Die Chronik des Schomerberges
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Die Chronik des Schomerberges
Unter diesem Namen verfaßte Prof. Johannes Rudert aus Leipzig zu Weihnachten des Jahres 1945 eine Chronik und schilderte sein dortiges Erleben des Kriegsendes. Sie ist ein seltenes historisches Zeugnis zu den Kriegshandlungen in jenem kleinen Stadtteil von Grimma, welcher am rechten Muldenufer liegt und laut alliierter Absprache nicht für die amerikanische Besetzung vorgesehen war. Herrn Prof. Rudert ist es zu verdanken, daß jene Ereignisse von damals einem begrenzten Leserkreis, den Anwohnern des Schomerberges, überliefert wurden.
Eine zusammenfassende Darstellung dieser Chronik soll die Eindrücke jener Zeit vermitteln. Auf die Nennung von Personen wird im wesentlichen verzichtet.
Anfang April 1945. Die Russen erreichen im Osten die Oder, im Süden Bautzen und Wien. Während es im Osten ruhiger wird, rollen die Amerikaner von Westen her in unglaublicher Geschwindigkeit heran. Im Norden überqueren sie bereits in einigen Abschnitten die Elbe. Im Süden sind sie in Thüringen und in Bayern eingedrungen und stehen, unfaßbar für alle, überraschend schnell nordwestlich und südwestlich von Leipzig. Es ist der 12 April 1945. Anstelle der Luftwarnungen und Alarme der vergangenen Tage dröhnt jetzt Geschützdonner zum Schomerberg hinauf. In Grimma werden Lebensmittel für drei Wochen im voraus abgegeben, was zu endlosen Schlangen vor den Geschäften führt. Am 13. und 14. April lassen die Kriegsgeräusche etwas nach, da die Amerikaner kurzzeitig bei Zwenkau auf stärkeren deutschen Widerstand gestoßen sind.
Plötzlich rückt der Schomerberg jedoch in Frontnähe. Es kreisen Schlachtflugzeuge über Grimma. Deutsches Militär strömt mit seinen Fahrzeugen rückwärts über die Muldenbrücke in Richtung Osten. Volkssturm und einige Soldaten sind mit Panzerfäusten in Brückennähe aufgestellt und bereiten die Sprengung der Brücke vor. Nach kurzer Stille plötzlich wieder Geschützdonner, es ist der 15. April 1945. Die Amerikaner haben Großbothen erreicht, im Nimbschner Wald wird gekämpft Gegen 15.30 Uhr ertönt für fünf Minuten eine Panzersirene mit einem langen Heulton. So etwa 17.00 Uhr wird nach verhältnismäßig kurzen Kampf der Westen von Grimma eingenommen. Zirka 18.00 Uhr gibt es eine laute Detonation, die Muldenbrücke wurde gesprengt, was schicksalhafte Folgen für die Anwohner des Ostufers haben wird. Zwischen dem 16. und dem 18. April 1945 rollen amerikanische Panzer durch Grimma-West in Richtung Hohnstädt. Weiße Fahnen wehen! Auf dem Walthersturm stehen amerikanische Beobachter, die in Richtung Gut über die Mulde schauen.
Die Deutschen Soldaten sind jetzt am Unteren Bahnhof und gehen des öfteren durchs Gut. Es wird mit Gewehren und Maschinengewehren von Ost nach West und umgekehrt gefeuert.
Die Schule auf der anderen Seite wird von Amerikanern in Brand geschossen,da angeblich eine Handgranate aus dem Fenster geworfen wurde. Es ist der 19. April 1945. Artilleriebeschuß nahe des Schomergutes. Fast der ganze Berg, das sind mehr als ein halbes Dutzend Familien sowie Dusja haben sich in den Kellerräumen der Gutes niedergelassen. Frau Linicke und die damalige Frau des Pächters mit ihren Kindern sind auch dabei. Am 20. April ist das Artilleriefeuer unberechenbar geworden. Einkaufen in der Leisniger Straße und der Zugang zum Unteren Bahnhof ist nur auf Umwegen möglich. Die Lage auf dem Berge ist nicht besser. Ein Lebensmitteltransport vom Hofe über den Galgenberg zur Leisniger Straße wird wegen des auf der Höhe einsetzenden Beschusses lebensgefährlich. Um die Pferde zu schonen wurden Ochsen eingespannt. Alle Männer von 16 bis 65 Jahren sollen zur Musterung nach Grechwitz. Das Hissen von weißen Fahnen ist unter Androhung des Todes durch den Strang verboten. Beschuß des Birkenwäldchens am Folgetag, starke Rauchsäulen steigen auf. Deutsches Militär und Volkssturm liegen im Wochenendwäldchen. Am Abend schlagen Granaten dort ein. Leuchtspurmunition und Schrapnelle blitzen auf. Sobald das Essenholen einsetzt, wird von drüben geschossen. Abends tauchen plötzlich vom Muldeufer zurückziehende deutsche Soldaten auf, da ausgerechnet unterhalb des Schomerberges die Muldenüberquerung der Amerikaner erfolgte, was damals noch keiner wußte. Schwere Stunden beginnen für die Anwohner des Schomerberges. Um das Gut herum wird gekämpft. Granaten pfeifen, die Einschläge sind dicht am Keller, in dem alle verharren. Pausenlos Maschinengewehr- und Gewehrfeuer sowie Schritte ums Gebäude. Die Kämpfe sind auch aus Richtung Lehmanns Obstgut und dem Wochenendwäldchen zu vernehmen.
Etwa 21.15 Uhr des gleichen Tages betritt plötzlich ein amerikanischer Soldat die Kellertreppe, scheucht alle auf den Gutshof und sofort wieder zurück in den Keller. Die Nacht zum 22. April bleibt unruhig. Die Deutschen Soldaten leisten weiterhin zähen Widerstand und so dauern die Kämpfe an. Einige Häuser der Anwohner werden von Amerikanern besetzt. Eines brennt nach dem Beschuß der Deutschen, löschen ist unmöglich. Der Gutskeller ist der sicherste Ort. Kochen und Melken ist beschwerlich, sobald Artilleriefeuer einsetzt, legen sich alle auf den Boden, eilen in den Vorraum und schnell über den Hof in den Keller. Am Abend wird das Gut zum Schrecken aller von Amerikanern besetzt. In kürzester Zeit werden alle Türen aufgebrochen. Die Anwohner dürfen den Keller nicht verlassen. Alle Zimmer und der Heuboden werden belegt.
Am 23. April wird den Anwohnern gegen 10.00 Uhr befohlen, das Gut umgehend zu verlassen. Ein kleiner trauriger Zug verläßt das Gut, vorbei an gefallenen deutschen Soldaten, in Richtung Muldenbrücke. Das Mittelteil der Brücke ist durch die Sprengung schräg in die Mulde gestürzt und es wurden zwei Leitern angelegt, die nach unten führen. Nach Rücksprache mit dem Kommandanten von Grimma schickt der Brückenposten alle wieder zurück. Der Zug zieht zum großen Lagerraum des Rostschen Speichers am Unteren Bahnhof, wo sich unzählige Menschen benachbarter Häuser und Güter einfinden und im Stroh hausen. Am Morgen des 24. April bauen die Amerikaner Granatwerfer und eine Kanone auf dem Schomerberg auf. Einigen vom Berg wird gestattet, zum Melken und Füttern in das Schomergut zurückzukehren. Im Speicher werden Verordnungen vorgelesen, so darf das Gebäude nur zwischen 7.00 Uhr - 9.00 Uhr und 17.00 Uhr - 19.00 Uhr verlassen werden. Zur Beängstigung aller verlassen am Nachmittag sämtliche amerikanischen Soldaten das Ostufer der Mulde in Minutenschnelle und ziehen sich nach Grimma zurück. Alle im Speicher haben jetzt Angst vor den Russen. Zahlreiche Menschen, die vor den Russen fliehen und etwa tausend italienische Kriegsgefangene strömen aus Richtung Wurzen herbei und wollen die Mulde überqueren, doch die amerikanischen Wachposten lassen keinen rüber. Zwischen Muldenbrücke und Speicher entsteht so ein unheimliches Lagerleben.
Da im Speicher kein Bleiben mehr ist, kehren die Anwohner des Berges am 27. April in das Gut zurück. Das was die Amerikaner hier in kürzester Zeit hinterlassen haben war eine Katastrophe, so ist in jeder Stube das Unterste zu oberst gekehrt. Fertig zubereitete Hühner im Kochtopf zeugen vom raschen Rückzug der Amerikaner.
Die Lage am Unteren Bahnhof wird immer kritischer. Polnische und russische Kriegsgefangene und eine Unmenge von Zwangsarbeitern fast aller Nationen machen bei den Nachbarn im Tal Jagd auf alles Eßbare. So werden zunächst alle greifbaren Hühner, Kaninchen und Enten abgeschlachtet. Als der amerikanische Brückenposten selbst zum Sturm auf die deutschen Wohnungen aufruft, kommt es im Unteren Bahnhof zur Katastrophe. Das Haus wird gestürmt, alle Bewohner werden mit Beilen bedroht und aus dem Haus gejagt. Jegliches Inventar des Hauses wird zerstört, alles Brauchbare gestohlen. Die Angst vor Ausplünderung macht die Lage im Gut so schwer wie noch nie, da es vom Unterem Bahnhof nur ein Katzensprung auf den Berg ist. Die Lage beruhigt sich etwas, als am Abend erstmals amerikanisches Militär eingreift.
Am 29. April begehren 9 Serben und 4 Franzosen Quartier im Gut. Mit den Serben kommt die lang ersehnte Wende. Sie werden zunächst in der Scheune untergebracht und halten alle Plünderer die sich nähern auf gebührenden Abstand und bewahren das Gut und die Umgebung in den nächsten Tagen vor dem Schlimmsten. So kehrt langsam wieder etwas Ordnung im Gut, in der Stube sogar Gemütlichkeit ein. Die Felder werden bestellt und Kartoffeln gelegt. Die Bewohner des Berges helfen mit. Am 3. Mai verlassen die Serben jedoch das Gut und schon am nächsten Tag tauchen plötzlich ca. 15 Italiener mit Stöcken und sogar Waffen ausgestattet auf, die ein Schwein aus dem Stall zerren. Durch den Einsatz aller vom Berge verschonen sie die Mastsau und nehmen nur ein Jungtier mit. Mit Geld sind sie großzügig.
Obwohl die Amerikaner einige über die Brücke gelassen haben, nimmt die Stauung von Menschen am Muldeufer dramatisch zu. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter belagern vom Steinbruch bis hinauf zur Leisniger Straße das Muldeufer. Überall brennen Lagerfeuer, Holz bricht und Hacken ertönt, ein Zaun nach dem anderen wandert in das Feuer. Die Plünderungen dehnen sich auf die umliegenden Dörfer aus. Das erbeutete Vieh wird mit großem Gebrüll abgestochen. Bewaffnete Gruppen schießen auf den Feldern und im Wald nach Wild.
Die Wege vom Gut in Richtung Döben, Grechwitz, in die Leisniger Straße und durch die Schluppe zum Unteren Bahnhof sind wegen der anhaltenden Belagerung mit Gefahren verbunden, so daß die Bewohner des Berges nur in Gruppen aufbrechen. Der Gang zum Unteren Bahnhof erweist sich als die einzige Möglichkeit eine Verbindung zum anderen Ufer herzustellen. Manch einer sieht drüben seine Frau stehen und kann nur ein paar Worte hinüber rufen. Obwohl die Amerikaner jeden wieder wegtreiben und Warnschüsse ins Wasser feuern, finden diese eigenartige Muldengespräche den ganzen Tag statt. Am 5. Mai erscheint plötzlich ein Franzose auf dem Gut, der sich in Wurzen einen Zahn ziehen lassen hat und berichtet, daß die Russen Wurzen besetzt haben. Alle Hoffnungen unbesetzt zu bleiben schwinden nun schlagartig.
Am 7. Mai 1945, einen Tag vor Kriegsende, betreten die ersten russischen Soldaten das Schomergut. Dank Dusja ist es möglich, mit den Russen zu verhandeln. Ein Holländer, der auf Italiener geschossen hat, um das Gut vor Plünderung zu schützen, wurde von diesen angezeigt Die Russen erweisen sich als verständnisvoll und hilfsbereit, erlauben dem Holländer weiterhin den Besitz der Waffe, helfen einer Bewohnerin beim Holen von Sachen aus ihrer Wohnung und fragen des öfteren nach, ob geplündert worden sei. Leider verläßt Dusja das Gut am gleichen Tag und fährt mit dem Fahrrad zurück in die Heimat.
Das Geschäft mit dem Überqueren der Mulde boomt. Zu unerhörten Preisen werden in Dorna Flüchtlinge übergesetzt. Aber es gibt auch noch hilfsbereite Menschen aus der Loreley, die unermüdlich die Mulde überqueren, um Flüchtlingen zu helfen.
Am 11. Mai 1945 wird das Gut von 18 Russen belegt, die 28 Pferde mitbringen. Die Russen werden in vier Räumen des Wohngebäudes untergebracht und von der Gutspächterin bekocht. Die Pferde kommen in die Scheune, die zuvor von sämtlichen Geräten geräumt werden mußte. Am nächsten Tag kehrt Georg, der junge Serbe zurück und stellt die Verbindung zu den Russen her, so daß die Besatzungszeit ohne Zwischenfälle vorübergeht. Feldbestellung ist jedoch nicht möglich, da ein "Anspanner" fehlt.
Am 13. Mai 1945 verschwinden endlich die Italiener. Der neue Bürgermeister, Herr Hofmann, organisiert die Aufräumarbeiten am rechten Muldeufer. Alles ist in schrecklicher Unordnung. Die ersten Züge rollen wieder am Unteren Bahnhof und befördern ehemalige Zwangsarbeiter in Richtung Wurzen. In kindlicher Freude, von russischen Offizieren selbst ausgelöst, ertönt des öfteren ein langer Lokomotivenpfiff durchs Muldental. Es ist der 15. Mai 1945, als der lang ersehnte und mit Spannung erwartete Verbindungssteg über die gesprengte Brücke fertig wird. Die Flußüberquerung bei Dorna war von mal zu mal gefährlicher geworden, so daß die Ruderts und die anderen Leipziger hofften, nun einfacher auf die andere Seite zu gelangen. Diese Hoffnung war jedoch vergebens, da der Verbindungssteg nur für Zwangsarbeiter, jedoch nicht für deutsche Zivilisten bestimmt zu seien schien. Nur einige Auserwählte, wie der Bürgermeister Hofmann und sein Dolmetscher durften zunächst passieren. Oft hingen an ihnen wie ein Kometenschweif deutsche Zivilisten, die unter mehr oder weniger heftigen Protest der Wachmannschaften über die menschenleere Brücke zogen. Erstaunlich viele "Kranke" überquerten die Brücke, um zur Behandlung nach Grimma zu gelangen und von dort jedoch nie zurückkehrten. Passierscheine werden jetzt zu jeder Tageszeit im Büro des Bürgermeisters ausgegeben.
Nach zweiwöchiger Belagerung verlassen am 25. Mai 1945 die Russen das Schomergut. Das Gut bleibt noch lange von deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen überfüllt. Viele Frauen mit Kindern aus dem Sudetenland erzählen schreckliches von ihrer Vertreibung aus der Heimat. KZ-Häftlinge und Rheinländer bitten um Rast und Essen. Kranke sind auch dabei, so das Krankheiten grassieren. In Döben zieht für lange Zeit der Typhus ein. Die ganze Gegend leidet unter dieser wochenlangen Massenbelagerung, wobei die Lebensmittelvorräte aufgebraucht werden. Der ganze Monat Juni steht noch im Zeichen der gesperrten Mulde. Alle fragen sich, ob dieser Fluß die Grenze der russischen Besatzungszone bleibt. Flüchtlinge werden wieder ins Hinterland getrieben, so daß es vorübergehend stiller wird und sogar die Hütten im Wochenendwäldchen leerer werden. Russen und ehemalige Zwangsarbeiter sammeln dort Beeren, es ist Sommer.
Eines Tages wehen in Grimma-West rote Fahnen. Die Russen besetzen am 2. Juli 1945 Leipzig und sind weit nach Westen vorgedrungen. Über die Brücke zu gelangen ist den ganzen Monat noch schwierig. Muldenabwärts wird eine neue Holzbrücke gebaut. Anfangs finden noch Kontrollen statt. Später ist nur noch ein russischer und ein deutscher Wachposten präsent. Im Dezember 1945 wird auf der Brücke nur noch ein deutscher Polizist sein. Im August 1945 normalisiert sich das Leben in Grimma wieder. Die Brücke ist frei, die Russen räumen die rechte Uferseite und sind nur noch ganz selten zu sehen. Auf der anderen Seite sollen hingegen bis zu 4000 Russen stationiert sein.
Mit dem Brückenfest in der "Villa Jagemann" am 1. September 1945 endet die Chronik des Professor Rudert. Er schreibt abschließend: "Wir lassen" zu diesem Feste "alle Schicksale dieser Monate noch einmal vor uns erstehen und fühlen, wie dies alles uns untereinander und mit unserem Stück Erde am Schomerberg verbunden hat. Durch alle Gefahren sind wir wohlbehalten hindurch gekommen. Dies darf uns mit Hoffnung und Zuversicht erfüllen in unserer auch weiterhin so überaus schweren Zeit."
Quelle
Eine zusammenfassende Darstellung dieser Chronik soll die Eindrücke jener Zeit vermitteln. Auf die Nennung von Personen wird im wesentlichen verzichtet.
Anfang April 1945. Die Russen erreichen im Osten die Oder, im Süden Bautzen und Wien. Während es im Osten ruhiger wird, rollen die Amerikaner von Westen her in unglaublicher Geschwindigkeit heran. Im Norden überqueren sie bereits in einigen Abschnitten die Elbe. Im Süden sind sie in Thüringen und in Bayern eingedrungen und stehen, unfaßbar für alle, überraschend schnell nordwestlich und südwestlich von Leipzig. Es ist der 12 April 1945. Anstelle der Luftwarnungen und Alarme der vergangenen Tage dröhnt jetzt Geschützdonner zum Schomerberg hinauf. In Grimma werden Lebensmittel für drei Wochen im voraus abgegeben, was zu endlosen Schlangen vor den Geschäften führt. Am 13. und 14. April lassen die Kriegsgeräusche etwas nach, da die Amerikaner kurzzeitig bei Zwenkau auf stärkeren deutschen Widerstand gestoßen sind.
Plötzlich rückt der Schomerberg jedoch in Frontnähe. Es kreisen Schlachtflugzeuge über Grimma. Deutsches Militär strömt mit seinen Fahrzeugen rückwärts über die Muldenbrücke in Richtung Osten. Volkssturm und einige Soldaten sind mit Panzerfäusten in Brückennähe aufgestellt und bereiten die Sprengung der Brücke vor. Nach kurzer Stille plötzlich wieder Geschützdonner, es ist der 15. April 1945. Die Amerikaner haben Großbothen erreicht, im Nimbschner Wald wird gekämpft Gegen 15.30 Uhr ertönt für fünf Minuten eine Panzersirene mit einem langen Heulton. So etwa 17.00 Uhr wird nach verhältnismäßig kurzen Kampf der Westen von Grimma eingenommen. Zirka 18.00 Uhr gibt es eine laute Detonation, die Muldenbrücke wurde gesprengt, was schicksalhafte Folgen für die Anwohner des Ostufers haben wird. Zwischen dem 16. und dem 18. April 1945 rollen amerikanische Panzer durch Grimma-West in Richtung Hohnstädt. Weiße Fahnen wehen! Auf dem Walthersturm stehen amerikanische Beobachter, die in Richtung Gut über die Mulde schauen.
Die Deutschen Soldaten sind jetzt am Unteren Bahnhof und gehen des öfteren durchs Gut. Es wird mit Gewehren und Maschinengewehren von Ost nach West und umgekehrt gefeuert.
Die Schule auf der anderen Seite wird von Amerikanern in Brand geschossen,da angeblich eine Handgranate aus dem Fenster geworfen wurde. Es ist der 19. April 1945. Artilleriebeschuß nahe des Schomergutes. Fast der ganze Berg, das sind mehr als ein halbes Dutzend Familien sowie Dusja haben sich in den Kellerräumen der Gutes niedergelassen. Frau Linicke und die damalige Frau des Pächters mit ihren Kindern sind auch dabei. Am 20. April ist das Artilleriefeuer unberechenbar geworden. Einkaufen in der Leisniger Straße und der Zugang zum Unteren Bahnhof ist nur auf Umwegen möglich. Die Lage auf dem Berge ist nicht besser. Ein Lebensmitteltransport vom Hofe über den Galgenberg zur Leisniger Straße wird wegen des auf der Höhe einsetzenden Beschusses lebensgefährlich. Um die Pferde zu schonen wurden Ochsen eingespannt. Alle Männer von 16 bis 65 Jahren sollen zur Musterung nach Grechwitz. Das Hissen von weißen Fahnen ist unter Androhung des Todes durch den Strang verboten. Beschuß des Birkenwäldchens am Folgetag, starke Rauchsäulen steigen auf. Deutsches Militär und Volkssturm liegen im Wochenendwäldchen. Am Abend schlagen Granaten dort ein. Leuchtspurmunition und Schrapnelle blitzen auf. Sobald das Essenholen einsetzt, wird von drüben geschossen. Abends tauchen plötzlich vom Muldeufer zurückziehende deutsche Soldaten auf, da ausgerechnet unterhalb des Schomerberges die Muldenüberquerung der Amerikaner erfolgte, was damals noch keiner wußte. Schwere Stunden beginnen für die Anwohner des Schomerberges. Um das Gut herum wird gekämpft. Granaten pfeifen, die Einschläge sind dicht am Keller, in dem alle verharren. Pausenlos Maschinengewehr- und Gewehrfeuer sowie Schritte ums Gebäude. Die Kämpfe sind auch aus Richtung Lehmanns Obstgut und dem Wochenendwäldchen zu vernehmen.
Etwa 21.15 Uhr des gleichen Tages betritt plötzlich ein amerikanischer Soldat die Kellertreppe, scheucht alle auf den Gutshof und sofort wieder zurück in den Keller. Die Nacht zum 22. April bleibt unruhig. Die Deutschen Soldaten leisten weiterhin zähen Widerstand und so dauern die Kämpfe an. Einige Häuser der Anwohner werden von Amerikanern besetzt. Eines brennt nach dem Beschuß der Deutschen, löschen ist unmöglich. Der Gutskeller ist der sicherste Ort. Kochen und Melken ist beschwerlich, sobald Artilleriefeuer einsetzt, legen sich alle auf den Boden, eilen in den Vorraum und schnell über den Hof in den Keller. Am Abend wird das Gut zum Schrecken aller von Amerikanern besetzt. In kürzester Zeit werden alle Türen aufgebrochen. Die Anwohner dürfen den Keller nicht verlassen. Alle Zimmer und der Heuboden werden belegt.
Am 23. April wird den Anwohnern gegen 10.00 Uhr befohlen, das Gut umgehend zu verlassen. Ein kleiner trauriger Zug verläßt das Gut, vorbei an gefallenen deutschen Soldaten, in Richtung Muldenbrücke. Das Mittelteil der Brücke ist durch die Sprengung schräg in die Mulde gestürzt und es wurden zwei Leitern angelegt, die nach unten führen. Nach Rücksprache mit dem Kommandanten von Grimma schickt der Brückenposten alle wieder zurück. Der Zug zieht zum großen Lagerraum des Rostschen Speichers am Unteren Bahnhof, wo sich unzählige Menschen benachbarter Häuser und Güter einfinden und im Stroh hausen. Am Morgen des 24. April bauen die Amerikaner Granatwerfer und eine Kanone auf dem Schomerberg auf. Einigen vom Berg wird gestattet, zum Melken und Füttern in das Schomergut zurückzukehren. Im Speicher werden Verordnungen vorgelesen, so darf das Gebäude nur zwischen 7.00 Uhr - 9.00 Uhr und 17.00 Uhr - 19.00 Uhr verlassen werden. Zur Beängstigung aller verlassen am Nachmittag sämtliche amerikanischen Soldaten das Ostufer der Mulde in Minutenschnelle und ziehen sich nach Grimma zurück. Alle im Speicher haben jetzt Angst vor den Russen. Zahlreiche Menschen, die vor den Russen fliehen und etwa tausend italienische Kriegsgefangene strömen aus Richtung Wurzen herbei und wollen die Mulde überqueren, doch die amerikanischen Wachposten lassen keinen rüber. Zwischen Muldenbrücke und Speicher entsteht so ein unheimliches Lagerleben.
Da im Speicher kein Bleiben mehr ist, kehren die Anwohner des Berges am 27. April in das Gut zurück. Das was die Amerikaner hier in kürzester Zeit hinterlassen haben war eine Katastrophe, so ist in jeder Stube das Unterste zu oberst gekehrt. Fertig zubereitete Hühner im Kochtopf zeugen vom raschen Rückzug der Amerikaner.
Die Lage am Unteren Bahnhof wird immer kritischer. Polnische und russische Kriegsgefangene und eine Unmenge von Zwangsarbeitern fast aller Nationen machen bei den Nachbarn im Tal Jagd auf alles Eßbare. So werden zunächst alle greifbaren Hühner, Kaninchen und Enten abgeschlachtet. Als der amerikanische Brückenposten selbst zum Sturm auf die deutschen Wohnungen aufruft, kommt es im Unteren Bahnhof zur Katastrophe. Das Haus wird gestürmt, alle Bewohner werden mit Beilen bedroht und aus dem Haus gejagt. Jegliches Inventar des Hauses wird zerstört, alles Brauchbare gestohlen. Die Angst vor Ausplünderung macht die Lage im Gut so schwer wie noch nie, da es vom Unterem Bahnhof nur ein Katzensprung auf den Berg ist. Die Lage beruhigt sich etwas, als am Abend erstmals amerikanisches Militär eingreift.
Am 29. April begehren 9 Serben und 4 Franzosen Quartier im Gut. Mit den Serben kommt die lang ersehnte Wende. Sie werden zunächst in der Scheune untergebracht und halten alle Plünderer die sich nähern auf gebührenden Abstand und bewahren das Gut und die Umgebung in den nächsten Tagen vor dem Schlimmsten. So kehrt langsam wieder etwas Ordnung im Gut, in der Stube sogar Gemütlichkeit ein. Die Felder werden bestellt und Kartoffeln gelegt. Die Bewohner des Berges helfen mit. Am 3. Mai verlassen die Serben jedoch das Gut und schon am nächsten Tag tauchen plötzlich ca. 15 Italiener mit Stöcken und sogar Waffen ausgestattet auf, die ein Schwein aus dem Stall zerren. Durch den Einsatz aller vom Berge verschonen sie die Mastsau und nehmen nur ein Jungtier mit. Mit Geld sind sie großzügig.
Obwohl die Amerikaner einige über die Brücke gelassen haben, nimmt die Stauung von Menschen am Muldeufer dramatisch zu. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter belagern vom Steinbruch bis hinauf zur Leisniger Straße das Muldeufer. Überall brennen Lagerfeuer, Holz bricht und Hacken ertönt, ein Zaun nach dem anderen wandert in das Feuer. Die Plünderungen dehnen sich auf die umliegenden Dörfer aus. Das erbeutete Vieh wird mit großem Gebrüll abgestochen. Bewaffnete Gruppen schießen auf den Feldern und im Wald nach Wild.
Die Wege vom Gut in Richtung Döben, Grechwitz, in die Leisniger Straße und durch die Schluppe zum Unteren Bahnhof sind wegen der anhaltenden Belagerung mit Gefahren verbunden, so daß die Bewohner des Berges nur in Gruppen aufbrechen. Der Gang zum Unteren Bahnhof erweist sich als die einzige Möglichkeit eine Verbindung zum anderen Ufer herzustellen. Manch einer sieht drüben seine Frau stehen und kann nur ein paar Worte hinüber rufen. Obwohl die Amerikaner jeden wieder wegtreiben und Warnschüsse ins Wasser feuern, finden diese eigenartige Muldengespräche den ganzen Tag statt. Am 5. Mai erscheint plötzlich ein Franzose auf dem Gut, der sich in Wurzen einen Zahn ziehen lassen hat und berichtet, daß die Russen Wurzen besetzt haben. Alle Hoffnungen unbesetzt zu bleiben schwinden nun schlagartig.
Am 7. Mai 1945, einen Tag vor Kriegsende, betreten die ersten russischen Soldaten das Schomergut. Dank Dusja ist es möglich, mit den Russen zu verhandeln. Ein Holländer, der auf Italiener geschossen hat, um das Gut vor Plünderung zu schützen, wurde von diesen angezeigt Die Russen erweisen sich als verständnisvoll und hilfsbereit, erlauben dem Holländer weiterhin den Besitz der Waffe, helfen einer Bewohnerin beim Holen von Sachen aus ihrer Wohnung und fragen des öfteren nach, ob geplündert worden sei. Leider verläßt Dusja das Gut am gleichen Tag und fährt mit dem Fahrrad zurück in die Heimat.
Das Geschäft mit dem Überqueren der Mulde boomt. Zu unerhörten Preisen werden in Dorna Flüchtlinge übergesetzt. Aber es gibt auch noch hilfsbereite Menschen aus der Loreley, die unermüdlich die Mulde überqueren, um Flüchtlingen zu helfen.
Am 11. Mai 1945 wird das Gut von 18 Russen belegt, die 28 Pferde mitbringen. Die Russen werden in vier Räumen des Wohngebäudes untergebracht und von der Gutspächterin bekocht. Die Pferde kommen in die Scheune, die zuvor von sämtlichen Geräten geräumt werden mußte. Am nächsten Tag kehrt Georg, der junge Serbe zurück und stellt die Verbindung zu den Russen her, so daß die Besatzungszeit ohne Zwischenfälle vorübergeht. Feldbestellung ist jedoch nicht möglich, da ein "Anspanner" fehlt.
Am 13. Mai 1945 verschwinden endlich die Italiener. Der neue Bürgermeister, Herr Hofmann, organisiert die Aufräumarbeiten am rechten Muldeufer. Alles ist in schrecklicher Unordnung. Die ersten Züge rollen wieder am Unteren Bahnhof und befördern ehemalige Zwangsarbeiter in Richtung Wurzen. In kindlicher Freude, von russischen Offizieren selbst ausgelöst, ertönt des öfteren ein langer Lokomotivenpfiff durchs Muldental. Es ist der 15. Mai 1945, als der lang ersehnte und mit Spannung erwartete Verbindungssteg über die gesprengte Brücke fertig wird. Die Flußüberquerung bei Dorna war von mal zu mal gefährlicher geworden, so daß die Ruderts und die anderen Leipziger hofften, nun einfacher auf die andere Seite zu gelangen. Diese Hoffnung war jedoch vergebens, da der Verbindungssteg nur für Zwangsarbeiter, jedoch nicht für deutsche Zivilisten bestimmt zu seien schien. Nur einige Auserwählte, wie der Bürgermeister Hofmann und sein Dolmetscher durften zunächst passieren. Oft hingen an ihnen wie ein Kometenschweif deutsche Zivilisten, die unter mehr oder weniger heftigen Protest der Wachmannschaften über die menschenleere Brücke zogen. Erstaunlich viele "Kranke" überquerten die Brücke, um zur Behandlung nach Grimma zu gelangen und von dort jedoch nie zurückkehrten. Passierscheine werden jetzt zu jeder Tageszeit im Büro des Bürgermeisters ausgegeben.
Nach zweiwöchiger Belagerung verlassen am 25. Mai 1945 die Russen das Schomergut. Das Gut bleibt noch lange von deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen überfüllt. Viele Frauen mit Kindern aus dem Sudetenland erzählen schreckliches von ihrer Vertreibung aus der Heimat. KZ-Häftlinge und Rheinländer bitten um Rast und Essen. Kranke sind auch dabei, so das Krankheiten grassieren. In Döben zieht für lange Zeit der Typhus ein. Die ganze Gegend leidet unter dieser wochenlangen Massenbelagerung, wobei die Lebensmittelvorräte aufgebraucht werden. Der ganze Monat Juni steht noch im Zeichen der gesperrten Mulde. Alle fragen sich, ob dieser Fluß die Grenze der russischen Besatzungszone bleibt. Flüchtlinge werden wieder ins Hinterland getrieben, so daß es vorübergehend stiller wird und sogar die Hütten im Wochenendwäldchen leerer werden. Russen und ehemalige Zwangsarbeiter sammeln dort Beeren, es ist Sommer.
Eines Tages wehen in Grimma-West rote Fahnen. Die Russen besetzen am 2. Juli 1945 Leipzig und sind weit nach Westen vorgedrungen. Über die Brücke zu gelangen ist den ganzen Monat noch schwierig. Muldenabwärts wird eine neue Holzbrücke gebaut. Anfangs finden noch Kontrollen statt. Später ist nur noch ein russischer und ein deutscher Wachposten präsent. Im Dezember 1945 wird auf der Brücke nur noch ein deutscher Polizist sein. Im August 1945 normalisiert sich das Leben in Grimma wieder. Die Brücke ist frei, die Russen räumen die rechte Uferseite und sind nur noch ganz selten zu sehen. Auf der anderen Seite sollen hingegen bis zu 4000 Russen stationiert sein.
Mit dem Brückenfest in der "Villa Jagemann" am 1. September 1945 endet die Chronik des Professor Rudert. Er schreibt abschließend: "Wir lassen" zu diesem Feste "alle Schicksale dieser Monate noch einmal vor uns erstehen und fühlen, wie dies alles uns untereinander und mit unserem Stück Erde am Schomerberg verbunden hat. Durch alle Gefahren sind wir wohlbehalten hindurch gekommen. Dies darf uns mit Hoffnung und Zuversicht erfüllen in unserer auch weiterhin so überaus schweren Zeit."
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