Wenn eine deutsche Eiche im Sturm randaliert
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Wenn eine deutsche Eiche im Sturm randaliert
Die Geburt eines Mörders aus dem Geist der Gerechtigkeit: Der französische Regisseur Arnaud des Pallières verfilmte Kleists "Michael Kohlhaas". Mit Mads Mikkelsen als aufreizend arrogantem Helden.
Gerechtigkeit! Michael Kohlhaas würde es wohl gefallen, wie oft man derzeit im Bundestagswahlkampf nach ihr ruft – wenn auch zunehmend leiser, je mächtiger die Rufenden werden.
Im Wahlprogramm der CDU ist im Durchschnitt einmal alle 21 Seiten von Gerechtigkeit die Rede. Im Programm der Grünen steht Gerechtigkeit auf etwa jeder fünften Seite – genauso oft wie in "Michael Kohlhaas", der Novelle von Heinrich von Kleist, die jetzt von Arnaud des Pallières mit Mads Mikkelsen als Kohlhaas neu verfilmt wurde.
Dass sich Hochschulabsolventen – von denen keine Partei unter ihren Mitgliedern mehr zählt als die Grünen – mit Forderungen nach Gerechtigkeit beim Volk nicht unbedingt beliebt machen, beschrieb Kleist schon vor 200 Jahren. Sein Kohlhaas, der "Sohn eines Schulmeisters", war einer der "rechtschaffensten" aber eben auch "entsetzlichsten Menschen seiner Zeit", den sein "Rechtgefühl" schließlich zum"Räuber und Mörder" machte.
Gerechtigkeitskämpfer können schrecklich sein
Man muss den Gerechtigkeitssuchern von heute nicht unterstellen, dass sie angesichts von erlittenem Unrecht ebenfalls zu Räubern und Mördern würden, um zu sehen, dass die Kluft zwischen gefühltem und gegebenem Recht, zwischen politischem Ideal und Realpolitik nach wie vor Konfliktpotential birgt. Und "Michael Kohlhaas" zu einem höchst aktuellen Stoff macht.
Falls sich jemand an den Deutschunterricht nicht mehr so recht erinnert: Kleist orientierte sich in seiner Novelle an dem historischen Schicksal des Kaufmanns Hans Kohlhase, der im 16. Jahrhundert im heutigen Berlin lebte. Auf dem Weg zur Leipziger Messe wurden zwei seiner Pferde widerrechtlich durch den Junker von Zaschnitz beschlagnahmt.
Kohlhase zog vor Gericht und verlor. Mit einem ausufernden Amoklauf erzwang er die Revision, bekam seine Pferde zurück, aber auch eine Anklage auf Mord und Landfriedensbruch an den Hals.
Kleist gab seinem Helden scharfe Konturen
In seinem 1808 erstmals veröffentlichten "Michael Kohlhaas" gab Kleist seinem Helden schärfere Konturen. Der Händler ist nun auch Familienvater und Anhänger der reformatorischen Ideen Martin Luthers. Er wird nicht nur bürokratisch schikaniert, Handlanger des Junkers verprügeln seinen Knecht, erschlagen schließlich seine Frau Lisbeth. Auf dem Höhepunkt seines Rachefeldzugs besucht Kohlhaas Luther persönlich, der sich daraufhin für ein freies Geleit des zur Fahndung Ausgeschriebenen einsetzt.
Der französische Regisseur Arnaud des Pallières hat in seinem "Michael Kohlhaas" nun Kleists komplexes Handlungsgefüge auf ein Minimum reduziert, schafft Räume, in denen sich das Charisma seiner Schauspieler breit entfalten kann: Mads Mikkelsen ist ein so wortkarger wie ausdrucksstarker Kohlhaas, seinen Knecht spielt der "Blechtrommler" David Bennent. Denis Lavant, das alter ego des Extremfilmers Leos Carax, verkörpert Luther.
An den Pferden erkennt man die Haltung
Wie sehr sich wiederum die diversen Kohlhaas-Verfilmungen voneinander unterscheiden, macht anschaulich, wie in ihnen Pferde inszeniert wurden. Volker Schlöndorff montierte 1969 im Vorspann seines "Kohlhaas – Der Rebell" dokumentarische Aufnahmen von Demonstrationen und Straßenschlachten.
Am Ende stürmt berittene, Stöcke schwingende Polizei heran. Ein Beamter jedoch wird von seinem Dienstgaul abgeworfen; er versucht, ihn wieder zu besteigen, vergeblich. Der Machtapparat wird in seiner eigenen Machtlosigkeit vorgeführt.
In Aron Lehmans famoser No-Budget-Satire "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel", der nach wie vor vielerorts in den Kinos läuft, müssen aus Geldnot gleich zu Beginn die stolzen Rappen gegen Ochsen und eine Ziege getauscht werden. Die Überzeugung, dass das Bewusstsein das Sein bestimmen kann, führt hier jeden fanatischen Gerechtigkeitssinn ad absurdum.
Ein Fohlen wird geboren, ein Mann geht unter
Arnaud des Pallières' große Pferde-Szene findet im Stall statt. Die Kamera ist bei der Geburt eines Fohlens dabei, verharrt dezent in einer einzigen Einstellung. Der Raum hallt wieder von dem Stöhnen der Stute. Kohlhaas sitzt im Hintergrund, bereit, das Neugeborene im richtigen Augenblick in die Welt zu ziehen. Das dauert. Nicht so lang, wie eine Geburt, aber länger, als man es sonst im zeitgenössischen Kino zulassen würde.
Des Pallières stilisiert Kohlhaas weder zum Rebellen noch zum widersprüchlichen Helden. Er zeigt ihn als Mann seiner Zeit, wie er der bildungsbürgerlichen Idealvorstellung von heute wohl am nächsten kommt: ein eher in sich gekehrter, schweigsamer starker Typ, eine Eiche im Sturm.
Er liest schon Bücher, weiß aber noch, wo die Tiere herkommen, betrachtet sie nicht als reine Ware. Kurzum: dieser Kohlhaas ist der nicht entfremdete Mann schlechthin, den die Demütigungen durch einen korrupten Machtapparat in die Verzweiflung treiben.
Kleists Stil in kontemplative Ruhe übersetzt
Den genialen Kleistschen Sprachduktus, seinen fast journalistischen, sperrigen Stil übersetzt des Pallières in kontemplative Ruhe, eingerahmt vom strengen Rhythmus der schlichten, zeitlosen Musik des britischen Komponisten Martin Wheeler. Lange dauerte es im 16. Jahrhundert, sich seiner Gewänder zu entledigen, hier schauen wir genauso lange dabei zu. Die Menschen begegnen sich zuweilen nur als Schattenrisse, im Dunkel ihrer Häuser.
Die neu erfundenen Dialoge wagen eine erstaunlich überzeugende Balance zwischen Poesie und Saftigkeit. "Ich würde seine Zartheit aus einem Schweinetrog trinken", verteidigt Lisbeth einmal ihren Mann, als man sie fragt, wie sie es mit diesem schweigsamen Sturkopf nur aushalte.
Schonungslos und recht explizit geht der Film dann den Weg seines Titelhelden in die Gewalt mit. Wie Wände stehen sich die Krieger auf dem Feld einander gegenüber. Ausdruckslos. Arrogant. Selbstgerecht. Spürbar wird, wie so eine Spannungen nach Entladung schreit, wie Kriege entstehen können und Revolutionen.
Derweil verlegt des Pallières so gut wie jede Szene, die sich bei Kleist im urbanen Raum, unter den Augen des Volks zuträgt, in die freie Natur, bezeugt nur von so wenigen Menschen wie nötig. Hier geht es nicht um die Abbildung eines politischen Prozesses, sondern um eine innere Entwicklung. Der Kampf gegen Unrecht kann eben, allem Wahlkampfgetöse zum Trotz, auch eine sehr intime Angelegenheit sein.
Quelle
Gerechtigkeit! Michael Kohlhaas würde es wohl gefallen, wie oft man derzeit im Bundestagswahlkampf nach ihr ruft – wenn auch zunehmend leiser, je mächtiger die Rufenden werden.
Im Wahlprogramm der CDU ist im Durchschnitt einmal alle 21 Seiten von Gerechtigkeit die Rede. Im Programm der Grünen steht Gerechtigkeit auf etwa jeder fünften Seite – genauso oft wie in "Michael Kohlhaas", der Novelle von Heinrich von Kleist, die jetzt von Arnaud des Pallières mit Mads Mikkelsen als Kohlhaas neu verfilmt wurde.
Dass sich Hochschulabsolventen – von denen keine Partei unter ihren Mitgliedern mehr zählt als die Grünen – mit Forderungen nach Gerechtigkeit beim Volk nicht unbedingt beliebt machen, beschrieb Kleist schon vor 200 Jahren. Sein Kohlhaas, der "Sohn eines Schulmeisters", war einer der "rechtschaffensten" aber eben auch "entsetzlichsten Menschen seiner Zeit", den sein "Rechtgefühl" schließlich zum"Räuber und Mörder" machte.
Gerechtigkeitskämpfer können schrecklich sein
Man muss den Gerechtigkeitssuchern von heute nicht unterstellen, dass sie angesichts von erlittenem Unrecht ebenfalls zu Räubern und Mördern würden, um zu sehen, dass die Kluft zwischen gefühltem und gegebenem Recht, zwischen politischem Ideal und Realpolitik nach wie vor Konfliktpotential birgt. Und "Michael Kohlhaas" zu einem höchst aktuellen Stoff macht.
Falls sich jemand an den Deutschunterricht nicht mehr so recht erinnert: Kleist orientierte sich in seiner Novelle an dem historischen Schicksal des Kaufmanns Hans Kohlhase, der im 16. Jahrhundert im heutigen Berlin lebte. Auf dem Weg zur Leipziger Messe wurden zwei seiner Pferde widerrechtlich durch den Junker von Zaschnitz beschlagnahmt.
Kohlhase zog vor Gericht und verlor. Mit einem ausufernden Amoklauf erzwang er die Revision, bekam seine Pferde zurück, aber auch eine Anklage auf Mord und Landfriedensbruch an den Hals.
Kleist gab seinem Helden scharfe Konturen
In seinem 1808 erstmals veröffentlichten "Michael Kohlhaas" gab Kleist seinem Helden schärfere Konturen. Der Händler ist nun auch Familienvater und Anhänger der reformatorischen Ideen Martin Luthers. Er wird nicht nur bürokratisch schikaniert, Handlanger des Junkers verprügeln seinen Knecht, erschlagen schließlich seine Frau Lisbeth. Auf dem Höhepunkt seines Rachefeldzugs besucht Kohlhaas Luther persönlich, der sich daraufhin für ein freies Geleit des zur Fahndung Ausgeschriebenen einsetzt.
Der französische Regisseur Arnaud des Pallières hat in seinem "Michael Kohlhaas" nun Kleists komplexes Handlungsgefüge auf ein Minimum reduziert, schafft Räume, in denen sich das Charisma seiner Schauspieler breit entfalten kann: Mads Mikkelsen ist ein so wortkarger wie ausdrucksstarker Kohlhaas, seinen Knecht spielt der "Blechtrommler" David Bennent. Denis Lavant, das alter ego des Extremfilmers Leos Carax, verkörpert Luther.
An den Pferden erkennt man die Haltung
Wie sehr sich wiederum die diversen Kohlhaas-Verfilmungen voneinander unterscheiden, macht anschaulich, wie in ihnen Pferde inszeniert wurden. Volker Schlöndorff montierte 1969 im Vorspann seines "Kohlhaas – Der Rebell" dokumentarische Aufnahmen von Demonstrationen und Straßenschlachten.
Am Ende stürmt berittene, Stöcke schwingende Polizei heran. Ein Beamter jedoch wird von seinem Dienstgaul abgeworfen; er versucht, ihn wieder zu besteigen, vergeblich. Der Machtapparat wird in seiner eigenen Machtlosigkeit vorgeführt.
In Aron Lehmans famoser No-Budget-Satire "Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel", der nach wie vor vielerorts in den Kinos läuft, müssen aus Geldnot gleich zu Beginn die stolzen Rappen gegen Ochsen und eine Ziege getauscht werden. Die Überzeugung, dass das Bewusstsein das Sein bestimmen kann, führt hier jeden fanatischen Gerechtigkeitssinn ad absurdum.
Ein Fohlen wird geboren, ein Mann geht unter
Arnaud des Pallières' große Pferde-Szene findet im Stall statt. Die Kamera ist bei der Geburt eines Fohlens dabei, verharrt dezent in einer einzigen Einstellung. Der Raum hallt wieder von dem Stöhnen der Stute. Kohlhaas sitzt im Hintergrund, bereit, das Neugeborene im richtigen Augenblick in die Welt zu ziehen. Das dauert. Nicht so lang, wie eine Geburt, aber länger, als man es sonst im zeitgenössischen Kino zulassen würde.
Des Pallières stilisiert Kohlhaas weder zum Rebellen noch zum widersprüchlichen Helden. Er zeigt ihn als Mann seiner Zeit, wie er der bildungsbürgerlichen Idealvorstellung von heute wohl am nächsten kommt: ein eher in sich gekehrter, schweigsamer starker Typ, eine Eiche im Sturm.
Er liest schon Bücher, weiß aber noch, wo die Tiere herkommen, betrachtet sie nicht als reine Ware. Kurzum: dieser Kohlhaas ist der nicht entfremdete Mann schlechthin, den die Demütigungen durch einen korrupten Machtapparat in die Verzweiflung treiben.
Kleists Stil in kontemplative Ruhe übersetzt
Den genialen Kleistschen Sprachduktus, seinen fast journalistischen, sperrigen Stil übersetzt des Pallières in kontemplative Ruhe, eingerahmt vom strengen Rhythmus der schlichten, zeitlosen Musik des britischen Komponisten Martin Wheeler. Lange dauerte es im 16. Jahrhundert, sich seiner Gewänder zu entledigen, hier schauen wir genauso lange dabei zu. Die Menschen begegnen sich zuweilen nur als Schattenrisse, im Dunkel ihrer Häuser.
Die neu erfundenen Dialoge wagen eine erstaunlich überzeugende Balance zwischen Poesie und Saftigkeit. "Ich würde seine Zartheit aus einem Schweinetrog trinken", verteidigt Lisbeth einmal ihren Mann, als man sie fragt, wie sie es mit diesem schweigsamen Sturkopf nur aushalte.
Schonungslos und recht explizit geht der Film dann den Weg seines Titelhelden in die Gewalt mit. Wie Wände stehen sich die Krieger auf dem Feld einander gegenüber. Ausdruckslos. Arrogant. Selbstgerecht. Spürbar wird, wie so eine Spannungen nach Entladung schreit, wie Kriege entstehen können und Revolutionen.
Derweil verlegt des Pallières so gut wie jede Szene, die sich bei Kleist im urbanen Raum, unter den Augen des Volks zuträgt, in die freie Natur, bezeugt nur von so wenigen Menschen wie nötig. Hier geht es nicht um die Abbildung eines politischen Prozesses, sondern um eine innere Entwicklung. Der Kampf gegen Unrecht kann eben, allem Wahlkampfgetöse zum Trotz, auch eine sehr intime Angelegenheit sein.
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