerikanische Whizzer sind darunter, englische Triumph oder österreichische Puch. Und natürlich Harleys. Allesamt fein herausgeputzt, aufpoliert und in gutem Zustand, was in Kuba eine Herausforderung ist.
Denn es mangelt an vielem, erst recht an Verzichtbarem wie Motorradersatzteilen. Doch mit ihrem Improvisationsgeist und ihrer Feilkunst machen kubanische Mechaniker alles flott. Außerdem helfen Exil-Kubaner und Freunde aus dem Ausland, die schon mal mit Luftfiltern, Ventilen oder Zündkerzen im Gepäck auf der Insel landen.
Auch Motorräder aus den Zeiten des Eisernen Vorhangs sind zu bestaunen, oftmals sind sie über Umwege auf der Insel gelandet. Vor allem Krafträder aus den früheren sozialistischen Bruderstaaten. Etwa Ural-Bikes aus der Sowjetunion oder MZ-Motorräder aus der DDR. Viele sind beflaggt. Auf einigen flattert die kubanische einträchtig neben der US-Fahne. Ein seltener Anblick.
Die sozialistische Regierung Kubas ist den Vereinigten Staaten nach wie vor in inniger Abneigung verbunden. Doch die Bevölkerung ist gespalten: Manche tragen ihren Anti-Amerikanismus offen zur Schau, manche kümmert Politik wenig und manch ein "Latino Americano" sympathisiert unverhohlen mit dem kapitalistischen American Way of Life - wenigstens mit seinen angenehmen Seiten. Mit der Illusion von Wohlstand jenseits der Grenze.
Dabei ist der Bikerclub von Havanna ausgerechnet ein Ergebnis von Diskriminierung in den USA. Einwanderer aus Puerto Rico gründeten ihn 1977 in Chicago, wo sie von anderen Bikerzünften abgewiesen worden waren. Über Exil-Kubaner, die in Florida leben, schwappte die Clubidee dann auf den Inselstaat über. Samt Flügelemblem.
Hauch von Rebellentum
Rund 300 Vereinsmitglieder zählt man heute auf Kuba, 70 davon in Havanna. Den Club gibt es auch in Argentinien, Uruguay und Mexiko. Sogar in Australien und Deutschland tragen ein paar Menschen das Logo der "Latino Americanos". Doch nur auf Kuba lässt ihre Existenz richtig aufhorchen. Erstens, weil der Besitz eines Fahrzeugs in Kuba noch immer ein Privileg ist. Wer eins hat, der benutzt es weniger als Statussymbol, sondern um mit Personenbeförderung harte konvertible Pesos dazuzuverdienen.
Und zweitens, weil die Versammlungsfreiheit in Kuba stark eingeschränkt ist. Private Verbände und Organisationen sind unerwünscht, die meisten Sozialvereine sind längst Geschichte. Kurz: Die "Latino Americanos" bewegen sich am Rande der Legalität.
Und doch ist es nur ein Hauch von Rebellentum, denn die "Latino Americanos" werden vom Staat in Ruhe gelassen. "Weil wir freundlich und kooperativ sind", vermutet Vereinsmitglied Lucas, der eine BMW-Maschine fährt: eine R50, Baujahr 1957. Sein Club trage zum Gemeinwohl bei, etwa durch Engagement für die Umwelt oder durch Sammelaktionen für Kinderhospitäler und Waisenhäuser beim jährlichen internationalen Bikertreffen, das dieses Jahr im August stattfinden wird.
Das Tourismusministerium sieht in den Motorradfreaks gar eine Chance, die Vielfalt Kubas zu demonstrieren. Bei der vorletzten Touristikmesse in Havanna, der FITCuba, wurden die "Latino Americanos" offiziell eingeladen - für den schönen Schein. Sie nahmen dankend an, denn den Rum gab es an diesem Tag gratis.
Bei ihren wöchentlichen Treffen am La Piragua fließt Cuba Libre oder kubanisches Bier. Aber alles in Maßen, die Stimmung ist friedlich. Die Männer tragen Rockeroutfits, die Frauen kauen auf Lutschern und versuchen auf ihren Highheels Haltung zu bewahren. "Bei uns gibt es keine Probleme", sagt Lucas. Auch musikalisch ist bei den Bikern eher Kuschelrock als Heavy Metal angesagt. Aus den Lautsprechern schallt ein Achtziger-Jahre-Hit des Schmusebarden Chris de Burgh: "Lady in Red".
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