Oh wie schön ist Feudalismus
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Oh wie schön ist Feudalismus
Ein Delirium der Nostalgie? Aber ja doch! Das ZDF sendet endlich die Serie "Downton Abbey" über die alte britische Adelswelt.
Einmal sitzt die Lady mit dem abfälligen Mund, der Sätze spucken kann,
die tödlicher sind als Schrapnelle über den Schlachtfeldern der Somme,
also ihre Ladyschaft Violet Grantham, beim Dinner in Downton Abbey und
echauffiert sich. "Ich empfinde Sehnsucht", stößt sie hervor aus dem in
feinen Falten liegenden, spitzlippigen Gehege ihrer Zähne, "nach einer
einfacheren Welt. Ist das ein Verbrechen?" Diese Stalinorgel des
britischen Spätfeudalismus ist eine von uns. Wir sind nämlich genauso.
Wir empfinden auch Sehnsucht nach einer einfacheren Welt. Sonst säßen
wir nicht hier, hätten uns gerade zweieinhalb Folgen und fast drei
Stunden lang mit wachsender Abhängigkeit Julian Fellowes' Fernsehserie
"Downton Abbey" ausgesetzt. Säßen da wie im Durchschnitt zehn Millionen
Briten seit Anfang 2011 und inzwischen drei Staffeln, und wie vier
Millionen in den Vereinigten Staaten vor dem Fernseher saßen, wo das
köstliche Kostümepos aus dem Adel des beginnenden 20.Jahrhunderts sogar
die 60er-Serie "Mad Men" in den Schatten stellte.
"Downton Abbey" versetze,
entfuhr es darob wiederum dem linken britischen Historiker Simon Schama
angesichts des ekeligen Erfolgs der Granthams, die aufgeklärte,
kriselnde, westliche Welt in ein "Delirium der Nostalgie". Wäre man ein
Kind der 68er wie der Professor an der Columbia University, man könnte
ihn verstehen. Und Abscheu empfinden vor der Sehnsucht nach dieser
einfachen Welt des alten Adels, der Violet Grantham, für deren
Darstellung Maggie Smith mit Filmpreisen überhäuft werden müsste,
Krokodilsträne um Krokodilsträne nachweint. Aber erklären wir erst
einmal, was bisher geschah.
Wir schreiben
das Jahr 1912. GeorgeV. regiert das Vereinigte Königreich, dessen
Klassensystem noch kaum von Umwälzungen angekränkelt zu sein scheint.
Alles sieht frisch gewaschen aus. Die Straßen sind besenrein. Die Sonne
steht am blauen Himmel über Downton Abbey, dem Sitz der Familie
Grantham, einem gewaltigen, dramatischen, ockerfarbenen Quader inmitten
einer gefälligen Parklandschaft mit unzähligen Zinnen und mehr fabelhaft
ausgestatteten Zimmern, als ein Großunternehmen Büros hat.
Aber ein ewiger
Schatten liegt über dem Bau, der im richtigen Leben Highclere Castle
heißt und nicht in Yorkshire steht, sondern in Berkshire, im Süden also
statt im Norden – Meisterstück von Sir Charles Barry, dem Architekten
des Palasts von Westminster. Der Schatten ist ein Erbfolgevertrag.
Lord Robert
Grantham (Hugh Bonneville) hat Downton Abbey, das ihm sein Leben, das
dritte Elternteil und das vierte Kind ist, nur mit dem Vermögen seiner
amerikanischen Gattin Cora retten und unterhalten können, die er ihres
Geldes wegen geheiratet hat, nun aber sehr, sehr lieb gewonnen hat. Das
schöne amerikanische Geld steckt nun also zur Gänze im Anwesen. Weil
aber Titel und Besitz nur an einen männlichen Nachkommen, ein männliches
Familienmitglied fallen dürfen, Lord Robert jedoch bloß drei Töchter
(schön die älteste, klug und schön und klug die anderen) hat, alles also
an den nächstgelegenen männlichen Verwandten fiele, spinnt der
wechselweise in Tweed und Smoking gegossene siebte Earl of Crawley an
einer dynastischen Lösung. Alles ist auf dem besten Weg, als die
"Titanic" untergeht.
Damit geht's
los. Man sieht eine Dampflok durchs schöne Tory-Kernland dampfen, in dem
gedreht wurde (Yorkshire war wohl zu schroff), mit den
Telegrafensignalen der Nachricht vom Schiffsuntergang um die Wette. Die
epochale, globale Erschütterungswelle wird immer kleiner, immer
privater, je näher sie Downton Abbey kommt. Mit der "Titanic" nämlich
sollte Patrick Crawley, einziger Sohn von James, dem Vetter ersten
Grades des Lord Robert, aus Gründen des Besitzerhalts in den Hafen der
Ehe mit Mary Grantham fahren, der ältesten und schönsten Tochter des
Herrn von Downton Abbey. Nun sind Patrick und James tot. Die Nachricht
rast – die Kamera immer hinterher – mit der Dienerschaft durch die
Repräsentations- und die Schattenräume von Downton. Durch die ganze Welt
der vielleicht bestbesprochenen Serie der britischen Fernsehgeschichte.
Seine Lordschaft erreicht sie erst, als er die frisch gebügelte Zeitung
(weil sich der Lord nicht seine Finger an ihr schmutzig machen soll) in
Händen hält.
Mit dieser
wirklich genial geschnittenen Ouvertüre hat Julian Fellowes den Vorhang
hochgezogen und alles gezeigt. Den ganzen gesellschaftlichen Organismus,
als den man "Downton Abbey" begreifen muss. Das fließend
ineinandergreifende Wechselspiel der Geschichten aus der Ober- und der
Unterwelt des Hauses, aus Adel und Dienerschaft, upstairs und
downstairs. Das feine Intrigenspiel, das oben unter den Lords, Dukes und
Countesses mit dem Florett ausgetragen wird, und seine grobianischere,
moderne Variante, die Butler, Housemaids und Köche auf Treppen und in
der Küche austragen. Die splendid isolation, in der sich diese Welt
befindet, die sich vornehmlich von Dünkelbrötchen zu ernähren scheint.
Die Modernisierungsangst (elektrisches Licht? Sieht aus wie auf dem
Jahrmarkt). Die ersten Spuren zu langen Geschichten werden gelegt, es
hängen schon gleich zu Beginn genügend Flinten an den seidentapezierten
Plotwänden, die im weiteren Verlauf des Kostümdramas verlässlich
gezündet werden: Liebesgeschichten, Charakterentwicklungen,
Feindschaften, feine Risse im gesellschaftlichen Gebälk – alles liegt
hübsch angerichtet auf einem blitzeblanken Silbertablett. Die
Erzählmechanik von "Downton Abbey" ist nicht schwerer zu verstehen als
die von "Rote Rosen".
Julian Fellowes
mag diese Welt, mag die Menschen, denen er in ihre flachen,
wohlgepolsterten Abgründe folgt. Er leuchtet sie herrlich brokaten aus.
Das köstliche Märchen einer einfachen Welt in sanftem Wandel erzählt er,
einer Welt, in der noch Anmut und Edelmut, Ehre und Demut und
Pflichterfüllung zählen. Ein bemerkenswert affirmatives Märchen. Von
einem altersmilden Peer, der für die Konservativen im Londoner Oberhaus
sitzt und für das Drehbuch zu Robert Altmans ungleich dramatischerem
Upstairs-Downstairs-Drama "Gosford Park" den Oscar
erhielt, hätte man vermutlich schon aus schierem Selbstschutz kaum
erwarten können, dass er den sehnsüchtigen Briten ein knallhartes
Sozialdrama liefert. Außerdem sind diese Dramen schon zur Genüge erzählt
worden. Die kennen wir alle, wissen, was zum Vorteil (beinahe) aller
mit der britischen Klassengesellschaft in den vergangenen hundert Jahren
geschah, die in "Downton Abbey" ausschnittsvergrößert und verzeichnet
wird und noch einmal tanzen darf. Und weil wir das wissen und die Zeit
gerade besonders kompliziert scheint und die Sehnsucht groß, war jetzt
eben die Zeit reif für die National-Trust-Museumsversion der Epen aus
dem Adel.
Man muss
trotzdem keinen junkerstaatlichen Backlash fürchten, wenn jetzt das ZDF
endlich "Downton Abbey" als Weihnachtsmehrteiler zur Tea Time serviert.
Die Leute erkennen ein Märchen, wenn sie eins sehen, wissen, dass eine
Welt, die einmal komplizierter geworden ist, nie wieder einfach wird.
Und außerdem mag die einfache Welt sympathisch und schön und geordnet
sein, vor allem aber ist sie – wenn man länger als für die Dauer eines
durchschnittlichen All-inclusive-Urlaubs oder zweier Staffeln "Downton
Abbey" am Stück in ihr leben muss – entsetzlich langweilig.
"Downton Abbey", ZDF, 3. Dezember, 17.05 Uhr, 25. Dezember, 16.35 Uhr, 26. Dezember, 17.10 Uhr
Quelle
Einmal sitzt die Lady mit dem abfälligen Mund, der Sätze spucken kann,
die tödlicher sind als Schrapnelle über den Schlachtfeldern der Somme,
also ihre Ladyschaft Violet Grantham, beim Dinner in Downton Abbey und
echauffiert sich. "Ich empfinde Sehnsucht", stößt sie hervor aus dem in
feinen Falten liegenden, spitzlippigen Gehege ihrer Zähne, "nach einer
einfacheren Welt. Ist das ein Verbrechen?" Diese Stalinorgel des
britischen Spätfeudalismus ist eine von uns. Wir sind nämlich genauso.
Wir empfinden auch Sehnsucht nach einer einfacheren Welt. Sonst säßen
wir nicht hier, hätten uns gerade zweieinhalb Folgen und fast drei
Stunden lang mit wachsender Abhängigkeit Julian Fellowes' Fernsehserie
"Downton Abbey" ausgesetzt. Säßen da wie im Durchschnitt zehn Millionen
Briten seit Anfang 2011 und inzwischen drei Staffeln, und wie vier
Millionen in den Vereinigten Staaten vor dem Fernseher saßen, wo das
köstliche Kostümepos aus dem Adel des beginnenden 20.Jahrhunderts sogar
die 60er-Serie "Mad Men" in den Schatten stellte.
"Downton Abbey" versetze,
entfuhr es darob wiederum dem linken britischen Historiker Simon Schama
angesichts des ekeligen Erfolgs der Granthams, die aufgeklärte,
kriselnde, westliche Welt in ein "Delirium der Nostalgie". Wäre man ein
Kind der 68er wie der Professor an der Columbia University, man könnte
ihn verstehen. Und Abscheu empfinden vor der Sehnsucht nach dieser
einfachen Welt des alten Adels, der Violet Grantham, für deren
Darstellung Maggie Smith mit Filmpreisen überhäuft werden müsste,
Krokodilsträne um Krokodilsträne nachweint. Aber erklären wir erst
einmal, was bisher geschah.
Wir schreiben
das Jahr 1912. GeorgeV. regiert das Vereinigte Königreich, dessen
Klassensystem noch kaum von Umwälzungen angekränkelt zu sein scheint.
Alles sieht frisch gewaschen aus. Die Straßen sind besenrein. Die Sonne
steht am blauen Himmel über Downton Abbey, dem Sitz der Familie
Grantham, einem gewaltigen, dramatischen, ockerfarbenen Quader inmitten
einer gefälligen Parklandschaft mit unzähligen Zinnen und mehr fabelhaft
ausgestatteten Zimmern, als ein Großunternehmen Büros hat.
Aber ein ewiger
Schatten liegt über dem Bau, der im richtigen Leben Highclere Castle
heißt und nicht in Yorkshire steht, sondern in Berkshire, im Süden also
statt im Norden – Meisterstück von Sir Charles Barry, dem Architekten
des Palasts von Westminster. Der Schatten ist ein Erbfolgevertrag.
Lord Robert
Grantham (Hugh Bonneville) hat Downton Abbey, das ihm sein Leben, das
dritte Elternteil und das vierte Kind ist, nur mit dem Vermögen seiner
amerikanischen Gattin Cora retten und unterhalten können, die er ihres
Geldes wegen geheiratet hat, nun aber sehr, sehr lieb gewonnen hat. Das
schöne amerikanische Geld steckt nun also zur Gänze im Anwesen. Weil
aber Titel und Besitz nur an einen männlichen Nachkommen, ein männliches
Familienmitglied fallen dürfen, Lord Robert jedoch bloß drei Töchter
(schön die älteste, klug und schön und klug die anderen) hat, alles also
an den nächstgelegenen männlichen Verwandten fiele, spinnt der
wechselweise in Tweed und Smoking gegossene siebte Earl of Crawley an
einer dynastischen Lösung. Alles ist auf dem besten Weg, als die
"Titanic" untergeht.
Damit geht's
los. Man sieht eine Dampflok durchs schöne Tory-Kernland dampfen, in dem
gedreht wurde (Yorkshire war wohl zu schroff), mit den
Telegrafensignalen der Nachricht vom Schiffsuntergang um die Wette. Die
epochale, globale Erschütterungswelle wird immer kleiner, immer
privater, je näher sie Downton Abbey kommt. Mit der "Titanic" nämlich
sollte Patrick Crawley, einziger Sohn von James, dem Vetter ersten
Grades des Lord Robert, aus Gründen des Besitzerhalts in den Hafen der
Ehe mit Mary Grantham fahren, der ältesten und schönsten Tochter des
Herrn von Downton Abbey. Nun sind Patrick und James tot. Die Nachricht
rast – die Kamera immer hinterher – mit der Dienerschaft durch die
Repräsentations- und die Schattenräume von Downton. Durch die ganze Welt
der vielleicht bestbesprochenen Serie der britischen Fernsehgeschichte.
Seine Lordschaft erreicht sie erst, als er die frisch gebügelte Zeitung
(weil sich der Lord nicht seine Finger an ihr schmutzig machen soll) in
Händen hält.
Mit dieser
wirklich genial geschnittenen Ouvertüre hat Julian Fellowes den Vorhang
hochgezogen und alles gezeigt. Den ganzen gesellschaftlichen Organismus,
als den man "Downton Abbey" begreifen muss. Das fließend
ineinandergreifende Wechselspiel der Geschichten aus der Ober- und der
Unterwelt des Hauses, aus Adel und Dienerschaft, upstairs und
downstairs. Das feine Intrigenspiel, das oben unter den Lords, Dukes und
Countesses mit dem Florett ausgetragen wird, und seine grobianischere,
moderne Variante, die Butler, Housemaids und Köche auf Treppen und in
der Küche austragen. Die splendid isolation, in der sich diese Welt
befindet, die sich vornehmlich von Dünkelbrötchen zu ernähren scheint.
Die Modernisierungsangst (elektrisches Licht? Sieht aus wie auf dem
Jahrmarkt). Die ersten Spuren zu langen Geschichten werden gelegt, es
hängen schon gleich zu Beginn genügend Flinten an den seidentapezierten
Plotwänden, die im weiteren Verlauf des Kostümdramas verlässlich
gezündet werden: Liebesgeschichten, Charakterentwicklungen,
Feindschaften, feine Risse im gesellschaftlichen Gebälk – alles liegt
hübsch angerichtet auf einem blitzeblanken Silbertablett. Die
Erzählmechanik von "Downton Abbey" ist nicht schwerer zu verstehen als
die von "Rote Rosen".
Julian Fellowes
mag diese Welt, mag die Menschen, denen er in ihre flachen,
wohlgepolsterten Abgründe folgt. Er leuchtet sie herrlich brokaten aus.
Das köstliche Märchen einer einfachen Welt in sanftem Wandel erzählt er,
einer Welt, in der noch Anmut und Edelmut, Ehre und Demut und
Pflichterfüllung zählen. Ein bemerkenswert affirmatives Märchen. Von
einem altersmilden Peer, der für die Konservativen im Londoner Oberhaus
sitzt und für das Drehbuch zu Robert Altmans ungleich dramatischerem
Upstairs-Downstairs-Drama "Gosford Park" den Oscar
erhielt, hätte man vermutlich schon aus schierem Selbstschutz kaum
erwarten können, dass er den sehnsüchtigen Briten ein knallhartes
Sozialdrama liefert. Außerdem sind diese Dramen schon zur Genüge erzählt
worden. Die kennen wir alle, wissen, was zum Vorteil (beinahe) aller
mit der britischen Klassengesellschaft in den vergangenen hundert Jahren
geschah, die in "Downton Abbey" ausschnittsvergrößert und verzeichnet
wird und noch einmal tanzen darf. Und weil wir das wissen und die Zeit
gerade besonders kompliziert scheint und die Sehnsucht groß, war jetzt
eben die Zeit reif für die National-Trust-Museumsversion der Epen aus
dem Adel.
Man muss
trotzdem keinen junkerstaatlichen Backlash fürchten, wenn jetzt das ZDF
endlich "Downton Abbey" als Weihnachtsmehrteiler zur Tea Time serviert.
Die Leute erkennen ein Märchen, wenn sie eins sehen, wissen, dass eine
Welt, die einmal komplizierter geworden ist, nie wieder einfach wird.
Und außerdem mag die einfache Welt sympathisch und schön und geordnet
sein, vor allem aber ist sie – wenn man länger als für die Dauer eines
durchschnittlichen All-inclusive-Urlaubs oder zweier Staffeln "Downton
Abbey" am Stück in ihr leben muss – entsetzlich langweilig.
"Downton Abbey", ZDF, 3. Dezember, 17.05 Uhr, 25. Dezember, 16.35 Uhr, 26. Dezember, 17.10 Uhr
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