Henning Ritter ist gestorben
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Henning Ritter ist gestorben
Henning Ritter, der Sohn des Philosophen Joachim Ritter, hat einst bei der "FAZ" das Ressort "Geisteswissenschaften" begründet. Er war ein frei schwebender Intellektueller. Mit 69 Jahren ist er gestorben.
Der Autor dieses Nachrufes wurde 1986 ziemlich unvermittelt aus dem geisteswissenschaftlichen Universitätsbetrieb in die politische Nachrichtenredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" versetzt.
Dass der Wechsel aus der Gemächlichkeit der Seminare und Vorlesungen in den zuweilen hektischen Tageszeitungs-Journalismus nicht zum Kulturschock wurde, dafür war vor allem Henning Ritter verantwortlich, der Kollege vom Feuilleton, der gerade die Rubrik "Geisteswissenschaften" ins Leben gerufen hatte. Ein Novum in der deutschen Zeitungslandschaft, auf das Lehrende und Studenten anscheinend gewartet hatten.
Henning Ritter, 1942 als Sohn des Philosophen Joachim Ritter in Schlesien geboren, hatte sich nie auf eine akademische Karriere eingelassen. Ja, noch nicht einmal einen ordentlichen Hochschulabschluss vorzuweisen.
Er war ein frei schwebender, ein flanierender, ein, um einen modernen Begriff zu verwenden, den er wahrscheinlich vermieden hätte, hochgradig vernetzter Intellektueller. In der Feuilleton-Redaktion fand er als verantwortlicher Redakteur für die wöchentliche Seite "Geisteswissenschaften" den Platz, der seiner Lebensform entsprach.
Die verbitterte Debatte war ihm fremd
Er zog sich nicht in sein Denkerstübchen zurück, obwohl die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" auch solche Existenzen duldete, sondern er hatte ein wachse Auge darauf, wen die Universitäten frisch in die verschiedenen Zeitungsressorts entließen. Und weil die Nachrichtenredaktion auch die Nachrichtenbörse des Hauses ist, fand er sich dort regelmäßig zum Feierabendbier ein, um Kontakte zu knüpfen und über Gott und die Welt zu reden.
So kam es, dass der emsige Jungredakteur, der sich eigentlich in die Tiefen und Untiefen der deutschen Innenpolitik einarbeiten sollte, schnell in den Genuss einer Dienstreise nach Bielefeld kam, um über eine Historikerkonferenz zur Sozial-, Kultur-, und Mentalitätsgeschichte des deutschen Bürgertums zu berichten.
Der Strom der Anregungen, die von Ritter ausgingen, riss nicht ab. Trägermedium seines Denkens war das Notizbuch. Darin sammelte er die Früchte seiner Neugier, seines Assoziationsvermögens, seiner Gesprächskunst. Er war kein Mann der großen politisch-historischen Deutungsschlachten.
Sein letztes Buch war ein "Versuch über die Grausamkeit"
Die Wut und die Verbitterung, mit der die intellektuellen Debatten im Deutschland der Achtziger- und Neunzigerjahre, der Historikerstreit um Ernst Nolte oder der Streit um Martin Walsers Paulskirchenrede, geführt wurden, waren ihm fremd. Geistig zu Hause war er bei den großen Denkern der französischen Aufklärung und bei den großen Fragen, die ins Anthropologische zielen. Wie etwa verhalten sich Mitleid und Grausamkeit zueinander? Nichts lag dem Philosophen Hennig Ritter ferner als ein großes, systemstiftendes Werk.
2010 veröffentlichte er unter dem Titel "Notizhefte" ein Konzentrat aus seinen Notaten, das den Leser auf abenteuerliche Lektürereisen mitnimmt. Das Buch macht eine intellektuelle Biografie erkennbar, die in Deutschland ungewöhnlich ist.
Ein "Versuch über die Grausamkeit" ist nun sein letztes Buch geworden. Unvermutet riss eine schwere Krankheit den Autor aus dem Leben, der mit dem Ruhestand als Redakteur nach Berlin zurück gekehrt war, wo er prägende Jahre seines Lebens verbracht hatte.
Henning Ritter wurde 69 Jahre alt.
Quelle
Der Autor dieses Nachrufes wurde 1986 ziemlich unvermittelt aus dem geisteswissenschaftlichen Universitätsbetrieb in die politische Nachrichtenredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" versetzt.
Dass der Wechsel aus der Gemächlichkeit der Seminare und Vorlesungen in den zuweilen hektischen Tageszeitungs-Journalismus nicht zum Kulturschock wurde, dafür war vor allem Henning Ritter verantwortlich, der Kollege vom Feuilleton, der gerade die Rubrik "Geisteswissenschaften" ins Leben gerufen hatte. Ein Novum in der deutschen Zeitungslandschaft, auf das Lehrende und Studenten anscheinend gewartet hatten.
Henning Ritter, 1942 als Sohn des Philosophen Joachim Ritter in Schlesien geboren, hatte sich nie auf eine akademische Karriere eingelassen. Ja, noch nicht einmal einen ordentlichen Hochschulabschluss vorzuweisen.
Er war ein frei schwebender, ein flanierender, ein, um einen modernen Begriff zu verwenden, den er wahrscheinlich vermieden hätte, hochgradig vernetzter Intellektueller. In der Feuilleton-Redaktion fand er als verantwortlicher Redakteur für die wöchentliche Seite "Geisteswissenschaften" den Platz, der seiner Lebensform entsprach.
Die verbitterte Debatte war ihm fremd
Er zog sich nicht in sein Denkerstübchen zurück, obwohl die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" auch solche Existenzen duldete, sondern er hatte ein wachse Auge darauf, wen die Universitäten frisch in die verschiedenen Zeitungsressorts entließen. Und weil die Nachrichtenredaktion auch die Nachrichtenbörse des Hauses ist, fand er sich dort regelmäßig zum Feierabendbier ein, um Kontakte zu knüpfen und über Gott und die Welt zu reden.
So kam es, dass der emsige Jungredakteur, der sich eigentlich in die Tiefen und Untiefen der deutschen Innenpolitik einarbeiten sollte, schnell in den Genuss einer Dienstreise nach Bielefeld kam, um über eine Historikerkonferenz zur Sozial-, Kultur-, und Mentalitätsgeschichte des deutschen Bürgertums zu berichten.
Der Strom der Anregungen, die von Ritter ausgingen, riss nicht ab. Trägermedium seines Denkens war das Notizbuch. Darin sammelte er die Früchte seiner Neugier, seines Assoziationsvermögens, seiner Gesprächskunst. Er war kein Mann der großen politisch-historischen Deutungsschlachten.
Sein letztes Buch war ein "Versuch über die Grausamkeit"
Die Wut und die Verbitterung, mit der die intellektuellen Debatten im Deutschland der Achtziger- und Neunzigerjahre, der Historikerstreit um Ernst Nolte oder der Streit um Martin Walsers Paulskirchenrede, geführt wurden, waren ihm fremd. Geistig zu Hause war er bei den großen Denkern der französischen Aufklärung und bei den großen Fragen, die ins Anthropologische zielen. Wie etwa verhalten sich Mitleid und Grausamkeit zueinander? Nichts lag dem Philosophen Hennig Ritter ferner als ein großes, systemstiftendes Werk.
2010 veröffentlichte er unter dem Titel "Notizhefte" ein Konzentrat aus seinen Notaten, das den Leser auf abenteuerliche Lektürereisen mitnimmt. Das Buch macht eine intellektuelle Biografie erkennbar, die in Deutschland ungewöhnlich ist.
Ein "Versuch über die Grausamkeit" ist nun sein letztes Buch geworden. Unvermutet riss eine schwere Krankheit den Autor aus dem Leben, der mit dem Ruhestand als Redakteur nach Berlin zurück gekehrt war, wo er prägende Jahre seines Lebens verbracht hatte.
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