Hannah Arendt
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Hannah Arendt
Hannah Arendt (* 14. Oktober 1906 in Linden, heute Stadtteil von Hannover; † 4. Dezember 1975 in New York; eigentlich Johanna Arendt) war eine jüdische deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin.
Porträt
Die Entrechtung und Verfolgung von Menschen jüdischer Abstammung seit 1933 sowie ihre eigene kurzzeitige Inhaftierung im selben Jahr veranlassten sie zur Emigration aus Deutschland. Vom nationalsozialistischen Regime 1937 ausgebürgert, war sie staatenlos, bis sie 1951 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Sie war unter anderem als Journalistin und Hochschullehrerin tätig und veröffentlichte wichtige Beiträge zur politischen Philosophie. Gleichwohl lehnte sie es in ihren späten Jahren ab, als „Philosophin“ bezeichnet zu werden. Auch dem Begriff „Politische Philosophie“ stand sie eher distanziert gegenüber; sie bevorzugte für ihre entsprechenden Publikationen die Bezeichnung „Politische Theorie“.
Arendt vertrat ein Konzept von „Pluralität“ im politischen Raum. Demnach besteht zwischen den Menschen eine potentielle Freiheit und Gleichheit in der Politik. Wichtig ist es, die Perspektive des anderen einzunehmen. An politischen Vereinbarungen, Verträgen und Verfassungen sollten auf möglichst konkreten Ebenen gewillte und geeignete Personen beteiligt sein. Aufgrund dieser Auffassung stand sie rein repräsentativen Demokratien kritisch gegenüber und bevorzugte Rätesysteme und Formen direkter Demokratie.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer zahlreichen theoretischen Auseinandersetzungen mit Philosophen wie Sokrates, Platon, Aristoteles, Immanuel Kant, Martin Heidegger und Karl Jaspers sowie mit den maßgeblichen Vertretern der neuzeitlichen politischen Philosophie wie Machiavelli, Montesquieu und Tocqueville wird sie dennoch häufig als Philosophin bezeichnet. Gerade wegen ihres eigenständigen Denkens, der Theorie der totalen Herrschaft, ihrer existenzphilosophischen Arbeiten und ihrer Forderung nach freien politischen Diskussionen nimmt sie in den Debatten der Gegenwart eine bedeutende Rolle ein.
Als Quellen für ihre Überlegungen nutzte Arendt neben philosophischen, politischen und historischen Dokumenten unter anderem Biografien und literarische Werke. Diese Texte wertete sie wortgetreu aus und konfrontierte sie mit ihren Denkansätzen. Ihre – teilweise von Heidegger beeinflusste – Herangehensweise macht sie zu einer häufig mit eigensinnigen Ideen aufwartenden Denkerin zwischen den universitären Fachgebieten.
Geburtshaus Lindener Marktplatz 2 in Hannover-Linden (linker Teil des weißen Eckhauses)
Johanna Arendt wurde 1906 als Tochter säkularer jüdischer Eltern in Linden bei Hannover geboren. Ihre Vorfahren stammten aus Königsberg, wohin ihr schwer erkrankter Vater, Paul Arendt (1873–1913), und die Mutter, Martha geb. Cohn (1874–1948), zurückkehrten, als sie kaum drei Jahre alt war. Nach dem frühen Tod des Vaters, der Ingenieur war,[1] wurde sie von ihrer sozialdemokratisch eingestellten Mutter freiheitlich erzogen. In den gebildeten Kreisen Königsbergs, in denen sie aufwuchs, war die Mädchenbildung selbstverständlich. Durch die Großeltern (ein Großvater war der Großkaufmann und Kommunalpolitiker Max Arendt) hatte sie das liberale Reformjudentum kennengelernt. Sie gehörte keiner religiösen Gemeinschaft an, verstand sich jedoch immer als Jüdin.
Gedenktafel am Geburtshaus
Bereits im Alter von 14 Jahren las sie Kants Kritik der reinen Vernunft und Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen. Sie musste die Schule wegen Differenzen mit einem Lehrer verlassen, ging anschließend nach Berlin, wo sie ohne formalen Schulabschluss unter anderem Vorlesungen zur christlichen Theologie besuchte und sich zum ersten Mal mit Søren Kierkegaard beschäftigte. Zurück in Königsberg, bestand sie 1924 als externer Prüfling das Abitur. Noch während ihrer Schulzeit hatte sie einen philosophischen Kreis gegründet, wo sie 1920 Ernst Grumach traf. Sie lernte durch ihn ihre langjährige Freundin Anne Mendelssohn[2] kennen.
Arendts Wohnhaus 1924–1925 in Marburg, Lutherstraße 4
1924 nahm sie ihr Studium an der Universität Marburg auf und hörte ein Jahr lang Philosophie bei Martin Heidegger und Nicolai Hartmann, Evangelische Theologie bei Rudolf Bultmann, außerdem Griechisch.
Der 35-jährige Familienvater Heidegger und die 17 Jahre jüngere Studentin verliebten sich ineinander und begannen eine Beziehung. Arendt war nicht die erste und nicht die einzige Beziehung Heideggers in seiner Marburger Zeit.[3] Anfang 1926 fasste sie den Entschluss, den Studienort zu wechseln, und ging für ein Semester zu Edmund Husserl nach Freiburg. In Heidelberg studierte sie anschließend Philosophie und promovierte 1928 bei Karl Jaspers mit der Arbeit Der Liebesbegriff bei Augustin. Mit Jaspers blieb sie bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden. Die Beziehung zwischen Heidegger und Arendt blieb der Öffentlichkeit verborgen, bis 1982 die große Arendt-Biografie von Elisabeth Young-Bruehl gleichzeitig in den USA und Großbritannien erschien.[4] Seitdem gibt es darüber zahlreiche Veröffentlichungen.
Gedenktafel an Arendts Wohnhaus
Während Arendt in Marburg wegen ihrer Beziehung zu Heidegger, die dieser geheim halten wollte, sehr zurückgezogen lebte und lediglich zu ihrem Kommilitonen Hans Jonas sowie ihren Königsberger Freunden Kontakte pflegte, weitete sie ihren Freundeskreis in Heidelberg aus. Dazu gehörten Karl Frankenstein, der 1928 eine geschichtsphilosophische Dissertation vorlegte, der Jungianer Erich Neumann und Erwin Loewenson, ein expressionistischer Essayist. Auch Jonas kam nach Heidelberg und arbeitete dort ebenfalls über Augustinus.
Ein anderer Kreis erschloss sich ihr durch die Freundschaft mit Benno von Wiese und die von Jaspers empfohlenen Vorlesungen von Friedrich Gundolf. Große Bedeutung hatte für sie zudem Kurt Blumenfeld, der Geschäftsführer und Hauptsprecher der deutschen Zionistenorganisation, dessen Thema die Erforschung der so genannten Judenfrage und der Assimilation war. Ihm verdanke sie, heißt es in einem Brief aus dem Jahr 1951, ihr Verständnis für die Situation der Juden.[5]
Berliner Gedenktafel am Haus Opitzstraße 6, in Berlin-Steglitz
Ihr erstes Buch trägt den Titel Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation. Es handelt sich um ihre bereits im Alter von 22 Jahren verfasste und 1929 in Berlin gedruckte Dissertation. Darin verbindet sie philosophische Ansätze Martin Heideggers mit denen von Karl Jaspers und betont bereits damals die wichtige Rolle der Geburt für das Individuum wie auch für seine Mitmenschen. Damit grenzt sie sich von ihrem Lehrer Heidegger ab, der das Leben als ein „Vorlaufen“ zum Tod auffasste.[6] Das Werk wurde in wichtigen philosophischen und literarischen Publikationen besprochen. Auf Kritik stieß, dass sie Augustinus als Philosophen betrachtet und nicht als Kirchenvater. Außerdem wurde bemängelt, dass sie neuere theologische Literatur nicht zitiert habe.
In Berlin traf sie ebenfalls 1929 Günther Stern wieder, den sie schon aus Marburg kannte.[7] Kurz darauf zog sie mit ihm zusammen, für die damalige Zeit ein von der öffentlichen Meinung verpöntes Verhalten; die beiden heirateten noch im selben Jahr. Nach einem kurzen Aufenthalt in Heidelberg wohnte das Ehepaar ein Jahr in Frankfurt. Arendt schrieb für die Frankfurter Zeitung und besuchte Seminare bei Paul Tillich und Karl Mannheim, dessen Buch Ideologie und Utopie sie rezensierte.[8] Zugleich befasste sie sich mit Rahel Varnhagen, einer assimilierten intellektuellen Jüdin der Romantik.
Als sich abzeichnete, dass Sterns Habilitationsschrift von Theodor W. Adorno nicht akzeptiert werden würde, gingen beide wieder nach Berlin. Dort begann Arendt, angelegt als Habilitation, mit der Arbeit an ihrem Werk über Rahel Varnhagen. Nach einem positiven Gutachten von Jaspers, der weitere Gutachten von Heidegger und Dibelius besorgte, wurde die Studie durch ein Stipendium der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gefördert. Gleichzeitig begann Arendt, sich mehr für politische Fragen zu interessieren. Sie las Marx und Trotzki und knüpfte neue Kontakte an der Hochschule für Politik. Die Ausgrenzung der Juden trotz Assimilation analysierte sie anhand des erstmals von Max Weber in Bezug auf die Juden verwendeten Begriffs „Paria“ (Außenseiter). Sie stellte diesem, angeregt durch die Schriften Bernard Lazares, den entgegengesetzten Terminus „Parvenu“ (Aufsteiger) gegenüber. 1932 veröffentlichte sie in der Zeitschrift Geschichte der Juden in Deutschland den Artikel Aufklärung und Judenfrage, in dem sie in der Auseinandersetzung mit Lessing und Mendelssohn als Aufklärern und Herder als Vorläufer der Romantik ihre Ideen über die Eigenständigkeit des Judentums entwickelte.[9]
Ebenfalls 1932 verfasste sie eine Rezension über das Buch Das Frauenproblem in der Gegenwart von Alice Rühle-Gerstel,[10] in der sie die Frauenemanzipation im öffentlichen Leben würdigte, ihr jedoch die Beschränkungen – insbesondere in der Ehe und im Arbeitsleben – gegenüberstellte. Sie konstatierte die „faktische Geringschätzung“ der Frau in der Gesellschaft und kritisierte die Pflichten, die mit ihrer Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren seien. Der Frauenbewegung stand Hannah Arendt indes distanziert gegenüber. Die politischen Fronten seien „Männerfronten“, betonte sie einerseits. Andererseits sah sie jedoch die „Fragwürdigkeit“ der Frauenbewegung ebenso wie die der Jugendbewegung, weil beide – klassenübergreifend angelegt – dabei scheitern müssten, einflussreiche politische Parteien zu bilden.
Kurz vor Adolf Hitlers Machtantritt versuchte Karl Jaspers sie in mehreren Briefen davon zu überzeugen, dass sie sich als Deutsche betrachten solle. Dies lehnte sie stets mit dem Hinweis auf ihre Existenz als Jüdin ab. Sie schrieb: „Für mich ist Deutschland die Muttersprache, die Philosophie und die Dichtung.“ Ansonsten fühlte sie sich zur Distanz verpflichtet. Besonders kritisierte sie den von Jaspers gebrauchten Ausdruck „deutsches Wesen“. Jaspers antwortete: „Es ist mir wunderlich, daß Sie als Jüdin sich vom Deutschen unterscheiden wollen.“[11] Diese kontroversen Positionen nahmen beide auch nach dem Krieg ein.
Schon 1932 dachte sie an Emigration, blieb jedoch zunächst in Deutschland, als ihr Mann im März 1933 nach Paris emigrierte, und wurde erstmals politisch aktiv. Vermittelt durch Kurt Blumenfeld, war sie für die Zionistische Vereinigung für Deutschland tätig, um die beginnende Judenverfolgung zu dokumentieren. Ihre Wohnung diente Flüchtlingen als Zwischenstation. Im Juli 1933 wurde sie verhaftet und kam für acht Tage in Gestapo-Haft. Gegenüber Günter Gaus äußert sie sich über ihr Motiv: „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.“[12]
Bereits 1933 vertrat sie die Auffassung, dass das nationalsozialistische Regime aktiv zu bekämpfen sei. Sie stand damit im Gegensatz zu vielen gebildeten Deutschen, teilweise sogar mit jüdischem Hintergrund, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangieren wollten, die neuen Herrscher manchmal sogar lobten oder die Diktatur zunächst unterschätzten. Im Gaus-Interview[1] drückte sie ihre Verachtung für die umgehende – damals noch freiwillige – „Gleichschaltung“ der meisten Intellektuellen aus. Arendt war davon abgestoßen und wollte mit dieser Art von affirmativen, opportunistischen oder sogar begeisterten Gelehrten nichts gemein haben.
Daraus resultierte auch der Streit mit Leo Strauss, dessen konservative Auffassungen sie ablehnte. Ebenso war sie von Heidegger enttäuscht, der bereits am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war. Daraufhin brach sie den Kontakt ab und traf ihn erst 1950 wieder. Auch die Freundschaft mit Benno von Wiese beendete sie, als er sich frühzeitig dem Nationalsozialismus zuwandte und ebenfalls 1933 Parteimitglied wurde.[13]
Diese Erfahrung der tiefen Entfremdung von Freunden beschrieb sie in ihren Werken und in ihrer Korrespondenz mehrmals. Sie ging davon aus, dass es sich jeweils um Willensentscheidungen handelte, für die der Einzelne verantwortlich war. Noch kurz vor ihrem Tod stellte sie fest: Gerade viele professionelle Denker hätten hinsichtlich des Nationalsozialismus versagt, als sie sich für das Regime engagierten. Arendt verlangte nicht von jedem aktiven Widerstand. Schon das Schweigen erkannte sie als Ablehnung der totalen Herrschaft an.[14]
Gedenktafel Varian Fry, Potsdamer Straße 1, in Berlin-Tiergarten
Über das tschechische Karlsbad, Genua und Genf emigrierte sie 1933 zunächst nach Frankreich. In Paris war sie, ohne Papiere, wiederum für zionistische Organisationen tätig, die beispielsweise jüdischen Jugendlichen zur Flucht nach Palästina verhalfen. Sie arbeitete wissenschaftlich über den Antisemitismus und hielt Vorträge vor verschiedenen Vereinigungen sowie in der Freien Deutschen Hochschule Paris.
Hannah Arendt und ihr Ehemann hatten schon in Berlin unterschiedliche Interessen und Freundeskreise:[15] „Er verkehrt unter Linken, im Umfeld von Brecht“, sie zunehmend im Kontakt zu zionistischen und anderen jüdischen Persönlichkeiten.[16] Zunächst wohnten beide in Paris zusammen, besuchten gemeinsam die Seminare Alexandre Kojèves und Versammlungen mit anderen Intellektuellen im Exil. Doch die Ehe scheiterte und wurde 1937 geschieden. Bereits 1936 hatte sie Heinrich Blücher kennengelernt, einen ehemaligen Kommunisten, der sich schon früh gegen die Politik Josef Stalins gewandt hatte. In Paris gehörten beide mit Walter Benjamin, dem Rechtsanwalt Erich Cohn-Bendit, dem Nervenarzt Fritz Fränkel[17] und dem Maler Kurt Heidenreich zu einem Kreis deutscher Flüchtlinge.[18]
1937 wurde Arendt die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1939 glückte es ihr gerade noch, ihre Mutter aus Königsberg in Sicherheit zu bringen. Im Januar 1940 heiratete sie Heinrich Blücher. Für Blücher war es die dritte Ehe.
Anfang Mai 1940 wiesen die französischen Behörden über die Presse große Teile der deutschstämmigen Ausländer an, sich zum Abtransport zu melden. Arendt wurde mit vielen anderen Frauen für eine Woche auf dem Gelände des Buffalo-Stadions untergebracht. Bald darauf wurde sie vier Wochen lang im südfranzösischen Lager Gurs interniert, weil sie als „feindliche Ausländerin“ galt. Im Gaus-Interview äußert sie sich dazu sarkastisch: Menschen seien von ihren Feinden in Konzentrationslager und von ihren Freunden in Internierungslager gesteckt worden. Nach etwa einem Monat gelang ihr mit wenigen anderen die Flucht aus Gurs, denn die Wachsamkeit der französischen Lagerverwaltung hatte in der chaotischen Lage, nachdem die Wehrmacht Paris besetzt hatte und nach Süden vorgerückt war, vorübergehend nachgelassen.[19] In einem Brief an Salomon Adler-Rudel schilderte Arendt wenig später die Umstände der Internierungen von Flüchtlingen aus NS-Deutschland. Die folgende Zeit verbrachten sie und ihr Mann in Montauban, und Arendt konnte Ausreisepapiere nach Lissabon besorgen.
Im französischen Exil verband sie eine enge Freundschaft mit dem damals noch weitgehend unbekannten Walter Benjamin, den sie auch materiell unterstützte. 1945 – Benjamin hatte sich 1940 das Leben genommen – setzte sie sich vergeblich beim Schocken-Verlag für die Veröffentlichung seiner Werke ein. Erst 1968 konnte sie seine Essays – mit Anmerkungen und einem Vorwort versehen – in den USA herausgeben.[20]
Immigration in die USA, Erwerbstätigkeit und Kampf für eine jüdische Armee
Im Mai 1941 erreichten Arendt, ihr Ehemann und ihre Mutter über Lissabon New York. Die Familie wohnte zunächst in Hotelzimmern und lebte von einem geringen Stipendium der zionistischen Flüchtlingsorganisation. Arendt vervollkommnete sehr schnell ihre englischen Sprachkenntnisse. Ab Oktober 1941 war sie für das deutsch-jüdische Magazin Aufbau in New York tätig. Sie schrieb regelmäßig eine kurze Kolumne „This means You“ (Das geht dich an). Der Startartikel unter dem Titel Mose and Washington („Moses und Washington“)[21] knüpft in der Gestalt des Moses an die jüdische Exilgeschichte an. Arendt argumentiert, dass das moderne (Reform-)Judentum den Bezug zu seiner eigentlichen Tradition verloren habe, ein Motiv, das auch die These ihres Buches über Rahel Varnhagen bildet. Es „wächst bei uns höchst paradoxerweise die Zahl jener, die Moses und David durch Washington oder Napoléon ersetzen“, Juden, die sich auf fremde Kosten (nämlich der Nichtjuden) „verjüngen“ wollten. Kritisch merkt sie an, dass die (jüdische) Geschichte kein Vehikel sei, aus dem man beliebig aussteigen könne; sie fordert, aus dem Judentum einen „Segen“ zu machen, nämlich eine Waffe im Kampf um die Freiheit. Damit wollte sie das politische Bewusstsein der jüdischen Öffentlichkeit in aller Welt wecken. In zahlreichen Artikeln forderte sie den Aufbau einer selbstständigen jüdischen Armee auf Seiten der Alliierten. Mit diesem Verlangen, das sie bereits vor Beginn der Massenmorde in den Konzentrationslagern formulierte, konnten sie und ihre wenigen Mitstreiter sich nicht durchsetzen.
Zwar bezeichnete sich Arendt in dieser Zeit noch als (säkulare) Zionistin, nahm aber eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der Weltanschauung des Zionismus ein, die sie mit anderen Ideologien wie Sozialismus oder Liberalismus verglich, welche Voraussagen über die Zukunft machten. Sie hielt Freiheit und Gerechtigkeit für Grundprinzipien der Politik, die mit der Vorstellung eines auserwählten Volkes nicht zu vereinbaren seien. Diese Positionen stießen in der jüdischen Öffentlichkeit zumeist auf Ablehnung.[22]
1943 veröffentlichte sie den Essay We Refugees (dt. Wir Flüchtlinge), in dem sie sich mit der verheerenden Situation von Flüchtlingen und Staatenlosen auseinandersetzt, die ohne Rechte „vogelfrei“ seien.
1944 bis 1946 war Hannah Arendt als Forschungsleiterin der Conference on Jewish Relations tätig, anschließend bis 1949 als Lektorin im jüdischen Schocken Verlag. Am 26. Juli 1948 starb ihre Mutter Martha Arendt während einer Reise zu ihrer Stieftochter Eva Beerwald in England. Von 1949 bis 1952 arbeitete sie als Executive Secretary (Geschäftsführerin) für die Organisation zur Rettung und Pflege jüdischen Kulturguts Jewish Cultural Reconstruction Corporation (JCR). Bis Heinrich Blücher 1951 Philosophie-Kurse an einem College erteilen konnte, sorgte Hannah Arendt nahezu allein für den Lebensunterhalt der Familie.
Erste Reisen in die BRD und Berichte über die Nachwirkungen des NS-Regimes
1949/50 bereiste Arendt im Auftrag der JCR die Bundesrepublik Deutschland und setzte ihre Kraft dafür ein, die nicht zerstörten jüdischen Kulturgüter, darunter ganze Bibliotheken, nach Israel bzw. in die USA zu verbringen. Arendt traf während dieses Aufenthalts zum ersten Mal seit 1933 Karl Jaspers und Martin Heidegger. Eine zweite Reise folgte 1952. Seitdem fuhr sie jedes Jahr für einige Monate nach Europa, teilweise auch nach Israel, besuchte viele Freunde und Verwandte, jedes Mal aber Karl und Gertrud Jaspers.
In dem Essay Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes[23] (1950) schreibt Arendt sehr differenziert über die Nachkriegssituation. Deutschland habe in kurzer Zeit durch Verbrechen, die niemand für möglich gehalten hätte, das moralische Gefüge der westlichen Welt zerstört. Millionen von Menschen aus Osteuropa strömten in das zerstörte Land. „Man kann bezweifeln, ob die Politik der Alliierten, alle deutschen Minderheiten aus nichtdeutschen Ländern zu vertreiben – als ob es nicht schon genug Heimatlosigkeit auf der Welt gäbe – klug gewesen ist; doch außer Zweifel steht, daß bei denjenigen europäischen Völkern, die während des Krieges die mörderische Bevölkerungspolitik Deutschlands zu spüren bekommen hatten, die bloße Vorstellung, mit Deutschen auf demselben Territorium zusammenleben zu müssen, Entsetzen und nicht bloß Wut auslöste.“ Sie stellt eine seltsame Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung fest. Über Europa liege wegen der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager ein Schatten tiefer Trauer. Doch dieser Alptraum von Zerstörung und Schrecken werde nirgends weniger besprochen als in Deutschland. „Die Gleichgültigkeit, mit der sich die Deutschen durch die Trümmer bewegen, findet ihre genaue Entsprechung darin, dass niemand um die Toten trauert.“
Hingegen kursierten zahlreiche Geschichten über die Leiden der Deutschen, die gegen die Leiden der anderen aufgerechnet würden, wobei die „Leidensbilanz“ in Deutschland stillschweigend als ausgeglichen gelte. Die Flucht vor der Verantwortung und die Zuschreibung von Schuld auf die Besatzungsmächte seien weit verbreitet. „Der Durchschnittsdeutsche sucht die Ursachen des letzten Krieges nicht in den Taten des Naziregimes, sondern in den Ereignissen, die zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies geführt haben.“
Arbeiten zur Existenzphilosophie
Nach Kriegsende veröffentlichte Arendt zwei Artikel zur Existenzphilosophie. In The Nation erschien Anfang 1946 der Text French Existentialism, in dem sie vor allem das Denken Albert Camus’ und Sartres beleuchtete. Sie äußerte gegenüber Jaspers ihre großen Hoffnungen auf einen neuen Typus von Menschen, der ohne allen „europäischen Nationalismus“ Europäer ist und sich für einen europäischen Föderalismus einsetzt. Dazu zählte sie Camus aus der französischen Résistance, dem sie in einem Brief Ehrlichkeit und politische Einsicht bescheinigte.[24]
Den Artikel Was ist Existenzphilosophie?[25] veröffentlichte sie in den USA (Anfang 1946), auf Französisch in Paris (1947) und in der von Jaspers und anderen gegründeten Zeitschrift Die Wandlung. 1948 kam er zusammen mit fünf weiteren Beiträgen in deren Buchreihe als Essayband heraus. Es handelte sich um die erste Buchveröffentlichung nach ihrer 1929 erschienenen Dissertation. In dieser Schrift entwickelte Arendt eine eigene Position innerhalb der Existenzphilosophie, die sie in späteren Werken nicht weiter verfolgte.[26] Die englische Fassung ließ sie zu Lebzeiten nicht wieder auflegen.
Sie setzt sich in dieser kleinen Arbeit kritisch mit der Philosophie Heideggers auseinander, dem sie eine Nähe zum modernen Nihilismus zuschreibt. Seine Lehre des Seins habe er niemals wirklich vollendet. Mit der Analyse des Daseins vom Tode her begründe Heidegger die Nichtigkeit des Seins. Der Mensch werde gottähnlich beschrieben, zwar nicht als „Welt-erschaffendes“, aber als „Welt-zerstörendes“ Wesen. Arendt wendet dagegen ein, dass „der Mensch Gott nicht ist und mit seinesgleichen zusammen in einer Welt lebt“, ein Gedanke, den sie später noch oft wiederholen wird. Heidegger umgehe die vorläufigen Kantschen Begriffe von Freiheit, Menschenwürde und Vernunft, reduziere den Menschen auf seine Funktionen in der Welt und spreche ihm Existenz allein durch das Philosophieren zu. Darüber hinaus kritisiert sie Heideggers „mythologisierende Unbegriffe“ wie „Volk“ und „Erde“, die er in Vorlesungen der 30er Jahre seinen „isolierten Selbsten“ nachträglich als gemeinsame Grundlage untergeschoben habe. Es sei evident, dass „derartige Konzeptionen nur aus der Philosophie heraus, und in irgendeinen naturalistischen Aberglauben hineinführen“.
Die Existenzphilosophie Karl Jaspers’ hingegen beschreibt sie ausschließlich positiv. Er vollziehe einen Bruch mit allen philosophischen Systemen, mit Weltanschauungen und „Lehren vom Ganzen“, setze sich mit „Grenzsituationen“ auseinander und betrachte die Existenz als eine Form der Freiheit. Der Mensch könne sich „in spielender Metaphysik“ an die Grenzen des Denkbaren herantasten und sie überschreiten. Im Gegensatz zu Heidegger sei für Jaspers das Philosophieren lediglich die Vorbereitung auf das „Tun“ durch die Kommunikation auf der Basis der allen gemeinsamen Vernunft. Jaspers wisse, dass das Denken der Transzendenz zum Scheitern verurteilt ist. Die Jaspersche Philosophie, unterstreicht die Autorin, liegt im Wesentlichen in den Wegen seines Philosophierens. Diese können aus den „Sackgassen eines positivistischen oder nihilistischen Fanatismus“ herausführen.
Stellungnahmen zu Palästina und Israel
Hannah Arendt schrieb Ende 1948 den Artikel Frieden oder Waffenstillstand im Nahen Osten? (veröffentlicht in den USA im Januar 1950). Darin setzt sie sich mit der Geschichte Palästinas und der Gründung des Staates Israel auseinander. Frieden kann demnach nur durch eine Verständigung und faire Vereinbarungen zwischen Arabern und Juden erreicht werden. Sie beschreibt die Einwanderungsgeschichte seit 1907 und betont, dass sich bisher beide Gruppen feindselig gegenüberstanden und sich – auch wegen der Besetzung durch die Türken und später Briten – niemals als gleichberechtigte Partner oder auch nur als Menschen angesehen haben. Während sie die „Heimatlosigkeit“ und „Weltlosigkeit“ als größte Probleme der Juden beschreibt, kritisiert sie die meisten zionistischen Führer, die die Probleme der arabischen Bevölkerung übersehen hätten.
Ihre Vision ist ein binationales Palästina auf der Grundlage nicht-nationalistischer Politik, eine Föderation, die möglicherweise sogar andere Staaten des Nahen Ostens umfassen könnte. Die Einwanderung und die Vertreibung eines Teils der arabischstämmigen Bevölkerung stellen eine moralische Hypothek dar, während die auf Gleichheit und Gerechtigkeit beruhenden Kollektivsiedlungen (Kibbuzim) und die Hebräische Universität sowie die Industrialisierung auf der Habenseite stehen.
Israel konnte sich Arendt zufolge von den Gesetzen des Kapitalismus befreien, da es durch Spendengelder aus den USA finanziert werde und daher nicht dem Gesetz der Profitmaximierung unterliege. Ihre Sorge nach dem gewonnenen Palästinakrieg, der Unglück über Juden und Araber gebracht und alle jüdisch-arabischen Wirtschaftssektoren zerstört habe, besteht darin, dass Israel eine aggressive expansionistische Politik betreiben könne. Doch hofft sie auf den universalistischen Geist im Judentum und auf verständigungsbereite Kräfte in den arabischen Staaten.[27]
Es gab in dieser Zeit nur sehr wenige Persönlichkeiten auf arabischer und jüdischer Seite, die für ein binationales Palästina eintraten. Arendt bezieht sich auf den ersten Präsidenten der Hebräischen Universität Judah Leon Magnes[28] und den libanesischen Politiker und Philosophieprofessor Charles Malik und streicht deren Einmaligkeit heraus. Beide setzten sich für eine jüdisch-arabische Übereinkunft zur Lösung des Palästinaproblems ein, Magnes 1946 und Malik vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Mai 1948.
Als im Dezember 1948 der ehemalige Führer der zionistischen Terror-Organisation Irgun Menachem Begin New York besuchte, um Spenden für seine neugegründete Cherut-Partei zu sammeln, verfassten 26 Intellektuelle, darunter viele mit jüdischem Hintergrund, einen scharf formulierten Leserbrief, der am 4. Dezember 1948 in der New York Times veröffentlicht wurde.[29] Zu den Unterzeichnern gehörten neben Arendt u. a. Isidore Abramowitz, Albert Einstein, Sidney Hook und Stefan Wolpe. Sie warnten eindringlich vor dieser Partei und charakterisierten sie als faschistisch und terroristisch. Als schockierendes Beispiel für Charakter und Vorgehensweise der Organisation erwähnen sie auch das von Begin kommandierte Massaker von Deir Yasin.
An ihre Freundin, die US-amerikanische Schriftstellerin Mary McCarthy, schrieb Arendt mehr als zwanzig Jahre später, Israel sei ein eindrucksvolles Beispiel für die Gleichheit der Menschen. Für noch wichtiger hielt sie die „Überlebensleidenschaft“ des jüdischen Volkes seit der Antike. Sie äußerte die Angst, dass sich der Holocaust wiederholen könne. Als Rückzugsort und wegen des unausrottbaren Antisemitismus sei Israel notwendig. Arendt betont, dass jede wirkliche Katastrophe in Israel sie mehr berühre als fast alles andere.[30]
So an dieser stelle brechen wir ab,wer weiterlesen möchte dem sei dieser Link empfehlen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt
Porträt
Die Entrechtung und Verfolgung von Menschen jüdischer Abstammung seit 1933 sowie ihre eigene kurzzeitige Inhaftierung im selben Jahr veranlassten sie zur Emigration aus Deutschland. Vom nationalsozialistischen Regime 1937 ausgebürgert, war sie staatenlos, bis sie 1951 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Sie war unter anderem als Journalistin und Hochschullehrerin tätig und veröffentlichte wichtige Beiträge zur politischen Philosophie. Gleichwohl lehnte sie es in ihren späten Jahren ab, als „Philosophin“ bezeichnet zu werden. Auch dem Begriff „Politische Philosophie“ stand sie eher distanziert gegenüber; sie bevorzugte für ihre entsprechenden Publikationen die Bezeichnung „Politische Theorie“.
Arendt vertrat ein Konzept von „Pluralität“ im politischen Raum. Demnach besteht zwischen den Menschen eine potentielle Freiheit und Gleichheit in der Politik. Wichtig ist es, die Perspektive des anderen einzunehmen. An politischen Vereinbarungen, Verträgen und Verfassungen sollten auf möglichst konkreten Ebenen gewillte und geeignete Personen beteiligt sein. Aufgrund dieser Auffassung stand sie rein repräsentativen Demokratien kritisch gegenüber und bevorzugte Rätesysteme und Formen direkter Demokratie.
Nicht zuletzt aufgrund ihrer zahlreichen theoretischen Auseinandersetzungen mit Philosophen wie Sokrates, Platon, Aristoteles, Immanuel Kant, Martin Heidegger und Karl Jaspers sowie mit den maßgeblichen Vertretern der neuzeitlichen politischen Philosophie wie Machiavelli, Montesquieu und Tocqueville wird sie dennoch häufig als Philosophin bezeichnet. Gerade wegen ihres eigenständigen Denkens, der Theorie der totalen Herrschaft, ihrer existenzphilosophischen Arbeiten und ihrer Forderung nach freien politischen Diskussionen nimmt sie in den Debatten der Gegenwart eine bedeutende Rolle ein.
Als Quellen für ihre Überlegungen nutzte Arendt neben philosophischen, politischen und historischen Dokumenten unter anderem Biografien und literarische Werke. Diese Texte wertete sie wortgetreu aus und konfrontierte sie mit ihren Denkansätzen. Ihre – teilweise von Heidegger beeinflusste – Herangehensweise macht sie zu einer häufig mit eigensinnigen Ideen aufwartenden Denkerin zwischen den universitären Fachgebieten.
Geburtshaus Lindener Marktplatz 2 in Hannover-Linden (linker Teil des weißen Eckhauses)
Johanna Arendt wurde 1906 als Tochter säkularer jüdischer Eltern in Linden bei Hannover geboren. Ihre Vorfahren stammten aus Königsberg, wohin ihr schwer erkrankter Vater, Paul Arendt (1873–1913), und die Mutter, Martha geb. Cohn (1874–1948), zurückkehrten, als sie kaum drei Jahre alt war. Nach dem frühen Tod des Vaters, der Ingenieur war,[1] wurde sie von ihrer sozialdemokratisch eingestellten Mutter freiheitlich erzogen. In den gebildeten Kreisen Königsbergs, in denen sie aufwuchs, war die Mädchenbildung selbstverständlich. Durch die Großeltern (ein Großvater war der Großkaufmann und Kommunalpolitiker Max Arendt) hatte sie das liberale Reformjudentum kennengelernt. Sie gehörte keiner religiösen Gemeinschaft an, verstand sich jedoch immer als Jüdin.
Gedenktafel am Geburtshaus
Bereits im Alter von 14 Jahren las sie Kants Kritik der reinen Vernunft und Jaspers’ Psychologie der Weltanschauungen. Sie musste die Schule wegen Differenzen mit einem Lehrer verlassen, ging anschließend nach Berlin, wo sie ohne formalen Schulabschluss unter anderem Vorlesungen zur christlichen Theologie besuchte und sich zum ersten Mal mit Søren Kierkegaard beschäftigte. Zurück in Königsberg, bestand sie 1924 als externer Prüfling das Abitur. Noch während ihrer Schulzeit hatte sie einen philosophischen Kreis gegründet, wo sie 1920 Ernst Grumach traf. Sie lernte durch ihn ihre langjährige Freundin Anne Mendelssohn[2] kennen.
Arendts Wohnhaus 1924–1925 in Marburg, Lutherstraße 4
1924 nahm sie ihr Studium an der Universität Marburg auf und hörte ein Jahr lang Philosophie bei Martin Heidegger und Nicolai Hartmann, Evangelische Theologie bei Rudolf Bultmann, außerdem Griechisch.
Der 35-jährige Familienvater Heidegger und die 17 Jahre jüngere Studentin verliebten sich ineinander und begannen eine Beziehung. Arendt war nicht die erste und nicht die einzige Beziehung Heideggers in seiner Marburger Zeit.[3] Anfang 1926 fasste sie den Entschluss, den Studienort zu wechseln, und ging für ein Semester zu Edmund Husserl nach Freiburg. In Heidelberg studierte sie anschließend Philosophie und promovierte 1928 bei Karl Jaspers mit der Arbeit Der Liebesbegriff bei Augustin. Mit Jaspers blieb sie bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden. Die Beziehung zwischen Heidegger und Arendt blieb der Öffentlichkeit verborgen, bis 1982 die große Arendt-Biografie von Elisabeth Young-Bruehl gleichzeitig in den USA und Großbritannien erschien.[4] Seitdem gibt es darüber zahlreiche Veröffentlichungen.
Gedenktafel an Arendts Wohnhaus
Während Arendt in Marburg wegen ihrer Beziehung zu Heidegger, die dieser geheim halten wollte, sehr zurückgezogen lebte und lediglich zu ihrem Kommilitonen Hans Jonas sowie ihren Königsberger Freunden Kontakte pflegte, weitete sie ihren Freundeskreis in Heidelberg aus. Dazu gehörten Karl Frankenstein, der 1928 eine geschichtsphilosophische Dissertation vorlegte, der Jungianer Erich Neumann und Erwin Loewenson, ein expressionistischer Essayist. Auch Jonas kam nach Heidelberg und arbeitete dort ebenfalls über Augustinus.
Ein anderer Kreis erschloss sich ihr durch die Freundschaft mit Benno von Wiese und die von Jaspers empfohlenen Vorlesungen von Friedrich Gundolf. Große Bedeutung hatte für sie zudem Kurt Blumenfeld, der Geschäftsführer und Hauptsprecher der deutschen Zionistenorganisation, dessen Thema die Erforschung der so genannten Judenfrage und der Assimilation war. Ihm verdanke sie, heißt es in einem Brief aus dem Jahr 1951, ihr Verständnis für die Situation der Juden.[5]
Berliner Gedenktafel am Haus Opitzstraße 6, in Berlin-Steglitz
Ihr erstes Buch trägt den Titel Der Liebesbegriff bei Augustin. Versuch einer philosophischen Interpretation. Es handelt sich um ihre bereits im Alter von 22 Jahren verfasste und 1929 in Berlin gedruckte Dissertation. Darin verbindet sie philosophische Ansätze Martin Heideggers mit denen von Karl Jaspers und betont bereits damals die wichtige Rolle der Geburt für das Individuum wie auch für seine Mitmenschen. Damit grenzt sie sich von ihrem Lehrer Heidegger ab, der das Leben als ein „Vorlaufen“ zum Tod auffasste.[6] Das Werk wurde in wichtigen philosophischen und literarischen Publikationen besprochen. Auf Kritik stieß, dass sie Augustinus als Philosophen betrachtet und nicht als Kirchenvater. Außerdem wurde bemängelt, dass sie neuere theologische Literatur nicht zitiert habe.
In Berlin traf sie ebenfalls 1929 Günther Stern wieder, den sie schon aus Marburg kannte.[7] Kurz darauf zog sie mit ihm zusammen, für die damalige Zeit ein von der öffentlichen Meinung verpöntes Verhalten; die beiden heirateten noch im selben Jahr. Nach einem kurzen Aufenthalt in Heidelberg wohnte das Ehepaar ein Jahr in Frankfurt. Arendt schrieb für die Frankfurter Zeitung und besuchte Seminare bei Paul Tillich und Karl Mannheim, dessen Buch Ideologie und Utopie sie rezensierte.[8] Zugleich befasste sie sich mit Rahel Varnhagen, einer assimilierten intellektuellen Jüdin der Romantik.
Als sich abzeichnete, dass Sterns Habilitationsschrift von Theodor W. Adorno nicht akzeptiert werden würde, gingen beide wieder nach Berlin. Dort begann Arendt, angelegt als Habilitation, mit der Arbeit an ihrem Werk über Rahel Varnhagen. Nach einem positiven Gutachten von Jaspers, der weitere Gutachten von Heidegger und Dibelius besorgte, wurde die Studie durch ein Stipendium der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gefördert. Gleichzeitig begann Arendt, sich mehr für politische Fragen zu interessieren. Sie las Marx und Trotzki und knüpfte neue Kontakte an der Hochschule für Politik. Die Ausgrenzung der Juden trotz Assimilation analysierte sie anhand des erstmals von Max Weber in Bezug auf die Juden verwendeten Begriffs „Paria“ (Außenseiter). Sie stellte diesem, angeregt durch die Schriften Bernard Lazares, den entgegengesetzten Terminus „Parvenu“ (Aufsteiger) gegenüber. 1932 veröffentlichte sie in der Zeitschrift Geschichte der Juden in Deutschland den Artikel Aufklärung und Judenfrage, in dem sie in der Auseinandersetzung mit Lessing und Mendelssohn als Aufklärern und Herder als Vorläufer der Romantik ihre Ideen über die Eigenständigkeit des Judentums entwickelte.[9]
Ebenfalls 1932 verfasste sie eine Rezension über das Buch Das Frauenproblem in der Gegenwart von Alice Rühle-Gerstel,[10] in der sie die Frauenemanzipation im öffentlichen Leben würdigte, ihr jedoch die Beschränkungen – insbesondere in der Ehe und im Arbeitsleben – gegenüberstellte. Sie konstatierte die „faktische Geringschätzung“ der Frau in der Gesellschaft und kritisierte die Pflichten, die mit ihrer Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren seien. Der Frauenbewegung stand Hannah Arendt indes distanziert gegenüber. Die politischen Fronten seien „Männerfronten“, betonte sie einerseits. Andererseits sah sie jedoch die „Fragwürdigkeit“ der Frauenbewegung ebenso wie die der Jugendbewegung, weil beide – klassenübergreifend angelegt – dabei scheitern müssten, einflussreiche politische Parteien zu bilden.
Kurz vor Adolf Hitlers Machtantritt versuchte Karl Jaspers sie in mehreren Briefen davon zu überzeugen, dass sie sich als Deutsche betrachten solle. Dies lehnte sie stets mit dem Hinweis auf ihre Existenz als Jüdin ab. Sie schrieb: „Für mich ist Deutschland die Muttersprache, die Philosophie und die Dichtung.“ Ansonsten fühlte sie sich zur Distanz verpflichtet. Besonders kritisierte sie den von Jaspers gebrauchten Ausdruck „deutsches Wesen“. Jaspers antwortete: „Es ist mir wunderlich, daß Sie als Jüdin sich vom Deutschen unterscheiden wollen.“[11] Diese kontroversen Positionen nahmen beide auch nach dem Krieg ein.
Schon 1932 dachte sie an Emigration, blieb jedoch zunächst in Deutschland, als ihr Mann im März 1933 nach Paris emigrierte, und wurde erstmals politisch aktiv. Vermittelt durch Kurt Blumenfeld, war sie für die Zionistische Vereinigung für Deutschland tätig, um die beginnende Judenverfolgung zu dokumentieren. Ihre Wohnung diente Flüchtlingen als Zwischenstation. Im Juli 1933 wurde sie verhaftet und kam für acht Tage in Gestapo-Haft. Gegenüber Günter Gaus äußert sie sich über ihr Motiv: „Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.“[12]
Bereits 1933 vertrat sie die Auffassung, dass das nationalsozialistische Regime aktiv zu bekämpfen sei. Sie stand damit im Gegensatz zu vielen gebildeten Deutschen, teilweise sogar mit jüdischem Hintergrund, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangieren wollten, die neuen Herrscher manchmal sogar lobten oder die Diktatur zunächst unterschätzten. Im Gaus-Interview[1] drückte sie ihre Verachtung für die umgehende – damals noch freiwillige – „Gleichschaltung“ der meisten Intellektuellen aus. Arendt war davon abgestoßen und wollte mit dieser Art von affirmativen, opportunistischen oder sogar begeisterten Gelehrten nichts gemein haben.
Daraus resultierte auch der Streit mit Leo Strauss, dessen konservative Auffassungen sie ablehnte. Ebenso war sie von Heidegger enttäuscht, der bereits am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war. Daraufhin brach sie den Kontakt ab und traf ihn erst 1950 wieder. Auch die Freundschaft mit Benno von Wiese beendete sie, als er sich frühzeitig dem Nationalsozialismus zuwandte und ebenfalls 1933 Parteimitglied wurde.[13]
Diese Erfahrung der tiefen Entfremdung von Freunden beschrieb sie in ihren Werken und in ihrer Korrespondenz mehrmals. Sie ging davon aus, dass es sich jeweils um Willensentscheidungen handelte, für die der Einzelne verantwortlich war. Noch kurz vor ihrem Tod stellte sie fest: Gerade viele professionelle Denker hätten hinsichtlich des Nationalsozialismus versagt, als sie sich für das Regime engagierten. Arendt verlangte nicht von jedem aktiven Widerstand. Schon das Schweigen erkannte sie als Ablehnung der totalen Herrschaft an.[14]
Gedenktafel Varian Fry, Potsdamer Straße 1, in Berlin-Tiergarten
Über das tschechische Karlsbad, Genua und Genf emigrierte sie 1933 zunächst nach Frankreich. In Paris war sie, ohne Papiere, wiederum für zionistische Organisationen tätig, die beispielsweise jüdischen Jugendlichen zur Flucht nach Palästina verhalfen. Sie arbeitete wissenschaftlich über den Antisemitismus und hielt Vorträge vor verschiedenen Vereinigungen sowie in der Freien Deutschen Hochschule Paris.
Hannah Arendt und ihr Ehemann hatten schon in Berlin unterschiedliche Interessen und Freundeskreise:[15] „Er verkehrt unter Linken, im Umfeld von Brecht“, sie zunehmend im Kontakt zu zionistischen und anderen jüdischen Persönlichkeiten.[16] Zunächst wohnten beide in Paris zusammen, besuchten gemeinsam die Seminare Alexandre Kojèves und Versammlungen mit anderen Intellektuellen im Exil. Doch die Ehe scheiterte und wurde 1937 geschieden. Bereits 1936 hatte sie Heinrich Blücher kennengelernt, einen ehemaligen Kommunisten, der sich schon früh gegen die Politik Josef Stalins gewandt hatte. In Paris gehörten beide mit Walter Benjamin, dem Rechtsanwalt Erich Cohn-Bendit, dem Nervenarzt Fritz Fränkel[17] und dem Maler Kurt Heidenreich zu einem Kreis deutscher Flüchtlinge.[18]
1937 wurde Arendt die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1939 glückte es ihr gerade noch, ihre Mutter aus Königsberg in Sicherheit zu bringen. Im Januar 1940 heiratete sie Heinrich Blücher. Für Blücher war es die dritte Ehe.
Anfang Mai 1940 wiesen die französischen Behörden über die Presse große Teile der deutschstämmigen Ausländer an, sich zum Abtransport zu melden. Arendt wurde mit vielen anderen Frauen für eine Woche auf dem Gelände des Buffalo-Stadions untergebracht. Bald darauf wurde sie vier Wochen lang im südfranzösischen Lager Gurs interniert, weil sie als „feindliche Ausländerin“ galt. Im Gaus-Interview äußert sie sich dazu sarkastisch: Menschen seien von ihren Feinden in Konzentrationslager und von ihren Freunden in Internierungslager gesteckt worden. Nach etwa einem Monat gelang ihr mit wenigen anderen die Flucht aus Gurs, denn die Wachsamkeit der französischen Lagerverwaltung hatte in der chaotischen Lage, nachdem die Wehrmacht Paris besetzt hatte und nach Süden vorgerückt war, vorübergehend nachgelassen.[19] In einem Brief an Salomon Adler-Rudel schilderte Arendt wenig später die Umstände der Internierungen von Flüchtlingen aus NS-Deutschland. Die folgende Zeit verbrachten sie und ihr Mann in Montauban, und Arendt konnte Ausreisepapiere nach Lissabon besorgen.
Im französischen Exil verband sie eine enge Freundschaft mit dem damals noch weitgehend unbekannten Walter Benjamin, den sie auch materiell unterstützte. 1945 – Benjamin hatte sich 1940 das Leben genommen – setzte sie sich vergeblich beim Schocken-Verlag für die Veröffentlichung seiner Werke ein. Erst 1968 konnte sie seine Essays – mit Anmerkungen und einem Vorwort versehen – in den USA herausgeben.[20]
Immigration in die USA, Erwerbstätigkeit und Kampf für eine jüdische Armee
Im Mai 1941 erreichten Arendt, ihr Ehemann und ihre Mutter über Lissabon New York. Die Familie wohnte zunächst in Hotelzimmern und lebte von einem geringen Stipendium der zionistischen Flüchtlingsorganisation. Arendt vervollkommnete sehr schnell ihre englischen Sprachkenntnisse. Ab Oktober 1941 war sie für das deutsch-jüdische Magazin Aufbau in New York tätig. Sie schrieb regelmäßig eine kurze Kolumne „This means You“ (Das geht dich an). Der Startartikel unter dem Titel Mose and Washington („Moses und Washington“)[21] knüpft in der Gestalt des Moses an die jüdische Exilgeschichte an. Arendt argumentiert, dass das moderne (Reform-)Judentum den Bezug zu seiner eigentlichen Tradition verloren habe, ein Motiv, das auch die These ihres Buches über Rahel Varnhagen bildet. Es „wächst bei uns höchst paradoxerweise die Zahl jener, die Moses und David durch Washington oder Napoléon ersetzen“, Juden, die sich auf fremde Kosten (nämlich der Nichtjuden) „verjüngen“ wollten. Kritisch merkt sie an, dass die (jüdische) Geschichte kein Vehikel sei, aus dem man beliebig aussteigen könne; sie fordert, aus dem Judentum einen „Segen“ zu machen, nämlich eine Waffe im Kampf um die Freiheit. Damit wollte sie das politische Bewusstsein der jüdischen Öffentlichkeit in aller Welt wecken. In zahlreichen Artikeln forderte sie den Aufbau einer selbstständigen jüdischen Armee auf Seiten der Alliierten. Mit diesem Verlangen, das sie bereits vor Beginn der Massenmorde in den Konzentrationslagern formulierte, konnten sie und ihre wenigen Mitstreiter sich nicht durchsetzen.
Zwar bezeichnete sich Arendt in dieser Zeit noch als (säkulare) Zionistin, nahm aber eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der Weltanschauung des Zionismus ein, die sie mit anderen Ideologien wie Sozialismus oder Liberalismus verglich, welche Voraussagen über die Zukunft machten. Sie hielt Freiheit und Gerechtigkeit für Grundprinzipien der Politik, die mit der Vorstellung eines auserwählten Volkes nicht zu vereinbaren seien. Diese Positionen stießen in der jüdischen Öffentlichkeit zumeist auf Ablehnung.[22]
1943 veröffentlichte sie den Essay We Refugees (dt. Wir Flüchtlinge), in dem sie sich mit der verheerenden Situation von Flüchtlingen und Staatenlosen auseinandersetzt, die ohne Rechte „vogelfrei“ seien.
1944 bis 1946 war Hannah Arendt als Forschungsleiterin der Conference on Jewish Relations tätig, anschließend bis 1949 als Lektorin im jüdischen Schocken Verlag. Am 26. Juli 1948 starb ihre Mutter Martha Arendt während einer Reise zu ihrer Stieftochter Eva Beerwald in England. Von 1949 bis 1952 arbeitete sie als Executive Secretary (Geschäftsführerin) für die Organisation zur Rettung und Pflege jüdischen Kulturguts Jewish Cultural Reconstruction Corporation (JCR). Bis Heinrich Blücher 1951 Philosophie-Kurse an einem College erteilen konnte, sorgte Hannah Arendt nahezu allein für den Lebensunterhalt der Familie.
Erste Reisen in die BRD und Berichte über die Nachwirkungen des NS-Regimes
1949/50 bereiste Arendt im Auftrag der JCR die Bundesrepublik Deutschland und setzte ihre Kraft dafür ein, die nicht zerstörten jüdischen Kulturgüter, darunter ganze Bibliotheken, nach Israel bzw. in die USA zu verbringen. Arendt traf während dieses Aufenthalts zum ersten Mal seit 1933 Karl Jaspers und Martin Heidegger. Eine zweite Reise folgte 1952. Seitdem fuhr sie jedes Jahr für einige Monate nach Europa, teilweise auch nach Israel, besuchte viele Freunde und Verwandte, jedes Mal aber Karl und Gertrud Jaspers.
In dem Essay Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes[23] (1950) schreibt Arendt sehr differenziert über die Nachkriegssituation. Deutschland habe in kurzer Zeit durch Verbrechen, die niemand für möglich gehalten hätte, das moralische Gefüge der westlichen Welt zerstört. Millionen von Menschen aus Osteuropa strömten in das zerstörte Land. „Man kann bezweifeln, ob die Politik der Alliierten, alle deutschen Minderheiten aus nichtdeutschen Ländern zu vertreiben – als ob es nicht schon genug Heimatlosigkeit auf der Welt gäbe – klug gewesen ist; doch außer Zweifel steht, daß bei denjenigen europäischen Völkern, die während des Krieges die mörderische Bevölkerungspolitik Deutschlands zu spüren bekommen hatten, die bloße Vorstellung, mit Deutschen auf demselben Territorium zusammenleben zu müssen, Entsetzen und nicht bloß Wut auslöste.“ Sie stellt eine seltsame Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung fest. Über Europa liege wegen der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager ein Schatten tiefer Trauer. Doch dieser Alptraum von Zerstörung und Schrecken werde nirgends weniger besprochen als in Deutschland. „Die Gleichgültigkeit, mit der sich die Deutschen durch die Trümmer bewegen, findet ihre genaue Entsprechung darin, dass niemand um die Toten trauert.“
Hingegen kursierten zahlreiche Geschichten über die Leiden der Deutschen, die gegen die Leiden der anderen aufgerechnet würden, wobei die „Leidensbilanz“ in Deutschland stillschweigend als ausgeglichen gelte. Die Flucht vor der Verantwortung und die Zuschreibung von Schuld auf die Besatzungsmächte seien weit verbreitet. „Der Durchschnittsdeutsche sucht die Ursachen des letzten Krieges nicht in den Taten des Naziregimes, sondern in den Ereignissen, die zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies geführt haben.“
Arbeiten zur Existenzphilosophie
Nach Kriegsende veröffentlichte Arendt zwei Artikel zur Existenzphilosophie. In The Nation erschien Anfang 1946 der Text French Existentialism, in dem sie vor allem das Denken Albert Camus’ und Sartres beleuchtete. Sie äußerte gegenüber Jaspers ihre großen Hoffnungen auf einen neuen Typus von Menschen, der ohne allen „europäischen Nationalismus“ Europäer ist und sich für einen europäischen Föderalismus einsetzt. Dazu zählte sie Camus aus der französischen Résistance, dem sie in einem Brief Ehrlichkeit und politische Einsicht bescheinigte.[24]
Den Artikel Was ist Existenzphilosophie?[25] veröffentlichte sie in den USA (Anfang 1946), auf Französisch in Paris (1947) und in der von Jaspers und anderen gegründeten Zeitschrift Die Wandlung. 1948 kam er zusammen mit fünf weiteren Beiträgen in deren Buchreihe als Essayband heraus. Es handelte sich um die erste Buchveröffentlichung nach ihrer 1929 erschienenen Dissertation. In dieser Schrift entwickelte Arendt eine eigene Position innerhalb der Existenzphilosophie, die sie in späteren Werken nicht weiter verfolgte.[26] Die englische Fassung ließ sie zu Lebzeiten nicht wieder auflegen.
Sie setzt sich in dieser kleinen Arbeit kritisch mit der Philosophie Heideggers auseinander, dem sie eine Nähe zum modernen Nihilismus zuschreibt. Seine Lehre des Seins habe er niemals wirklich vollendet. Mit der Analyse des Daseins vom Tode her begründe Heidegger die Nichtigkeit des Seins. Der Mensch werde gottähnlich beschrieben, zwar nicht als „Welt-erschaffendes“, aber als „Welt-zerstörendes“ Wesen. Arendt wendet dagegen ein, dass „der Mensch Gott nicht ist und mit seinesgleichen zusammen in einer Welt lebt“, ein Gedanke, den sie später noch oft wiederholen wird. Heidegger umgehe die vorläufigen Kantschen Begriffe von Freiheit, Menschenwürde und Vernunft, reduziere den Menschen auf seine Funktionen in der Welt und spreche ihm Existenz allein durch das Philosophieren zu. Darüber hinaus kritisiert sie Heideggers „mythologisierende Unbegriffe“ wie „Volk“ und „Erde“, die er in Vorlesungen der 30er Jahre seinen „isolierten Selbsten“ nachträglich als gemeinsame Grundlage untergeschoben habe. Es sei evident, dass „derartige Konzeptionen nur aus der Philosophie heraus, und in irgendeinen naturalistischen Aberglauben hineinführen“.
Die Existenzphilosophie Karl Jaspers’ hingegen beschreibt sie ausschließlich positiv. Er vollziehe einen Bruch mit allen philosophischen Systemen, mit Weltanschauungen und „Lehren vom Ganzen“, setze sich mit „Grenzsituationen“ auseinander und betrachte die Existenz als eine Form der Freiheit. Der Mensch könne sich „in spielender Metaphysik“ an die Grenzen des Denkbaren herantasten und sie überschreiten. Im Gegensatz zu Heidegger sei für Jaspers das Philosophieren lediglich die Vorbereitung auf das „Tun“ durch die Kommunikation auf der Basis der allen gemeinsamen Vernunft. Jaspers wisse, dass das Denken der Transzendenz zum Scheitern verurteilt ist. Die Jaspersche Philosophie, unterstreicht die Autorin, liegt im Wesentlichen in den Wegen seines Philosophierens. Diese können aus den „Sackgassen eines positivistischen oder nihilistischen Fanatismus“ herausführen.
Stellungnahmen zu Palästina und Israel
Hannah Arendt schrieb Ende 1948 den Artikel Frieden oder Waffenstillstand im Nahen Osten? (veröffentlicht in den USA im Januar 1950). Darin setzt sie sich mit der Geschichte Palästinas und der Gründung des Staates Israel auseinander. Frieden kann demnach nur durch eine Verständigung und faire Vereinbarungen zwischen Arabern und Juden erreicht werden. Sie beschreibt die Einwanderungsgeschichte seit 1907 und betont, dass sich bisher beide Gruppen feindselig gegenüberstanden und sich – auch wegen der Besetzung durch die Türken und später Briten – niemals als gleichberechtigte Partner oder auch nur als Menschen angesehen haben. Während sie die „Heimatlosigkeit“ und „Weltlosigkeit“ als größte Probleme der Juden beschreibt, kritisiert sie die meisten zionistischen Führer, die die Probleme der arabischen Bevölkerung übersehen hätten.
Ihre Vision ist ein binationales Palästina auf der Grundlage nicht-nationalistischer Politik, eine Föderation, die möglicherweise sogar andere Staaten des Nahen Ostens umfassen könnte. Die Einwanderung und die Vertreibung eines Teils der arabischstämmigen Bevölkerung stellen eine moralische Hypothek dar, während die auf Gleichheit und Gerechtigkeit beruhenden Kollektivsiedlungen (Kibbuzim) und die Hebräische Universität sowie die Industrialisierung auf der Habenseite stehen.
Israel konnte sich Arendt zufolge von den Gesetzen des Kapitalismus befreien, da es durch Spendengelder aus den USA finanziert werde und daher nicht dem Gesetz der Profitmaximierung unterliege. Ihre Sorge nach dem gewonnenen Palästinakrieg, der Unglück über Juden und Araber gebracht und alle jüdisch-arabischen Wirtschaftssektoren zerstört habe, besteht darin, dass Israel eine aggressive expansionistische Politik betreiben könne. Doch hofft sie auf den universalistischen Geist im Judentum und auf verständigungsbereite Kräfte in den arabischen Staaten.[27]
Es gab in dieser Zeit nur sehr wenige Persönlichkeiten auf arabischer und jüdischer Seite, die für ein binationales Palästina eintraten. Arendt bezieht sich auf den ersten Präsidenten der Hebräischen Universität Judah Leon Magnes[28] und den libanesischen Politiker und Philosophieprofessor Charles Malik und streicht deren Einmaligkeit heraus. Beide setzten sich für eine jüdisch-arabische Übereinkunft zur Lösung des Palästinaproblems ein, Magnes 1946 und Malik vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Mai 1948.
Als im Dezember 1948 der ehemalige Führer der zionistischen Terror-Organisation Irgun Menachem Begin New York besuchte, um Spenden für seine neugegründete Cherut-Partei zu sammeln, verfassten 26 Intellektuelle, darunter viele mit jüdischem Hintergrund, einen scharf formulierten Leserbrief, der am 4. Dezember 1948 in der New York Times veröffentlicht wurde.[29] Zu den Unterzeichnern gehörten neben Arendt u. a. Isidore Abramowitz, Albert Einstein, Sidney Hook und Stefan Wolpe. Sie warnten eindringlich vor dieser Partei und charakterisierten sie als faschistisch und terroristisch. Als schockierendes Beispiel für Charakter und Vorgehensweise der Organisation erwähnen sie auch das von Begin kommandierte Massaker von Deir Yasin.
An ihre Freundin, die US-amerikanische Schriftstellerin Mary McCarthy, schrieb Arendt mehr als zwanzig Jahre später, Israel sei ein eindrucksvolles Beispiel für die Gleichheit der Menschen. Für noch wichtiger hielt sie die „Überlebensleidenschaft“ des jüdischen Volkes seit der Antike. Sie äußerte die Angst, dass sich der Holocaust wiederholen könne. Als Rückzugsort und wegen des unausrottbaren Antisemitismus sei Israel notwendig. Arendt betont, dass jede wirkliche Katastrophe in Israel sie mehr berühre als fast alles andere.[30]
So an dieser stelle brechen wir ab,wer weiterlesen möchte dem sei dieser Link empfehlen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt
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