Jakob Arjounis ist tot
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Jakob Arjounis ist tot
Der Schriftsteller Jakob Arjouni hat Großes für den deutschen Krimi
geleistet. Nun ist er tot. Unser Autor Peter Henning trauert um einen
Freund und Kollegen.
Das erste Mal begegnet sind wir uns in Paris, irgendwann Mitte der
neunziger Jahre, im Marais in einer Brasserie an der Place de la
Bastille, wo wir stundenlang über Dashiell Hammett und Rolf-Dieter Brinkmann
und Anton Tschechow redeten und mehr Weißwein tranken, als uns bei der
Hitze guttat, damals. Anschließend sind wir in seine nahe Wohnung
gegangen und tranken auf der kleinen schattigen Hinterhofterrasse
weiter, bis die einsetzende Dämmerung den engen Hof in ein wohliges
Halbdunkel tauchte, und er vorschlug, Essen zu gehen.
Das letzte Mal trafen wir uns, es muss im Frühjahr 2011 gewesen sein,
in Kreuzberg, wo er eine Zeit lang zu Hause gewesen war, aßen in einem
winzigen Lokal, das er vorgeschlagen hatte, hausgemachte Nudeln und
sprachen über seine Pläne, wieder zurück nach Berlin zu ziehen. Er war
damals in der Stadt, weil er Ausschau nach einer Wohnung für sich und
seine Familie hielt. Er war ernsthaft entschlossen gewesen, seiner
Bleibe in Südfrankreich, wo er so lange gelebt und glücklich gewesen
war, den Rücken zu kehren. Und ich witterte darin die Chance, ihn
dadurch endlich häufiger sehen zu können.
Dazwischen liegen Mails und lange, unvergessliche Telefonate, in
denen wir uns jeweils über die Arbeit des anderen auf den neuesten Stand
brachten, Treffen ins Auge fassten, uns unserer Freundschaft
versicherten. Und dann, im Winter 2011, schrieb er mir, nachdem ich
lange nichts von ihm gehört und er auch meine Mails nicht mehr
beantwortet hatte, von seiner Krankheit: Krebs. Es folgten Monate des
Schweigens von seiner Seite, dann Hoffnung stiftende Mails, in denen er
mir von der Verbesserung seines Gesundheitszustand schrieb. Und heute
nun, wenige Monate nach unserem letzten Telefonat, das Unfassbare: sein
Tod. Entgegen aller Erwartungen, entgegen aller Prognosen.
Früher, unbegreiflicher Tod
Wir hatten verschiedentlich über den frühen Krebstod des von uns beiden geschätzten Nicolas Born
gesprochen, der nicht mal 43-jährig 1979 seiner Erkrankung erlag, und
wollten, jeder auf seine Weise, nicht wahrhaben wollen, dass ein so
früher Tod tatsächlich möglich ist. "Was hilft mir in meiner jetzigen
Situation?", notierte Born wenige Wochen vor seinem Tod, "Ich sag ganz
offen, gelegentliche Resignation. Dieser Fatalismus, diese Resignation,
die oft nur minutenlang anhält, ist eine körperlich-seelische
Schutzmaßnahme, ist ein Stück Natur, das hilfreich ist."
Nun hat ihn – entgegen aller Vorstellungen – ebenfalls ein solch
früher, unbegreiflicher Tod ereilt. Ich will und werde mir nicht
anmaßen, über seine letzten Gefühle und Gedanken zu spekulieren, die
vielleicht ähnlich wie jene von Born oder auch ganz anders gewesen sein
mögen, finde aber, wenn ich sie mir vorzustellen versuche, Trost in
seinen Büchern, die ich erst spät entdeckt und an mich herangelassen
habe.
Ich hatte mir seinen Erzählband Ein Freund 1999 in einer
Bahnhofsbuchhandlung gekauft, obwohl sämtliche seiner bis dahin
erschienenen Kayankaya-Krimis in meinem Buchregal standen, allerdings
ungelesen. Und bereits die erste Geschichte hatte mich gepackt, hatte
mir gezeigt, was mein bis dahin bestehendes Vorurteil gegen
Krimischreiber aus Deutschland wert war: nichts. Denn begonnen hatte
Jakob Arjouni, der mit bürgerlichem Namen Jakob Bothe hieß, als
Krimiautor. Jedoch als einer, der all denen, die es nicht für möglich
hielten, dass ein Hiesiger überdurchschnittlich Gutes in diesem Genre zu
schreiben vermag, mit leichter Hand das Gegenteil bewies. Seine
Frankfurt-Krimis um den deutsch-türkischen Detektiv Kemal Kayankaya
deklinierten auf ihre klare, entschiedene Weise, was das zentrale Thema
aller ernsthaften Kunst ist: Schuld und Sühne. Arjouni tat das auf jene
illusionslos realistische, also menschliche, mitleidende, grausame und
von Tränen und Gelächter geschüttelte Weise, die er bei seinem großen
Vorbild Dashiell Hammett kennen und schätzen gelernt hatte, und in
dessen Werken er bis zuletzt las wie ein Christ in der Bibel.
Arjouni hatte zu Recht Erfolg damit. Denn er brachte mit seinen
Büchern nicht nur einen neuen, frischen Ton in den seit dem Ableben
solcher Größen wie Jörg Fauser
und Ulf Miehe siechenden deutschen Krimi, sondern schärfte darüber
hinaus unseren Blick für die gesellschaftlichen Um- und Zustände, in
denen seine Genrestücke wurzelten. Er hatte ein enorm filmisches Auge
und ein szenisches Fingerspitzengefühl, das auf seine Weise einzigartig
war. Immer wieder finden sich, insbesondere in seinen Frankfurt-Krimis,
lange, eindrucksvolle Kamerafahrten durch die Stadt. Und seine Sprache
war darin bis zu zuletzt getragen vom rauen, poetischen Realismus des
Blues.
Sein Held Kayankaya eroberte später – von Doris Dörrie dorthin
verpflanzt – überaus erfolgreich auch die Kinoleinwand. Und als sich
Kayankaya, dieser unbeugsame Frankfurter Moralist und Sucher nach der
verborgenen Wahrheit, zuletzt, im Frühling 2012, mit dem Roman Bruder Kemal
nach elfjähriger Abstinenz auf der deutschen Krimibühne zurückmeldete,
schien auch sein Verfasser wieder auf einem guten Weg zu sein. Er
erzählte mir von Plänen, die er schmiedete, und was es ihm bedeute,
Vater zu sein. Ihm, der im Oktober 1964 als Sohn des Dramatikers Hans
Günter Michelsen in Frankfurt zur Welt und als Zehnjähriger im Odenwald
aufs Internat kam, wo er erstmals Hammett las und von einem späteren
Leben als Schriftsteller träumte.
Freundschaften in Distanz
Wer Jakob Arjouni, den immer freundlichen, einem stets zugewandten,
offenen und am anderen interessierten Menschen und Autor solch wunderbar
luftig-engagierter Bücher wie Magic Hoffmann (1996), Hausaufgaben (2004) oder Der heilige Eddy
(2009), persönlich kannte, wird nicht verstehen, nicht begreifen
können, weshalb er fortan nicht mehr unter den ihm bekannten
Telefonnummern oder seiner Mail-Adresse zu erreichen sein soll. Dabei
war er keiner, der sich rasch in Freundschaften verstrickte, sondern
einer, der Distanz brauchte, um Nähe zulassen zu können. Das hat mir
immer an ihm gefallen, ja imponiert, diese Fähigkeit zur Nähe aus der
Ferne. Sie wird mir fehlen, seine Nähe. Und mehr noch denen, die ihn
besser kannten als ich.
"Die Angst vor dem Tod ist nichts außer noch eine Weile am Leben
bleiben zu wollen", schrieb Nicolas Born zuletzt. Möge Jakob Arjouni
keine Angst mehr gehabt haben, da er wusste, dass sein Weg in Kürze zu
Ende sein würde. Ich wünsche es ihm. Wir alle tun das.
Quelle
geleistet. Nun ist er tot. Unser Autor Peter Henning trauert um einen
Freund und Kollegen.
Das erste Mal begegnet sind wir uns in Paris, irgendwann Mitte der
neunziger Jahre, im Marais in einer Brasserie an der Place de la
Bastille, wo wir stundenlang über Dashiell Hammett und Rolf-Dieter Brinkmann
und Anton Tschechow redeten und mehr Weißwein tranken, als uns bei der
Hitze guttat, damals. Anschließend sind wir in seine nahe Wohnung
gegangen und tranken auf der kleinen schattigen Hinterhofterrasse
weiter, bis die einsetzende Dämmerung den engen Hof in ein wohliges
Halbdunkel tauchte, und er vorschlug, Essen zu gehen.
Das letzte Mal trafen wir uns, es muss im Frühjahr 2011 gewesen sein,
in Kreuzberg, wo er eine Zeit lang zu Hause gewesen war, aßen in einem
winzigen Lokal, das er vorgeschlagen hatte, hausgemachte Nudeln und
sprachen über seine Pläne, wieder zurück nach Berlin zu ziehen. Er war
damals in der Stadt, weil er Ausschau nach einer Wohnung für sich und
seine Familie hielt. Er war ernsthaft entschlossen gewesen, seiner
Bleibe in Südfrankreich, wo er so lange gelebt und glücklich gewesen
war, den Rücken zu kehren. Und ich witterte darin die Chance, ihn
dadurch endlich häufiger sehen zu können.
Dazwischen liegen Mails und lange, unvergessliche Telefonate, in
denen wir uns jeweils über die Arbeit des anderen auf den neuesten Stand
brachten, Treffen ins Auge fassten, uns unserer Freundschaft
versicherten. Und dann, im Winter 2011, schrieb er mir, nachdem ich
lange nichts von ihm gehört und er auch meine Mails nicht mehr
beantwortet hatte, von seiner Krankheit: Krebs. Es folgten Monate des
Schweigens von seiner Seite, dann Hoffnung stiftende Mails, in denen er
mir von der Verbesserung seines Gesundheitszustand schrieb. Und heute
nun, wenige Monate nach unserem letzten Telefonat, das Unfassbare: sein
Tod. Entgegen aller Erwartungen, entgegen aller Prognosen.
Früher, unbegreiflicher Tod
Wir hatten verschiedentlich über den frühen Krebstod des von uns beiden geschätzten Nicolas Born
gesprochen, der nicht mal 43-jährig 1979 seiner Erkrankung erlag, und
wollten, jeder auf seine Weise, nicht wahrhaben wollen, dass ein so
früher Tod tatsächlich möglich ist. "Was hilft mir in meiner jetzigen
Situation?", notierte Born wenige Wochen vor seinem Tod, "Ich sag ganz
offen, gelegentliche Resignation. Dieser Fatalismus, diese Resignation,
die oft nur minutenlang anhält, ist eine körperlich-seelische
Schutzmaßnahme, ist ein Stück Natur, das hilfreich ist."
Nun hat ihn – entgegen aller Vorstellungen – ebenfalls ein solch
früher, unbegreiflicher Tod ereilt. Ich will und werde mir nicht
anmaßen, über seine letzten Gefühle und Gedanken zu spekulieren, die
vielleicht ähnlich wie jene von Born oder auch ganz anders gewesen sein
mögen, finde aber, wenn ich sie mir vorzustellen versuche, Trost in
seinen Büchern, die ich erst spät entdeckt und an mich herangelassen
habe.
Ich hatte mir seinen Erzählband Ein Freund 1999 in einer
Bahnhofsbuchhandlung gekauft, obwohl sämtliche seiner bis dahin
erschienenen Kayankaya-Krimis in meinem Buchregal standen, allerdings
ungelesen. Und bereits die erste Geschichte hatte mich gepackt, hatte
mir gezeigt, was mein bis dahin bestehendes Vorurteil gegen
Krimischreiber aus Deutschland wert war: nichts. Denn begonnen hatte
Jakob Arjouni, der mit bürgerlichem Namen Jakob Bothe hieß, als
Krimiautor. Jedoch als einer, der all denen, die es nicht für möglich
hielten, dass ein Hiesiger überdurchschnittlich Gutes in diesem Genre zu
schreiben vermag, mit leichter Hand das Gegenteil bewies. Seine
Frankfurt-Krimis um den deutsch-türkischen Detektiv Kemal Kayankaya
deklinierten auf ihre klare, entschiedene Weise, was das zentrale Thema
aller ernsthaften Kunst ist: Schuld und Sühne. Arjouni tat das auf jene
illusionslos realistische, also menschliche, mitleidende, grausame und
von Tränen und Gelächter geschüttelte Weise, die er bei seinem großen
Vorbild Dashiell Hammett kennen und schätzen gelernt hatte, und in
dessen Werken er bis zuletzt las wie ein Christ in der Bibel.
Arjouni hatte zu Recht Erfolg damit. Denn er brachte mit seinen
Büchern nicht nur einen neuen, frischen Ton in den seit dem Ableben
solcher Größen wie Jörg Fauser
und Ulf Miehe siechenden deutschen Krimi, sondern schärfte darüber
hinaus unseren Blick für die gesellschaftlichen Um- und Zustände, in
denen seine Genrestücke wurzelten. Er hatte ein enorm filmisches Auge
und ein szenisches Fingerspitzengefühl, das auf seine Weise einzigartig
war. Immer wieder finden sich, insbesondere in seinen Frankfurt-Krimis,
lange, eindrucksvolle Kamerafahrten durch die Stadt. Und seine Sprache
war darin bis zu zuletzt getragen vom rauen, poetischen Realismus des
Blues.
Sein Held Kayankaya eroberte später – von Doris Dörrie dorthin
verpflanzt – überaus erfolgreich auch die Kinoleinwand. Und als sich
Kayankaya, dieser unbeugsame Frankfurter Moralist und Sucher nach der
verborgenen Wahrheit, zuletzt, im Frühling 2012, mit dem Roman Bruder Kemal
nach elfjähriger Abstinenz auf der deutschen Krimibühne zurückmeldete,
schien auch sein Verfasser wieder auf einem guten Weg zu sein. Er
erzählte mir von Plänen, die er schmiedete, und was es ihm bedeute,
Vater zu sein. Ihm, der im Oktober 1964 als Sohn des Dramatikers Hans
Günter Michelsen in Frankfurt zur Welt und als Zehnjähriger im Odenwald
aufs Internat kam, wo er erstmals Hammett las und von einem späteren
Leben als Schriftsteller träumte.
Freundschaften in Distanz
Wer Jakob Arjouni, den immer freundlichen, einem stets zugewandten,
offenen und am anderen interessierten Menschen und Autor solch wunderbar
luftig-engagierter Bücher wie Magic Hoffmann (1996), Hausaufgaben (2004) oder Der heilige Eddy
(2009), persönlich kannte, wird nicht verstehen, nicht begreifen
können, weshalb er fortan nicht mehr unter den ihm bekannten
Telefonnummern oder seiner Mail-Adresse zu erreichen sein soll. Dabei
war er keiner, der sich rasch in Freundschaften verstrickte, sondern
einer, der Distanz brauchte, um Nähe zulassen zu können. Das hat mir
immer an ihm gefallen, ja imponiert, diese Fähigkeit zur Nähe aus der
Ferne. Sie wird mir fehlen, seine Nähe. Und mehr noch denen, die ihn
besser kannten als ich.
"Die Angst vor dem Tod ist nichts außer noch eine Weile am Leben
bleiben zu wollen", schrieb Nicolas Born zuletzt. Möge Jakob Arjouni
keine Angst mehr gehabt haben, da er wusste, dass sein Weg in Kürze zu
Ende sein würde. Ich wünsche es ihm. Wir alle tun das.
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So Nov 17, 2024 4:25 am von Andy
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