** Laokoon **
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Laokoon (altgriechisch Λᾱοκόων [laːokǒɔːn]) war in der griechischen und römischen Mythologie ein trojanischer Priester des Apollon Thymbraios oder des Poseidon. Namentlich zuerst erwähnt wurde er bei Arktinos von Milet in der Iliu persis (7. Jahrhundert v. Chr.), dessen Werk aber größtenteils verloren ist. Spätere Autoren der griechischen und der lateinischen Literatur erwähnen bei ihren Darstellungen des Trojanischen Krieges Laokoons Handlungen, variieren ihre Darstellungen dabei aber stark.
Künstlerische Darstellung von Laokoon kurz vor seinem Tod (Detail der Laokoon-Gruppe)
Zunächst erzählen griechische Autoren, deren Texte nur fragmentarisch oder in Zusammenfassungen überliefert sind, dass Laokoon und seine Frau im Tempel des Apollon Thymbraios einander liebten und sich damit den Zorn des Gottes zuzogen. Zwei Schlangen, die der Gott daraufhin aussandte, töteten dann entweder ihn mitsamt einem Sohn oder nur seine beiden Söhne am Altar des Apollon Thymbraios in der Stadt Troja. Erst Vergils Darstellung des Mythos ist in einer längeren Fassung in seinem Epos Aeneis aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Darin wird die Geschichte Laokoons verlagert und mit dem Trojanischen Pferd verknüpft: Während die Griechen vorgaben, Troja zu verlassen und der Stadt zur Ehrung der Götter ein hölzernes Pferd zu schenken, das in Wirklichkeit mit griechischen Kämpfern gefüllt war, erkannte Laokoon als einziger den Trug. Er stieß auf das Pferd mit einem Speer ein; dieser prallte jedoch ab. Daraufhin erschienen zwei von Athene geschickte Schlangen, die Laokoon zusammen mit beiden Söhnen töteten. Die Trojaner meinten darin eine Strafe der Götter für die Entweihung des Geschenkes zu sehen und zogen dieses zu ihrem Unglück in die Stadt.
Auch bildnerische Darstellungen von Laokoon sind aus der Antike nicht viele überliefert. Neben zwei Krateren sind zwei Wandmalereien aus Pompeji und wenige Kontorniat-Medaillons bekannt; ob auch eine spätetruskische Gemme Laokoon darstellt, ist umstritten. Bis zum Ende des lateinischen Mittelalters schwand die Kenntnis des Mythos und auch die Bildnisse gingen verloren; zu den einzigen künstlerischen Belegen für die Kenntnis der Geschichte zählen Zeichnungen für Manuskripte der Vergilausgaben. Erst der Fund der Laokoon-Gruppe (1506), einer antiken römischen Marmorskulptur aus dem 1. Jahrhundert vor oder nach Chr., die Laokoon und dessen Söhne beim Kampf mit Schlangen zeigt, führte zu vermehrten Darstellungen der Sage. Anhand dieser Gruppe entwickelte sich vor allem im 17. und 18. Jahrhundert eine Debatte über die griechische Kunst allgemein. Die Interpretation des Laokoonmythos in der Fachwissenschaft ist äußerst umstritten, der Fokus liegt dabei auf den Darstellungen bei Vergil, Petron und Quintus von Smyrna.
Person
Der Name Laokoon (altgriechisch Λᾱοκόων /laːokǒɔːn/) ist zusammengesetzt aus altgriechisch λᾱός /laːǒs/ „(Fuß)volk; Leute, Krieger“ und altgriechisch κοέω [koéo] /koěɔː/ „schauen, auf etwas achten“.[1] Er bedeutet demzufolge „der auf das Volk achtet“.[2] Laokoon galt als Sohn des Antenor oder Kapys/Acoetes, Bruder des Anchises und Onkel des Aeneas – und damit auch mit dem trojanischen Königshaus verwandt.[3] Laut Hyginus Mythographus, Fabulae, 135 hatte Apollon ihm untersagt, zu heiraten und Kinder zu bekommen; er ging dennoch eine Ehe mit Antiope ein und hatte Kinder.[4] Über die Namen seiner Söhne waren sich antike Autoren allerdings uneinig: Maurus Servius Honoratius gibt für den sonst unbekannten Autor Thessandrus die Namen Ethron/Aethion und Melanthus an, Hyginus Mythographus hingegen Antiphates und Thymbraios/Thymbraeus.[5]
Im Laufe seines Lebens wurde Laokoon entweder zu einem Priester des Apollon Thymbraios (nach dem dann auch Laokoons Sohn genannt wurde) oder des Meeresgottes Poseidon/Neptun geweiht.[6] Diese uneindeutige Zuordnung führt Servius auf die Darstellung des Mythos bei Euphorion zurück
Die Prozession des Trojanischen Pferdes nach Troja, Detail, Giovanni Domenico Tiepolo, 18. Jahrhundert
Rahmenhandlung
Der Mythos um die Eroberung der Stadt Ilios wurde von mehreren griechischen und lateinischen Autoren geprägt. Schon in der Homer zugeschriebenen Odyssee (7. Jahrhundert v. Chr.) wird er, allerdings ohne eine Beteiligung von Laokoon, erwähnt und später vor allem von Autoren wie Quintus von Smyrna (4. Jahrhundert n. Chr.) in den Posthomerica auf griechischsprachiger Seite und von Vergil in dessen Aeneis (1. Jahrhundert v. Chr.) in lateinischer Sprache ausgebaut.[7] So ergibt sich folgender Ablauf für die Geschehnisse um Laokoons Handlungen:
Nachdem der Trojanische Krieg zehn Jahre lang erfolglos geführt worden war, ersannen laut Homer die Achaier, laut Quintus nach einer Weissagung des Sehers Kalchas ausschließlich Odysseus eine List, um Ilios doch noch zu erobern: Der beste Baumeister der Achaier, Epeios, solle ein hölzernes Pferd entwerfen, das wegen der Region um die Stadt Ilios („Troja“) als „Trojanisches Pferd“ bekannt ist. Die nötigen Anweisungen für den dreitägigen Bau soll ihm Quintus zufolge Athene in einem Traum vermittelt haben: Die Achaier müssten zunächst ihr Lager niederbrennen und das Verlassen des Kampffeldes vortäuschen. Die stärksten Krieger hingegen sollen im Bauch des Pferdes in die Stadt Ilios gelangen und nachts heimlich aus ihm klettern. Mittels eines Leuchtsignals würden sie dann die restlichen Achaier zum Stürmen der Festung bewegen und ihnen schließlich die Tore öffnen. So fuhr also die Mehrzahl der Achaier zur Insel Tenedos außerhalb der Sichtweite der Trojaner, ein einziger Mann sollte zurückbleiben, um den Trojanern das Pferd als Ersatz für das gestohlene Athenebildnis (Palladion) zu übergeben. Nur Sinon war mutig genug, diesen Plan auszuführen. Er teilte den Trojanern den Grund für die Rückgabe mit und gab vor, dass sie ihn für eine gute Rückfahrt opfern wollten, er aber geflohen sei, sich an die Füße des Pferdes geklammert und damit in den Schutz Athenes begeben habe.
Die Trojaner waren zunächst (nach mancher Fassung auch schon vor Sinons Empfehlung) unschlüssig, ob sie das hölzerne Pferd verbrennen, aufschlitzen, die Klippe hinunterwerfen oder als Weihgeschenk zur Besänftigung und Freude der Götter nach Ilios ziehen sollten. Nach mancher Darstellung der Laokoongeschichte hatten sich die Trojaner unabhängig von Laokoons Auftreten für letzteres entschieden. Nach anderen Fassungen folgte auf Sinons Rede die Geschichte Laokoons, die mit seiner Bestrafung durch die Tötung eines oder mehrerer seiner Kinder oder auch durch seinen eigenen Tod endet. Kassandra weissagt je nach Mythos entweder vor oder nach diesen Toden, dass nun Ilios’ Ende bevorstehe; die Trojaner aber ignorierten diese Warnung. Kassandra ergriff daraufhin laut Quintus eine Fackel und eine Doppelaxt, um den Trug im Pferd aufzudecken, doch sie wurde von den Landsleuten daran gehindert und floh – zur stillen Freude der Achaier im Pferd. Nachts konnten die Achaier dieses verlassen und die Trojaner vernichten.
Antiker Laokoonmythos
Arktinos von Milet
Zuerst wird Laokoon in dem frühgriechischen Epos Iliu persis erwähnt, das Arktinos von Milet (7. Jahrhundert v. Chr.) zugeschrieben wird und nur fragmentarisch erhalten ist. Nach einer von dem spätantiken Gelehrten Proklos überlieferten Zusammenfassung des Epos entscheiden sich die Trojaner zunächst, das Pferd nicht von einer Klippe hinabzustürzen oder zu verbrennen, sondern Athene zu weihen. Während der Siegesfeier kommen zwei Schlangen und töten Laokoon und einen seiner beiden Söhne. Dies interpretierte der Trojaner Aineias als schlechtes Omen und wich zum Berg Ida aus; Sinon währenddessen öffnete den Griechen, die nicht aus dem Rumpf des Pferdes, sondern aus Tenedos zum Kampf kamen, die Tore. (Arktinos von Milet: Epicorum Graecorum Fragmenta 62, 11 = Proklos’ Chrestomatia 239–251 Severyns, Ἰλίου περσίδος β̄ Ἀρκτίνου.)
Der Philologe Clemens Zintzen sieht im Schlangenangriff auf Laokoon eine Bestrafung für dessen Warnung vor dem Trojanischen Pferd. Vor Arktinos’ Darstellung hat Kassandra diese ausgesprochen. Carl Robert erkennt in dem Tod nur eines der beiden Söhne Laokoons bei Arktinos einen Hinweis auf das trojanische Königsgeschlecht, da das Geschlecht des Priamos zwar ausgelöscht, das des Anchises aber durch Aineias’ Flucht gerettet wird. Dieser werde durch den Tod der beiden Personen vor dem Trojanischen Pferd gewarnt. Ein vorangegangenes Verschulden Laokoons, wie dies teilweise in späteren Fassungen thematisiert wird, sei für diese Deutung nicht nötig. Aus der Zweizahl der Königsgeschlechter sieht er zudem die Zahl der Schlangen begründet; ganz anders die Wissenschaftler Bodoh, Knox, Putnam und Salanitro, die einer Anmerkung des antiken Grammatikers Tiberius Claudius Donatus zu Vers 203 der Aeneis folgend in ihnen die Atriden Agamemnon und Menelaos verkörpert sehen. Donatus hatte allerdings nur darauf verwiesen, die Zwillingsschlangen mit den Griechen bei Tenedos gleichzusetzen. Der Klassische Philologe Heinz-Günther Nesselrath vermutet, dass Pseudo-Apollodors Darstellung der Laokoonsage mit Arktinos’ verwandt ist, und postuliert damit auch für Arktinos’ Fassung einen Speerstoß von Laokoon gegen das Trojanische Pferd.[8]
Bakchylides
Maurus Servius Honoratius (4. Jahrhundert n. Chr.) erwähnt in seinem Aeneiskommentar, dass Bakchylides (5. Jahrhundert v. Chr.) wohl einen Dithyrambos über Laokoon und dessen Frau sowie über Schlangen, die aus Kalydna kamen und sich in Menschen verwandelt hatten, dichtete. Bakchylides scheint, so Erich Bethe, damit die Laokoongeschichte von Arktinos’ Fassung losgelöst zu haben, woraufhin Foerster und Zintzen vermuteten, dass im Dithyrambus schon auf Laokoons Missachtung von Apollons Keuschheitsgebot angespielt wurde. (Bakchylides, fr. 9 Maehler)[9]
Sophokles
Aeneas trägt Anchises, mit Askanios und seiner Ehefrau. Amphora aus einer griechischen Werkstatt in Etrurien, um 470 v. Chr., Staatliche Antikensammlungen.
Eine griechische Tragödie namens „Laokoon“, die Sophokles im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb, ist bis auf wenige Fragmente verloren: An einer überlieferten Stelle der Tragödie brennt ein Apollonaltar, der Myrrhenrauch verströmt; an einer anderen wird Poseidon erwähnt, der die Klippen der Ägäis bewohnt und die blauen Meere beherrscht. Schließlich nennt ein Bote die Ankunft von Aineias. (Sophokles, fr. 370–377)[10]
Dionysios von Halikarnassos (1. Jahrhundert v. Chr.) sieht bei der Deutung der Stelle in seinen Antiquitates Romanae in den Geschehnissen um Laokoon beziehungsweise dessen Söhne (Λαοκοωντίδας) ein Zeichen für den Untergang Trojas. Er erwähnt zudem, dass Aineias (zusammen mit seinem Hausstand und einer Menge Phryger [Trojaner]) wie schon bei Arktinos zum Berg Ida gegangen sei; allerdings habe bei Sophokles dessen Vater Anchises ihn dazu aufgefordert – Laokoons Tod war nur eine ergänzende Warnung. Anchises war von Zeus’ Blitz niedergestreckt und nun von Aineias auf den Schultern weggetragen worden.[11] Maurus Servius Honoratius berichtet zudem, dass Sophokles die Namen der Schlangen angegeben habe – dies ist der erste Beleg für die Benennung der Schlangen.[12]
In der Forschung des späten 19. Jahrhunderts gab es einen Streit zwischen Carl Robert, der Dionysios’ Wort Λαοκοωντίδας („die Laokoontiden“) als „die beiden Laokoonsöhne“ deutete und die Tragödie damit der Darstellung des Bachylides anschloss, wohingegen Richard Foerster dieses Wort als „Laokoon und Söhne“ und damit als Weiterführung der Arktinos-Geschichte deutet. Zum gleichen Ergebnis wie Robert kommt Erika Simon bei der Interpretation im 20. Jahrhundert gefundener Vasen (siehe Abschnitt „Rezeption“).[13] Verschiedene Wissenschaftler rekonstruieren aus den später dargestellten Laokoonepisoden bei Vergil, Euphorion beziehungsweise Hygin einen möglichen Ablauf der Tragödie. Dies ist gemäß den Klassischen Philologen Hermann Kleinknecht und Heinz-Günther Nesselrath für die beiden letztgenannten Autoren allerdings nicht legitim, da der bei den antiken Autoren beschriebene Beischlaf von Laokoon mit seiner Frau Antiope keine typisch tragische Verfehlung (Hamartie), sondern ein echtes religiöses Verbrechen ist.[14] Friedrich Gottlieb Welcker sieht in der Benennung der Schlangen bei Sophokles einen Bezug zu Bakchylides, dem Robert, Engelmann/Höfer, Pearson und Foerster aufgrund der Darstellungen bei Pseudo-Apollodor beziehungsweise Johannes Tzetzes widersprechen.[15]
Euphorion
Der antike Autor Maurus Servius Honoratius gibt in seinem Kommentar zu Vergils Aeneis an, dass Euphorion (3. Jahrhundert v. Chr.) in seinem Werk über Laokoon geschrieben habe, ein Priester des Neptun sei gesteinigt worden, weil er die Ankunft der Griechen nicht durch Opfer verhindert hatte. Nach der Abfahrt der Griechen wollten die Trojaner Neptun opfern, damit er ihnen die Heimfahrt erschwere; weil der reguläre Priester fehlte,[16] losten sie. Das Los fiel auf Laokoon, den Priester des Apollon Thymbraios, der im Apollontempel vor dessen Kultbild mit seiner Frau Antiope geschlafen hatte. Zur Strafe wurden dann er und seine Söhne getötet. Laut Servius wurde diese Geschichte aber von den Dichtern zur Entschuldigung Trojas beschönigt. (Euphorion, fr. 70 Powell = 75 von Groningen = 80 Scheidweiler)
Da keine direkten Aussagen Euphorions überliefert sind, schwankt die Forschung in der Interpretation dieser Darstellung bei Servius. Carl Robert sieht aufgrund der von Servius erwähnten Verlagerung des Handlungsortes von der Stadt ans Meer einen für die Tragödie untypischen kompositorischen Zwang und wirft dem Kommentator eine nachträgliche Verfälschung des Stoffes vor, um die Szenerie bei Vergil zu erklären. Dem widersprechen Foerster, Adolf Furtwängler, Ehwald, Gerhard Schott und Nesselrath, da sonst Servius’ Kommentar nicht erklärt werden könne und Euphorion so etwas wohl häufiger tat. Euphorion kann damit Quelle für Vergil sein, seine eigenen Quellen sind aber ungewiss: Robert findet Argumente für und gegen Sophokles, Clemens Zintzen sieht Anspielungen auf Bakchylides. In Herbert Steinmeyers Interpretation hat nicht Euphorion, sondern erst Vergil den Ort der Handlung verlegt. Für Schott hingegen sind Euphorions und Hygins Texte miteinander in verschiedenen Punkten verwandt, so auch im Handlungsort, dem Strand.[17]
Nikandros von Kolophon
In einem Fragment der Oxyrhynchus Papyri, das Nikandros aus Kolophon (2. Jahrhundert v. Chr.) zugeschrieben wird, entsendet Apollon von den Kalydnainseln zwar die beiden Seeschlangen, die Nikander mit den Namen Porkes und Chariboia angibt,[18] nachdem sie vom thymbräischen Meer genährt wurden; diese verschlingen allerdings nur einen Sohn Laokoons, und dies über Altären. Da im Kontext auch Laomedons Vergehen an Poseidon und Apollon erwähnt wird, vermutet Nesselrath, dass dessen Halbgroßneffe Laokoon auch deswegen bestraft wurde. (Nikandros aus Kolophon, fr. 562. In: Tragica Adespota, fr. 721)[19]
Vergil
In der lateinischen Literatur wird zum ersten Mal und zugleich am ausführlichsten im zweiten Buch von Vergils Aeneis (1. Jahrhundert v. Chr.) der Mythos um Laokoon beschrieben; er prägt darauffolgende Darstellungen.[20] Seitdem dominiert in der lateinischen Literatur die Warnung Laokoons, die hier zum ersten Mal überhaupt in Form eines Speerstoßes thematisiert wird, über die vergeblichen Weissagungen Kassandras, der im Gegensatz zu Laokoon laut Mythos so oder so nicht geglaubt werden konnte;[21] auch stirbt hier möglicherweise zum ersten Mal Laokoon mit beiden Söhnen.[22] Quelle für Vergils zweites Aeneisbuch ist laut Macrobius Ambrosius Theodosius’ Saturnalia 5, 2, 4 (5. Jahrhundert n. Chr.) ein verlorenes, nachhellenistisches Großepos von Peisandros von Laranda, dessen Konzipierung der Laokoonsage nicht bekannt ist.[23] Die Philologen Alfred Chilton Pearson und Roland Gregory Austin hingegen führen die vergilische Fassung auf einen ähnlichen Sophoklestext zurück, Richard Foerster folgt Servius und sieht Euphorion als Hauptquelle für die Laokoongeschichte an.[24]
Aeneas erzählt Dido vom Untergang Trojas, Baron Pierre Narcisse Guérin, Öl auf Leinwand, 1815
Der Trojaner Aeneas erzählt auf Wunsch der Königin Karthagos, Dido, vom Fall Trojas und seiner anschließenden Irrfahrt nach Karthago. Er setzt beim Bau des Trojanischen Pferdes an; nachdem die Griechen dieses verlassen hatten, beraten die Trojaner darüber, was zu tun sei. Der eine Teil ist dafür, das Pferd in die Stadt zu ziehen, andere wollen es von der Klippe stürzen, verbrennen oder aufschlitzen und durchsuchen. Den entstandenen Tumult löst erst Laokoon auf, der hoch von der Burg kommend seine Mitbürger mit provokanten Fragen ermahnt, nicht dieses Pferd anzunehmen, da er von den Griechen keine Geschenke erwarte und solche sprichwörtlich gewordenen Danaergeschenke fürchte. Er wähnt Griechen im Rumpf des Pferdes oder einen Spionageakt und erinnert an Odysseus’ Listen. Er schleudert mit voller Kraft eine Lanze in die Hinterseite des Pferdes, woraufhin dieses erschütterte und fast die Griechen enttarnt hätte; das Schicksal aber lenkte die Trojaner von diesem Geschehen ab, indem es sie den von den Griechen zu deren Trug ausgesetzten Sinon auffinden ließ. So gelingt es ihm dann auch, die Trojaner zu überzeugen, dass der Krieg nun zu Ende sei. (Vergil, Aeneis, 2, 40–56)
Als daraufhin Laokoon einen Stier an einem Tempel nahe am Meer opfert,[25] nähern sich von Tenedos her zwei Schlangen dem trojanischen Strand. Erschrocken laufen die Trojaner auseinander, die Schlangen streben jedoch auf Laokoon zu und gelangen zuerst zu dessen Söhnen und vergiften sie oder verschlingen ihre Gliedmaßen. Laokoon nähert sich den Schlangen mit einem Speer, wird von diesen aber zweimal umschlungen und versucht sich zu befreien. Die Schlangen vergiften seine Priesterbinden und entweihen sie, woraufhin Laokoon selbst wie ein schlecht getroffener, fliehender Opferstier laut aufschreit. Ob er dann stirbt oder dieser Schrei seine Entehrung als Priester symbolisieren soll, ist in der Forschung umstritten.[26] Die Schlangen[27] ziehen sich daraufhin in den obersten Tempel und die Burg der Tritonis[28] zurück; die Trojaner bringen, überzeugt, dass Laokoon seinen Speerstoß in das der Minerva geweihte Pferd gebüßt hat, es in ihre Stadt. (Vergil, Aeneis, 2, 199–227)
Forschung
Die fachwissenschaftlichen Interpretationen zur Laokoonepisode bei Vergil sind zahlreich und sehr verschieden. Den ersten einflussreichen modernen Interpretationen durch Gotthold Ephraim Lessing in dessen Werk Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie (1766), Friedrich Schiller in Über das Pathetische (1793) und Johann Wolfgang von Goethe in „Über Laokoon“ (1798) setzte Hans Theodor Plüss im Jahre 1884 eine noch heute maßgebliche, ausführliche sprachlich-inhaltliche Erklärung entgegen. Er sah dabei aus Vergils Text selbst ohne Vergleich mit Laokoondarstellungen anderer Autoren weder eine Schuld bei Laokoon, noch Erhabenheit in der Darstellung oder eine unverzeihliche Dummheit der Trojaner sondern eher Besorgnis über den harten Willen der Götter als Erschrockenheit des Publikums findet. Den Zweck sieht er in der einheitlichen Darstellung von Laokoons Schicksal zum Zwecke der grausamen Durchsetzung des göttlichen Planes, Troja zu zerstören.[29]
Erich Bethe stört sich an einigen Formulierungen in Vergils Text, die nicht in den Kontext der Darstellung passen, so vor allem Sinons hier erstmals belegte,[30] aber nicht zielführende Rede. Möglicherweise habe Vergil vor seinem Tod die Probleme nicht mehr beheben können oder die Trojaner nicht völlig auf den Trug des Sinons hereinfallen lassen und zugleich den Mythos konservieren wollen. Da Laokoons Handlungen vor Vergil nicht mit dem trojanischen Pferd verknüpft werden, athetiert er daher die Verse 40–56 und 199–233, um die ursprüngliche Geschichte zu rekonstruieren. Ihm folgen einige Interpreten wie Robert, Mackail und Malcolm Campbell.[31]
Richard Heinze argumentierte gegen die Streichung der Verse und betont, dass eine göttliche Bestätigung des Untergangs zwingend notwendig sei, da auch sonst nichts ohne eine solche in der Aeneis vonstattenginge und zudem nun die Trojaner auch von Göttern überzeugt wurden. Damit erklären sich auch andere von Bethe beobachtete Schwierigkeiten wie die Zweiteilung der Laokoonepisode bei Vergil: Sinons Rede solle nicht gegenüber Laokoons Tod verblassen, sondern wird durch diesen umrahmt.[32] Ähnlich Austin, der darauf hinweist, dass ohne dieses übernatürliche Zeichen die Trojaner möglicherweise trotz Sinons Überzeugungsarbeit endlos darüber debattiert hätten, was sie Laokoon hätten tun sollen. Die Götter hätten ihnen auf grausame Art und Weise die Entscheidung abgenommen. Dem widerspricht Malcolm Campbell.[33]
Heinzes unitarische Interpretation setzte sich gegenüber der analytischen Deutung Bethes in der Forschung durch, sie wurde durch Klassische Philologen wie Hermann Kleinknecht, Friedrich Klingner, Clemens Zintzen und Peter Krafft noch intensiviert. Krafft zum Beispiel vergleicht die Laokoonepisode mit anderen Darstellungen in Vergils Aeneis und verankert sowohl die Exposition als auch den Speerwurf mit dem umliegenden Text. Die Episode sei ein Prodigium, ein göttliches, bekräftigendes Wunderzeichen. Die Figuren im Werk verstünden jedes Mal die Zeichen falsch, der Leser oder die rückblickende Figur kann dies dann aber relativieren und als Hinweis auf Trojas Untergang interpretieren. Laut Zintzen versucht Vergil, Aeneas von einer Schuld zu entlasten und die Trojaner als durch die Götter und Sinons psychagogische Trugrede verblendet zu zeigen: Sie interpretieren Laokoons Unglück als Strafe für sein Handeln am Trojanischen Pferd – und eben nicht wie sonst für den Beischlaf mit seiner Frau. Krafft strebt mit seiner Argumentation an, die analytische mit der unitarischen Position in Einklang zu bringen und eine Art „tragische Ironie“ der Szene zu etablieren. Ähnlich auch Schott, Steinmeyer, Zintzen, Gärtner und Erler. Der Blindheit der Trojaner widerspricht Otto Zwierlein, da Vergil wie auch die spätantiken Kommentatoren Servius und Donatus ausschließlich das Schicksal und den Betrug durch die Griechen als Verursacher von Laokoons Tod nennen. Die göttliche Willkür zeige sich durch die plötzliche Ablenkung vom Trojanischen Pferd durch Sinons Rede und den Schlangenangriff auf Laokoon. Eine Schuld sei weder bei Aeneas noch bei den anderen Trojanern zu finden.[34] Eine ausführliche Interpretation zur Interpretation als Prodigium bietet Hermann Kleinknecht.[35] Kleinknecht zieht dabei unter anderem einen Vergleich zur Eroberung Vejis durch Marcus Furius Camillus im Jahre 396 v. Chr. und zum so genannten „Galliersturm“ wenige Jahre danach, der zur Eroberung Roms führte. Vergil lasse somit Aeneas als eine Art Geschichtsschreiber auftreten, der den Fall Trojas mit für die Geschichtsschreibung üblichen Prodigien erklärt. Für Steinmeyer ist dies aber kein ruhiges Prodigium, sondern die Szenerie durch Bewegung der Schlangen und die Gegenbewegung Laokoons geprägt.[36]
Der Altphilologe Severin Koster sieht in Vergils Laokoon eine von der Laokoon-Gruppe beeinflusste Anspielung auf Marcus Antonius (links) und versucht, die Szene zu entfernen. Rechts Antonius’ Rivale Octavian, der spätere Augustus; Aureus 41 v. Chr.
Severin Koster führt hingegen Bethes analytische Argumentation weiter. Die Ergänzungen gingen auf eine Beeinflussung durch die Laokoongruppe zurück: Diese soll Marcus Antonius und dessen Söhne darstellen, die von Octavian (später Augustus) getötet wurden. In der Augustus gewidmeten Aeneis habe Vergil dann die Bestrafung von Antonius in die Figur Laokoons übertragen. Sein Tod könne als Gründungsopfer Roms angesehen werden, da Aeneas daraufhin Troja verlässt und aufbricht, um Rom zu gründen. Ähnlich habe auch Augustus Rom neugegründet.[37] Jörg Rüpke bringt die erstmalige Erwähnung des Speerstoßes gegen das Trojanische Pferd mit dem alten römischen Kult des Oktoberpferdes in Verbindung. Schon im 3. Jh. v. Chr. hatte der antike Historiker Timaios von Tauromenion diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Er stützt seine Argumentation auf Informationen der Einwohner und trojanische Artefakte vor Ort. Dem widerspricht jedoch der Historiker Polybios (2. Jh. v. Chr.) in seinem Geschichtswerk heftig (Buch XII.4b–4c), da fast alle Nichtgriechen vor einem Krieg ein Pferd opferten und der Kult darauf zurückzuführen sei.[38] Ganz anders Ernst Bickel, der im Trojanischen Pferd den Meeres- und Pferdegott Poseidon selbst symbolisiert sah. Dieser habe aufgrund einer nicht bezahlten Rechnung Trojas Mauern als stampfendes Pferd niedergerissen. Indem Laokoon aber nun gegen das Pferd die Lanze gestoßen habe, habe er, der Poseidonpriester, direkt seinen Gott angegriffen und sei daraufhin durch die Schlangen, die aus dem Poseidon zugewiesenen Meer auf ihn gekommen waren, zusammen mit seinen Söhnen getötet worden. Dies entspricht laut Herbert Steinmeyer in der anderen Tradition Laokoons frevelhaftem Beischlaf im Tempel des Apollon als dessen Priester. Bei Vergil sei Laokoon schließlich gar kein Priester mehr, sondern eher ein Redner und Agitator im Interesse seiner Polis. Dabei verfehle er gegen den göttlichen Plan.[39] Die Klassische Archäologin Margot Schmidt setzt mit der Laokoongeschichte den Tod des Priamossohnes Troilos durch Achilleus in Verbindung, der ebenso wie Laokoons Tod eine nötige Vorbedingung für den Untergang Trojas sein solle.[40]
Laut dem Klassischen Archäologen Bernard Andreae kann Laokoon als Gründungsopfer für die künftige Stadt Rom angesehen werden, obwohl Aeneas erst viel später Troja verlassen hat. Die lange Kette an Hinweisen, die eben mit Laokoons Tod beginne, sei zu beachten. Carl Robert hatte sich hingegen dafür ausgesprochen, dass mit der Verlegung der Laokoonepisode von der Stadt an den Strand der Charakter der Warnung für Aeneas verloren gegangen war. Daraufhin habe Vergil das Motiv des Speerstoßes erfunden, um die Geschichte dennoch darstellen zu können. Ganz anders Steinmeyer und John Richard Thornhill Pollard, die die Verbindung von Laokoons Mythos als Zeichen für den Untergang Trojas ablehnen, da Vergil nirgends dies anspricht. Zwierlein sieht ausschließlich in der feindlichen Gesinnung der Götter den Trojanern gegenüber deren Untergang begründet.[41] Zudem sieht Andreae mehrere Anspielungen von Lykophrons Alexandra auf die Laokoongeschichte, die zugleich den Untergang Trojas bedeuten – so beispielsweise die Gleichsetzung der Schlangen mit den im Hinterhalt versteckten Griechen.[42]
Explizit gegen Laokoon als Opfer spricht sich der Klassische Philologe Gregor Maurach aus, der die Darstellung mit Laokoons Ignoranz gegenüber Apollons Verbot, zu heiraten und Kinder zu bekommen, verbindet. Daher werde auch nicht explizit gesagt, dass Laokoon sterbe, sondern nur, dass seine Priesterinsignien mit Gift besudelt würden, worauf schon Hans Theodor Plüss hingewiesen hatte. In eine ähnliche Richtung wie Maurach geht Stephen Tracy, der in Laokoon einen zweiten Paris sieht, der durch „sexuelles Fehlverhalten“ angesehen werden kann. Dieser „typisch vergilische menschliche Akt“ weise dann auf Trojas Zerstörung hin. Günter Engelhard behauptet darüber hinaus, dass Laokoons Frevel nicht, wie von den Trojaner interpretiert, im Speerstoß bestand, sondern als offizielle Version in Troja der Beischlaf mit seiner Frau Antiope verbreitet wurde. Zum gleichen Schluss wie Maurach kommt auch Gerald Petter: Nur die beiden Söhne werden getötet, nicht auch Laokoon selbst. Er sieht dabei in Vergils Schlangenbeschreibung keine Fabelwesen, sondern echte Tiere. Petters ausführliche Erklärungen für deren Verhalten stimmen allerdings in keinem Punkt mit dem in der Biologie nachgewiesenen Verhalten echter Giftschlangen überein.[43]
Petron
Vergils Text nimmt sich Titus Petronius in seinem Werk Satyrica (1. Jahrhundert n. Chr.) zum Vorbild: Der junge Reisende Encolpius trifft in der Pinakothek mit Werken der Maler Zeuxis von Herakleia, Protogenes und Apelles den Dichter Eumolpus, der ihm ein Bild über den Fall Trojas, das sie gemeinsam betrachten, mit einem improvisierten Gedicht näher bringen will: Nach dem Bau des Trojanischen Pferdes und dem Abzug der Griechen wähnt sich das Volk in Frieden. Der Neptunpriester Laokoon kommt brüllend heran und kratzt zunächst vergeblich mit einer Lanze am Pferd, was die Trojaner im Erringen des Friedens bestätigt. Erst als Laokoon mit einer Doppelaxt die Seite des Pferdes erschüttert und die Griechen darin mit gedämpfter Stimme sprechen, ahnten die Trojaner den Trug. Das Pferd gelangt in die Stadt, woraufhin von dem ausführlich beschriebenen Tenedos her zwei Meeresschlangen erscheinen. Diese umschlingen und fressen Laokoons in Opfertracht befindliche Zwillingssöhne, die einander in Bruderliebe noch helfen wollen. Laokoon versucht vergeblich, ihnen zu helfen, wird selbst angegriffen, auf den Boden zwischen Altäre geworfen und wie ein Opfertier getötet. Damit hätten die Trojaner als erstes ihre Götter verloren, so Eumolpus. Daran seien sie schließlich zugrunde gegangen. An dieser Stelle wird Eumolpus unterbrochen, da die Zuhörer ihn mit Steinen bewerfen. Er flüchtet sich mit Encolpius zum Strand, wo er seinem Schüler erklärt, dass ihm selbst so etwas schon häufiger widerfahren sei. Daraufhin wird er beinahe auch noch von Encolpius mit Steinen beworfen. (Titus Petronius, Satyricon, 89)
Forschung
Der römische Kaiser Nero soll während des Großen Brandes in Rom im Jahre 64 eine Geschichte über die Zerstörung Trojas gesungen haben. Marmorportrait des Kaisers in der Glyptothek in München.
Nach Erika Simon muss die Geschichte als Parodie oder Kritik an Autoren gemeint sein, die zu sehr die trojanische Sage mit Vergils Text interpretierten. Sie führt dabei explizit den Kaiser und Gönner Petrons, Nero, an, der laut Sueton: Nero 38 und Tacitus: Annales 15, 39 seine Geschichte von der Eroberung Trojas beim Großen Brand Roms im Jahre 64 vom Turm des Gaius Maecenas verkündet hat. Kenneth F. C. Rose folgert daraus, dass Petrons Text im Jahre 65 verfasst sein müsse. Stubbe und Sullivan bezweifeln aufgrund fehlender Überlieferung von Neros Werk, dass Petron diesem rivalisierend oder parodierend gegenübergestanden habe; auch einen Bezug zu Lucans Iliacon sei unwahrscheinlich. Für Edward James Barnes scheint es nicht notwendig, eine Kritik an Vergil oder gar eine Parodie auf Senecas Stil und Metrik anzunehmen, höchstens Ironie.[44] Ein Rückschluss auf ein echtes Bild, das Petron Pate gestanden haben könnte, wurde in der Forschung verschiedentlich diskutiert. Stubbe, Barnes und Simon sprechen sich für die Existenz aus, Peter Habermehl fehlt dafür unter anderem eine genauere Lokalisierung der Pinakothek.[45] Connors merkt an, dass Eumolpus keine Bildbeschreibung andeutet, sondern einfach eine Geschichte aus der ersten Person zu beschreiben scheint.[46]
In der Forschung wird das Gedicht fast ausschließlich als verfehlt interpretiert: Nach Erika Simon ist Eumolpus von den Hörern fast gesteinigt worden, da seine Dichtung von ihnen als misslungen angesehen wurde. John James Bodoh verweist auf verfehlte sprachliche Mittel wie unnötig-falsche und damit komische Alliterationen, metrische Ungenauigkeiten bei Petrons 65 Jamben langen Werk gegenüber Vergils wohl geschliffenen Hexameter-Versen und einen ärmeren Wortschatz. Petrons Darstellung könne somit eine Parodie oder subtile Kritik an Vergils Art sein. Im Gegensatz zu Vergil, so Stubbe, werde bei Petron aber weder Laokoons Tod mit dem Einzug des Pferdes noch mit Trojas Untergang direkt verknüpft. Auch passt sein Stil laut Stubbe und Sullivan eher zu den dramatischen Botenberichten wie in Lykophrons Alexandra und Senecas Phoenissen beziehungsweise zu dessen Werken Phaedra und Agamemnon. Ähnliches gilt für den übermäßigen Gebrauch von Stilfiguren, so Ciaffi und Salanitro. Dagegen sehen Roger Beck, Otto Schönberger, Gesine Manuwald und andere Petrons Text nicht als liederliche, sondern reizvolle Verfremdung an. Für Victoria Rimell haben Eumolpus’ Zuhörer ihn nur falsch verstanden, so wie die Trojaner die Warnungen missinterpretiert haben.[47]
Habermehl sieht in Petrons Laokoon nicht mehr die Autorität des Charakters in der Aeneis, sondern einen stummen, geschwächten Menschen, der in der Stadt durch die Willkür der Götter am Altar geopfert wird. Daher liege der Fokus dieser Variante der Geschichte auch eher auf der Tötung der Zwillingssöhne Laokoons, die füreinander kämpften, wie dies vor Vergil der Fall war. Laokoons Tod sei für die Schlangen nur dadurch motiviert, dass er seinen Söhnen zu Hilfe eilt; eine Schuld ist weder bei ihm noch bei seinen Söhnen zu finden. Habermehls Interpretation, dass die Trojaner in ihrer Verblendung das Trojanische Pferd in die Stadt gezogen hätten, widerspricht Zwierlein: Mit der Entweihung des Palladion hätten sich die Götter von den Trojanern abgewandt und zur Strafe zunächst ihren Priester Laokoon getötet. Damit werde Vergils Laokoon-Darstellung auf die eigentliche Ursache für die Willkür der Götter zurückgeführt. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Interpreten seit Lessing sehen Stubbe und Schönberger allerdings nicht Vergil als direkten Vorgänger, sondern ein mythographisches Handbuch. Barnes jedoch hat in einer bisher nicht rezipierten Monografie ausführlich Parallelen zu Vergil zusammengestellt, Rulsch hat dies auch für die anderen Laokoondarstellungen getan. Er unterscheidet verschiedene Kategorien: Neben Motiven, die Petron direkt von Vergil adaptiere, seien Stellen zu finden, in denen er dessen Bilder weiterführe. Zudem entwickle er eigene Motive und verwende auch Inhalte, die Vergil und andere Autoren vor ihm dargestellt hätten. Folge dieser Änderungen sei ein noch grausamerer und willkürlicherer Tod, als ihn Vergil beschreibe.[48]
Pseudo-Apollodor
In der Bibliotheke des Apollodor (1. Jahrhundert n. Chr.) wird in einer Epitome berichtet, dass das hölzerne Pferd zunächst in die Stadt gezogen wurde und erst danach Laokoon neben Kassandra wie bei Vergil vor dem mit bewaffneten Männern besetzen Pferd warnte. Ein Teil der Trojaner überlegte daraufhin, das Pferd zu verbrennen oder von einer Klippe zu stürzen; die Mehrheit aber entschied sich, es als Weihgeschenk in der Stadt aufzustellen – genau die drei gleichen Alternativen wie bei Arktinos, nur in anderer Reihenfolge. Dann begingen die Trojaner wie bei Arktinos ein Opfermahl. Daraufhin habe Apollon den Trojanern von einer nahen Insel über das Meer hinaus zwei Schlangen als göttliches Zeichen geschickt, die dann die Söhne Laokoons verschlangen. Über den Verbleib des Vaters ist nichts ausgesagt. Im Anschluss daran habe Sinon den Griechen ein Feuerzeichen zum Erobern der Stadt gegeben. (Bibliotheke des Apollodor, Epitome 5, 17f.)
Der Neufund dieses Stücks am Ende des 19. Jahrhunderts führte zu diversen Neuinterpretationen dieser und anderer Laokoondarstellungen in der Literatur. Für Engelmann/Höfer, Zintzen und Nesselrath könnte Pseudo-Apollodor sich hier auf Sophokles und nicht Vergils Darstellung beziehen – Paul Dräger lehnt dies ab. Aber auch Bezüge zu Arktinos’ Fassung sind vorhanden. Umstritten ist auch, ob das erwähnte göttliche Zeichen sich auf den hier nicht erwähnten Speerstoß oder eine andere Tat des Priesters bezieht (so Becker gegen Heinze). Ganz anders Stubbe und Gärtner, die das göttliche Zeichen darin sehen, dass Apollon sich zurückzieht und damit Troja den Griechen preisgibt, was er durch den Tod der Söhne Laokoons exemplifiziert. Für Foerster ist der Untergang der Söhne ein Hinweis auf den kommenden Untergang Trojas, als Quelle für die Darstellung sieht er Lesches’ Kleine Ilias an. Die Laokoon betreffenden Epitomen sind laut Clemens Zintzen möglicherweise von Johannes Tzetzes verfasst worden (siehe unten).[49] Laut dem Archäologen Karl Schefold mussten die Warnungen von Kassandra und Laokoon scheitern, weil sie sich nicht Apollon hingeben wollte und er sich gegen dessen Willen vermählt beziehungsweise in seinem Tempel mit seiner Frau geschlafen hatte.[50]
Hyginus Mythographus
Eher den Autoren vor Vergil folgend fasst Hyginus Mythographus (2. Jahrhundert n. Chr.) die Sage zusammen, ohne sie allerdings in den mythischen Kontext zu setzen: Laokoon hatte gegen den Willen Apollons geheiratet und Kinder bekommen. Als Laokoon zuteilwurde, Poseidon an der Küste ein Opfer darzubringen, sandte der Gott ihm zur Strafe zwei Schlangen aus Tenedos. Sie hatten die Absicht, seine Söhne zu töten; als Laokoon ihnen helfen will, bringen sie auch ihn durch Erwürgen um. Nur die Phryger (Trojaner) glaubten, dass dies wegen des Speerstoßes gegen das hölzerne Pferd geschehen sei. (Hyginus Mythographus, Fabulae, 135)[51]
Die Aussage über die Phyrger muss sich, so Jörg Rüpke, eindeutig auf Vergils Fassung der Geschichte beziehen, da Laokoon in früheren Darstellungen das Pferd nie angegriffen hatte. Carl Robert sieht in der Erwähnung Poseidons und des Speerstoßes noch weitere Beziehungen zu Vergil, die er einem späteren Interpolator zuschreibt und aus seiner Interpretation herauslöst. Eine Abhängigkeit von Sophokles sei aber nicht notwendig. Foerster und Schott argumentieren gegen Roberts Vorwurf der Interpolation und Moritz Schmidts Vorwurf der Unechtheit. Foerster arbeitet außerdem durch Ausscheidung der anderen Vorgänger Sophokles als einzig mögliche Quelle heraus.[52]
Quintus von Smyrna
Laut Quintus von Smyrna (3. bis 4. Jahrhundert n. Chr.) hatten die Trojaner Sinon am hölzernen Pferd gefunden, worauf sie ihn misshandelten, um herauszufinden, wozu es gedacht sei. Sinon selbst gab an, dass die Griechen ihn opfern wollten, er sich aber unter das Pferd habe retten können, das in Troja der Athene zu widmen sei. Die Trojaner berieten sich, was nun zu tun sei, und Laokoon sprach sich für dessen Verbrennen aus. Athene intervenierte aber, ließ die Erde unter Laokoons Füßen erbeben, ihn zunächst alles doppelt sehen und blendete ihn schließlich. Die Trojaner glaubten daraufhin, dass dies eine Bestrafung für seine Worte gegen Sinons vorangegangene Rede gewesen sei, und fürchteten sich vor einer eigenen Bestrafung. Sie zogen den Schluss, Sinons Worten zu folgen und das Pferd auf den von Epeius konstruierten Rollen in die Stadt zu ziehen; im Anschluss feierten sie ein Fest. Wiederum drängte Laokoon seine Landsleute, das Pferd zu verbrennen, um die Stadt zu retten, woraufhin Athene ein zweites Mal intervenierte und unter erneuten Erdstößen Zwillingsschlangen aus einer Höhle der Insel Kalydna entsandte. Als sich diese Ilios näherten, flohen aus Angst alle Trojaner, nur Laokoon und seinen Söhnen machten die nahende Todesgöttin Ker und ein weiterer Gott die Beine schwer. Die Schlangen vollendeten Athenes Plan, rissen Laokoons Söhne mit den Mäulern in die Höhe, wobei ihr Vater nur zusehen und nicht helfen konnte. Anschließend zogen sich die Schlangen unter die Erde bis zum Apollontempel in Troja zurück. Den Kindern wurde ein leeres Grabmal (Kenotaph) gewidmet, vor dem kurz Laokoon und dann ausgiebig seine Frau ihre Kinder und ihr eigenes Leid beweinten. Die Trojaner selbst reagierten auf diese zweite Bestrafung nicht. (Quintus von Smyrna, Posthomerica, 12, 389–417. 444–499)[53]
Forschung
Aufgrund der inhaltlichen Parallelen von Quintus’ 12. Buch zu Vergils Aeneis wird die Frage nach dessen Quellen besonders an dieser Stelle kontrovers diskutiert.[54] Ein Großteil der Interpreten sieht eine direkte Abhängigkeit von Vergil beziehungsweise Sophokles, andere Autoren argumentieren aufgrund von größeren Abweichungen dagegen.[55] Heinze führt diese auf eine lokale Tradition zurück, Bassett geht noch weiter und argumentiert dafür, dass Quintus Vergils Aeneis nicht gekannt haben kann und sich eher auf Pseudo-Apollodors Fassung sowie Bakchylides und Sophokles zurückführen lasse. Auch eine mögliche Beziehung zur Laokoon-Gruppe oder zu ähnlichen Darstellungen kann laut Alan W. James nicht endgültig geklärt werden.[56] Die erstmals bei Quintus erwähnte Blendung Laokoons führen Malcolm Campbell, Silvio Bär und andere auf eine Glaukomerkrankung zurück, die laut Basset Quintus entweder selbst als Patient oder Arzt erlebt haben muss. Für Alan W. James steht sie für die Blindheit der Trojaner gegenüber ihrer eigenen baldigen Vernichtung und findet eine Entsprechung in dem blinden Seher Teiresias.[57] Bassett sieht zudem die Laokoonszene im Kontext weiterer Stellen bei Quintus und im Vergleich zu Euripides’ Troerinnen als Anlass, um die Trauer von Laokoons Frau und damit das Mitleid für Laokoon zu vermehren.[58]
Kleinknecht versucht beide Positionen miteinander in Einklang zu bringen, spricht sich aber deutlich dafür aus, dass Quintus von Vergil abhängt. Er habe mehrere Motive Vergils mit einer vorvergilianisch-griechischen Vorlage kontaminiert, missinterpretiert und vereinfacht. Ähnlich Clemens Zintzen, der viele Motive, die Quintus von Vergil laut anderen Forschern kopiert haben soll, auch schon in früherer Literatur wie Euripides’ Die Troerinnen, Verse 511–567 erwähnt findet.[59] Einen ausführlichen Vergleich von Quintus’ mit anderen Darstellungen und besonders Vergils Text bietet Gärtner: Quintus habe durch mehrfache Bestrafung und die Verlagerung des Fokus vom Schlangenangriff zur Blendung seine Vorbilder übertreffen wollen und habe dazu beide Hauptstränge der Laokoonsage kontaminiert. Daraus ergebe sich, dass die zweite Strafe bei Quintus, der Schlangenangriff nach der Blendung, keine direkten Folgen habe.[60]
Anthologia Latina
Wohl aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. stammt ein Epigramm der Anthologia Latina, einer Sammlung meist kleiner lateinischer Gedichte aus antiker Zeit – hier gefunden auf dem Codex Salmasianus –, das berichtet, Laokoon sei zusammen mit seinen beiden Söhnen von zwei Zwillingsschlangen angegriffen worden. Das Epigramm gibt an, dass der Mensch Laokoon dafür mit Vergiftung bestraft wurde, weil er sich an einem hölzernen Pferd vergangen habe. Schlimmer wäre nur eine direkte Verletzung eines Gottes gewesen. Laut Roswitha Simons ist das Epigramm klar von Vergil abhängig.[61]
Excidium Troiae
Das anonyme Prosawerk Excidium Troiae (4.–6. Jahrhundert n. Chr.) zitiert bei seiner gerafften Version des Trojanischen Krieges des Öfteren Vergilverse und kommentiert sie. Hier wird Sinon von den Griechen vor deren Bau des Pferdes ausgesetzt. Die Trojaner finden diesen, woraufhin er ihnen vorlügt, dass die Griechen ihn bald Apollon opfern wollen und planten, ein Pferd als Geschenk für Minerva zu bauen, das die Trojaner vor ihrem Neptuntempel in der Stadt aufstellen sollten. Dieses steht am nächsten Tag auch am Strand nahe dem Tempel der Minerva, woraufhin die Trojaner, um sich mit Apollon und Minerva gutzustellen, sowohl Sinon als auch das Pferd in die Stadt befördern wollen. Der Neptunpriester Laokoon warnt in Vergilzitaten vor dem Pferde und stößt es mit einer Lanze. Diese Stelle wird vom Verfasser so kommentiert, dass Laokoon die Griechen beinahe im Pferd enttarnt hätte, wenn der Verstand der Trojaner nicht durch die Götter und das Schicksal getrübt gewesen wäre. Sie forderten nämlich Laokoon auf, Neptun zur Bestätigung zu opfern. Während des Opfers wird Laokoon mit seinen Söhnen von zwei Meeresschlangen, die von Tenedos kamen, angegriffen. Zunächst beißen sie seine Söhne, bevor sie den zu Hilfe eilenden Laokoon zusammen mit seinen Söhnen beißen oder verschlingen. Dies wird von den Trojanern konsequenterweise als Strafe für dessen Taten gegen das Trojanische Pferd gedeutet. Hier zeige sich die Perfidität der Götter, so Roswitha Simons.[62]
Rezeption
Zeichnung der Fragmente wohl eines mittel-apulischen Kraters des Nationalmuseums in Ruvo di Puglia von Michele Jatta, angefertigt zwischen 380–370 v. Chr. Laokoon selbst befindet sich vermutlich rechts neben dem Rand.
Antike Kunst
In der Antike wurde die Laokoonepisode nur selten künstlerisch umgesetzt.[63] Die ersten Abbildungen von Laokoon befinden sich auf einem früh-lukanischen Glockenkrater (430/425 v. Chr.) des so genannten Pisticci-Malers und auf mehreren um 380–370 v. Chr. datierten Fragmenten wohl eines mittel-apulischen Kraters des Nationalmuseums in Ruvo di Puglia.[64] Auf dem zuerst bekannten Fragment aus Ruvo sind Apollon und Artemis, ein Apollonstandbild, das von Schlangen umwunden ist, eine herbeieilende Frau und Überreste eines teilweise gefressenen und zerstückelten Kindes zu sehen. Vor dem Fund des intakten Kraters war unklar, ob die dargestellte Szene sich auf den Laokoonmythos zurückführen lässt und somit eine hinter der Frau (dann Antiope) noch zu erkennende Figur als Laokoon gedeutet werden müsste.
Der Glockenkrater zeigt eine ähnliche Szenerie: Auf der linken Seite ist eine von Schlangen umwundene Apollonstatue zu erkennen, vor der sich Überreste eines Jungen befinden. Auf die Statue stürmt eine Frau mit Axt ein, hinter der sich ein bärtiger Mann befindet. Der Statue gegenüber befindet sich Apollon – Artemis ist hier nicht abgebildet. Konrad Schauenburg und spätere Interpreten deuten die weibliche Figur als Laokoons Frau Antiope und den bärtigen Mann dann als Laokoon; Postriot sieht in der Frau hingegen Kassandra; Erika Simon widerspricht jedoch dieser Deutung. Gemäß Foerster und Adolf Furtwängler darf eine so zentrale Figur wie Laokoon nicht hinter einer Frau stehen, sondern hätte dann schon durch die Schlangen getötet sein müssen. Da auch die Söhne getötet sind, lässt sich laut Furtwängler somit die bei Euphorion und Vergil erst spät belegte Fassung, in der alle drei Personen tot sind, auf den Vasen früh belegen. Margot Schmidt hingegen glaubt nicht, dass Laokoon auf dem Krater aus Ruvo angegriffen, sondern überleben wird. Weil sich die Schlangen schon auf das Kultbild zurückgezogen haben, ist dann auch der Bezug zu Arktinos’ Fassung der Geschichte nicht zwingend. Da sowohl die Statue als auch die Haltung der Frau identisch zu der Abbildung auf dem Fragment des mittel-apulischen Kraters sind, wurde von Schauenburg und Schmidt auch für diese Scherbe ein Bezug zum Laokoonmythos postuliert. Laut Furtwängler ist damit ein Bezug zur Variante des Mythos gegeben, in dem Laokoon mit seiner Frau verbotenerweise Kinder zeugt. Schmidt, Steinmeyer und Herwig Maehler führen die Motive noch genauer auf Sophokles’ Tragödie zurück, bei dem aber laut dem antiken Autor Dionysios von Halikarnassos beide Söhne sterben und nicht nur (wie bei Arktinos) einer. Furtwängler denkt eher an eine nachsophokleische Tragödie als Vorbild.[65] Umstritten ist in der Forschung, ob die Darstellung eines bärtigen Mannes auf einem attischen Kantharos, der auf einem Altar von Schlangen angegriffen wird, mit Laokoon in Verbindung gebracht werden kann. Außerdem ist dort ein Mann mit Zepter und Steinschleuder zu sehen, der ebenfalls als Laokoon interpretiert wurde. Schmidt sieht in allen Geschichten Apollon und Aeneas als verknüpfende Elemente; sie vermutet, dass der Laokoonmythos gerade wegen des römischen Aeneas in Unteritalien so oft auf Vasen dargestellt wurde.[66]
Eine ähnliche Situation stellen zwei römische Wandmalereien dar, die im Haus des Menanders und in der Casa di Laocoonte in Pompeji (beides Mitte 1. Jahrhundert n. Chr.; dritter beziehungsweise vespasianischer vierter Stil) um 1875 gefunden wurden:
Das zum Teil zerstörte räumliche Bild in der Casa di Laocoonte zeigt den mit einem Chiton bekleideten, bekränzten Laokoon. Er sucht auf den Stufen eines Altars Schutz vor einer Schlange, die ihn angreift. Auch einer seiner Söhne wird von einer Schlange angegriffen, der zweite liegt getötet auf dem Boden – ob wie bei Arktinos allerdings nur ein Sohn getötet wird, ist laut dem Klassischen Archäologen Georg Lippold umstritten. Im Hintergrund werden ein Stier und vier Zuschauer dargestellt. Aufgrund des schlechter gemalten zweiten Sohnes sowie der vier Zuschauer vermutet Gerhart Rodenwaldt, dass diese eine spätere Erfindung des Malers seien und die anderen Figuren einer Vorlage folgen. Foerster führt die Darstellung auf Laokoons Frevel im Apollontempel zurück, da auf dem Bild ein Temenos gezeigt wird. Das Wandbild befindet sich heute im Archäologischen Nationalmuseum Neapel (Inventarnummer 111210). Ein Bezug zu Vergils Laokoondarstellung im zweiten Buch der Aeneis wurde in der Forschung zunächst abgelehnt, Rudolf Ehwald sah eher in Euphorions Werk eine Vorlage und den Altar als Teil eines Tempels – vermutlich des Apollon Tymbraios – an. Für Foerster, Simon und andere scheint auch eine Abhängigkeit von der Laokoon-Gruppe wahrscheinlich, laut Rodenwaldt wäre dies einzigartig in der pompejanischen Wandmalerei und daher unwahrscheinlich. Er vermutet als Vorlage ein unbekanntes Tafelbild, das dann auch Vorbild für die Gruppe sein kann. Neuerdings geht die Forschung von einem Bezug zu Vergil aus, da auch bei diesem – vermutlich zum ersten Mal – alle drei Personen sterben; zudem wird vermutet, dass das Werk nur eine Kopie ist. Gegenstück zum Laokoon im benachbarten Triclinium ist ein Wandbild von Polyphem und Aeneas mit seinen Gefährten (heute Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, Inventarnummer 111211), zu denen möglicherweise auch Odysseus gehört.
Das Pendant zum Laokoonbildnis im Haus des Menanders zeigt hingegen Kassandra. Auf dem besser erhaltenen Wandbild werden Laokoon und sein Sohn von jeweils einer Schlange angegriffen, der zweite Sohn ist schon gestorben. Anstelle eines Altares ist ein Tisch abgebildet, dafür beobachten auch auf diesem Bild mehrere Zuschauer die Szenerie und ein Stier entflieht dem Unheil. Georg Lippold diskutiert mehrere antike Kunstwerke als mögliche Vorbilder für die Darstellung und sieht schließlich den Maler Zeuxis von Herakleia als Ideengeber an. Für den Klassischen Archäologen Arnold von Salis kommt allerdings ebenso wenig wie Vergils Text oder die Laokoon-Gruppe eine griechische sondern eher eine römische Vorlage dafür in Frage.[67]
Der einflussreichste Fund einer Darstellung Laokoons war der einer 2,42 m hohen Marmorgruppe am 13./14. Januar 1506 in der Nähe der Kirche San Pietro in Vincoli durch Felice de Fredis: der Laokoon-Gruppe. Als Papst Julius II. den Architekten Giuliano da Sangallo das Werk begutachten ließ, verknüpfte dieser es sofort mit der Beschreibung Plinius des Älteren (Naturalis historia 36, 37) über eine in Titus’ aufgestellten Statue: Diese sei vor allen Bildnissen und Bildhauererzeugnissen/Bronzegüssen vorzuziehen und (wie) aus einem einzigen Stein durch die besten Künstler auf Beschluss eines kaiserlichen Rates von drei rhodischen Künstlern – Hagesandros, Polydoros und Athenodoros – geschaffen.[68] Sie stellt Laokoon zentral auf einem Altar stehend dar, zu seinen Seiten seine beiden Söhne – die Dreiergruppe wird von Schlangen angegriffen, und laut Simon gegen Robert hat der ältere Sohn die Möglichkeit, sich zu befreien.[69] Damit ist die Darstellung nicht zwingend von Vergils Fassung abhängig, da dort beide Söhne getötet werden, und laut Erika Simon eher Arktinos’ Fassung zuzuschreiben, in der nur Vater und ein Sohn starben.[70] Weil aber eine Beziehung zu Vergils Werk nicht unmöglich ist und sich damit der terminus post quem (Zeitpunkt, nachdem das Werk konzipiert wurde) in spätere Zeit verschöbe, ist sich die Forschung auch über die Datierung der Laokoon-Gruppe uneinig. Die Mehrzahl plädiert somit für die neronisch-flavische Zeit (1. Jahrhundert n. Chr.), einzelne Autoren aber auch für eine frühkaiserzeitliche Marmorkopie (1. Jahrhundert v. Chr.) einer hellenistischen Bronzeskulptur (2. Jahrhundert v. Chr.), die laut Bernard Andreae durch Phyromachos und den vielleicht von ihm geschaffenen Pergamonaltar sowie andere Kunstwerke beeinflusst sein kann.[71] Die Laokoon-Gruppe wurde erst nach dem Fund oft kopiert; für die Antike ist dies nicht belegt. Ausgangspunkt für viele Diskussionen bezüglich dieser Marmorgruppe war Gotthold Ephraim Lessings Werk „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“ aus dem Jahre 1766. Zu erneuten kontroversen Diskussionen kam es nach dem Auffinden eines einstmals verschollenen Armes durch den Archäologen und Kunsthändler Ludwig Pollak 1905; erst 1960 fügte ihn Filippo Magi an das Original an.
Mehrere spätantike Kontorniat-Medaillons (356–394 n. Chr.), die wohl als Neujahrsgeschenke gedacht waren, zeigen auf der einen Seite einen römischen Kaiser des frühen Prinzipats (in der Reihenfolge der Prägung: Vespasian und Nero) und auf der anderen Seite eine laut Simons Vergils Aeneis nahe Darstellung des Übergriffs der Schlangen auf Laokoon und dessen Söhne. Richard Foerster, der Numismatiker Andreas Alföldi und der Historiker Leopold Ettlinger hingegen sehen eine Abhängigkeit der Kontorniaten von der Laokoon-Gruppe – für Alföldi ist die Ausführung dabei „kläglich schlecht“. Foerster unterscheidet zwei verschiedene Typen, die unterschiedlich stark von der Laokoon-Gruppe abhängen, und zwei beziehungsweise vier attackierende Schlangen, Laokoon und dessen beide Söhne darstellen. Alföldi hingegen sieht drei von der Laokoon-Gruppe abhängige, aber schlecht gearbeitete Varianten. Für Ettlinger scheinen die Kontorniaten eine Art Kunstpropagandamittel zu sein, das auf den Niedergang des römischen Reiches hinweist.[72] Eine spät-etruskischen Gemme vermutlich aus dem 4. oder 3. Jahrhundert v. Chr. zeigt einen Mann mit zwei Kindern, die von drei Schlangen umschlungen und nicht gebissen sind und flüchten. Lange war sich die Forschung uneinig, ob sie echt ist, Laokoon und dessen Söhne darstellt und damit Vorbild für die Laokoon-Gruppe sein könnte. So sprach sich der Klassische Archäologe Adolf Furtwängler dafür aus, dass die seiner Meinung unzweifelhaft echte, wenn auch wenig kunstvolle Gemme die im 4. Jahrhundert v. Chr. sich langsam etablierende Gründungssage Roms darstellt. Sie zeige „ohne Zweifel“ Laokoon und seine Söhne, habe aber keine griechischen Vorbilder und stehe auch sonst nicht in Beziehung zur Laokoon-Gruppe, was Bernard Andreae später vorschlug. Die Gemme kann laut Furtwängler in Verbindung mit Euphorions Laokoondarstellung stehen, da erstmals bei diesem wie eben auch auf der Gemme Laokoon und seine Söhne von den Schlagen angegriffen werden. Die Archäologin Gemma Sena Chiesa sprach sich 2007 gegen die These aus, die Gemme sei in der Antike hergestellt worden.[73]
Eine Textillustration zur Aeneis aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. zeigt zwei verschiedene Szenen des Werkes als Ergänzung zum Vergilmanuskript in der Vatikanischen Bibliothek – in beiden Fällen wird Laokoon namentlich erwähnt: Auf der linken Seite der Miniatur opfert der Priester den Stier am Altar, rechts werden er und seine Söhne von Schlangen umfasst, woraufhin Laokoon die Arme in die Luft reißt und aufschreit – sie befinden sich dabei zwischen einem Neptun- und vermutlich einem Athenetempel. Da der Schlangenangriff nicht genau Vergils Darstellung wiedergibt, könnte die Illustration gemäß der Ansicht von Erika Simon und Leopold Ettlinger trotz einiger Unterschiede durch die Laokoon-Gruppe beeinflusst sein. Die Handschrift mit der Illustration wurde jahrhundertelang in einer Bibliothek von der Öffentlichkeit abgetrennt aufbewahrt.[74]
Weiter geht es in Teil 2
Künstlerische Darstellung von Laokoon kurz vor seinem Tod (Detail der Laokoon-Gruppe)
Zunächst erzählen griechische Autoren, deren Texte nur fragmentarisch oder in Zusammenfassungen überliefert sind, dass Laokoon und seine Frau im Tempel des Apollon Thymbraios einander liebten und sich damit den Zorn des Gottes zuzogen. Zwei Schlangen, die der Gott daraufhin aussandte, töteten dann entweder ihn mitsamt einem Sohn oder nur seine beiden Söhne am Altar des Apollon Thymbraios in der Stadt Troja. Erst Vergils Darstellung des Mythos ist in einer längeren Fassung in seinem Epos Aeneis aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Darin wird die Geschichte Laokoons verlagert und mit dem Trojanischen Pferd verknüpft: Während die Griechen vorgaben, Troja zu verlassen und der Stadt zur Ehrung der Götter ein hölzernes Pferd zu schenken, das in Wirklichkeit mit griechischen Kämpfern gefüllt war, erkannte Laokoon als einziger den Trug. Er stieß auf das Pferd mit einem Speer ein; dieser prallte jedoch ab. Daraufhin erschienen zwei von Athene geschickte Schlangen, die Laokoon zusammen mit beiden Söhnen töteten. Die Trojaner meinten darin eine Strafe der Götter für die Entweihung des Geschenkes zu sehen und zogen dieses zu ihrem Unglück in die Stadt.
Auch bildnerische Darstellungen von Laokoon sind aus der Antike nicht viele überliefert. Neben zwei Krateren sind zwei Wandmalereien aus Pompeji und wenige Kontorniat-Medaillons bekannt; ob auch eine spätetruskische Gemme Laokoon darstellt, ist umstritten. Bis zum Ende des lateinischen Mittelalters schwand die Kenntnis des Mythos und auch die Bildnisse gingen verloren; zu den einzigen künstlerischen Belegen für die Kenntnis der Geschichte zählen Zeichnungen für Manuskripte der Vergilausgaben. Erst der Fund der Laokoon-Gruppe (1506), einer antiken römischen Marmorskulptur aus dem 1. Jahrhundert vor oder nach Chr., die Laokoon und dessen Söhne beim Kampf mit Schlangen zeigt, führte zu vermehrten Darstellungen der Sage. Anhand dieser Gruppe entwickelte sich vor allem im 17. und 18. Jahrhundert eine Debatte über die griechische Kunst allgemein. Die Interpretation des Laokoonmythos in der Fachwissenschaft ist äußerst umstritten, der Fokus liegt dabei auf den Darstellungen bei Vergil, Petron und Quintus von Smyrna.
Person
Der Name Laokoon (altgriechisch Λᾱοκόων /laːokǒɔːn/) ist zusammengesetzt aus altgriechisch λᾱός /laːǒs/ „(Fuß)volk; Leute, Krieger“ und altgriechisch κοέω [koéo] /koěɔː/ „schauen, auf etwas achten“.[1] Er bedeutet demzufolge „der auf das Volk achtet“.[2] Laokoon galt als Sohn des Antenor oder Kapys/Acoetes, Bruder des Anchises und Onkel des Aeneas – und damit auch mit dem trojanischen Königshaus verwandt.[3] Laut Hyginus Mythographus, Fabulae, 135 hatte Apollon ihm untersagt, zu heiraten und Kinder zu bekommen; er ging dennoch eine Ehe mit Antiope ein und hatte Kinder.[4] Über die Namen seiner Söhne waren sich antike Autoren allerdings uneinig: Maurus Servius Honoratius gibt für den sonst unbekannten Autor Thessandrus die Namen Ethron/Aethion und Melanthus an, Hyginus Mythographus hingegen Antiphates und Thymbraios/Thymbraeus.[5]
Im Laufe seines Lebens wurde Laokoon entweder zu einem Priester des Apollon Thymbraios (nach dem dann auch Laokoons Sohn genannt wurde) oder des Meeresgottes Poseidon/Neptun geweiht.[6] Diese uneindeutige Zuordnung führt Servius auf die Darstellung des Mythos bei Euphorion zurück
Die Prozession des Trojanischen Pferdes nach Troja, Detail, Giovanni Domenico Tiepolo, 18. Jahrhundert
Rahmenhandlung
Der Mythos um die Eroberung der Stadt Ilios wurde von mehreren griechischen und lateinischen Autoren geprägt. Schon in der Homer zugeschriebenen Odyssee (7. Jahrhundert v. Chr.) wird er, allerdings ohne eine Beteiligung von Laokoon, erwähnt und später vor allem von Autoren wie Quintus von Smyrna (4. Jahrhundert n. Chr.) in den Posthomerica auf griechischsprachiger Seite und von Vergil in dessen Aeneis (1. Jahrhundert v. Chr.) in lateinischer Sprache ausgebaut.[7] So ergibt sich folgender Ablauf für die Geschehnisse um Laokoons Handlungen:
Nachdem der Trojanische Krieg zehn Jahre lang erfolglos geführt worden war, ersannen laut Homer die Achaier, laut Quintus nach einer Weissagung des Sehers Kalchas ausschließlich Odysseus eine List, um Ilios doch noch zu erobern: Der beste Baumeister der Achaier, Epeios, solle ein hölzernes Pferd entwerfen, das wegen der Region um die Stadt Ilios („Troja“) als „Trojanisches Pferd“ bekannt ist. Die nötigen Anweisungen für den dreitägigen Bau soll ihm Quintus zufolge Athene in einem Traum vermittelt haben: Die Achaier müssten zunächst ihr Lager niederbrennen und das Verlassen des Kampffeldes vortäuschen. Die stärksten Krieger hingegen sollen im Bauch des Pferdes in die Stadt Ilios gelangen und nachts heimlich aus ihm klettern. Mittels eines Leuchtsignals würden sie dann die restlichen Achaier zum Stürmen der Festung bewegen und ihnen schließlich die Tore öffnen. So fuhr also die Mehrzahl der Achaier zur Insel Tenedos außerhalb der Sichtweite der Trojaner, ein einziger Mann sollte zurückbleiben, um den Trojanern das Pferd als Ersatz für das gestohlene Athenebildnis (Palladion) zu übergeben. Nur Sinon war mutig genug, diesen Plan auszuführen. Er teilte den Trojanern den Grund für die Rückgabe mit und gab vor, dass sie ihn für eine gute Rückfahrt opfern wollten, er aber geflohen sei, sich an die Füße des Pferdes geklammert und damit in den Schutz Athenes begeben habe.
Die Trojaner waren zunächst (nach mancher Fassung auch schon vor Sinons Empfehlung) unschlüssig, ob sie das hölzerne Pferd verbrennen, aufschlitzen, die Klippe hinunterwerfen oder als Weihgeschenk zur Besänftigung und Freude der Götter nach Ilios ziehen sollten. Nach mancher Darstellung der Laokoongeschichte hatten sich die Trojaner unabhängig von Laokoons Auftreten für letzteres entschieden. Nach anderen Fassungen folgte auf Sinons Rede die Geschichte Laokoons, die mit seiner Bestrafung durch die Tötung eines oder mehrerer seiner Kinder oder auch durch seinen eigenen Tod endet. Kassandra weissagt je nach Mythos entweder vor oder nach diesen Toden, dass nun Ilios’ Ende bevorstehe; die Trojaner aber ignorierten diese Warnung. Kassandra ergriff daraufhin laut Quintus eine Fackel und eine Doppelaxt, um den Trug im Pferd aufzudecken, doch sie wurde von den Landsleuten daran gehindert und floh – zur stillen Freude der Achaier im Pferd. Nachts konnten die Achaier dieses verlassen und die Trojaner vernichten.
Antiker Laokoonmythos
Arktinos von Milet
Zuerst wird Laokoon in dem frühgriechischen Epos Iliu persis erwähnt, das Arktinos von Milet (7. Jahrhundert v. Chr.) zugeschrieben wird und nur fragmentarisch erhalten ist. Nach einer von dem spätantiken Gelehrten Proklos überlieferten Zusammenfassung des Epos entscheiden sich die Trojaner zunächst, das Pferd nicht von einer Klippe hinabzustürzen oder zu verbrennen, sondern Athene zu weihen. Während der Siegesfeier kommen zwei Schlangen und töten Laokoon und einen seiner beiden Söhne. Dies interpretierte der Trojaner Aineias als schlechtes Omen und wich zum Berg Ida aus; Sinon währenddessen öffnete den Griechen, die nicht aus dem Rumpf des Pferdes, sondern aus Tenedos zum Kampf kamen, die Tore. (Arktinos von Milet: Epicorum Graecorum Fragmenta 62, 11 = Proklos’ Chrestomatia 239–251 Severyns, Ἰλίου περσίδος β̄ Ἀρκτίνου.)
Der Philologe Clemens Zintzen sieht im Schlangenangriff auf Laokoon eine Bestrafung für dessen Warnung vor dem Trojanischen Pferd. Vor Arktinos’ Darstellung hat Kassandra diese ausgesprochen. Carl Robert erkennt in dem Tod nur eines der beiden Söhne Laokoons bei Arktinos einen Hinweis auf das trojanische Königsgeschlecht, da das Geschlecht des Priamos zwar ausgelöscht, das des Anchises aber durch Aineias’ Flucht gerettet wird. Dieser werde durch den Tod der beiden Personen vor dem Trojanischen Pferd gewarnt. Ein vorangegangenes Verschulden Laokoons, wie dies teilweise in späteren Fassungen thematisiert wird, sei für diese Deutung nicht nötig. Aus der Zweizahl der Königsgeschlechter sieht er zudem die Zahl der Schlangen begründet; ganz anders die Wissenschaftler Bodoh, Knox, Putnam und Salanitro, die einer Anmerkung des antiken Grammatikers Tiberius Claudius Donatus zu Vers 203 der Aeneis folgend in ihnen die Atriden Agamemnon und Menelaos verkörpert sehen. Donatus hatte allerdings nur darauf verwiesen, die Zwillingsschlangen mit den Griechen bei Tenedos gleichzusetzen. Der Klassische Philologe Heinz-Günther Nesselrath vermutet, dass Pseudo-Apollodors Darstellung der Laokoonsage mit Arktinos’ verwandt ist, und postuliert damit auch für Arktinos’ Fassung einen Speerstoß von Laokoon gegen das Trojanische Pferd.[8]
Bakchylides
Maurus Servius Honoratius (4. Jahrhundert n. Chr.) erwähnt in seinem Aeneiskommentar, dass Bakchylides (5. Jahrhundert v. Chr.) wohl einen Dithyrambos über Laokoon und dessen Frau sowie über Schlangen, die aus Kalydna kamen und sich in Menschen verwandelt hatten, dichtete. Bakchylides scheint, so Erich Bethe, damit die Laokoongeschichte von Arktinos’ Fassung losgelöst zu haben, woraufhin Foerster und Zintzen vermuteten, dass im Dithyrambus schon auf Laokoons Missachtung von Apollons Keuschheitsgebot angespielt wurde. (Bakchylides, fr. 9 Maehler)[9]
Sophokles
Aeneas trägt Anchises, mit Askanios und seiner Ehefrau. Amphora aus einer griechischen Werkstatt in Etrurien, um 470 v. Chr., Staatliche Antikensammlungen.
Eine griechische Tragödie namens „Laokoon“, die Sophokles im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb, ist bis auf wenige Fragmente verloren: An einer überlieferten Stelle der Tragödie brennt ein Apollonaltar, der Myrrhenrauch verströmt; an einer anderen wird Poseidon erwähnt, der die Klippen der Ägäis bewohnt und die blauen Meere beherrscht. Schließlich nennt ein Bote die Ankunft von Aineias. (Sophokles, fr. 370–377)[10]
Dionysios von Halikarnassos (1. Jahrhundert v. Chr.) sieht bei der Deutung der Stelle in seinen Antiquitates Romanae in den Geschehnissen um Laokoon beziehungsweise dessen Söhne (Λαοκοωντίδας) ein Zeichen für den Untergang Trojas. Er erwähnt zudem, dass Aineias (zusammen mit seinem Hausstand und einer Menge Phryger [Trojaner]) wie schon bei Arktinos zum Berg Ida gegangen sei; allerdings habe bei Sophokles dessen Vater Anchises ihn dazu aufgefordert – Laokoons Tod war nur eine ergänzende Warnung. Anchises war von Zeus’ Blitz niedergestreckt und nun von Aineias auf den Schultern weggetragen worden.[11] Maurus Servius Honoratius berichtet zudem, dass Sophokles die Namen der Schlangen angegeben habe – dies ist der erste Beleg für die Benennung der Schlangen.[12]
In der Forschung des späten 19. Jahrhunderts gab es einen Streit zwischen Carl Robert, der Dionysios’ Wort Λαοκοωντίδας („die Laokoontiden“) als „die beiden Laokoonsöhne“ deutete und die Tragödie damit der Darstellung des Bachylides anschloss, wohingegen Richard Foerster dieses Wort als „Laokoon und Söhne“ und damit als Weiterführung der Arktinos-Geschichte deutet. Zum gleichen Ergebnis wie Robert kommt Erika Simon bei der Interpretation im 20. Jahrhundert gefundener Vasen (siehe Abschnitt „Rezeption“).[13] Verschiedene Wissenschaftler rekonstruieren aus den später dargestellten Laokoonepisoden bei Vergil, Euphorion beziehungsweise Hygin einen möglichen Ablauf der Tragödie. Dies ist gemäß den Klassischen Philologen Hermann Kleinknecht und Heinz-Günther Nesselrath für die beiden letztgenannten Autoren allerdings nicht legitim, da der bei den antiken Autoren beschriebene Beischlaf von Laokoon mit seiner Frau Antiope keine typisch tragische Verfehlung (Hamartie), sondern ein echtes religiöses Verbrechen ist.[14] Friedrich Gottlieb Welcker sieht in der Benennung der Schlangen bei Sophokles einen Bezug zu Bakchylides, dem Robert, Engelmann/Höfer, Pearson und Foerster aufgrund der Darstellungen bei Pseudo-Apollodor beziehungsweise Johannes Tzetzes widersprechen.[15]
Euphorion
Der antike Autor Maurus Servius Honoratius gibt in seinem Kommentar zu Vergils Aeneis an, dass Euphorion (3. Jahrhundert v. Chr.) in seinem Werk über Laokoon geschrieben habe, ein Priester des Neptun sei gesteinigt worden, weil er die Ankunft der Griechen nicht durch Opfer verhindert hatte. Nach der Abfahrt der Griechen wollten die Trojaner Neptun opfern, damit er ihnen die Heimfahrt erschwere; weil der reguläre Priester fehlte,[16] losten sie. Das Los fiel auf Laokoon, den Priester des Apollon Thymbraios, der im Apollontempel vor dessen Kultbild mit seiner Frau Antiope geschlafen hatte. Zur Strafe wurden dann er und seine Söhne getötet. Laut Servius wurde diese Geschichte aber von den Dichtern zur Entschuldigung Trojas beschönigt. (Euphorion, fr. 70 Powell = 75 von Groningen = 80 Scheidweiler)
Da keine direkten Aussagen Euphorions überliefert sind, schwankt die Forschung in der Interpretation dieser Darstellung bei Servius. Carl Robert sieht aufgrund der von Servius erwähnten Verlagerung des Handlungsortes von der Stadt ans Meer einen für die Tragödie untypischen kompositorischen Zwang und wirft dem Kommentator eine nachträgliche Verfälschung des Stoffes vor, um die Szenerie bei Vergil zu erklären. Dem widersprechen Foerster, Adolf Furtwängler, Ehwald, Gerhard Schott und Nesselrath, da sonst Servius’ Kommentar nicht erklärt werden könne und Euphorion so etwas wohl häufiger tat. Euphorion kann damit Quelle für Vergil sein, seine eigenen Quellen sind aber ungewiss: Robert findet Argumente für und gegen Sophokles, Clemens Zintzen sieht Anspielungen auf Bakchylides. In Herbert Steinmeyers Interpretation hat nicht Euphorion, sondern erst Vergil den Ort der Handlung verlegt. Für Schott hingegen sind Euphorions und Hygins Texte miteinander in verschiedenen Punkten verwandt, so auch im Handlungsort, dem Strand.[17]
Nikandros von Kolophon
In einem Fragment der Oxyrhynchus Papyri, das Nikandros aus Kolophon (2. Jahrhundert v. Chr.) zugeschrieben wird, entsendet Apollon von den Kalydnainseln zwar die beiden Seeschlangen, die Nikander mit den Namen Porkes und Chariboia angibt,[18] nachdem sie vom thymbräischen Meer genährt wurden; diese verschlingen allerdings nur einen Sohn Laokoons, und dies über Altären. Da im Kontext auch Laomedons Vergehen an Poseidon und Apollon erwähnt wird, vermutet Nesselrath, dass dessen Halbgroßneffe Laokoon auch deswegen bestraft wurde. (Nikandros aus Kolophon, fr. 562. In: Tragica Adespota, fr. 721)[19]
Vergil
In der lateinischen Literatur wird zum ersten Mal und zugleich am ausführlichsten im zweiten Buch von Vergils Aeneis (1. Jahrhundert v. Chr.) der Mythos um Laokoon beschrieben; er prägt darauffolgende Darstellungen.[20] Seitdem dominiert in der lateinischen Literatur die Warnung Laokoons, die hier zum ersten Mal überhaupt in Form eines Speerstoßes thematisiert wird, über die vergeblichen Weissagungen Kassandras, der im Gegensatz zu Laokoon laut Mythos so oder so nicht geglaubt werden konnte;[21] auch stirbt hier möglicherweise zum ersten Mal Laokoon mit beiden Söhnen.[22] Quelle für Vergils zweites Aeneisbuch ist laut Macrobius Ambrosius Theodosius’ Saturnalia 5, 2, 4 (5. Jahrhundert n. Chr.) ein verlorenes, nachhellenistisches Großepos von Peisandros von Laranda, dessen Konzipierung der Laokoonsage nicht bekannt ist.[23] Die Philologen Alfred Chilton Pearson und Roland Gregory Austin hingegen führen die vergilische Fassung auf einen ähnlichen Sophoklestext zurück, Richard Foerster folgt Servius und sieht Euphorion als Hauptquelle für die Laokoongeschichte an.[24]
Aeneas erzählt Dido vom Untergang Trojas, Baron Pierre Narcisse Guérin, Öl auf Leinwand, 1815
Der Trojaner Aeneas erzählt auf Wunsch der Königin Karthagos, Dido, vom Fall Trojas und seiner anschließenden Irrfahrt nach Karthago. Er setzt beim Bau des Trojanischen Pferdes an; nachdem die Griechen dieses verlassen hatten, beraten die Trojaner darüber, was zu tun sei. Der eine Teil ist dafür, das Pferd in die Stadt zu ziehen, andere wollen es von der Klippe stürzen, verbrennen oder aufschlitzen und durchsuchen. Den entstandenen Tumult löst erst Laokoon auf, der hoch von der Burg kommend seine Mitbürger mit provokanten Fragen ermahnt, nicht dieses Pferd anzunehmen, da er von den Griechen keine Geschenke erwarte und solche sprichwörtlich gewordenen Danaergeschenke fürchte. Er wähnt Griechen im Rumpf des Pferdes oder einen Spionageakt und erinnert an Odysseus’ Listen. Er schleudert mit voller Kraft eine Lanze in die Hinterseite des Pferdes, woraufhin dieses erschütterte und fast die Griechen enttarnt hätte; das Schicksal aber lenkte die Trojaner von diesem Geschehen ab, indem es sie den von den Griechen zu deren Trug ausgesetzten Sinon auffinden ließ. So gelingt es ihm dann auch, die Trojaner zu überzeugen, dass der Krieg nun zu Ende sei. (Vergil, Aeneis, 2, 40–56)
Als daraufhin Laokoon einen Stier an einem Tempel nahe am Meer opfert,[25] nähern sich von Tenedos her zwei Schlangen dem trojanischen Strand. Erschrocken laufen die Trojaner auseinander, die Schlangen streben jedoch auf Laokoon zu und gelangen zuerst zu dessen Söhnen und vergiften sie oder verschlingen ihre Gliedmaßen. Laokoon nähert sich den Schlangen mit einem Speer, wird von diesen aber zweimal umschlungen und versucht sich zu befreien. Die Schlangen vergiften seine Priesterbinden und entweihen sie, woraufhin Laokoon selbst wie ein schlecht getroffener, fliehender Opferstier laut aufschreit. Ob er dann stirbt oder dieser Schrei seine Entehrung als Priester symbolisieren soll, ist in der Forschung umstritten.[26] Die Schlangen[27] ziehen sich daraufhin in den obersten Tempel und die Burg der Tritonis[28] zurück; die Trojaner bringen, überzeugt, dass Laokoon seinen Speerstoß in das der Minerva geweihte Pferd gebüßt hat, es in ihre Stadt. (Vergil, Aeneis, 2, 199–227)
Forschung
Die fachwissenschaftlichen Interpretationen zur Laokoonepisode bei Vergil sind zahlreich und sehr verschieden. Den ersten einflussreichen modernen Interpretationen durch Gotthold Ephraim Lessing in dessen Werk Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie (1766), Friedrich Schiller in Über das Pathetische (1793) und Johann Wolfgang von Goethe in „Über Laokoon“ (1798) setzte Hans Theodor Plüss im Jahre 1884 eine noch heute maßgebliche, ausführliche sprachlich-inhaltliche Erklärung entgegen. Er sah dabei aus Vergils Text selbst ohne Vergleich mit Laokoondarstellungen anderer Autoren weder eine Schuld bei Laokoon, noch Erhabenheit in der Darstellung oder eine unverzeihliche Dummheit der Trojaner sondern eher Besorgnis über den harten Willen der Götter als Erschrockenheit des Publikums findet. Den Zweck sieht er in der einheitlichen Darstellung von Laokoons Schicksal zum Zwecke der grausamen Durchsetzung des göttlichen Planes, Troja zu zerstören.[29]
Erich Bethe stört sich an einigen Formulierungen in Vergils Text, die nicht in den Kontext der Darstellung passen, so vor allem Sinons hier erstmals belegte,[30] aber nicht zielführende Rede. Möglicherweise habe Vergil vor seinem Tod die Probleme nicht mehr beheben können oder die Trojaner nicht völlig auf den Trug des Sinons hereinfallen lassen und zugleich den Mythos konservieren wollen. Da Laokoons Handlungen vor Vergil nicht mit dem trojanischen Pferd verknüpft werden, athetiert er daher die Verse 40–56 und 199–233, um die ursprüngliche Geschichte zu rekonstruieren. Ihm folgen einige Interpreten wie Robert, Mackail und Malcolm Campbell.[31]
Richard Heinze argumentierte gegen die Streichung der Verse und betont, dass eine göttliche Bestätigung des Untergangs zwingend notwendig sei, da auch sonst nichts ohne eine solche in der Aeneis vonstattenginge und zudem nun die Trojaner auch von Göttern überzeugt wurden. Damit erklären sich auch andere von Bethe beobachtete Schwierigkeiten wie die Zweiteilung der Laokoonepisode bei Vergil: Sinons Rede solle nicht gegenüber Laokoons Tod verblassen, sondern wird durch diesen umrahmt.[32] Ähnlich Austin, der darauf hinweist, dass ohne dieses übernatürliche Zeichen die Trojaner möglicherweise trotz Sinons Überzeugungsarbeit endlos darüber debattiert hätten, was sie Laokoon hätten tun sollen. Die Götter hätten ihnen auf grausame Art und Weise die Entscheidung abgenommen. Dem widerspricht Malcolm Campbell.[33]
Heinzes unitarische Interpretation setzte sich gegenüber der analytischen Deutung Bethes in der Forschung durch, sie wurde durch Klassische Philologen wie Hermann Kleinknecht, Friedrich Klingner, Clemens Zintzen und Peter Krafft noch intensiviert. Krafft zum Beispiel vergleicht die Laokoonepisode mit anderen Darstellungen in Vergils Aeneis und verankert sowohl die Exposition als auch den Speerwurf mit dem umliegenden Text. Die Episode sei ein Prodigium, ein göttliches, bekräftigendes Wunderzeichen. Die Figuren im Werk verstünden jedes Mal die Zeichen falsch, der Leser oder die rückblickende Figur kann dies dann aber relativieren und als Hinweis auf Trojas Untergang interpretieren. Laut Zintzen versucht Vergil, Aeneas von einer Schuld zu entlasten und die Trojaner als durch die Götter und Sinons psychagogische Trugrede verblendet zu zeigen: Sie interpretieren Laokoons Unglück als Strafe für sein Handeln am Trojanischen Pferd – und eben nicht wie sonst für den Beischlaf mit seiner Frau. Krafft strebt mit seiner Argumentation an, die analytische mit der unitarischen Position in Einklang zu bringen und eine Art „tragische Ironie“ der Szene zu etablieren. Ähnlich auch Schott, Steinmeyer, Zintzen, Gärtner und Erler. Der Blindheit der Trojaner widerspricht Otto Zwierlein, da Vergil wie auch die spätantiken Kommentatoren Servius und Donatus ausschließlich das Schicksal und den Betrug durch die Griechen als Verursacher von Laokoons Tod nennen. Die göttliche Willkür zeige sich durch die plötzliche Ablenkung vom Trojanischen Pferd durch Sinons Rede und den Schlangenangriff auf Laokoon. Eine Schuld sei weder bei Aeneas noch bei den anderen Trojanern zu finden.[34] Eine ausführliche Interpretation zur Interpretation als Prodigium bietet Hermann Kleinknecht.[35] Kleinknecht zieht dabei unter anderem einen Vergleich zur Eroberung Vejis durch Marcus Furius Camillus im Jahre 396 v. Chr. und zum so genannten „Galliersturm“ wenige Jahre danach, der zur Eroberung Roms führte. Vergil lasse somit Aeneas als eine Art Geschichtsschreiber auftreten, der den Fall Trojas mit für die Geschichtsschreibung üblichen Prodigien erklärt. Für Steinmeyer ist dies aber kein ruhiges Prodigium, sondern die Szenerie durch Bewegung der Schlangen und die Gegenbewegung Laokoons geprägt.[36]
Der Altphilologe Severin Koster sieht in Vergils Laokoon eine von der Laokoon-Gruppe beeinflusste Anspielung auf Marcus Antonius (links) und versucht, die Szene zu entfernen. Rechts Antonius’ Rivale Octavian, der spätere Augustus; Aureus 41 v. Chr.
Severin Koster führt hingegen Bethes analytische Argumentation weiter. Die Ergänzungen gingen auf eine Beeinflussung durch die Laokoongruppe zurück: Diese soll Marcus Antonius und dessen Söhne darstellen, die von Octavian (später Augustus) getötet wurden. In der Augustus gewidmeten Aeneis habe Vergil dann die Bestrafung von Antonius in die Figur Laokoons übertragen. Sein Tod könne als Gründungsopfer Roms angesehen werden, da Aeneas daraufhin Troja verlässt und aufbricht, um Rom zu gründen. Ähnlich habe auch Augustus Rom neugegründet.[37] Jörg Rüpke bringt die erstmalige Erwähnung des Speerstoßes gegen das Trojanische Pferd mit dem alten römischen Kult des Oktoberpferdes in Verbindung. Schon im 3. Jh. v. Chr. hatte der antike Historiker Timaios von Tauromenion diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Er stützt seine Argumentation auf Informationen der Einwohner und trojanische Artefakte vor Ort. Dem widerspricht jedoch der Historiker Polybios (2. Jh. v. Chr.) in seinem Geschichtswerk heftig (Buch XII.4b–4c), da fast alle Nichtgriechen vor einem Krieg ein Pferd opferten und der Kult darauf zurückzuführen sei.[38] Ganz anders Ernst Bickel, der im Trojanischen Pferd den Meeres- und Pferdegott Poseidon selbst symbolisiert sah. Dieser habe aufgrund einer nicht bezahlten Rechnung Trojas Mauern als stampfendes Pferd niedergerissen. Indem Laokoon aber nun gegen das Pferd die Lanze gestoßen habe, habe er, der Poseidonpriester, direkt seinen Gott angegriffen und sei daraufhin durch die Schlangen, die aus dem Poseidon zugewiesenen Meer auf ihn gekommen waren, zusammen mit seinen Söhnen getötet worden. Dies entspricht laut Herbert Steinmeyer in der anderen Tradition Laokoons frevelhaftem Beischlaf im Tempel des Apollon als dessen Priester. Bei Vergil sei Laokoon schließlich gar kein Priester mehr, sondern eher ein Redner und Agitator im Interesse seiner Polis. Dabei verfehle er gegen den göttlichen Plan.[39] Die Klassische Archäologin Margot Schmidt setzt mit der Laokoongeschichte den Tod des Priamossohnes Troilos durch Achilleus in Verbindung, der ebenso wie Laokoons Tod eine nötige Vorbedingung für den Untergang Trojas sein solle.[40]
Laut dem Klassischen Archäologen Bernard Andreae kann Laokoon als Gründungsopfer für die künftige Stadt Rom angesehen werden, obwohl Aeneas erst viel später Troja verlassen hat. Die lange Kette an Hinweisen, die eben mit Laokoons Tod beginne, sei zu beachten. Carl Robert hatte sich hingegen dafür ausgesprochen, dass mit der Verlegung der Laokoonepisode von der Stadt an den Strand der Charakter der Warnung für Aeneas verloren gegangen war. Daraufhin habe Vergil das Motiv des Speerstoßes erfunden, um die Geschichte dennoch darstellen zu können. Ganz anders Steinmeyer und John Richard Thornhill Pollard, die die Verbindung von Laokoons Mythos als Zeichen für den Untergang Trojas ablehnen, da Vergil nirgends dies anspricht. Zwierlein sieht ausschließlich in der feindlichen Gesinnung der Götter den Trojanern gegenüber deren Untergang begründet.[41] Zudem sieht Andreae mehrere Anspielungen von Lykophrons Alexandra auf die Laokoongeschichte, die zugleich den Untergang Trojas bedeuten – so beispielsweise die Gleichsetzung der Schlangen mit den im Hinterhalt versteckten Griechen.[42]
Explizit gegen Laokoon als Opfer spricht sich der Klassische Philologe Gregor Maurach aus, der die Darstellung mit Laokoons Ignoranz gegenüber Apollons Verbot, zu heiraten und Kinder zu bekommen, verbindet. Daher werde auch nicht explizit gesagt, dass Laokoon sterbe, sondern nur, dass seine Priesterinsignien mit Gift besudelt würden, worauf schon Hans Theodor Plüss hingewiesen hatte. In eine ähnliche Richtung wie Maurach geht Stephen Tracy, der in Laokoon einen zweiten Paris sieht, der durch „sexuelles Fehlverhalten“ angesehen werden kann. Dieser „typisch vergilische menschliche Akt“ weise dann auf Trojas Zerstörung hin. Günter Engelhard behauptet darüber hinaus, dass Laokoons Frevel nicht, wie von den Trojaner interpretiert, im Speerstoß bestand, sondern als offizielle Version in Troja der Beischlaf mit seiner Frau Antiope verbreitet wurde. Zum gleichen Schluss wie Maurach kommt auch Gerald Petter: Nur die beiden Söhne werden getötet, nicht auch Laokoon selbst. Er sieht dabei in Vergils Schlangenbeschreibung keine Fabelwesen, sondern echte Tiere. Petters ausführliche Erklärungen für deren Verhalten stimmen allerdings in keinem Punkt mit dem in der Biologie nachgewiesenen Verhalten echter Giftschlangen überein.[43]
Petron
Vergils Text nimmt sich Titus Petronius in seinem Werk Satyrica (1. Jahrhundert n. Chr.) zum Vorbild: Der junge Reisende Encolpius trifft in der Pinakothek mit Werken der Maler Zeuxis von Herakleia, Protogenes und Apelles den Dichter Eumolpus, der ihm ein Bild über den Fall Trojas, das sie gemeinsam betrachten, mit einem improvisierten Gedicht näher bringen will: Nach dem Bau des Trojanischen Pferdes und dem Abzug der Griechen wähnt sich das Volk in Frieden. Der Neptunpriester Laokoon kommt brüllend heran und kratzt zunächst vergeblich mit einer Lanze am Pferd, was die Trojaner im Erringen des Friedens bestätigt. Erst als Laokoon mit einer Doppelaxt die Seite des Pferdes erschüttert und die Griechen darin mit gedämpfter Stimme sprechen, ahnten die Trojaner den Trug. Das Pferd gelangt in die Stadt, woraufhin von dem ausführlich beschriebenen Tenedos her zwei Meeresschlangen erscheinen. Diese umschlingen und fressen Laokoons in Opfertracht befindliche Zwillingssöhne, die einander in Bruderliebe noch helfen wollen. Laokoon versucht vergeblich, ihnen zu helfen, wird selbst angegriffen, auf den Boden zwischen Altäre geworfen und wie ein Opfertier getötet. Damit hätten die Trojaner als erstes ihre Götter verloren, so Eumolpus. Daran seien sie schließlich zugrunde gegangen. An dieser Stelle wird Eumolpus unterbrochen, da die Zuhörer ihn mit Steinen bewerfen. Er flüchtet sich mit Encolpius zum Strand, wo er seinem Schüler erklärt, dass ihm selbst so etwas schon häufiger widerfahren sei. Daraufhin wird er beinahe auch noch von Encolpius mit Steinen beworfen. (Titus Petronius, Satyricon, 89)
Forschung
Der römische Kaiser Nero soll während des Großen Brandes in Rom im Jahre 64 eine Geschichte über die Zerstörung Trojas gesungen haben. Marmorportrait des Kaisers in der Glyptothek in München.
Nach Erika Simon muss die Geschichte als Parodie oder Kritik an Autoren gemeint sein, die zu sehr die trojanische Sage mit Vergils Text interpretierten. Sie führt dabei explizit den Kaiser und Gönner Petrons, Nero, an, der laut Sueton: Nero 38 und Tacitus: Annales 15, 39 seine Geschichte von der Eroberung Trojas beim Großen Brand Roms im Jahre 64 vom Turm des Gaius Maecenas verkündet hat. Kenneth F. C. Rose folgert daraus, dass Petrons Text im Jahre 65 verfasst sein müsse. Stubbe und Sullivan bezweifeln aufgrund fehlender Überlieferung von Neros Werk, dass Petron diesem rivalisierend oder parodierend gegenübergestanden habe; auch einen Bezug zu Lucans Iliacon sei unwahrscheinlich. Für Edward James Barnes scheint es nicht notwendig, eine Kritik an Vergil oder gar eine Parodie auf Senecas Stil und Metrik anzunehmen, höchstens Ironie.[44] Ein Rückschluss auf ein echtes Bild, das Petron Pate gestanden haben könnte, wurde in der Forschung verschiedentlich diskutiert. Stubbe, Barnes und Simon sprechen sich für die Existenz aus, Peter Habermehl fehlt dafür unter anderem eine genauere Lokalisierung der Pinakothek.[45] Connors merkt an, dass Eumolpus keine Bildbeschreibung andeutet, sondern einfach eine Geschichte aus der ersten Person zu beschreiben scheint.[46]
In der Forschung wird das Gedicht fast ausschließlich als verfehlt interpretiert: Nach Erika Simon ist Eumolpus von den Hörern fast gesteinigt worden, da seine Dichtung von ihnen als misslungen angesehen wurde. John James Bodoh verweist auf verfehlte sprachliche Mittel wie unnötig-falsche und damit komische Alliterationen, metrische Ungenauigkeiten bei Petrons 65 Jamben langen Werk gegenüber Vergils wohl geschliffenen Hexameter-Versen und einen ärmeren Wortschatz. Petrons Darstellung könne somit eine Parodie oder subtile Kritik an Vergils Art sein. Im Gegensatz zu Vergil, so Stubbe, werde bei Petron aber weder Laokoons Tod mit dem Einzug des Pferdes noch mit Trojas Untergang direkt verknüpft. Auch passt sein Stil laut Stubbe und Sullivan eher zu den dramatischen Botenberichten wie in Lykophrons Alexandra und Senecas Phoenissen beziehungsweise zu dessen Werken Phaedra und Agamemnon. Ähnliches gilt für den übermäßigen Gebrauch von Stilfiguren, so Ciaffi und Salanitro. Dagegen sehen Roger Beck, Otto Schönberger, Gesine Manuwald und andere Petrons Text nicht als liederliche, sondern reizvolle Verfremdung an. Für Victoria Rimell haben Eumolpus’ Zuhörer ihn nur falsch verstanden, so wie die Trojaner die Warnungen missinterpretiert haben.[47]
Habermehl sieht in Petrons Laokoon nicht mehr die Autorität des Charakters in der Aeneis, sondern einen stummen, geschwächten Menschen, der in der Stadt durch die Willkür der Götter am Altar geopfert wird. Daher liege der Fokus dieser Variante der Geschichte auch eher auf der Tötung der Zwillingssöhne Laokoons, die füreinander kämpften, wie dies vor Vergil der Fall war. Laokoons Tod sei für die Schlangen nur dadurch motiviert, dass er seinen Söhnen zu Hilfe eilt; eine Schuld ist weder bei ihm noch bei seinen Söhnen zu finden. Habermehls Interpretation, dass die Trojaner in ihrer Verblendung das Trojanische Pferd in die Stadt gezogen hätten, widerspricht Zwierlein: Mit der Entweihung des Palladion hätten sich die Götter von den Trojanern abgewandt und zur Strafe zunächst ihren Priester Laokoon getötet. Damit werde Vergils Laokoon-Darstellung auf die eigentliche Ursache für die Willkür der Götter zurückgeführt. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Interpreten seit Lessing sehen Stubbe und Schönberger allerdings nicht Vergil als direkten Vorgänger, sondern ein mythographisches Handbuch. Barnes jedoch hat in einer bisher nicht rezipierten Monografie ausführlich Parallelen zu Vergil zusammengestellt, Rulsch hat dies auch für die anderen Laokoondarstellungen getan. Er unterscheidet verschiedene Kategorien: Neben Motiven, die Petron direkt von Vergil adaptiere, seien Stellen zu finden, in denen er dessen Bilder weiterführe. Zudem entwickle er eigene Motive und verwende auch Inhalte, die Vergil und andere Autoren vor ihm dargestellt hätten. Folge dieser Änderungen sei ein noch grausamerer und willkürlicherer Tod, als ihn Vergil beschreibe.[48]
Pseudo-Apollodor
In der Bibliotheke des Apollodor (1. Jahrhundert n. Chr.) wird in einer Epitome berichtet, dass das hölzerne Pferd zunächst in die Stadt gezogen wurde und erst danach Laokoon neben Kassandra wie bei Vergil vor dem mit bewaffneten Männern besetzen Pferd warnte. Ein Teil der Trojaner überlegte daraufhin, das Pferd zu verbrennen oder von einer Klippe zu stürzen; die Mehrheit aber entschied sich, es als Weihgeschenk in der Stadt aufzustellen – genau die drei gleichen Alternativen wie bei Arktinos, nur in anderer Reihenfolge. Dann begingen die Trojaner wie bei Arktinos ein Opfermahl. Daraufhin habe Apollon den Trojanern von einer nahen Insel über das Meer hinaus zwei Schlangen als göttliches Zeichen geschickt, die dann die Söhne Laokoons verschlangen. Über den Verbleib des Vaters ist nichts ausgesagt. Im Anschluss daran habe Sinon den Griechen ein Feuerzeichen zum Erobern der Stadt gegeben. (Bibliotheke des Apollodor, Epitome 5, 17f.)
Der Neufund dieses Stücks am Ende des 19. Jahrhunderts führte zu diversen Neuinterpretationen dieser und anderer Laokoondarstellungen in der Literatur. Für Engelmann/Höfer, Zintzen und Nesselrath könnte Pseudo-Apollodor sich hier auf Sophokles und nicht Vergils Darstellung beziehen – Paul Dräger lehnt dies ab. Aber auch Bezüge zu Arktinos’ Fassung sind vorhanden. Umstritten ist auch, ob das erwähnte göttliche Zeichen sich auf den hier nicht erwähnten Speerstoß oder eine andere Tat des Priesters bezieht (so Becker gegen Heinze). Ganz anders Stubbe und Gärtner, die das göttliche Zeichen darin sehen, dass Apollon sich zurückzieht und damit Troja den Griechen preisgibt, was er durch den Tod der Söhne Laokoons exemplifiziert. Für Foerster ist der Untergang der Söhne ein Hinweis auf den kommenden Untergang Trojas, als Quelle für die Darstellung sieht er Lesches’ Kleine Ilias an. Die Laokoon betreffenden Epitomen sind laut Clemens Zintzen möglicherweise von Johannes Tzetzes verfasst worden (siehe unten).[49] Laut dem Archäologen Karl Schefold mussten die Warnungen von Kassandra und Laokoon scheitern, weil sie sich nicht Apollon hingeben wollte und er sich gegen dessen Willen vermählt beziehungsweise in seinem Tempel mit seiner Frau geschlafen hatte.[50]
Hyginus Mythographus
Eher den Autoren vor Vergil folgend fasst Hyginus Mythographus (2. Jahrhundert n. Chr.) die Sage zusammen, ohne sie allerdings in den mythischen Kontext zu setzen: Laokoon hatte gegen den Willen Apollons geheiratet und Kinder bekommen. Als Laokoon zuteilwurde, Poseidon an der Küste ein Opfer darzubringen, sandte der Gott ihm zur Strafe zwei Schlangen aus Tenedos. Sie hatten die Absicht, seine Söhne zu töten; als Laokoon ihnen helfen will, bringen sie auch ihn durch Erwürgen um. Nur die Phryger (Trojaner) glaubten, dass dies wegen des Speerstoßes gegen das hölzerne Pferd geschehen sei. (Hyginus Mythographus, Fabulae, 135)[51]
Die Aussage über die Phyrger muss sich, so Jörg Rüpke, eindeutig auf Vergils Fassung der Geschichte beziehen, da Laokoon in früheren Darstellungen das Pferd nie angegriffen hatte. Carl Robert sieht in der Erwähnung Poseidons und des Speerstoßes noch weitere Beziehungen zu Vergil, die er einem späteren Interpolator zuschreibt und aus seiner Interpretation herauslöst. Eine Abhängigkeit von Sophokles sei aber nicht notwendig. Foerster und Schott argumentieren gegen Roberts Vorwurf der Interpolation und Moritz Schmidts Vorwurf der Unechtheit. Foerster arbeitet außerdem durch Ausscheidung der anderen Vorgänger Sophokles als einzig mögliche Quelle heraus.[52]
Quintus von Smyrna
Laut Quintus von Smyrna (3. bis 4. Jahrhundert n. Chr.) hatten die Trojaner Sinon am hölzernen Pferd gefunden, worauf sie ihn misshandelten, um herauszufinden, wozu es gedacht sei. Sinon selbst gab an, dass die Griechen ihn opfern wollten, er sich aber unter das Pferd habe retten können, das in Troja der Athene zu widmen sei. Die Trojaner berieten sich, was nun zu tun sei, und Laokoon sprach sich für dessen Verbrennen aus. Athene intervenierte aber, ließ die Erde unter Laokoons Füßen erbeben, ihn zunächst alles doppelt sehen und blendete ihn schließlich. Die Trojaner glaubten daraufhin, dass dies eine Bestrafung für seine Worte gegen Sinons vorangegangene Rede gewesen sei, und fürchteten sich vor einer eigenen Bestrafung. Sie zogen den Schluss, Sinons Worten zu folgen und das Pferd auf den von Epeius konstruierten Rollen in die Stadt zu ziehen; im Anschluss feierten sie ein Fest. Wiederum drängte Laokoon seine Landsleute, das Pferd zu verbrennen, um die Stadt zu retten, woraufhin Athene ein zweites Mal intervenierte und unter erneuten Erdstößen Zwillingsschlangen aus einer Höhle der Insel Kalydna entsandte. Als sich diese Ilios näherten, flohen aus Angst alle Trojaner, nur Laokoon und seinen Söhnen machten die nahende Todesgöttin Ker und ein weiterer Gott die Beine schwer. Die Schlangen vollendeten Athenes Plan, rissen Laokoons Söhne mit den Mäulern in die Höhe, wobei ihr Vater nur zusehen und nicht helfen konnte. Anschließend zogen sich die Schlangen unter die Erde bis zum Apollontempel in Troja zurück. Den Kindern wurde ein leeres Grabmal (Kenotaph) gewidmet, vor dem kurz Laokoon und dann ausgiebig seine Frau ihre Kinder und ihr eigenes Leid beweinten. Die Trojaner selbst reagierten auf diese zweite Bestrafung nicht. (Quintus von Smyrna, Posthomerica, 12, 389–417. 444–499)[53]
Forschung
Aufgrund der inhaltlichen Parallelen von Quintus’ 12. Buch zu Vergils Aeneis wird die Frage nach dessen Quellen besonders an dieser Stelle kontrovers diskutiert.[54] Ein Großteil der Interpreten sieht eine direkte Abhängigkeit von Vergil beziehungsweise Sophokles, andere Autoren argumentieren aufgrund von größeren Abweichungen dagegen.[55] Heinze führt diese auf eine lokale Tradition zurück, Bassett geht noch weiter und argumentiert dafür, dass Quintus Vergils Aeneis nicht gekannt haben kann und sich eher auf Pseudo-Apollodors Fassung sowie Bakchylides und Sophokles zurückführen lasse. Auch eine mögliche Beziehung zur Laokoon-Gruppe oder zu ähnlichen Darstellungen kann laut Alan W. James nicht endgültig geklärt werden.[56] Die erstmals bei Quintus erwähnte Blendung Laokoons führen Malcolm Campbell, Silvio Bär und andere auf eine Glaukomerkrankung zurück, die laut Basset Quintus entweder selbst als Patient oder Arzt erlebt haben muss. Für Alan W. James steht sie für die Blindheit der Trojaner gegenüber ihrer eigenen baldigen Vernichtung und findet eine Entsprechung in dem blinden Seher Teiresias.[57] Bassett sieht zudem die Laokoonszene im Kontext weiterer Stellen bei Quintus und im Vergleich zu Euripides’ Troerinnen als Anlass, um die Trauer von Laokoons Frau und damit das Mitleid für Laokoon zu vermehren.[58]
Kleinknecht versucht beide Positionen miteinander in Einklang zu bringen, spricht sich aber deutlich dafür aus, dass Quintus von Vergil abhängt. Er habe mehrere Motive Vergils mit einer vorvergilianisch-griechischen Vorlage kontaminiert, missinterpretiert und vereinfacht. Ähnlich Clemens Zintzen, der viele Motive, die Quintus von Vergil laut anderen Forschern kopiert haben soll, auch schon in früherer Literatur wie Euripides’ Die Troerinnen, Verse 511–567 erwähnt findet.[59] Einen ausführlichen Vergleich von Quintus’ mit anderen Darstellungen und besonders Vergils Text bietet Gärtner: Quintus habe durch mehrfache Bestrafung und die Verlagerung des Fokus vom Schlangenangriff zur Blendung seine Vorbilder übertreffen wollen und habe dazu beide Hauptstränge der Laokoonsage kontaminiert. Daraus ergebe sich, dass die zweite Strafe bei Quintus, der Schlangenangriff nach der Blendung, keine direkten Folgen habe.[60]
Anthologia Latina
Wohl aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. stammt ein Epigramm der Anthologia Latina, einer Sammlung meist kleiner lateinischer Gedichte aus antiker Zeit – hier gefunden auf dem Codex Salmasianus –, das berichtet, Laokoon sei zusammen mit seinen beiden Söhnen von zwei Zwillingsschlangen angegriffen worden. Das Epigramm gibt an, dass der Mensch Laokoon dafür mit Vergiftung bestraft wurde, weil er sich an einem hölzernen Pferd vergangen habe. Schlimmer wäre nur eine direkte Verletzung eines Gottes gewesen. Laut Roswitha Simons ist das Epigramm klar von Vergil abhängig.[61]
Excidium Troiae
Das anonyme Prosawerk Excidium Troiae (4.–6. Jahrhundert n. Chr.) zitiert bei seiner gerafften Version des Trojanischen Krieges des Öfteren Vergilverse und kommentiert sie. Hier wird Sinon von den Griechen vor deren Bau des Pferdes ausgesetzt. Die Trojaner finden diesen, woraufhin er ihnen vorlügt, dass die Griechen ihn bald Apollon opfern wollen und planten, ein Pferd als Geschenk für Minerva zu bauen, das die Trojaner vor ihrem Neptuntempel in der Stadt aufstellen sollten. Dieses steht am nächsten Tag auch am Strand nahe dem Tempel der Minerva, woraufhin die Trojaner, um sich mit Apollon und Minerva gutzustellen, sowohl Sinon als auch das Pferd in die Stadt befördern wollen. Der Neptunpriester Laokoon warnt in Vergilzitaten vor dem Pferde und stößt es mit einer Lanze. Diese Stelle wird vom Verfasser so kommentiert, dass Laokoon die Griechen beinahe im Pferd enttarnt hätte, wenn der Verstand der Trojaner nicht durch die Götter und das Schicksal getrübt gewesen wäre. Sie forderten nämlich Laokoon auf, Neptun zur Bestätigung zu opfern. Während des Opfers wird Laokoon mit seinen Söhnen von zwei Meeresschlangen, die von Tenedos kamen, angegriffen. Zunächst beißen sie seine Söhne, bevor sie den zu Hilfe eilenden Laokoon zusammen mit seinen Söhnen beißen oder verschlingen. Dies wird von den Trojanern konsequenterweise als Strafe für dessen Taten gegen das Trojanische Pferd gedeutet. Hier zeige sich die Perfidität der Götter, so Roswitha Simons.[62]
Rezeption
Zeichnung der Fragmente wohl eines mittel-apulischen Kraters des Nationalmuseums in Ruvo di Puglia von Michele Jatta, angefertigt zwischen 380–370 v. Chr. Laokoon selbst befindet sich vermutlich rechts neben dem Rand.
Antike Kunst
In der Antike wurde die Laokoonepisode nur selten künstlerisch umgesetzt.[63] Die ersten Abbildungen von Laokoon befinden sich auf einem früh-lukanischen Glockenkrater (430/425 v. Chr.) des so genannten Pisticci-Malers und auf mehreren um 380–370 v. Chr. datierten Fragmenten wohl eines mittel-apulischen Kraters des Nationalmuseums in Ruvo di Puglia.[64] Auf dem zuerst bekannten Fragment aus Ruvo sind Apollon und Artemis, ein Apollonstandbild, das von Schlangen umwunden ist, eine herbeieilende Frau und Überreste eines teilweise gefressenen und zerstückelten Kindes zu sehen. Vor dem Fund des intakten Kraters war unklar, ob die dargestellte Szene sich auf den Laokoonmythos zurückführen lässt und somit eine hinter der Frau (dann Antiope) noch zu erkennende Figur als Laokoon gedeutet werden müsste.
Der Glockenkrater zeigt eine ähnliche Szenerie: Auf der linken Seite ist eine von Schlangen umwundene Apollonstatue zu erkennen, vor der sich Überreste eines Jungen befinden. Auf die Statue stürmt eine Frau mit Axt ein, hinter der sich ein bärtiger Mann befindet. Der Statue gegenüber befindet sich Apollon – Artemis ist hier nicht abgebildet. Konrad Schauenburg und spätere Interpreten deuten die weibliche Figur als Laokoons Frau Antiope und den bärtigen Mann dann als Laokoon; Postriot sieht in der Frau hingegen Kassandra; Erika Simon widerspricht jedoch dieser Deutung. Gemäß Foerster und Adolf Furtwängler darf eine so zentrale Figur wie Laokoon nicht hinter einer Frau stehen, sondern hätte dann schon durch die Schlangen getötet sein müssen. Da auch die Söhne getötet sind, lässt sich laut Furtwängler somit die bei Euphorion und Vergil erst spät belegte Fassung, in der alle drei Personen tot sind, auf den Vasen früh belegen. Margot Schmidt hingegen glaubt nicht, dass Laokoon auf dem Krater aus Ruvo angegriffen, sondern überleben wird. Weil sich die Schlangen schon auf das Kultbild zurückgezogen haben, ist dann auch der Bezug zu Arktinos’ Fassung der Geschichte nicht zwingend. Da sowohl die Statue als auch die Haltung der Frau identisch zu der Abbildung auf dem Fragment des mittel-apulischen Kraters sind, wurde von Schauenburg und Schmidt auch für diese Scherbe ein Bezug zum Laokoonmythos postuliert. Laut Furtwängler ist damit ein Bezug zur Variante des Mythos gegeben, in dem Laokoon mit seiner Frau verbotenerweise Kinder zeugt. Schmidt, Steinmeyer und Herwig Maehler führen die Motive noch genauer auf Sophokles’ Tragödie zurück, bei dem aber laut dem antiken Autor Dionysios von Halikarnassos beide Söhne sterben und nicht nur (wie bei Arktinos) einer. Furtwängler denkt eher an eine nachsophokleische Tragödie als Vorbild.[65] Umstritten ist in der Forschung, ob die Darstellung eines bärtigen Mannes auf einem attischen Kantharos, der auf einem Altar von Schlangen angegriffen wird, mit Laokoon in Verbindung gebracht werden kann. Außerdem ist dort ein Mann mit Zepter und Steinschleuder zu sehen, der ebenfalls als Laokoon interpretiert wurde. Schmidt sieht in allen Geschichten Apollon und Aeneas als verknüpfende Elemente; sie vermutet, dass der Laokoonmythos gerade wegen des römischen Aeneas in Unteritalien so oft auf Vasen dargestellt wurde.[66]
Eine ähnliche Situation stellen zwei römische Wandmalereien dar, die im Haus des Menanders und in der Casa di Laocoonte in Pompeji (beides Mitte 1. Jahrhundert n. Chr.; dritter beziehungsweise vespasianischer vierter Stil) um 1875 gefunden wurden:
Das zum Teil zerstörte räumliche Bild in der Casa di Laocoonte zeigt den mit einem Chiton bekleideten, bekränzten Laokoon. Er sucht auf den Stufen eines Altars Schutz vor einer Schlange, die ihn angreift. Auch einer seiner Söhne wird von einer Schlange angegriffen, der zweite liegt getötet auf dem Boden – ob wie bei Arktinos allerdings nur ein Sohn getötet wird, ist laut dem Klassischen Archäologen Georg Lippold umstritten. Im Hintergrund werden ein Stier und vier Zuschauer dargestellt. Aufgrund des schlechter gemalten zweiten Sohnes sowie der vier Zuschauer vermutet Gerhart Rodenwaldt, dass diese eine spätere Erfindung des Malers seien und die anderen Figuren einer Vorlage folgen. Foerster führt die Darstellung auf Laokoons Frevel im Apollontempel zurück, da auf dem Bild ein Temenos gezeigt wird. Das Wandbild befindet sich heute im Archäologischen Nationalmuseum Neapel (Inventarnummer 111210). Ein Bezug zu Vergils Laokoondarstellung im zweiten Buch der Aeneis wurde in der Forschung zunächst abgelehnt, Rudolf Ehwald sah eher in Euphorions Werk eine Vorlage und den Altar als Teil eines Tempels – vermutlich des Apollon Tymbraios – an. Für Foerster, Simon und andere scheint auch eine Abhängigkeit von der Laokoon-Gruppe wahrscheinlich, laut Rodenwaldt wäre dies einzigartig in der pompejanischen Wandmalerei und daher unwahrscheinlich. Er vermutet als Vorlage ein unbekanntes Tafelbild, das dann auch Vorbild für die Gruppe sein kann. Neuerdings geht die Forschung von einem Bezug zu Vergil aus, da auch bei diesem – vermutlich zum ersten Mal – alle drei Personen sterben; zudem wird vermutet, dass das Werk nur eine Kopie ist. Gegenstück zum Laokoon im benachbarten Triclinium ist ein Wandbild von Polyphem und Aeneas mit seinen Gefährten (heute Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, Inventarnummer 111211), zu denen möglicherweise auch Odysseus gehört.
Das Pendant zum Laokoonbildnis im Haus des Menanders zeigt hingegen Kassandra. Auf dem besser erhaltenen Wandbild werden Laokoon und sein Sohn von jeweils einer Schlange angegriffen, der zweite Sohn ist schon gestorben. Anstelle eines Altares ist ein Tisch abgebildet, dafür beobachten auch auf diesem Bild mehrere Zuschauer die Szenerie und ein Stier entflieht dem Unheil. Georg Lippold diskutiert mehrere antike Kunstwerke als mögliche Vorbilder für die Darstellung und sieht schließlich den Maler Zeuxis von Herakleia als Ideengeber an. Für den Klassischen Archäologen Arnold von Salis kommt allerdings ebenso wenig wie Vergils Text oder die Laokoon-Gruppe eine griechische sondern eher eine römische Vorlage dafür in Frage.[67]
Der einflussreichste Fund einer Darstellung Laokoons war der einer 2,42 m hohen Marmorgruppe am 13./14. Januar 1506 in der Nähe der Kirche San Pietro in Vincoli durch Felice de Fredis: der Laokoon-Gruppe. Als Papst Julius II. den Architekten Giuliano da Sangallo das Werk begutachten ließ, verknüpfte dieser es sofort mit der Beschreibung Plinius des Älteren (Naturalis historia 36, 37) über eine in Titus’ aufgestellten Statue: Diese sei vor allen Bildnissen und Bildhauererzeugnissen/Bronzegüssen vorzuziehen und (wie) aus einem einzigen Stein durch die besten Künstler auf Beschluss eines kaiserlichen Rates von drei rhodischen Künstlern – Hagesandros, Polydoros und Athenodoros – geschaffen.[68] Sie stellt Laokoon zentral auf einem Altar stehend dar, zu seinen Seiten seine beiden Söhne – die Dreiergruppe wird von Schlangen angegriffen, und laut Simon gegen Robert hat der ältere Sohn die Möglichkeit, sich zu befreien.[69] Damit ist die Darstellung nicht zwingend von Vergils Fassung abhängig, da dort beide Söhne getötet werden, und laut Erika Simon eher Arktinos’ Fassung zuzuschreiben, in der nur Vater und ein Sohn starben.[70] Weil aber eine Beziehung zu Vergils Werk nicht unmöglich ist und sich damit der terminus post quem (Zeitpunkt, nachdem das Werk konzipiert wurde) in spätere Zeit verschöbe, ist sich die Forschung auch über die Datierung der Laokoon-Gruppe uneinig. Die Mehrzahl plädiert somit für die neronisch-flavische Zeit (1. Jahrhundert n. Chr.), einzelne Autoren aber auch für eine frühkaiserzeitliche Marmorkopie (1. Jahrhundert v. Chr.) einer hellenistischen Bronzeskulptur (2. Jahrhundert v. Chr.), die laut Bernard Andreae durch Phyromachos und den vielleicht von ihm geschaffenen Pergamonaltar sowie andere Kunstwerke beeinflusst sein kann.[71] Die Laokoon-Gruppe wurde erst nach dem Fund oft kopiert; für die Antike ist dies nicht belegt. Ausgangspunkt für viele Diskussionen bezüglich dieser Marmorgruppe war Gotthold Ephraim Lessings Werk „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“ aus dem Jahre 1766. Zu erneuten kontroversen Diskussionen kam es nach dem Auffinden eines einstmals verschollenen Armes durch den Archäologen und Kunsthändler Ludwig Pollak 1905; erst 1960 fügte ihn Filippo Magi an das Original an.
Mehrere spätantike Kontorniat-Medaillons (356–394 n. Chr.), die wohl als Neujahrsgeschenke gedacht waren, zeigen auf der einen Seite einen römischen Kaiser des frühen Prinzipats (in der Reihenfolge der Prägung: Vespasian und Nero) und auf der anderen Seite eine laut Simons Vergils Aeneis nahe Darstellung des Übergriffs der Schlangen auf Laokoon und dessen Söhne. Richard Foerster, der Numismatiker Andreas Alföldi und der Historiker Leopold Ettlinger hingegen sehen eine Abhängigkeit der Kontorniaten von der Laokoon-Gruppe – für Alföldi ist die Ausführung dabei „kläglich schlecht“. Foerster unterscheidet zwei verschiedene Typen, die unterschiedlich stark von der Laokoon-Gruppe abhängen, und zwei beziehungsweise vier attackierende Schlangen, Laokoon und dessen beide Söhne darstellen. Alföldi hingegen sieht drei von der Laokoon-Gruppe abhängige, aber schlecht gearbeitete Varianten. Für Ettlinger scheinen die Kontorniaten eine Art Kunstpropagandamittel zu sein, das auf den Niedergang des römischen Reiches hinweist.[72] Eine spät-etruskischen Gemme vermutlich aus dem 4. oder 3. Jahrhundert v. Chr. zeigt einen Mann mit zwei Kindern, die von drei Schlangen umschlungen und nicht gebissen sind und flüchten. Lange war sich die Forschung uneinig, ob sie echt ist, Laokoon und dessen Söhne darstellt und damit Vorbild für die Laokoon-Gruppe sein könnte. So sprach sich der Klassische Archäologe Adolf Furtwängler dafür aus, dass die seiner Meinung unzweifelhaft echte, wenn auch wenig kunstvolle Gemme die im 4. Jahrhundert v. Chr. sich langsam etablierende Gründungssage Roms darstellt. Sie zeige „ohne Zweifel“ Laokoon und seine Söhne, habe aber keine griechischen Vorbilder und stehe auch sonst nicht in Beziehung zur Laokoon-Gruppe, was Bernard Andreae später vorschlug. Die Gemme kann laut Furtwängler in Verbindung mit Euphorions Laokoondarstellung stehen, da erstmals bei diesem wie eben auch auf der Gemme Laokoon und seine Söhne von den Schlagen angegriffen werden. Die Archäologin Gemma Sena Chiesa sprach sich 2007 gegen die These aus, die Gemme sei in der Antike hergestellt worden.[73]
Eine Textillustration zur Aeneis aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. zeigt zwei verschiedene Szenen des Werkes als Ergänzung zum Vergilmanuskript in der Vatikanischen Bibliothek – in beiden Fällen wird Laokoon namentlich erwähnt: Auf der linken Seite der Miniatur opfert der Priester den Stier am Altar, rechts werden er und seine Söhne von Schlangen umfasst, woraufhin Laokoon die Arme in die Luft reißt und aufschreit – sie befinden sich dabei zwischen einem Neptun- und vermutlich einem Athenetempel. Da der Schlangenangriff nicht genau Vergils Darstellung wiedergibt, könnte die Illustration gemäß der Ansicht von Erika Simon und Leopold Ettlinger trotz einiger Unterschiede durch die Laokoon-Gruppe beeinflusst sein. Die Handschrift mit der Illustration wurde jahrhundertelang in einer Bibliothek von der Öffentlichkeit abgetrennt aufbewahrt.[74]
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Teil 2
Kunst des Mittelalters und der Neuzeit
Dass in der Kunst des Mittelalters kaum Darstellungen der Laokoonsage zu finden sind, hat seinen Grund in der geringen Kenntnis der antiken literarischen Texte und im Verschwinden der künstlerischen Darstellung dieses Mythos. Erst im 14. Jahrhundert treten erneut derartige Darstellungen auf. Eine der ersten zeigt neben dem Vergiltext im Codex Riccardianus, der heute in der Bibliothek des Palazzo Medici Riccardi zu finden ist, Laokoon und seine Söhne, die die Trojaner vor dem Pferd warnen. Gemalt wurde die Illustration von Apollonio di Giovanni vor 1465. Die textliche Passage auf dem Codex füllt Vergils Lücke mit einer Aufforderung des Volkes, Neptun zu opfern, damit der Laokoons Worte bestätigte und das Volk ihm damit glauben kann. Die künstlerische Gestaltung von mittelalterlichen Vergilhandschriften setzen im 15. Jahrhundert wahrscheinlich Jacobi de Fabriano sowie Benozzo Gozzoli fort.
Aus der Renaissance sind unter anderem Holzschnitte mit Laokoondarstellungen aus der ersten Vergilausgabe in Deutschland, dem so genannten Straßburger Vergil des Jahres 1502, überliefert. Verantwortung trugen für diese Ausgabe Hans Grüninger und Sebastian Brant; Thomas Murner übernahm die Holzschnitte in seine Vergilausgabe. Vor der Entdeckung der Laokoon-Gruppe im Jahr 1506, die die meisten nachfolgenden Laokoondarstellungen beeinflusste, ist noch eine Handzeichnung von Filippino Lippi zu einem geplanten Fresko erhalten. Diese Zeichnung steht vermutlich ebenso wie die künstlerischen Textbeigaben zuvor in Vergils Tradition oder laut Georg Lippold in der Tradition der pompejanischen Wandbilder und hängt nicht von anderen, verlorenen Bildquellen ab. Da auch Laokoons Frau und eine Tempelarchitektur dargestellt werden, führt Richard Foerster die Darstellung auch auf die von Servius paraphrasierte Fassung von Euphorion oder Hygin zurück. Für den Klassischen Archäologen Arnold von Salis steht trotz klarer Unabhängigkeit von der Laokoon-Gruppe Lippis Zeichnung noch eher in der antiken Tradition als die Abbildungen in den Vergilhandschriften. Vorbild sei ein altes römisches Wandgemälde, das mit denen in Pompeji verwandt sein könnte und auch die Laokoondarstellung in der Vergilhandschrift in der Vatikanischen Bibliothek beeinflusst haben könnte.[75] Von der Laokoon-Gruppe unabhängige spätere Werke befassen sich vorwiegend mit dem von Vergil erwähnten Opfer für Poseidon und dem Speerstoß ins Pferd oder präsentieren die Toten unabhängig von der Darstellung der Gruppe. So schuf zwar Hans Brosamer 1538 noch einen der Gruppe ähnlichen Kupferstich, Nicolò dell’Abbate aber vor 1552 zwölf unabhängige Fresken und Giovanni Battista Fontana Ende des 16. Jahrhunderts einen Kupferstich der Opferszene. Auch Giulio Romano verfertigte vor 1538 einige Fresken, laut Foerster allerdings auf Grundlage der kurz zuvor entdeckten Darstellung bei Hygin beziehungsweise nach Pietsch in Nachahmung Vergils. Marco Dente verarbeitet 1510 in einem Kupferstich neben der Laokoon-Gruppe möglicherweise eines der pompejanischen Wandbilder; zudem ist auf der Basis des Altars, auf dem Laokoon steht, das zweite Buch von Vergils Aeneis erwähnt.[76]
El Greco, Laokoon, 1604/1608–1614, Öl auf Leinwand, 142 × 193 cm, National Gallery of Art, Washington
Besonders einflussreich war das Werk von El Greco (1604–1614), der Elemente der Laokoon-Gruppe mit den literarischen Zeugnissen des Mythos verknüpft. Beeinflusst wurde er auch durch Tizians nur in einem Stich von Boldrini erhaltene Parodie der Laokoon-Gruppe, in der der Priester und seine Söhne als Affen dargestellt werden. Laut Arnold von Salis hat Tizian dem Ärger über den Laokoonrummel seiner Zeit Luft machen wollen. Auf El Grecos Bild deutet Erwin Walter Palm zwei weitere, zuvor als Apollon und Artemis interpretierte Figuren des Bildes als Adam und Eva. Mathias Mayer sieht in der christlichen Ikonographie vor allem bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts eine allgemeine Verbindung von Laokoon mit der Adamsgestalt (und dem zweiten Adam – Jesus Christus) und interpretiert beide Geschichten unter anderem aufgrund ihrer beider durch Schlangen verursachten Tode als Sündenfälle. Mayer und Palm führen diese Verbindung von Laokoon mit der Adamgestalt auf die von Hygin und Euphorion bei Servius berichtete Geschichte des Heiratsverbotes zurück. Ganz anders deutet Ewald Maria Vetter die dargestellte Zweiergruppe: Die einen Apfel in der Hand haltende Figur sei nicht Adam, sondern Paris, der den Zankapfel der Eris hält; Palms Eva sei dann Helena. Außerdem sei El Grecos Bild nicht auf die Laokoon-Gruppe, sondern auf einen ähnlichen Kupferstich von Jean de Gourmont aus dem 16. Jahrhundert zurückzuführen, der wie El Grecos Bild besonders auf Trojas Untergang anzuspielen scheine.[77] Es sind auch nach der Renaissance nur wenige von der Laokoon-Gruppe unabhängige Kunstwerke bekannt: Die Bronzegruppe von Adriaen de Vries (1626) und eine Zeichnung von Carl Bach (1796) zeigen zudem nur in der Komposition von der gängigen Darstellung verschiedene Motive.[78] Aubrey Beardsley erstellte 1886 neun Comic- und 19 Sketchzeichnungen zum zweiten Buch der Aeneis, darunter jeweils auch zwei zu Laokoon.[79]
Literarische Rezeption
Der spätantike Autor Blossius Aemilius Dracontius (Ende 5. Jahrhundert n. Chr.) gestaltet in seinem Kurzepos De raptu Helenae seine Figur Helenus nach Laokoons Vorbild. Auch Helenus ist trojanischer Priester und warnt unter strukturellen Parallelen seine Landsleute vor dem Untergang der Stadt. Apollon straft hier die Troer, weil Laomedon nicht seine Schulden bei Apollon bezahlt hatte, wie dies auch im Laokoonmythos bei Nikander angesprochen wurde (siehe oben). Er beschimpft dazu in einer Prophezeiung Kassandra und das Laokoonpendant Helenus. Sonst wird Laokoon bis zum Mittelalter nur als Beispiel für die griechische Deklination im Lateinischen bei mehreren spätantiken Grammatikern, bei Gregor von Tours in dessen Libri Miraculorum und in einem weiteren Epigramm der Anthologia Latina namentlich erwähnt. Simons sieht für die Nichterwähnung Laokoons trotz der beispielhaften Grausamkeit der Götter, die sie an ihm ausüben, vor allem Gründe in der Beeinflussung der Trojageschichten durch die Werke von Dares Phrygius und Dictys Cretensis. Diese sparten göttliche Geschehnisse größtenteils aus und taten dies ebenso mit der Laokoonsage. Zudem, so Simons weiter, war die Überlieferung der Laokoonsage so vielfältig, dass die Autoren vor allem Probleme hatten, mit welchen Gott, dem Laokoon geweiht oder den er verärgert hatte, sie sich nun kritisch befassen sollten. Neptun war aufgrund seines weniger bedeutenden Wirkungsbereiches zudem wenig interessant für die christliche Kritik an heidnischen Göttern. Als dritten Grund gibt Simons an, dass Laokoons Tod als Symbol für den Fall Trojas durch Priamos’ Ende und Laokoons Warnungen durch Helenus’ (und Kassandras) abgelöst wurden; zudem sei die Geschichte für einen antiken Mythos zu untypisch, schwierig und sperrig. Vermutlich aus diesen Gründen ist die Rezeption der Laokoonsage im Mittelalter in der Forschung nicht umfangreich bearbeitet. Nur selten wird auf einige wenige Werke verwiesen, die sich dann vorwiegend an Vergils Darstellung des Mythos orientierten, darunter im 12./13. Jahrhundert sehr kurz die Trójumanna Saga Kapitel 34, in der Laokoon auch nicht namentlich erwähnt wird. Giovanni Boccaccio hatte in seinem „Trecento“ den Laokoon als 55. Sohn von Priamus ins IV. Buch seiner Genealogia deorum gentilium (1350–1367) aufgenommen.[80]
Im byzantinischen Mittelalter des 12. Jahrhunderts beschäftigte sich der Gelehrte Johannes Tzetzes mit dem Laokoonmythos, erwähnt in seinem griechischsprachigen Epos Posthomerica Laokoon aber nur sehr kurz: Dort stößt dieser als einziger mit einem Speer in das hölzerne Pferd. Ein Sohn starb dann unter Schlangenbissen.[81] In seinem Scholion (Schulkommentar) zu Lykophrons Drama Alexandra (2. Jahrhundert v. Chr.) deutet er die „Inseln des kinderverschlingenden Porkes“ als die Kalydnainseln. Von diesen waren die Schlangen Porkes und Chariboia gekommen und hätten nach einer antiken Lesart die beiden Söhne Laokoons am Altar des Apollon Thymbraios, nach einer anderen Überlieferung nur einen Sohn ohne Erwähnung des Altares getötet.[82] Nach Engelmann/Höfer ist der Angriff geschehen, weil nicht Laokoon selbst, sondern der eine Sohn das Pferd angegriffen hatte, was er mit einem Scholion zu Ovids nur fragmentarisch erhaltenen Ibis zu belegen versucht: Dieses schreibt, dass von Laokoon oder T(h)eron die Tat ausgeführt wurde. Engelmann/Höfer vermuten in „T(h)eron“ eine alternative Schreibung zu Servius’ „Ethron“. Robert sieht in dem Tod nur der Söhne Laokoons und nicht auch dessen Tod selbst einen Verweis auf Dionysios’ Anmerkung zur Sophoklestragödie. Foerster schließlich bezweifelt, dass „kinderverschlingend“ sich zwingend auf die Laokoongeschichte beziehen muss. Auch scheint das Lykophronscholion sich eher auf Bakchylides als auf Sophokles zu beziehen. Zudem ist laut Foerster das Scholion zu Lykophron der erste echte Beleg, dass nur die Söhne bestraft würden. Bei Quintus, der sich dann auf Lykophron bezogen haben könnte, wurde auch Laokoon geblendet und bei Vergil laut Maurach mindestens als Priester entehrt, wenn nicht nach anderen Interpreten sogar getötet.[83]
Im westlichen Mittelalter hingegen geriet die Laokoongeschichte fast vollständig in Vergessenheit, da auch bildliche Zeugnisse wie die Laokoon-Gruppe verschwunden waren. Ein Gedicht von Jacopo Sadoleto, das direkt nach Auffinden der Gruppe im Jahre 1506 entstanden ist, beschreibt dieses Kunstwerk mit dem Vokabular, das Vergil für seine Darstellung des Mythos verwendete. Es wurde umgehend vom Lateinexperten dieser Zeit, seinem Freund Pietro Bembo, in höchsten Tönen gelobt und beeinflusste nachfolgende Laokoondichtungen stark.[84] In der Neuzeit verfassten die Autoren James Thomson („The Laocoön“, 1735 f.), Johann Gottfried Herder („Laokoon’s Haupte“, circa 1770–1772), Paolo Costa („Il Laocoonte“, 1825), Domenico Milelli („Laocoonte“, 1899), Erik Lindegren („Gipsavgjutning“, 1954), Donald Hall („Laocoön“, vor 1957), Ștefan Augustin Doinaș („Seminția lui Laocoon“, 1967) und Gunnar Ekelöf („Laocoön“, 1967) zum Teil von der Laokoon-Gruppe unabhängige Gedichte. Auch im Theater wurde der Laokoonmythos rezipiert – Georg Christian Braun veröffentlichte 1824 die Quintus von Smyrnas Laokoondarstellung nahe Tragödie. Ernst Proschek („Laocoön“, 1919) und Eduard Maydolf („Laokoon. Einaktiges Trauerspiel“, 1925) verfassten im 20. Jahrhundert Dramen zum Stoff der Laokoonsage.[85] Die sonstige von der Laokoon-Gruppe abhängige Literatur wird in deren Artikel behandelt, die sonstige Sekundärliteratur zu den einzelnen Laokoon-Darstellungen in den jeweiligen Abschnitten dieses Artikels.
Musik
Plakat zur Premiere von Hector Berlioz’ Opernlibretto Les Troyens aus dem Jahre 1864, in der Laokoons Schicksal musikalisch gestaltet wird.
In der Musik wurde das Laokoonmotiv nicht oft verarbeitet, eine Ursache dafür könnte das in der Laokoon-Geschichte fehlende, sonst aber in der Oper übliche Happy End sein, so der Klassische Philologe Klaus-Dietrich Koch. Eine Opera seria namens „Laconte/Laocoonte“ wurde von Pietro Alessandro Guglielmi nach dem Libretto von Giuseppe Pagliuca am 30. Mai 1787 in Neapel uraufgeführt.
Der französische Komponist Hector Berlioz veröffentlichte 1863 im Théâtre Lyrique (Paris) Teile des 1856 bis 1860 verfassten Opernlibrettos Les Troyens, das sich vor allem mit dem zweiten und vierten Buch der Aeneis beschäftigt. Laokoon tritt zwar nicht selbst auf, Aeneas berichtet aber – nachdem er so wie Laokoon in der Aeneis von der Burg herabgeeilt kam – von dessen Speerstoß gegen das Trojanische Pferd und seinem Tod durch die Schlangen. Das Opfer an Neptun und den Tod der Söhne spart er hingegen aus. Als Grund für das Auslassen einer eigenständigen Laokoonszene gibt der Musikwissenschaftler Klaus Heinrich Kohrs unter anderem dessen frühen Tod in der Aeneis an. Laut Koch spart Berlioz damit eine schon früh verschwindende Person ein. Auch kann die Szene auf der Bühne kaum angemessen dargestellt werden. Eine sinnvolle Möglichkeit, dennoch dieses symbolhafte Unglück von Laokoon anzusprechen, ist laut Koch und Kohrs ein Botenbericht, wie ihn Aeneas in Les Troyens bei seinem ersten Auftritt im Stück gibt. Seine alles überschauende Erzählerrolle in Vergils Aeneis muss er dafür allerdings aufgeben. Die musikalische Qualität des Stückes beschreibt Koch wie folgt: „14 z. T. ungewöhnlich lange Textzeilen in knapp einer Minute musikalisch hervorgebracht; die Stimmführung, in abwechselnd ganz kleinen und sehr großen Intervallen die Tenorstimmskala völlig ausschöpfend; charakterisierende, manchmal illustrative Orchestrierung; harmonische Vorgänge, die nicht leicht nachzuvollziehen sind: ein Stück, das gewiß ohne Vorbild und schwer zu klassifizieren ist.“ (Koch (1990) S. 138). An Laokoons Stelle als Warner der Trojaner tritt die in Vergils Aeneis nur kurz auftretende Kassandra, die zugleich ein Gegenstück zu Dido bildet. Die musikalische Darstellung dieser Szene beurteilt Koch so: „Man kann diese von fis-Moll aus kraß modulierende, rhythmisch stark gegliederte, zerrissen wirkende Gesangslinie völlig konträr werten: Zweifellos symbolisiert das Bizarre der Melodik und Harmonik treffend den tiefen Schock, den die Personen erlitten haben, und diese Musik wirkt auf uns »moderner« als alles Gleichzeitige (außer Wagners Tristan); andererseits kann man aber auch den Eindruck gewinnen, die Tonfolgen seien verwinkelt, willkürlich und gleichsam unlogisch – eine inspirationsferne Art Reißbrettmelodik und -harmonik.“ (Koch (1990) S. 140). Da man aber auch Kassandra nicht glaubt, interpretieren die zunächst erschrockenen Trojaner Laokoons Tod als Mahnung, das Trojanische Pferd in die Stadt zu ziehen. Sie beklagen dabei Laokoon als schreckliches Opfer des Gotteszornes. Er sei damit, so Andrée Thill, für Berlioz eine „heilige Figur“.[86]
Quelle - Literatur & einzelnachweise
Dass in der Kunst des Mittelalters kaum Darstellungen der Laokoonsage zu finden sind, hat seinen Grund in der geringen Kenntnis der antiken literarischen Texte und im Verschwinden der künstlerischen Darstellung dieses Mythos. Erst im 14. Jahrhundert treten erneut derartige Darstellungen auf. Eine der ersten zeigt neben dem Vergiltext im Codex Riccardianus, der heute in der Bibliothek des Palazzo Medici Riccardi zu finden ist, Laokoon und seine Söhne, die die Trojaner vor dem Pferd warnen. Gemalt wurde die Illustration von Apollonio di Giovanni vor 1465. Die textliche Passage auf dem Codex füllt Vergils Lücke mit einer Aufforderung des Volkes, Neptun zu opfern, damit der Laokoons Worte bestätigte und das Volk ihm damit glauben kann. Die künstlerische Gestaltung von mittelalterlichen Vergilhandschriften setzen im 15. Jahrhundert wahrscheinlich Jacobi de Fabriano sowie Benozzo Gozzoli fort.
Aus der Renaissance sind unter anderem Holzschnitte mit Laokoondarstellungen aus der ersten Vergilausgabe in Deutschland, dem so genannten Straßburger Vergil des Jahres 1502, überliefert. Verantwortung trugen für diese Ausgabe Hans Grüninger und Sebastian Brant; Thomas Murner übernahm die Holzschnitte in seine Vergilausgabe. Vor der Entdeckung der Laokoon-Gruppe im Jahr 1506, die die meisten nachfolgenden Laokoondarstellungen beeinflusste, ist noch eine Handzeichnung von Filippino Lippi zu einem geplanten Fresko erhalten. Diese Zeichnung steht vermutlich ebenso wie die künstlerischen Textbeigaben zuvor in Vergils Tradition oder laut Georg Lippold in der Tradition der pompejanischen Wandbilder und hängt nicht von anderen, verlorenen Bildquellen ab. Da auch Laokoons Frau und eine Tempelarchitektur dargestellt werden, führt Richard Foerster die Darstellung auch auf die von Servius paraphrasierte Fassung von Euphorion oder Hygin zurück. Für den Klassischen Archäologen Arnold von Salis steht trotz klarer Unabhängigkeit von der Laokoon-Gruppe Lippis Zeichnung noch eher in der antiken Tradition als die Abbildungen in den Vergilhandschriften. Vorbild sei ein altes römisches Wandgemälde, das mit denen in Pompeji verwandt sein könnte und auch die Laokoondarstellung in der Vergilhandschrift in der Vatikanischen Bibliothek beeinflusst haben könnte.[75] Von der Laokoon-Gruppe unabhängige spätere Werke befassen sich vorwiegend mit dem von Vergil erwähnten Opfer für Poseidon und dem Speerstoß ins Pferd oder präsentieren die Toten unabhängig von der Darstellung der Gruppe. So schuf zwar Hans Brosamer 1538 noch einen der Gruppe ähnlichen Kupferstich, Nicolò dell’Abbate aber vor 1552 zwölf unabhängige Fresken und Giovanni Battista Fontana Ende des 16. Jahrhunderts einen Kupferstich der Opferszene. Auch Giulio Romano verfertigte vor 1538 einige Fresken, laut Foerster allerdings auf Grundlage der kurz zuvor entdeckten Darstellung bei Hygin beziehungsweise nach Pietsch in Nachahmung Vergils. Marco Dente verarbeitet 1510 in einem Kupferstich neben der Laokoon-Gruppe möglicherweise eines der pompejanischen Wandbilder; zudem ist auf der Basis des Altars, auf dem Laokoon steht, das zweite Buch von Vergils Aeneis erwähnt.[76]
El Greco, Laokoon, 1604/1608–1614, Öl auf Leinwand, 142 × 193 cm, National Gallery of Art, Washington
Besonders einflussreich war das Werk von El Greco (1604–1614), der Elemente der Laokoon-Gruppe mit den literarischen Zeugnissen des Mythos verknüpft. Beeinflusst wurde er auch durch Tizians nur in einem Stich von Boldrini erhaltene Parodie der Laokoon-Gruppe, in der der Priester und seine Söhne als Affen dargestellt werden. Laut Arnold von Salis hat Tizian dem Ärger über den Laokoonrummel seiner Zeit Luft machen wollen. Auf El Grecos Bild deutet Erwin Walter Palm zwei weitere, zuvor als Apollon und Artemis interpretierte Figuren des Bildes als Adam und Eva. Mathias Mayer sieht in der christlichen Ikonographie vor allem bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts eine allgemeine Verbindung von Laokoon mit der Adamsgestalt (und dem zweiten Adam – Jesus Christus) und interpretiert beide Geschichten unter anderem aufgrund ihrer beider durch Schlangen verursachten Tode als Sündenfälle. Mayer und Palm führen diese Verbindung von Laokoon mit der Adamgestalt auf die von Hygin und Euphorion bei Servius berichtete Geschichte des Heiratsverbotes zurück. Ganz anders deutet Ewald Maria Vetter die dargestellte Zweiergruppe: Die einen Apfel in der Hand haltende Figur sei nicht Adam, sondern Paris, der den Zankapfel der Eris hält; Palms Eva sei dann Helena. Außerdem sei El Grecos Bild nicht auf die Laokoon-Gruppe, sondern auf einen ähnlichen Kupferstich von Jean de Gourmont aus dem 16. Jahrhundert zurückzuführen, der wie El Grecos Bild besonders auf Trojas Untergang anzuspielen scheine.[77] Es sind auch nach der Renaissance nur wenige von der Laokoon-Gruppe unabhängige Kunstwerke bekannt: Die Bronzegruppe von Adriaen de Vries (1626) und eine Zeichnung von Carl Bach (1796) zeigen zudem nur in der Komposition von der gängigen Darstellung verschiedene Motive.[78] Aubrey Beardsley erstellte 1886 neun Comic- und 19 Sketchzeichnungen zum zweiten Buch der Aeneis, darunter jeweils auch zwei zu Laokoon.[79]
Literarische Rezeption
Der spätantike Autor Blossius Aemilius Dracontius (Ende 5. Jahrhundert n. Chr.) gestaltet in seinem Kurzepos De raptu Helenae seine Figur Helenus nach Laokoons Vorbild. Auch Helenus ist trojanischer Priester und warnt unter strukturellen Parallelen seine Landsleute vor dem Untergang der Stadt. Apollon straft hier die Troer, weil Laomedon nicht seine Schulden bei Apollon bezahlt hatte, wie dies auch im Laokoonmythos bei Nikander angesprochen wurde (siehe oben). Er beschimpft dazu in einer Prophezeiung Kassandra und das Laokoonpendant Helenus. Sonst wird Laokoon bis zum Mittelalter nur als Beispiel für die griechische Deklination im Lateinischen bei mehreren spätantiken Grammatikern, bei Gregor von Tours in dessen Libri Miraculorum und in einem weiteren Epigramm der Anthologia Latina namentlich erwähnt. Simons sieht für die Nichterwähnung Laokoons trotz der beispielhaften Grausamkeit der Götter, die sie an ihm ausüben, vor allem Gründe in der Beeinflussung der Trojageschichten durch die Werke von Dares Phrygius und Dictys Cretensis. Diese sparten göttliche Geschehnisse größtenteils aus und taten dies ebenso mit der Laokoonsage. Zudem, so Simons weiter, war die Überlieferung der Laokoonsage so vielfältig, dass die Autoren vor allem Probleme hatten, mit welchen Gott, dem Laokoon geweiht oder den er verärgert hatte, sie sich nun kritisch befassen sollten. Neptun war aufgrund seines weniger bedeutenden Wirkungsbereiches zudem wenig interessant für die christliche Kritik an heidnischen Göttern. Als dritten Grund gibt Simons an, dass Laokoons Tod als Symbol für den Fall Trojas durch Priamos’ Ende und Laokoons Warnungen durch Helenus’ (und Kassandras) abgelöst wurden; zudem sei die Geschichte für einen antiken Mythos zu untypisch, schwierig und sperrig. Vermutlich aus diesen Gründen ist die Rezeption der Laokoonsage im Mittelalter in der Forschung nicht umfangreich bearbeitet. Nur selten wird auf einige wenige Werke verwiesen, die sich dann vorwiegend an Vergils Darstellung des Mythos orientierten, darunter im 12./13. Jahrhundert sehr kurz die Trójumanna Saga Kapitel 34, in der Laokoon auch nicht namentlich erwähnt wird. Giovanni Boccaccio hatte in seinem „Trecento“ den Laokoon als 55. Sohn von Priamus ins IV. Buch seiner Genealogia deorum gentilium (1350–1367) aufgenommen.[80]
Im byzantinischen Mittelalter des 12. Jahrhunderts beschäftigte sich der Gelehrte Johannes Tzetzes mit dem Laokoonmythos, erwähnt in seinem griechischsprachigen Epos Posthomerica Laokoon aber nur sehr kurz: Dort stößt dieser als einziger mit einem Speer in das hölzerne Pferd. Ein Sohn starb dann unter Schlangenbissen.[81] In seinem Scholion (Schulkommentar) zu Lykophrons Drama Alexandra (2. Jahrhundert v. Chr.) deutet er die „Inseln des kinderverschlingenden Porkes“ als die Kalydnainseln. Von diesen waren die Schlangen Porkes und Chariboia gekommen und hätten nach einer antiken Lesart die beiden Söhne Laokoons am Altar des Apollon Thymbraios, nach einer anderen Überlieferung nur einen Sohn ohne Erwähnung des Altares getötet.[82] Nach Engelmann/Höfer ist der Angriff geschehen, weil nicht Laokoon selbst, sondern der eine Sohn das Pferd angegriffen hatte, was er mit einem Scholion zu Ovids nur fragmentarisch erhaltenen Ibis zu belegen versucht: Dieses schreibt, dass von Laokoon oder T(h)eron die Tat ausgeführt wurde. Engelmann/Höfer vermuten in „T(h)eron“ eine alternative Schreibung zu Servius’ „Ethron“. Robert sieht in dem Tod nur der Söhne Laokoons und nicht auch dessen Tod selbst einen Verweis auf Dionysios’ Anmerkung zur Sophoklestragödie. Foerster schließlich bezweifelt, dass „kinderverschlingend“ sich zwingend auf die Laokoongeschichte beziehen muss. Auch scheint das Lykophronscholion sich eher auf Bakchylides als auf Sophokles zu beziehen. Zudem ist laut Foerster das Scholion zu Lykophron der erste echte Beleg, dass nur die Söhne bestraft würden. Bei Quintus, der sich dann auf Lykophron bezogen haben könnte, wurde auch Laokoon geblendet und bei Vergil laut Maurach mindestens als Priester entehrt, wenn nicht nach anderen Interpreten sogar getötet.[83]
Im westlichen Mittelalter hingegen geriet die Laokoongeschichte fast vollständig in Vergessenheit, da auch bildliche Zeugnisse wie die Laokoon-Gruppe verschwunden waren. Ein Gedicht von Jacopo Sadoleto, das direkt nach Auffinden der Gruppe im Jahre 1506 entstanden ist, beschreibt dieses Kunstwerk mit dem Vokabular, das Vergil für seine Darstellung des Mythos verwendete. Es wurde umgehend vom Lateinexperten dieser Zeit, seinem Freund Pietro Bembo, in höchsten Tönen gelobt und beeinflusste nachfolgende Laokoondichtungen stark.[84] In der Neuzeit verfassten die Autoren James Thomson („The Laocoön“, 1735 f.), Johann Gottfried Herder („Laokoon’s Haupte“, circa 1770–1772), Paolo Costa („Il Laocoonte“, 1825), Domenico Milelli („Laocoonte“, 1899), Erik Lindegren („Gipsavgjutning“, 1954), Donald Hall („Laocoön“, vor 1957), Ștefan Augustin Doinaș („Seminția lui Laocoon“, 1967) und Gunnar Ekelöf („Laocoön“, 1967) zum Teil von der Laokoon-Gruppe unabhängige Gedichte. Auch im Theater wurde der Laokoonmythos rezipiert – Georg Christian Braun veröffentlichte 1824 die Quintus von Smyrnas Laokoondarstellung nahe Tragödie. Ernst Proschek („Laocoön“, 1919) und Eduard Maydolf („Laokoon. Einaktiges Trauerspiel“, 1925) verfassten im 20. Jahrhundert Dramen zum Stoff der Laokoonsage.[85] Die sonstige von der Laokoon-Gruppe abhängige Literatur wird in deren Artikel behandelt, die sonstige Sekundärliteratur zu den einzelnen Laokoon-Darstellungen in den jeweiligen Abschnitten dieses Artikels.
Musik
Plakat zur Premiere von Hector Berlioz’ Opernlibretto Les Troyens aus dem Jahre 1864, in der Laokoons Schicksal musikalisch gestaltet wird.
In der Musik wurde das Laokoonmotiv nicht oft verarbeitet, eine Ursache dafür könnte das in der Laokoon-Geschichte fehlende, sonst aber in der Oper übliche Happy End sein, so der Klassische Philologe Klaus-Dietrich Koch. Eine Opera seria namens „Laconte/Laocoonte“ wurde von Pietro Alessandro Guglielmi nach dem Libretto von Giuseppe Pagliuca am 30. Mai 1787 in Neapel uraufgeführt.
Der französische Komponist Hector Berlioz veröffentlichte 1863 im Théâtre Lyrique (Paris) Teile des 1856 bis 1860 verfassten Opernlibrettos Les Troyens, das sich vor allem mit dem zweiten und vierten Buch der Aeneis beschäftigt. Laokoon tritt zwar nicht selbst auf, Aeneas berichtet aber – nachdem er so wie Laokoon in der Aeneis von der Burg herabgeeilt kam – von dessen Speerstoß gegen das Trojanische Pferd und seinem Tod durch die Schlangen. Das Opfer an Neptun und den Tod der Söhne spart er hingegen aus. Als Grund für das Auslassen einer eigenständigen Laokoonszene gibt der Musikwissenschaftler Klaus Heinrich Kohrs unter anderem dessen frühen Tod in der Aeneis an. Laut Koch spart Berlioz damit eine schon früh verschwindende Person ein. Auch kann die Szene auf der Bühne kaum angemessen dargestellt werden. Eine sinnvolle Möglichkeit, dennoch dieses symbolhafte Unglück von Laokoon anzusprechen, ist laut Koch und Kohrs ein Botenbericht, wie ihn Aeneas in Les Troyens bei seinem ersten Auftritt im Stück gibt. Seine alles überschauende Erzählerrolle in Vergils Aeneis muss er dafür allerdings aufgeben. Die musikalische Qualität des Stückes beschreibt Koch wie folgt: „14 z. T. ungewöhnlich lange Textzeilen in knapp einer Minute musikalisch hervorgebracht; die Stimmführung, in abwechselnd ganz kleinen und sehr großen Intervallen die Tenorstimmskala völlig ausschöpfend; charakterisierende, manchmal illustrative Orchestrierung; harmonische Vorgänge, die nicht leicht nachzuvollziehen sind: ein Stück, das gewiß ohne Vorbild und schwer zu klassifizieren ist.“ (Koch (1990) S. 138). An Laokoons Stelle als Warner der Trojaner tritt die in Vergils Aeneis nur kurz auftretende Kassandra, die zugleich ein Gegenstück zu Dido bildet. Die musikalische Darstellung dieser Szene beurteilt Koch so: „Man kann diese von fis-Moll aus kraß modulierende, rhythmisch stark gegliederte, zerrissen wirkende Gesangslinie völlig konträr werten: Zweifellos symbolisiert das Bizarre der Melodik und Harmonik treffend den tiefen Schock, den die Personen erlitten haben, und diese Musik wirkt auf uns »moderner« als alles Gleichzeitige (außer Wagners Tristan); andererseits kann man aber auch den Eindruck gewinnen, die Tonfolgen seien verwinkelt, willkürlich und gleichsam unlogisch – eine inspirationsferne Art Reißbrettmelodik und -harmonik.“ (Koch (1990) S. 140). Da man aber auch Kassandra nicht glaubt, interpretieren die zunächst erschrockenen Trojaner Laokoons Tod als Mahnung, das Trojanische Pferd in die Stadt zu ziehen. Sie beklagen dabei Laokoon als schreckliches Opfer des Gotteszornes. Er sei damit, so Andrée Thill, für Berlioz eine „heilige Figur“.[86]
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