Walter Schmidinger +
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Walter Schmidinger +
Er konnte drohend klingen wie Märchenkönig, in dem aber stets auch ein bitterer Lear steckte - und saukomisch wie ein Shakespeare’scher Narr, mit einem Einschlag von der Wiener Goss’n. Der Schauspieler Walter Schmidinger war ein vielseitiger Darsteller und ein großer Stimmkünstler. Im Alter von 80 Jahren ist der Österreicher jetzt verstorben.
Manchmal beschleicht einen die Furcht, das Theater könnte verstummen. Nicht, dass es aufhörte zu spielen, verrückte Dinge zu probieren, lichte Sehnsuchtsräume und dunkle Seelenhöhlen zu schaffen – das alles gibt es immer mal wieder und immer noch, wenn auch flache Rationalität und Nüchternheit vorherrschen. Aber es fehlt etwas, das unmittelbar zum Theater gehört, das so selbstverständlich ist, dass man es erst zu vermissen beginnt, wenn es nicht mehr da ist oder im Schwinden begriffen – die Stimme.
Der Schauspieler Sven Lehmann hatte sie. Die Stimme, die durchdringt auf der Bühne, scharf oder zärtlich, unverkennbar. Im April ist er gestorben mit nur 47 Jahren.
Und Otto Sander – was soll man sagen nach all den wunderbaren, tief rührenden Geschichten, die auf seiner Trauerfeier erzählt wurden. Als sie ihn zu Grabe trugen, am Samstag, da wusste die Theaterwelt noch nicht, dass auch Walter Schmidinger nicht mehr lebt, dass er gestorben war in der Nacht zuvor, mit 80 Jahren. Auch Walter Schmidinger war, wie Otto Sander zumal, einer von denen, die das Wort vorausschicken, die Sprache formen – was ist ein Dichter, was ist Dramatik, wenn nicht ein Schauspieler sie immer aufs Neue erschafft!
Jetzt auch Schmidinger. Ja, doch: Eine Generation verstummt. Jutta Lampe hat sich von der Bühne zurückgezogen. Auch das schmerzt. Nicht, dass andere, jüngere Schauspielerinnen und Schauspieler nur Gleichklang erzeugten. Aber wenn man an einem herrlichen Berliner Sonntag aus dem Fenster schaut, in sich hineinhorcht, nach Theatererinnerungen kramend, dann kommt dieser besondere Klang herauf, den Schmidinger hatte. Drohend wie ein Märchenkönig, in dem stets ein bitterer Lear steckte, saukomisch und rotzfrech wie ein Shakespeare’scher Narr – nie ohne einen Einschlag von der Wiener Goss’n. Nestroy lag in seiner Stimme, auch eine Horváth’sche Fatalität. So viele Dramatiker hätten sich bei Schmidinger bedanken können, dass er sie gespielt, ihre Figuren mit Leben gefüllt hat, wenn sie ihn denn hätten hören und erleben können.
Dazu gehört auch Georg Büchner. Am Berliner Ensemble, wo er eine späte Heimat gefunden hatte, spielte Schmidinger in „Leonce und Lena“ den alten König, was sonst. Mit dem Regisseur Robert Wilson hat er sich gut verstanden. Die beiden haben schon an den Münchner Kammerspielen zusammengearbeitet, wo Schmidinger viel gespielt hat – wie auch am Bayerischen Staatsschauspiel, dort hatte er 1972 angeheuert, nach Jahren in Bonn und Düsseldorf.
Robert Wilson fragt stets, „How is Walter?“, wenn er nach Berlin kommt, und das hat eben seinen Grund darin, dass der Amerikaner dieses feine musikalische Ohr besitzt für die Stimmkünstler des Schauspiels. Wie Otto Sander. Wie Walter Schmidinger.
Mitte der Achtziger wechselte der Österreicher nach Berlin, spielte Botho Strauß bei Peter Stein an der Schaubühne und ging schließlich ans Schillertheater, wo er 1993 den Crash miterleben musste, die Schließung und Auflösung des Ensembles. 1994 spielte er in der legendären Produktion des „Weißen Rößl“ in der Bar jeder Vernunft den Kaiser Franz Joseph – gewiss besser als das Original, das an die siebzig Jahre das k.-u.-k.- Imperium regierte. Österreichs Glanz hat ohnehin nur in der Kunst und Literatur weitergelebt und im Theater.
Es würde schon passen, wenn Schmidinger seine letzte Ruhe in der Wiener Kaisergruft fände – auch wenn man mit solchen Dingen nicht scherzen soll. In jenem „Rößl“ trat, daran muss gerade jetzt erinnert werden, übrigens auch Otto Sander auf, als Professor Hinzelmann sang er ein furchtbar traurig’ Wiener Lied, „Erst wann’s aus wird sein“. Ein Kaiser oder König war Schmidinger, aber auch das Kind. Unerziehbar, trotzig, spielverliebt. Und wie streng er sein konnte, ein Donnergott, der aufpassen muss, dass er am Ende nicht über sich selbst lacht.
Zuletzt hat man ihn 2007 bei Peter Steins „Wallenstein“-Marathon in Neukölln gesehen, er sprach den Prolog. Darin fällt der berühmte Satz: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“ Das mag einmal so gewesen sein. Heute wissen wir es besser, Schiller ist widerlegt. Die Nachwelt hat gelernt, dem Schauspieler eine schöne, starke Erinnerung zu bewahren, das ist das Mindeste.
Im Jahr des „Wallenstein“ inszenierte Robert Wilson am Berliner Ensemble die „Dreigroschenoper“. Darin schenkte er Walter Schmidinger einen rauschenden Zweiminutenauftritt als schreitender Bote des Königs, der Macheath im Schlussbild am Galgen begnadigt. Da ragte Schmidinger an der Rampe auf, mit meterlanger purpurroter Schleppe, selbst wieder Herrscher, Bote seiner Kunst. Ein närrischer Regent, ein Zauberkönig! Da sah man ihn, hörte ihn, seine bebende Stimme, in der noch einmal all seine Theaterliebe lag. Da brach am Ende ein Applaus los, wie man ihn lange nicht erlebt hatte. Rüdiger Schaper
Quelle
Manchmal beschleicht einen die Furcht, das Theater könnte verstummen. Nicht, dass es aufhörte zu spielen, verrückte Dinge zu probieren, lichte Sehnsuchtsräume und dunkle Seelenhöhlen zu schaffen – das alles gibt es immer mal wieder und immer noch, wenn auch flache Rationalität und Nüchternheit vorherrschen. Aber es fehlt etwas, das unmittelbar zum Theater gehört, das so selbstverständlich ist, dass man es erst zu vermissen beginnt, wenn es nicht mehr da ist oder im Schwinden begriffen – die Stimme.
Der Schauspieler Sven Lehmann hatte sie. Die Stimme, die durchdringt auf der Bühne, scharf oder zärtlich, unverkennbar. Im April ist er gestorben mit nur 47 Jahren.
Und Otto Sander – was soll man sagen nach all den wunderbaren, tief rührenden Geschichten, die auf seiner Trauerfeier erzählt wurden. Als sie ihn zu Grabe trugen, am Samstag, da wusste die Theaterwelt noch nicht, dass auch Walter Schmidinger nicht mehr lebt, dass er gestorben war in der Nacht zuvor, mit 80 Jahren. Auch Walter Schmidinger war, wie Otto Sander zumal, einer von denen, die das Wort vorausschicken, die Sprache formen – was ist ein Dichter, was ist Dramatik, wenn nicht ein Schauspieler sie immer aufs Neue erschafft!
Jetzt auch Schmidinger. Ja, doch: Eine Generation verstummt. Jutta Lampe hat sich von der Bühne zurückgezogen. Auch das schmerzt. Nicht, dass andere, jüngere Schauspielerinnen und Schauspieler nur Gleichklang erzeugten. Aber wenn man an einem herrlichen Berliner Sonntag aus dem Fenster schaut, in sich hineinhorcht, nach Theatererinnerungen kramend, dann kommt dieser besondere Klang herauf, den Schmidinger hatte. Drohend wie ein Märchenkönig, in dem stets ein bitterer Lear steckte, saukomisch und rotzfrech wie ein Shakespeare’scher Narr – nie ohne einen Einschlag von der Wiener Goss’n. Nestroy lag in seiner Stimme, auch eine Horváth’sche Fatalität. So viele Dramatiker hätten sich bei Schmidinger bedanken können, dass er sie gespielt, ihre Figuren mit Leben gefüllt hat, wenn sie ihn denn hätten hören und erleben können.
Dazu gehört auch Georg Büchner. Am Berliner Ensemble, wo er eine späte Heimat gefunden hatte, spielte Schmidinger in „Leonce und Lena“ den alten König, was sonst. Mit dem Regisseur Robert Wilson hat er sich gut verstanden. Die beiden haben schon an den Münchner Kammerspielen zusammengearbeitet, wo Schmidinger viel gespielt hat – wie auch am Bayerischen Staatsschauspiel, dort hatte er 1972 angeheuert, nach Jahren in Bonn und Düsseldorf.
Robert Wilson fragt stets, „How is Walter?“, wenn er nach Berlin kommt, und das hat eben seinen Grund darin, dass der Amerikaner dieses feine musikalische Ohr besitzt für die Stimmkünstler des Schauspiels. Wie Otto Sander. Wie Walter Schmidinger.
Mitte der Achtziger wechselte der Österreicher nach Berlin, spielte Botho Strauß bei Peter Stein an der Schaubühne und ging schließlich ans Schillertheater, wo er 1993 den Crash miterleben musste, die Schließung und Auflösung des Ensembles. 1994 spielte er in der legendären Produktion des „Weißen Rößl“ in der Bar jeder Vernunft den Kaiser Franz Joseph – gewiss besser als das Original, das an die siebzig Jahre das k.-u.-k.- Imperium regierte. Österreichs Glanz hat ohnehin nur in der Kunst und Literatur weitergelebt und im Theater.
Es würde schon passen, wenn Schmidinger seine letzte Ruhe in der Wiener Kaisergruft fände – auch wenn man mit solchen Dingen nicht scherzen soll. In jenem „Rößl“ trat, daran muss gerade jetzt erinnert werden, übrigens auch Otto Sander auf, als Professor Hinzelmann sang er ein furchtbar traurig’ Wiener Lied, „Erst wann’s aus wird sein“. Ein Kaiser oder König war Schmidinger, aber auch das Kind. Unerziehbar, trotzig, spielverliebt. Und wie streng er sein konnte, ein Donnergott, der aufpassen muss, dass er am Ende nicht über sich selbst lacht.
Zuletzt hat man ihn 2007 bei Peter Steins „Wallenstein“-Marathon in Neukölln gesehen, er sprach den Prolog. Darin fällt der berühmte Satz: „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“ Das mag einmal so gewesen sein. Heute wissen wir es besser, Schiller ist widerlegt. Die Nachwelt hat gelernt, dem Schauspieler eine schöne, starke Erinnerung zu bewahren, das ist das Mindeste.
Im Jahr des „Wallenstein“ inszenierte Robert Wilson am Berliner Ensemble die „Dreigroschenoper“. Darin schenkte er Walter Schmidinger einen rauschenden Zweiminutenauftritt als schreitender Bote des Königs, der Macheath im Schlussbild am Galgen begnadigt. Da ragte Schmidinger an der Rampe auf, mit meterlanger purpurroter Schleppe, selbst wieder Herrscher, Bote seiner Kunst. Ein närrischer Regent, ein Zauberkönig! Da sah man ihn, hörte ihn, seine bebende Stimme, in der noch einmal all seine Theaterliebe lag. Da brach am Ende ein Applaus los, wie man ihn lange nicht erlebt hatte. Rüdiger Schaper
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