Das Partikulargericht
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Das Partikulargericht
Das Partikulargericht ist eine Lehre vom Schicksal der Seele nach dem Tod innerhalb der römisch-katholischen Theologie. Im Partikulargericht erfolgt die Abwägung der guten und bösen Taten eines Menschen unmittelbar nach dessen Tod und noch vor dem Jüngsten Gericht. In der religiösen Vorstellungswelt wird dabei dem Erzengel Michael eine bestimmte Rolle zugeordnet, die biblisch jedoch nicht begründbar ist.
Michael als Seelenwäger (Pfarrkirche Aulzhausen)
Problemstellung
Am Ende aller Zeiten werden nach christlichem Glauben die Toten auferstehen, um vor den Richter Jesus Christus gestellt zu werden, der nach Gottes Weisung richten wird (gemäß Johannesevangelium 5,22–23 EU und 5,30 EU). Theologen beschäftigen sich nun mit der Frage nach dem Aufenthaltsort der Toten bis zum Zeitpunkt des Gerichts.
Nach biblischer Überlieferung findet ein gemeinsames Warten auf das Gericht Gottes nicht statt, wie dies im Lukasevangelium (16,19–31 EU) von Jesus auch geschildert wird. Dort wird von der gegenseitig sichtbaren Trennung des Armen Lazarus von einem Reichen (namentlich ungenannt) nach ihrem Tod berichtet: Lazarus hatte immer vor der Tür dieses Reichen gelegen, von Geschwüren bedeckt, bis beide starben. Nun erleidet der Reiche Qualen, während es Lazarus bei Abraham sehr gut geht. Dies deckt sich mit Aussagen aus dem Buch Henoch in Kapitel 22 (Übersetzung Andreas Gottlieb Hoffmann, Universität Jena). Henoch (1. Mose 5,18–24 EU ; Hebräer 11,5 EU) galt als Verfasser einer prophetischen Schrift, die im 2. Jahrhundert v. Chr. zum Vorschein kam und weite Verbreitung fand. Daraus wird auch in Judas 14–15 EU zitiert, die dort angeführten Worte stehen im jetzt noch erhaltenen Buch Henoch in Kapitel 1,9.
Partikulargericht und Jüngstes Gericht in der katholischen Lehre
Thomas von Aquin (1225–1274) begründet das Partikulargericht in seiner Summa theologica ausdrücklich. Jeder Mensch sei sowohl Einzelperson als auch Teil des ganzen Menschengeschlechtes. Daher gebühre ihm ein doppeltes Gericht.
Der Hauptunterschied zwischen Partikulargericht und Jüngstem Gericht ist, dass das Partikulargericht direkt nach dem Tod jedes Individuums stattfindet und nicht erst am Jüngsten Tag. Es handelt sich um Gottes Gericht über die Seele und ist nicht – wie das Jüngste Gericht – mit der Vorstellung von der Auferstehung des Leibes verbunden.
Historische Entwicklung
Philippe Ariès vertritt die These, dass das Partikulargericht im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen und das Jüngste Gericht von seinem vorrangigen Platz verdrängt hat. Den Grund dafür sieht Ariès in der wachsenden Bedeutung des Individuums, das sich im Spätmittelalter zunehmend für seinen eigenen Tod interessiert. Diese Veränderung belegt Ariès beispielsweise mit der großen Verbreitung von Ars moriendi-Traktaten, die zur Vorbereitung auf einen friedlichen Tod in großer Menge kursierten und sich größter Beliebtheit erfreuten.
Eine kontroverse Position vertritt der russische Historiker Aron Gurewitsch. Er ist der Meinung, dass beide Gerichte – Jüngstes Gericht und Partikulargericht – in der Vorstellungswelt des gesamten Mittelalters unabhängig voneinander koexistierten. Gurewitsch spricht von einer „paradoxen Koexistenz“ zwischen der, wie er sie nennt, „kleinen Eschatologie“ und der „großen Eschatologie“, die jedes Individuum in zweifacher Weise betrifft: wenn es um sein eigenes Schicksal geht und zugleich für ihn als Mitglied der Gemeinschaft, die am Jüngsten Tag gerichtet wird.
Jacques Le Goff sieht dagegen keine Konkurrenz zwischen den beiden Gerichten. Für ihn vollzog sich die Entstehung des Partikulargerichts am Ende des 12. Jahrhunderts analog zur Entstehung des Fegefeuers. Beide Phänomene haben dieselbe gesellschaftspolitische Wurzel und sind für ihn ebenfalls ein Phänomen des zunehmenden Interesses der Menschen an ihrem individuellen Tod.
Siehe auch
Ägyptische Mythologie (Thot / Totengericht)
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Michael als Seelenwäger (Pfarrkirche Aulzhausen)
Problemstellung
Am Ende aller Zeiten werden nach christlichem Glauben die Toten auferstehen, um vor den Richter Jesus Christus gestellt zu werden, der nach Gottes Weisung richten wird (gemäß Johannesevangelium 5,22–23 EU und 5,30 EU). Theologen beschäftigen sich nun mit der Frage nach dem Aufenthaltsort der Toten bis zum Zeitpunkt des Gerichts.
Nach biblischer Überlieferung findet ein gemeinsames Warten auf das Gericht Gottes nicht statt, wie dies im Lukasevangelium (16,19–31 EU) von Jesus auch geschildert wird. Dort wird von der gegenseitig sichtbaren Trennung des Armen Lazarus von einem Reichen (namentlich ungenannt) nach ihrem Tod berichtet: Lazarus hatte immer vor der Tür dieses Reichen gelegen, von Geschwüren bedeckt, bis beide starben. Nun erleidet der Reiche Qualen, während es Lazarus bei Abraham sehr gut geht. Dies deckt sich mit Aussagen aus dem Buch Henoch in Kapitel 22 (Übersetzung Andreas Gottlieb Hoffmann, Universität Jena). Henoch (1. Mose 5,18–24 EU ; Hebräer 11,5 EU) galt als Verfasser einer prophetischen Schrift, die im 2. Jahrhundert v. Chr. zum Vorschein kam und weite Verbreitung fand. Daraus wird auch in Judas 14–15 EU zitiert, die dort angeführten Worte stehen im jetzt noch erhaltenen Buch Henoch in Kapitel 1,9.
Partikulargericht und Jüngstes Gericht in der katholischen Lehre
Thomas von Aquin (1225–1274) begründet das Partikulargericht in seiner Summa theologica ausdrücklich. Jeder Mensch sei sowohl Einzelperson als auch Teil des ganzen Menschengeschlechtes. Daher gebühre ihm ein doppeltes Gericht.
Der Hauptunterschied zwischen Partikulargericht und Jüngstem Gericht ist, dass das Partikulargericht direkt nach dem Tod jedes Individuums stattfindet und nicht erst am Jüngsten Tag. Es handelt sich um Gottes Gericht über die Seele und ist nicht – wie das Jüngste Gericht – mit der Vorstellung von der Auferstehung des Leibes verbunden.
Historische Entwicklung
Philippe Ariès vertritt die These, dass das Partikulargericht im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen und das Jüngste Gericht von seinem vorrangigen Platz verdrängt hat. Den Grund dafür sieht Ariès in der wachsenden Bedeutung des Individuums, das sich im Spätmittelalter zunehmend für seinen eigenen Tod interessiert. Diese Veränderung belegt Ariès beispielsweise mit der großen Verbreitung von Ars moriendi-Traktaten, die zur Vorbereitung auf einen friedlichen Tod in großer Menge kursierten und sich größter Beliebtheit erfreuten.
Eine kontroverse Position vertritt der russische Historiker Aron Gurewitsch. Er ist der Meinung, dass beide Gerichte – Jüngstes Gericht und Partikulargericht – in der Vorstellungswelt des gesamten Mittelalters unabhängig voneinander koexistierten. Gurewitsch spricht von einer „paradoxen Koexistenz“ zwischen der, wie er sie nennt, „kleinen Eschatologie“ und der „großen Eschatologie“, die jedes Individuum in zweifacher Weise betrifft: wenn es um sein eigenes Schicksal geht und zugleich für ihn als Mitglied der Gemeinschaft, die am Jüngsten Tag gerichtet wird.
Jacques Le Goff sieht dagegen keine Konkurrenz zwischen den beiden Gerichten. Für ihn vollzog sich die Entstehung des Partikulargerichts am Ende des 12. Jahrhunderts analog zur Entstehung des Fegefeuers. Beide Phänomene haben dieselbe gesellschaftspolitische Wurzel und sind für ihn ebenfalls ein Phänomen des zunehmenden Interesses der Menschen an ihrem individuellen Tod.
Siehe auch
Ägyptische Mythologie (Thot / Totengericht)
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