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Wie man mit Ketchup Geschichte schreibt

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Beitrag  checker Di Jan 15, 2013 8:15 am

Leichen pflastern seinen Weg: In "Django Unchained" erzählt Quentin
Tarantino mit den Mitteln des B-Movies von der amerikanischen Sklaverei.
Manche Kritiker halten das für geschmacklos – zu Unrecht.

Wie man mit Ketchup Geschichte schreibt Won-121301-djangotrailer-sony-still

Der wichtigste Augenblick
eines Films ist manchmal der, in dem man die Augen abwendet. In "Django
Unchained" spielt diese Szene in einem Bordell in New Orleans. Leonardo
DiCaprio lehnt sich auf dem Sofa zurück, in einer Hand den Kokosdrink,
in der anderen die Zigarre.


Zu seinen Füßen, vor dem Kaminfeuer, liegen zwei Sklaven,
die man für eine Marmorskulptur halten könnte, wenn kein Blut über ihre
schwarzen Rücken flösse. Es sind Mandingo-Kämpfer, die zur Unterhaltung
ihrer Eigentümer um Leben und Tod ringen. Am Ende rupft einer dem
anderen die Augäpfel aus den Höhlen.


Dies ist der
Moment, in dem man reflexhaft wegsieht, als würde den eigenen Augen
sonst dasselbe Schicksal drohen. Tarantinos Film aber, der die
Geschichte der Sklaverei mit den brutalen Tricks des Genrekinos erzählt,
schaut sich hier selbst zu, kennerhaft und ein wenig genießerisch, fast
wie der sadistische Plantagenbesitzer, den Leonardo DiCaprio spielt.


Die entfesselte Videothek



Seit "Django
Unchained" zu Weihnachten in die amerikanischen Kinos kam, ist viel
darüber debattiert worden, ob man das darf – die Leiden der aus Afrika
und der Karibik in die Südstaaten entführten Sklaven mit den Mitteln
eines Quentin Tarantino behandeln. Und das sind die Mittel des B-Movies,
jener unterdrückten und verachteten Nebenkanons, den selbst Videotheken
in die hinteren Regalreihen verbannen und dessen Entfesselung sich
Tarantino seit "Pulp Fiction" auf die Fahne schreibt.


Spike Lee zum
Beispiel, in Hollywood für afroamerikanische Geschichtsaufarbeitung
zuständig, belehrte den Kollegen darüber, dass die Sklaverei kein
Spaghettiwestern gewesen sei, sondern ein Holocaust. Als Tarantino dann
ausgerechnet bei der Berliner Premiere erklärte, genau darum gehe es
ihm, um einen amerikanischen Holocaust nämlich, fragte sich umgekehrt
das deutsche Publikum, ob sich der Italoamerikaner mit Cherokee-Wurzeln
da nicht in der Kategorie vergriffen habe.


Dass "Django Unchained" bei den Oscar-Nominierungen
so weit hinter "Lincoln" zurückblieb, wo Steven Spielberg die
Abschaffung der Sklaverei mit den Mitteln des ernsthaften
Monumentalfilms und aus der Sicht des weißen Präsidenten darstellt, kann
man auch als Zeichen der moralischen Verlegenheit deuten, die der
offenbar Film auslöst.


Bud Spencer und der Nihilismus



Doch wer den
Spaghettiwestern für eine minderwertige Verpackung hält, die nicht für
tragische Inhalte taugt, der kennt das Genre nicht. Dessen Inbegriff ist
eben nicht Bud Spencer, der Saloontüren eintritt und grinsend Kopfnüsse
verteilt, während Terence Hill die Whiskeyflaschen hinter der Bar
zerschießt. Als Django, der Held von Sergio Corbuccis Klassiker von
1966, zum ersten Mal auf der Leinwand erscheint, zieht er einen Sarg
hinter sich her, ganz langsam, durch den Schlamm der Straße.


Am Ende des
Films, der von den schmutzigen Details des amerikanisch-mexikanischen
Kriegs handelt, verschanzt sich Django auf einem Friedhof und versucht,
seinen Colt mit verstümmelten Händen auf einem Grabkreuz abzustützen, um
sich gegen seine mit Ku-Klux-Klan-Kapuzen vermummten Verfolger zu
verteidigen. "Django" war ein Manifest des Nihilismus und zugleich ein
gesellschaftskritisches Pamphlet, sein einziges Motiv war die Rache –
eine Rache allerdings, auf die man so quälend lange warten muss, dass
man sich kaum noch über sie freuen kann, wenn sie endlich gelingt.


In der ersten
Szene von "Django Unchained", mit dem Titelsong des Corbucci-Films
unterlegt, zeigt Tarantino eine Reihe schwarzer Sklaven, die von links
nach rechts durch eine winterliche Steinwüste stolpern, ihre Beine sind
aneinandergekettet. Einer von ihnen ist Django, der auf den
Baumwollfeldern des Südens das Verbrechen begangen hat, seine Geliebte
zu heiraten – was verboten war, die Fortpflanzung unter Sklaven
steuerten die Besitzer. Dieser Nobody, von Jamie Foxx in der
schweigsamen Tradition der großen Westernhelden gespielt, wird von
Tarantino auf eine epische Reise geschickt, die durch viele
amerikanische Szenerien hindurchführt, immer von links nach rechts,
vorbei an gefrorenen Seen, verschneiten Bergketten, Baumwollplantagen.


Odyssee und Rachefeldzug



Es ist eine
romantische Odyssee und zugleich ein Rachefeldzug, nicht nur für die
gewaltsame Trennung von seiner Frau, sondern auch für das Schicksal
seiner geknechteten Rasse. Allein die Tatsache, dass Tarantino dem
Helden als Beschützer einen deutschen Zahnarzt und Kopfgeldjäger an die
Seite stellt, verknüpft "Django Unchained" mit Tarantinos letztem Film
"Inglourious Basterds", der ebenfalls ein Team von Rächern auf die
Schlachtfelder der Vergangenheit schickte, um dort nachträglich für
poetische Gerechtigkeit zu sorgen. Nur stellte Christoph Waltz, als Dr.
King Schultz jetzt vielleicht in der Rolle seines Lebens, seine
Höflichkeit, den sarkastischen Witz und die Gelehrsamkeit damals in den
Dienst der SS, während er nun die Aufklärung in den amerikanischen Süden
des Jahrs 1858 trägt und den entfesselten Sklaven den Polarstern zeigt,
der sie in den freien Norden führt.


Lässt sich die
Geschichte mit Ketchup umschreiben? Kunstblut ist das vielleicht
wichtigste Element des Italowesterns, neben dem Matsch der Straßen, die
hier nie hell und staubig, sondern immer grau und dreckig sind, Sümpfe,
durch welche die korrupten Bürger der Kulissenstädte waten wie
Verdammte. Das Blut sprudelt in "Django Unchained" aus Wunden hervor, es
schießt in Fontänen in die Höhe und sprenkelt cremefarbene Wandpaneele
und blütenweiße Baumwollfasern. Es ist das sinnliche Zeichen des
Schmerzes, den der Western genauso verehrt wie der asiatische Eastern,
denn Rache lässt sich nur genießen, wenn der Böse leidet, bevor er
stirbt, wenn er dem Rächer wie der Kamera noch ein letztes Mal in die
Augen blicken kann, um das moralische Todesurteil zu quittieren, das
über ihn gefällt wurde.


Actionpainting mit Kunstblut



Tarantino ist
ein großer Meister dieser Verzögerungstaktik, er kostet jeden
Gewehrschuss aus, den Django unter fachkundiger Anleitung des Dr. Schulz
mitten in die Brust eines Sklaventreibers oder gesuchten
Kapitalverbrechers abgibt. Die serienmäßigen Blutbäder wirken – wie
schon im Zweiteiler "Kill Bill" – nicht so sehr als Zumutung, sondern
eher wie Actionpainting auf der Kinoleinwand, zumal wirklich alle Opfer
sich den Tod durch unsympathische Kurzauftritte verdient haben.


Die weißen
Durchschnittsrassisten sind zivilisatorischer Abschaum, ungewaschene und
begriffsstutzige Schrate. Dass der Regisseur sich in einem Kurzauftritt
selbst in diese Spezies der White-Trash-Untermenschen einreiht und mit
Dynamitstangen in die Luft jagen lässt, ist eine schöne Variante der
alten Hitchcock-Tradition.


Doch auch wenn
Leichen seinen Weg pflastern, als ungehemmter Durchmarsch wäre Djangos
Vergeltungsmission kein Stoff für einen dreistündigen Kinofilm. Zum
Glück stellt Tarantino dem einfach angelegten Helden zwei Gegenspieler
in den Weg, die echte Dämonie entfalten. Leonardo DiCaprio als
dandyhafter Plantagenbesitzer und Samuel L. Jackson als sein oberster
"Hausnigger" und engster Vertrauter verkörpern die abgründige Seite
jener Südstaatenwelt, die "Vom Winde verweht" in elegisches Abendlicht
taucht – eine Feudalgesellschaft, in welcher der Hausherr nach dem
Dinner eigenhändig den in einer Kiste verwahrten Schädel eines Sklaven
aufsägt, um den Essensgästen drei Kerben auf der Innenseite als
phrenologische Ursache für Unterwürfigkeit und Gehorsam vorzuführen.


Die Gesetze des Genres



Er warte auf
den "Ausnahmenigger", den "Einer-unter-Zehntausenden-Nigger", sagt der
von der Landwirtschaft gelangweilte Erbe einmal, und das wiederum ist
eine Stelle, an welcher der Film sich selbst kommentiert. Mit seinen im
Wildwestgenre untypischen Fellkragenmänteln und verspiegelten
Sonnenbrillen ist Tarantinos Django nicht nur ein Vorbote der schwarzen
Subkulturen, sondern auch jener gewaltlosen Aufstiegsgeschichte, für die
nicht zuletzt Barack Obamas Präsidentschaft steht.


Ist "Django
Unchained" ein zynischer Film? Im Gegenteil. Wenn man ihm einen Vorwurf
machen kann, dann den, sich nicht streng genug an die Gesetze des Genres
zu halten. Der alte Italowestern blieb in seiner Botschaft immer
düster, am Ende gab es selten wirkliche Gewinner. Quentin Tarantino
erzählt eine erbauliche Geschichte.


Quelle
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