Nostra Aetate
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Nostra Aetate
Nostra Aetate (lat. für „In unserer Zeit“, so die Anfangsworte) heißt die „Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“, die das Zweite Vatikanische Konzil formulierte und die Papst Paul VI. am 28. Oktober 1965 rechtskräftig verkündete. Sie anerkennt Wahres und Heiliges in den anderen Religionen und bestätigt die bleibende Erwählung des Judentums, in dem das Christentum wurzelt. Dies markierte eine Abkehr der römisch-katholischen Kirche von ihrem bisherigen exklusiven und antijüdisch definierten Absolutheitsanspruch.
Der Text ist ein ungeplantes Ergebnis jahrelanger, von vielen Skandalen und Konflikten begleiteter Beratungen auf dem Konzil. Dabei wurden die ursprünglich auf das katholische Verhältnis zum Judentum begrenzten Vorentwürfe in den Zusammenhang einer Öffnung zum allgemeinen interreligiösen Dialog gerückt und ausgeweitet. Einige Passagen und Einzelstellen blieben bis zuletzt umstritten, doch mehr als 96% der anwesenden Konzilsväter stimmten für den Text.
Entstehung
Initiativen im Vorfeld
Die Initiative für Nostra Aetate geht auf Papst Johannes XXIII. zurück. Dieser plante ursprünglich ein besonderes Dekret zum Judentum. Als Nuntius in Bulgarien und Ungarn hatte er die Judenverfolgungen in der Zeit des Nationalsozialismus miterlebt und vielen Juden das Leben gerettet. Seit seinem Amtsantritt 1958 leitete er ein erneuertes Verhältnis seiner Kirche zum Judentum ein. Als ersten unangekündigten Schritt dazu ließ er 1959 in der traditionellen Karfreitagsfürbitte für die Juden die Worte perfidus (treulos) und iudaicam perfidiam (jüdische Untreue) streichen.
Nachdem er 1960 das Konzil angekündigt und eine Zentralkommission zu dessen Vorbereitung eingesetzt hatte, erhielt diese Reformvorschläge von Katholiken, Protestanten und Juden aus aller Welt. Am 24. April 1960 sandte das Bibelinstitut der Jesuiten in Rom eine Eingabe zum Judentum an die Zentralkommission, am 24. Juni das Institut für christlich-jüdische Studien der Seton Hall University in New Jersey (USA), Anfang September eine Arbeitsgemeinschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Apeldoorn. Alle Vorschläge umfassten zwei Hauptpunkte:
eine kirchenoffizielle Verurteilung des Antisemitismus, verbunden mit einem Schuldbekenntnis der Kirche für ihren Antijudaismus, der den Holocaust mit ermöglicht habe,
eine Anerkennung der bleibenden Geltung des Judentums als Wurzel des Christentums und damit eine Abkehr von der traditionellen Substitutionstheologie und der sog. Gottesmordtheorie.
Am 13. September 1960 bat der jüdische Historiker Jules Isaac, dessen Frau und Kinder in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden, den Papst bei einer Audienz direkt um eine solche Erklärung und erhielt dessen Zusage dafür, verbunden mit dem Hinweis auf zu erwartende inner- und außerkirchliche Widerstände. Am 18. September 1960 beauftragte der Papst den deutschen Kardinal Augustin Bea, der das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen leitete, mit diesem einen Text für das Judendekret zu entwerfen.
Beratungsverlauf
Am 15. November 1960 bildete das Einheitssekretariat eine Unterkommission für die „Judenfragen“ (Quaestiones de Iudaeis), zu der Leo von Rudloff (Jerusalem), Gregory Baum (Rom) und Johannes Oesterreicher (Seton Hall) gehörten; die letzteren waren Christen jüdischer Herkunft. Baum lieferte im Februar 1961 eine Skizze, Oesterreicher eine längere theologische Studie. Daraus ging im Dezember 1961 ein erster Entwurf hervor.
Während der Beratungen erfuhren die Medien im Frühjahr 1961 vorzeitig von dem Plan für die Erklärung. Es kam zu Protesten vor allem aus arabischen Staaten. Befürchtet wurde die Absicht des Vatikans, den Staat Israel anzuerkennen und das Judentum gegenüber dem Islam als Dialogpartner zu bevorzugen. Dies wiederum führte zu Ängsten seitens der orientalischen Kirchen in mehrheitlich islamischen Ländern.
Anfang Juni 1962 legte das Einheitssekretariat der Zentralkommission des Konzils seinen Entwurf vor. Am 12. Juni 1962 gab der Jüdische Weltkongress (WJC) bekannt, er wolle Chaim Wardi, einen Beamten im israelischen Ministerium für religiöse Angelegenheiten, zur Beobachtung des Konzils nach Rom senden. Dies wurde vielfach als Versuch der Einflussnahme gewertet und verstärkte die arabisch-islamischen Proteste. Teilweise wurde eine geheime Zusammenarbeit zwischen Vatikan und WJC vermutet.
Daraufhin strich die Zentralkommission die Erklärung von der Tagesordnung des Konzils. Dagegen protestierte der Oberrabbiner Roms am 10. Oktober 1962, dem Vorabend der Konzilseröffnung. Auch einige katholische Bischöfe protestierten. Bea sandte dem Papst ein ausführliches Memorandum zum Stand der Vorbereitungen der Erklärung und betonte deren Dringlichkeit. Daraufhin bekräftigte der Papst am 13. Dezember 1962 in einem Brief an das bereits eröffnete Konzil seinen Willen zur Neuordnung der Beziehungen zum Judentum und empfahl, die Judenerklärung wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Bea erreichte durch zähes Verhandeln, dass die Koordinierungskommission die Judenerklärung als viertes Kapitel in das Schema (den offiziellen Vorentwurf) für das Dekret über den Ökumenismus einfügte.
In den Folgemonaten versuchten Vertreter arabischer Christen wie der syrische Patriarch Maximos IV. und europäische Traditionalisten wie Marcel Lefebvre, diese Vorlage vor allem wegen der darin integrierten Judenerklärung scheitern zu lassen. Es gehe beim Ökumenismus um die innere Einheit der Kirche, zu der die Juden nicht gehörten. Man dürfe in diesem Rahmen entweder alle nichtchristlichen Religionen oder gar keine behandeln.
Das Konzilssekretariat unter Erzbischof Pericle Felici ließ keine vorläufige Abstimmung über die Judenerklärung zu und stufte sie zu einem bloßen Anhang des Ökumenismusdekrets herab. Am 4. Dezember 1963 vertagte es die Beschlussfassung dazu auf die für 1964 vorgesehene dritte Konzilsperiode. Diese Verzögerung sollte den Israelbesuch des neuen Papstes Paul VI. vom 4. bis 6. Januar 1964 von arabischen und jüdischen Protesten entlasten.
Unter deren Eindruck überarbeitete Johannes Oesterreicher den Entwurf der Judenerklärung, ließ umstrittene Sätze fort und schwächte andere Formulierungen ab. So wurde die Gottesmordtheorie nicht mehr ausdrücklich verurteilt. Auch dieser Vorentwurf wurde durch Indiskretion vorzeitig bekannt. Er fand weithin ein negatives Echo; viele westliche Medien warfen den Autoren vor, sich dem Druck arabischer Staaten zu beugen und den Antijudaismus nicht zu beenden.
Am 6. August 1964 erließ Papst Paul VI. die Antrittsenzyklika Ecclesiam Suam, die erstmals vom Dialog sprach und anderen monotheistischen Religionen eine wahre Gottesverehrung zubilligte. Die Einheitskommission hatte eine konkrete Behandlung anderer Religionen mangels Sachverstand und Experten zunächst abgelehnt, setzte aber nun Arbeitsgruppen ein, die Vorschläge für dieses Thema unterbreiten sollten. Diese entfalteten eine rege Reisediplomatie, um auch Kirchen arabisch-islamischer und osteuropäischer Staaten einzubinden und ihnen Einfluss auf die Textgestalt zu gestatten. Einige der Änderungsvorschläge der Ostkirchen wurden aufgenommen und der Islam erhielt ein eigenes Kapitel, um die Widerstände zu überwinden.
Am 25. September 1964 wurde der dritte Vorentwurf in der Vollversammlung diskutiert. Viele Teilnehmer kritisierten eine Verwässerung der vorherigen Entwürfe, besonders hinsichtlich der Aussagen zum Israelbund und zur Gottesmordtheorie: Nur die gegenwärtigen Juden, nicht die zur Zeit Jesu lebenden, seien vom Vorwurf des Gottesmordes freigesprochen worden. Sie empfahlen die Rückkehr zum Ausgangstext, um eine deutliche Absage an Antisemitismus und Antijudaismus zu erreichen. Die deutschen Bischöfe unterstützten eine Aussage zur wesensmäßigen Bindung der Kirche an das Judentum und genauere Erklärung der Relation Jesu Christi zur alttestamentlichen Heilsgeschichte. Eine dritte Gruppe wollte weitere monotheistische Religionen erwähnt wissen. Traditionalisten und Bischöfe arabischer Staaten wollten die Anerkennung des Judentums noch mehr abschwächen. Gegner behaupteten, die Kirche habe ihr positives Verhältnis zu den Juden in der NS-Zeit genügend gezeigt. Die Erklärung werde die Lage der Katholiken in der islamischen Welt nur erschweren und „ganze Völker zu Feinden der Kirche machen“, so etwa der melkitische Erzbischof Joseph Tawil.
Insgesamt zeichnete sich jedoch eine große Mehrheit für eine Judenerklärung mit einer Abkehr von antijudaistischen Kirchenlehren ab. Daraufhin wurde der dritte Entwurf erneut überarbeitet und einige der Abschwächungen darin zurückgenommen. Das umstrittene Wort „Gottesmord“ entfiel, aber eine jüdische Kollektivschuld an Jesu Kreuzigung wurde zurückgewiesen. Die Absage an den Antisemitismus blieb unmissverständlich, wurde aber mit der Schlusspassage in den allgemeineren Kontext einer Ablehnung jeder Diskriminierung gerückt.
Diese Änderungen erklärten die Gegner der Erklärung als Propagandaerfolg der Juden; Maximos behauptete, die Bischöfe der USA hätten Geschäftsbeziehungen zu den US-amerikanischen Juden nicht aufs Spiel setzen wollen. Solange die Juden Christus als ihren Erlöser ablehnten, stünde auf ihrer Stirn ein „Mal der Schande“, wie es die Propheten geweissagt hätten. Einen biblischen Beleg dafür blieb er schuldig. Anfang Oktober 1964 protestierte das oberste arabische Komitee Palästinas gegen angebliche Versuche des Konzils, „die Juden für unschuldig zu erklären“.
Am 9. Oktober 1964 erklärte Kardinalstaatssekretär Amleto Giovanni Cicognani in einem Brief an Bea, er habe „im höheren Auftrag“ - der üblichen Formel für eine Anweisung des Papstes - eine neue sechsköpfige Kommission einberufen. Sie sollte mehrheitlich mit Gegnern der Judenerklärung besetzt sein und den vierten Textentwurf überprüfen, kürzen und in das Schema für das Dekret über die Kirche einbauen. Dies sollte seine Bedeutung zu einer innerkirchlichen Angelegenheit herabstufen und dem Einheitssekretariat die Zuständigkeit dafür entziehen. Auf Nachfrage beim Papst erfuhr Bea, dass dieser weder die neue Kommission noch Überprüfung und Kürzung des vierten Entwurfs angeordnet hatte. Eine Gruppe deutscher Bischöfe unter Kardinal Joseph Frings beschwerte sich am 11. Oktober 1964 brieflich beim Papst über die eigenmächtige Verletzung der Konzilsregeln und erreichte sein Eingreifen zugunsten des bisherigen Verfahrens. Die theologische Kommission lehnte den Vorschlag ab, die Erklärung zum Judentum an das fertiggestellte Dekret Lumen Gentium anzuhängen.
Damit war die Entscheidung gefallen, das Verhältnis zum Judentum im Rahmen einer besonderen Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen zu behandeln. Die Generalversammlung nahm den vierten Vorentwurf am 20. November mit 1651 placet-, 242 placet juxta modum- (Zustimmung mit Veränderungswünschen) und 99 non-placet-Stimmen zur Schlussberatung an.
Danach verstärkten die Gegner ihre Bemühungen, die Erklärung scheitern zu lassen. Kampagnen in arabischen Medien drohten den Christen ihrer Staaten mit Repressalien; der jordanische Premierminister etwa erklärte am 25. November 1964, er werde alle Unterzeichner der Judenerklärung auf eine „schwarze Liste“ setzen. Orthodoxe Christen organisierten Protestdemonstrationen in vielen Städten des Nahen Ostens, bei denen hochrangige Kirchenvertreter redeten.
Im Frühjahr 1965 sandte der Papst zwei Vertreter des Konzils, Johannes Willebrands und Pierre Duprey, in den Nahen Osten, um die Lage der dortigen Christen zu prüfen. Nachdem diese von zahlreichen Drohungen und Übergriffen gegen christliche Minderheiten in arabischen Staaten berichteten, erwog das Einheitssekretariat nochmals, die Erklärung von der Tagesordnung abzusetzen, also nicht mehr vom Konzil beschließen zu lassen. Doch nun sprachen sich auch bis dahin zurückhaltende Konzilsteilnehmer für die Beschlussfassung aus. So erklärte Josef Stangl, es gehe nun um die Glaubwürdigkeit und moralische Autorität der ganzen Kirche:[1]
„In dieser Entscheidungsstunde des Konzils gilt: Nicht Diplomatie, nicht Taktik, nicht allzu große pastorale Klugheit, sondern Gerechtigkeit auf dem geraden Weg, 'die Wahrheit wird euch frei machen' (Joh 8,32).“
Ein Hauptstreitpunkt im gleichzeitig diskutierten Dekret Dignitatis humanae, die Anerkennung der Religionsfreiheit als Folge der individuellen Gewissensfreiheit, wurde biblisch besser begründet und verhalf damit auch Nostra Aetate indirekt zu mehr Akzeptanz.[2]
Eine Passionspredigt des Papstes 1965, in der er wieder von einer Kollektivschuld der Juden am Tode Jesu sprach, verstärkte jedoch Gerüchte, wonach der Vatikan beabsichtige, den Beschluss zur Judenerklärung zu verhindern oder zu vertagen. Daraufhin mahnten 55 deutsche katholische Theologen in einem Brief an den Papst die unaufschiebbare Promulgation der Erklärung als „Aufgabe von weltgeschichtlicher Bedeutung“ an. Sie sahen darin den seit 1945 notwendigen Neubeginn im christlich-jüdischen Verhältnis, das zugleich die Einheit der Christen untereinander entscheidend stärken werde:[3]
„Die Bedeutung dieser Erklärung kann nicht überschätzt werden, weil alle Christen, die sie ersehnt haben, es begrüßen, dass alte, unberechtigte Vorwürfe gegenüber den Juden nun nicht mehr festgehalten werden können (z.B. die Gesamtschuld an der Kreuzigung Christi). Dadurch ist einem christlichen Antisemitismus der Boden entzogen.“
Im gleichen Zeitraum verteilten die im Coetus Internationalis Patrum vereinten Traditionalisten anonyme antisemitische Hetzpamphlete an alle Konzilsteilnehmer. Sie versuchten bis zum 28. Oktober, die Schlussabstimmungen mit Geschäftsordnungsanträgen zu verhindern. Doch am 14. und 15. Oktober 1965 stimmte die Generalversammlung, am 28. Oktober die Konzilssession der Endvorlage mit großer Mehrheit (2221 Ja-, 88 Nein-, drei ungültige Stimmen, keine Enthaltungen) zu. Damit trat diese kirchenrechtlich in Kraft.[4]
Weiter geht es in Teil 2
Der Text ist ein ungeplantes Ergebnis jahrelanger, von vielen Skandalen und Konflikten begleiteter Beratungen auf dem Konzil. Dabei wurden die ursprünglich auf das katholische Verhältnis zum Judentum begrenzten Vorentwürfe in den Zusammenhang einer Öffnung zum allgemeinen interreligiösen Dialog gerückt und ausgeweitet. Einige Passagen und Einzelstellen blieben bis zuletzt umstritten, doch mehr als 96% der anwesenden Konzilsväter stimmten für den Text.
Entstehung
Initiativen im Vorfeld
Die Initiative für Nostra Aetate geht auf Papst Johannes XXIII. zurück. Dieser plante ursprünglich ein besonderes Dekret zum Judentum. Als Nuntius in Bulgarien und Ungarn hatte er die Judenverfolgungen in der Zeit des Nationalsozialismus miterlebt und vielen Juden das Leben gerettet. Seit seinem Amtsantritt 1958 leitete er ein erneuertes Verhältnis seiner Kirche zum Judentum ein. Als ersten unangekündigten Schritt dazu ließ er 1959 in der traditionellen Karfreitagsfürbitte für die Juden die Worte perfidus (treulos) und iudaicam perfidiam (jüdische Untreue) streichen.
Nachdem er 1960 das Konzil angekündigt und eine Zentralkommission zu dessen Vorbereitung eingesetzt hatte, erhielt diese Reformvorschläge von Katholiken, Protestanten und Juden aus aller Welt. Am 24. April 1960 sandte das Bibelinstitut der Jesuiten in Rom eine Eingabe zum Judentum an die Zentralkommission, am 24. Juni das Institut für christlich-jüdische Studien der Seton Hall University in New Jersey (USA), Anfang September eine Arbeitsgemeinschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Apeldoorn. Alle Vorschläge umfassten zwei Hauptpunkte:
eine kirchenoffizielle Verurteilung des Antisemitismus, verbunden mit einem Schuldbekenntnis der Kirche für ihren Antijudaismus, der den Holocaust mit ermöglicht habe,
eine Anerkennung der bleibenden Geltung des Judentums als Wurzel des Christentums und damit eine Abkehr von der traditionellen Substitutionstheologie und der sog. Gottesmordtheorie.
Am 13. September 1960 bat der jüdische Historiker Jules Isaac, dessen Frau und Kinder in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden, den Papst bei einer Audienz direkt um eine solche Erklärung und erhielt dessen Zusage dafür, verbunden mit dem Hinweis auf zu erwartende inner- und außerkirchliche Widerstände. Am 18. September 1960 beauftragte der Papst den deutschen Kardinal Augustin Bea, der das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen leitete, mit diesem einen Text für das Judendekret zu entwerfen.
Beratungsverlauf
Am 15. November 1960 bildete das Einheitssekretariat eine Unterkommission für die „Judenfragen“ (Quaestiones de Iudaeis), zu der Leo von Rudloff (Jerusalem), Gregory Baum (Rom) und Johannes Oesterreicher (Seton Hall) gehörten; die letzteren waren Christen jüdischer Herkunft. Baum lieferte im Februar 1961 eine Skizze, Oesterreicher eine längere theologische Studie. Daraus ging im Dezember 1961 ein erster Entwurf hervor.
Während der Beratungen erfuhren die Medien im Frühjahr 1961 vorzeitig von dem Plan für die Erklärung. Es kam zu Protesten vor allem aus arabischen Staaten. Befürchtet wurde die Absicht des Vatikans, den Staat Israel anzuerkennen und das Judentum gegenüber dem Islam als Dialogpartner zu bevorzugen. Dies wiederum führte zu Ängsten seitens der orientalischen Kirchen in mehrheitlich islamischen Ländern.
Anfang Juni 1962 legte das Einheitssekretariat der Zentralkommission des Konzils seinen Entwurf vor. Am 12. Juni 1962 gab der Jüdische Weltkongress (WJC) bekannt, er wolle Chaim Wardi, einen Beamten im israelischen Ministerium für religiöse Angelegenheiten, zur Beobachtung des Konzils nach Rom senden. Dies wurde vielfach als Versuch der Einflussnahme gewertet und verstärkte die arabisch-islamischen Proteste. Teilweise wurde eine geheime Zusammenarbeit zwischen Vatikan und WJC vermutet.
Daraufhin strich die Zentralkommission die Erklärung von der Tagesordnung des Konzils. Dagegen protestierte der Oberrabbiner Roms am 10. Oktober 1962, dem Vorabend der Konzilseröffnung. Auch einige katholische Bischöfe protestierten. Bea sandte dem Papst ein ausführliches Memorandum zum Stand der Vorbereitungen der Erklärung und betonte deren Dringlichkeit. Daraufhin bekräftigte der Papst am 13. Dezember 1962 in einem Brief an das bereits eröffnete Konzil seinen Willen zur Neuordnung der Beziehungen zum Judentum und empfahl, die Judenerklärung wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Bea erreichte durch zähes Verhandeln, dass die Koordinierungskommission die Judenerklärung als viertes Kapitel in das Schema (den offiziellen Vorentwurf) für das Dekret über den Ökumenismus einfügte.
In den Folgemonaten versuchten Vertreter arabischer Christen wie der syrische Patriarch Maximos IV. und europäische Traditionalisten wie Marcel Lefebvre, diese Vorlage vor allem wegen der darin integrierten Judenerklärung scheitern zu lassen. Es gehe beim Ökumenismus um die innere Einheit der Kirche, zu der die Juden nicht gehörten. Man dürfe in diesem Rahmen entweder alle nichtchristlichen Religionen oder gar keine behandeln.
Das Konzilssekretariat unter Erzbischof Pericle Felici ließ keine vorläufige Abstimmung über die Judenerklärung zu und stufte sie zu einem bloßen Anhang des Ökumenismusdekrets herab. Am 4. Dezember 1963 vertagte es die Beschlussfassung dazu auf die für 1964 vorgesehene dritte Konzilsperiode. Diese Verzögerung sollte den Israelbesuch des neuen Papstes Paul VI. vom 4. bis 6. Januar 1964 von arabischen und jüdischen Protesten entlasten.
Unter deren Eindruck überarbeitete Johannes Oesterreicher den Entwurf der Judenerklärung, ließ umstrittene Sätze fort und schwächte andere Formulierungen ab. So wurde die Gottesmordtheorie nicht mehr ausdrücklich verurteilt. Auch dieser Vorentwurf wurde durch Indiskretion vorzeitig bekannt. Er fand weithin ein negatives Echo; viele westliche Medien warfen den Autoren vor, sich dem Druck arabischer Staaten zu beugen und den Antijudaismus nicht zu beenden.
Am 6. August 1964 erließ Papst Paul VI. die Antrittsenzyklika Ecclesiam Suam, die erstmals vom Dialog sprach und anderen monotheistischen Religionen eine wahre Gottesverehrung zubilligte. Die Einheitskommission hatte eine konkrete Behandlung anderer Religionen mangels Sachverstand und Experten zunächst abgelehnt, setzte aber nun Arbeitsgruppen ein, die Vorschläge für dieses Thema unterbreiten sollten. Diese entfalteten eine rege Reisediplomatie, um auch Kirchen arabisch-islamischer und osteuropäischer Staaten einzubinden und ihnen Einfluss auf die Textgestalt zu gestatten. Einige der Änderungsvorschläge der Ostkirchen wurden aufgenommen und der Islam erhielt ein eigenes Kapitel, um die Widerstände zu überwinden.
Am 25. September 1964 wurde der dritte Vorentwurf in der Vollversammlung diskutiert. Viele Teilnehmer kritisierten eine Verwässerung der vorherigen Entwürfe, besonders hinsichtlich der Aussagen zum Israelbund und zur Gottesmordtheorie: Nur die gegenwärtigen Juden, nicht die zur Zeit Jesu lebenden, seien vom Vorwurf des Gottesmordes freigesprochen worden. Sie empfahlen die Rückkehr zum Ausgangstext, um eine deutliche Absage an Antisemitismus und Antijudaismus zu erreichen. Die deutschen Bischöfe unterstützten eine Aussage zur wesensmäßigen Bindung der Kirche an das Judentum und genauere Erklärung der Relation Jesu Christi zur alttestamentlichen Heilsgeschichte. Eine dritte Gruppe wollte weitere monotheistische Religionen erwähnt wissen. Traditionalisten und Bischöfe arabischer Staaten wollten die Anerkennung des Judentums noch mehr abschwächen. Gegner behaupteten, die Kirche habe ihr positives Verhältnis zu den Juden in der NS-Zeit genügend gezeigt. Die Erklärung werde die Lage der Katholiken in der islamischen Welt nur erschweren und „ganze Völker zu Feinden der Kirche machen“, so etwa der melkitische Erzbischof Joseph Tawil.
Insgesamt zeichnete sich jedoch eine große Mehrheit für eine Judenerklärung mit einer Abkehr von antijudaistischen Kirchenlehren ab. Daraufhin wurde der dritte Entwurf erneut überarbeitet und einige der Abschwächungen darin zurückgenommen. Das umstrittene Wort „Gottesmord“ entfiel, aber eine jüdische Kollektivschuld an Jesu Kreuzigung wurde zurückgewiesen. Die Absage an den Antisemitismus blieb unmissverständlich, wurde aber mit der Schlusspassage in den allgemeineren Kontext einer Ablehnung jeder Diskriminierung gerückt.
Diese Änderungen erklärten die Gegner der Erklärung als Propagandaerfolg der Juden; Maximos behauptete, die Bischöfe der USA hätten Geschäftsbeziehungen zu den US-amerikanischen Juden nicht aufs Spiel setzen wollen. Solange die Juden Christus als ihren Erlöser ablehnten, stünde auf ihrer Stirn ein „Mal der Schande“, wie es die Propheten geweissagt hätten. Einen biblischen Beleg dafür blieb er schuldig. Anfang Oktober 1964 protestierte das oberste arabische Komitee Palästinas gegen angebliche Versuche des Konzils, „die Juden für unschuldig zu erklären“.
Am 9. Oktober 1964 erklärte Kardinalstaatssekretär Amleto Giovanni Cicognani in einem Brief an Bea, er habe „im höheren Auftrag“ - der üblichen Formel für eine Anweisung des Papstes - eine neue sechsköpfige Kommission einberufen. Sie sollte mehrheitlich mit Gegnern der Judenerklärung besetzt sein und den vierten Textentwurf überprüfen, kürzen und in das Schema für das Dekret über die Kirche einbauen. Dies sollte seine Bedeutung zu einer innerkirchlichen Angelegenheit herabstufen und dem Einheitssekretariat die Zuständigkeit dafür entziehen. Auf Nachfrage beim Papst erfuhr Bea, dass dieser weder die neue Kommission noch Überprüfung und Kürzung des vierten Entwurfs angeordnet hatte. Eine Gruppe deutscher Bischöfe unter Kardinal Joseph Frings beschwerte sich am 11. Oktober 1964 brieflich beim Papst über die eigenmächtige Verletzung der Konzilsregeln und erreichte sein Eingreifen zugunsten des bisherigen Verfahrens. Die theologische Kommission lehnte den Vorschlag ab, die Erklärung zum Judentum an das fertiggestellte Dekret Lumen Gentium anzuhängen.
Damit war die Entscheidung gefallen, das Verhältnis zum Judentum im Rahmen einer besonderen Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen zu behandeln. Die Generalversammlung nahm den vierten Vorentwurf am 20. November mit 1651 placet-, 242 placet juxta modum- (Zustimmung mit Veränderungswünschen) und 99 non-placet-Stimmen zur Schlussberatung an.
Danach verstärkten die Gegner ihre Bemühungen, die Erklärung scheitern zu lassen. Kampagnen in arabischen Medien drohten den Christen ihrer Staaten mit Repressalien; der jordanische Premierminister etwa erklärte am 25. November 1964, er werde alle Unterzeichner der Judenerklärung auf eine „schwarze Liste“ setzen. Orthodoxe Christen organisierten Protestdemonstrationen in vielen Städten des Nahen Ostens, bei denen hochrangige Kirchenvertreter redeten.
Im Frühjahr 1965 sandte der Papst zwei Vertreter des Konzils, Johannes Willebrands und Pierre Duprey, in den Nahen Osten, um die Lage der dortigen Christen zu prüfen. Nachdem diese von zahlreichen Drohungen und Übergriffen gegen christliche Minderheiten in arabischen Staaten berichteten, erwog das Einheitssekretariat nochmals, die Erklärung von der Tagesordnung abzusetzen, also nicht mehr vom Konzil beschließen zu lassen. Doch nun sprachen sich auch bis dahin zurückhaltende Konzilsteilnehmer für die Beschlussfassung aus. So erklärte Josef Stangl, es gehe nun um die Glaubwürdigkeit und moralische Autorität der ganzen Kirche:[1]
„In dieser Entscheidungsstunde des Konzils gilt: Nicht Diplomatie, nicht Taktik, nicht allzu große pastorale Klugheit, sondern Gerechtigkeit auf dem geraden Weg, 'die Wahrheit wird euch frei machen' (Joh 8,32).“
Ein Hauptstreitpunkt im gleichzeitig diskutierten Dekret Dignitatis humanae, die Anerkennung der Religionsfreiheit als Folge der individuellen Gewissensfreiheit, wurde biblisch besser begründet und verhalf damit auch Nostra Aetate indirekt zu mehr Akzeptanz.[2]
Eine Passionspredigt des Papstes 1965, in der er wieder von einer Kollektivschuld der Juden am Tode Jesu sprach, verstärkte jedoch Gerüchte, wonach der Vatikan beabsichtige, den Beschluss zur Judenerklärung zu verhindern oder zu vertagen. Daraufhin mahnten 55 deutsche katholische Theologen in einem Brief an den Papst die unaufschiebbare Promulgation der Erklärung als „Aufgabe von weltgeschichtlicher Bedeutung“ an. Sie sahen darin den seit 1945 notwendigen Neubeginn im christlich-jüdischen Verhältnis, das zugleich die Einheit der Christen untereinander entscheidend stärken werde:[3]
„Die Bedeutung dieser Erklärung kann nicht überschätzt werden, weil alle Christen, die sie ersehnt haben, es begrüßen, dass alte, unberechtigte Vorwürfe gegenüber den Juden nun nicht mehr festgehalten werden können (z.B. die Gesamtschuld an der Kreuzigung Christi). Dadurch ist einem christlichen Antisemitismus der Boden entzogen.“
Im gleichen Zeitraum verteilten die im Coetus Internationalis Patrum vereinten Traditionalisten anonyme antisemitische Hetzpamphlete an alle Konzilsteilnehmer. Sie versuchten bis zum 28. Oktober, die Schlussabstimmungen mit Geschäftsordnungsanträgen zu verhindern. Doch am 14. und 15. Oktober 1965 stimmte die Generalversammlung, am 28. Oktober die Konzilssession der Endvorlage mit großer Mehrheit (2221 Ja-, 88 Nein-, drei ungültige Stimmen, keine Enthaltungen) zu. Damit trat diese kirchenrechtlich in Kraft.[4]
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Teil 2
Inhalt
Mit fünf Teilen ist die Erklärung das kürzeste Dokument des Konzils.
„Einführung“
Abschnitt 1 beschreibt das Thema: Ausgangspunkt ist die faktische Pluralität der Religionen. Nicht einzelne Andersgläubige, sondern die nichtchristlichen Religionen insgesamt sind Gegenstand dieses Textes. Angesichts der zusammenwachsenden Menschheit wird nicht primär deren Christianisierung, sondern ein Beitrag zu „Einheit und Liebe unter den Menschen“ als Aufgabe der Kirche definiert. Daraus folgt die Suche nach Gemeinsamkeiten aller Religionen, nicht die Betonung ihrer Unterschiede zum Christentum, ohne diese zu leugnen.
Ursprung und Ziel der Völkergemeinschaft werden biblisch aus dem Schöpfungsauftrag (Gen 1) und der Perspektive des neuen Jerusalem (Offb 21) als biblischem Bild der geeinten und mit Gott versöhnten Polis begründet.
Die Fragen nach letzgültiger Bestimmung und Sinn des menschlichen Daseins werden als Thema und Aufgabe aller Religionen, nicht nur des Christentums, aufgezeigt und zusammengefasst:
„Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“
Insgesamt wird ein positiver Religionsbegriff vertreten.
„Die verschiedenen Religionen“
Abschnitt 2 billigt den verschiedenen Religionen eine „Wahrnehmung jener verborgenen Macht“ zu, „die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist“. Die „Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters“ werden als Ähnlichkeiten zum biblischen Gottesbild hervorgehoben. Ein kultureller und religionsgeschichtlicher Fortschritt wird festgestellt, in dessen Verlauf es zur immer stärkeren Reflexion auf „das göttliche Geheimnis“ gekommen sei.
Genannt werden der Hinduismus, in dem die Menschen durch Mythos oder Philosophie, durch Askese, Meditation oder liebende Hingabe zu Gott Befreiung suchen, sowie der Buddhismus mit seinen verschiedenen Lehren und Wegen der Befreiung und Erleuchtung. Die übrigen Religionen werden als Versuche zusammengefasst, „der Unruhe des menschlichen Herzens“ (ein Ausdruck Augustins) mit verschiedenen Lehren, Lebensregeln und heiligen Riten zu begegnen:
„Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“
Zwar könne sie nicht alle Lehren und Formen anderer Religionen für wahr halten, aber Gemeinsamkeiten in ihnen entdecken, die „einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“ Gleichzeitig bekennt und verkündet die Kirche Jesus Christus als die Fülle des religiösen Lebens, „in dem Gott alles mit sich versöhnt hat“. Der Dialog mit den anderen Religionen schließt also das christliche Bekenntnis und Zeugnis nicht aus, sondern erfordert diese.
Die Christen werden dann aufgefordert, die geistlichen, sittlichen, sozialen und kulturellen Werte anderer Religionen anzuerkennen, zu wahren und zu fördern.
„Die muslimische Religion“
Abschnitt 3 beginnt mit der Haltung der Hochachtung gegenüber den Muslimen und nennt eine Reihe von Gemeinsamkeiten: den Monotheismus, den Glauben an den „Schöpfer Himmels und der Erde“, der sich Menschen offenbart habe, die Hingabe der Muslime an diesen Gott in der Nachfolge Abrahams, die muslimische Verehrung Jesu als Prophet und der Jungfrau Maria, ihren Glauben an das Endgericht, die Auferstehung und ihre von Gebet, Fasten und Almosen bestimmte sittliche Lebensführung.
Mohammed und der Koran werden jedoch nicht erwähnt, so dass offen bleibt, ob Christen ihn als Propheten und den Koran als Offenbarungsurkunde anerkennen können. Bei Jesus wird erwähnt, dass Muslime ihn nicht als Gott, sondern als Propheten anerkennen.
Ferner wird aufgefordert, vergangene „Zwistigkeiten und Feindschaften“ zwischen Christen und Muslimen hinfort „beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“
Dieser Abschnitt 3 ist die erste positive lehramtliche Aussage über den Glauben der Muslime.
„Die jüdische Religion“
Abschnitt 4, der längste Abschnitt und Herzstück der Erklärung, beginnt als ekklesiologische Reflexion: Im Nachdenken über ihr Geheimnis bedenke die Kirche ihre geistliche Verbindung zum „Stamme Abrahams“. Sie finde die „Anfänge ihres Glaubens und ihrer Erwählung“ schon bei den Erzvätern, Mose und den Propheten. Als „Söhne Abrahams dem Glauben nach“ hätten alle Christen Anteil an seiner Berufung (zum Segen für die Völker, Gen 12,3). Im Auszug Israels aus Ägypten sei das Heil der Kirche (Christi Kreuz und Auferweckung als Rettung aus Sünde und Tod) „geheimnisvoll vorgebildet“. Dieser Anfang folgte einer Anregung von Kardinal Giacomo Lercaro.
Die folgenden Passagen sind eine Paraphrase des Römerbriefs, Kapitel 11, und des Epheserbriefs, Kapitel 2. Das Volk Israel wird gewürdigt als Geber des Alten Testaments und als heilige Wurzel der Kirche aus Juden und Heiden. Christus habe sie durch seinen Kreuzestod versöhnt und in sich vereinigt. Dabei habe Israel seine Heilsprivilegien behalten (Röm 11,4-5): „Annahme an Sohnes Statt“ – d. h. Erwählung –, Bund und Gesetz, Gottesdienst, Verheißungen, die Väter und „Christus dem Fleische nach“, d. h. den Juden Jesus. Auch die Apostel und die meisten Urchristen stammten aus dem jüdischen Volk, so dass die Völker von diesem auch das Evangelium empfangen hätten.
Nach dieser Würdigung wird darauf verwiesen, dass viele Juden das Evangelium nicht angenommen haben, nicht wenige sich seiner Ausbreitung widersetzt hätten. Dennoch seien sie nach apostolischem Zeugnis „immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich.“ Auch die Zukunftserwartung einer universalen Anerkennung des einen Gottes hätten Juden und Christen gemein.
Aus diesem biblischen Befund wird gefolgert, dass die Kirche die Kenntnis und Achtung des Judentums und den solidarischen Dialog mit ihm fördern müsse. Darauf folgt die Zurückweisung der Gottesmordtheorie:
„Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben,[5] kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.“
Zwar sei „die Kirche das neue Volk Gottes“, trotzdem dürfe man die Juden nicht als „von Gott verworfen oder verflucht“ darstellen, da dies schriftwidrig wäre. Alle sollten dafür sorgen, dass in christlicher Katechese und Predigt keine judenfeindlichen Lehren verbreitet würden, die der „evangelischen Wahrheit und dem Geiste Christi“ widersprechen.
Angesichts des jüdischen Erbes folgt die Klage über „Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus“, die mit einer antijüdischen Theologie begründet wurden. Christus habe freiwillig die Sünden aller Menschen getragen, „damit alle das Heil erlangen“: Darum könne die Kirche Christus nur als universale Liebe Gottes verkünden.
Der Text bekennt also den ungekündigten Israelbund, widerruft darum erstmals ausdrücklich die bisherige katholische Substitutionstheologie und verpflichtet alle Christen zur Bekämpfung jeder Form des Antisemitismus. Dies sind die zentralen und konkretesten Aussagen von Nostra Aetate. Besondere kirchliche Schuld an den Judenverfolgungen wurde hier jedoch noch nicht ausgesprochen.
„Universale Brüderlichkeit“
Abschnitt 5 bekräftigt mit Berufung auf die Gottebenbildlichkeit jedes Menschen die allgemeine Menschenwürde und verwirft alle Arten von Diskriminierung und Rassismus:
„So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht.“
Rezeption
Katholisch-jüdischer Dialog
Die Erklärung bewirkte eine enorme Intensivierung und Vertiefung des interreligiösen und katholisch-jüdischen Dialogs: darunter das von Papst Johannes Paul II. initiierte Weltgebetstreffen der Weltreligionen in Assisi (1986), seine Besuche in Synagogen (Mainz 1980, Rom 1986), die Erklärung Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoa (1998) und seine Schulderklärung in Israel (2000). 2001 erschien zudem das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission Das Jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel, das sich ausdrücklich auf den Aufruf in Nostra Aetate zu „gegenseitiger Kenntnis und Achtung“ von Christen und Juden als „Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches“ bezog.[6]
In Deutschland folgten etwa
am 22. November 1975 der Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer „Unsere Hoffnung“
am 8. Mai 1979 das Arbeitspapier „Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christlichen Gesprächs“ des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken
am 28. April 1980 die Erklärung der deutschen Bischöfe „Über das Verhältnis der Kirche zum Judentum“.[7]
Evangelische Theologen
Ein prominenter Kommentator der Erklärung war der reformierte Theologe Karl Barth. Kardinal Bea hatte ihn 1965 als Beobachter zu den beiden letzten Plenarsitzungen des Konzils nach Rom eingeladen; er konnte aus Krankheitsgründen jedoch nicht daran teilnehmen. Nach Abschluss des Konzils holte der genesene Barth den Rombesuch vom 22. bis 29. September 1966 nach und sprach mit einigen Mitautoren der wichtigsten Konzilstexte, darunter Karl Rahner, Josef Ratzinger und Otto Semmelroth, und mit Papst Paul VI. Seine vorbereiteten theologischen Interpretationen und Anfragen dazu veröffentlichte er 1967 in seiner kleinen Schrift Ad Limina Apostolorum.
Nostra Aetate interpretierte er vom Kreuz Jesu Christi als dem „Zeichen der allumfassenden Liebe Gottes“ aus (4,. Von da aus verstand er die nichtchristlichen Teilwahrheiten als „Strahlen der alle Menschen erleuchtenden einen Wahrheit“ und die nichtchristlichen Religionen als Sehnsucht nach dieser vollen Wahrheit. Die notwendige christliche Achtung dieser Teilwahrheiten ergab sich für ihn aus dem kirchlichen Verkündigungsauftrag selbst (2,3), nicht erst aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (4,11).
Seine Kritik in Form von acht Anfragen begann mit der Rückfrage, ob seine Deutung im Sinne des Konzils sei und falls ja, warum sie so schwer aus dem Text zu gewinnen sei (1.). Denn dieser beginne ohne biblische Begründung mit einer Analyse der Religionsgeschichte (2.). Der kritische Missionsauftrag der Kirche stehe erst am Ende, statt seine „sachliche Mitte“ zu bilden (3.). Demgegenüber hätte die direkte Verkündigung des „Wortes vom Kreuz“ (1Kor 3,1ff) das berechtigte humane Anliegen der Erklärung eventuell besser geltend gemacht, da darauf nur der Aufruf zur Mitmenschlichkeit in christlicher Demut folgen könne (4.). Die Erklärung erhebe die „Hochreligionen“ über die angeblich primitiven „Naturreligionen“, obwohl dies religionshistorisch überholt sei und Jesu Kreuz gerade Offenbarungsansprüchen, deren Gottesbilder denen der Bibel äußerlich ähneln, widerspreche (5.). Das Judentum könne nicht mit Hinduismus, Buddhismus und Islam als nichtchristliche Religion eingeordnet werden, da seine Heilige Schrift die „Urgestalt der einen Gottesoffenbarung“ sei und sein Dasein, unabhängig vom Glauben oder Unglauben einzelner Juden, den „einzigen natürlichen (weltgeschichtlichen) Gottesbeweis“ darstelle (6.). Angesichts der mittelalterlichen und neuzeitlichen kirchlichen Judenfeindlichkeit sei ein ausdrückliches Schuldbekenntnis gegenüber den Juden weit nötiger als gegenüber anderen Christen (7.). Auch im Islamteil (3,2) fehle eine Erinnerung an die „fatale Rolle der Kirche in den sogenannten Kreuzzügen“ (8.).[8]
Dass Nostra Aetate keine besondere Verantwortung der mittelalterlichen Kirche und Päpste etwa für die Kreuzzüge, bei denen Christen Massenmorde an Muslimen und Juden verübten, benannte, haben auch andere Historiker und Theologen kritisiert.[9] Gleichwohl gilt Nostra Aetate auch in der Ökumene als Neuorientierung im Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu anderen Weltreligionen.[10]
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Mit fünf Teilen ist die Erklärung das kürzeste Dokument des Konzils.
„Einführung“
Abschnitt 1 beschreibt das Thema: Ausgangspunkt ist die faktische Pluralität der Religionen. Nicht einzelne Andersgläubige, sondern die nichtchristlichen Religionen insgesamt sind Gegenstand dieses Textes. Angesichts der zusammenwachsenden Menschheit wird nicht primär deren Christianisierung, sondern ein Beitrag zu „Einheit und Liebe unter den Menschen“ als Aufgabe der Kirche definiert. Daraus folgt die Suche nach Gemeinsamkeiten aller Religionen, nicht die Betonung ihrer Unterschiede zum Christentum, ohne diese zu leugnen.
Ursprung und Ziel der Völkergemeinschaft werden biblisch aus dem Schöpfungsauftrag (Gen 1) und der Perspektive des neuen Jerusalem (Offb 21) als biblischem Bild der geeinten und mit Gott versöhnten Polis begründet.
Die Fragen nach letzgültiger Bestimmung und Sinn des menschlichen Daseins werden als Thema und Aufgabe aller Religionen, nicht nur des Christentums, aufgezeigt und zusammengefasst:
„Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“
Insgesamt wird ein positiver Religionsbegriff vertreten.
„Die verschiedenen Religionen“
Abschnitt 2 billigt den verschiedenen Religionen eine „Wahrnehmung jener verborgenen Macht“ zu, „die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist“. Die „Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters“ werden als Ähnlichkeiten zum biblischen Gottesbild hervorgehoben. Ein kultureller und religionsgeschichtlicher Fortschritt wird festgestellt, in dessen Verlauf es zur immer stärkeren Reflexion auf „das göttliche Geheimnis“ gekommen sei.
Genannt werden der Hinduismus, in dem die Menschen durch Mythos oder Philosophie, durch Askese, Meditation oder liebende Hingabe zu Gott Befreiung suchen, sowie der Buddhismus mit seinen verschiedenen Lehren und Wegen der Befreiung und Erleuchtung. Die übrigen Religionen werden als Versuche zusammengefasst, „der Unruhe des menschlichen Herzens“ (ein Ausdruck Augustins) mit verschiedenen Lehren, Lebensregeln und heiligen Riten zu begegnen:
„Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“
Zwar könne sie nicht alle Lehren und Formen anderer Religionen für wahr halten, aber Gemeinsamkeiten in ihnen entdecken, die „einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“ Gleichzeitig bekennt und verkündet die Kirche Jesus Christus als die Fülle des religiösen Lebens, „in dem Gott alles mit sich versöhnt hat“. Der Dialog mit den anderen Religionen schließt also das christliche Bekenntnis und Zeugnis nicht aus, sondern erfordert diese.
Die Christen werden dann aufgefordert, die geistlichen, sittlichen, sozialen und kulturellen Werte anderer Religionen anzuerkennen, zu wahren und zu fördern.
„Die muslimische Religion“
Abschnitt 3 beginnt mit der Haltung der Hochachtung gegenüber den Muslimen und nennt eine Reihe von Gemeinsamkeiten: den Monotheismus, den Glauben an den „Schöpfer Himmels und der Erde“, der sich Menschen offenbart habe, die Hingabe der Muslime an diesen Gott in der Nachfolge Abrahams, die muslimische Verehrung Jesu als Prophet und der Jungfrau Maria, ihren Glauben an das Endgericht, die Auferstehung und ihre von Gebet, Fasten und Almosen bestimmte sittliche Lebensführung.
Mohammed und der Koran werden jedoch nicht erwähnt, so dass offen bleibt, ob Christen ihn als Propheten und den Koran als Offenbarungsurkunde anerkennen können. Bei Jesus wird erwähnt, dass Muslime ihn nicht als Gott, sondern als Propheten anerkennen.
Ferner wird aufgefordert, vergangene „Zwistigkeiten und Feindschaften“ zwischen Christen und Muslimen hinfort „beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“
Dieser Abschnitt 3 ist die erste positive lehramtliche Aussage über den Glauben der Muslime.
„Die jüdische Religion“
Abschnitt 4, der längste Abschnitt und Herzstück der Erklärung, beginnt als ekklesiologische Reflexion: Im Nachdenken über ihr Geheimnis bedenke die Kirche ihre geistliche Verbindung zum „Stamme Abrahams“. Sie finde die „Anfänge ihres Glaubens und ihrer Erwählung“ schon bei den Erzvätern, Mose und den Propheten. Als „Söhne Abrahams dem Glauben nach“ hätten alle Christen Anteil an seiner Berufung (zum Segen für die Völker, Gen 12,3). Im Auszug Israels aus Ägypten sei das Heil der Kirche (Christi Kreuz und Auferweckung als Rettung aus Sünde und Tod) „geheimnisvoll vorgebildet“. Dieser Anfang folgte einer Anregung von Kardinal Giacomo Lercaro.
Die folgenden Passagen sind eine Paraphrase des Römerbriefs, Kapitel 11, und des Epheserbriefs, Kapitel 2. Das Volk Israel wird gewürdigt als Geber des Alten Testaments und als heilige Wurzel der Kirche aus Juden und Heiden. Christus habe sie durch seinen Kreuzestod versöhnt und in sich vereinigt. Dabei habe Israel seine Heilsprivilegien behalten (Röm 11,4-5): „Annahme an Sohnes Statt“ – d. h. Erwählung –, Bund und Gesetz, Gottesdienst, Verheißungen, die Väter und „Christus dem Fleische nach“, d. h. den Juden Jesus. Auch die Apostel und die meisten Urchristen stammten aus dem jüdischen Volk, so dass die Völker von diesem auch das Evangelium empfangen hätten.
Nach dieser Würdigung wird darauf verwiesen, dass viele Juden das Evangelium nicht angenommen haben, nicht wenige sich seiner Ausbreitung widersetzt hätten. Dennoch seien sie nach apostolischem Zeugnis „immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich.“ Auch die Zukunftserwartung einer universalen Anerkennung des einen Gottes hätten Juden und Christen gemein.
Aus diesem biblischen Befund wird gefolgert, dass die Kirche die Kenntnis und Achtung des Judentums und den solidarischen Dialog mit ihm fördern müsse. Darauf folgt die Zurückweisung der Gottesmordtheorie:
„Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben,[5] kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.“
Zwar sei „die Kirche das neue Volk Gottes“, trotzdem dürfe man die Juden nicht als „von Gott verworfen oder verflucht“ darstellen, da dies schriftwidrig wäre. Alle sollten dafür sorgen, dass in christlicher Katechese und Predigt keine judenfeindlichen Lehren verbreitet würden, die der „evangelischen Wahrheit und dem Geiste Christi“ widersprechen.
Angesichts des jüdischen Erbes folgt die Klage über „Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus“, die mit einer antijüdischen Theologie begründet wurden. Christus habe freiwillig die Sünden aller Menschen getragen, „damit alle das Heil erlangen“: Darum könne die Kirche Christus nur als universale Liebe Gottes verkünden.
Der Text bekennt also den ungekündigten Israelbund, widerruft darum erstmals ausdrücklich die bisherige katholische Substitutionstheologie und verpflichtet alle Christen zur Bekämpfung jeder Form des Antisemitismus. Dies sind die zentralen und konkretesten Aussagen von Nostra Aetate. Besondere kirchliche Schuld an den Judenverfolgungen wurde hier jedoch noch nicht ausgesprochen.
„Universale Brüderlichkeit“
Abschnitt 5 bekräftigt mit Berufung auf die Gottebenbildlichkeit jedes Menschen die allgemeine Menschenwürde und verwirft alle Arten von Diskriminierung und Rassismus:
„So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht.“
Rezeption
Katholisch-jüdischer Dialog
Die Erklärung bewirkte eine enorme Intensivierung und Vertiefung des interreligiösen und katholisch-jüdischen Dialogs: darunter das von Papst Johannes Paul II. initiierte Weltgebetstreffen der Weltreligionen in Assisi (1986), seine Besuche in Synagogen (Mainz 1980, Rom 1986), die Erklärung Wir erinnern: Eine Reflexion über die Shoa (1998) und seine Schulderklärung in Israel (2000). 2001 erschien zudem das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission Das Jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel, das sich ausdrücklich auf den Aufruf in Nostra Aetate zu „gegenseitiger Kenntnis und Achtung“ von Christen und Juden als „Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches“ bezog.[6]
In Deutschland folgten etwa
am 22. November 1975 der Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer „Unsere Hoffnung“
am 8. Mai 1979 das Arbeitspapier „Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christlichen Gesprächs“ des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken
am 28. April 1980 die Erklärung der deutschen Bischöfe „Über das Verhältnis der Kirche zum Judentum“.[7]
Evangelische Theologen
Ein prominenter Kommentator der Erklärung war der reformierte Theologe Karl Barth. Kardinal Bea hatte ihn 1965 als Beobachter zu den beiden letzten Plenarsitzungen des Konzils nach Rom eingeladen; er konnte aus Krankheitsgründen jedoch nicht daran teilnehmen. Nach Abschluss des Konzils holte der genesene Barth den Rombesuch vom 22. bis 29. September 1966 nach und sprach mit einigen Mitautoren der wichtigsten Konzilstexte, darunter Karl Rahner, Josef Ratzinger und Otto Semmelroth, und mit Papst Paul VI. Seine vorbereiteten theologischen Interpretationen und Anfragen dazu veröffentlichte er 1967 in seiner kleinen Schrift Ad Limina Apostolorum.
Nostra Aetate interpretierte er vom Kreuz Jesu Christi als dem „Zeichen der allumfassenden Liebe Gottes“ aus (4,. Von da aus verstand er die nichtchristlichen Teilwahrheiten als „Strahlen der alle Menschen erleuchtenden einen Wahrheit“ und die nichtchristlichen Religionen als Sehnsucht nach dieser vollen Wahrheit. Die notwendige christliche Achtung dieser Teilwahrheiten ergab sich für ihn aus dem kirchlichen Verkündigungsauftrag selbst (2,3), nicht erst aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (4,11).
Seine Kritik in Form von acht Anfragen begann mit der Rückfrage, ob seine Deutung im Sinne des Konzils sei und falls ja, warum sie so schwer aus dem Text zu gewinnen sei (1.). Denn dieser beginne ohne biblische Begründung mit einer Analyse der Religionsgeschichte (2.). Der kritische Missionsauftrag der Kirche stehe erst am Ende, statt seine „sachliche Mitte“ zu bilden (3.). Demgegenüber hätte die direkte Verkündigung des „Wortes vom Kreuz“ (1Kor 3,1ff) das berechtigte humane Anliegen der Erklärung eventuell besser geltend gemacht, da darauf nur der Aufruf zur Mitmenschlichkeit in christlicher Demut folgen könne (4.). Die Erklärung erhebe die „Hochreligionen“ über die angeblich primitiven „Naturreligionen“, obwohl dies religionshistorisch überholt sei und Jesu Kreuz gerade Offenbarungsansprüchen, deren Gottesbilder denen der Bibel äußerlich ähneln, widerspreche (5.). Das Judentum könne nicht mit Hinduismus, Buddhismus und Islam als nichtchristliche Religion eingeordnet werden, da seine Heilige Schrift die „Urgestalt der einen Gottesoffenbarung“ sei und sein Dasein, unabhängig vom Glauben oder Unglauben einzelner Juden, den „einzigen natürlichen (weltgeschichtlichen) Gottesbeweis“ darstelle (6.). Angesichts der mittelalterlichen und neuzeitlichen kirchlichen Judenfeindlichkeit sei ein ausdrückliches Schuldbekenntnis gegenüber den Juden weit nötiger als gegenüber anderen Christen (7.). Auch im Islamteil (3,2) fehle eine Erinnerung an die „fatale Rolle der Kirche in den sogenannten Kreuzzügen“ (8.).[8]
Dass Nostra Aetate keine besondere Verantwortung der mittelalterlichen Kirche und Päpste etwa für die Kreuzzüge, bei denen Christen Massenmorde an Muslimen und Juden verübten, benannte, haben auch andere Historiker und Theologen kritisiert.[9] Gleichwohl gilt Nostra Aetate auch in der Ökumene als Neuorientierung im Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu anderen Weltreligionen.[10]
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