Der Homo steinheimensis
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Der Homo steinheimensis
Homo steinheimensis („Urmensch von Steinheim“) ist die Bezeichnung für einen fossilen Schädel, der am 24. Juli 1933 in Steinheim an der Murr in der Mitte einer 15 Meter hohen Kieswand der Sigristschen Kiesgrube von Karl Sigrist beim Kiesabbau gefunden wurde.[1] Der Schädel gehörte vermutlich einer circa 25 Jahre alten Frau, die, nach Auswertung des Schädelfundes, vor 250.000 bis 300.000 Jahren[2] möglicherweise erschlagen wurde.
Originalschädel des Homo steinheimensis
Gedenkstein am Fundort
Gedenksäule in der Nähe des Fundortes
Taxonomische Einordnung
Der „Urmensch von Steinheim“ ist ein Einzelfund. Die Bezeichnung Homo steinheimensis ist als bloßer Verweis auf den Fundort des Fossils zu verstehen, kennzeichnet jedoch keine Art, ist also kein Taxon. Der Schädel zeigt sowohl Merkmale des Homo heidelbergensis als auch des Neandertalers. Er wird daher von den meisten Paläoanthropologen zu Homo heidelbergensis gestellt und ist vermutlich eine Übergangsform von Homo heidelbergensis zum Neandertaler,[3] [4] wofür gelegentlich auch die Bezeichnung „Prä-Neandertaler“ benutzt wird. Für diese taxonomische Einordnung spricht unter anderem, dass das Innenohr des Fossils ein Merkmal aufweist, das Neandertaler und Homo sapiens besonders trennscharf unterscheidet: Die Lage der Bogengänge des Innenohrs im Felsenbein der Schädelbasis gleicht der Lage beim Neandertaler, während die Bogengänge des älteren Homo erectus denen des Homo sapiens näher stehen.[5]
Bis in die späten 1980er-Jahre wurde das Fossil gelegentlich auch als Homo sapiens steinheimensis bezeichnet, da man seinerzeit auch den als Homo sapiens neanderthalensis bezeichneten Neandertaler als Unterart neben den modernen Menschen (Homo sapiens sapiens) stellte. Heute hingegen gehen die Paläoanthropologen davon aus, dass Neandertaler und Mensch sich unabhängig voneinander aus einem gemeinsamen Vorfahren (meist wird dieser als Homo erectus bezeichnet) entwickelten und daher als zwei eigenständige Arten anzusehen sind: Homo neanderthalensis und Homo sapiens.
Der Originalfund liegt heute im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart in einem Stahlschrank.
Der Fund
Bereits vor diesem Fund wurden in der Kiesgrube viele archäologische Objekte, wie beispielsweise Knochen von Elefanten, Riesenhirschen, Nashörnern und Wildpferden, aus dem Pleistozän gefunden und von wissenschaftlicher Seite ausgewertet. Daher waren die Mitarbeiter im Steinbruch bereits sensibilisiert auf mögliche Knochenfunde eines Vertreters der Gattung Homo. Als nun in der Abraumwand ein knochenheller Fleck von Sigrist gesichtet wurde, schickte man gleich nach einem Paläontologen vom Stuttgarter Naturalienkabinett (heute: Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart). Fritz Berckhemer reiste noch am gleichen Tag an und begutachtete den noch in der Wand verborgenen Fund. Am nächsten Tag begann dieser, zusammen mit dem Präparator Max Böck, die vorsichtige Freilegung. Gleich war klar, auf Grund der Form und Maße des Schädels, dass es sich nicht um einen Affen handelte, wie zunächst vermutet wurde, sondern um den Jahrhundertfund eines menschlichen Schädels aus dem Pleistozän. Der Schädel wurde grob gesäubert, gehärtet und eingegipst und so wohlbehalten in die Württembergische Naturaliensammlung, dem heutigen Staatlichen Museum für Naturkunde gebracht.
Die Auswertung des Fundes
Aus dem relativ dünnwandigen und insgesamt grazil wirkenden Schädel, der ein Hirnvolumen von circa 1.100 cm³ aufweist, kann auf das Geschlecht einer Frau geschlossen werden. Die Abnutzung und Durchbruch des Gebisses lassen auf ein Lebensalter von etwa 25 Jahren schließen. Die große Verletzung auf der linken Stirnseite lässt vermuten, dass die Frau mit einer stumpfen Waffe getötet wurde. Der Kopf wurde anschließend vom Rumpf getrennt und das Hinterhauptloch stark erweitert, dies kann nur den Zweck gehabt haben, an das Hirn der Frau zu gelangen, vermutlich, um es in einer Kulthandlung zu verspeisen (vgl. Kannibalismus in der Vor- und Frühgeschichte). Eine Untersuchung mit mikroskopischen Methoden kommt hingegen zu dem Schluss, dass es sich nicht um menschliche Einwirkungen handele.[6][7]
Todesursache
Die genaue Todesursache ist unklar und zwei Möglichkeiten werden angenommen:
Die erste Interpretation 1933 der Schädelfraktur ließ auf einen gewaltsamen Tod schließen
Durch eine wissenschaftliche Untersuchung im Jahr 2003 wurde festgestellt, dass die Frau an einem Meningeom, einer Form von Hirntumor, litt. Seine Größe lässt ihn aber als Todesursache eher ausscheiden.
Neue Ergebnisse, der älteste Nachweis eines Hirntumors
Aus Untersuchungen von 2003 der Eberhard Karls Universität Tübingen, namentlich durch Alfred Czarnetzki, Carsten M. Pusch und Erwin Schwaderer, geht hervor, dass die Besitzerin des Schädels an einem Meningeom, einem Tumor der Spinnengewebshaut (Arachnoidea), litt.
Der langsamwachsende Tumor hatte die Größe von 51 mm x 43 mm x 25 mm und ein Volumen von 29 ml. Er verursachte möglicherweise Kopfschmerzen. Neurologische Ausfallerscheinungen wie hemi- oder paraparetische (als Mantelkantensyndrom) Lähmungen sind denkbar. Aufgrund des allgemein verdrängenden und langsamen Wachstums von Meningeomen ist es auch möglich, dass die Frau gar keine neurologischen Ausfälle hatte. Ob der Tumor bei dieser Größe und dem kleineren Schädelvolumen des Steinheim-Menschen letztlich auch als Todesursache gelten muss, ist nicht klar rekonstruierbar.
Da Meningeome sehr selten sind (altersabhängig zwei bis neun Erkrankungen auf 100.000 heutige Menschen), ist diese Entdeckung an einem fossilen Schädel bei einer kleinen Population (10.000 werden angenommen) eine Besonderheit[8]. Es handelt sich um den frühesten Nachweis eines Meningeoms und auch um den ersten Nachweis bei Vertretern der stammesgeschichtlich älteren Arten der Gattung Homo.[9]
Leben und Umwelt
Bei den Funden in Steinheim wurden keine weiteren Artefakte der Menschen gefunden, keine weiteren Knochen und auch keine Werkzeuge wie z. B. Steinwerkzeuge, Knochengeräte oder Ähnliches. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass auch die Frau aus Steinheim solche Werkzeuge herstellen und damit arbeiten konnte. Beleg dafür ist z. B. ein Fund etwa gleichen Alters von Swanscombe, dem „swanscombe man“, bei dem man einige Faustkeile aus der Kultur der Acheuléen gefunden hat.
Siehe auch
Ehringsdorfer Urmensch
Liste homininer Fossilien
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Originalschädel des Homo steinheimensis
Gedenkstein am Fundort
Gedenksäule in der Nähe des Fundortes
Taxonomische Einordnung
Der „Urmensch von Steinheim“ ist ein Einzelfund. Die Bezeichnung Homo steinheimensis ist als bloßer Verweis auf den Fundort des Fossils zu verstehen, kennzeichnet jedoch keine Art, ist also kein Taxon. Der Schädel zeigt sowohl Merkmale des Homo heidelbergensis als auch des Neandertalers. Er wird daher von den meisten Paläoanthropologen zu Homo heidelbergensis gestellt und ist vermutlich eine Übergangsform von Homo heidelbergensis zum Neandertaler,[3] [4] wofür gelegentlich auch die Bezeichnung „Prä-Neandertaler“ benutzt wird. Für diese taxonomische Einordnung spricht unter anderem, dass das Innenohr des Fossils ein Merkmal aufweist, das Neandertaler und Homo sapiens besonders trennscharf unterscheidet: Die Lage der Bogengänge des Innenohrs im Felsenbein der Schädelbasis gleicht der Lage beim Neandertaler, während die Bogengänge des älteren Homo erectus denen des Homo sapiens näher stehen.[5]
Bis in die späten 1980er-Jahre wurde das Fossil gelegentlich auch als Homo sapiens steinheimensis bezeichnet, da man seinerzeit auch den als Homo sapiens neanderthalensis bezeichneten Neandertaler als Unterart neben den modernen Menschen (Homo sapiens sapiens) stellte. Heute hingegen gehen die Paläoanthropologen davon aus, dass Neandertaler und Mensch sich unabhängig voneinander aus einem gemeinsamen Vorfahren (meist wird dieser als Homo erectus bezeichnet) entwickelten und daher als zwei eigenständige Arten anzusehen sind: Homo neanderthalensis und Homo sapiens.
Der Originalfund liegt heute im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart in einem Stahlschrank.
Der Fund
Bereits vor diesem Fund wurden in der Kiesgrube viele archäologische Objekte, wie beispielsweise Knochen von Elefanten, Riesenhirschen, Nashörnern und Wildpferden, aus dem Pleistozän gefunden und von wissenschaftlicher Seite ausgewertet. Daher waren die Mitarbeiter im Steinbruch bereits sensibilisiert auf mögliche Knochenfunde eines Vertreters der Gattung Homo. Als nun in der Abraumwand ein knochenheller Fleck von Sigrist gesichtet wurde, schickte man gleich nach einem Paläontologen vom Stuttgarter Naturalienkabinett (heute: Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart). Fritz Berckhemer reiste noch am gleichen Tag an und begutachtete den noch in der Wand verborgenen Fund. Am nächsten Tag begann dieser, zusammen mit dem Präparator Max Böck, die vorsichtige Freilegung. Gleich war klar, auf Grund der Form und Maße des Schädels, dass es sich nicht um einen Affen handelte, wie zunächst vermutet wurde, sondern um den Jahrhundertfund eines menschlichen Schädels aus dem Pleistozän. Der Schädel wurde grob gesäubert, gehärtet und eingegipst und so wohlbehalten in die Württembergische Naturaliensammlung, dem heutigen Staatlichen Museum für Naturkunde gebracht.
Die Auswertung des Fundes
Aus dem relativ dünnwandigen und insgesamt grazil wirkenden Schädel, der ein Hirnvolumen von circa 1.100 cm³ aufweist, kann auf das Geschlecht einer Frau geschlossen werden. Die Abnutzung und Durchbruch des Gebisses lassen auf ein Lebensalter von etwa 25 Jahren schließen. Die große Verletzung auf der linken Stirnseite lässt vermuten, dass die Frau mit einer stumpfen Waffe getötet wurde. Der Kopf wurde anschließend vom Rumpf getrennt und das Hinterhauptloch stark erweitert, dies kann nur den Zweck gehabt haben, an das Hirn der Frau zu gelangen, vermutlich, um es in einer Kulthandlung zu verspeisen (vgl. Kannibalismus in der Vor- und Frühgeschichte). Eine Untersuchung mit mikroskopischen Methoden kommt hingegen zu dem Schluss, dass es sich nicht um menschliche Einwirkungen handele.[6][7]
Todesursache
Die genaue Todesursache ist unklar und zwei Möglichkeiten werden angenommen:
Die erste Interpretation 1933 der Schädelfraktur ließ auf einen gewaltsamen Tod schließen
Durch eine wissenschaftliche Untersuchung im Jahr 2003 wurde festgestellt, dass die Frau an einem Meningeom, einer Form von Hirntumor, litt. Seine Größe lässt ihn aber als Todesursache eher ausscheiden.
Neue Ergebnisse, der älteste Nachweis eines Hirntumors
Aus Untersuchungen von 2003 der Eberhard Karls Universität Tübingen, namentlich durch Alfred Czarnetzki, Carsten M. Pusch und Erwin Schwaderer, geht hervor, dass die Besitzerin des Schädels an einem Meningeom, einem Tumor der Spinnengewebshaut (Arachnoidea), litt.
Der langsamwachsende Tumor hatte die Größe von 51 mm x 43 mm x 25 mm und ein Volumen von 29 ml. Er verursachte möglicherweise Kopfschmerzen. Neurologische Ausfallerscheinungen wie hemi- oder paraparetische (als Mantelkantensyndrom) Lähmungen sind denkbar. Aufgrund des allgemein verdrängenden und langsamen Wachstums von Meningeomen ist es auch möglich, dass die Frau gar keine neurologischen Ausfälle hatte. Ob der Tumor bei dieser Größe und dem kleineren Schädelvolumen des Steinheim-Menschen letztlich auch als Todesursache gelten muss, ist nicht klar rekonstruierbar.
Da Meningeome sehr selten sind (altersabhängig zwei bis neun Erkrankungen auf 100.000 heutige Menschen), ist diese Entdeckung an einem fossilen Schädel bei einer kleinen Population (10.000 werden angenommen) eine Besonderheit[8]. Es handelt sich um den frühesten Nachweis eines Meningeoms und auch um den ersten Nachweis bei Vertretern der stammesgeschichtlich älteren Arten der Gattung Homo.[9]
Leben und Umwelt
Bei den Funden in Steinheim wurden keine weiteren Artefakte der Menschen gefunden, keine weiteren Knochen und auch keine Werkzeuge wie z. B. Steinwerkzeuge, Knochengeräte oder Ähnliches. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass auch die Frau aus Steinheim solche Werkzeuge herstellen und damit arbeiten konnte. Beleg dafür ist z. B. ein Fund etwa gleichen Alters von Swanscombe, dem „swanscombe man“, bei dem man einige Faustkeile aus der Kultur der Acheuléen gefunden hat.
Siehe auch
Ehringsdorfer Urmensch
Liste homininer Fossilien
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