Preußische Tugenden
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Preußische Tugenden
Als preußische Tugenden bezeichnet man einen nicht festgelegten Kanon einiger von protestantisch-calvinistischer Moral und von der Aufklärung geprägter Tugenden.
Historische Entstehung
Diese Tugenden gingen zunächst auf die Könige Friedrich Wilhelm I., den sparsamen, bürgerlichen Verwaltungsreformer, der sich auch als Soldatenkönig einen Namen machte, und auf dessen Sohn Friedrich den Großen zurück. Diese verstanden sich als moralisches Vorbild (der Vater) und Vertreter der Vernunft (der Sohn) für ihre katholischen wie protestantischen und verschiedensprachigen (deutsch, polnisch, sorbisch, masurisch) Untertanen. Prägenden Einfluss hatte auch die preußische „Reformära“ nach der militärischen Niederlage 1806 gegen Napoléon Bonaparte bis zum Wiener Kongress 1815 (Gemeinde-, Heeres-, Schul-, Universitäts- und Steuerreform, Judenemanzipation). Besonders prägend wirkte sich die Preußische Heeresreform aus, die das Verhältnis zwischen König und Soldat nachhaltig veränderte und „aus dem Waffenrock das Ehrenkleid machte.“[1]
Sie verschafften Preußen eine fortschrittliche Rechtsordnung und Verwaltung, ein der Krone loyales Offizierskorps und einen „Vernunftpatriotismus“, der seinen Aufstieg vom herkömmlichen Barockstaat des Großen Kurfürsten zur modernen Großmacht trotz dessen ökonomisch kümmerlicher Voraussetzungen sehr beförderte (sandige, magere Ackerböden, „des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Streusandbüchse“ genannt; große Verwüstungen und Menschenentleerungen im Dreißigjährigen Krieg).
Die preußischen Tugenden werden von den ersten Zeilen des Gedichts Der alte Landmann an seinen Sohn von Ludwig Christoph Heinrich Hölty zusammengefasst. Das Gedicht wurde von einer Melodie aus der Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart begleitet. Sie wurde täglich durch das Glockenspiel der Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam gespielt, in der Friedrich der Große ursprünglich begraben lag. Der Text lautet wie folgt: „Üb’ immer Treu und Redlichkeit, / Bis an dein kühles Grab; / Und weiche keinen Fingerbreit / Von Gottes Wegen ab. / Dann wirst du, wie auf grünen Aun, / Durchs Pilgerleben gehn; / Dann kannst du, sonder Furcht und Graun, / Dem Tod' ins Auge sehn.“[2]
Tugenden
Zu den Tugenden werden beispielhaft gezählt:
Aufrichtigkeit
Bescheidenheit (klassisch hierfür, nach dem Beispiel Kaiser und König Wilhelms I. von Preußen, die Kornblume als Lieblingsblume)
Disziplin
Fleiß
Gehorsam (jedoch nicht ohne Freimut)
Geradlinigkeit
Gerechtigkeitssinn („Suum cuique“ = Jedem das Seine)
Gottesfurcht bei religiöser Toleranz („Jeder soll nach seiner Façon selig werden“)
Härte, gegen sich mehr noch als gegen andere
Mut
Ordnungssinn
Pflichtbewusstsein
Pünktlichkeit
Redlichkeit
Selbstverleugnung („Wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört.“[3][4])
Sparsamkeit
Tapferkeit ohne Wehleidigkeit („Lerne leiden, ohne zu klagen“)
Treue
Unbestechlichkeit
Unterordnung
Weltoffenheit
Zurückhaltung („Mehr sein als scheinen!“)
Zuverlässigkeit
Zielstrebigkeit
Auf diese Tugenden führt man bisweilen auch die veraltete Redensart zurück, jemand täte etwas pour le Roi de Prusse (wörtlich „für den König von Preußen“, d. h. umsonst, ohne etwas dafür zu nehmen).
Typische Zitate
„Üb’ immer Treu und Redlichkeit …“ (Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche)
Theodor Fontane lässt in seinem Roman Der Stechlin einen Offizier sagen: „Dienst ist alles, und Schneidigkeit ist nur Renommisterei. Und das ist alles, was bei uns am niedrigsten gilt. Die wirklich Vornehmen gehorchen nicht einem Machthaber, sondern einem Gefühl der Pflicht. Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht. Es ist dies außerdem etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor anderen Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die es nicht begreifen und übel wollen, dämmert die Vorstellung von unserer daraus entspringenden Überlegenheit.“
„Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte“ (Inschrift auf dem Grabstein des Johann Friedrich Adolf von der Marwitz in Friedersdorf, der während des Siebenjährigen Krieges den Befehl des Königs, Schloss Hubertusburg zu plündern, verweigerte)
Être Prussien est un honneur, mais pas plaisir. („Preuße zu sein ist eine Ehre, aber kein Vergnügen.“ – Französisches Sprichwort)
Kritik
Die preußischen Tugenden wurden stets auch kritisiert, so etwa im Bürgertum wegen ihrer ursprünglichen Wissenschafts- und Kunstferne, staatswirtschaftlichen und soldatischen Ausprägung – „Befehl und Gehorsam“ (für seine negative und radikale Ausprägung siehe auch Kadavergehorsam) – und Demokratiefeindlichkeit. Auch die Arbeiterbewegung wandte sich vor allem gegen die beiden letztgenannten Züge. In der 68er-Bewegung wurden sie, weil insbesondere die Treue- und Gehorsamspflicht zumeist auch gegenüber der nationalsozialistischen Regierung geübt worden war, äußerst misstrauisch angesehen und als „Sekundärtugenden“ gegenüber deren Konzept emanzipatorischer „Primärtugenden“ (auch: Kardinaltugenden) abgewertet.
Preußische Tugenden werden auch heute noch gelegentlich in der politischen Debatte thematisiert. So forderte beispielsweise Anfang Januar 2006 der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck in einem dpa-Gespräch die Rückbesinnung auf positive preußische Tugenden und sprach „bewährte Grundeigenschaften wie Anständigkeit, Verlässlichkeit und Pflichterfüllung“ an.
Der US-Amerikaner Richard Rhodes sieht bei Heinrich Himmler das Prinzip preußischer „Härte“ als Voraussetzung dafür an, dass hunderttausende Deutsche die Judenvernichtung willig exekutierten:
„Himmler bemühte sich jedoch, die abstoßende Aufgabe der Abschlachtung unbewaffneter Zivilisten zu einem Teil des SS-Nimbus zu machen. Bei seinen Bemühungen konnte er auf die preußische Militärtradition zurückgreifen, nach der moralisch verwerfliche und psychisch belastende Erlebnisse in eine Tugend umgemünzt wurde: ‚Härte‘.
Die Tugend der ‚Härte‘ beschwor Himmler auch im Herbst 1940, als er vor SS-Offizieren ausführte, die SS habe in Polen bei Wetter mit 40° unter Null Hunderttausende fortschaffen und ‚die Härte haben‘ müssen, Tausende führender Polen zu erschießen.
Es muss immer so sein, dass eine solche Exekution für unsere Männer das Schwerste sein muss. Und es muss trotzdem immer so sein, dass sie niemals weich werden, sondern dass sie das mit zusammengebissenen Lippen machen.“[5]
Quelle - Literatur & einzelnachweise
Historische Entstehung
Diese Tugenden gingen zunächst auf die Könige Friedrich Wilhelm I., den sparsamen, bürgerlichen Verwaltungsreformer, der sich auch als Soldatenkönig einen Namen machte, und auf dessen Sohn Friedrich den Großen zurück. Diese verstanden sich als moralisches Vorbild (der Vater) und Vertreter der Vernunft (der Sohn) für ihre katholischen wie protestantischen und verschiedensprachigen (deutsch, polnisch, sorbisch, masurisch) Untertanen. Prägenden Einfluss hatte auch die preußische „Reformära“ nach der militärischen Niederlage 1806 gegen Napoléon Bonaparte bis zum Wiener Kongress 1815 (Gemeinde-, Heeres-, Schul-, Universitäts- und Steuerreform, Judenemanzipation). Besonders prägend wirkte sich die Preußische Heeresreform aus, die das Verhältnis zwischen König und Soldat nachhaltig veränderte und „aus dem Waffenrock das Ehrenkleid machte.“[1]
Sie verschafften Preußen eine fortschrittliche Rechtsordnung und Verwaltung, ein der Krone loyales Offizierskorps und einen „Vernunftpatriotismus“, der seinen Aufstieg vom herkömmlichen Barockstaat des Großen Kurfürsten zur modernen Großmacht trotz dessen ökonomisch kümmerlicher Voraussetzungen sehr beförderte (sandige, magere Ackerböden, „des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Streusandbüchse“ genannt; große Verwüstungen und Menschenentleerungen im Dreißigjährigen Krieg).
Die preußischen Tugenden werden von den ersten Zeilen des Gedichts Der alte Landmann an seinen Sohn von Ludwig Christoph Heinrich Hölty zusammengefasst. Das Gedicht wurde von einer Melodie aus der Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart begleitet. Sie wurde täglich durch das Glockenspiel der Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam gespielt, in der Friedrich der Große ursprünglich begraben lag. Der Text lautet wie folgt: „Üb’ immer Treu und Redlichkeit, / Bis an dein kühles Grab; / Und weiche keinen Fingerbreit / Von Gottes Wegen ab. / Dann wirst du, wie auf grünen Aun, / Durchs Pilgerleben gehn; / Dann kannst du, sonder Furcht und Graun, / Dem Tod' ins Auge sehn.“[2]
Tugenden
Zu den Tugenden werden beispielhaft gezählt:
Aufrichtigkeit
Bescheidenheit (klassisch hierfür, nach dem Beispiel Kaiser und König Wilhelms I. von Preußen, die Kornblume als Lieblingsblume)
Disziplin
Fleiß
Gehorsam (jedoch nicht ohne Freimut)
Geradlinigkeit
Gerechtigkeitssinn („Suum cuique“ = Jedem das Seine)
Gottesfurcht bei religiöser Toleranz („Jeder soll nach seiner Façon selig werden“)
Härte, gegen sich mehr noch als gegen andere
Mut
Ordnungssinn
Pflichtbewusstsein
Pünktlichkeit
Redlichkeit
Selbstverleugnung („Wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört.“[3][4])
Sparsamkeit
Tapferkeit ohne Wehleidigkeit („Lerne leiden, ohne zu klagen“)
Treue
Unbestechlichkeit
Unterordnung
Weltoffenheit
Zurückhaltung („Mehr sein als scheinen!“)
Zuverlässigkeit
Zielstrebigkeit
Auf diese Tugenden führt man bisweilen auch die veraltete Redensart zurück, jemand täte etwas pour le Roi de Prusse (wörtlich „für den König von Preußen“, d. h. umsonst, ohne etwas dafür zu nehmen).
Typische Zitate
„Üb’ immer Treu und Redlichkeit …“ (Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche)
Theodor Fontane lässt in seinem Roman Der Stechlin einen Offizier sagen: „Dienst ist alles, und Schneidigkeit ist nur Renommisterei. Und das ist alles, was bei uns am niedrigsten gilt. Die wirklich Vornehmen gehorchen nicht einem Machthaber, sondern einem Gefühl der Pflicht. Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht. Es ist dies außerdem etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor anderen Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die es nicht begreifen und übel wollen, dämmert die Vorstellung von unserer daraus entspringenden Überlegenheit.“
„Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte“ (Inschrift auf dem Grabstein des Johann Friedrich Adolf von der Marwitz in Friedersdorf, der während des Siebenjährigen Krieges den Befehl des Königs, Schloss Hubertusburg zu plündern, verweigerte)
Être Prussien est un honneur, mais pas plaisir. („Preuße zu sein ist eine Ehre, aber kein Vergnügen.“ – Französisches Sprichwort)
Kritik
Die preußischen Tugenden wurden stets auch kritisiert, so etwa im Bürgertum wegen ihrer ursprünglichen Wissenschafts- und Kunstferne, staatswirtschaftlichen und soldatischen Ausprägung – „Befehl und Gehorsam“ (für seine negative und radikale Ausprägung siehe auch Kadavergehorsam) – und Demokratiefeindlichkeit. Auch die Arbeiterbewegung wandte sich vor allem gegen die beiden letztgenannten Züge. In der 68er-Bewegung wurden sie, weil insbesondere die Treue- und Gehorsamspflicht zumeist auch gegenüber der nationalsozialistischen Regierung geübt worden war, äußerst misstrauisch angesehen und als „Sekundärtugenden“ gegenüber deren Konzept emanzipatorischer „Primärtugenden“ (auch: Kardinaltugenden) abgewertet.
Preußische Tugenden werden auch heute noch gelegentlich in der politischen Debatte thematisiert. So forderte beispielsweise Anfang Januar 2006 der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck in einem dpa-Gespräch die Rückbesinnung auf positive preußische Tugenden und sprach „bewährte Grundeigenschaften wie Anständigkeit, Verlässlichkeit und Pflichterfüllung“ an.
Der US-Amerikaner Richard Rhodes sieht bei Heinrich Himmler das Prinzip preußischer „Härte“ als Voraussetzung dafür an, dass hunderttausende Deutsche die Judenvernichtung willig exekutierten:
„Himmler bemühte sich jedoch, die abstoßende Aufgabe der Abschlachtung unbewaffneter Zivilisten zu einem Teil des SS-Nimbus zu machen. Bei seinen Bemühungen konnte er auf die preußische Militärtradition zurückgreifen, nach der moralisch verwerfliche und psychisch belastende Erlebnisse in eine Tugend umgemünzt wurde: ‚Härte‘.
Die Tugend der ‚Härte‘ beschwor Himmler auch im Herbst 1940, als er vor SS-Offizieren ausführte, die SS habe in Polen bei Wetter mit 40° unter Null Hunderttausende fortschaffen und ‚die Härte haben‘ müssen, Tausende führender Polen zu erschießen.
Es muss immer so sein, dass eine solche Exekution für unsere Männer das Schwerste sein muss. Und es muss trotzdem immer so sein, dass sie niemals weich werden, sondern dass sie das mit zusammengebissenen Lippen machen.“[5]
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