Die Seevölker
Seite 1 von 1
Die Seevölker
Der Begriff Seevölker wird als Sammelbezeichnung für die in ägyptischen Quellen des Neuen Reichs erwähnten „Fremdvölker“ verwendet, die zu Beginn des 12. Jh. v. Chr. nach Berichten von Ramses III. zur ernsten Bedrohung für Ägypten wurden. Wahrscheinlich handelt es sich um die gleichen Kräfte, die in dieser Zeit – nach neuen Vermutungen 1192 v. Chr.[1] – Ugarit angriffen und zerstörten. Auch für eine Reihe weiterer Zerstörungen und Umwälzungen im östlichen Mittelmeergebiet werden diese Völker oft verantwortlich gemacht.
Schilderung des Sieges über die Seevölker im Totentempel Ramses’ III. in Medinet Habu, dem altägyptischen Tahut
Begriff
Der Ausdruck Seevölker wurde von dem französischen Ägyptologen Gaston Maspero geprägt, um die von Ramses III. auf den Reliefs von Medinet Habu abgebildeten Fremdvölker zu bezeichnen.
Inschrift des Merenptah
Auf Inschriften in Karnak und Athribis wird aus dem 5. Jahr des Merenptah (Baenre-hotephirmaat) die Schlacht bei Sais erwähnt, bei welcher eine Koalition aus Libyern und „Seevölkern“ Ägypten angriff. Dem libyschen Herrscher Meria (Mrjj) folgten die Hilfstruppen der Šardana (Scherden), Šekeleš (Schekelesch), Aqi-waša, Luka, Turiša (Tyrsener), Mešweš (Meschwesch), Tjehenu und die Tjemehu.
Vertikal gespiegelte Nachzeichnung der Siegesstele des Merenptah (F. Petrie).
Die Länder der Hethiter fallen, wie beim Anblick nahender Windhunde, auf die Knie. Bleibende Angst für die Herzen der Mešweš, zerbrochen ist das Land Tjemhu. Lebu wurde aus unserem Ta Meri („Geliebtes Land“) verdrängt; es kann nun wieder die Strahlen von Aton sehen, weil das Unwetter über Kemet verjagt wurde.[2]
Seeschlacht im Nildelta zwischen den Streitkräften von Ramses III. und den „Seevölkern“. Umzeichnung eines Wandreliefs im Tempel von Medinet Habu
Der Angriff der Seevölker veranlasste Ramses III. in seinem 8. Regierungsjahr (1180 v. Chr.) zu folgendem Bericht:
„(15) Ich [Ramses III] schütze es [Ägypten], (16) indem ich (für es) die Neunbogen abwehre. Die Fremdländer vollzogen alle zusammen die Trennung von ihren Inseln. Es zogen fort und verstreut sind im Kampfgewühl die Länder auf einen Schlag. Nicht hielt irgendein Land vor ihren Armeen stand; und die Länder von Ḫatti, Qadi, Qarqemiš, Arzawa, (17) und Alasia an waren (nun) entwurzelt auf [einen Schlag]. Es wurde ein Lager aufgeschlagen an einem Ort im Inneren von Amurru. Sie vernichteten seine Leute und sein Land, als sei es nie gewesen. Sie kamen nun, indem die Flamme vor ihnen bereitet war, vorwärts gegen Ägypten, ihre Zwingburg (?). (18) Die Peleset, Tjeker, Šekeleš (Schekelesch), Danunäer und Wašaš, verbündete Länder, legten ihre Hände auf alle Länder bis ans Ende der Welt; ihre Herzen waren zuversichtlich und vertrauensvoll: Unsere Pläne gelingen.“
– Auszug aus der Inschrift im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu[3]
Auf den Reliefs im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu sind diese Fremdvölker dargestellt. Die Peleset (plst), Tjeker (ṯkr), Danuna (dnjn) und die Waschasch (wšš) tragen Helme mit Federkrone. Für die Darstellungen hierzu gibt es gleichzeitige Parallelen in Enkomi. Die Träger eines Hörnerhelms ohne Aufsatz sind die Scherden. Diese Art der Hörnerhelme wurden als Zeichnung auf der Kriegervase aus Mykene, und ebenfalls in Enkomi gefunden.
Die Šekeleš (šklš) tragen Stirnbänder. Die Fremdvölker werden einheitlich mit einem kurzen Rock dargestellt und sind meist bartlos. Oft tragen sie Panzer. Die Bewaffnung besteht aus einem runden Schild, Speer, Lanze und Schwert. Ihre Schiffe sind einheitlichen Typs, mit Segeln und einem auffälligen Vogelkopf an beiden Enden. Ob sie Ruder besaßen, ist umstritten. Die Details der Kleidung bei allen Gruppen sind dem Mittelmeerraum zuzuordnen; ebenso nach wissenschaftlichen Untersuchungen die Schiffe. Gleichzeitig mit den Angriffen der Seevölker findet ein Zusammenbruch der bronzezeitlichen Kulturzentren im östlichen Mittelmeerraum statt.
Papyrus Harris
Im Papyrus Harris I, einem Rechenschaftsbericht von Ramses III., der kurz nach dessen Tode verfasst wurde, wird berichtet, wie der Pharao die Dnjn, „die auf ihren Inseln sind“, tötete. Gefangene Šrdn (Schardana) werden als Hilfstruppen angesiedelt. Wenn sich dies auf dieselben Ereignisse wie die Inschriften von Medinet Habu bezieht, so heißt dies vermutlich, dass der ägyptische Sieg nicht vollkommen war, sondern dass man die Angreifer an der Peripherie ansiedeln und mit Tributen besänftigen musste. Die meisten Kommentatoren nehmen zudem eine Verwechslung der Šrdn mit den Šklš (Schekelesch) an, denn die Šrdn sind schon aus früherer Zeit als ägyptische Hilfstruppe bekannt: Sie sind bereits unter Ramses II. auf ägyptischer Seite in der Schlacht von Kadesch belegt. Sie kamen offenbar als Kriegsgefangene in die Armee und werden als Hörnerhelmträger mit Knauf abgebildet. Die Šrdn entsprechen wohl den Šardanu in den Amarnabriefen aus der 18. Dynastie. In einem Brief des Königs von Byblos an den König von Ägypten werden Šardanu als Leibwache erwähnt.
Hintergrund
Nicht alle als Seevölker bezeichneten Völker werden in den bisher bekannten Quellen unter den jeweiligen Königen Ägyptens genannt, die über sie berichteten:[4]
Alter Orient im 13. Jahrhundert v. Chr.
Von 1250 bis 1100 v. Chr. kam es zu einem Klimawandel, der im Gebiet des östlichen Mittelmeeres zu extremen Trockenphasen führte.[5] In der ausgehenden Bronzezeit ergaben sich ab ca. 1220 v. Chr. einschneidende Veränderungen im Seehandel des Mittelmeerraums. Diese Schwierigkeiten zeigten bereits bei den Hethitern um 1210 v. Chr. erste Wirkungen, da Ägypten die in einen Versorgungsengpass geratenen Hethiter mit Getreidelieferungen unterstützte. Anscheinend konnte die wirtschaftliche Lage nicht lange stabilisiert werden. Nur einige Jahre später suchten die Hethiter bereits nach neuen Siedlungsmöglichkeiten. Archäologische Funde und schriftliche Dokumente zeigen einheitlich den sich abzeichnenden Zusammenbruch des gesamten Handels bis in die Gebiete der Ägäis auf.
Die vielleicht einsetzenden Völkerwanderungen kamen vermutlich aus westlicher Richtung und zogen sich über einen längeren Zeitraum auf dem Landweg hin. Auf dem Relief in Medinet Habu werden Familien gezeigt, die mit ihrem Hab und Gut auf Ochsenkarren unterwegs sind. Das Ziel dieser Wanderer bildete zunächst Hatti und Kizzuwatna, später die Levante und Zypern. Die Angriffe zur See müssen daher losgelöst von der schon vorher einsetzenden „Völkerwanderung“ gesehen werden.
Verlauf des „Seevölkersturms“
Zur See operierende Völker schlossen sich mit zu Lande agierenden Völkern zu einer Koalition zusammen und zerstörten im östlichen Mittelmeergebiet viele Städte und Reiche. Die letzte Korrespondenz aus Ugarit spricht von verlustreichen Kämpfen des hethitischen Herrschers im Bereich der Lukka-Länder. Gleichzeitig war Zypern nach den Alašija-Briefen von nicht näher bezeichneten „Feinden“ angegriffen worden, die jedoch weiterzogen. Die Flotte Ugarits wurde vom hethitischen Herrscher an der kleinasiatischen Südküste eingesetzt. Truppen Ugarits waren ins hethitische Kernland verlegt worden. Unmittelbar nach dieser Schilderung wurde das schutzlose Ugarit von See aus zerstört.
Theorien zur Identität der „Seevölker“
Das Thema „Seevölker“ zählt zu den meistdiskutierten, komplexesten und schwierigsten Forschungsbereichen der Altertumsforschung. Zahlreiche multidisziplinäre Kongresse widmeten sich ausschließlich diesem Thema.
Emmanuel de Rougé[6] schlug 1867 auf Grund der Namensähnlichkeiten folgende Identifikationen der einzelnen Stämme vor:[7]
Eduard Meyer geht, neben den Danaern, Achäern, Lykiern und Tyrsenern, von einer gewissen Fassbarkeit zweier Völker aus, der Persta und der Zakkari. Die Persta verbindet er mit den Philistern, die nach israelitischer Überlieferung von Kreta stammten. Beide Völker siedelten sich Anfang des 12. Jahrhunderts v. Chr. an der Küste Palästinas an, die Philister bei Gaza und Askalon, die Zakkari nördlich bei Dor. Den Persta und Zakkari war in den ägyptischen Darstellungen die „Kopfbedeckung von Federn“ oder „Federkrone“ gemeinsam.[9] Nach Herodot (Historien: 1, 171) waren die Karer die ersten, die Federbüsche auf den Helmen anbrachten.
Die Gleichsetzung der Šardana mit den Bewohnern Sardiniens und der Šekeleš oder Tjeker mit den Sikelern bzw. Bewohnern Siziliens ist in der Forschung nach wie vor strittig. Gemeinsam mit den Turša (Tyroša) kann bei den Šardana jedoch in der ägyptischen Geschichte auf ältere Berührungspunkte verwiesen werden, die bis in die Anfänge der 18. Dynastie reichen.[2] Die Luka, als Bewohner der Lukka-Länder, wurden in hethitischen Texten oft genannt und waren in Südwest-Kleinasien angesiedelt.
Indogermanische Einwanderung
Viele Althistoriker, Sprachwissenschaftler und Archäologen gingen früher davon aus, dass es sich in der Mehrzahl um indogermanische Illyrer gehandelt habe. Ihr Vordringen führte nach Meinung dieser Forscher zum Niedergang der mykenischen Kultur in Griechenland (Pylos, Mykene u. a.) und besiegelte das Schicksal des Hethiterreichs Šuppiluliumaš' II..
Piraten und Mykener
Andere sahen die „Seevölker“ schlicht als Piraten. Einige Forscher vermuteten sogar, bei den „Seevölkern“ habe es sich zu großen Teilen um Mykener gehandelt, die also nicht Opfer, sondern Auslöser der Unruhen gewesen wären. Diese Theorie gilt aber bis auf weiteres als sehr problematisch, wenngleich sich etwa in der materiellen Kultur der späteren Philister durchaus einige Parallelen zur mykenischen finden lassen.
Herkunft aus Kleinasien (Troja) und der Ägais
In der aktuellen Forschung wird als Ausgangspunkt der „Seevölker“-Unruhen oft der west- bzw. süd-kleinasiatische und der ägäische Raum angenommen. Dafür spricht neben einer Vielzahl von neuen archäologischen Funden, die in diese Richtung deuten, auch die ägyptische Bezeichnung Hau-nebut (Ḥ3w-nbwt) für die Seevölker, die „Bewohner der Ägäis“ bedeutet.
Der Geoarchäologe Eberhard Zangger vermutet die Herkunft der Seevölker in Westanatolien. Er identifiziert es mit dem in hethischen Texten erwähnten Achijawa und vermutet dahinter ein wesentlich von Troja kontrolliertes Machtbündnis. Zu den Implikationen seiner Theorie gehört auch die (bis heute umstrittene) historische Realität eines Trojanischen Krieges. Achijawa mit seinem Machtzentrum Troja wäre somit militärischer Gegner sowohl von Mykene als auch von Hatti gewesen. Nach der Zerstörung Trojas durch seien die Überlebenden in verschiedene Regionen im östlichen Mittelmeer geflüchtet und hätten ihre technologischen Kenntnisse (vor allem der Metallverarbeitung) dorthin mitgenommen. So erkläre sich das etwa zeitliche Auftauchen von Philistern und Phöniziern in der Levante, der Thraker auf dem Balkan oder, etwas später, der Etrusker in Italien. Zangger dokumentierte die Theorie in seinem Buch „Ein neuer Kampf um Troja - Archäologie in der Krise“[10] Die Theorie stützt sich im wesentlichen auf inhaltliche Parallelen zwischen hethischen, griechischen und ägyptischen Texten, auf geoarchäologische Befunde sowie auf die durch jüngere Ausgrabungen erhärtete Vermutung, wonach Troja deutlich größer war als bis in die 1990er Jahre angenommen. Neuere Ausgrabungen ergeben allerdings ein differenziertes Bild. So könnte Troja zwar in der frühen Bronzezeit ein größeres Handelszentrum gewesen sein, nicht jedoch in der - für die Theorie zentralen - späten Bronzezeit..[11]
Nach neuesten Forschungen der Archäologen Jung und Mehofer standen Gruppen in der Ägäis auch mit Italien in engem Kontakt.[12] Darauf weisen Ergebnisse archäometallurgischer Untersuchungen an spätbronzezeitlichen Schwertern und Fibeln hin. Die charakteristischen Hiebschwerter vom Typ Naue II wurden demnach in Italien hergestellt und verbreiteten sich von dort über die Ägäis in den östlichen Mittelmeerraum. Die typisch italischen Violinbogenfibeln wurden dagegen lokal in der Ägäis und der Levante hergestellt und wurden wohl von Auswanderern getragen, die zu Seevölkergruppen gehörten. Verschiedene Auswanderungswellen bildeten dann in einem Dominoeffekt den Seevölkersturm.
Siehe auch
Lykier
Keftiu
Danaer
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Schilderung des Sieges über die Seevölker im Totentempel Ramses’ III. in Medinet Habu, dem altägyptischen Tahut
Begriff
Der Ausdruck Seevölker wurde von dem französischen Ägyptologen Gaston Maspero geprägt, um die von Ramses III. auf den Reliefs von Medinet Habu abgebildeten Fremdvölker zu bezeichnen.
Inschrift des Merenptah
Auf Inschriften in Karnak und Athribis wird aus dem 5. Jahr des Merenptah (Baenre-hotephirmaat) die Schlacht bei Sais erwähnt, bei welcher eine Koalition aus Libyern und „Seevölkern“ Ägypten angriff. Dem libyschen Herrscher Meria (Mrjj) folgten die Hilfstruppen der Šardana (Scherden), Šekeleš (Schekelesch), Aqi-waša, Luka, Turiša (Tyrsener), Mešweš (Meschwesch), Tjehenu und die Tjemehu.
Vertikal gespiegelte Nachzeichnung der Siegesstele des Merenptah (F. Petrie).
Die Länder der Hethiter fallen, wie beim Anblick nahender Windhunde, auf die Knie. Bleibende Angst für die Herzen der Mešweš, zerbrochen ist das Land Tjemhu. Lebu wurde aus unserem Ta Meri („Geliebtes Land“) verdrängt; es kann nun wieder die Strahlen von Aton sehen, weil das Unwetter über Kemet verjagt wurde.[2]
Seeschlacht im Nildelta zwischen den Streitkräften von Ramses III. und den „Seevölkern“. Umzeichnung eines Wandreliefs im Tempel von Medinet Habu
Der Angriff der Seevölker veranlasste Ramses III. in seinem 8. Regierungsjahr (1180 v. Chr.) zu folgendem Bericht:
„(15) Ich [Ramses III] schütze es [Ägypten], (16) indem ich (für es) die Neunbogen abwehre. Die Fremdländer vollzogen alle zusammen die Trennung von ihren Inseln. Es zogen fort und verstreut sind im Kampfgewühl die Länder auf einen Schlag. Nicht hielt irgendein Land vor ihren Armeen stand; und die Länder von Ḫatti, Qadi, Qarqemiš, Arzawa, (17) und Alasia an waren (nun) entwurzelt auf [einen Schlag]. Es wurde ein Lager aufgeschlagen an einem Ort im Inneren von Amurru. Sie vernichteten seine Leute und sein Land, als sei es nie gewesen. Sie kamen nun, indem die Flamme vor ihnen bereitet war, vorwärts gegen Ägypten, ihre Zwingburg (?). (18) Die Peleset, Tjeker, Šekeleš (Schekelesch), Danunäer und Wašaš, verbündete Länder, legten ihre Hände auf alle Länder bis ans Ende der Welt; ihre Herzen waren zuversichtlich und vertrauensvoll: Unsere Pläne gelingen.“
– Auszug aus der Inschrift im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu[3]
Auf den Reliefs im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu sind diese Fremdvölker dargestellt. Die Peleset (plst), Tjeker (ṯkr), Danuna (dnjn) und die Waschasch (wšš) tragen Helme mit Federkrone. Für die Darstellungen hierzu gibt es gleichzeitige Parallelen in Enkomi. Die Träger eines Hörnerhelms ohne Aufsatz sind die Scherden. Diese Art der Hörnerhelme wurden als Zeichnung auf der Kriegervase aus Mykene, und ebenfalls in Enkomi gefunden.
Die Šekeleš (šklš) tragen Stirnbänder. Die Fremdvölker werden einheitlich mit einem kurzen Rock dargestellt und sind meist bartlos. Oft tragen sie Panzer. Die Bewaffnung besteht aus einem runden Schild, Speer, Lanze und Schwert. Ihre Schiffe sind einheitlichen Typs, mit Segeln und einem auffälligen Vogelkopf an beiden Enden. Ob sie Ruder besaßen, ist umstritten. Die Details der Kleidung bei allen Gruppen sind dem Mittelmeerraum zuzuordnen; ebenso nach wissenschaftlichen Untersuchungen die Schiffe. Gleichzeitig mit den Angriffen der Seevölker findet ein Zusammenbruch der bronzezeitlichen Kulturzentren im östlichen Mittelmeerraum statt.
Papyrus Harris
Im Papyrus Harris I, einem Rechenschaftsbericht von Ramses III., der kurz nach dessen Tode verfasst wurde, wird berichtet, wie der Pharao die Dnjn, „die auf ihren Inseln sind“, tötete. Gefangene Šrdn (Schardana) werden als Hilfstruppen angesiedelt. Wenn sich dies auf dieselben Ereignisse wie die Inschriften von Medinet Habu bezieht, so heißt dies vermutlich, dass der ägyptische Sieg nicht vollkommen war, sondern dass man die Angreifer an der Peripherie ansiedeln und mit Tributen besänftigen musste. Die meisten Kommentatoren nehmen zudem eine Verwechslung der Šrdn mit den Šklš (Schekelesch) an, denn die Šrdn sind schon aus früherer Zeit als ägyptische Hilfstruppe bekannt: Sie sind bereits unter Ramses II. auf ägyptischer Seite in der Schlacht von Kadesch belegt. Sie kamen offenbar als Kriegsgefangene in die Armee und werden als Hörnerhelmträger mit Knauf abgebildet. Die Šrdn entsprechen wohl den Šardanu in den Amarnabriefen aus der 18. Dynastie. In einem Brief des Königs von Byblos an den König von Ägypten werden Šardanu als Leibwache erwähnt.
Hintergrund
Nicht alle als Seevölker bezeichneten Völker werden in den bisher bekannten Quellen unter den jeweiligen Königen Ägyptens genannt, die über sie berichteten:[4]
Alter Orient im 13. Jahrhundert v. Chr.
Von 1250 bis 1100 v. Chr. kam es zu einem Klimawandel, der im Gebiet des östlichen Mittelmeeres zu extremen Trockenphasen führte.[5] In der ausgehenden Bronzezeit ergaben sich ab ca. 1220 v. Chr. einschneidende Veränderungen im Seehandel des Mittelmeerraums. Diese Schwierigkeiten zeigten bereits bei den Hethitern um 1210 v. Chr. erste Wirkungen, da Ägypten die in einen Versorgungsengpass geratenen Hethiter mit Getreidelieferungen unterstützte. Anscheinend konnte die wirtschaftliche Lage nicht lange stabilisiert werden. Nur einige Jahre später suchten die Hethiter bereits nach neuen Siedlungsmöglichkeiten. Archäologische Funde und schriftliche Dokumente zeigen einheitlich den sich abzeichnenden Zusammenbruch des gesamten Handels bis in die Gebiete der Ägäis auf.
Die vielleicht einsetzenden Völkerwanderungen kamen vermutlich aus westlicher Richtung und zogen sich über einen längeren Zeitraum auf dem Landweg hin. Auf dem Relief in Medinet Habu werden Familien gezeigt, die mit ihrem Hab und Gut auf Ochsenkarren unterwegs sind. Das Ziel dieser Wanderer bildete zunächst Hatti und Kizzuwatna, später die Levante und Zypern. Die Angriffe zur See müssen daher losgelöst von der schon vorher einsetzenden „Völkerwanderung“ gesehen werden.
Verlauf des „Seevölkersturms“
Zur See operierende Völker schlossen sich mit zu Lande agierenden Völkern zu einer Koalition zusammen und zerstörten im östlichen Mittelmeergebiet viele Städte und Reiche. Die letzte Korrespondenz aus Ugarit spricht von verlustreichen Kämpfen des hethitischen Herrschers im Bereich der Lukka-Länder. Gleichzeitig war Zypern nach den Alašija-Briefen von nicht näher bezeichneten „Feinden“ angegriffen worden, die jedoch weiterzogen. Die Flotte Ugarits wurde vom hethitischen Herrscher an der kleinasiatischen Südküste eingesetzt. Truppen Ugarits waren ins hethitische Kernland verlegt worden. Unmittelbar nach dieser Schilderung wurde das schutzlose Ugarit von See aus zerstört.
Theorien zur Identität der „Seevölker“
Das Thema „Seevölker“ zählt zu den meistdiskutierten, komplexesten und schwierigsten Forschungsbereichen der Altertumsforschung. Zahlreiche multidisziplinäre Kongresse widmeten sich ausschließlich diesem Thema.
Emmanuel de Rougé[6] schlug 1867 auf Grund der Namensähnlichkeiten folgende Identifikationen der einzelnen Stämme vor:[7]
Eduard Meyer geht, neben den Danaern, Achäern, Lykiern und Tyrsenern, von einer gewissen Fassbarkeit zweier Völker aus, der Persta und der Zakkari. Die Persta verbindet er mit den Philistern, die nach israelitischer Überlieferung von Kreta stammten. Beide Völker siedelten sich Anfang des 12. Jahrhunderts v. Chr. an der Küste Palästinas an, die Philister bei Gaza und Askalon, die Zakkari nördlich bei Dor. Den Persta und Zakkari war in den ägyptischen Darstellungen die „Kopfbedeckung von Federn“ oder „Federkrone“ gemeinsam.[9] Nach Herodot (Historien: 1, 171) waren die Karer die ersten, die Federbüsche auf den Helmen anbrachten.
Die Gleichsetzung der Šardana mit den Bewohnern Sardiniens und der Šekeleš oder Tjeker mit den Sikelern bzw. Bewohnern Siziliens ist in der Forschung nach wie vor strittig. Gemeinsam mit den Turša (Tyroša) kann bei den Šardana jedoch in der ägyptischen Geschichte auf ältere Berührungspunkte verwiesen werden, die bis in die Anfänge der 18. Dynastie reichen.[2] Die Luka, als Bewohner der Lukka-Länder, wurden in hethitischen Texten oft genannt und waren in Südwest-Kleinasien angesiedelt.
Indogermanische Einwanderung
Viele Althistoriker, Sprachwissenschaftler und Archäologen gingen früher davon aus, dass es sich in der Mehrzahl um indogermanische Illyrer gehandelt habe. Ihr Vordringen führte nach Meinung dieser Forscher zum Niedergang der mykenischen Kultur in Griechenland (Pylos, Mykene u. a.) und besiegelte das Schicksal des Hethiterreichs Šuppiluliumaš' II..
Piraten und Mykener
Andere sahen die „Seevölker“ schlicht als Piraten. Einige Forscher vermuteten sogar, bei den „Seevölkern“ habe es sich zu großen Teilen um Mykener gehandelt, die also nicht Opfer, sondern Auslöser der Unruhen gewesen wären. Diese Theorie gilt aber bis auf weiteres als sehr problematisch, wenngleich sich etwa in der materiellen Kultur der späteren Philister durchaus einige Parallelen zur mykenischen finden lassen.
Herkunft aus Kleinasien (Troja) und der Ägais
In der aktuellen Forschung wird als Ausgangspunkt der „Seevölker“-Unruhen oft der west- bzw. süd-kleinasiatische und der ägäische Raum angenommen. Dafür spricht neben einer Vielzahl von neuen archäologischen Funden, die in diese Richtung deuten, auch die ägyptische Bezeichnung Hau-nebut (Ḥ3w-nbwt) für die Seevölker, die „Bewohner der Ägäis“ bedeutet.
Der Geoarchäologe Eberhard Zangger vermutet die Herkunft der Seevölker in Westanatolien. Er identifiziert es mit dem in hethischen Texten erwähnten Achijawa und vermutet dahinter ein wesentlich von Troja kontrolliertes Machtbündnis. Zu den Implikationen seiner Theorie gehört auch die (bis heute umstrittene) historische Realität eines Trojanischen Krieges. Achijawa mit seinem Machtzentrum Troja wäre somit militärischer Gegner sowohl von Mykene als auch von Hatti gewesen. Nach der Zerstörung Trojas durch seien die Überlebenden in verschiedene Regionen im östlichen Mittelmeer geflüchtet und hätten ihre technologischen Kenntnisse (vor allem der Metallverarbeitung) dorthin mitgenommen. So erkläre sich das etwa zeitliche Auftauchen von Philistern und Phöniziern in der Levante, der Thraker auf dem Balkan oder, etwas später, der Etrusker in Italien. Zangger dokumentierte die Theorie in seinem Buch „Ein neuer Kampf um Troja - Archäologie in der Krise“[10] Die Theorie stützt sich im wesentlichen auf inhaltliche Parallelen zwischen hethischen, griechischen und ägyptischen Texten, auf geoarchäologische Befunde sowie auf die durch jüngere Ausgrabungen erhärtete Vermutung, wonach Troja deutlich größer war als bis in die 1990er Jahre angenommen. Neuere Ausgrabungen ergeben allerdings ein differenziertes Bild. So könnte Troja zwar in der frühen Bronzezeit ein größeres Handelszentrum gewesen sein, nicht jedoch in der - für die Theorie zentralen - späten Bronzezeit..[11]
Nach neuesten Forschungen der Archäologen Jung und Mehofer standen Gruppen in der Ägäis auch mit Italien in engem Kontakt.[12] Darauf weisen Ergebnisse archäometallurgischer Untersuchungen an spätbronzezeitlichen Schwertern und Fibeln hin. Die charakteristischen Hiebschwerter vom Typ Naue II wurden demnach in Italien hergestellt und verbreiteten sich von dort über die Ägäis in den östlichen Mittelmeerraum. Die typisch italischen Violinbogenfibeln wurden dagegen lokal in der Ägäis und der Levante hergestellt und wurden wohl von Auswanderern getragen, die zu Seevölkergruppen gehörten. Verschiedene Auswanderungswellen bildeten dann in einem Dominoeffekt den Seevölkersturm.
Siehe auch
Lykier
Keftiu
Danaer
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
checker- Moderator
- Anzahl der Beiträge : 49603
Anmeldedatum : 03.04.11
Ort : Braunschweig
Seite 1 von 1
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten
So Nov 17, 2024 4:25 am von Andy
» END OF GREEN
So Nov 17, 2024 4:21 am von Andy
» zozyblue
So Nov 17, 2024 4:18 am von Andy
» MAGNUM
So Nov 17, 2024 4:14 am von Andy
» Natasha Bedingfield
So Nov 17, 2024 4:12 am von Andy
» ... TRAKTOR ...
So Nov 17, 2024 4:10 am von Andy
» = Azillis =
So Nov 17, 2024 4:07 am von Andy
» Alice Cooper
So Nov 17, 2024 4:04 am von Andy
» Art of Trance
So Nov 17, 2024 4:02 am von Andy