Die 95 Thesen
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Die 95 Thesen
Nun der Bildungsbürger und gute Christ des 21.Jahrhundert glaubt es kaum,95 Thesen und heute kommen die Christen des 21.Jahrhunderts nicht mal mit den 10 Geboten klar, geschweige davon das sie das geschriebene verstehen oder lesen können.
Nun wie auch immer,dazu findet sich folgendes:
Martin Luthers 95 Thesen – im lateinischen Original Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum, in frühen deutschen Drucken Propositiones wider das Ablas –, in denen er gegen Missbräuche beim Ablass und besonders gegen den geschäftsmäßigen Handel mit Ablassbriefen auftrat, wurden am 31. Oktober 1517 als Beifügung an einen Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, erstmals in Umlauf gebracht. Da eine Stellungnahme Albrechts von Brandenburg ausblieb, gab Luther die Thesen an einige Bekannte weiter, die sie kurze Zeit später ohne sein Wissen veröffentlichten und damit zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion im gesamten Reich machten.
Thesentür an der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg
Darstellung des Thesenanschlags in der Speyrer Gedächtniskirche
Die 95 Thesen
Ausschnitt aus den 95 Thesen
Zusammenfassung
Das Dokument folgt dem Stil von Disputationsthesen, wie sie zu dieser Zeit bei akademischen Promotionen üblich waren, und ist in Latein verfasst. Ausgehend vom Jesuswort „Tut Buße“ (Mt 4,17 LUT) wendet sich Luther zunächst gegen die kirchlich geschürte Angst vor dem Fegefeuer. Ab der These Nr. 21 bildet der Ablasshandel den Schwerpunkt seiner Ausführungen. Er bezeichnet den Ablass als „gutes Geschäft“ (Nr. 67), spricht ihm aber jegliche Wirkungskraft ab, „auch die geringste läßliche Sünde wegzunehmen“ (Nr. 76). In Nr. 81 werden „spitzfindige Fragen der Laien“ angekündigt, die sich als rhetorische Fragen erweisen, beispielsweise Nr. 86: „Warum baut der Papst, der heute reicher ist als der reichste Crassus, nicht wenigstens die eine Kirche St. Peter lieber von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?“ Den Abschluss bildet ein Aufruf an die Christen, „daß sie ihrem Haupt Christus durch Strafen, Tod und Hölle nachzufolgen trachten und daß die lieber darauf trauen, durch viele Trübsale ins Himmelreich einzugehen, als sich in falscher geistlicher Sicherheit zu beruhigen“.
Einleitung zu den 95 Thesen am Portal der Schlosskirche zu Wittenberg
Inhalt der Thesen im Einzelnen
1: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ u.s.w. (Matth. 4,17), hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.[1]
2: Dieses Wort kann nicht von der Buße als Sakrament – d. h. von der Beichte und Genugtuung –, die durch das priesterliche Amt verwaltet wird, verstanden werden.[1]
3: Es bezieht sich nicht nur auf eine innere Buße, ja eine solche wäre gar keine, wenn sie nicht nach außen mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches bewirkte.[1]
4: Die Strafe für Sünden bleibt bis zum Eingang ins Himmelreich.
5–6: Der Papst kann nur Strafen erlassen, die er selbst auferlegt hat.
7: Gott erlässt Strafen nur denjenigen, die sich dem Papst (Gottes Stellvertreter auf der Erde) unterwerfen.
8–9: Die kirchlichen Bestimmungen über die Buße und das Erlassen von Strafen gelten nur für die Lebenden, nicht für Verstorbene.
10–13: Eine Strafe darf nicht für die Zeit nach dem Tod ausgesprochen werden.
14: Je geringer der Glaube an Gott ist, umso größer ist die Angst vor dem Tod.
15–16: Diese Angst alleine kennzeichnet das Fegefeuer als Reinigungsort vor Himmel und Hölle.
17–19: Es ist gesichert, dass Verstorbene im Fegefeuer ihr Verhältnis zu Gott nicht mehr ändern können.
20–24: Die Ablassprediger irren, wenn sie sagen: „Jede Strafe wird erlassen.“
25: Die gleiche Macht, die der Papst bezüglich des Fegefeuers im Allgemeinen hat, besitzt jeder Bischof und jeder Seelsorger in seinem Arbeitsbereich.
26–29: Der Papst erreicht die Vergebung im Fegefeuer durch Fürbitte, aber die Ablassprediger irren, wenn sie Vergebung gegen Geld versprechen. So steigen die Einnahmen der Kirche, aber die Fürbitte ist allein von Gottes Willen abhängig.
30–32: Niemand kann Vergebung mit Sicherheit erreichen.
33–34: Der Ablass des Papstes ist keine Gabe Gottes, bei der Menschen mit Gott versöhnt werden, sondern nur eine Vergebung der von der Kirche auferlegten Strafen.
35–40: Niemand kann Vergebung ohne Reue erhalten; aber wer wirklich bereut, hat Anspruch auf völlige Vergebung – auch ohne bezahlten Ablassbrief.
41–44: Das Kaufen der Ablassbriefe hat nichts mit Nächstenliebe zu tun, auch befreit es nur teilweise von der Strafe. Wichtiger sind gute Werke der Nächstenliebe wie Unterstützung für Arme oder Hilfsbedürftige.
45–49: Wer einem Bedürftigen nicht hilft, aber stattdessen Ablass kauft, handelt sich den Zorn Gottes ein.
50–51: Wenn der Papst die Erpressungsmethoden der Ablassprediger kennen würde, würde er davon nicht den Petersdom in Rom bauen lassen.
52–55: Aufgrund eines Ablassbriefes ist kein Heil zu erwarten. Es ist falsch, wenn in einer Predigt länger über Ablass gesprochen wird als über Gottes Wort.
56–62: Der Schatz der Kirche, aus dem der Papst den Ablass austeilt, besteht nicht aus weltlichen Gütern, sondern aufgrund des Evangeliums. Aber die Vergebung der Sünden durch Jesus Christus ist der wahre Schatz der Kirche.
63–68: Der Ablass ist das Netz, mit dem man jetzt den Reichtum von Besitzenden fängt.
69–74: Die Bischöfe und Pfarrer sollen die Ablassprediger beobachten, damit sie nicht ihre eigene Meinung anstelle der päpstlichen predigen.
71–74: Wer gegen die Wahrheit des apostolischen Ablasses spricht, sei verworfen und verflucht. Der Bannstrahl des Papstes wird ihn treffen.
75–76: Der Ablass kann keine schwerwiegenden und auch keine geringfügigen Sünden vergeben.
77–78: Der Papst kann genau wie der Apostel Simon Petrus Fähigkeiten von Gott erhalten, wie es in 1 Kor 12,1-11 EU geschrieben steht.
79–81: Es ist eine Gotteslästerung, das Ablasskreuz mit dem Wappen des Papstes in den Kirchen mit dem Kreuz Jesu Christi gleichzusetzen. Wer solche freche Predigt hält, kann das Ansehen des Papstes gefährden, etwa durch spitzfindige Fragen der Laien:
82: Warum räumt der Papst nicht das Fegefeuer für alle aus?
83: Warum bleiben Totenmessen für Verstorbene bestehen, wenn es nicht erlaubt ist, für die Losgekauften zu beten?
84: Warum kann ein gottloser Mensch gegen Geld Sünden vergeben?
85: Warum werden die praktisch abgeschafften Bußsatzungen immer noch mit Geld abgelöst?
86: Warum baut der reiche Papst nicht wenigstens den Petersdom von seinem Geld?
87: Was erlässt der Papst demjenigen, der durch vollkommene Reue ein Anrecht auf völligen Erlass der Sünden hat?
88: Warum schenkt er nur einmal am Tag allen Gläubigen Vergebung und nicht hundertmal täglich?
89: Warum hebt der Papst frühere Ablassbriefe wieder auf?
90–93: Wenn der Ablass gemäß der Auffassung des Papstes gepredigt würde, lösten sich diese Einwände auf. Darum weg mit diesen falschen Ablasspredigern.
94–95: Man soll die Christen ermutigen, Jesus Christus nachzufolgen, und sie nicht durch Ablassbriefe falsche geistliche Sicherheit erkaufen lassen.
Überlieferung
Weder ist Luthers Handschrift der Thesen noch ein Wittenberger Druck überliefert. Ein Einblattdruck (Folioblatt in zwei Spalten) des lateinischen Textes erschien bereits 1517 bei Hieronymus Höltzel in Nürnberg. Ein weiterer Einblattdruck kam bei Melchior Lotter in Leipzig, eine Buchausgabe (vier Blätter in Quart) bei Adam Petri in Basel heraus: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum. In dem Nürnberger Plakatdruck sind die 95 Thesen in Gruppen von dreimal 25 gezählt, denen am Schluss 20 Thesen folgen; es ist nicht bekannt, auf wen diese Einteilung zurückgeht.
Übersetzungen ins Deutsche
Vermutlich noch vor Weihnachten 1517 übersetzte der Nürnberger Kaspar Nützel Luthers 95 Thesen ins Deutsche, wie in einem Brief Christoph Scheurls vom 8. Januar 1518 erwähnt ist.[2] Diese früheste zu datierende deutschsprachige Übersetzung ist nur durch Berichte belegt, aber bibliographisch nicht bekannt geworden. „Trotz des fehlenden bibliographischen Nachweises der Existenz eines Druckes der Nützelschen Version, geistert die Vorstellung von dessen Existenz durch die Literatur.“[3]
Der älteste nachweisbare anonyme Druck ist von 1545 (Nachdruck Berlin 1892). Es folgt die Übersetzung 1555 von Justus Jonas dem Älteren zuerst 1555 in Jena bei Rödinger im Band Der Erste Teil aller Buecher vnd Schrifften des thewren seligen Mans Doct: Mart: Lutheri,[4] dann als Der Neundte Teil der Buecher des Ehrnwirdigen Herrn D. Martini Lutheri,[5] 1557 durch Hans Lufft in Wittenberg gedruckt – herausgegeben von Philipp Melanchthon und im Verzeichnis Propositiones Lutheri wider das Ablas betitelt. Die Übersetzung gilt als nicht sehr vorlagengetreu.
Zudem findet sich eine Handschrift mit einer Teilübersetzung in der Universitätsbibliothek Eichstätt (Cod. st 695), zwischen 1518 und 1525 geschrieben.[6]
Verbreitung
„Die Botschaft selbst wurde einer breiten Leserschaft nicht durch die lateinischen Thesen und deren Auslegungen in den im Frühjahr 1518 erschienenen Resolutiones de indulgentiarum virtute bekannt, sondern durch den deutschsprachigen Sermon von Ablaß und Gnade [alternativ auch: Freiheit des Sermons päpstlichen Ablaß und Gnade belangend], der den eigentlichen Durchbruch Luthers als Schriftsteller ausmachte. Von dieser Schrift erschienen 1518 nicht weniger als 15 hochdeutsche Ausgaben sowie eine niederdeutsche, in den beiden folgenden Jahren weitere neun.“[7]
Bedeutung
Die Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen war eines der bedeutendsten Ereignisse in der Frühen Neuzeit mit einer unvorhersehbaren Langzeitwirkung.
Seit dem Frühjahr 1517 erlebte Luther immer häufiger, dass die Wittenberger der Beichte fernblieben und stattdessen in die auf stiftsmagdeburgischem bzw. anhaltischem Gebiet liegenden Städte Jüterbog und Zerbst gingen, um sich selbst, aber auch verstorbene Angehörige, von Sünden und Sündenstrafen durch den Erwerb von Ablassbriefen freizukaufen. Tatsächlich war der Missbrauch des Ablasses einer der wesentlichen Kritikpunkte Luthers. Die eine Hälfte der Einnahmen des Ablasshandels diente dem Bau des Petersdoms in Rom, während sich der Erzbischof Albrecht und die Ablassprediger die andere Hälfte teilten. Der Bischof benötigte die Einkünfte, um seine gegenüber den Fuggern aufgelaufenen Schulden abzuzahlen. Mithin waren die Thesen ein Angriff auf das päpstliche Finanzsystem.
Die als Antwort auf die Ablasspredigten Johann Tetzels veröffentlichten Thesen hatten eine eminente Auswirkung auf nahezu alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen – was Luther selbst kaum vorausgeahnt haben konnte. Die Reformbedürftigkeit der Kirche und damit der Kirchenverfassung war längst ein dringendes Problem. Die Veröffentlichung seiner Thesen war als Diskussionsgrundlage für fachkundige Theologen gedacht; sie verselbständigten sich jedoch sehr schnell und wurden oft als Handzettel nachgedruckt. Statt zur erhofften Diskussion kam es 1518 zunächst zum Ketzerprozess und schließlich sogar zum Kirchenbann.
Die Wirkung von Luthers Gedanken hält indes bis heute an. Die Thesen formulieren eine Kritik an den damals herrschenden Zuständen auf der Grundlage der Bibel. Den Ablasshandel erklärt Luther in den Thesen für Menschenwerk, weil die Bibel keine Grundlage für dieses römisch-katholische Konzept enthält. Zwar lässt Luther zunächst den Ablass für Strafen, die von der Kirche auferlegt wurden, noch gelten; aber seine Kritik richtet sich strikt gegen die falsche Heilssicherheit, die aus einer falschen Handhabung des Ablasses herrühre. Auch der Papst wird von der Kritik nicht ausgenommen: Luther beginnt hier seine öffentliche Kritik an der Institution des Papsttums – ein geistiger Sprengsatz, der dann in den nächsten Jahren und Jahrzehnten seine volle Kraft entfaltete und schließlich zum Schisma, zur Spaltung der abendländischen Kirche, führte.
Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, unterstützte ihn in dieser Haltung, weil auch er den Abfluss dieser Gelder aus dem eigenen Territorium nach Rom nicht dulden wollte.
Der Thesenanschlag wird bis in die Gegenwart vielfältig ausgelegt und wurde in verschiedenen Filmen und Büchern verarbeitet. Er diente zum Titel des amerikanischen theologisch-satirischen Magazins The Wittenburg Door.
Frage nach der Authentizität des Thesenanschlags
Die Authentizität des Thesenanschlags ist umstritten. Zweifelsfrei ist die Existenz des zunächst handschriftlichen Thesenpapiers. Ein Exemplar ging an den Erzbischof Albrecht von Mainz, der zugleich Erzbischof von Magdeburg und als solcher für Wittenberg zuständig war. Weitere Exemplare gingen an andere geistliche Würdenträger des Reiches und eines – als Reaktion auf dessen Instruktionen – an den Ablassverkäufer Johannes Tetzel, der aber darauf nicht reagierte. Ohne dessen Einverständnis wäre eine öffentliche Disputation wohl als schwere Provokation aufgefasst worden. Es ist unwahrscheinlich, dass Luther dies beabsichtigte oder sich über eine solche mögliche Konsequenz nicht im Klaren gewesen wäre.
Der Thesenanschlag wird erstmals erwähnt von Luthers Sekretär Georg Rörer, der 1540 (oder 1544) in einer Bearbeitungsnotiz zum Neuen Testament von der Bekanntmachung der Thesen an den Türen mehrerer Wittenberger Kirchen berichtet: „Am Vorabend des Allerheiligenfestes des Herrn im Jahre 1517 sind von Doktor Martin Luther Thesen über den Ablass an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen worden.“[8] Der Fund legt also nahe, dass die Thesen an mehreren Wittenberger Kirchen gleichzeitig veröffentlicht wurden. Allerdings ist die Beweiskraft des Dokumentes umstritten.[9] Diese Notiz wurde 2006 aufgefunden.[10] Allerdings ist unwahrscheinlich, dass Rörer Augenzeuge des Thesenanschlags war.
Bis zu Luthers Tod 1546 ist vom Thesenanschlag in keiner reformatorischen Publikation die Rede. Popularisiert wurde er erst danach, insbesondere durch Philipp Melanchthon, der ihn erstmals 1547 in der Vorrede zum zweiten Band seiner Ausgabe der Werke Luthers erwähnte. Dieser sei als Herausforderung zu einer der üblichen akademischen Disputationen gedacht gewesen. Melanchthon wurde allerdings erst 1518 nach Wittenberg berufen und kann daher nicht Augenzeuge eines solchen Ereignisses gewesen sein. Ausgehend von Melanchthon entwickelte der Thesenanschlag sich zu einem Gründungsmythos der Reformation.
Das Ereignis des Thesenanschlags wird seit 1961 vom katholischen Kirchengeschichtler Erwin Iserloh in Frage gestellt.[11] Der Kirchenhistoriker Heinrich Bornkamm meinte hingegen, dass es durchaus den üblichen Gepflogenheiten akademischer Disputationen in Wittenberg entsprochen habe, die Thesen an der Schlosskirche als Universitätskirche öffentlich anzuschlagen, denn sie diente auch als Auditorium maximum bei Disputationen und Promotionen. Auch der Kirchenhistoriker Kurt Aland hält die Ereignisse für authentisch.
Gerhard Prause fasste 1966 in seinem Buch Niemand hat Kolumbus ausgelacht. Fälschungen und Lügen der Geschichte richtiggestellt die Geschichte der 95 Thesen zusammen und legte dar, dass der Anschlag der 95 Thesen ein Mythos sei, der auf einer Fehlinterpretation eines Textes des damals einzigen bekannten Zeitzeugen Johann Agricola Eisleben zurückgeht. Man habe me teste (lateinisch „wie ich bezeugen kann“) gelesen, statt modeste („in bescheidener Weise“). Prause zufolge schrieb Agricola also: „Im Jahre 1517 legte Luther in Wittenberg an der Elbe nach altem Universitätsbrauch gewisse Sätze zur Disputation vor, jedoch in bescheidener Weise und damit ohne jemand beschimpft oder beleidigt haben zu wollen“. Möglicherweise muss diese Ansicht durch die Notiz des Luther-Sekretärs Georg Rörer revidiert werden.
Quelle - literatur & einzelnachweise
Nun wie auch immer,dazu findet sich folgendes:
Martin Luthers 95 Thesen – im lateinischen Original Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum, in frühen deutschen Drucken Propositiones wider das Ablas –, in denen er gegen Missbräuche beim Ablass und besonders gegen den geschäftsmäßigen Handel mit Ablassbriefen auftrat, wurden am 31. Oktober 1517 als Beifügung an einen Brief an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, erstmals in Umlauf gebracht. Da eine Stellungnahme Albrechts von Brandenburg ausblieb, gab Luther die Thesen an einige Bekannte weiter, die sie kurze Zeit später ohne sein Wissen veröffentlichten und damit zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion im gesamten Reich machten.
Thesentür an der Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg
Darstellung des Thesenanschlags in der Speyrer Gedächtniskirche
Die 95 Thesen
Ausschnitt aus den 95 Thesen
Zusammenfassung
Das Dokument folgt dem Stil von Disputationsthesen, wie sie zu dieser Zeit bei akademischen Promotionen üblich waren, und ist in Latein verfasst. Ausgehend vom Jesuswort „Tut Buße“ (Mt 4,17 LUT) wendet sich Luther zunächst gegen die kirchlich geschürte Angst vor dem Fegefeuer. Ab der These Nr. 21 bildet der Ablasshandel den Schwerpunkt seiner Ausführungen. Er bezeichnet den Ablass als „gutes Geschäft“ (Nr. 67), spricht ihm aber jegliche Wirkungskraft ab, „auch die geringste läßliche Sünde wegzunehmen“ (Nr. 76). In Nr. 81 werden „spitzfindige Fragen der Laien“ angekündigt, die sich als rhetorische Fragen erweisen, beispielsweise Nr. 86: „Warum baut der Papst, der heute reicher ist als der reichste Crassus, nicht wenigstens die eine Kirche St. Peter lieber von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?“ Den Abschluss bildet ein Aufruf an die Christen, „daß sie ihrem Haupt Christus durch Strafen, Tod und Hölle nachzufolgen trachten und daß die lieber darauf trauen, durch viele Trübsale ins Himmelreich einzugehen, als sich in falscher geistlicher Sicherheit zu beruhigen“.
Einleitung zu den 95 Thesen am Portal der Schlosskirche zu Wittenberg
Inhalt der Thesen im Einzelnen
1: Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ u.s.w. (Matth. 4,17), hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.[1]
2: Dieses Wort kann nicht von der Buße als Sakrament – d. h. von der Beichte und Genugtuung –, die durch das priesterliche Amt verwaltet wird, verstanden werden.[1]
3: Es bezieht sich nicht nur auf eine innere Buße, ja eine solche wäre gar keine, wenn sie nicht nach außen mancherlei Werke zur Abtötung des Fleisches bewirkte.[1]
4: Die Strafe für Sünden bleibt bis zum Eingang ins Himmelreich.
5–6: Der Papst kann nur Strafen erlassen, die er selbst auferlegt hat.
7: Gott erlässt Strafen nur denjenigen, die sich dem Papst (Gottes Stellvertreter auf der Erde) unterwerfen.
8–9: Die kirchlichen Bestimmungen über die Buße und das Erlassen von Strafen gelten nur für die Lebenden, nicht für Verstorbene.
10–13: Eine Strafe darf nicht für die Zeit nach dem Tod ausgesprochen werden.
14: Je geringer der Glaube an Gott ist, umso größer ist die Angst vor dem Tod.
15–16: Diese Angst alleine kennzeichnet das Fegefeuer als Reinigungsort vor Himmel und Hölle.
17–19: Es ist gesichert, dass Verstorbene im Fegefeuer ihr Verhältnis zu Gott nicht mehr ändern können.
20–24: Die Ablassprediger irren, wenn sie sagen: „Jede Strafe wird erlassen.“
25: Die gleiche Macht, die der Papst bezüglich des Fegefeuers im Allgemeinen hat, besitzt jeder Bischof und jeder Seelsorger in seinem Arbeitsbereich.
26–29: Der Papst erreicht die Vergebung im Fegefeuer durch Fürbitte, aber die Ablassprediger irren, wenn sie Vergebung gegen Geld versprechen. So steigen die Einnahmen der Kirche, aber die Fürbitte ist allein von Gottes Willen abhängig.
30–32: Niemand kann Vergebung mit Sicherheit erreichen.
33–34: Der Ablass des Papstes ist keine Gabe Gottes, bei der Menschen mit Gott versöhnt werden, sondern nur eine Vergebung der von der Kirche auferlegten Strafen.
35–40: Niemand kann Vergebung ohne Reue erhalten; aber wer wirklich bereut, hat Anspruch auf völlige Vergebung – auch ohne bezahlten Ablassbrief.
41–44: Das Kaufen der Ablassbriefe hat nichts mit Nächstenliebe zu tun, auch befreit es nur teilweise von der Strafe. Wichtiger sind gute Werke der Nächstenliebe wie Unterstützung für Arme oder Hilfsbedürftige.
45–49: Wer einem Bedürftigen nicht hilft, aber stattdessen Ablass kauft, handelt sich den Zorn Gottes ein.
50–51: Wenn der Papst die Erpressungsmethoden der Ablassprediger kennen würde, würde er davon nicht den Petersdom in Rom bauen lassen.
52–55: Aufgrund eines Ablassbriefes ist kein Heil zu erwarten. Es ist falsch, wenn in einer Predigt länger über Ablass gesprochen wird als über Gottes Wort.
56–62: Der Schatz der Kirche, aus dem der Papst den Ablass austeilt, besteht nicht aus weltlichen Gütern, sondern aufgrund des Evangeliums. Aber die Vergebung der Sünden durch Jesus Christus ist der wahre Schatz der Kirche.
63–68: Der Ablass ist das Netz, mit dem man jetzt den Reichtum von Besitzenden fängt.
69–74: Die Bischöfe und Pfarrer sollen die Ablassprediger beobachten, damit sie nicht ihre eigene Meinung anstelle der päpstlichen predigen.
71–74: Wer gegen die Wahrheit des apostolischen Ablasses spricht, sei verworfen und verflucht. Der Bannstrahl des Papstes wird ihn treffen.
75–76: Der Ablass kann keine schwerwiegenden und auch keine geringfügigen Sünden vergeben.
77–78: Der Papst kann genau wie der Apostel Simon Petrus Fähigkeiten von Gott erhalten, wie es in 1 Kor 12,1-11 EU geschrieben steht.
79–81: Es ist eine Gotteslästerung, das Ablasskreuz mit dem Wappen des Papstes in den Kirchen mit dem Kreuz Jesu Christi gleichzusetzen. Wer solche freche Predigt hält, kann das Ansehen des Papstes gefährden, etwa durch spitzfindige Fragen der Laien:
82: Warum räumt der Papst nicht das Fegefeuer für alle aus?
83: Warum bleiben Totenmessen für Verstorbene bestehen, wenn es nicht erlaubt ist, für die Losgekauften zu beten?
84: Warum kann ein gottloser Mensch gegen Geld Sünden vergeben?
85: Warum werden die praktisch abgeschafften Bußsatzungen immer noch mit Geld abgelöst?
86: Warum baut der reiche Papst nicht wenigstens den Petersdom von seinem Geld?
87: Was erlässt der Papst demjenigen, der durch vollkommene Reue ein Anrecht auf völligen Erlass der Sünden hat?
88: Warum schenkt er nur einmal am Tag allen Gläubigen Vergebung und nicht hundertmal täglich?
89: Warum hebt der Papst frühere Ablassbriefe wieder auf?
90–93: Wenn der Ablass gemäß der Auffassung des Papstes gepredigt würde, lösten sich diese Einwände auf. Darum weg mit diesen falschen Ablasspredigern.
94–95: Man soll die Christen ermutigen, Jesus Christus nachzufolgen, und sie nicht durch Ablassbriefe falsche geistliche Sicherheit erkaufen lassen.
Überlieferung
Weder ist Luthers Handschrift der Thesen noch ein Wittenberger Druck überliefert. Ein Einblattdruck (Folioblatt in zwei Spalten) des lateinischen Textes erschien bereits 1517 bei Hieronymus Höltzel in Nürnberg. Ein weiterer Einblattdruck kam bei Melchior Lotter in Leipzig, eine Buchausgabe (vier Blätter in Quart) bei Adam Petri in Basel heraus: Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum. In dem Nürnberger Plakatdruck sind die 95 Thesen in Gruppen von dreimal 25 gezählt, denen am Schluss 20 Thesen folgen; es ist nicht bekannt, auf wen diese Einteilung zurückgeht.
Übersetzungen ins Deutsche
Vermutlich noch vor Weihnachten 1517 übersetzte der Nürnberger Kaspar Nützel Luthers 95 Thesen ins Deutsche, wie in einem Brief Christoph Scheurls vom 8. Januar 1518 erwähnt ist.[2] Diese früheste zu datierende deutschsprachige Übersetzung ist nur durch Berichte belegt, aber bibliographisch nicht bekannt geworden. „Trotz des fehlenden bibliographischen Nachweises der Existenz eines Druckes der Nützelschen Version, geistert die Vorstellung von dessen Existenz durch die Literatur.“[3]
Der älteste nachweisbare anonyme Druck ist von 1545 (Nachdruck Berlin 1892). Es folgt die Übersetzung 1555 von Justus Jonas dem Älteren zuerst 1555 in Jena bei Rödinger im Band Der Erste Teil aller Buecher vnd Schrifften des thewren seligen Mans Doct: Mart: Lutheri,[4] dann als Der Neundte Teil der Buecher des Ehrnwirdigen Herrn D. Martini Lutheri,[5] 1557 durch Hans Lufft in Wittenberg gedruckt – herausgegeben von Philipp Melanchthon und im Verzeichnis Propositiones Lutheri wider das Ablas betitelt. Die Übersetzung gilt als nicht sehr vorlagengetreu.
Zudem findet sich eine Handschrift mit einer Teilübersetzung in der Universitätsbibliothek Eichstätt (Cod. st 695), zwischen 1518 und 1525 geschrieben.[6]
Verbreitung
„Die Botschaft selbst wurde einer breiten Leserschaft nicht durch die lateinischen Thesen und deren Auslegungen in den im Frühjahr 1518 erschienenen Resolutiones de indulgentiarum virtute bekannt, sondern durch den deutschsprachigen Sermon von Ablaß und Gnade [alternativ auch: Freiheit des Sermons päpstlichen Ablaß und Gnade belangend], der den eigentlichen Durchbruch Luthers als Schriftsteller ausmachte. Von dieser Schrift erschienen 1518 nicht weniger als 15 hochdeutsche Ausgaben sowie eine niederdeutsche, in den beiden folgenden Jahren weitere neun.“[7]
Bedeutung
Die Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen war eines der bedeutendsten Ereignisse in der Frühen Neuzeit mit einer unvorhersehbaren Langzeitwirkung.
Seit dem Frühjahr 1517 erlebte Luther immer häufiger, dass die Wittenberger der Beichte fernblieben und stattdessen in die auf stiftsmagdeburgischem bzw. anhaltischem Gebiet liegenden Städte Jüterbog und Zerbst gingen, um sich selbst, aber auch verstorbene Angehörige, von Sünden und Sündenstrafen durch den Erwerb von Ablassbriefen freizukaufen. Tatsächlich war der Missbrauch des Ablasses einer der wesentlichen Kritikpunkte Luthers. Die eine Hälfte der Einnahmen des Ablasshandels diente dem Bau des Petersdoms in Rom, während sich der Erzbischof Albrecht und die Ablassprediger die andere Hälfte teilten. Der Bischof benötigte die Einkünfte, um seine gegenüber den Fuggern aufgelaufenen Schulden abzuzahlen. Mithin waren die Thesen ein Angriff auf das päpstliche Finanzsystem.
Die als Antwort auf die Ablasspredigten Johann Tetzels veröffentlichten Thesen hatten eine eminente Auswirkung auf nahezu alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Strukturen – was Luther selbst kaum vorausgeahnt haben konnte. Die Reformbedürftigkeit der Kirche und damit der Kirchenverfassung war längst ein dringendes Problem. Die Veröffentlichung seiner Thesen war als Diskussionsgrundlage für fachkundige Theologen gedacht; sie verselbständigten sich jedoch sehr schnell und wurden oft als Handzettel nachgedruckt. Statt zur erhofften Diskussion kam es 1518 zunächst zum Ketzerprozess und schließlich sogar zum Kirchenbann.
Die Wirkung von Luthers Gedanken hält indes bis heute an. Die Thesen formulieren eine Kritik an den damals herrschenden Zuständen auf der Grundlage der Bibel. Den Ablasshandel erklärt Luther in den Thesen für Menschenwerk, weil die Bibel keine Grundlage für dieses römisch-katholische Konzept enthält. Zwar lässt Luther zunächst den Ablass für Strafen, die von der Kirche auferlegt wurden, noch gelten; aber seine Kritik richtet sich strikt gegen die falsche Heilssicherheit, die aus einer falschen Handhabung des Ablasses herrühre. Auch der Papst wird von der Kritik nicht ausgenommen: Luther beginnt hier seine öffentliche Kritik an der Institution des Papsttums – ein geistiger Sprengsatz, der dann in den nächsten Jahren und Jahrzehnten seine volle Kraft entfaltete und schließlich zum Schisma, zur Spaltung der abendländischen Kirche, führte.
Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, unterstützte ihn in dieser Haltung, weil auch er den Abfluss dieser Gelder aus dem eigenen Territorium nach Rom nicht dulden wollte.
Der Thesenanschlag wird bis in die Gegenwart vielfältig ausgelegt und wurde in verschiedenen Filmen und Büchern verarbeitet. Er diente zum Titel des amerikanischen theologisch-satirischen Magazins The Wittenburg Door.
Frage nach der Authentizität des Thesenanschlags
Die Authentizität des Thesenanschlags ist umstritten. Zweifelsfrei ist die Existenz des zunächst handschriftlichen Thesenpapiers. Ein Exemplar ging an den Erzbischof Albrecht von Mainz, der zugleich Erzbischof von Magdeburg und als solcher für Wittenberg zuständig war. Weitere Exemplare gingen an andere geistliche Würdenträger des Reiches und eines – als Reaktion auf dessen Instruktionen – an den Ablassverkäufer Johannes Tetzel, der aber darauf nicht reagierte. Ohne dessen Einverständnis wäre eine öffentliche Disputation wohl als schwere Provokation aufgefasst worden. Es ist unwahrscheinlich, dass Luther dies beabsichtigte oder sich über eine solche mögliche Konsequenz nicht im Klaren gewesen wäre.
Der Thesenanschlag wird erstmals erwähnt von Luthers Sekretär Georg Rörer, der 1540 (oder 1544) in einer Bearbeitungsnotiz zum Neuen Testament von der Bekanntmachung der Thesen an den Türen mehrerer Wittenberger Kirchen berichtet: „Am Vorabend des Allerheiligenfestes des Herrn im Jahre 1517 sind von Doktor Martin Luther Thesen über den Ablass an die Türen der Wittenberger Kirchen angeschlagen worden.“[8] Der Fund legt also nahe, dass die Thesen an mehreren Wittenberger Kirchen gleichzeitig veröffentlicht wurden. Allerdings ist die Beweiskraft des Dokumentes umstritten.[9] Diese Notiz wurde 2006 aufgefunden.[10] Allerdings ist unwahrscheinlich, dass Rörer Augenzeuge des Thesenanschlags war.
Bis zu Luthers Tod 1546 ist vom Thesenanschlag in keiner reformatorischen Publikation die Rede. Popularisiert wurde er erst danach, insbesondere durch Philipp Melanchthon, der ihn erstmals 1547 in der Vorrede zum zweiten Band seiner Ausgabe der Werke Luthers erwähnte. Dieser sei als Herausforderung zu einer der üblichen akademischen Disputationen gedacht gewesen. Melanchthon wurde allerdings erst 1518 nach Wittenberg berufen und kann daher nicht Augenzeuge eines solchen Ereignisses gewesen sein. Ausgehend von Melanchthon entwickelte der Thesenanschlag sich zu einem Gründungsmythos der Reformation.
Das Ereignis des Thesenanschlags wird seit 1961 vom katholischen Kirchengeschichtler Erwin Iserloh in Frage gestellt.[11] Der Kirchenhistoriker Heinrich Bornkamm meinte hingegen, dass es durchaus den üblichen Gepflogenheiten akademischer Disputationen in Wittenberg entsprochen habe, die Thesen an der Schlosskirche als Universitätskirche öffentlich anzuschlagen, denn sie diente auch als Auditorium maximum bei Disputationen und Promotionen. Auch der Kirchenhistoriker Kurt Aland hält die Ereignisse für authentisch.
Gerhard Prause fasste 1966 in seinem Buch Niemand hat Kolumbus ausgelacht. Fälschungen und Lügen der Geschichte richtiggestellt die Geschichte der 95 Thesen zusammen und legte dar, dass der Anschlag der 95 Thesen ein Mythos sei, der auf einer Fehlinterpretation eines Textes des damals einzigen bekannten Zeitzeugen Johann Agricola Eisleben zurückgeht. Man habe me teste (lateinisch „wie ich bezeugen kann“) gelesen, statt modeste („in bescheidener Weise“). Prause zufolge schrieb Agricola also: „Im Jahre 1517 legte Luther in Wittenberg an der Elbe nach altem Universitätsbrauch gewisse Sätze zur Disputation vor, jedoch in bescheidener Weise und damit ohne jemand beschimpft oder beleidigt haben zu wollen“. Möglicherweise muss diese Ansicht durch die Notiz des Luther-Sekretärs Georg Rörer revidiert werden.
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