Die Kabbala
Seite 1 von 1
Die Kabbala
Die Kabbala (auch Kabbalah) ist eine mystische Tradition des Judentums. Sie steht in einer jahrhundertelangen mündlichen Überlieferung, deren Wurzeln sich im Tanach, der Heiligen Schrift des Judentums, finden.
Mann, der einen Baum mit den zehn Sephiroth hält – Abbildung aus dem Buch Portae Lucis (‚Die Pforten des Lichts‘) (lateinische Übersetzung des Werkes Scha’arej ora von Josef ben Abraham Gikatilla (1248–1305) durch Paul Riccius (Augsburg, 1516))
Die Basis kabbalistischer Traditionen ist die Suche des Menschen nach der Erfahrung einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Es gibt verschiedene kabbalistische Schriften und Schulen, aber keine Dogmatik oder abprüfbaren Lehrinhalt, also keine allgemeingültige kabbalistische Lehre.
Des Weiteren gibt es eine reichhaltige schriftliche Überlieferung zum Teil gegensätzlicher kabbalistischer Strömungen (beispielsweise die ekstatische und die theosophische Richtung in der älteren Kabbala). Als bedeutendstes Schriftwerk der Kabbala gilt der Zohar, ein pseudepigraphisches Werk aus der theosophischen Richtung der älteren Kabbala.
Die schriftliche Überlieferung und Produktion der Kabbala enthält auch gnostische, neuplatonische und christliche Elemente. Seit Pico della Mirandola (15. Jahrhundert) wird die Kabbala auch in nichtjüdischen Kreisen fortgeführt (vgl. Christliche Kabbala, Hermetische Kabbala).
Die Bezeichnung Kabbala (hebr. קבלה) geht auf den hebräischen Wortstamm q-b-l zurück und bedeutet ‚Überlieferung‘, ‚Übernahme‘ und ‚Weiterleitung‘. Ursprünglich konnte das Wort Kabbala allgemein jegliche Überlieferung bezeichnen, insbesondere aber die Offenbarung der Tora an Mose am Sinai. So beginnen die Sprüche der Väter aus der Mischna: „Mose empfing (q-b-l) die Tora am Sinai und überlieferte sie …“
Ab dem Mittelalter wird diese Bezeichnung „für eine bestimmte spekulative Richtung und eine mit ihr verbundene Frömmigkeitsform des Judentums“ verwandt.[1] Im Hauptteil des Zohar wird das Wort Kabbala nicht verwendet, erscheint aber in späteren Teilen wie Ra'aya Meheimna und dem Sefer ha-Tiqunim.
Ab dem Beginn des 14. Jahrhunderts setzte sich die Bezeichnung Kabbala gegenüber anderen damals gebräuchlichen Begriffen, die Ähnliches bedeuteten, durch.[2]
Baum der Sephiroth
Entsprechungen von Oben und Unten: Nach kabbalistischer Ansicht hat Gott alles, was er im Universum geschaffen hat, auch am Menschen geschaffen. Hieraus ergibt sich ein Weltbild der wechselseitigen Entsprechungen von Oben und Unten. Hierin wird der kabbalistische Grundgedanke von Mikro- und Makrokosmos deutlich. Die ganze „untere“ Welt wurde demnach nach dem Vorbild der „oberen“ gemacht und jeder Mensch an sich ist ein Universum im Kleinen. Der körperlichen Gestalt des Menschen kommt hierbei eine universelle Bedeutung zu, denn Gott selbst wird in der Tradition der jüdischen Mystik mit letzter Konsequenz anthropomorph gedacht. Die Vollkommenheit des göttlichen Makrokosmos personifiziert sich hierbei im Menschen, welcher als Mikrokosmos zwar unvollkommen, aber dennoch ein Abbild des himmlischen Urmenschen Adam Qadmon darstellt. Gott als das Grenzenlose und Ewige benötigt das von ihm geschaffene Mittlerwesen des Menschen, um durch die 'zehn geistigen Kräfte' (Sephiroth) seine göttliche Allmacht wirken zu lassen.
Der Weltenbaum: Die zehn Sephiroth sind die göttlichen Urpotenzen, welche in der Form des kabbalistischen Weltenbaumes alle Ebenen des Seins durchragen. Dieser Weltenbaum mit dem darin verbundenen Menschen stellt den verkörperten Organismus des Universums dar. Diese elementare Verflechtung des Menschen in ein göttliches Universalsystem verdeutlicht nach kabbalistischer Ansicht auch das gegenseitige Beeinflussungspotential der göttlichen und der menschlichen Ebene. – Der Mensch steht unter dem ganzheitlichen Einfluss universaler Kräfte, kann diese aber seinerseits beeinflussen. Beispielhaft hierfür ist die kabbalistische Wortmagie, in welcher das Aussprechen von Worten eine unmittelbare Einflussnahme auf das damit Bezeichnete nach sich ziehen soll.
Überwindung des gewohnten Alltags-Ich: Wie häufiger in der Mystik geht es dabei um den bewussten und selbst gesteuerten Übergang in eine Ekstase, also um einen Weg, über das gewohnte Alltags-Ich hinauszugehen, dessen Beschränkungen zu transzendieren. Dazu gibt es verschiedene Techniken, die sich als Geheimlehren, die studiert und erfahren werden, überliefern. Diese initiatische Erfahrung vermittelte sich anfänglich in einer zunächst rein mündlichen, später schriftlichen Überlieferung. In der Kabbala wird auch heute noch die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler als wesentlich gesehen. Kabbalistische Erfahrung soll die Grenze zwischen Subjekt und Objekt aufheben können. Ein Kabbalist durchbricht demnach eine Mauer „härter als ein Diamant“ und erfährt die All-Einheit.
Stufen der Weisheit: Nach jüdischer Tradition gelangten nur vier Weise zu Lebzeiten ins Paradies und von diesen kehrte allein Rabbi Akiba unversehrt zurück. Den meisten gelingen nur ein paar Tritte auf der Himmelsleiter oder das Öffnen einiger weniger Tore. Jedoch behalten, so die kabbalistische Lehre, alle Suchenden und Lernenden ihre besonderen erlangten Fähigkeiten und sollen sie nach außerbiblischer Tradition sogar vererben können (deuterokanonisches Buch Jesus Sirach 4,16). So soll der Segen – Bəracha ברכה entstehen.
Theoretische Kabbala und Praktische Kabbala: Um Missbrauch der Kräfte zu verhindern, die man in der Beschäftigung mit der Kabbala erlangen kann, werden Schüler vor ihrer Aufnahme geprüft. Um „Würdige“ von „Unwürdigen“ zu trennen, hat man die Kabbala in eine theoretische (קבלה עיונית qabālā ʕīyūnit) und eine praktische (קבלה מעשית qabālā maʕăśīt) unterteilt, wobei erstere das Lehrsystem darstellt, und letztere magische und mantische Praktiken umfasst, wie Amulettwesen, Loswerfen etc.
Die Träger der kabbalistischen Überlieferungen werden Baʕaleh Haqabalā (בעלה הקבלה) oder Məqūballīm (מקובלים) genannt. In Məqūballīm schwingt die Bedeutung „von Gott aufgenommen“ mit.
Ältere Kabbalisten trugen unspezifische und blumige Namen wie Kenner der Gnadenschönheit (יודעי חן yōdəʕēy ḥēn) oder einfach Wissende (יודעים yōdəʕīm), eine Bezeichnung, die auf Nachmanides zurückgeht, Vernunftbegabte (משכלים miśkālīm) und Weise des Herzens (חכמי הלב ḥāchmēy halēv). Das Objekt ihrer Bemühungen war (חכמה ניסתרה ḥåchmā nīstarā) die verborgene Weisheit.
Geschichte der Kabbala
Vorkabbalistische Zeit
Gegen Ende der talmudischen Zeit entstand in der Tradition vorhandener Text-„Komplexe kosmologischen und sprach-spekulativen Charakters“[3] das vorkabbalistische Sefer Jetzira, welches die Lehre der Sephiroth (Sphären, Ziffern) entwirft. Diese Lehre entspricht noch nicht ganz dem späteren kabbalistischen Verständnis, wird aber unter Kabbalisten entsprechend gedeutet.[4] Die Entstehungs- und frühe Wirkungsgeschichte des Sefer Jetzira ist noch nicht sicher erforscht. Der Text blieb „nicht selbstständig, sondern so gut wie nur im Zusammenhang mit Kommentaren erhalten“.[5]
Entwicklung im 12. Jahrhundert
Die Anfänge der Kabbala liegen in Südfrankreich, wo Geheimlehren angeblich ältester Tradition aufgezeichnet wurden; die Autoren nannten sich meqûbballîm ‚Empfänger‘, ‚Angenommene‘. Sie führten ihre Inhalte auf die Weisheit Adams zurück. Diese seien durch Auserwählte weitergegeben worden; tatsächlich basierten sie auf einer „(zumeist populär-) neuplatonische[n] Sicht der Welt und des Menschen“, wobei die Stellung auf ein neuplatonisches Weltbild wohl oft unbewusst geschah.[6] Zur Bekräftigung der Behauptung, auf die ältesten Traditionen zurückzugreifen, wurde „so gut wie alles von der reichen biblisch-rabbinischen Überlieferung aufgegriffen und ihrem Sinne verarbeitet. Und zwar mit derartigem Erfolg, daß auch viele älteren Vorstellungen für Laien als ‚kabbalistisch‘ erscheinen, was den Blick für die eigentlichen kabbalistischen Anliegen verstellen kann“.[1] Die ersten Kabbalisten nutzten die „Bearbeitung und Kommentierung älterer Texte als Vehikel für ihre Lehren“; das erste Buch, das einen nach dieser Verwertungsmethode entstandenen kabbalistischen Text enthält, ist das Sefer ha-Bahir, das gegen 1180 fertig redigiert war und „lange Zeit Hauptgrundlage der danach allmählich verschriftlichten kabbalistischen Geheimlehre“ war.[7]
Das Klima in der Entstehungsregion war „stark geprägt durch [innerhalb des Christentums] oppositionelle und dualistisch orientierte Tendenzen, wie sie vor allem in den Katharer- und Albigenserbewegungen zur Wirkung gelangten, Machtkämpfe auslösten und auch die offizielle Kirche zu direkten Gegenaktionen veranlaßten“. Ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Tendenzen und der frühen Kabbala konnte nicht hergestellt werden, aber vermutlich bestand eine gemeinsame Grundorientierung und ein gelegentlicher Austausch von Ideen. Während diese Bewegungen jedoch im Konflikt zur offiziellen Auslegung des Christentums standen, war die Kabbala keine Protestbewegung gegen die Auslegung des Judentums, „im Gegenteil, die Kabbalah erwies sich für die jüdische Religion trotz spekulativer Neuerungen von bislang kaum bekanntem Ausmaß als wirksamste Kraft zur Bewahrung und Vertiefung traditioneller Torah-Frömmigkeit“.[8]
Ausbreitung im 14. Jahrhundert
Die klassische Kabbala verbreitete sich „gegen Ende 1300 von Nordspanien aus vor allem durch die Werke des Josef ben Abraham Josef Gikatilla und durch die (teilweise anonymen und pseudepigraphischen) Schriften des Mose ben Samuel de Leon“.[1]
Im hohen Mittelalter waren die Zentren kabbalistischer Bewegungen der deutsche Chassidismus im Rheinland (Mitte des 12. bis Mitte des 13. Jahrhunderts) und vor allem die so genannte „prophetische Kabbala“ in Spanien, deren bedeutendste Vertreter Abraham Abulafia und Josef Gikatilla waren.
Der Zohar – Titelseite der Erstausgabe
Aus der Tradition des spanischen Judentums entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts die bedeutendste kabbalistische Schrift überhaupt: der Zohar (Sefer ha Zohar, hebr. ‚Das Buch des Glanzes‘). Als Autor seines Hauptteils gilt der spanische Kabbalist Mosche de Leon[9] († 1305[9]). Der Hauptteil des Zohar wurde in aramäischer Kunstsprache verfasst und von Mosche de Leon ab etwa 1275 „als angeblich altes Werk des Rabbinen Shim`on bar Jochaj“ aus dem frühen 2. Jahrhundert verbreitet. Unter Kabbalisten gilt der Zohar „bis heute als ‚Midrasch des Simon bar Jochaj‘ […] und als ein heiliges Buch“.[9] Der Zohar enthält in verschiedenen, teils sehr umfangreichen Abhandlungen Auslegungen der Tora, Erzählungen zu mystischen Gestalten des Judentums, insbesondere zu Rabbi Schimon ben Jochai und seinen Schülern, sowie Spekulationen zu Zahlen und Buchstaben als den Fundamenten der Welt.
Der Zohar genoss „schon innerhalb kurzer Zeit ein hohes Ansehen“ und wurde auch in der Neuzeit „wie ein ‚heiliges Buch‘ behandelt“. Entsprechend umfangreich ist auch die kommentierende Tradition zu diesem Werk. Während der Zohar „so etwas wie ‚kanonische‘ Geltung erlangte“, wurden die übrigen kabbalistischen Schriften „dadurch in den Hintergrund gedrängt“ und gingen teils verloren.[10]
15. Jahrhundert: Lehren im heutigen Israel
Nach der Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 wurde Safed in Galiläa zum Zentrum kabbalistischer Lehre. Hier wirkte vor allem Isaak Luria (1534–1572), der wesentliche Beiträge zu der kabbalistischen Auffassung von der Schöpfung der Welt entwickelte. Dazu gehören Vorstellungen vom Adam Qadmon und einem „Sich-Zurückziehen“ Gottes, um der entstehenden Welt Platz zu schaffen (Tzimtzum), dem ‚Zerbrechen der Gefäße‘ bei der Schöpfung und dem Freiwerden der göttlichen Lichtfunken (Schvirat ha-Kelim), Spekulationen über das Unendliche (En Sof) und eine Lehre über die Seelenwanderung (Gilgul). Ziel aller Bemühungen des Menschen ist es danach, in einem Prozess der Vervollkommnung (Tiqūn) den ursprünglichen heilen Zustand der Welt aus göttlicher Existenz wiederherzustellen.
Giovanni Pico della Mirandola, 1463–1494
Im 15. Jahrhundert eigneten sich auch Christen kabbalistische Lehren an.[11] Giovanni Pico della Mirandola gilt als erster Vertreter der christlichen Kabbala,[12][13][14] von Konvertiten abgesehen.[12] Anhänger der christlichen Kabbala waren eher an der Suche nach griechischer Philosophie und christlicher Inhalte in der Kabbala interessiert als an dieser selbst,[12] und „[d]ie Unwissenheit mancher Autoren ist sogar horrend“.[15] Vertreter einer als okkulte Philosophie bezeichneten Strömung, wie Agrippa und Giovanni Pico della Mirandola, versuchten, Philosophien zu entwickeln, die hermetisches, hebräisches und klassisches Wissen assimilieren, und dies dann mit der christlichen Theologie zu vereinigen.[16] Trotz ihres esoterischen Charakters wurden die der okkulten Philosophie zugrundeliegenden hermetischen und kabbalistischen Ideen im Europa der Renaissance anfangs positiv aufgenommen. Die Historikerin Frances A. Yates betrachtete die okkulte Philosophie sogar als zentrale Triebkraft hinter der Renaissance selbst.[17] Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wuchs jedoch als Teil der Gegenreformation auch die Reaktion gegen den Renaissance-Neuplatonismus und die damit assoziierten okkulten Strömungen. Die christliche Kabbala, die zunächst die Legitimation okkulten Denkens beförderte, wurde nun deswegen abgewertet und mit Hexerei in Verbindung gebracht.[18]
17. bis 19. Jahrhundert: Chassidismus, Bedeutungsverlust
Die in Safed entstandene Kabbala des Isaak Luria (lurianische Kabbala) gewann erheblichen Einfluss. Viele Elemente dieser Lehre wurden auch im osteuropäischen Chassidismus des 17. und 18. Jahrhunderts wirksam. Unter behutsamer Einbeziehung messianischer Elemente und einer gewissen Vereinfachung des ursprünglich sehr differenzierten Lehrgebäudes konnte die Kabbala große populäre Bedeutung in den chassidischen Zentren des Ostjudentums entfalten.
Die jüdische Kabbala verlor bis zum 19. Jahrhundert an Einfluss und erfuhr Geringschätzung durch die jüdischen Gelehrten dieser Zeit.[11][19] Die Gegner der Kabbala unterstellten dieser, synkretistisch, voller christlicher Einflüsse und damit nicht jüdisch zu sein.[11]
Im 18./19. Jahrhundert entstand die hermetische Kabbala, eine Strömung mit Wurzeln in der Gnosis, dem Neuplatonismus, der Hermetik,[20] sowie der christlichen Kabbala,[21] die hierbei von großer Bedeutung war.[22] Die Hermetische Kabbala entfernte sich jedoch vom Christentum, mitunter bis hin zu einer antichristlichen Ausrichtung.[14] Die hermetische Kabbala nimmt gegenüber der ursprünglichen jüdischen Kabbala einen universelleren Ansatz an.[23]
Im 19. und 20. Jahrhundert erschienen mehrere Werke des französischen Okkultisten Éliphas Lévi, der kabbalistische Lehren und die Werke anderer Autoren verfälschte,[24][25] während sich Arthur Edward Waite um eine korrekte Darstellung der Kabbala bemühte,[26] jedoch nicht des Hebräischen und Aramäischen mächtig war und daher Fehler aus Jean de Paulys verfälschter Zohar-Übersetzung in sein Werk The Secret Doctrine in Israel übernahm.[27]
20. Jahrhundert: Wiederentdeckung, „Hollywood-Kabbala“
Als Wiederentdecker der Kabbala im 20. Jahrhundert gilt Gershom Scholem.[11][14]
In den 1960er-[28] oder 1970er-Jahren[29] gründete Philip Berg das erste Kabbalah Centre und fing an, die Lehre, die traditionell nur männlichen Juden über 40 zugänglich war,[28][29] auch Frauen und Nichtjuden anzubieten.[29] Bergs New-Age-Version[28][30] der Kabbala, die unter Prominenten wie Ashton Kutcher, Madonna[29] oder Britney Spears[29] populär ist, wird auch als „Hollywood-Kabbala“ bezeichnet[30] und von Kritikern als Antithese zur echten Kabbala angesehen.[28][31]
Die originäre jüdische kabbalistische Tradition wird auch in der Gegenwart noch gepflegt und weiter entwickelt, vor allem in den chassidischen Gemeinden der USA und in Israel. Als einer der bedeutenden Kabbalisten des 20. Jahrhunderts gilt Yehuda Ashlag.
Literatur
Abraham von Worms: Des Juden Abraham von Worms Buch der wahren Praktik in der uralten göttlichen Magie und in erstaunlichen Dingen, wie sie durch die heilige Kabbala und durch Elohym mitgetheilt worden samt der Geister- und Wunder-Herrschaft, welche Moses in der Wüste aus dem feurigen Busch erlernet, alle Verborgenheit der Kabbala umfassend. Aus einer hebräischen Pergament-Handschrift von 1387 im XVII. Jahrhundert verteutscht und wortgetreu herausgegeben. Köln am Rhein: Peter Hammer, 1725.
Chajim Bloch: Kabbalistische Sagen; Leipzig: Reprint-Verlag, 1995. Reprint der Ausgabe des Verlags der Asia Major, Leipzig 1925. Sagen um Isaak Luria.
John W. McGinley; „The Written“ as the Vocation of Conceiving Jewishly; To Excel/Kaleidoscope Sof, 2006; ISBN 0-595-40488-X.
Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken, Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus; Frankfurt am Main: Campus, 2005; ISBN 3-593-37513-3.
Z’ev ben Shimon Halevi: Lebensbaum und Kabbala; München: Heyne, 1997; ISBN 3-453-11836-7. Originaltitel Adam and the Kabbalistic tree, Gateway books. Sehr gelungene, formal strenge Einleitung.
Andreas B. Kilcher: Kabbala. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Darmstadt: WBG 1992ff., Bd. 10 (2011), Sp. 438-446.
Moshe Idel: Kabbalah and eros, New Haven [u.a.] : Yale Univ. Press, 2005, dt. Kabbala und Eros, Frankfurt am Main ; Leipzig : Verlag der Weltreligionen, 2009.
Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen; München: Beck, 20042; ISBN 3-406-39659-3.
Johann Maier: Geschichte der jüdischen Religion. Von der Zeit Alexanders des Großen bis zur Aufklärung mit einem Ausblick auf das 19./20. Jahrhundert (Herder/Spektrum 4116). Freiburg i.Br.: Herder 1992, dort bes. § 33 „Kabbalah“ (S. 333-359; Lit.!).
Georg Langer: Die Erotik der Kabbala; München: Eugen Diederichs, 1989 (= 19231; Langer verbindet die aufkommende Psychoanalyse und Sexualtheorien, besonders die Hans Blühers, mit kabbalistischen Metaphern des Eros).
Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen; Frankfurt (Main): Suhrkamp, 1980; ISBN 3-518-07930-1 (Bedeutendste Gesamtdarstellung jüdischer Kabbala).
Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik; Frankfurt (Main): Suhrkamp, 1973; ISBN 3-518-27613-1.
Gershom Scholem: Kabbalah. In: Encyclopaedia Judaica, Bd. 10. Jerusalem: Keter Publishing 1971, S. 489–653.
Gershom Scholem: Jewish Gnosticism, Merkabah Mysticism and Talmudic Tradition; New York: The Jewish Theological Seminary of America, 1965.
Gershom Scholem: Von der mystischen Gestalt der Gottheit. Studien zu Grundbegriffen der Kabbala; Zürich: Rhein-Verlag, 1962.
Sammlungen mit Textauszügen im Überblick
Daniel C. Matt (Hg.): Das Herz der Kabbala – Jüdische Mystik aus zwei Jahrtausenden; Berlin: O. W. Barth, 1996. Thematischer Auswahlband; besonders gute Übersetzungen.
Helmut Werner: Kabbala; Frechen: Komet, 2002; ISBN 3-89836-349-X. Eine Textauswahl mit Einleitung, Bibliografie und Lexikon; besonders daran die Einteilung theoretischer und praktischer Kabbala.
Einführungen
Joseph Dan: Kabbalah. A very short introduction; New York: Oxford University Press, 2006.
Heinrich Elijah Benedikt: Die Kabbala als jüdisch-christlicher Einweihungsweg. 2 Bände; Bd. I: Farbe, Ton, Zahl und Wort als Tore zu Seele und Geist. Gebundene Ausgabe, 398 S., Ansata-Verlag, 12.Aufl. 2004; ISBN 3762602794 / Bd. II: Der Lebensbaum – Spiegel des Kosmos und des Menschen. Gebundene Ausgabe, 604 S., Ansata-Verlag, 9. Aufl. 2004; ISBN 3762602808
Perle Besserman: Der versteckte Garten. Die Kabbala als Quelle spiritueller Unterweisung; Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1996; ISBN 3-596-13013-1. Jüdische Einführung.
Christina Gehse: Die Kabbala als weiblicher Einweihungsweg, Hamburg: Irdana Verlag, 2010; ISBN 978-3-9813609-1-2. Eine theoretische und praktische Einführung aus weiblicher Sicht.
Will Parfitt: Die Kabbala; Braunschweig: Aurum-Verlag, 1993; ISBN 3-591-08339-9. Einführung in die praktische Kabbala mit Bezügen zu verschiedenen Kabbalisten der letzten 100 Jahre.
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Mann, der einen Baum mit den zehn Sephiroth hält – Abbildung aus dem Buch Portae Lucis (‚Die Pforten des Lichts‘) (lateinische Übersetzung des Werkes Scha’arej ora von Josef ben Abraham Gikatilla (1248–1305) durch Paul Riccius (Augsburg, 1516))
Die Basis kabbalistischer Traditionen ist die Suche des Menschen nach der Erfahrung einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Es gibt verschiedene kabbalistische Schriften und Schulen, aber keine Dogmatik oder abprüfbaren Lehrinhalt, also keine allgemeingültige kabbalistische Lehre.
Des Weiteren gibt es eine reichhaltige schriftliche Überlieferung zum Teil gegensätzlicher kabbalistischer Strömungen (beispielsweise die ekstatische und die theosophische Richtung in der älteren Kabbala). Als bedeutendstes Schriftwerk der Kabbala gilt der Zohar, ein pseudepigraphisches Werk aus der theosophischen Richtung der älteren Kabbala.
Die schriftliche Überlieferung und Produktion der Kabbala enthält auch gnostische, neuplatonische und christliche Elemente. Seit Pico della Mirandola (15. Jahrhundert) wird die Kabbala auch in nichtjüdischen Kreisen fortgeführt (vgl. Christliche Kabbala, Hermetische Kabbala).
Die Bezeichnung Kabbala (hebr. קבלה) geht auf den hebräischen Wortstamm q-b-l zurück und bedeutet ‚Überlieferung‘, ‚Übernahme‘ und ‚Weiterleitung‘. Ursprünglich konnte das Wort Kabbala allgemein jegliche Überlieferung bezeichnen, insbesondere aber die Offenbarung der Tora an Mose am Sinai. So beginnen die Sprüche der Väter aus der Mischna: „Mose empfing (q-b-l) die Tora am Sinai und überlieferte sie …“
Ab dem Mittelalter wird diese Bezeichnung „für eine bestimmte spekulative Richtung und eine mit ihr verbundene Frömmigkeitsform des Judentums“ verwandt.[1] Im Hauptteil des Zohar wird das Wort Kabbala nicht verwendet, erscheint aber in späteren Teilen wie Ra'aya Meheimna und dem Sefer ha-Tiqunim.
Ab dem Beginn des 14. Jahrhunderts setzte sich die Bezeichnung Kabbala gegenüber anderen damals gebräuchlichen Begriffen, die Ähnliches bedeuteten, durch.[2]
Baum der Sephiroth
Entsprechungen von Oben und Unten: Nach kabbalistischer Ansicht hat Gott alles, was er im Universum geschaffen hat, auch am Menschen geschaffen. Hieraus ergibt sich ein Weltbild der wechselseitigen Entsprechungen von Oben und Unten. Hierin wird der kabbalistische Grundgedanke von Mikro- und Makrokosmos deutlich. Die ganze „untere“ Welt wurde demnach nach dem Vorbild der „oberen“ gemacht und jeder Mensch an sich ist ein Universum im Kleinen. Der körperlichen Gestalt des Menschen kommt hierbei eine universelle Bedeutung zu, denn Gott selbst wird in der Tradition der jüdischen Mystik mit letzter Konsequenz anthropomorph gedacht. Die Vollkommenheit des göttlichen Makrokosmos personifiziert sich hierbei im Menschen, welcher als Mikrokosmos zwar unvollkommen, aber dennoch ein Abbild des himmlischen Urmenschen Adam Qadmon darstellt. Gott als das Grenzenlose und Ewige benötigt das von ihm geschaffene Mittlerwesen des Menschen, um durch die 'zehn geistigen Kräfte' (Sephiroth) seine göttliche Allmacht wirken zu lassen.
Der Weltenbaum: Die zehn Sephiroth sind die göttlichen Urpotenzen, welche in der Form des kabbalistischen Weltenbaumes alle Ebenen des Seins durchragen. Dieser Weltenbaum mit dem darin verbundenen Menschen stellt den verkörperten Organismus des Universums dar. Diese elementare Verflechtung des Menschen in ein göttliches Universalsystem verdeutlicht nach kabbalistischer Ansicht auch das gegenseitige Beeinflussungspotential der göttlichen und der menschlichen Ebene. – Der Mensch steht unter dem ganzheitlichen Einfluss universaler Kräfte, kann diese aber seinerseits beeinflussen. Beispielhaft hierfür ist die kabbalistische Wortmagie, in welcher das Aussprechen von Worten eine unmittelbare Einflussnahme auf das damit Bezeichnete nach sich ziehen soll.
Überwindung des gewohnten Alltags-Ich: Wie häufiger in der Mystik geht es dabei um den bewussten und selbst gesteuerten Übergang in eine Ekstase, also um einen Weg, über das gewohnte Alltags-Ich hinauszugehen, dessen Beschränkungen zu transzendieren. Dazu gibt es verschiedene Techniken, die sich als Geheimlehren, die studiert und erfahren werden, überliefern. Diese initiatische Erfahrung vermittelte sich anfänglich in einer zunächst rein mündlichen, später schriftlichen Überlieferung. In der Kabbala wird auch heute noch die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler als wesentlich gesehen. Kabbalistische Erfahrung soll die Grenze zwischen Subjekt und Objekt aufheben können. Ein Kabbalist durchbricht demnach eine Mauer „härter als ein Diamant“ und erfährt die All-Einheit.
Stufen der Weisheit: Nach jüdischer Tradition gelangten nur vier Weise zu Lebzeiten ins Paradies und von diesen kehrte allein Rabbi Akiba unversehrt zurück. Den meisten gelingen nur ein paar Tritte auf der Himmelsleiter oder das Öffnen einiger weniger Tore. Jedoch behalten, so die kabbalistische Lehre, alle Suchenden und Lernenden ihre besonderen erlangten Fähigkeiten und sollen sie nach außerbiblischer Tradition sogar vererben können (deuterokanonisches Buch Jesus Sirach 4,16). So soll der Segen – Bəracha ברכה entstehen.
Theoretische Kabbala und Praktische Kabbala: Um Missbrauch der Kräfte zu verhindern, die man in der Beschäftigung mit der Kabbala erlangen kann, werden Schüler vor ihrer Aufnahme geprüft. Um „Würdige“ von „Unwürdigen“ zu trennen, hat man die Kabbala in eine theoretische (קבלה עיונית qabālā ʕīyūnit) und eine praktische (קבלה מעשית qabālā maʕăśīt) unterteilt, wobei erstere das Lehrsystem darstellt, und letztere magische und mantische Praktiken umfasst, wie Amulettwesen, Loswerfen etc.
Die Träger der kabbalistischen Überlieferungen werden Baʕaleh Haqabalā (בעלה הקבלה) oder Məqūballīm (מקובלים) genannt. In Məqūballīm schwingt die Bedeutung „von Gott aufgenommen“ mit.
Ältere Kabbalisten trugen unspezifische und blumige Namen wie Kenner der Gnadenschönheit (יודעי חן yōdəʕēy ḥēn) oder einfach Wissende (יודעים yōdəʕīm), eine Bezeichnung, die auf Nachmanides zurückgeht, Vernunftbegabte (משכלים miśkālīm) und Weise des Herzens (חכמי הלב ḥāchmēy halēv). Das Objekt ihrer Bemühungen war (חכמה ניסתרה ḥåchmā nīstarā) die verborgene Weisheit.
Geschichte der Kabbala
Vorkabbalistische Zeit
Gegen Ende der talmudischen Zeit entstand in der Tradition vorhandener Text-„Komplexe kosmologischen und sprach-spekulativen Charakters“[3] das vorkabbalistische Sefer Jetzira, welches die Lehre der Sephiroth (Sphären, Ziffern) entwirft. Diese Lehre entspricht noch nicht ganz dem späteren kabbalistischen Verständnis, wird aber unter Kabbalisten entsprechend gedeutet.[4] Die Entstehungs- und frühe Wirkungsgeschichte des Sefer Jetzira ist noch nicht sicher erforscht. Der Text blieb „nicht selbstständig, sondern so gut wie nur im Zusammenhang mit Kommentaren erhalten“.[5]
Entwicklung im 12. Jahrhundert
Die Anfänge der Kabbala liegen in Südfrankreich, wo Geheimlehren angeblich ältester Tradition aufgezeichnet wurden; die Autoren nannten sich meqûbballîm ‚Empfänger‘, ‚Angenommene‘. Sie führten ihre Inhalte auf die Weisheit Adams zurück. Diese seien durch Auserwählte weitergegeben worden; tatsächlich basierten sie auf einer „(zumeist populär-) neuplatonische[n] Sicht der Welt und des Menschen“, wobei die Stellung auf ein neuplatonisches Weltbild wohl oft unbewusst geschah.[6] Zur Bekräftigung der Behauptung, auf die ältesten Traditionen zurückzugreifen, wurde „so gut wie alles von der reichen biblisch-rabbinischen Überlieferung aufgegriffen und ihrem Sinne verarbeitet. Und zwar mit derartigem Erfolg, daß auch viele älteren Vorstellungen für Laien als ‚kabbalistisch‘ erscheinen, was den Blick für die eigentlichen kabbalistischen Anliegen verstellen kann“.[1] Die ersten Kabbalisten nutzten die „Bearbeitung und Kommentierung älterer Texte als Vehikel für ihre Lehren“; das erste Buch, das einen nach dieser Verwertungsmethode entstandenen kabbalistischen Text enthält, ist das Sefer ha-Bahir, das gegen 1180 fertig redigiert war und „lange Zeit Hauptgrundlage der danach allmählich verschriftlichten kabbalistischen Geheimlehre“ war.[7]
Das Klima in der Entstehungsregion war „stark geprägt durch [innerhalb des Christentums] oppositionelle und dualistisch orientierte Tendenzen, wie sie vor allem in den Katharer- und Albigenserbewegungen zur Wirkung gelangten, Machtkämpfe auslösten und auch die offizielle Kirche zu direkten Gegenaktionen veranlaßten“. Ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Tendenzen und der frühen Kabbala konnte nicht hergestellt werden, aber vermutlich bestand eine gemeinsame Grundorientierung und ein gelegentlicher Austausch von Ideen. Während diese Bewegungen jedoch im Konflikt zur offiziellen Auslegung des Christentums standen, war die Kabbala keine Protestbewegung gegen die Auslegung des Judentums, „im Gegenteil, die Kabbalah erwies sich für die jüdische Religion trotz spekulativer Neuerungen von bislang kaum bekanntem Ausmaß als wirksamste Kraft zur Bewahrung und Vertiefung traditioneller Torah-Frömmigkeit“.[8]
Ausbreitung im 14. Jahrhundert
Die klassische Kabbala verbreitete sich „gegen Ende 1300 von Nordspanien aus vor allem durch die Werke des Josef ben Abraham Josef Gikatilla und durch die (teilweise anonymen und pseudepigraphischen) Schriften des Mose ben Samuel de Leon“.[1]
Im hohen Mittelalter waren die Zentren kabbalistischer Bewegungen der deutsche Chassidismus im Rheinland (Mitte des 12. bis Mitte des 13. Jahrhunderts) und vor allem die so genannte „prophetische Kabbala“ in Spanien, deren bedeutendste Vertreter Abraham Abulafia und Josef Gikatilla waren.
Der Zohar – Titelseite der Erstausgabe
Aus der Tradition des spanischen Judentums entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts die bedeutendste kabbalistische Schrift überhaupt: der Zohar (Sefer ha Zohar, hebr. ‚Das Buch des Glanzes‘). Als Autor seines Hauptteils gilt der spanische Kabbalist Mosche de Leon[9] († 1305[9]). Der Hauptteil des Zohar wurde in aramäischer Kunstsprache verfasst und von Mosche de Leon ab etwa 1275 „als angeblich altes Werk des Rabbinen Shim`on bar Jochaj“ aus dem frühen 2. Jahrhundert verbreitet. Unter Kabbalisten gilt der Zohar „bis heute als ‚Midrasch des Simon bar Jochaj‘ […] und als ein heiliges Buch“.[9] Der Zohar enthält in verschiedenen, teils sehr umfangreichen Abhandlungen Auslegungen der Tora, Erzählungen zu mystischen Gestalten des Judentums, insbesondere zu Rabbi Schimon ben Jochai und seinen Schülern, sowie Spekulationen zu Zahlen und Buchstaben als den Fundamenten der Welt.
Der Zohar genoss „schon innerhalb kurzer Zeit ein hohes Ansehen“ und wurde auch in der Neuzeit „wie ein ‚heiliges Buch‘ behandelt“. Entsprechend umfangreich ist auch die kommentierende Tradition zu diesem Werk. Während der Zohar „so etwas wie ‚kanonische‘ Geltung erlangte“, wurden die übrigen kabbalistischen Schriften „dadurch in den Hintergrund gedrängt“ und gingen teils verloren.[10]
15. Jahrhundert: Lehren im heutigen Israel
Nach der Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 wurde Safed in Galiläa zum Zentrum kabbalistischer Lehre. Hier wirkte vor allem Isaak Luria (1534–1572), der wesentliche Beiträge zu der kabbalistischen Auffassung von der Schöpfung der Welt entwickelte. Dazu gehören Vorstellungen vom Adam Qadmon und einem „Sich-Zurückziehen“ Gottes, um der entstehenden Welt Platz zu schaffen (Tzimtzum), dem ‚Zerbrechen der Gefäße‘ bei der Schöpfung und dem Freiwerden der göttlichen Lichtfunken (Schvirat ha-Kelim), Spekulationen über das Unendliche (En Sof) und eine Lehre über die Seelenwanderung (Gilgul). Ziel aller Bemühungen des Menschen ist es danach, in einem Prozess der Vervollkommnung (Tiqūn) den ursprünglichen heilen Zustand der Welt aus göttlicher Existenz wiederherzustellen.
Giovanni Pico della Mirandola, 1463–1494
Im 15. Jahrhundert eigneten sich auch Christen kabbalistische Lehren an.[11] Giovanni Pico della Mirandola gilt als erster Vertreter der christlichen Kabbala,[12][13][14] von Konvertiten abgesehen.[12] Anhänger der christlichen Kabbala waren eher an der Suche nach griechischer Philosophie und christlicher Inhalte in der Kabbala interessiert als an dieser selbst,[12] und „[d]ie Unwissenheit mancher Autoren ist sogar horrend“.[15] Vertreter einer als okkulte Philosophie bezeichneten Strömung, wie Agrippa und Giovanni Pico della Mirandola, versuchten, Philosophien zu entwickeln, die hermetisches, hebräisches und klassisches Wissen assimilieren, und dies dann mit der christlichen Theologie zu vereinigen.[16] Trotz ihres esoterischen Charakters wurden die der okkulten Philosophie zugrundeliegenden hermetischen und kabbalistischen Ideen im Europa der Renaissance anfangs positiv aufgenommen. Die Historikerin Frances A. Yates betrachtete die okkulte Philosophie sogar als zentrale Triebkraft hinter der Renaissance selbst.[17] Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wuchs jedoch als Teil der Gegenreformation auch die Reaktion gegen den Renaissance-Neuplatonismus und die damit assoziierten okkulten Strömungen. Die christliche Kabbala, die zunächst die Legitimation okkulten Denkens beförderte, wurde nun deswegen abgewertet und mit Hexerei in Verbindung gebracht.[18]
17. bis 19. Jahrhundert: Chassidismus, Bedeutungsverlust
Die in Safed entstandene Kabbala des Isaak Luria (lurianische Kabbala) gewann erheblichen Einfluss. Viele Elemente dieser Lehre wurden auch im osteuropäischen Chassidismus des 17. und 18. Jahrhunderts wirksam. Unter behutsamer Einbeziehung messianischer Elemente und einer gewissen Vereinfachung des ursprünglich sehr differenzierten Lehrgebäudes konnte die Kabbala große populäre Bedeutung in den chassidischen Zentren des Ostjudentums entfalten.
Die jüdische Kabbala verlor bis zum 19. Jahrhundert an Einfluss und erfuhr Geringschätzung durch die jüdischen Gelehrten dieser Zeit.[11][19] Die Gegner der Kabbala unterstellten dieser, synkretistisch, voller christlicher Einflüsse und damit nicht jüdisch zu sein.[11]
Im 18./19. Jahrhundert entstand die hermetische Kabbala, eine Strömung mit Wurzeln in der Gnosis, dem Neuplatonismus, der Hermetik,[20] sowie der christlichen Kabbala,[21] die hierbei von großer Bedeutung war.[22] Die Hermetische Kabbala entfernte sich jedoch vom Christentum, mitunter bis hin zu einer antichristlichen Ausrichtung.[14] Die hermetische Kabbala nimmt gegenüber der ursprünglichen jüdischen Kabbala einen universelleren Ansatz an.[23]
Im 19. und 20. Jahrhundert erschienen mehrere Werke des französischen Okkultisten Éliphas Lévi, der kabbalistische Lehren und die Werke anderer Autoren verfälschte,[24][25] während sich Arthur Edward Waite um eine korrekte Darstellung der Kabbala bemühte,[26] jedoch nicht des Hebräischen und Aramäischen mächtig war und daher Fehler aus Jean de Paulys verfälschter Zohar-Übersetzung in sein Werk The Secret Doctrine in Israel übernahm.[27]
20. Jahrhundert: Wiederentdeckung, „Hollywood-Kabbala“
Als Wiederentdecker der Kabbala im 20. Jahrhundert gilt Gershom Scholem.[11][14]
In den 1960er-[28] oder 1970er-Jahren[29] gründete Philip Berg das erste Kabbalah Centre und fing an, die Lehre, die traditionell nur männlichen Juden über 40 zugänglich war,[28][29] auch Frauen und Nichtjuden anzubieten.[29] Bergs New-Age-Version[28][30] der Kabbala, die unter Prominenten wie Ashton Kutcher, Madonna[29] oder Britney Spears[29] populär ist, wird auch als „Hollywood-Kabbala“ bezeichnet[30] und von Kritikern als Antithese zur echten Kabbala angesehen.[28][31]
Die originäre jüdische kabbalistische Tradition wird auch in der Gegenwart noch gepflegt und weiter entwickelt, vor allem in den chassidischen Gemeinden der USA und in Israel. Als einer der bedeutenden Kabbalisten des 20. Jahrhunderts gilt Yehuda Ashlag.
Literatur
Abraham von Worms: Des Juden Abraham von Worms Buch der wahren Praktik in der uralten göttlichen Magie und in erstaunlichen Dingen, wie sie durch die heilige Kabbala und durch Elohym mitgetheilt worden samt der Geister- und Wunder-Herrschaft, welche Moses in der Wüste aus dem feurigen Busch erlernet, alle Verborgenheit der Kabbala umfassend. Aus einer hebräischen Pergament-Handschrift von 1387 im XVII. Jahrhundert verteutscht und wortgetreu herausgegeben. Köln am Rhein: Peter Hammer, 1725.
Chajim Bloch: Kabbalistische Sagen; Leipzig: Reprint-Verlag, 1995. Reprint der Ausgabe des Verlags der Asia Major, Leipzig 1925. Sagen um Isaak Luria.
John W. McGinley; „The Written“ as the Vocation of Conceiving Jewishly; To Excel/Kaleidoscope Sof, 2006; ISBN 0-595-40488-X.
Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken, Band 2: Von der mittelalterlichen Kabbala zum Hasidismus; Frankfurt am Main: Campus, 2005; ISBN 3-593-37513-3.
Z’ev ben Shimon Halevi: Lebensbaum und Kabbala; München: Heyne, 1997; ISBN 3-453-11836-7. Originaltitel Adam and the Kabbalistic tree, Gateway books. Sehr gelungene, formal strenge Einleitung.
Andreas B. Kilcher: Kabbala. In: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Darmstadt: WBG 1992ff., Bd. 10 (2011), Sp. 438-446.
Moshe Idel: Kabbalah and eros, New Haven [u.a.] : Yale Univ. Press, 2005, dt. Kabbala und Eros, Frankfurt am Main ; Leipzig : Verlag der Weltreligionen, 2009.
Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen; München: Beck, 20042; ISBN 3-406-39659-3.
Johann Maier: Geschichte der jüdischen Religion. Von der Zeit Alexanders des Großen bis zur Aufklärung mit einem Ausblick auf das 19./20. Jahrhundert (Herder/Spektrum 4116). Freiburg i.Br.: Herder 1992, dort bes. § 33 „Kabbalah“ (S. 333-359; Lit.!).
Georg Langer: Die Erotik der Kabbala; München: Eugen Diederichs, 1989 (= 19231; Langer verbindet die aufkommende Psychoanalyse und Sexualtheorien, besonders die Hans Blühers, mit kabbalistischen Metaphern des Eros).
Gershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen; Frankfurt (Main): Suhrkamp, 1980; ISBN 3-518-07930-1 (Bedeutendste Gesamtdarstellung jüdischer Kabbala).
Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik; Frankfurt (Main): Suhrkamp, 1973; ISBN 3-518-27613-1.
Gershom Scholem: Kabbalah. In: Encyclopaedia Judaica, Bd. 10. Jerusalem: Keter Publishing 1971, S. 489–653.
Gershom Scholem: Jewish Gnosticism, Merkabah Mysticism and Talmudic Tradition; New York: The Jewish Theological Seminary of America, 1965.
Gershom Scholem: Von der mystischen Gestalt der Gottheit. Studien zu Grundbegriffen der Kabbala; Zürich: Rhein-Verlag, 1962.
Sammlungen mit Textauszügen im Überblick
Daniel C. Matt (Hg.): Das Herz der Kabbala – Jüdische Mystik aus zwei Jahrtausenden; Berlin: O. W. Barth, 1996. Thematischer Auswahlband; besonders gute Übersetzungen.
Helmut Werner: Kabbala; Frechen: Komet, 2002; ISBN 3-89836-349-X. Eine Textauswahl mit Einleitung, Bibliografie und Lexikon; besonders daran die Einteilung theoretischer und praktischer Kabbala.
Einführungen
Joseph Dan: Kabbalah. A very short introduction; New York: Oxford University Press, 2006.
Heinrich Elijah Benedikt: Die Kabbala als jüdisch-christlicher Einweihungsweg. 2 Bände; Bd. I: Farbe, Ton, Zahl und Wort als Tore zu Seele und Geist. Gebundene Ausgabe, 398 S., Ansata-Verlag, 12.Aufl. 2004; ISBN 3762602794 / Bd. II: Der Lebensbaum – Spiegel des Kosmos und des Menschen. Gebundene Ausgabe, 604 S., Ansata-Verlag, 9. Aufl. 2004; ISBN 3762602808
Perle Besserman: Der versteckte Garten. Die Kabbala als Quelle spiritueller Unterweisung; Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1996; ISBN 3-596-13013-1. Jüdische Einführung.
Christina Gehse: Die Kabbala als weiblicher Einweihungsweg, Hamburg: Irdana Verlag, 2010; ISBN 978-3-9813609-1-2. Eine theoretische und praktische Einführung aus weiblicher Sicht.
Will Parfitt: Die Kabbala; Braunschweig: Aurum-Verlag, 1993; ISBN 3-591-08339-9. Einführung in die praktische Kabbala mit Bezügen zu verschiedenen Kabbalisten der letzten 100 Jahre.
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
checker- Moderator
- Anzahl der Beiträge : 49603
Anmeldedatum : 03.04.11
Ort : Braunschweig
Seite 1 von 1
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten
So Nov 17, 2024 4:25 am von Andy
» END OF GREEN
So Nov 17, 2024 4:21 am von Andy
» zozyblue
So Nov 17, 2024 4:18 am von Andy
» MAGNUM
So Nov 17, 2024 4:14 am von Andy
» Natasha Bedingfield
So Nov 17, 2024 4:12 am von Andy
» ... TRAKTOR ...
So Nov 17, 2024 4:10 am von Andy
» = Azillis =
So Nov 17, 2024 4:07 am von Andy
» Alice Cooper
So Nov 17, 2024 4:04 am von Andy
» Art of Trance
So Nov 17, 2024 4:02 am von Andy