Filmkritik -Wie viel Wahrheit steckt in der DDR-Doku "This Ain't California"?
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Filmkritik -Wie viel Wahrheit steckt in der DDR-Doku "This Ain't California"?
Kann das wahr sein? Da steigt einer in der DDR aufs Skateboard, um sich frei zu fühlen, schlägt mit seinem Brett nach einem Sicherheitsbeamten, wird verhaftet und wieder entlassen, als die DDR sich auflöst, lebt zehn Jahre im vereinten Deutschland sinnlos vor sich hin und geht schließlich als Spätberufener zur Bundeswehr. Er opfert seine Freiheit für die Freiheit anderer, 2010 fällt er am Hindukusch. Das soll man glauben?
Der Dokumentarfilm "This Ain't California" kam vor einem Jahr ins Kino mit der Geschichte des gefallenen Soldaten Denis Panicek, den sie als Skater früher Panik nannten. Auf der Berlinale war der Film als Zeitzeugnis gefeiert worden. Die Deutsche Film- und Medienbewertung in Wiesbaden hatte ihn amtlich anerkannt als Dokumentation und als besonders wertvoll ausgewiesen. Er wurde vom öffentlichen RBB gefördert und betreut. In Cannes, beim Independent Filmfest, wurde Marten Persiel für seine Regiearbeit der Dok Film Award zuerkannt. Dass Persiel Szenen nachgestellt hatte, war kein Geheimnis. Nicht nur in den düsteren Animationssequenzen aus Afghanistan. Auch wenn die Skater auf dem Alexanderplatz den Fernsehturm umkurvten und Spaziergänger erschreckten, war nur den Naivsten nicht bewusst, mit welchem Aufwand Persiel hier das Ostberlin der Achtzigerjahre wiederauferstehen lassen musste. In der Weite seiner öffentlichen Räume und den farbenfrohen Kunstfasern der Garderobe.
Wer damals dabei gewesen war, erkannte das Absurde auch in angeblichen Aufnahmen aus DDR-Archiven: In der "Aktuellen Kamera", den Fernsehnachrichten, ereifert sich der Sprecher über die US-Seuche des Skateboardings, die nach der BRD nun auch die DDR bedrohe: "Unmoral, Skeptizismus und Individualismus!"
Aber sogar Szeneveteranen fiel es schwer, die schwarzweißen Schmalfilmszenen oder Überwachungsvideos der Stasi einzuordnen. Was war Original, und was war Fälschung? Schließlich stellte sich heraus, dass selbst der Rahmen der Geschichte frei erfunden war: Die Bundeswehrbestattung des Rekruten Panicek sowie die Trauerfeier seiner alten Freunde, die sich um ein Lagerfeuer in einer noch nicht vom Immobilienmarkt erschlossenen Industriebrache versammeln. Denis Panicek, den Skater, hat es nie gegeben.
Heute Abend läuft auf Arte "This Ain't California" zum ersten Mal im Fernsehen. Als Dokumentarfilm, den der Sender auch so ankündigt: Der Film "erzählt von einer bisher unbekannten Jugendbewegung, die beweist: Die DDR-Gesellschaft war auch bunt." Der Regisseur hatte schon nach dem Kinostart und ersten Kritiken, in denen Persiel des Betrugs bezichtigt wurde, eingeräumt, gewissermaßen eine Freestyle-Dokumentation gedreht zu haben. Das hätte der Debütant auch schon der Deutschen Filmbewertung sagen können wie den Spendern seines Crowdfundings und auf der Berlinale. Persiel sagte es erst, als bereits von einem Skandal die Rede war: "Wir nennen es eine dokumentarische Erzählung. Wir wollen dem Kinozuschauer ein Gefühlserlebnis vermitteln. Der Film soll über den Bauch funktionieren, nicht über den Kopf." Der Held sei eine Kunstfigur aus etlichen realen Helden, unter ihnen auch ein Kriegsheimkehrer, der allerdings noch am Leben sei. "Gab es überhaupt Skater in der DDR?", fragte ein aufgebrachter Kritiker. "Gab es die DDR?"
Vielleicht hat nie zuvor ein Film die DDR als Freiraum einer Subkultur wahrhaftiger gezeigt als diese Mockumentary oder wie immer Cineasten "This Ain't California" nennen möchten. Er erzählt auch davon, wie die DDR heute betrachtet wird: Als graues Land der Plattenbauten, in dem Kinder keine Kinder sind, sondern die Kampfreserve der Partei, und wie sich diese Kinder bunt frisieren oder Rollen unter Bretter schrauben, um sich frei fühlen zu können wie im Westen. Alle Stasi, außer Mutti. Doch dann bricht der Film alle Klischees sämtlicher Ost-Boheme-Punk-Dokumentationen auf mit seinen Kunstgriffen und zeigt die DDR als genau das, was sie für Lebenskünstler, Punks und Skater eben war, bevor sie unterging. Ein Spielplatz für all diejenigen, die nichts werden und nichts haben wollten. Für Historiker stellt sich die DDR heute je seltsam quellenunkritisch nach Aktenlage dar. Und so sehen dann auch die Dokumentationen aus.
"This Ain't California", Arte, 22.15 Uhr
Quelle
Der Dokumentarfilm "This Ain't California" kam vor einem Jahr ins Kino mit der Geschichte des gefallenen Soldaten Denis Panicek, den sie als Skater früher Panik nannten. Auf der Berlinale war der Film als Zeitzeugnis gefeiert worden. Die Deutsche Film- und Medienbewertung in Wiesbaden hatte ihn amtlich anerkannt als Dokumentation und als besonders wertvoll ausgewiesen. Er wurde vom öffentlichen RBB gefördert und betreut. In Cannes, beim Independent Filmfest, wurde Marten Persiel für seine Regiearbeit der Dok Film Award zuerkannt. Dass Persiel Szenen nachgestellt hatte, war kein Geheimnis. Nicht nur in den düsteren Animationssequenzen aus Afghanistan. Auch wenn die Skater auf dem Alexanderplatz den Fernsehturm umkurvten und Spaziergänger erschreckten, war nur den Naivsten nicht bewusst, mit welchem Aufwand Persiel hier das Ostberlin der Achtzigerjahre wiederauferstehen lassen musste. In der Weite seiner öffentlichen Räume und den farbenfrohen Kunstfasern der Garderobe.
Wer damals dabei gewesen war, erkannte das Absurde auch in angeblichen Aufnahmen aus DDR-Archiven: In der "Aktuellen Kamera", den Fernsehnachrichten, ereifert sich der Sprecher über die US-Seuche des Skateboardings, die nach der BRD nun auch die DDR bedrohe: "Unmoral, Skeptizismus und Individualismus!"
Aber sogar Szeneveteranen fiel es schwer, die schwarzweißen Schmalfilmszenen oder Überwachungsvideos der Stasi einzuordnen. Was war Original, und was war Fälschung? Schließlich stellte sich heraus, dass selbst der Rahmen der Geschichte frei erfunden war: Die Bundeswehrbestattung des Rekruten Panicek sowie die Trauerfeier seiner alten Freunde, die sich um ein Lagerfeuer in einer noch nicht vom Immobilienmarkt erschlossenen Industriebrache versammeln. Denis Panicek, den Skater, hat es nie gegeben.
Heute Abend läuft auf Arte "This Ain't California" zum ersten Mal im Fernsehen. Als Dokumentarfilm, den der Sender auch so ankündigt: Der Film "erzählt von einer bisher unbekannten Jugendbewegung, die beweist: Die DDR-Gesellschaft war auch bunt." Der Regisseur hatte schon nach dem Kinostart und ersten Kritiken, in denen Persiel des Betrugs bezichtigt wurde, eingeräumt, gewissermaßen eine Freestyle-Dokumentation gedreht zu haben. Das hätte der Debütant auch schon der Deutschen Filmbewertung sagen können wie den Spendern seines Crowdfundings und auf der Berlinale. Persiel sagte es erst, als bereits von einem Skandal die Rede war: "Wir nennen es eine dokumentarische Erzählung. Wir wollen dem Kinozuschauer ein Gefühlserlebnis vermitteln. Der Film soll über den Bauch funktionieren, nicht über den Kopf." Der Held sei eine Kunstfigur aus etlichen realen Helden, unter ihnen auch ein Kriegsheimkehrer, der allerdings noch am Leben sei. "Gab es überhaupt Skater in der DDR?", fragte ein aufgebrachter Kritiker. "Gab es die DDR?"
Vielleicht hat nie zuvor ein Film die DDR als Freiraum einer Subkultur wahrhaftiger gezeigt als diese Mockumentary oder wie immer Cineasten "This Ain't California" nennen möchten. Er erzählt auch davon, wie die DDR heute betrachtet wird: Als graues Land der Plattenbauten, in dem Kinder keine Kinder sind, sondern die Kampfreserve der Partei, und wie sich diese Kinder bunt frisieren oder Rollen unter Bretter schrauben, um sich frei fühlen zu können wie im Westen. Alle Stasi, außer Mutti. Doch dann bricht der Film alle Klischees sämtlicher Ost-Boheme-Punk-Dokumentationen auf mit seinen Kunstgriffen und zeigt die DDR als genau das, was sie für Lebenskünstler, Punks und Skater eben war, bevor sie unterging. Ein Spielplatz für all diejenigen, die nichts werden und nichts haben wollten. Für Historiker stellt sich die DDR heute je seltsam quellenunkritisch nach Aktenlage dar. Und so sehen dann auch die Dokumentationen aus.
"This Ain't California", Arte, 22.15 Uhr
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