Willi Sitte ist gestorben
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Willi Sitte ist gestorben
Als "Staatskünstler" wurde Willi Sitte oft verfemt. Doch bevor er in der DDR zum einflussreichen Kulturfunktionär aufstieg, musste der Maler selbst erfahren, was staatliche Repression bedeutet. So spiegelt sein Leben auch die Brüche des 20. Jahrhunderts.
Für die einen war Willi Sitte ein erfolgreicher Streiter für die Akzeptanz der klassischen Moderne in der DDR. Ein "aufrechter Mann", so formulierte es der West-Berliner Galerist Dieter Brusberg, der sich, selbst lange Jahre von der Stasi argwöhnisch beobachtet, für Künstler eingesetzt und seine Macht zur Erweiterung künstlerischer Freiräume genutzt habe.
Für die anderen hingegen blieb Willi Sitte der Prototyp eines machtverliebten Staatskünstlers. Als Präsident des Verbandes Bildender Künstler (1974-1988), als Abgeordneter der Volkskammer (1976-1989) und schließlich als Mitglied des Zentralkomitees der SED (1986-1989) habe er die repressiven Auswüchse des DDR-Kunstsystems mit zu verantworten, weil er, wie der Kunstkritiker Christoph Tannert einmal polemisch zuspitzte, "am Ende mächtiger als die Stasi gewesen sei".
Im "deutsch-deutschen Bilderstreit" kam es nach 1989 deshalb zu einer teils erbittert geführten Dauerdebatte - in deren Zentrum Sittes Biografie stand, die so exemplarisch für die Brüche deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts war.
Nach dem Vorbild Picassos
Sitte war bereits in seiner Jugend vor allem als begnadeter Zeichner aufgefallen. Durch glückliche Umstände von einem Fabrikanten gefördert, kam er 1940 in die von Werner Peiner geleitete "Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei" in Kronenburg (Eifel). Dort wurde Sitte mit Vorskizzen für die großen Gobelins der Reichskanzlei betraut, bevor man ihn wegen kritischer Äußerungen zur Wehrmacht einberief. Von dieser desertierte Sitte 1945 zu den italienischen Partisanen.
Nach einem Interregnum in Italien, wo er erste Erfolge als Genremaler in Mailand feierte, gelangte er 1947 nach Halle - eine Stadt, die er zeitlebens als "Wohnort", nie als Heimat bezeichnet hat. Hier schloss er sich der Künstlergruppe "Die Fähre" an, fand Anschluss im Künstlerkreis um die Burg Giebichenstein und begann 1951 seine Lehrtätigkeit an der renommierten Kunsthochschule, an der er bis 1986 entscheidend wirkte, zuletzt als Direktor der Sektion Bildende und Angewandte Kunst.
Willi Sittes großes Vorbild blieb lange Zeit Anlass für ernste Konflikte mit der SED-Kulturbürokratie - Pablo Picasso. Picassos "Guernica" wurde für den Antifaschisten aus kommunistischem Haus, der 1947 in die SED eingetreten war, zu einem ästhetischen Schlüsselerlebnis, das für ihn, wie er noch 1971 erklärte, "immer beispielhaft" blieb.
In seinem Triptychon "Lidice" (1959/1960) über die Zerstörung des tschechischen Dorfes durch die Deutschen im Jahr 1942 wird die Wirkung Picassos auf Sitte fassbar. Das Gemälde, zweifellos ein Hauptwerk Sittes, wurde jedoch von der SED-Kulturpolitik harsch kritisiert - und ging auf dubiose Weise während des von der DDR organisierten Transportes nach Lidice verloren. Dort sollte es in einer Gedenkstätte an die deutschen Verbrechen ausgestellt werden. Der Verlust dieses Werkes verdeutlicht nicht zuletztdie Mechanismen der Zensur, denen Sitte in der Ulbricht-Ära unterworfen war.
"Herkules am Schaltpult"
Gegen die verordnete Dominanz einer aus der Sowjetunion übernommenen modernefeindlichen Kunstdoktrin rebellierte Willi Sitte in den fünfziger und sechziger Jahren. Stattdessen beharrte er auf einer relativen Unabhängigkeit der Künste und ihrer Ausdrucksmittel. Das veranlasste die Staatssicherheit, gegen Sitte einen Operativvorgang zu eröffnen. Dieser blieb nicht folgenlos: Sitte wurde von der Kulturpolitik als "Formalist" kritisiert, die Leitung der Malklasse an der Burg Giebichenstein musste er zugunsten der Textilklasse aufgeben und nach einer Feier zu seinem 40. Geburtstag unternahm er mit einer Überdosis Schlaftabletten einen Suizidversuch.
Überstrahlt wird diese dunkle Lebensperiode jedoch durch den rasanten Aufstieg in der zweiten Lebenshälfte: Nachdem Willi Sitte am 2. Februar 1963 in der SED-Bezirkszeitung "Freiheit" (und wenig später im "Neuen Deutschland") eine Selbstkritik unter der Überschrift "Meine ganze Kraft dem sozialistischen Realismus" veröffentlicht hatte, stand seiner Karriere nichts mehr im Wege. Bereits 1965 wurde Sitte Mitglied des Zentralvorstandes des VBK, 1970 Vizepräsident und 1974 übernahm er die Präsidentschaft, die er bis zum X. VBK-Kongress 1988 ausübte.
Im Zeitraum von 1965 bis 1975 wurde er den Akten nach zudem von der Staatssicherheit als Geheimer Informator "Guttuso" geführt, eine Tätigkeit, die wegen erwiesener politischer Unzuverlässigkeit Sitte keine Umsetzung fand. Aus dem Kritiker der Verhältnisse wurde ein loyaler Spitzenfunktionär, der ab 1976 auch als Volkskammer-Abgeordneter und seit 1986 zudem als ZK-Mitglied die bildenden Künste repräsentierte.
Kein Gemälde von Willi Sitte verdeutlicht diesen Abschied von einem dem Experiment und der künstlerischen Autonomie verpflichteten Frühwerk besser als sein "Chemiearbeiter am Schaltpult" (1968). Es zeigt einen Arbeiterhelden, der machtbewusst mit massigen Händen zu einem Hebel greift, mit dem er eine hochkomplexe Anlage dirigiert. Ganz so wie es der VII. Parteitag der SED postulierte, malte Sitte, der sich fortan auch selbst als Arbeiter porträtierte, nun vornehmlich die Akteure der "wissenschaftlich-technischen Revolution", auch wenn, wie der Kunsthistoriker Eckhart Gillen meint, sein Vorzeigeprolet allenfalls zum "Herkules am Schaltpult" taugt.
Tribunal oder kritische Würdigung?
Mit der Wende wurde der schwelende Streit um Sittes politische Arbeit schließlich evident: Während sich seine Leipziger Großmaler-Kollegen Bernhard Heisig und Werner Tübke nach dem Ende der DDR pragmatisch von ihrer Allianz mit der SED-Kulturpolitik lossagten, indem sie mitten im gesellschaftlichen Umbruch ihre insgesamt fünf Nationalpreise an eine inzwischen führerlos gewordene Staatsführung zurückgaben, stand Willi Sitte auch nach 1989 weiterhin loyal zum "ersten Arbeiter- und Bauern-Staat auf deutschem Boden".
Zur Eskalation des Konfliktes um Willi Sitte kam es im Jahr 2000. Vordergründig ging es um eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Sie war Vertragsgegenstand bei der Überlassung des archivarischen Vorlasses von Willi Sitte, an das Archiv des Hauses gewesen und dem Künstler für seinen 80. Geburtstag im Jahre 2001 formlos zugesagt worden. Der Verwaltungsrat des Germanischen Nationalmuseums verschob jedoch das Projekt und mahnte zunächst eine Klärung der Vorwürfe an, Sitte habe unter anderem der Stasi zugearbeitet. Daraufhin sagte der brüskierte Künstler eine Ausstellung mit seinen Werken endgültig ab. Im Sommer 2001 fand in Nürnberg schließlich ein Symposium statt, das Sittes Wirken als Spitzenfunktionär im Kunstsystem der DDR untersuchte und vom "FAZ"-Kritiker Eduard Beaucamp als "Tribunal" interpretiert wurde.
Seitdem ist es, trotz einer Versachlichung der Debatte und der einsetzenden künstlerischen Anerkennung von Sittes Werk, zu keiner Retrospektive in einem großen deutschen Museum gekommen. Allein die im Februar 2006 eröffnete Galerie "WSitte" im Merseburger Domviertel betreut und pflegt sein Werk. Spätestens mit Sittes Tod sollten sich nun neue Räume eröffnen, um seinen Arbeiten die kritische Würdigung zu anzugedeien, die diese verdienen.
Dr. Paul Kaiser arbeitet als Kunstwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden und hat vielfach zur Kunst in der DDR veröffentlicht.
Quelle
Für die einen war Willi Sitte ein erfolgreicher Streiter für die Akzeptanz der klassischen Moderne in der DDR. Ein "aufrechter Mann", so formulierte es der West-Berliner Galerist Dieter Brusberg, der sich, selbst lange Jahre von der Stasi argwöhnisch beobachtet, für Künstler eingesetzt und seine Macht zur Erweiterung künstlerischer Freiräume genutzt habe.
Für die anderen hingegen blieb Willi Sitte der Prototyp eines machtverliebten Staatskünstlers. Als Präsident des Verbandes Bildender Künstler (1974-1988), als Abgeordneter der Volkskammer (1976-1989) und schließlich als Mitglied des Zentralkomitees der SED (1986-1989) habe er die repressiven Auswüchse des DDR-Kunstsystems mit zu verantworten, weil er, wie der Kunstkritiker Christoph Tannert einmal polemisch zuspitzte, "am Ende mächtiger als die Stasi gewesen sei".
Im "deutsch-deutschen Bilderstreit" kam es nach 1989 deshalb zu einer teils erbittert geführten Dauerdebatte - in deren Zentrum Sittes Biografie stand, die so exemplarisch für die Brüche deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts war.
Nach dem Vorbild Picassos
Sitte war bereits in seiner Jugend vor allem als begnadeter Zeichner aufgefallen. Durch glückliche Umstände von einem Fabrikanten gefördert, kam er 1940 in die von Werner Peiner geleitete "Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei" in Kronenburg (Eifel). Dort wurde Sitte mit Vorskizzen für die großen Gobelins der Reichskanzlei betraut, bevor man ihn wegen kritischer Äußerungen zur Wehrmacht einberief. Von dieser desertierte Sitte 1945 zu den italienischen Partisanen.
Nach einem Interregnum in Italien, wo er erste Erfolge als Genremaler in Mailand feierte, gelangte er 1947 nach Halle - eine Stadt, die er zeitlebens als "Wohnort", nie als Heimat bezeichnet hat. Hier schloss er sich der Künstlergruppe "Die Fähre" an, fand Anschluss im Künstlerkreis um die Burg Giebichenstein und begann 1951 seine Lehrtätigkeit an der renommierten Kunsthochschule, an der er bis 1986 entscheidend wirkte, zuletzt als Direktor der Sektion Bildende und Angewandte Kunst.
Willi Sittes großes Vorbild blieb lange Zeit Anlass für ernste Konflikte mit der SED-Kulturbürokratie - Pablo Picasso. Picassos "Guernica" wurde für den Antifaschisten aus kommunistischem Haus, der 1947 in die SED eingetreten war, zu einem ästhetischen Schlüsselerlebnis, das für ihn, wie er noch 1971 erklärte, "immer beispielhaft" blieb.
In seinem Triptychon "Lidice" (1959/1960) über die Zerstörung des tschechischen Dorfes durch die Deutschen im Jahr 1942 wird die Wirkung Picassos auf Sitte fassbar. Das Gemälde, zweifellos ein Hauptwerk Sittes, wurde jedoch von der SED-Kulturpolitik harsch kritisiert - und ging auf dubiose Weise während des von der DDR organisierten Transportes nach Lidice verloren. Dort sollte es in einer Gedenkstätte an die deutschen Verbrechen ausgestellt werden. Der Verlust dieses Werkes verdeutlicht nicht zuletztdie Mechanismen der Zensur, denen Sitte in der Ulbricht-Ära unterworfen war.
"Herkules am Schaltpult"
Gegen die verordnete Dominanz einer aus der Sowjetunion übernommenen modernefeindlichen Kunstdoktrin rebellierte Willi Sitte in den fünfziger und sechziger Jahren. Stattdessen beharrte er auf einer relativen Unabhängigkeit der Künste und ihrer Ausdrucksmittel. Das veranlasste die Staatssicherheit, gegen Sitte einen Operativvorgang zu eröffnen. Dieser blieb nicht folgenlos: Sitte wurde von der Kulturpolitik als "Formalist" kritisiert, die Leitung der Malklasse an der Burg Giebichenstein musste er zugunsten der Textilklasse aufgeben und nach einer Feier zu seinem 40. Geburtstag unternahm er mit einer Überdosis Schlaftabletten einen Suizidversuch.
Überstrahlt wird diese dunkle Lebensperiode jedoch durch den rasanten Aufstieg in der zweiten Lebenshälfte: Nachdem Willi Sitte am 2. Februar 1963 in der SED-Bezirkszeitung "Freiheit" (und wenig später im "Neuen Deutschland") eine Selbstkritik unter der Überschrift "Meine ganze Kraft dem sozialistischen Realismus" veröffentlicht hatte, stand seiner Karriere nichts mehr im Wege. Bereits 1965 wurde Sitte Mitglied des Zentralvorstandes des VBK, 1970 Vizepräsident und 1974 übernahm er die Präsidentschaft, die er bis zum X. VBK-Kongress 1988 ausübte.
Im Zeitraum von 1965 bis 1975 wurde er den Akten nach zudem von der Staatssicherheit als Geheimer Informator "Guttuso" geführt, eine Tätigkeit, die wegen erwiesener politischer Unzuverlässigkeit Sitte keine Umsetzung fand. Aus dem Kritiker der Verhältnisse wurde ein loyaler Spitzenfunktionär, der ab 1976 auch als Volkskammer-Abgeordneter und seit 1986 zudem als ZK-Mitglied die bildenden Künste repräsentierte.
Kein Gemälde von Willi Sitte verdeutlicht diesen Abschied von einem dem Experiment und der künstlerischen Autonomie verpflichteten Frühwerk besser als sein "Chemiearbeiter am Schaltpult" (1968). Es zeigt einen Arbeiterhelden, der machtbewusst mit massigen Händen zu einem Hebel greift, mit dem er eine hochkomplexe Anlage dirigiert. Ganz so wie es der VII. Parteitag der SED postulierte, malte Sitte, der sich fortan auch selbst als Arbeiter porträtierte, nun vornehmlich die Akteure der "wissenschaftlich-technischen Revolution", auch wenn, wie der Kunsthistoriker Eckhart Gillen meint, sein Vorzeigeprolet allenfalls zum "Herkules am Schaltpult" taugt.
Tribunal oder kritische Würdigung?
Mit der Wende wurde der schwelende Streit um Sittes politische Arbeit schließlich evident: Während sich seine Leipziger Großmaler-Kollegen Bernhard Heisig und Werner Tübke nach dem Ende der DDR pragmatisch von ihrer Allianz mit der SED-Kulturpolitik lossagten, indem sie mitten im gesellschaftlichen Umbruch ihre insgesamt fünf Nationalpreise an eine inzwischen führerlos gewordene Staatsführung zurückgaben, stand Willi Sitte auch nach 1989 weiterhin loyal zum "ersten Arbeiter- und Bauern-Staat auf deutschem Boden".
Zur Eskalation des Konfliktes um Willi Sitte kam es im Jahr 2000. Vordergründig ging es um eine Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Sie war Vertragsgegenstand bei der Überlassung des archivarischen Vorlasses von Willi Sitte, an das Archiv des Hauses gewesen und dem Künstler für seinen 80. Geburtstag im Jahre 2001 formlos zugesagt worden. Der Verwaltungsrat des Germanischen Nationalmuseums verschob jedoch das Projekt und mahnte zunächst eine Klärung der Vorwürfe an, Sitte habe unter anderem der Stasi zugearbeitet. Daraufhin sagte der brüskierte Künstler eine Ausstellung mit seinen Werken endgültig ab. Im Sommer 2001 fand in Nürnberg schließlich ein Symposium statt, das Sittes Wirken als Spitzenfunktionär im Kunstsystem der DDR untersuchte und vom "FAZ"-Kritiker Eduard Beaucamp als "Tribunal" interpretiert wurde.
Seitdem ist es, trotz einer Versachlichung der Debatte und der einsetzenden künstlerischen Anerkennung von Sittes Werk, zu keiner Retrospektive in einem großen deutschen Museum gekommen. Allein die im Februar 2006 eröffnete Galerie "WSitte" im Merseburger Domviertel betreut und pflegt sein Werk. Spätestens mit Sittes Tod sollten sich nun neue Räume eröffnen, um seinen Arbeiten die kritische Würdigung zu anzugedeien, die diese verdienen.
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