Die Ausreden der "Feinde des Internets"
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Die Ausreden der "Feinde des Internets"
Reporter ohne Grenzen wirft westlichen Unternehmen vor, Diktatoren mit Überwachungstechnologie zu beliefern. Die Firmen wehren sich, doch die Beweise sprechen gegen sie.
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen hat fünf westliche Unternehmen zu "Feinden des Internets" erklärt, weil sie Staaten wie Syrien mit Überwachungstechnologie beliefern: das deutsch-britische Unternehmen Gamma International, Trovicor aus Deutschland, Hacking Team aus Italien, Amesys aus Frankreich und Blue Coat aus den USA.
Die Technologie werde den Regierungen direkt geliefert oder es werde "billigend in Kauf" genommen, dass die Technologie "in die Hände notorischer Menschenrechtsverletzer" gerate, heißt es in dem Bericht Feinde des Internets, den Reporter ohne Grenzen zum gestrigen Welttag gegen Internetzensur veröffentlichte.
Alle fünf Unternehmen zählen zu den Herstellern sogenannter Staatstrojaner und verwandter Werkzeuge. Dabei kann es sich um Software zur flächendeckenden Überwachung des Internets handeln, oder um ein Programm, mit dem auf die Festplatten von Journalisten zugegriffen oder Passwörter ausspioniert, E-Mails mitgelesen und verschlüsselte Internet-Telefonate mitgehört werden kann.
Die Unternehmen wehren sich gegen die Vorwürfe. Doch dass ihre Produkte von autoritären Regimen eingesetzt wurden, ist in vielen Fällen nachgewiesen. Die folgenden vier Beispiele zeigen das exemplarisch.
Die Firmen reden sich raus
Beispiel Nummer eins: Das Wall Street Journal deckte im August 2011 auf, dass das libysche Regime von Muammar al-Gaddafi ein Programm des Herstellers Amesys namens "Eagle" zur Internetüberwachung von Oppositionellen eingesetzt hat. Die Mutterfirma von Amesys dementiert das nicht, erklärte aber, die Firma habe den entsprechenden Geschäftsbereich im November 2012 verkauft. Das sei öffentlich bekannt. Damit betrachtet sich Amesys offenbar als reingewaschen – aus den Augen, aus dem Sinn: "Amesys ist schockiert, als 'Feind des Internets' bezeichnet zu werden, und betrachtet die Vorwürfe als gegenstandslos", sagte eine Sprecherin.
Beispiel Nummer zwei: Marokkanische Blogger und ein Menschenrechtsaktivist aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden mithilfe der Überwachungssoftware Remote Control System der italienischen Firma Hacking Team ausgespäht. Das wies der Sicherheitsforscher Morgan Marquis-Boire vom kanadischen Citizen Lab in seinen Untersuchungen nach. Die Software ermöglicht unter anderem die Überwachung von Skype-Gesprächen, zeichnet Tastatureingaben auf kann auf die Kamera und das Mikrofon eines Computers zugreifen, um auch Bilder und Töne von den Überwachten aufzuzeichnen.
Auch Hacking Team reagierte auf die Vorwürfe von Reporter ohne Grenzen. "Wir bemühen uns sehr, sicherzustellen, dass unsere Software nicht an Regierungen verkauft wird", die von internationalen Organisationen auf die schwarze Liste gesetzt wurde, sagte ihr Berater Eric Rabe. Eine Führungsgruppe bewerte jeden Verkauf und könne ihr Veto einlegen. Dann die in der Branche übliche Ausrede: Polizeibehörden brauchten solche Software allerdings, um gegen "Internetbetrüger und Terroristen" zu ermitteln.
Beispiel Nummer drei: Werkzeuge zur Internetüberwachung und -filterung der US-Firma Blue Coat wurden unter anderem in Syrien eingesetzt. Das konnten Aktivisten von reflets.info, Telecomix und fhimt.com Mitte 2011 beweisen. Die Forscher vom Citizen Lab entdeckten später in mindestens 25 Ländern Blue-Coat-Produkte, darunter Saudi-Arabien, Irak, Afghanistan, China und Russland.
Blue Coat hatte den Einsatz seiner Produkte in Syrien zunächst dementiert, später aber doch eingeräumt. Als Reaktion auf den Bericht von Reporter ohne Grenzen verwies das Unternehmen auf legitime Kunden wie Schulen und Unternehmen, die mithilfe der Programme "den Zugriff auf bedenkliche Inhalte aus ihrem Netz heraus" unterbinden. "Wir nehmen allerdings zur Kenntnis, dass es Akteure mit unlauteren Absichten gibt, und dass unsere Produkte, wie alle Technologien, für bösartige Zwecke missbraucht werden können", teilte die Firma mit. Die Konsequenzen, die Blue Coat ziehen will: Man werde die eigenen Richtlinien überprüfen, "um den Missbrauch unserer Produkte weiter einzuschränken".
Beispiel Nummer vier: Das Regime in Bahrain soll Produkte von Gamma International und Trovicor verwendet haben, um Oppositionelle auszuspähen. Die wurden anschließend festgenommen und gefoltert. Der Einsatz von Gamma-Software ist dokumentiert, wiederum vom Citizen Lab.
Menschenrechtsorganisationen glauben zudem belegen zu können, dass Trovicor den Betrieb einer Software in Bahrain überwacht, mit deren Hilfe die dortigen Behörden "große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können". Außerdem gebe es "Indizien, dass Trovicors Technologie auf das Zusammenwirken mit sogenannten Trojanern ausgelegt ist, die eine noch umfassendere Überwachung bis hin zur Manipulation von Daten erlauben". Die Menschenrechtler haben eine Beschwerde bei der OECD eingereicht. Diese soll die Vorwürfe überprüfen.
Eine Sprecherin des Unternehmens sagte, die Firma entwickle weder sogenannten Staatstrojaner noch andere "Online-Durchsuchungs-Spähsoftware". Trovicor sei daher "nicht glücklich" darüber, in dem Bericht in einem Atemzug mit Herstellern solcher Software genannt zu werden. "Wir hacken uns nicht in Systeme ein." Trovicor produziere Datenbanksysteme für Telekommunikationsunternehmen, die damit Daten speichern und auswerten könnten, sagte die Sprecherin. Auf der Website von Trovicor ist allerdings von "Lawful Interception", Überwachung und "taktischen Operationen" die Rede. Trovicor mag also nicht glücklich darüber sein, zu den Spähsoftware-Herstellern gezählt zu werden – abseitig ist der Vorwurf aber nicht.
Strengere Exportkontrolle gefordert
Die Reporter ohne Grenzen fordern eine strengere Kontrolle des Exports von Zensur- und Überwachungstechnik. "Der Einsatz solcher Technologien ist schon unter strenger rechtstaatlicher Aufsicht umstritten", sagte Matthias Spielkamp, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen. "In den Händen autoritärer Regime verwandeln sie sich in digitale Waffen."
Quelle
Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen hat fünf westliche Unternehmen zu "Feinden des Internets" erklärt, weil sie Staaten wie Syrien mit Überwachungstechnologie beliefern: das deutsch-britische Unternehmen Gamma International, Trovicor aus Deutschland, Hacking Team aus Italien, Amesys aus Frankreich und Blue Coat aus den USA.
Die Technologie werde den Regierungen direkt geliefert oder es werde "billigend in Kauf" genommen, dass die Technologie "in die Hände notorischer Menschenrechtsverletzer" gerate, heißt es in dem Bericht Feinde des Internets, den Reporter ohne Grenzen zum gestrigen Welttag gegen Internetzensur veröffentlichte.
Alle fünf Unternehmen zählen zu den Herstellern sogenannter Staatstrojaner und verwandter Werkzeuge. Dabei kann es sich um Software zur flächendeckenden Überwachung des Internets handeln, oder um ein Programm, mit dem auf die Festplatten von Journalisten zugegriffen oder Passwörter ausspioniert, E-Mails mitgelesen und verschlüsselte Internet-Telefonate mitgehört werden kann.
Die Unternehmen wehren sich gegen die Vorwürfe. Doch dass ihre Produkte von autoritären Regimen eingesetzt wurden, ist in vielen Fällen nachgewiesen. Die folgenden vier Beispiele zeigen das exemplarisch.
Die Firmen reden sich raus
Beispiel Nummer eins: Das Wall Street Journal deckte im August 2011 auf, dass das libysche Regime von Muammar al-Gaddafi ein Programm des Herstellers Amesys namens "Eagle" zur Internetüberwachung von Oppositionellen eingesetzt hat. Die Mutterfirma von Amesys dementiert das nicht, erklärte aber, die Firma habe den entsprechenden Geschäftsbereich im November 2012 verkauft. Das sei öffentlich bekannt. Damit betrachtet sich Amesys offenbar als reingewaschen – aus den Augen, aus dem Sinn: "Amesys ist schockiert, als 'Feind des Internets' bezeichnet zu werden, und betrachtet die Vorwürfe als gegenstandslos", sagte eine Sprecherin.
Beispiel Nummer zwei: Marokkanische Blogger und ein Menschenrechtsaktivist aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden mithilfe der Überwachungssoftware Remote Control System der italienischen Firma Hacking Team ausgespäht. Das wies der Sicherheitsforscher Morgan Marquis-Boire vom kanadischen Citizen Lab in seinen Untersuchungen nach. Die Software ermöglicht unter anderem die Überwachung von Skype-Gesprächen, zeichnet Tastatureingaben auf kann auf die Kamera und das Mikrofon eines Computers zugreifen, um auch Bilder und Töne von den Überwachten aufzuzeichnen.
Auch Hacking Team reagierte auf die Vorwürfe von Reporter ohne Grenzen. "Wir bemühen uns sehr, sicherzustellen, dass unsere Software nicht an Regierungen verkauft wird", die von internationalen Organisationen auf die schwarze Liste gesetzt wurde, sagte ihr Berater Eric Rabe. Eine Führungsgruppe bewerte jeden Verkauf und könne ihr Veto einlegen. Dann die in der Branche übliche Ausrede: Polizeibehörden brauchten solche Software allerdings, um gegen "Internetbetrüger und Terroristen" zu ermitteln.
Beispiel Nummer drei: Werkzeuge zur Internetüberwachung und -filterung der US-Firma Blue Coat wurden unter anderem in Syrien eingesetzt. Das konnten Aktivisten von reflets.info, Telecomix und fhimt.com Mitte 2011 beweisen. Die Forscher vom Citizen Lab entdeckten später in mindestens 25 Ländern Blue-Coat-Produkte, darunter Saudi-Arabien, Irak, Afghanistan, China und Russland.
Blue Coat hatte den Einsatz seiner Produkte in Syrien zunächst dementiert, später aber doch eingeräumt. Als Reaktion auf den Bericht von Reporter ohne Grenzen verwies das Unternehmen auf legitime Kunden wie Schulen und Unternehmen, die mithilfe der Programme "den Zugriff auf bedenkliche Inhalte aus ihrem Netz heraus" unterbinden. "Wir nehmen allerdings zur Kenntnis, dass es Akteure mit unlauteren Absichten gibt, und dass unsere Produkte, wie alle Technologien, für bösartige Zwecke missbraucht werden können", teilte die Firma mit. Die Konsequenzen, die Blue Coat ziehen will: Man werde die eigenen Richtlinien überprüfen, "um den Missbrauch unserer Produkte weiter einzuschränken".
Beispiel Nummer vier: Das Regime in Bahrain soll Produkte von Gamma International und Trovicor verwendet haben, um Oppositionelle auszuspähen. Die wurden anschließend festgenommen und gefoltert. Der Einsatz von Gamma-Software ist dokumentiert, wiederum vom Citizen Lab.
Menschenrechtsorganisationen glauben zudem belegen zu können, dass Trovicor den Betrieb einer Software in Bahrain überwacht, mit deren Hilfe die dortigen Behörden "große Datenmengen aus Telefon- und Computerüberwachung abfangen, aufzeichnen und analysieren können". Außerdem gebe es "Indizien, dass Trovicors Technologie auf das Zusammenwirken mit sogenannten Trojanern ausgelegt ist, die eine noch umfassendere Überwachung bis hin zur Manipulation von Daten erlauben". Die Menschenrechtler haben eine Beschwerde bei der OECD eingereicht. Diese soll die Vorwürfe überprüfen.
Eine Sprecherin des Unternehmens sagte, die Firma entwickle weder sogenannten Staatstrojaner noch andere "Online-Durchsuchungs-Spähsoftware". Trovicor sei daher "nicht glücklich" darüber, in dem Bericht in einem Atemzug mit Herstellern solcher Software genannt zu werden. "Wir hacken uns nicht in Systeme ein." Trovicor produziere Datenbanksysteme für Telekommunikationsunternehmen, die damit Daten speichern und auswerten könnten, sagte die Sprecherin. Auf der Website von Trovicor ist allerdings von "Lawful Interception", Überwachung und "taktischen Operationen" die Rede. Trovicor mag also nicht glücklich darüber sein, zu den Spähsoftware-Herstellern gezählt zu werden – abseitig ist der Vorwurf aber nicht.
Strengere Exportkontrolle gefordert
Die Reporter ohne Grenzen fordern eine strengere Kontrolle des Exports von Zensur- und Überwachungstechnik. "Der Einsatz solcher Technologien ist schon unter strenger rechtstaatlicher Aufsicht umstritten", sagte Matthias Spielkamp, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen. "In den Händen autoritärer Regime verwandeln sie sich in digitale Waffen."
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