Der Brief des Paulus an die Römer
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Der Brief des Paulus an die Römer
Der Brief des Paulus an die Römer (kurz Römerbrief, abgekürzt Röm) ist ein Buch des Neuen Testaments der christlichen Bibel. Verfasst hat den Brief Paulus von Tarsus in Korinth. Der Brief gehört zu den sieben Briefen von Paulus, deren Authentizität nicht umstritten ist. Seit dem Mittelalter wird er in 16 Kapitel unterteilt. Er ist in einer Form der griechischen Sprache, der so genannten Koine, verfasst.
Entstehung
Entstehungsort und -zeit
Der Brief entstand wahrscheinlich in Korinth, wo Paulus sich während seiner dritten Missionsreise drei Monate lang aufhielt. Dafür spricht u.a., dass der erwähnte Gaius, der Paulus zur Zeit der Abfassung des Briefes bei sich aufgenommen hatte (16,23 EU), vermutlich mit dem laut 1 Kor 1,14 EU von Paulus getauften erwähnten Korinther Gaius identisch ist. Tertius schrieb den Brief auf Paulus’ Diktat (16,22 LUT). Phoibe aus der nahegelegenen Hafenstadt Kenchreai, in der es auch eine christliche Gemeinde gab, brachte anscheinend den Brief nach Rom (16,1 EU).
Der genaue Zeitpunkt der Abfassung ist im Brief nicht erwähnt, doch wurde er offensichtlich verfasst, nachdem die Sammlung für die Jerusalemer Urgemeinde abgeschlossen war und Paulus kurz vor seiner Abreise nach Jerusalem stand, »um den Heiligen einen Dienst zu erweisen«, also am Ende seines zweiten Aufenthalts in Griechenland und während des Winters vor seinem letzten Besuch von Jerusalem (15,25 LUT; vgl. Apg 19,21 LUT; 20,2f.16 LUT; 1 Kor 16,1-4 LUT). Er wird von den meisten Theologen auf 55/56, eventuell ein oder zwei Jahre später datiert.[1]
Adressaten
Das Christentum hatte in Rom zunächst unter den vielen Diaspora-Juden und in jüdischen Synagogengemeinden, denen sich auch Proselyten und gottesfürchtige Nichtjuden anschlossen, Anhänger gefunden. Doch zur Zeit des Römerbriefs waren Christen in den Synagogen schon nicht mehr geduldet. Diesbezügliche Auseinandersetzungen scheinen zu der von Sueton berichteten Ausweisung der Juden aus Rom unter Kaiser Claudius geführt zu haben.[2]
Der Gemeinde, an die Paulus schrieb, gehörten sowohl Juden- als auch Heidenchristen an. Die Kirche muss schon eine beachtliche Größe erreicht haben und war auf mehrere, vermutlich voneinander unabhängige, Hausgemeinden verteilt (Röm 16,5.10f.14f.). Dass ein Drittel der namentlich Angesprochenen wie beispielsweise die Apostelin Junia Frauen sind, könnte ein Indiz für die wichtige Rolle, die Frauen in der frühen Kirche Roms spielten, sein. Die Tatsache, dass die Gemeindeglieder Steuern zahlen mussten (Röm 13,6 EU), und die größtenteils nicht typisch römischen Namen lassen darauf schließen, dass die meisten keine römischen Bürger, sondern peregrini, Freigelassene oder Sklaven wie „die aus dem Haus des (Nichtchristen) Narzissus, die in dem Herrn sind“ (16,12 LUT), waren.[3]
Im Gegensatz zu den Adressaten seiner anderen Briefe hatte Paulus die römische Gemeinde nicht gegründet und kannte sie auch nicht. Einzelne Mitglieder wie Prisca und Aquila, die während der Geltungszeit des Claudius-Edikts Rom verlassen hatten, waren ihm aber schon aus Griechenland bekannt. Da er beabsichtigte, auf einer weiteren Missionsreise, die den westlichen Mittelmeerraum zum Ziel hatte, auch Rom zu besuchen (Röm 15,24 EU), diente der Brief der Vorbereitung dieses Besuchs. Auf die speziellen Probleme der Gemeinde ging er weniger ein, als es in den anderen Briefen der Fall ist. Stattdessen stellte er seine Theologie ausführlich dar.
Literarischer Charakter
Paulus benutzt teilweise die in seiner Zeit geläufige Form einer Diatribe, wenn er schreibt, als antworte er auf Zwischenrufe. Der Text ist dementsprechend wie eine Diskussion strukturiert. Die Form lässt annehmen, dass Paulus Missverständnisse bezüglich seiner Theologie vermutete, denen er vorbeugen wollte, ehe er selbst nach Rom kam. Im Ablauf des Briefes wechselt Paulus mehrmals die Ansprechpartner: Zum Teil scheint er sich an die Judenchristen, dann an Heidenchristen und manchmal auch an die ganze Gemeinde zu wenden.
Ähnlich wie Jesus arbeitet Paulus mit dem Stilmittel des Gleichnisses, eine Abhängigkeit ist jedoch nicht zu erkennen. Mehrfach wendet er beispielsweise das Bild vom Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven an, das sich auf die Stellung des Menschen gegenüber der Sünde bzw. der Gnade bezieht.
Seine Aussagen belegt er häufig mit Zitaten aus dem Alten Testament, vor allem aus dem Jesajabuch. Als Grundlage diente ihm dabei meist die Septuaginta. Die Form der Auslegung verrät seine theologische Prägung sowohl durch das hellenistische Judentum als auch durch die Pharisäer in Jerusalem.[4]
Gliederung
1,1-7 - Präskript
1,8-17 - Proömium
1,18-3,20 - Alle Menschen sind unter der Sünde
3,21-5,21 - Das Heil gilt allen Menschen (Beispiele Abraham und Adam)
6,1-23 - Taufe
7,1-8,39 - Vom Gesetz befreit – vom Geist erneuert
9,1-11,36 - Die Rolle des Volkes Israel in Gottes Plan
12,1-15,13 - Gestaltung des Gemeindelebens
15,14-16,23 - Schlussparänese und Grüße
16,25-27 - Schlusshymnus (nicht in allen Handschriften enthalten)
Inhalt
Das zentrale Thema des Briefes ist das Evangelium von Jesus Christus (1,16f.):
„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft, zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst, als auch dem Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“
Dieser Vers fasst die wichtigsten Aussagen des Römerbriefes zusammen: Die Rechtfertigung durch den Glauben an Jesus Christus gilt für Juden und Nichtjuden gleichermaßen. Nach Paulus sind alle Menschen schuldig und gegenüber Gott für ihre Sünden verantwortlich. Nur durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi kann die Menschheit Erlösung erlangen. Gott ist deshalb gleichzeitig gerechter Richter und derjenige, der gerecht macht. Als Antwort auf Gottes freie, souveräne und gnädige rettende Tat können die Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden.
Viele der Ausführungen des Paulus im Römerbrief finden in früheren Paulusbriefen, insbesondere dem Galaterbrief und den Korintherbriefen, ihre Vorläufer. Aber in keinem Brief ist die Problematik von Sünde und Rechtfertigung so ausführlich dargestellt wie hier.
Alle Menschen sind Sünder
Zu Beginn seines Briefes (1,18 - 3,20) stellt Paulus dar, dass alle Menschen Sünder sind. Zwar wüssten die Heiden nicht vom Gesetz, sie hätten aber Gott aus seiner Schöpfung als Schöpfer erkennen und verehren müssen. Da sie das nicht taten, sondern stattdessen Kreaturen als Götzen verehrten, „hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, sodass sie tun, was nicht recht ist“ (1,28 LUT). Aber auch die Juden sündigten, obwohl sie das Gesetz als Maßstab für gottgefälliges Handeln hatten. So stellt Paulus fest, dass „kein Mensch durch die Werke des Gesetzes vor Gott gerecht sein kann. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (3,20 LUT).
5,12-21 LUT und 7,7-25 LUT weitet Paulus das Thema der Sünde weiter aus. Die Sünde wird als Macht personifiziert, der der Mensch unterworfen ist. Paulus spricht ihn damit jedoch nicht von persönlicher Verantwortung frei. Er entwirft auch nicht die These einer Erbsünde, sondern leitet die Sünde aus dem ersten Sündigen her.[5]
Rechtfertigung allein aus Glauben
Stattdessen kommt die Gerechtigkeit vor Gott allein von Gott selbst, und zwar allein aus dem Glauben an seinen Sohn Jesus Christus. Als Beispiel für die Möglichkeit, ohne das Gesetz Gerechtigkeit zu erlangen, nennt Paulus im Kapitel 4 Abraham, den Stammvater des jüdischen Volks. Er vertraute entgegen dem äußeren Anschein Gottes Zusage, dass er Vater vieler Völker werden solle (Gen 17,5 EU), und erlangte so die Verheißung. Die Beschneidung sei nicht Ursache der ihm von Gott zugesprochenen Gerechtigkeit, sondern nur äußeres Zeichen von Abrahams Bund mit Gott. Genauso sollen die Christen glauben, dass Jesus zur Vergebung ihrer Sünden gestorben und auferstanden ist, und um dieses Glaubens willen Gerechtigkeit bei Gott erlangen (4,22-23 LUT). Deshalb bezeichnet Paulus Abraham als den Vater aller Gläubigen, sowohl der Juden als auch der Griechen.
In 5,12-21 LUT stellt Paulus Adam und Jesus Christus als Antitypen einander gegenüber: Wie durch den Ungehorsam eines einzigen, nämlich Adams, der im Garten Eden die verbotene Frucht nahm, der Tod über alle Menschen kam, so befreit der Gehorsam eines einzigen, Jesus Christus, alle Menschen von der Macht der Sünde.
Durch die Taufe stirbt der, der an Jesus glaubt, mit Jesus und ist damit der Macht der Sünde entzogen (6,3-11 LUT). Er lebt in Jesus Christus und ist frei vom Gesetz (7,6 LUT). Er hat also den Herrschaftsbereich gewechselt und steht nicht mehr unter Gesetz und Tod, sondern unter der Gnade. Der Heilige Geist, der im Christen ist (8,1-17 LUT), soll jetzt sein Leben bestimmen. Wie die christliche Lebensführung konkret aussieht, beschreibt Paulus in den Kapiteln 12 bis 15. Im Zentrum steht dabei das Gebot der Nächstenliebe (13,8-10 LUT). Diese christliche Ethik hat Jesus schon in seiner Bergpredigt dargestellt.
Luther hat später diese Theorie der Rechtfertigung von Paulus aufgegriffen. Die Rechtfertigungslehre Luthers enthält dabei die drei Punkte sola gratia (allein aus Gnade), sola fide (allein aus Glaube) und sola scriptura (allein aus der Schrift). Während Paulus in seinem Römerbrief nur von ersteren spricht, hat Luther die Schrift in seine Rechtfertigungslehre aufgenommen, was durch die Umstände der damaligen Zeit begründet war. Das Lesen der Bibel war zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert nur Klerikern möglich. Das einfache Volk dagegen konnte die vom Klerus propagierte Auslegung der Bibel nicht hinterfragen. Für Luther war es deshalb wichtig, dass jeder Mensch die Bibel selbst lesen können sollte, um für sich selbst zu erfahren, wie er vor Gott gerecht werden könne. Grundlage für Luthers Rechtfertigungslehre war aber weiterhin der Brief des Paulus an die Christen in Rom.
Die Rolle des Volks Israel und das Miteinander von Juden- und Heidenchristen
Ein Aspekt des Römerbriefs, der vor allem in der Zeit nach dem Holocaust herausgestellt wird und den ganzen Brief durchzieht,[6] ist das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft in den frühen christlichen Gemeinden. Ein Teil der aus dem Judentum stammenden Christen verlangte, dass auch diejenigen Christen, die zuvor Heiden gewesen waren, sich beschneiden ließen und die jüdischen Lebensweise befolgten, also den Sabbat und die Speisegesetze beachteten. Paulus legt nun dar, dass Juden und Heiden gleichermaßen Sünder seien, die Gott durch Jesu Tod und Auferstehung gerettet habe. Daher sei das Halten dieser Gebote soteriologisch irrelevant. Zwar gelte die Torah für die Juden als Maßstab gottgefälligen Lebens, sie schütze aber nicht vor der Sünde (3,19-20 EU; 7,23 EU).[7]
Vor allem die Kapitel 9-11 behandeln die Rolle derjenigen Juden, die nicht an Jesus als den Messias und an seine Auferstehung glauben. Paulus, selbst ein „Israelit, vom Geschlecht Abrahams, aus dem Stamm Benjamin“ (11,1 LUT), betont, dass Israels Erwählung, der Bund, den Gott mit Abraham geschlossen hat, und die Torah weiterhin und unwiderruflich gültig seien (9,4-13 EU). Gott habe nur einen Teil der Juden verstockt, um auf diese Weise den Heiden die Möglichkeit zu geben, von Jesus zu hören und zum Glauben zu finden (11,11. 25-32). Erst dann werde auch Israel gerettet. In der Auslegung dieses Textes besteht ein Widerspruch zwischen der verbreiteten traditionellen Ansicht, dass nur ein Rest von Israel, nämlich die Juden, die sich zu Jesus als dem Messias bekennen, gemeint seien,[8] und der von der neueren Forschung vertretenen Meinung, dass ganz Israel gerettet würde. Laut Klaus Wengst soll dies unabhängig vom Bekenntnis zu Jesus Christus geschehen.[9] Andere wie Berndt Schaller vertreten die Ansicht, die Juden würden am Jüngsten Tag den wiederkommenden Jesus als Messias erkennen.[10]
Als Konsequenz aus der besonderen Rolle Israels in Gottes Plan fordert Paulus von Juden- und Heidenchristen in der Gemeinde gegenseitige Akzeptanz. Zwar nennt er die, die nicht wie er selbst ohne schlechtes Gewissen zusammen mit Menschen an einem Tisch sitzen können, die sich nicht an die jüdischen Speisegebote halten, schwach, verlangt aber von den sogenannten Starken, Rücksicht auf deren Gewissen zu nehmen (14,1 - 15,7). Das entsprach dem auf dem sogenannten Apostelkonzil zwischen Paulus auf der einen Seite und Petrus und dem Herrenbruder Jakobus auf der anderen Seite ausgehandelten Vergleich.
Gehorsam gegenüber der Staatsmacht
Ein besonders umstrittener Abschnitt des Römerbriefs ist 13,1-7 EU. Die Obrigkeit, mit der nicht allein der Herrscher, sondern auch seine Beamten etc. gemeint sind, erscheint darin als Dienerin Gottes zum Schutz der Guten und zur Bestrafung der Bösen. Jeder hat ihr zu gehorchen. Die Regierungsform oder die Legitimität der Herrschaft problematisiert Paulus dabei nicht. Der Text galt daher über Jahrhunderte als Rechtfertigung jeglicher Form von staatlicher Willkür.
Heutige Exegeten beziehen häufig die Zeitumstände der Abfassung des Römerbriefs mit ein. Möglicherweise habe Paulus angesichts der schwierigen politischen Lage nach der Vertreibung der Juden aus Rom zur Loyalität gegenüber dem römischen Staat aufgerufen.[11] Schließlich sei die junge christliche Gemeinde schutzbedürftig gewesen.[12]
Wirkungsgeschichte
Der Römerbrief hatte eine kirchengeschichtliche Wirkung wie kein anderes biblisches Buch. Der erste, allerdings - außer einigen griechischen Fragmenten - nur in einer von Rufinus in Latein übersetzten und gekürzten Fassung, erhaltene Kommentar zum Römerbrief stammt von Origenes. Darin widerlegt er u.a. die Lehren des Marcion, der Paulus als Gegner jeglichen Gesetzes sieht. Origenes dagegen betont die Kontinuität von Altem und Neuem Testament. Im Mittelpunkt seiner Auslegung steht der Dialog zwischen Juden und Christen.[13] Das Leben im Geist bewährt sich für Origenes im Abtöten des irdischen Leibs durch die Askese.
Augustinus von Hippo wurde durch die Lektüre von 13,13-14 EU zum Christentum bekehrt.[14] Aus 5,12 EU entwickelte er die Lehre von der Erbsünde, die für die katholische Kirche entscheidend werden sollte. In der Auseinandersetzung mit Pelagius begründete er aus dem Römerbrief die Polarität von Gnade und Gesetz.
Seine größte Wirkung entfaltete der Römerbrief jedoch erst in der Reformationszeit. So hatte Martin Luther während der Lektüre des Römerbriefs, genauer: beim Studium von 1,16+17 LUT, die Erkenntnis, dass allein Gottes Gnade und nicht die guten Werke den Menschen vor Gott gerecht sein lässt, was später zentrales Element der Reformation wurde. Er fand im Römerbrief die zentralen Elemente und Gedanken des Christentums zusammengefasst und schätzte den Brief als so zentral ein, dass man, selbst wenn man noch kein anderes biblisches Buch kenne, bereits Christus gezeigt bekomme und alles erfahre, was wichtig ist. Philipp Melanchthon nannte ihn das compendium theologiae christianae, die Zusammenfassung der christlichen Theologie. Ähnlich wertete auch Calvin. In den folgenden Jahrhunderten herrschte in den protestantischen Kirchen ein dogmatisch-lehrhaftes Verständnis des Römerbriefs vor.
John Wesley, einer der Mitbegründer des Methodismus, erlebte eine innere Bekehrung durch Luthers Vorrede zum Römerbrief. Theologen des 20. Jahrhunderts wie z. B. Karl Barth sowie die Theologie im 20. Jahrhundert wurden durch den Römerbrief geprägt.
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Entstehung
Entstehungsort und -zeit
Der Brief entstand wahrscheinlich in Korinth, wo Paulus sich während seiner dritten Missionsreise drei Monate lang aufhielt. Dafür spricht u.a., dass der erwähnte Gaius, der Paulus zur Zeit der Abfassung des Briefes bei sich aufgenommen hatte (16,23 EU), vermutlich mit dem laut 1 Kor 1,14 EU von Paulus getauften erwähnten Korinther Gaius identisch ist. Tertius schrieb den Brief auf Paulus’ Diktat (16,22 LUT). Phoibe aus der nahegelegenen Hafenstadt Kenchreai, in der es auch eine christliche Gemeinde gab, brachte anscheinend den Brief nach Rom (16,1 EU).
Der genaue Zeitpunkt der Abfassung ist im Brief nicht erwähnt, doch wurde er offensichtlich verfasst, nachdem die Sammlung für die Jerusalemer Urgemeinde abgeschlossen war und Paulus kurz vor seiner Abreise nach Jerusalem stand, »um den Heiligen einen Dienst zu erweisen«, also am Ende seines zweiten Aufenthalts in Griechenland und während des Winters vor seinem letzten Besuch von Jerusalem (15,25 LUT; vgl. Apg 19,21 LUT; 20,2f.16 LUT; 1 Kor 16,1-4 LUT). Er wird von den meisten Theologen auf 55/56, eventuell ein oder zwei Jahre später datiert.[1]
Adressaten
Das Christentum hatte in Rom zunächst unter den vielen Diaspora-Juden und in jüdischen Synagogengemeinden, denen sich auch Proselyten und gottesfürchtige Nichtjuden anschlossen, Anhänger gefunden. Doch zur Zeit des Römerbriefs waren Christen in den Synagogen schon nicht mehr geduldet. Diesbezügliche Auseinandersetzungen scheinen zu der von Sueton berichteten Ausweisung der Juden aus Rom unter Kaiser Claudius geführt zu haben.[2]
Der Gemeinde, an die Paulus schrieb, gehörten sowohl Juden- als auch Heidenchristen an. Die Kirche muss schon eine beachtliche Größe erreicht haben und war auf mehrere, vermutlich voneinander unabhängige, Hausgemeinden verteilt (Röm 16,5.10f.14f.). Dass ein Drittel der namentlich Angesprochenen wie beispielsweise die Apostelin Junia Frauen sind, könnte ein Indiz für die wichtige Rolle, die Frauen in der frühen Kirche Roms spielten, sein. Die Tatsache, dass die Gemeindeglieder Steuern zahlen mussten (Röm 13,6 EU), und die größtenteils nicht typisch römischen Namen lassen darauf schließen, dass die meisten keine römischen Bürger, sondern peregrini, Freigelassene oder Sklaven wie „die aus dem Haus des (Nichtchristen) Narzissus, die in dem Herrn sind“ (16,12 LUT), waren.[3]
Im Gegensatz zu den Adressaten seiner anderen Briefe hatte Paulus die römische Gemeinde nicht gegründet und kannte sie auch nicht. Einzelne Mitglieder wie Prisca und Aquila, die während der Geltungszeit des Claudius-Edikts Rom verlassen hatten, waren ihm aber schon aus Griechenland bekannt. Da er beabsichtigte, auf einer weiteren Missionsreise, die den westlichen Mittelmeerraum zum Ziel hatte, auch Rom zu besuchen (Röm 15,24 EU), diente der Brief der Vorbereitung dieses Besuchs. Auf die speziellen Probleme der Gemeinde ging er weniger ein, als es in den anderen Briefen der Fall ist. Stattdessen stellte er seine Theologie ausführlich dar.
Literarischer Charakter
Paulus benutzt teilweise die in seiner Zeit geläufige Form einer Diatribe, wenn er schreibt, als antworte er auf Zwischenrufe. Der Text ist dementsprechend wie eine Diskussion strukturiert. Die Form lässt annehmen, dass Paulus Missverständnisse bezüglich seiner Theologie vermutete, denen er vorbeugen wollte, ehe er selbst nach Rom kam. Im Ablauf des Briefes wechselt Paulus mehrmals die Ansprechpartner: Zum Teil scheint er sich an die Judenchristen, dann an Heidenchristen und manchmal auch an die ganze Gemeinde zu wenden.
Ähnlich wie Jesus arbeitet Paulus mit dem Stilmittel des Gleichnisses, eine Abhängigkeit ist jedoch nicht zu erkennen. Mehrfach wendet er beispielsweise das Bild vom Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven an, das sich auf die Stellung des Menschen gegenüber der Sünde bzw. der Gnade bezieht.
Seine Aussagen belegt er häufig mit Zitaten aus dem Alten Testament, vor allem aus dem Jesajabuch. Als Grundlage diente ihm dabei meist die Septuaginta. Die Form der Auslegung verrät seine theologische Prägung sowohl durch das hellenistische Judentum als auch durch die Pharisäer in Jerusalem.[4]
Gliederung
1,1-7 - Präskript
1,8-17 - Proömium
1,18-3,20 - Alle Menschen sind unter der Sünde
3,21-5,21 - Das Heil gilt allen Menschen (Beispiele Abraham und Adam)
6,1-23 - Taufe
7,1-8,39 - Vom Gesetz befreit – vom Geist erneuert
9,1-11,36 - Die Rolle des Volkes Israel in Gottes Plan
12,1-15,13 - Gestaltung des Gemeindelebens
15,14-16,23 - Schlussparänese und Grüße
16,25-27 - Schlusshymnus (nicht in allen Handschriften enthalten)
Inhalt
Das zentrale Thema des Briefes ist das Evangelium von Jesus Christus (1,16f.):
„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft, zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst, als auch dem Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“
Dieser Vers fasst die wichtigsten Aussagen des Römerbriefes zusammen: Die Rechtfertigung durch den Glauben an Jesus Christus gilt für Juden und Nichtjuden gleichermaßen. Nach Paulus sind alle Menschen schuldig und gegenüber Gott für ihre Sünden verantwortlich. Nur durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi kann die Menschheit Erlösung erlangen. Gott ist deshalb gleichzeitig gerechter Richter und derjenige, der gerecht macht. Als Antwort auf Gottes freie, souveräne und gnädige rettende Tat können die Menschen durch den Glauben gerechtfertigt werden.
Viele der Ausführungen des Paulus im Römerbrief finden in früheren Paulusbriefen, insbesondere dem Galaterbrief und den Korintherbriefen, ihre Vorläufer. Aber in keinem Brief ist die Problematik von Sünde und Rechtfertigung so ausführlich dargestellt wie hier.
Alle Menschen sind Sünder
Zu Beginn seines Briefes (1,18 - 3,20) stellt Paulus dar, dass alle Menschen Sünder sind. Zwar wüssten die Heiden nicht vom Gesetz, sie hätten aber Gott aus seiner Schöpfung als Schöpfer erkennen und verehren müssen. Da sie das nicht taten, sondern stattdessen Kreaturen als Götzen verehrten, „hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, sodass sie tun, was nicht recht ist“ (1,28 LUT). Aber auch die Juden sündigten, obwohl sie das Gesetz als Maßstab für gottgefälliges Handeln hatten. So stellt Paulus fest, dass „kein Mensch durch die Werke des Gesetzes vor Gott gerecht sein kann. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (3,20 LUT).
5,12-21 LUT und 7,7-25 LUT weitet Paulus das Thema der Sünde weiter aus. Die Sünde wird als Macht personifiziert, der der Mensch unterworfen ist. Paulus spricht ihn damit jedoch nicht von persönlicher Verantwortung frei. Er entwirft auch nicht die These einer Erbsünde, sondern leitet die Sünde aus dem ersten Sündigen her.[5]
Rechtfertigung allein aus Glauben
Stattdessen kommt die Gerechtigkeit vor Gott allein von Gott selbst, und zwar allein aus dem Glauben an seinen Sohn Jesus Christus. Als Beispiel für die Möglichkeit, ohne das Gesetz Gerechtigkeit zu erlangen, nennt Paulus im Kapitel 4 Abraham, den Stammvater des jüdischen Volks. Er vertraute entgegen dem äußeren Anschein Gottes Zusage, dass er Vater vieler Völker werden solle (Gen 17,5 EU), und erlangte so die Verheißung. Die Beschneidung sei nicht Ursache der ihm von Gott zugesprochenen Gerechtigkeit, sondern nur äußeres Zeichen von Abrahams Bund mit Gott. Genauso sollen die Christen glauben, dass Jesus zur Vergebung ihrer Sünden gestorben und auferstanden ist, und um dieses Glaubens willen Gerechtigkeit bei Gott erlangen (4,22-23 LUT). Deshalb bezeichnet Paulus Abraham als den Vater aller Gläubigen, sowohl der Juden als auch der Griechen.
In 5,12-21 LUT stellt Paulus Adam und Jesus Christus als Antitypen einander gegenüber: Wie durch den Ungehorsam eines einzigen, nämlich Adams, der im Garten Eden die verbotene Frucht nahm, der Tod über alle Menschen kam, so befreit der Gehorsam eines einzigen, Jesus Christus, alle Menschen von der Macht der Sünde.
Durch die Taufe stirbt der, der an Jesus glaubt, mit Jesus und ist damit der Macht der Sünde entzogen (6,3-11 LUT). Er lebt in Jesus Christus und ist frei vom Gesetz (7,6 LUT). Er hat also den Herrschaftsbereich gewechselt und steht nicht mehr unter Gesetz und Tod, sondern unter der Gnade. Der Heilige Geist, der im Christen ist (8,1-17 LUT), soll jetzt sein Leben bestimmen. Wie die christliche Lebensführung konkret aussieht, beschreibt Paulus in den Kapiteln 12 bis 15. Im Zentrum steht dabei das Gebot der Nächstenliebe (13,8-10 LUT). Diese christliche Ethik hat Jesus schon in seiner Bergpredigt dargestellt.
Luther hat später diese Theorie der Rechtfertigung von Paulus aufgegriffen. Die Rechtfertigungslehre Luthers enthält dabei die drei Punkte sola gratia (allein aus Gnade), sola fide (allein aus Glaube) und sola scriptura (allein aus der Schrift). Während Paulus in seinem Römerbrief nur von ersteren spricht, hat Luther die Schrift in seine Rechtfertigungslehre aufgenommen, was durch die Umstände der damaligen Zeit begründet war. Das Lesen der Bibel war zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert nur Klerikern möglich. Das einfache Volk dagegen konnte die vom Klerus propagierte Auslegung der Bibel nicht hinterfragen. Für Luther war es deshalb wichtig, dass jeder Mensch die Bibel selbst lesen können sollte, um für sich selbst zu erfahren, wie er vor Gott gerecht werden könne. Grundlage für Luthers Rechtfertigungslehre war aber weiterhin der Brief des Paulus an die Christen in Rom.
Die Rolle des Volks Israel und das Miteinander von Juden- und Heidenchristen
Ein Aspekt des Römerbriefs, der vor allem in der Zeit nach dem Holocaust herausgestellt wird und den ganzen Brief durchzieht,[6] ist das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft in den frühen christlichen Gemeinden. Ein Teil der aus dem Judentum stammenden Christen verlangte, dass auch diejenigen Christen, die zuvor Heiden gewesen waren, sich beschneiden ließen und die jüdischen Lebensweise befolgten, also den Sabbat und die Speisegesetze beachteten. Paulus legt nun dar, dass Juden und Heiden gleichermaßen Sünder seien, die Gott durch Jesu Tod und Auferstehung gerettet habe. Daher sei das Halten dieser Gebote soteriologisch irrelevant. Zwar gelte die Torah für die Juden als Maßstab gottgefälligen Lebens, sie schütze aber nicht vor der Sünde (3,19-20 EU; 7,23 EU).[7]
Vor allem die Kapitel 9-11 behandeln die Rolle derjenigen Juden, die nicht an Jesus als den Messias und an seine Auferstehung glauben. Paulus, selbst ein „Israelit, vom Geschlecht Abrahams, aus dem Stamm Benjamin“ (11,1 LUT), betont, dass Israels Erwählung, der Bund, den Gott mit Abraham geschlossen hat, und die Torah weiterhin und unwiderruflich gültig seien (9,4-13 EU). Gott habe nur einen Teil der Juden verstockt, um auf diese Weise den Heiden die Möglichkeit zu geben, von Jesus zu hören und zum Glauben zu finden (11,11. 25-32). Erst dann werde auch Israel gerettet. In der Auslegung dieses Textes besteht ein Widerspruch zwischen der verbreiteten traditionellen Ansicht, dass nur ein Rest von Israel, nämlich die Juden, die sich zu Jesus als dem Messias bekennen, gemeint seien,[8] und der von der neueren Forschung vertretenen Meinung, dass ganz Israel gerettet würde. Laut Klaus Wengst soll dies unabhängig vom Bekenntnis zu Jesus Christus geschehen.[9] Andere wie Berndt Schaller vertreten die Ansicht, die Juden würden am Jüngsten Tag den wiederkommenden Jesus als Messias erkennen.[10]
Als Konsequenz aus der besonderen Rolle Israels in Gottes Plan fordert Paulus von Juden- und Heidenchristen in der Gemeinde gegenseitige Akzeptanz. Zwar nennt er die, die nicht wie er selbst ohne schlechtes Gewissen zusammen mit Menschen an einem Tisch sitzen können, die sich nicht an die jüdischen Speisegebote halten, schwach, verlangt aber von den sogenannten Starken, Rücksicht auf deren Gewissen zu nehmen (14,1 - 15,7). Das entsprach dem auf dem sogenannten Apostelkonzil zwischen Paulus auf der einen Seite und Petrus und dem Herrenbruder Jakobus auf der anderen Seite ausgehandelten Vergleich.
Gehorsam gegenüber der Staatsmacht
Ein besonders umstrittener Abschnitt des Römerbriefs ist 13,1-7 EU. Die Obrigkeit, mit der nicht allein der Herrscher, sondern auch seine Beamten etc. gemeint sind, erscheint darin als Dienerin Gottes zum Schutz der Guten und zur Bestrafung der Bösen. Jeder hat ihr zu gehorchen. Die Regierungsform oder die Legitimität der Herrschaft problematisiert Paulus dabei nicht. Der Text galt daher über Jahrhunderte als Rechtfertigung jeglicher Form von staatlicher Willkür.
Heutige Exegeten beziehen häufig die Zeitumstände der Abfassung des Römerbriefs mit ein. Möglicherweise habe Paulus angesichts der schwierigen politischen Lage nach der Vertreibung der Juden aus Rom zur Loyalität gegenüber dem römischen Staat aufgerufen.[11] Schließlich sei die junge christliche Gemeinde schutzbedürftig gewesen.[12]
Wirkungsgeschichte
Der Römerbrief hatte eine kirchengeschichtliche Wirkung wie kein anderes biblisches Buch. Der erste, allerdings - außer einigen griechischen Fragmenten - nur in einer von Rufinus in Latein übersetzten und gekürzten Fassung, erhaltene Kommentar zum Römerbrief stammt von Origenes. Darin widerlegt er u.a. die Lehren des Marcion, der Paulus als Gegner jeglichen Gesetzes sieht. Origenes dagegen betont die Kontinuität von Altem und Neuem Testament. Im Mittelpunkt seiner Auslegung steht der Dialog zwischen Juden und Christen.[13] Das Leben im Geist bewährt sich für Origenes im Abtöten des irdischen Leibs durch die Askese.
Augustinus von Hippo wurde durch die Lektüre von 13,13-14 EU zum Christentum bekehrt.[14] Aus 5,12 EU entwickelte er die Lehre von der Erbsünde, die für die katholische Kirche entscheidend werden sollte. In der Auseinandersetzung mit Pelagius begründete er aus dem Römerbrief die Polarität von Gnade und Gesetz.
Seine größte Wirkung entfaltete der Römerbrief jedoch erst in der Reformationszeit. So hatte Martin Luther während der Lektüre des Römerbriefs, genauer: beim Studium von 1,16+17 LUT, die Erkenntnis, dass allein Gottes Gnade und nicht die guten Werke den Menschen vor Gott gerecht sein lässt, was später zentrales Element der Reformation wurde. Er fand im Römerbrief die zentralen Elemente und Gedanken des Christentums zusammengefasst und schätzte den Brief als so zentral ein, dass man, selbst wenn man noch kein anderes biblisches Buch kenne, bereits Christus gezeigt bekomme und alles erfahre, was wichtig ist. Philipp Melanchthon nannte ihn das compendium theologiae christianae, die Zusammenfassung der christlichen Theologie. Ähnlich wertete auch Calvin. In den folgenden Jahrhunderten herrschte in den protestantischen Kirchen ein dogmatisch-lehrhaftes Verständnis des Römerbriefs vor.
John Wesley, einer der Mitbegründer des Methodismus, erlebte eine innere Bekehrung durch Luthers Vorrede zum Römerbrief. Theologen des 20. Jahrhunderts wie z. B. Karl Barth sowie die Theologie im 20. Jahrhundert wurden durch den Römerbrief geprägt.
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