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Hannes, du bist Punk!

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Hannes, du bist Punk! Empty Hannes, du bist Punk!

Beitrag  checker Do März 21, 2013 8:39 am

Er selbst kann es kaum glauben: Dem Bluesmann und Liedermacher Hannes Wader wird der Echo für sein Lebenswerk verliehen.

Hannes, du bist Punk! Hannes-wader-540x304

Was er anziehen wird, steht noch nicht fest. Smoking, sagt die Tochter: Papa, ich will, dass du da im Smoking auftauchst. Irgendwie hätte der Gedanke sogar was Verlockendes: Biegsamkeit ist gefragt in der heutigen Zeit. »Ich bin mein ganzes Leben auf der Suche nach ’ner Gelegenheit gewesen – ’ner passenden –, mal einen Smoking zu tragen«, sagt Hannes Wader, während er zwei Tassen Kaffee hereinbugsiert, den guten, mit Schaumhäubchen drauf. Wahrscheinlich wird es aber doch wieder auf das Übliche hinauslaufen: Jacke, Hose, fertig, aus. Sich verkleiden wegen so einer Preisverleihung – wär ja noch schöner!

Als der Anruf kam, waren die Gefühle, nun ja: gemischt. Wer freut sich nicht, wenn er für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, noch dazu im Fernsehen, zur besten Sendezeit? Andererseits: Ein Unbehagen hat sich auch gleich gemeldet. Beim Echo geht es schließlich um Verkaufszahlen, Bilanzen, »das ist Big Business, und ich bin nicht Big Business«. Jetzt sitzen wir gemütlich in Waders Wohnzimmer, und obwohl die offizielle Einladung seit Wochen vorliegt und obwohl er ausgiebig mit Campino von den Toten Hosen telefoniert hat, die ihm auf der Bühne unter die Arme greifen werden, plagt ihn die Vorstellung, das Ganze könnte sich in letzter Sekunde als Irrtum herausstellen. »Ich sag mir jedes Mal, die meinen Dieter Bohlen und haben bloß ’n paar Buchstaben verwechselt.«

Er ist misstrauisch geblieben, der Hannes Wader, Arbeiterkind, Bluesmann, Liedermacher der ersten Stunde, heute ein älterer, aber weitestgehend unverwitterter Herr von 70 Jahren, der mit seinem ergrauten Bart gut als pensionierter Studienrat durchgehen könnte. Dass die Jungen ihn wieder singen – gerade ist eine CD mit Wader-Interpretationen erschienen –, tolle Sache, natürlich: Die Anna Depenbusch, die Dota Kehr, das sind tüchtige Leute, »Frauen, zumal junge, gab’s in dem Bereich früher ja gar nicht«. Er sieht es auf seinen Tourneen selbst: Stücke wie Der Tankerkönig sind »’n Kultding«, die werden Zeile für Zeile mitgesungen, erst kürzlich kam wieder einer mit Irokesenschnitt an und sagte: Hannes, du bist Punk! Doch statt das Kompliment dankend anzunehmen, spricht Wader von der Verführbarkeit. Wachs in den Händen anderer will er nicht sein. Nur einen Schritt weiter, und man ist bestechlich.

Es ist nicht der Kämpfer-Hannes, der einem an diesem tief verschneiten Märztag gegenübersitzt, ein Mann mit forscher, manchmal schmetternder Stimme. Wader wählt seine Worte mit Bedacht, verliert öfter den Faden. Wenn der Redefluss stockt, setzt er ein westfälisches »Joa« in den Raum, als sei er ein alter Bauer, der am liebsten einsilbig daherkommt. »Wortfindungsschwierigkeiten«, entschuldigt er sich im Voraus für die Mühe, die es kosten wird, seine krausen Gedanken glatt zu kämmen: Schon als junger Mann habe er die gehabt, druckreif reden, das konnten immer nur die anderen. Eine Fernsehnase ist Hannes Wader wirklich nicht, manchmal möchte man ihn schütteln, damit die Worte aus ihm herauspurzeln. Und doch hat seine Umständlichkeit etwas Rührendes. Andere verfügen schon in jungen Jahren über einen Lebenstext, den sie nur abzuspulen brauchen. Wader arbeitet noch im Rentenalter an der gültigen Version.

Am Drumherum kann es nicht liegen. Die Waders wohnen gutbürgerlich in einem Haus am Stadtrand von Kassel, viel Holz, großer Garten, riesige Wohnküche, ein Hund kommt angebellt und will gestreichelt werden. Auf dem Fensterbrett reckt Karl Marx als Spieluhr seinen Arm in die Höhe. »Der spielt die Internationale und tanzt dazu«, sagt Wader lachend, »aufgezogen hab ich ihn aber schon länger nicht mehr.« Der Wader von heute ist ein häuslicher Typ, der nichts bereut, aber auch nichts beschönigt. Die Zeiten, in denen er seine Sache in den Dienst des Kommunismus stellte, sind Jahrzehnte vorbei, genau wie die Zeiten, in denen er 80 schwarze Gitanes am Tag rauchte und nachts regelmäßig in irgendeiner Kneipe zu finden war. Bringt ja auch nichts, an der Vergangenheit zu kleben, es gibt im Leben nur eine Richtung: nach vorn. Innerlich aber treibt es ihn noch immer um.

Man spürt es, wenn er von den zerbrochenen Schallplatten erzählt, die ihm per Post zugingen, als sein Eintritt in die DKP bekannt wurde – Ende der Siebziger war das, eine Sache, die ihm nach wie vor zu schaffen macht: Wie kann man so viel Wut auf sich ziehen? Oder wenn die Erinnerung an einen Abend mit Walter Jens in ihm aufsteigt: wollte wohl schnuppern, was seine Kinder beschäftigt, der Herr Rhetorikprofessor. Nach dem Konzert aber, bei einem Glas Wein, redete er so preußisch scharf und von oben herab über eines seiner Stücke, dass Wader das Lied 20 Jahre lang nicht mehr gespielt hat. In solchen Momenten geht ein Ruck durch die Person, Wader ballt die Fäuste und wird fast laut, als sei keine Zeit vergangen zwischen heute und gestern, als könne er trotz größter Anstrengungen nicht begreifen, was an ihm quer zu allem steht.

Eine Erklärung hat er: die Herkunft aus dem Landproletariat Ostwestfalens. Vater Knecht, Mutter Putzfrau, da fühlt man sich auf der großen Bühne schnell fehl am Platz. Seine Bestimmung wäre gewesen, auf dem Bauernhof zu arbeiten, vielleicht als kleiner Angestellter zu reüssieren, aber Liedermacher? So etwas gab’s gar nicht, lag außerhalb jeglicher Vorstellung, schon das Wort stand auf der schwarzen Liste, da hieß es gleich: Junge, du landest in der Gosse. »Wissen Sie was?«, sagt Wader und beugt sich abrupt nach vorn. »Manchmal denke ich heute noch, dass ich in der Gosse lande.« Gut, er hat die vorgezeichnete Bahn verlassen, Anfang zwanzig ließ er Kartoffeln und Blumenkohl hinter sich und machte rüber nach Berlin, aber ganz raus geht so was nicht. »Den westfälischen roten Lehm an den Hacken hab ich mitgeschleppt, bis auf die Bühne der Philharmonie.«

Wader spricht vom Erfolg, der ihn ziemlich rasch emporhob – zu rasch, denn plötzlich fand er sich »als Popheini« mit den höchsten Weihen versehen: »Sofort ausverkauft! Wahnsinn!« Noch im Nachhinein kommt ihm das alles bizarr vor. Natürlich träumt man als junger Mensch davon, groß rauszukommen, doch wie das dann ablief, »das hat alles dazu beigetragen, mich zu entwurzeln, den Boden unter den Füßen zu verlieren, zumindest zeitweilig«. Wader geriet zwischen die Fronten: Für die einen war er ein bunter Vogel, für die anderen ein Kommerzschwein. Allerdings hat er seine Außenseiterrolle stets auch umarmt. Den Leuten vom Playboy verweigerte er ein Interview mit den Worten, sie sollten sich »ihre Wichsvorlage sonst wohin schieben«. Wader lacht. »Ich war nicht in der Lage, zu sagen: Nein danke, ich möchte lieber nicht.«

Dabei ist es gerade das Unstete, immer ein wenig Windschiefe, das Hannes Wader seinen alten Kumpanen voraushat, dem schneidigen Franz Josef Degenhardt und dem ewig wolkigen Reinhard Mey, mit dem er Ende der Sechziger auf seine erste Tour ging. Wader ist ein großer Reisender, er war in den verschiedensten Traditionen unterwegs, vom Arbeiterlied bis hin zu Schubert-Varianten auf der Gitarre, ohne je in einer dieser Traditionen ganz aufzugehen. Dass er sein Handwerk noch im Mandolinenorchester des Vaters gelernt hat, eines stolzen Sozialdemokraten, gibt seinem Picking etwas Solides: alte Schule eben, gelernt ist gelernt. Aus den Versuchen jedoch, als selbst ernannter Volkssänger seiner Herkunft habhaft zu werden, spricht im Nachhinein eine entsetzliche Heimatlosigkeit. Hier beschwört einer Milieus herauf, die längst im Verschwinden begriffen sind. Man kann ihnen bloß noch hinterherträumen.

Am besten ist Wader da, wo er sein Suchen und Sehnen amerikanisch buchstabiert. Heute hier, morgen dort mit seiner ans Ende des Refrains gesetzten Einsicht, »dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war«, das ist, als Botschaft genommen, nicht nur von erstaunlicher Aktualität, es ist eine deutsche Antwort auf Bob Dylans The Times They Are A Changin’. Auch wenn ihm der Vergleich viel zu schmeichelhaft erscheint: Wader kann’s. Keiner seiner Generation ist dem Blues so nahegekommen, keiner hat so viel Drive, Feeling und Swing in den Fingern. Wenn er den Daumen auf und ab wandern lässt, ist er nah dran an den Tramps und Hobos, die die Mythologien des Songs bevölkern. Und doch bleibt seine Aneignung spezifisch deutsch: Amerika, das ist Freiheit und Abenteuer. Hierzulande plagte man sich mit anderen Dingen herum.

Wader erzählt, wie schwierig es damals war, sich selbst in einer Stadt wie Berlin den richtigen Stil auf die Rippen zu schaffen. Zum Glück gab es ein paar amerikanische Studenten, die am Ku’damm Straßenmusik machten, von denen hat er sich was abgeschaut. Den entscheidenden Schub erhielt sein Willen zum Blues aber erst durch Alice’s Restaurant Massacree von Arlo Guthrie. Wader kannte das Stück nicht mal, Freunde hatten ihm davon erzählt, doch schon die Vorstellung, dass da einer 16 Minuten lang eine Geschichte zum Besten gibt, beflügelte seine Fantasie so sehr, dass er sich sofort an einem Talking Blues versuchte. Selbst drüben gewesen ist er erst viel später.

Heute reist Hannes Wader mehr denn je in Gedanken: Der Meniskus plagt ihn, das Gehör lässt nach. Dass die Plattenfirma zum Siebzigsten Druck machte, hat er zum Anlass genommen, noch einmal neue Lieder zu schreiben. Nah dran zeigt Wader von seiner besinnlichen Seite: Schön ist’s gewesen, das donnernde Leben, trotz allem. »Das Gute ist mir passiert, die Dummheiten hab ich selbst begangen«, lautet sein vorläufiges Resümee. Doch wie man es dreht und wendet, die größte Strecke ist inzwischen zurückgelegt. Im Lied vom Tod geht er durch, was es im Falle des Ablebens zu beachten gilt: Organspende oder nicht? Wo wird man liegen? Und wer kriegt das bisschen Kohle?

Das Schreiben des Stücks hat ihm viel Freude bereitet, manchmal ist er nachts aufgewacht und hat sich totgelacht, »weil mir schon wieder was eingefallen ist zum Abkratzen«. Schließlich waren es 29 Strophen. Neun davon haben es aufs Album geschafft, wer die De-luxe-Version ersteht, kriegt weitere sieben, der Rest bleibt unter Verschluss: kann man ja keinem zumuten. Vielleicht hat er das Lied aber auch mehr für sich selbst geschrieben. »Singen ist ’ne ganz tolle Sache«, sagt Hannes Wader. Solange es was zu singen gibt, ist das Leben nicht zu Ende.

Quelle






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