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    Der Radikalenerlass

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    Der Radikalenerlass Empty Der Radikalenerlass

    Beitrag  checker Di Aug 19, 2014 10:50 pm

    Die Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst (auch Radikalenerlass oder Extremistenbeschluss genannt) waren in der Bundesrepublik Deutschland ein Beschluss der Regierungschefs der Bundesländer und Bundeskanzler Willy Brandts vom 28. Januar 1972 auf Vorschlag der Innenministerkonferenz. In ihm wurde auf das geltende Recht hingewiesen, dass die aktive Verfassungstreue Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst sei, und erstmals ergänzt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation in der Regel Zweifel an der Verfassungstreue begründe und mithin eine Ablehnung rechtfertige. Der Erlass zielte im Besonderen auf die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Er wurde 1976 von der Regierungskoalition aus SPD und FDP einseitig aufgekündigt, als politisch keine Einmütigkeit mehr darüber bestand und auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1975 keine Klarheit gebracht hatte. Seitdem gehen die Landesregierungen eigene Wege.

    Die Kampagne gegen die Praxis der „Berufsverbote“ wurde auch im Ausland unterstützt, von François Mitterrand, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Frankreichs, von Jean-Paul Sartre, der Russell-Stiftung. Die Bezeichnung „Berufsverbot“ war zwar juristisch nicht begründet, hat aber als griffiges Schlagwort auch Einzug in andere Sprachen gefunden (so zum Beispiel in Frankreich[1]). Der Hintergrund für die Bezeichnung liegt darin, dass manche Berufe wie Lehrer oder Lokomotivführer in der Realität fast immer zum öffentlichen Dienst gehören bzw. gehörten. Für einen Betroffenen war die entsprechende Berufsausübung daher kaum noch möglich.

    Vorgeschichte

    Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren waren vereinzelt Bewerber für den öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik wegen Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufgrund des Adenauer-Erlass in Bezugnahme auf Regelungen im Beamtengesetz abgelehnt worden. Ende der 1960er-Jahre war die politische und gesellschaftliche Entwicklung von der Notwendigkeit einer Abkehr der Konfrontationen im Kalten Krieg und einer zunehmenden politischen Polarisierung im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung geprägt.

    Die Große Koalition von CDU/CSU und SPD „hatte 1968, als die rechtsradikale NPD in einigen Landtagen saß, die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zugelassen. [...] Eher fürchtete sie die Aktivität des SDS, der schließlich 1970 in einen DKP-freundlichen und einen maoistischen Teil auseinanderbrach.“[2]

    Die 1969 folgende sozialliberale Koalition konzentrierte sich auf eine neue Ostpolitik, die die Opposition aussenpolitisch in die Defensive brachte.

    „Nach der Gründung der DKP konzentrierte sich die Union (CDU/CSU) auf ein anderes Problem: ‚Extremisten im öffentlichen Dienst‘. Dutschkes Wort vom notwendigen ‚Marsch durch die Institutionen‘ zitierend, beschwor sie eine Unterwanderung.“ Im Zusammenhang mit der Öffnung zum Osten wurde die sozialliberale Regierung durch ständiges Vortragen dieses Themas unter Druck gesetzt und so „fand es die Parteispitze (der SPD) nötig, zu dokumentieren, daß außenpolitische Realpolitik, d.h., Verständigung mit dem Osten, keinesfalls identisch mit einem besseren inneren Verhältnis zu Kommunisten sei.“[3] So kam es nach der Unterzeichnung des Moskauer-Vertrages [14. November 1970] zu einem Abgrenzungsbeschluss der SPD gegen jede Zusammenarbeit mit Kommunisten, der auch als Signal an die Öffentlichkeit und als Klarstellung gegenüber den Christdemokraten gedacht war.

    Der erste neue Extremisten-Beschluss (die in der Adenauer-Zeit erlassenen Regelungen galten fort) wurde im sozialliberal regierten Hamburg erlassen, wo die SPD-Spitze auch eine Unterwanderung der eigenen Partei fürchtete und da einige Bundesländer Ähnliches planten, galt es zudem, einer Zersplitterung des Beamtenrechts vorzubeugen und einheitliche rechtsstaatliche Standards zu schaffen. Das Prinzip der Wehrhaften Demokratie wurde dafür zur Rechtfertigung herangezogen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) setzte die Betroffenen pauschal mit den Terroristen der Rote Armee Fraktion gleich: „Ulrike Meinhof als Lehrerin oder Andreas Baader bei der Polizei beschäftigt, das geht nicht.“[4]

    Im Januar 1972 wurde der einheitlich für die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin geltende, später „Radikalenerlass“ genannte Beschluss gefasst.

    Inhalt

    Es wurden folgende Grundsätze beschlossen:[5]

    Nach den Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt; Beamte sind verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen.
    Es handelt sich hierbei um zwingende Vorschriften.
    Jeder Einzelfall muss für sich geprüft und entschieden werden. Von folgenden Grundsätzen ist dabei auszugehen:
    Bewerber
    Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt.
    Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Einstellungsantrages.
    Beamte
    Erfüllt ein Beamter durch Handlungen oder wegen seiner Mitgliedschaft in einer Organisation verfassungsfeindlicher Zielsetzung die Anforderungen des § 35 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht, aufgrund derer er verpflichtet ist, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten, so hat der Dienstherr aufgrund des jeweils ermittelten Sachverhaltes die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist.
    Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze.

    Rechtsprechung

    Die Rechtsprechung zum Radikalenerlass basiert auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das eine Einstellung nur dann für vertretbar hält, wenn der Bewerber „eine von der Verfassung (Art. 33 Abs. 5 GG) geforderte und durch das einfache Gesetz konkretisierte rechtliche Voraussetzung für den Eintritt in das Beamtenverhältnis [erfüllte], [nämlich] dass der Bewerber die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten“.[6]

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte am 26. September 1995 im Fall der aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der DKP aus dem Staatsdienst entlassenen und später wieder eingestellten Lehrerin Dorothea Vogt einen Verstoß gegen die Art. 10 und Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit) fest und verurteilte die Bundesrepublik zur Zahlung von Schadensersatz.[7] Das Urteil bezog sich jedoch ausdrücklich nur auf bereits eingestellte Beamte und nicht auf Bewerber für den öffentlichen Dienst. In drei Minderheitenvoten rechtfertigten einige EGMR-Richter den Radikalenerlass u. a. mit der Ost/West-Konfrontation.

    Der Radikalenerlass 220px-KAS-Radikalenerlass-Bild-11706-1
    Wandzeitung der CDU, der sich gegen das Abrücken der SPD-Länder vom Radikalenerlass richtet

    Anwendungspraxis

    In der Anfangszeit des Radikalenerlasses erfolgte eine Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz, wenn jemand sich für eine Stelle im öffentlichen Dienst bewarb.

    Die Gründe, die Bewerber für den öffentlichen Dienst in den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit brachten, waren vielfältig. In der Praxis waren vom Radikalenerlass vor allem Beamte, Beamtenanwärter, Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes aus dem linken Spektrum betroffen. Es wurde nicht nur Linksextremisten und Kommunisten die Einstellung verweigert, sondern auch Personen, die anderen oder keiner Partei angehörten. Teilweise war es ausreichend, in einer Organisation aktiv zu sein, in der Kommunisten eine führende Rolle spielten. Dazu gehörte beispielsweise die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) oder die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ). Der Radikalenerlass galt zwar auch für Rechtsextremisten, die Zahl der vom Radikalenerlass betroffenen Rechtsextremisten lag jedoch deutlich unter denen der Linksextremisten.
    Kritik

    Kritik aus Politik und Gesellschaft

    „Für die SPD- und FDP-Führung hatte der Beschluß zunächst die Funktion gehabt, die Ratifizierung der Ostverträge politisch abzusichern [..., doch] Herbert Wehner [SPD] sah schon 1972 ‚Gesinnungsschnüffelei‘ und in dem angestrebten ‚Schutz‘ der freiheitlichen Grundordnung einen ersten Schritt zu ihrer Beseitigung.“[8]

    „Als Flankenschutz gegen die Volksfrontangriffe der Rechten ist auch jener Radikalenerlaß gedacht, den Brandt später als einen seiner kardinalen Fehler werten wird, denn er kostet ihn Glaubwürdigkeit bei der jungen Generation. Es ist schon fatal, wenn gerade er, der ja den größeren, nicht zu Gewalt bereiten Teil der rebellierenden Jugend in den demokratischen Prozeß integrieren will, seine Unterschrift unter jenen Erlaß setzt, der Andersdenkende mit beruflicher Repression bedroht.“[9]

    Helmut Schmidt stellte schließlich fest, dass mit „Kanonen auf Spatzen geschossen worden sei“.[10] Der Holocaust-Überlebende Alfred Grosser monierte eine Ungleichbehandlung von willigen Helfern des Hitler-Regimes, die nach dessen Ende in Westdeutschland steile Karrieren gemacht hätten.[10]

    Kritik aus dem Ausland

    "Der Ärger, den Brandt sich mit dem Radikalenerlaß einhandelt, ist vor allem bei den befreundeten westeuropäischen Genossen groß. François Mitterrand gründet 1976 ein „Komitee zur Verteidigung der beruflichen und bürgerlichen Rechte in der Bundesrepublik Deutschland“ und handelt sich einen ärgerlichen Brief Brandts ein.[11] Die Existenz und Anwendung des Radikalenerlasses wurde in internationalen Gremien (z. B. die Internationale Arbeitsorganisation oder das Russell-Tribunal) als Verletzung von Menschenrechten gewertet.

    Handhabung in anderen westlichen Staaten

    Die in der Bundesrepublik Deutschland sehr stark von anderen Staaten abweichende Stellung des Berufsbeamtentums macht einen direkten Vergleich schwer. Das transparente und am Leistungsprinzip (Bewerberlisten mit Platzziffern nach Noten) orientierte deutsche Einstellungssystem macht eine willkürliche Manipulation nach politischen Kriterien weitgehend unmöglich. Um Personalpolitik entsprechend steuern zu können, bedurfte es daher einer formalrechtlichen Grundlage. Staaten, die bei Einstellung ihrer Bediensteten freier sind, bedürfen eines solchen Eingriffs nicht.

    Allerdings sind aus dem westlichen Ausland Fälle der Nichteinstellung bzw. Entlassung öffentlich Bediensteter aufgrund der außerdienstlichen Betätigung für eine legale Partei oder Organisation oder bloßen Nähe zu einer solchen kaum überliefert. Der einzige Fall einer solchen organisierten beruflichen Ausgrenzung (dort aber nicht nur im öffentlichen Dienst) war die McCarthy-Ära in den USA.
    Widerstand

    Überraschend für Befürworter und Praktiker des Radikalenerlasses war, dass Empörung und Widerstand sich nicht auf das unmittelbare berufliche oder organisatorische Umfeld der Betroffenen beschränkten, sondern mit dem Wachsen der Zahl der Verfahren bald auf weite Bevölkerungskreise übergriff. Die Auswüchse der „Gesinnungsschnüffelei“ trafen vor allem in der studierenden Jugend - die persönlich nicht konkret betroffen war - auf so massiven Unwillen, dass dieser sich Ende 1976 in Berlin in einem spontanen Studentenprotest entlud, der in einen „Berufsverbotestreik“ genannten Ausstand mündete.
    Universitäten

    „An der Freien Universität Berlin (FU) war es bereits im Mai 1975 zur Gründung eines ‚Aktionskomitee gegen Berufsverbote‘ gekommen, [um das sich ...] entsprechende Initiativgruppen in den Fachbereichen [bildeten].“ Da die Fülle der Aufgaben stetig anstieg, wurde im WS 1975/76 ein Initiativenausschuss gegründet, „der u.a. im November 75 eine Demonstration mit 10.000 Leuten gegen das Berufsverbot mit tragen konnte.“[12]



    „An der FU hatte sich die Anzahl der vom Berufsverbot betroffenen Dozenten und Professoren [im Verlauf des Jahres 1976] auf 24 Fälle erhöht. Hierzu kamen zahlreiche ähnliche Fälle an der TU und den Fachhochschulen. [...] Unzählige andere Fälle wurden über Nichtbesetzung von Planstellen oder ‚dunkle Berufungsfragen‘ geregelt.“

    – Der lange Marsch. Sondernummer zur neuen Studentenbewegung. April 1977.


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    Transparente an der Hochschule der Künste, Berlin im Januar 1977

    Nachdem zwei Fälle bei den Germanisten der FU unter den Studierenden des Instituts einen Streik auslöste, beriefen diese kurz darauf eine Vollversammlung im Audimax der Universität ein, das mit 4.000 Teilnehmern völlig überfüllt war. Die Versammlung rief den allgemeinen Streik an der FU aus, der rasch um sich griff - 15 von 21 Fachbereichen der Technischen Universität (TU) schlossen sich an, sowie fast alle anderen Hochschulen und Fachhochschulen der Stadt und die Schulen des Zweiten Bildungswegs.

    Der Berufsverbotestreik überraschte Politik, die Verwaltungen der Lehranstalten sowie die Öffentlichkeit und entwickelte eine Dynamik, die schon bald Spekulationen um eine „Neue Studentenbewegung“ hervorbrachte. Bemerkenswert war, dass diese neue Generation der ‚Unorganisierten‘ und ‚Alternativen‘ zwar im Innenverhältnis die Vorherrschaft der maoistischen K-Gruppen und der DDR-orientierten Studentenverbände brach, aber sich dennoch mit entsprechend gesinnten Dozenten solidarisierte.

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    Demonstration gegen Berufsverbote am 28. Januar 1977 in Berlin

    Die Gefahr, die von diesen Maßnahmen für Staat und Gesellschaft selbst ausging, kennzeichnete FU-Präsident Eberhard Lämmert, als er vor dem Akademischen Senat der FU ausführte, dass „verständliches politisches Engagement während des Studiums zu schweren Nachteilen bei der Berufswahl führen kann.“[13] Es fühlten sich nicht nur politisch oppositionell denkende Studierende bedroht, sondern die diffuse Gefährlichkeit der Maßnahme wurde der großen Mehrheit bewusst.

    Der Streik war erfolgreich – die Suspendierung der Germanistik-Dozenten wurde zurück genommen – und durch die intensive Öffentlichkeitsarbeit der Studierenden, gerieten die Überprüfungsmaßnahmen auch zunehmend in die Aufmerksamkeit der Medien. Auch durch Gerichtsentscheidungen zu den Einzelfällen wurde vor allem die ausufernde Praxis der ‚Informationserhebung‘ und Verdachtsausweitung zunehmend eingeschränkt. Es kam zu gewerkschaftlichen Solidaritätsadressen mit der Studentenschaft aus GEW, HBV und ÖTV – Organisationen, die nun auch Fälle in ihren Bereichen ans Licht brachten.
    Gewerkschaften

    Da die Kritik nicht nur in Berlin, sondern auch von den Universitäten in Westdeutschland in die Öffentlichkeit getragen wurde‚ wuchs sie auch durch die damals engeren Kontakte von Studenten und Arbeitern in den Gewerkschaften in der Bundesrepublik, da hier die Führungsebenen den Radikalenerlass ebenfalls als Mittel nutzten, um unliebsame Kollegen über Gewerkschaftsausschlüsse aus den Organisationen auszuschliessen.
    Öffentlichkeit (Persönlichkeiten, Medien, Kirche)

    Ein herausragender Exponent des Widerstandes gegen die Berufsverbote, dessen persönliche Integrität von keiner Seite in Frage gestellt wurde, war der Professoer der evangelischen Theologie in Bonn und an der FU Berlin, Helmut Gollwitzer.[14]
    Kulturbereich

    Auf dem ‚Fest der jungen Filmer‘ 1975 der Bundesarbeitsgemeinschaft der deutschen Jugendfilmclubs (BAG) in Werl/Westfalen belegte der Kurzspielfilm „Der Besuch“ über eine frühmorgentliche Durchsuchung einer Privatwohnung den ersten Platz.
    Juristische Kritik

    (AG Berufsverbote IfP, FU Berlin):[15]

    Die Arbeitsgruppe, die einen historischen Zusammenhang vom „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie 1878, über das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933, [das] noch nicht einmal vom Reichstag abgesegnet wurde ...“, herstellt, bemerkt eingangs, dass es sich beim Radikalenerlaß 1972 „um ein Gesetz handelt [...], was zur Vermutung [berechtige], daß bestimmte Schranken vorliegen, die es zunächst ‚klüger‘ erscheinen ließen, die legislative Ebene zu vermeiden und den Umweg über einen Erlaß der Ministerpräsidenten zu wählen.“

    Die ‚Schranken‘ sah die AG (Anfang 1977) [neben Veränderungen im politischen Kräfteverhältnis] in einer Unsicherheit der Exekutive über die in der Legislative bisher angewandte Methode. Den Ausgangspunkt dafür legte das Bundesverfassungsgericht bereits 1952 in einem Urteil zum Adenauererlass.

    Methodenkritik:

    Die Definition der im GG, Art. 21, Abs. 2 genannten „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ (FDGO) durch das BVG 1952 sah die AG als eine Interpretation, der „eine selbstständige Bedeutung beigemessen“ wird, die „völlig losgelöst von den Bestandteilen [des Grundgesetzes] selbst existiert.“ Durch diesen „manipulativen Trick“ stünden die BVG-Interpretation und „die sich darauf beziehenden Instanzen“ gleichsam höher als jede andere Auffassung des Grundgesetzes, also letztlich höher als es selbst.

    Diese „Ersetzung der Verfassung durch eine Interpretation“ [des BVG] erscheint als juristisch einwandfrei (da das BVG als höchste Instanz berechtigt ist, die Verfassung zu interpretieren), ist aber logisch der Ersatz einer relativen Regelung durch eine bestimmte.

    Relativ sei die Regelung am deutlichsten in der Berliner Verfassung insofern, als es in Art. 23, Abs. 3 [2014: Art. 36 (3)] heißt: „Werden die in der Verfassung festgelegten Grundrechte offensichtlich verletzt, so ist jedermann zum Widerstand berechtigt.“ Die ‚Offensichtlichkeit von Verletzung der Grundrechte‘, die „jedermann“ zu eigenständiger Handlungsfreiheit ermächtigt, sei eine relative Kategorie. Das Bundesverfassungsgericht als staatliche Institution habe die ‚Offensichtlichkeit‘ als grundsätzliche, selbst individuell mögliche Interpretation beseitigt zugunsten einer von Staats wegen festgesetzten Auslegungsweise. Genau dieses wollte die Verfassung vermeiden.

    Verkehrung von Rangordnung

    Die Bestimmungen des Beamtenrecht werden über diejenigen der Verfassung gesetzt. Mit einem niederrangigen Gesetz wird ein höherrangiges ausgelegt. Die AG: „In der aktuellen Politik werden die Bestimmungen der Beamtengesetze über die Grundrechte der Verfassung(en) gesetzt, obwohl dies die Verfassung ausdrücklich untersagt (BV Art. 23 [2014: Art. 36], GG Art. 19). Außerdem wird versucht, diese Maßstäbe nicht nur für Beamte, sondern für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst anzuwenden.“

    Die Kritik der AG Berufsverbote bilanziert, dass „nicht der Text der Verfassung, sondern die derzeit herrschende Rechtsauffassung“ die Entscheidungen bestimmen.[16]

    Dass das Bundesverfassungsgericht letztlich nicht als neutrale Instanz, sondern auch von politischen Interessen geleitet urteilt, wird auch in der Literatur festgestellt:



    „Zu einer Art 'dritter Kammer' entwickelten sich in diesen Jahren [gemeint sind frühen 1970er-Jahre] das Bundesverfassungsgericht. Zum ersten Mal stand hier eine politisch konträr gesinnte Richtermehrheit der Bundesregierung gegenüber. Die Bundesverfassungsrichter haben lange Amtszeiten, mehrere stammten noch aus der Zeit der CDU/CSU-Dominanz, und die starke Position der CDU/CSU in Bundesrat und Bundestag erlaubte es nicht, diese Mehrheit zu verändern. [...] Im Hinblick auf den ‚Extremistenbeschluss‘ führte das Verfassungsgericht neben dem Begriff der ‚Verfassungswidrigkeit‘, den das Grundgesetz kennt, den juristisch weniger abgegrenzten Begriff der ‚Verfassungsfeindlichkeit‘ ein.“

    – Dietrich Tränhardt: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. S. 202 f.


    Durch das Zusammenwirken von Kritik und Widerstand in allen gesellschaftlichen Bereichen bekam die Bewegung gegen den Radikalenerlass eine Dynamik, die die politischen Mehrheiten bewog, auf dieses Mittel zu verzichten und kein Regelverfahren mehr anzuwenden.
    Aufhebung des Erlasses

    Bis zur Abschaffung der Regelanfrage wurden bundesweit insgesamt 1,4 Millionen Personen überprüft. Ca. 1.100 davon wurde der Eintritt in den bzw. das Verbleiben im öffentlichen Dienst verwehrt,[10] Insgesamt wurden 11.000 Verfahren eingeleitet. Allein bei den Lehrern gab es 2.200 Disziplinarverfahren und 136 Entlassungen.[17]

    Als erstes Bundesland hob das Saarland den Radikalenerlass am 25. Juni 1985 förmlich auf. Weitere Bundesländer folgten oder ersetzten den Erlass durch länderspezifische Nachfolgeregelungen. Als letztes Bundesland stellte der Freistaat Bayern 1991 die Regelanfrage ein. In den meisten Ländern wird heute eine sogenannte Bedarfsanfrage beim Verfassungsschutz durchgeführt, wenn sich Zweifel daran ergeben, ob der Bewerber jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintreten wird. Dies ist sehr selten der Fall und führt noch seltener zu Konsequenzen. In Bayern muss sich seit 1991 gemäß der Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst jeder Bewerber bis heute zudem in einem Fragebogen u. a. erklären[18], ob er Mitglied in einer „extremistischen oder extremistisch beeinflussten“ Organisation ist bzw. war, zu denen etwa Al-Qaida, Scientology, aber auch Die Linke gerechnet werden[19], oder Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR war.

    40 Jahre nach dem Radikalenerlass fordern Betroffene Entschädigung und eine vollständige Rehabilitierung.[20]

    Siehe auch

    Michael Csaszkóczy
    Horst Holzer

    Quelle - Literatur & Einzelnachweise
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