Der Röhm-Putsch
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Der Röhm-Putsch
Als Röhm-Putsch bezeichnete die nationalsozialistische Propaganda die Ereignisse von Ende Juni/Anfang Juli 1934 um die Ermordung Ernst Röhms, des Stabschefs der SA, und weiterer SA-Funktionäre sowie anderer von der nationalsozialistischen Führung als feindlich eingeschätzter Personen. Zu den vermutlich etwa 90 Toten gehörten neben Ernst Röhm und der SA-Führung auch weitere bekannte Persönlichkeiten, wie z. B. Kurt von Schleicher, Hitlers Amtsvorgänger als Reichskanzler. Daneben gab es aufgrund von Verwechslungen auch Zufallsopfer.
Die vor allem auf Betreiben von Hitler und Hermann Göring lange vorbereitete „Säuberungswelle“ wurde durch Kommandos der SS mit Unterstützung der Gestapo und der Reichswehr durchgeführt. Zu Grunde lagen dem Blutbad NS-interne ideologische Differenzen und machtpolitische Spannungen zwischen der SA und Teilen der NSDAP, auf deren Seite Hitler stand.
Begriff
Neben dem von der NS-Propaganda verbreiteten Begriff Röhm-Putsch war ursprünglich der Ausdruck Röhm-Revolte vorherrschend. Die Morde wurden also als präventive Maßnahme gegen einen angeblich unmittelbar bevorstehenden Putsch Röhms dargestellt. Auf diese Weise sollte ihnen der Schein einer gewissen Legitimation verschafft werden. Obwohl es Putsch-Pläne tatsächlich nicht gab, hat sich bisher in der deutschen Geschichtswissenschaft der damalige Propaganda-Begriff „Röhm-Putsch“ gehalten.[1] Alternativen sind Juni-Morde oder Ausschaltung der SA. Kritisch-wertend waren die zeitgenössischen Bezeichnungen Nacht der langen Messer und deutsche Bartholomäusnacht.
Vorgeschichte
Die SA hatte wesentlich zur Machtergreifung beigetragen. Noch am 31. Dezember 1933 dankte Hitler Röhm in einem besonders herzlichen Schreiben für dessen „unvergängliche(n) Dienste“ und versicherte ihm für das neue Jahr seine Freundschaft. Röhm konnte sich zum Ärger Görings und Goebbels als zweiter Mann im Staate sehen und kam in den Genuss (wahrscheinlich von ihm selbst erzwungener) öffentlicher Bevorzugungen in der Umgebung Hitlers. Röhm soll auch umfangreiche Machtansprüche – so die Ernennung zum Kriegsminister – an Hitler herangetragen und diesen auch mit kompromittierenden Informationen erpresst haben. Aber der Status der SA zur NSDAP und die „Deutungshoheit“ über die nationalsozialistische Bewegung blieben zunächst ungeklärt. Während Röhm und die SA-Führung die SA als eigentliche Trägerin der Bewegung sahen, wollten die NSDAP-Oberen dieser nur die Stellung einer Ordnungstruppe der Partei zugestehen. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 verschärften sich die Spannungen. Zum einen kamen die wahllosen Ausschreitungen der SA der Herrschaftssicherung durch die NSDAP nicht zugute, zum anderen wollte die SA mittelfristig die Reichswehr beerben. Gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 umfasste die Reichswehr 100.000 Mann. Die SA hatte rund vier Millionen Mitglieder. Außerdem legte die SA-Führung großen Wert auf den sozialistischen Aspekt und wollte einen Umbau der Gesellschaft sowie Enteignungen nach dem 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920.
Ernst Röhm (rechts) mit Kurt Daluege und Heinrich Himmler im August 1933
Röhm verfolgte weitreichende politische Ziele. So erschien im Januar 1934 in den Nationalsozialistischen Monatsheften und im Völkischen Beobachter ein Beitrag Röhms, in dem er verkündete, das Ziel der nationalsozialistischen Revolution sei noch nicht erreicht. SA und SS würden, wenn es sein müsse, sterben für die Idee des Hakenkreuzes.
In derselben Ausgabe der Nationalsozialistischen Monatshefte erschien aber auch ein Beitrag von Rudolf Heß, in dem er erklärte, für SA und andere Teilorganisationen bestehe nicht die geringste Notwendigkeit, ein Eigendasein zu führen. Zu dieser Zeit erhielt der Chef des preußischen Geheimen Staatspolizeiamtes, Rudolf Diels, den Auftrag, Material gegen die SA zu sammeln. Nachdem Röhm am 1. Februar 1934 dem Reichswehrminister Werner von Blomberg eine Denkschrift übersandt hatte, wonach die künftige Funktion der Reichswehr auf ein reines Ausbildungsheer beschränkt sein solle, stellte Blomberg bei einer Befehlshaberbesprechung fest, der Versuch einer Einigung mit der SA sei gescheitert. Auch Reichswehrdienststellen erhielten nun den Auftrag, Material gegen die SA zu sammeln.
Hitler wies in einer Ansprache vor Gauleitern am 2. Februar 1934 in Berlin die Darstellung Röhms zurück, die Revolution sei noch nicht beendet. Hitler war für seine Kriegspläne angewiesen auf die Unterstützung der Wirtschaft und die der Reichswehr, welcher er das Waffenmonopol zugesichert hatte. Daher wollte er den Ruf des Straßenkämpfers ablegen. Dies stand in Konflikt zum Willen Röhms, die SA in eine reguläre Armee umzuwandeln. Am 28. Februar gab Hitler vor den Spitzen von SA und Wehrmacht bekannt, für seine Pläne sei eine Miliz ungeeignet, es komme nur eine Wehrmacht mit allgemeiner Wehrpflicht in Frage. Hauptauftrag für die Sturmabteilungen sei die politische Erziehungsarbeit. So warnte er die SA ausdrücklich, ihm in dieser Frage Schwierigkeiten zu machen.
Zwar unterzeichneten Blomberg und Röhm anschließend ein Abkommen, in dem die ungeteilte Verantwortung der Reichswehr für alle Fragen der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung festgelegt wurde, Röhm aber kritisierte bei einer Zusammenkunft mit SA-Führern diese Zurücksetzung der SA, was Obergruppenführer Viktor Lutze Heß hinterbrachte. Anschließend wurde Lutze von Hitler auf dem Berghof zu einer mehrstündigen Unterredung empfangen.
Von der SS wurden unbegründete Gerüchte über einen Putsch durch Röhm sowie über dessen homosexuelle Neigungen verbreitet, letzteres zu dieser Zeit ein schwerer Makel und Straftatbestand (§ 175), der Hitler allerdings davor nicht gestört hatte. („Die Partei ist kein Internat für höhere Töchter, sondern eine Kampforganisation.“) Die Homosexualität Röhms war sogar ein offenes Geheimnis, unter anderem durch die Zeitung „Der gerade Weg“ von Fritz Gerlich hervorgehoben. Hitler spielte nach Röhms Ermordung gleichwohl Entsetzen über die dann verbreitete Information über Röhms Homosexualität vor.
Im April 1934 startete die Reichswehr eine Wehrpropaganda-Kampagne, in der die Armee zum alleinigen Waffenträger der Nation erklärt wurde. Im Mai wurden die militärischen Dienststellen erneut angewiesen, über Verstöße der SA gegen die im Februar abgeschlossene Vereinbarung zu berichten.
SA-Marschübung, Mai 1932
Indessen hielt Röhm weiterhin Reden, in denen er die SA und die nationalsozialistische Revolution in den Mittelpunkt stellte. Er veranstaltete im Frühjahr 1934 großangelegte Geländeübungen und Mobilmachungen. Im Mai erging eine Anweisung Röhms, Berichte zum Thema Feindseligkeiten gegen die SA zu sammeln.
Am 11. Mai 1934 startete Goebbels eine seit Wochen vorbereitete „Kampagne gegen Miesmacher und Nörgler“, die er im Juni beträchtlich ausweitete. Noch am 11. Mai des Jahres verteidigte er dabei aber ausdrücklich die SA.
Am 4. Juni 1934 kam es zu einer rund fünf Stunden dauernden Aussprache zwischen Hitler und Röhm, woraufhin Röhm wegen eines rheumatischen Leidens eine Kur in Bad Wiessee antrat und am 8. Juni einen generellen Urlaub der SA für Juli verfügte.
Letzter Auslöser für die folgende sich über mehrere Tage hinweg erstreckende gezielte Ermordung zahlreicher Menschen war möglicherweise die Marburger Rede des Vizekanzlers Franz von Papen am 17. Juni 1934 an der Universität Marburg. Papen wandte sich gegen die rigide Presselenkung, gegen die Vorherrschaft einer einzigen Partei und ganz besonders gegen die Befürworter einer zweiten nationalsozialistischen Revolution.
Am selben Tag drohte Hitler auf einer Kundgebung des thüringischen NSDAP-Gaus in Gera, die „geballte Faust der Nation“ werde jeden niederschmettern, der es wage, auch nur den leisesten Versuch einer Sabotage zu unternehmen. Die Verbreitung von Papens Rede wurde durch Goebbels unterdrückt; das Bemühen Papens, deshalb mit Reichspräsident Paul von Hindenburg zu sprechen, konnte Hitler hinauszögern.
Am 21. Juni 1934 suchte Hitler Hindenburg auf Gut Neudeck auf. Sowohl der dort anwesende Blomberg als auch der kranke Hindenburg selbst forderten ihn auf, endlich etwas gegen die revolutionären Unruhestifter zu unternehmen, sonst werde das Kriegsrecht verhängt werden müssen. Am 22. Juni rief Hitler den ihm ergebenen Viktor Lutze an und befahl ihm, von jetzt an keine Befehle aus München mehr zu befolgen, sondern nur noch seine eigenen. Himmler eröffnete an diesem Tag dem Führer des SS-Oberabschnittes Mitte, Karl von Eberstein, dass Röhm mit der SA putschen wolle und er – v. Eberstein – deshalb seine SS-Verbände in stille Alarmbereitschaft versetzen und mit der Reichswehr Kontakt aufnehmen solle. Am 23. Juni informierte der Chef des Allgemeinen Waffenamtes der Reichswehr, Oberst Friedrich Fromm, seine Offiziere über Putschabsichten der SA. Die SS sei auf Seiten der Reichswehr, ihr könnten Waffen ausgehändigt werden.
In den folgenden 48 Stunden teilte Hitler Reichswehrminister Blomberg mit, er werde am 30. Juni 1934 persönlich eingreifen und mit den Putschisten abrechnen. Daraufhin setzte der Chef der Heeresleitung, General Werner von Fritsch, die gesamte Reichswehr in Alarmbereitschaft. Am 25. Juni sprach Rudolf Heß im Reichssender Köln und kritisierte „Provokateure“, die versuchten, Volksgenossen gegeneinander aufzuhetzen und dieses verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer zweiten Revolution zu bemänteln.
Ermordung Röhms
Um den 25. Juni 1934 wurden die SS- und SD-Führer nach Berlin berufen, wo ihnen Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich erklärten, eine Revolte der SA stehe unmittelbar bevor, weshalb Abwehrmaßnahmen vorbereitet werden müssten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde die Reichswehr über einen bevorstehenden Putsch informiert, woraufhin für SS und SD Waffen, Transportraum, Unterbringungsmöglichkeiten und Eingreifreserven bereitgestellt wurden. Papens Redenschreiber Edgar Jung wurde bereits zu dieser Zeit verhaftet (und in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli ermordet). Hitler, Göring und andere Spitzen des Regimes einigten sich schließlich auf eine „Reichsliste“ der zu Ermordenden und Festzunehmenden.
Am 27. Juni 1934 erschien der Kommandeur der SS-Leibstandarte, Sepp Dietrich, im Reichswehrministerium und erbat sich von dem zuständigen Stabsoffizier zusätzliche Waffen und Munition für einen geheimen und sehr wichtigen Auftrag des Führers, woraufhin alles Gewünschte zur Verfügung gestellt wurde. Am 28. Juni waren die technischen Vorbereitungen abgeschlossen. An diesem Tag wurde Röhm aus dem Verband der Deutschen Offiziere ausgestoßen, ohne dass er selbst oder die Öffentlichkeit etwas davon erfuhr. Hitler begab sich an diesem Tag mit Göring und Lutze nach Essen, um an der Hochzeit von Gauleiter Terboven teilzunehmen. Während der Feier traf die Nachricht ein, Hindenburg werde Papen voraussichtlich am 30. Juni empfangen, worauf sich Hitler sofort in sein Hotel bringen ließ.
Auf einen Anruf Himmlers hin, der meldete, die Berliner SA wolle in 48 Stunden losschlagen, flog Göring auf Weisung Hitlers zurück nach Berlin, um die hier vorgesehenen Aktionen einzuleiten. Röhms Adjutant erhielt telefonisch den Befehl, dafür zu sorgen, dass alle SA-Führer am späten Vormittag des 30. Juni bei einer Besprechung mit Hitler in Röhms Urlaubsort Bad Wiessee anwesend wären. Röhm selbst zeigte sich gegenüber seinem Adjutanten erfreut über diese Ankündigung. Am 29. Juni erschien im parteiamtlichen Völkischen Beobachter ein ungewöhnlicher Aufsatz Blombergs, in dem er versicherte, die Reichswehr stehe hinter dem Führer des Reiches Adolf Hitler. Am Vormittag besichtigte Hitler Arbeitsdienstlager, am Nachmittag des 29. Juni fuhr er nach Bad Godesberg und traf im Rheinhotel Dreesen mit Goebbels und gegen 20 Uhr mit SS-Obergruppenführer Sepp Dietrich zusammen, der zuvor von der Reichswehr Waffen organisiert hatte. Dietrich hatte nach München zu fliegen und sollte sich von dort telefonisch bei ihm zum Empfang weiterer Befehle melden. Gleichzeitig wurden 220 Mann der Leibstandarte mit der Bahn nach Oberbayern gebracht.
Goebbels, der eigentlich ein Vorgehen gegen die „Reaktion“ um Papen erwartet hatte, erfuhr jetzt, dass der Hauptschlag gegen Röhm und die SA geführt werden sollte. Hitler begründete ihm dies damit, es gebe Beweise, dass Röhm zum Zwecke des Hoch- und Landesverrats mit François-Poncet, Schleicher und Strasser konspiriere.
In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1934 randalierten in verschiedenen Teilen Deutschlands SA-Männer, denen Gerüchte über ein Vorgehen gegen die SA zu Ohren gekommen waren. In München zogen, aufgerufen durch anonyme Handzettel, in dieser Nacht etwa 3000 SA-Männer lautstark durch die Stadt. Es gelang jedoch Gauleiter Adolf Wagner, die Männer zu beruhigen. Die örtlichen SA-Befehlshaber August Schneidhuber und Wilhelm Schmid versicherten ihnen, die SA stehe rückhaltlos hinter dem Führer. Die Verfasser der Handzettel blieben unbekannt, möglicherweise handelte es sich um eine von Himmler, Heydrich oder Wagner selbst veranlasste Provokation.
Bereits um Mitternacht traf Sepp Dietrich in München ein. Er wurde telefonisch angewiesen, zwei Kompanien der Leibstandarte Adolf Hitler abzuholen und um spätestens elf Uhr in Bad Wiessee zu sein. Am 30. Juni 1934 gegen zwei Uhr morgens startete Hitlers Flugzeug vom Flugplatz Hangelar, gegen vier Uhr traf er in Begleitung von Goebbels und Lutze in München ein.
Er begab sich mit seinem Gefolge sofort in das dortige Innenministerium und bestellte die örtlichen SA-Befehlshaber Schneidhuber und Schmid zu sich. Hitler hielt ihnen die nächtliche Aktion der SA vor, bezichtigte sie des Verrates und degradierte sie eigenhändig, indem er ihnen die Schulterstücke herunterriss. Beide wurden auf der Stelle verhaftet und in das Gefängnis Stadelheim verbracht.
Gegen fünf Uhr verließ Hitler das Innenministerium und begab sich, ohne auf die Ankunft Dietrichs und seiner zwei Kompanien zu warten, in Begleitung von Goebbels und Lutze sowie ausgesuchten SS-Männern nach Bad Wiessee. Kurz nach halb sieben hielten die drei Wagen vor dem Hotel Hanselbauer.
Dazu Hitlers Fahrer Erich Kempka: „Mit der Peitsche in der Hand betrat Hitler das Schlafzimmer Röhms in der Pension „Hanselbauer“ in Bad Wiessee, hinter sich zwei Kriminalbeamte mit entsicherter Pistole. Er stieß die Worte hervor: ‚Röhm, du bist verhaftet!‘ Verschlafen blickte Röhm aus den Kissen seines Bettes und stammelte: ‚Heil, mein Führer!‘ ‚Du bist verhaftet!‘, brüllte Hitler zum zweiten Male, wandte sich um und ging aus dem Zimmer.“ So erging es auch den anderen SA-Führern. Nur Edmund Heines, Polizeipräsident in Breslau, der mit einem anderen Mann im Bett überrascht wurde, leistete Widerstand.
Als ein Lastwagen mit der schwerbewaffneten Stabswache der obersten SA-Führung erschien, entstand eine für Hitler kritische Situation. Es gelang Hitler jedoch, die Leibwache Röhms durch scharfe Befehle zum Abzug zu veranlassen, während ihr Chef Julius Uhl als Gefangener im Keller saß. Auf dem Rückweg kehrte die Wache zwischen Wiessee und Gmund wieder um, aber da war es bereits zu spät, denn man hatte die Gefangenen inzwischen in der Gegenrichtung über Rottach-Egern Richtung München abtransportiert.
Auf dem Münchner Hauptbahnhof wurden inzwischen die mit den Nachtschnellzügen aus allen Teilen Deutschlands zur anberaumten Konferenz angereisten SA-Führer von Beamten der bayerischen Politischen Polizei festgenommen, darunter Georg von Detten, Manfred von Killinger, Peter von Heydebreck, Fritz von Kraußer, Hans-Joachim von Falkenhausen, Hans Hayn und viele andere.
Ernst Röhm wurde zusammen mit der übrigen Führungsriege der SA am gleichen Tage ins Gefängnis in München-Stadelheim geschafft. Auf Befehl Hitlers wurden die verhafteten, auf der „Reichsliste“ angekreuzten SA-Führer Wilhelm Schmid, August Schneidhuber, Hans Hayn, Peter von Heydebreck, Hans Erwin von Spreti-Weilbach und Edmund Heines von einem Kommando unter Sepp Dietrich in Stadelheim erschossen. Bei Röhm hatte Hitler zunächst noch Skrupel. Röhm wurde dann aber doch am Sonntag, dem 1. Juli 1934 gegen 18 Uhr in Stadelheim auf Befehl Hitlers von Theodor Eicke und dem SS-Hauptsturmführer Michel Lippert aufgefordert, mit einer Pistole binnen zehn Minuten Selbstmord zu begehen. Als alles ruhig blieb, wies Eicke einen Vollzugsbeamten an, die Pistole aus der Zelle Röhms zu holen. Als Eicke und Lippert schießend in die Zelle eindrangen, stand Röhm mit über der Brust aufgerissenem Hemd in der Mitte der Zelle.[2][3] Eicke erschoss ihn.
Weitere Verhaftungen und Morde
Im Rahmen der Aktion wurden zahlreiche weitere SA-Angehörige und weitere als potentiell gefährlich angesehene oder sonstwie unliebsame Personen überall in Deutschland verhaftet. Zusätzlich zu jenen Personen, die nach ihrer Verhaftung erschossen wurden oder die gleich an Ort und Stelle getötet wurden, ohne dass man sich die Mühe machte sie zu verhaften, kamen gemäß den erhalten gebliebenen Verhaftungslisten 1124 Personen, die im Verlauf der Aktion in Schutzhaft genommen, aber nicht getötet wurden.[4]
Gegen zehn Uhr traf Hitler im Braunen Haus ein. Auf sein Zeichen hin rief Goebbels in Berlin an und gab das Stichwort „Kolibri“ durch. Daraufhin zogen die Kommandos los. Die in der „Reichsliste“ aufgeführten höheren SA-Führer wurden aufgegriffen und in der Lichterfelder Kadettenanstalt reihenweise erschossen. Dort starb auch der Berliner SA-Gruppenführer Karl Ernst, der in Bremen unmittelbar vor Antritt seiner Hochzeitsreise aufgegriffen wurde und bis zuletzt an einen Scherz glaubte.
Im Rahmen der Mordaktion wurden auch Oppositionelle aus Politik und Kirche verhaftet und erschossen, darunter
der ehemalige Reichskanzler General Kurt von Schleicher,
der ehemalige NSDAP-Organisationsleiter Gregor Strasser,
der ehemalige bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr,
General Ferdinand von Bredow und
Erich Klausener, Vorsitzender der Katholischen Aktion im Bistum Berlin.
Die wenigsten dieser so Ermordeten hatten enge politische oder persönliche Verbindungen zu Ernst Röhm. Vielfach wurden auch alte Gegner, Kritiker und Mitwisser ermordet, so etwa Kahr, der Hitler beim Putsch 1923 die Unterstützung versagt hatte, oder Schleicher und Strasser.
Ermordet wurden auch
Herbert von Bose und Edgar Julius Jung, beides enge Mitarbeiter des Vizekanzlers Franz von Papen, dessen politische Machtlosigkeit damit offenkundig wurde.
Außerdem kam es mehrfach „umständehalber“, wie sich hohe NS-Führer herausredeten, zur Ermordung Unbeteiligter wie der Ehefrau Schleichers oder des Musikkritikers Wilhelm Eduard Schmid in München. Dieser war von den Mördern mit dem SA-Führer Wilhelm Schmid verwechselt worden und wurde umgebracht. In Schlesien ließ bei der Aktion der SS-Führer Udo von Woyrsch neben Dutzenden von SA-Führern auch einige SS-Rivalen ermorden.
Ausgeführt wurden die Aktionen vor allem von der SS einschließlich des SD, unterstützt von der Gestapo, der Landespolizeigruppe „General Göring“ und der Reichswehr, die sich damit am Mord an ihren Generälen beteiligte.
Für die Hinterbliebenen der Ermordeten wurde ein von dem SS-General Franz Breithaupt verwalteter Sonderfonds eingerichtet, aus dem sie auf Staatskosten versorgt wurden. So erhielten die Witwen der getöteten SA-Führer je nach dem Dienstgrad des Ermordeten zwischen 1000 und 1600 Mark monatlich. Kurt von Schleichers Stieftochter bezog bis zu ihrem 21. Lebensjahr monatlich 250 Mark und Carl Hasso von Bredow, der Sohn des Generals von Bredow, erhielt eine monatliche Erziehungsbeihilfe von 150 Mark.[5]
Anzahl der Ermordeten
Die exakte Anzahl der im Zuge der Röhm-Affäre Ermordeten, der genaue Ablauf der Entscheidungsprozesse und Vorbereitungsmaßnahmen im Vorfeld der Aktion, der Ablauf vieler Verhaftungen und Exekutionen, die Personalien eines großen Teils der ausführenden Täter und viele weitere Einzelheiten sind bis heute nicht geklärt. Grund hierfür war, dass die NS-Regierung unmittelbar nach Ablauf damit begann, die Spuren der Aktion systematisch zu verwischen: Den die Erschießungen ausführenden Angehörigen der SS wurde ein ehrenwörtlicher Eid auferlegt, mit niemandem über die Aktion zu sprechen. Einige Quellen sprechen auch von der Androhung, dass jeder, der unerlaubt seine Kenntnisse an Dritte weitergeben würde, selbst erschossen würde. Hermann Göring ordnete die Verbrennung aller mit der Röhm-Affäre in Zusammenhang stehenden Akten an, nachdem Hitler am 1. Juli den Stopp der Mordaktion angeordnet hatte.
Den Justizstellen wurden Ermittlungen über die vom 30. Juni bis 2. Juli durchgeführten Mordtaten nur in Ausnahmefällen, so im Fall Kuno Kamphausen, gestattet. Grundlage für die Entscheidung, welche Mordtaten untersucht werden durften und welche nicht, war eine Anfang Juli 1934 von dem Kriminalkommissar Franz Josef Huber im Geheimen Staatspolizeiamt aufgrund der aus dem ganzen Reich einlaufenden Meldungen der untergeordneten Gestapo- und SD-Dienststellen zusammengestellte amtliche Todesliste mit 77 Namen. Nachdem Hitler diese Liste von Heinrich Himmler vorgelegt bekommen und sie gebilligt hatte, war die Ermordung aller auf ihr verzeichneten Personen der Justiz entzogen, die somit nur die Ermordung solcher Menschen untersuchten durfte, die nicht auf der 77er-Liste standen. Es ist davon auszugehen, dass die 77 Personen, die Hitler in seiner Reichstagsrede vom 13. Juli als die Gesamtzahl der Getöteten angab, mit den 77 Personen auf der von Huber erstellten Liste identisch sind.
Während des Reichsparteitags von 1934 konnte Himmler Hitler überzeugen, sechs weitere getötete Personen auf die Liste der amtlich gebilligten Morde zu setzen, die somit auf 83 Personen anwuchs.
In der deutschen Presse durften aufgrund der Vorgaben des Propagandaministeriums nur wenige Opfer namentlich bekannt werden: Dies waren die sechs im Gefängnis Stadelheim erschossenen SA-Führer, des Weiteren Ernst Röhm, der Gruppenführer Karl Ernst sowie der General Kurt von Schleicher und seine Frau. Durch die Veröffentlichung des Wortlauts von Hitlers Reichstagsrede vom 13. Juli wurde außerdem der Standartenführer Julius Uhl als getötet bekannt.
Die ausländische Presse, die sich in den folgenden Monaten bemühte, die tatsächliche Zahl der getöteten Personen zu eruieren, war aufgrund der Entfernung zu den Tatorten und der Schwierigkeit, aussagewillige Zeugen aus Deutschland zu finden, nur in der Lage, sehr vage Angaben zu liefern. Die internationalen Presseberichte aus den Wochen unmittelbar nach den Erschießungen präsentierten überaus hohe Opferzahlen, die von der späteren Forschung weitgehend verworfen wurden. Außerdem identifizierten sie zahlreiche Personen als getötet, deren Überleben später festgestellt werden konnte, so zum Beispiel Wolf-Heinrich von Helldorf, den Grafen Guttenberg und Walther Schotte. So bezifferte etwa der Manchester Guardian vom 26. Oktober 1934 die Zahl der getöteten Personen auf „etwa 1000“, während das Neue Wiener Journal sie mit „1184“ veranschlagte. Die Autoren des im Herbst 1934 in Paris veröffentlichten Weissbuchs über die Erschießungen vom 30. Juni 1934 behaupteten, Gewissheit zu besitzen, dass mehr als 1000 Personen während der Röhm-Affäre umgebracht worden seien, von denen sie allerdings nur 113 namentlich aufführen,[6] von denen ebenfalls einige später als definitiv nicht ermordet festgestellt werden konnten. Der Historiker Wolfgang Sauer nannte die im Ausland veröffentlichten hohen Opferzahlen in den 1950er Jahren Phantasterei. Unklar ist, inwieweit die verschiedenen überhöhten Opferzahlen, die im Ausland lanciert wurden, ehrliche Missverständnisse und Irrtümer waren oder ob es sich in einigen Fällen nicht um bewusste Falschangaben handelte, die aus politischen Gründen von NS-Gegnern zu Propagandazwecken mit dem Ziel in die Welt gesetzt wurden, die ohnehin bedenklichen Zustände im Deutschen Reich in der Wahrnehmung des Auslandes weiter zu dramatisieren, um so das Ausland in seiner Abscheu und Gegnerschaft zum NS-Regime zu bestärken.
Die Angaben zur Zahl der Getöteten in der wissenschaftlichen Forschung ist seit den 1950er Jahren sukzessive nach unten korrigiert worden: Hermann Mau schätzte die Zahl Anfang der 1950er Jahre noch auf 150 bis 230 Tote. Wolfgang Sauer ging dann 1960 „nur“ noch von einer Zahl von 150 bis 200 getöteter Personen aus.[7] Karl Martin Grass meinte 1968, dass, wie „eine genaue Analyse aller Fälle zeigt, […] die Zahl der Ermordeten bei 85“ lag.[8] Charles Bloch ging in seiner 1970 erschienenen Monographie über die Röhm-Affäre, wie Sauer 1960, von 150 bis 200 während der Aktion ermordeten Menschen aus.[9] Peter Longerich taxierte die Zahl der Opfer in seinem 1989 veröffentlichten Buch über die SA auf 191 ermordete Personen.[10] Otto Gritschneder konnte 1993 in seinem Buch „Der Führer hat sie zum Tode verurteilt...“ nach Überarbeitung der amtlichen Liste 90 ermordete Personen namentlich benennen.[11] Rainer Orth identifizierte 2012 neunundachtzig definitiv getötete Personen sowie zwei weitere potentielle Opfer (Heimsoth und Krause), deren Tötung im Rahmen der Röhm-Affäre nicht erwiesen sei. Von Gritschneders Liste strich er eine Person (Theodor Schmidt) als definitiv nicht getötet sowie zwei weitere als nicht entscheidbar, fügte aber zugleich zwei weitere Opfer (Mosert und Oppenheim) hinzu, die auf Gritschneders Liste noch gefehlt hatten. Unter Verweis auf die Akten des Finanzministeriums zur Hinterbliebenenversorgung der Angehörigen der Opfer, in denen keine weiteren Getöteten auftauchen, geht er von einer die Zahl der 89 identifizierten getöteten Personen nur marginal übersteigenden Dunkelziffer aus.[12]
In den meisten jüngeren Arbeiten, die das Thema am Rand und nicht als zentralen Betrachtungsgegenstand behandeln, so in Ian Kershaws Hitler-Biographie, wird die Zahl der Getöteten auf 85 bis 90 veranschlagt.
Siehe auch: Liste der im Zuge des Röhm-Putsches getöteten Personen
Weiter geht es in Teil 2
Die vor allem auf Betreiben von Hitler und Hermann Göring lange vorbereitete „Säuberungswelle“ wurde durch Kommandos der SS mit Unterstützung der Gestapo und der Reichswehr durchgeführt. Zu Grunde lagen dem Blutbad NS-interne ideologische Differenzen und machtpolitische Spannungen zwischen der SA und Teilen der NSDAP, auf deren Seite Hitler stand.
Begriff
Neben dem von der NS-Propaganda verbreiteten Begriff Röhm-Putsch war ursprünglich der Ausdruck Röhm-Revolte vorherrschend. Die Morde wurden also als präventive Maßnahme gegen einen angeblich unmittelbar bevorstehenden Putsch Röhms dargestellt. Auf diese Weise sollte ihnen der Schein einer gewissen Legitimation verschafft werden. Obwohl es Putsch-Pläne tatsächlich nicht gab, hat sich bisher in der deutschen Geschichtswissenschaft der damalige Propaganda-Begriff „Röhm-Putsch“ gehalten.[1] Alternativen sind Juni-Morde oder Ausschaltung der SA. Kritisch-wertend waren die zeitgenössischen Bezeichnungen Nacht der langen Messer und deutsche Bartholomäusnacht.
Vorgeschichte
Die SA hatte wesentlich zur Machtergreifung beigetragen. Noch am 31. Dezember 1933 dankte Hitler Röhm in einem besonders herzlichen Schreiben für dessen „unvergängliche(n) Dienste“ und versicherte ihm für das neue Jahr seine Freundschaft. Röhm konnte sich zum Ärger Görings und Goebbels als zweiter Mann im Staate sehen und kam in den Genuss (wahrscheinlich von ihm selbst erzwungener) öffentlicher Bevorzugungen in der Umgebung Hitlers. Röhm soll auch umfangreiche Machtansprüche – so die Ernennung zum Kriegsminister – an Hitler herangetragen und diesen auch mit kompromittierenden Informationen erpresst haben. Aber der Status der SA zur NSDAP und die „Deutungshoheit“ über die nationalsozialistische Bewegung blieben zunächst ungeklärt. Während Röhm und die SA-Führung die SA als eigentliche Trägerin der Bewegung sahen, wollten die NSDAP-Oberen dieser nur die Stellung einer Ordnungstruppe der Partei zugestehen. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 verschärften sich die Spannungen. Zum einen kamen die wahllosen Ausschreitungen der SA der Herrschaftssicherung durch die NSDAP nicht zugute, zum anderen wollte die SA mittelfristig die Reichswehr beerben. Gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 umfasste die Reichswehr 100.000 Mann. Die SA hatte rund vier Millionen Mitglieder. Außerdem legte die SA-Führung großen Wert auf den sozialistischen Aspekt und wollte einen Umbau der Gesellschaft sowie Enteignungen nach dem 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920.
Ernst Röhm (rechts) mit Kurt Daluege und Heinrich Himmler im August 1933
Röhm verfolgte weitreichende politische Ziele. So erschien im Januar 1934 in den Nationalsozialistischen Monatsheften und im Völkischen Beobachter ein Beitrag Röhms, in dem er verkündete, das Ziel der nationalsozialistischen Revolution sei noch nicht erreicht. SA und SS würden, wenn es sein müsse, sterben für die Idee des Hakenkreuzes.
In derselben Ausgabe der Nationalsozialistischen Monatshefte erschien aber auch ein Beitrag von Rudolf Heß, in dem er erklärte, für SA und andere Teilorganisationen bestehe nicht die geringste Notwendigkeit, ein Eigendasein zu führen. Zu dieser Zeit erhielt der Chef des preußischen Geheimen Staatspolizeiamtes, Rudolf Diels, den Auftrag, Material gegen die SA zu sammeln. Nachdem Röhm am 1. Februar 1934 dem Reichswehrminister Werner von Blomberg eine Denkschrift übersandt hatte, wonach die künftige Funktion der Reichswehr auf ein reines Ausbildungsheer beschränkt sein solle, stellte Blomberg bei einer Befehlshaberbesprechung fest, der Versuch einer Einigung mit der SA sei gescheitert. Auch Reichswehrdienststellen erhielten nun den Auftrag, Material gegen die SA zu sammeln.
Hitler wies in einer Ansprache vor Gauleitern am 2. Februar 1934 in Berlin die Darstellung Röhms zurück, die Revolution sei noch nicht beendet. Hitler war für seine Kriegspläne angewiesen auf die Unterstützung der Wirtschaft und die der Reichswehr, welcher er das Waffenmonopol zugesichert hatte. Daher wollte er den Ruf des Straßenkämpfers ablegen. Dies stand in Konflikt zum Willen Röhms, die SA in eine reguläre Armee umzuwandeln. Am 28. Februar gab Hitler vor den Spitzen von SA und Wehrmacht bekannt, für seine Pläne sei eine Miliz ungeeignet, es komme nur eine Wehrmacht mit allgemeiner Wehrpflicht in Frage. Hauptauftrag für die Sturmabteilungen sei die politische Erziehungsarbeit. So warnte er die SA ausdrücklich, ihm in dieser Frage Schwierigkeiten zu machen.
Zwar unterzeichneten Blomberg und Röhm anschließend ein Abkommen, in dem die ungeteilte Verantwortung der Reichswehr für alle Fragen der Kriegsvorbereitung und Kriegsführung festgelegt wurde, Röhm aber kritisierte bei einer Zusammenkunft mit SA-Führern diese Zurücksetzung der SA, was Obergruppenführer Viktor Lutze Heß hinterbrachte. Anschließend wurde Lutze von Hitler auf dem Berghof zu einer mehrstündigen Unterredung empfangen.
Von der SS wurden unbegründete Gerüchte über einen Putsch durch Röhm sowie über dessen homosexuelle Neigungen verbreitet, letzteres zu dieser Zeit ein schwerer Makel und Straftatbestand (§ 175), der Hitler allerdings davor nicht gestört hatte. („Die Partei ist kein Internat für höhere Töchter, sondern eine Kampforganisation.“) Die Homosexualität Röhms war sogar ein offenes Geheimnis, unter anderem durch die Zeitung „Der gerade Weg“ von Fritz Gerlich hervorgehoben. Hitler spielte nach Röhms Ermordung gleichwohl Entsetzen über die dann verbreitete Information über Röhms Homosexualität vor.
Im April 1934 startete die Reichswehr eine Wehrpropaganda-Kampagne, in der die Armee zum alleinigen Waffenträger der Nation erklärt wurde. Im Mai wurden die militärischen Dienststellen erneut angewiesen, über Verstöße der SA gegen die im Februar abgeschlossene Vereinbarung zu berichten.
SA-Marschübung, Mai 1932
Indessen hielt Röhm weiterhin Reden, in denen er die SA und die nationalsozialistische Revolution in den Mittelpunkt stellte. Er veranstaltete im Frühjahr 1934 großangelegte Geländeübungen und Mobilmachungen. Im Mai erging eine Anweisung Röhms, Berichte zum Thema Feindseligkeiten gegen die SA zu sammeln.
Am 11. Mai 1934 startete Goebbels eine seit Wochen vorbereitete „Kampagne gegen Miesmacher und Nörgler“, die er im Juni beträchtlich ausweitete. Noch am 11. Mai des Jahres verteidigte er dabei aber ausdrücklich die SA.
Am 4. Juni 1934 kam es zu einer rund fünf Stunden dauernden Aussprache zwischen Hitler und Röhm, woraufhin Röhm wegen eines rheumatischen Leidens eine Kur in Bad Wiessee antrat und am 8. Juni einen generellen Urlaub der SA für Juli verfügte.
Letzter Auslöser für die folgende sich über mehrere Tage hinweg erstreckende gezielte Ermordung zahlreicher Menschen war möglicherweise die Marburger Rede des Vizekanzlers Franz von Papen am 17. Juni 1934 an der Universität Marburg. Papen wandte sich gegen die rigide Presselenkung, gegen die Vorherrschaft einer einzigen Partei und ganz besonders gegen die Befürworter einer zweiten nationalsozialistischen Revolution.
Am selben Tag drohte Hitler auf einer Kundgebung des thüringischen NSDAP-Gaus in Gera, die „geballte Faust der Nation“ werde jeden niederschmettern, der es wage, auch nur den leisesten Versuch einer Sabotage zu unternehmen. Die Verbreitung von Papens Rede wurde durch Goebbels unterdrückt; das Bemühen Papens, deshalb mit Reichspräsident Paul von Hindenburg zu sprechen, konnte Hitler hinauszögern.
Am 21. Juni 1934 suchte Hitler Hindenburg auf Gut Neudeck auf. Sowohl der dort anwesende Blomberg als auch der kranke Hindenburg selbst forderten ihn auf, endlich etwas gegen die revolutionären Unruhestifter zu unternehmen, sonst werde das Kriegsrecht verhängt werden müssen. Am 22. Juni rief Hitler den ihm ergebenen Viktor Lutze an und befahl ihm, von jetzt an keine Befehle aus München mehr zu befolgen, sondern nur noch seine eigenen. Himmler eröffnete an diesem Tag dem Führer des SS-Oberabschnittes Mitte, Karl von Eberstein, dass Röhm mit der SA putschen wolle und er – v. Eberstein – deshalb seine SS-Verbände in stille Alarmbereitschaft versetzen und mit der Reichswehr Kontakt aufnehmen solle. Am 23. Juni informierte der Chef des Allgemeinen Waffenamtes der Reichswehr, Oberst Friedrich Fromm, seine Offiziere über Putschabsichten der SA. Die SS sei auf Seiten der Reichswehr, ihr könnten Waffen ausgehändigt werden.
In den folgenden 48 Stunden teilte Hitler Reichswehrminister Blomberg mit, er werde am 30. Juni 1934 persönlich eingreifen und mit den Putschisten abrechnen. Daraufhin setzte der Chef der Heeresleitung, General Werner von Fritsch, die gesamte Reichswehr in Alarmbereitschaft. Am 25. Juni sprach Rudolf Heß im Reichssender Köln und kritisierte „Provokateure“, die versuchten, Volksgenossen gegeneinander aufzuhetzen und dieses verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer zweiten Revolution zu bemänteln.
Ermordung Röhms
Um den 25. Juni 1934 wurden die SS- und SD-Führer nach Berlin berufen, wo ihnen Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich erklärten, eine Revolte der SA stehe unmittelbar bevor, weshalb Abwehrmaßnahmen vorbereitet werden müssten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde die Reichswehr über einen bevorstehenden Putsch informiert, woraufhin für SS und SD Waffen, Transportraum, Unterbringungsmöglichkeiten und Eingreifreserven bereitgestellt wurden. Papens Redenschreiber Edgar Jung wurde bereits zu dieser Zeit verhaftet (und in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli ermordet). Hitler, Göring und andere Spitzen des Regimes einigten sich schließlich auf eine „Reichsliste“ der zu Ermordenden und Festzunehmenden.
Am 27. Juni 1934 erschien der Kommandeur der SS-Leibstandarte, Sepp Dietrich, im Reichswehrministerium und erbat sich von dem zuständigen Stabsoffizier zusätzliche Waffen und Munition für einen geheimen und sehr wichtigen Auftrag des Führers, woraufhin alles Gewünschte zur Verfügung gestellt wurde. Am 28. Juni waren die technischen Vorbereitungen abgeschlossen. An diesem Tag wurde Röhm aus dem Verband der Deutschen Offiziere ausgestoßen, ohne dass er selbst oder die Öffentlichkeit etwas davon erfuhr. Hitler begab sich an diesem Tag mit Göring und Lutze nach Essen, um an der Hochzeit von Gauleiter Terboven teilzunehmen. Während der Feier traf die Nachricht ein, Hindenburg werde Papen voraussichtlich am 30. Juni empfangen, worauf sich Hitler sofort in sein Hotel bringen ließ.
Auf einen Anruf Himmlers hin, der meldete, die Berliner SA wolle in 48 Stunden losschlagen, flog Göring auf Weisung Hitlers zurück nach Berlin, um die hier vorgesehenen Aktionen einzuleiten. Röhms Adjutant erhielt telefonisch den Befehl, dafür zu sorgen, dass alle SA-Führer am späten Vormittag des 30. Juni bei einer Besprechung mit Hitler in Röhms Urlaubsort Bad Wiessee anwesend wären. Röhm selbst zeigte sich gegenüber seinem Adjutanten erfreut über diese Ankündigung. Am 29. Juni erschien im parteiamtlichen Völkischen Beobachter ein ungewöhnlicher Aufsatz Blombergs, in dem er versicherte, die Reichswehr stehe hinter dem Führer des Reiches Adolf Hitler. Am Vormittag besichtigte Hitler Arbeitsdienstlager, am Nachmittag des 29. Juni fuhr er nach Bad Godesberg und traf im Rheinhotel Dreesen mit Goebbels und gegen 20 Uhr mit SS-Obergruppenführer Sepp Dietrich zusammen, der zuvor von der Reichswehr Waffen organisiert hatte. Dietrich hatte nach München zu fliegen und sollte sich von dort telefonisch bei ihm zum Empfang weiterer Befehle melden. Gleichzeitig wurden 220 Mann der Leibstandarte mit der Bahn nach Oberbayern gebracht.
Goebbels, der eigentlich ein Vorgehen gegen die „Reaktion“ um Papen erwartet hatte, erfuhr jetzt, dass der Hauptschlag gegen Röhm und die SA geführt werden sollte. Hitler begründete ihm dies damit, es gebe Beweise, dass Röhm zum Zwecke des Hoch- und Landesverrats mit François-Poncet, Schleicher und Strasser konspiriere.
In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1934 randalierten in verschiedenen Teilen Deutschlands SA-Männer, denen Gerüchte über ein Vorgehen gegen die SA zu Ohren gekommen waren. In München zogen, aufgerufen durch anonyme Handzettel, in dieser Nacht etwa 3000 SA-Männer lautstark durch die Stadt. Es gelang jedoch Gauleiter Adolf Wagner, die Männer zu beruhigen. Die örtlichen SA-Befehlshaber August Schneidhuber und Wilhelm Schmid versicherten ihnen, die SA stehe rückhaltlos hinter dem Führer. Die Verfasser der Handzettel blieben unbekannt, möglicherweise handelte es sich um eine von Himmler, Heydrich oder Wagner selbst veranlasste Provokation.
Bereits um Mitternacht traf Sepp Dietrich in München ein. Er wurde telefonisch angewiesen, zwei Kompanien der Leibstandarte Adolf Hitler abzuholen und um spätestens elf Uhr in Bad Wiessee zu sein. Am 30. Juni 1934 gegen zwei Uhr morgens startete Hitlers Flugzeug vom Flugplatz Hangelar, gegen vier Uhr traf er in Begleitung von Goebbels und Lutze in München ein.
Er begab sich mit seinem Gefolge sofort in das dortige Innenministerium und bestellte die örtlichen SA-Befehlshaber Schneidhuber und Schmid zu sich. Hitler hielt ihnen die nächtliche Aktion der SA vor, bezichtigte sie des Verrates und degradierte sie eigenhändig, indem er ihnen die Schulterstücke herunterriss. Beide wurden auf der Stelle verhaftet und in das Gefängnis Stadelheim verbracht.
Gegen fünf Uhr verließ Hitler das Innenministerium und begab sich, ohne auf die Ankunft Dietrichs und seiner zwei Kompanien zu warten, in Begleitung von Goebbels und Lutze sowie ausgesuchten SS-Männern nach Bad Wiessee. Kurz nach halb sieben hielten die drei Wagen vor dem Hotel Hanselbauer.
Dazu Hitlers Fahrer Erich Kempka: „Mit der Peitsche in der Hand betrat Hitler das Schlafzimmer Röhms in der Pension „Hanselbauer“ in Bad Wiessee, hinter sich zwei Kriminalbeamte mit entsicherter Pistole. Er stieß die Worte hervor: ‚Röhm, du bist verhaftet!‘ Verschlafen blickte Röhm aus den Kissen seines Bettes und stammelte: ‚Heil, mein Führer!‘ ‚Du bist verhaftet!‘, brüllte Hitler zum zweiten Male, wandte sich um und ging aus dem Zimmer.“ So erging es auch den anderen SA-Führern. Nur Edmund Heines, Polizeipräsident in Breslau, der mit einem anderen Mann im Bett überrascht wurde, leistete Widerstand.
Als ein Lastwagen mit der schwerbewaffneten Stabswache der obersten SA-Führung erschien, entstand eine für Hitler kritische Situation. Es gelang Hitler jedoch, die Leibwache Röhms durch scharfe Befehle zum Abzug zu veranlassen, während ihr Chef Julius Uhl als Gefangener im Keller saß. Auf dem Rückweg kehrte die Wache zwischen Wiessee und Gmund wieder um, aber da war es bereits zu spät, denn man hatte die Gefangenen inzwischen in der Gegenrichtung über Rottach-Egern Richtung München abtransportiert.
Auf dem Münchner Hauptbahnhof wurden inzwischen die mit den Nachtschnellzügen aus allen Teilen Deutschlands zur anberaumten Konferenz angereisten SA-Führer von Beamten der bayerischen Politischen Polizei festgenommen, darunter Georg von Detten, Manfred von Killinger, Peter von Heydebreck, Fritz von Kraußer, Hans-Joachim von Falkenhausen, Hans Hayn und viele andere.
Ernst Röhm wurde zusammen mit der übrigen Führungsriege der SA am gleichen Tage ins Gefängnis in München-Stadelheim geschafft. Auf Befehl Hitlers wurden die verhafteten, auf der „Reichsliste“ angekreuzten SA-Führer Wilhelm Schmid, August Schneidhuber, Hans Hayn, Peter von Heydebreck, Hans Erwin von Spreti-Weilbach und Edmund Heines von einem Kommando unter Sepp Dietrich in Stadelheim erschossen. Bei Röhm hatte Hitler zunächst noch Skrupel. Röhm wurde dann aber doch am Sonntag, dem 1. Juli 1934 gegen 18 Uhr in Stadelheim auf Befehl Hitlers von Theodor Eicke und dem SS-Hauptsturmführer Michel Lippert aufgefordert, mit einer Pistole binnen zehn Minuten Selbstmord zu begehen. Als alles ruhig blieb, wies Eicke einen Vollzugsbeamten an, die Pistole aus der Zelle Röhms zu holen. Als Eicke und Lippert schießend in die Zelle eindrangen, stand Röhm mit über der Brust aufgerissenem Hemd in der Mitte der Zelle.[2][3] Eicke erschoss ihn.
Weitere Verhaftungen und Morde
Im Rahmen der Aktion wurden zahlreiche weitere SA-Angehörige und weitere als potentiell gefährlich angesehene oder sonstwie unliebsame Personen überall in Deutschland verhaftet. Zusätzlich zu jenen Personen, die nach ihrer Verhaftung erschossen wurden oder die gleich an Ort und Stelle getötet wurden, ohne dass man sich die Mühe machte sie zu verhaften, kamen gemäß den erhalten gebliebenen Verhaftungslisten 1124 Personen, die im Verlauf der Aktion in Schutzhaft genommen, aber nicht getötet wurden.[4]
Gegen zehn Uhr traf Hitler im Braunen Haus ein. Auf sein Zeichen hin rief Goebbels in Berlin an und gab das Stichwort „Kolibri“ durch. Daraufhin zogen die Kommandos los. Die in der „Reichsliste“ aufgeführten höheren SA-Führer wurden aufgegriffen und in der Lichterfelder Kadettenanstalt reihenweise erschossen. Dort starb auch der Berliner SA-Gruppenführer Karl Ernst, der in Bremen unmittelbar vor Antritt seiner Hochzeitsreise aufgegriffen wurde und bis zuletzt an einen Scherz glaubte.
Im Rahmen der Mordaktion wurden auch Oppositionelle aus Politik und Kirche verhaftet und erschossen, darunter
der ehemalige Reichskanzler General Kurt von Schleicher,
der ehemalige NSDAP-Organisationsleiter Gregor Strasser,
der ehemalige bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr,
General Ferdinand von Bredow und
Erich Klausener, Vorsitzender der Katholischen Aktion im Bistum Berlin.
Die wenigsten dieser so Ermordeten hatten enge politische oder persönliche Verbindungen zu Ernst Röhm. Vielfach wurden auch alte Gegner, Kritiker und Mitwisser ermordet, so etwa Kahr, der Hitler beim Putsch 1923 die Unterstützung versagt hatte, oder Schleicher und Strasser.
Ermordet wurden auch
Herbert von Bose und Edgar Julius Jung, beides enge Mitarbeiter des Vizekanzlers Franz von Papen, dessen politische Machtlosigkeit damit offenkundig wurde.
Außerdem kam es mehrfach „umständehalber“, wie sich hohe NS-Führer herausredeten, zur Ermordung Unbeteiligter wie der Ehefrau Schleichers oder des Musikkritikers Wilhelm Eduard Schmid in München. Dieser war von den Mördern mit dem SA-Führer Wilhelm Schmid verwechselt worden und wurde umgebracht. In Schlesien ließ bei der Aktion der SS-Führer Udo von Woyrsch neben Dutzenden von SA-Führern auch einige SS-Rivalen ermorden.
Ausgeführt wurden die Aktionen vor allem von der SS einschließlich des SD, unterstützt von der Gestapo, der Landespolizeigruppe „General Göring“ und der Reichswehr, die sich damit am Mord an ihren Generälen beteiligte.
Für die Hinterbliebenen der Ermordeten wurde ein von dem SS-General Franz Breithaupt verwalteter Sonderfonds eingerichtet, aus dem sie auf Staatskosten versorgt wurden. So erhielten die Witwen der getöteten SA-Führer je nach dem Dienstgrad des Ermordeten zwischen 1000 und 1600 Mark monatlich. Kurt von Schleichers Stieftochter bezog bis zu ihrem 21. Lebensjahr monatlich 250 Mark und Carl Hasso von Bredow, der Sohn des Generals von Bredow, erhielt eine monatliche Erziehungsbeihilfe von 150 Mark.[5]
Anzahl der Ermordeten
Die exakte Anzahl der im Zuge der Röhm-Affäre Ermordeten, der genaue Ablauf der Entscheidungsprozesse und Vorbereitungsmaßnahmen im Vorfeld der Aktion, der Ablauf vieler Verhaftungen und Exekutionen, die Personalien eines großen Teils der ausführenden Täter und viele weitere Einzelheiten sind bis heute nicht geklärt. Grund hierfür war, dass die NS-Regierung unmittelbar nach Ablauf damit begann, die Spuren der Aktion systematisch zu verwischen: Den die Erschießungen ausführenden Angehörigen der SS wurde ein ehrenwörtlicher Eid auferlegt, mit niemandem über die Aktion zu sprechen. Einige Quellen sprechen auch von der Androhung, dass jeder, der unerlaubt seine Kenntnisse an Dritte weitergeben würde, selbst erschossen würde. Hermann Göring ordnete die Verbrennung aller mit der Röhm-Affäre in Zusammenhang stehenden Akten an, nachdem Hitler am 1. Juli den Stopp der Mordaktion angeordnet hatte.
Den Justizstellen wurden Ermittlungen über die vom 30. Juni bis 2. Juli durchgeführten Mordtaten nur in Ausnahmefällen, so im Fall Kuno Kamphausen, gestattet. Grundlage für die Entscheidung, welche Mordtaten untersucht werden durften und welche nicht, war eine Anfang Juli 1934 von dem Kriminalkommissar Franz Josef Huber im Geheimen Staatspolizeiamt aufgrund der aus dem ganzen Reich einlaufenden Meldungen der untergeordneten Gestapo- und SD-Dienststellen zusammengestellte amtliche Todesliste mit 77 Namen. Nachdem Hitler diese Liste von Heinrich Himmler vorgelegt bekommen und sie gebilligt hatte, war die Ermordung aller auf ihr verzeichneten Personen der Justiz entzogen, die somit nur die Ermordung solcher Menschen untersuchten durfte, die nicht auf der 77er-Liste standen. Es ist davon auszugehen, dass die 77 Personen, die Hitler in seiner Reichstagsrede vom 13. Juli als die Gesamtzahl der Getöteten angab, mit den 77 Personen auf der von Huber erstellten Liste identisch sind.
Während des Reichsparteitags von 1934 konnte Himmler Hitler überzeugen, sechs weitere getötete Personen auf die Liste der amtlich gebilligten Morde zu setzen, die somit auf 83 Personen anwuchs.
In der deutschen Presse durften aufgrund der Vorgaben des Propagandaministeriums nur wenige Opfer namentlich bekannt werden: Dies waren die sechs im Gefängnis Stadelheim erschossenen SA-Führer, des Weiteren Ernst Röhm, der Gruppenführer Karl Ernst sowie der General Kurt von Schleicher und seine Frau. Durch die Veröffentlichung des Wortlauts von Hitlers Reichstagsrede vom 13. Juli wurde außerdem der Standartenführer Julius Uhl als getötet bekannt.
Die ausländische Presse, die sich in den folgenden Monaten bemühte, die tatsächliche Zahl der getöteten Personen zu eruieren, war aufgrund der Entfernung zu den Tatorten und der Schwierigkeit, aussagewillige Zeugen aus Deutschland zu finden, nur in der Lage, sehr vage Angaben zu liefern. Die internationalen Presseberichte aus den Wochen unmittelbar nach den Erschießungen präsentierten überaus hohe Opferzahlen, die von der späteren Forschung weitgehend verworfen wurden. Außerdem identifizierten sie zahlreiche Personen als getötet, deren Überleben später festgestellt werden konnte, so zum Beispiel Wolf-Heinrich von Helldorf, den Grafen Guttenberg und Walther Schotte. So bezifferte etwa der Manchester Guardian vom 26. Oktober 1934 die Zahl der getöteten Personen auf „etwa 1000“, während das Neue Wiener Journal sie mit „1184“ veranschlagte. Die Autoren des im Herbst 1934 in Paris veröffentlichten Weissbuchs über die Erschießungen vom 30. Juni 1934 behaupteten, Gewissheit zu besitzen, dass mehr als 1000 Personen während der Röhm-Affäre umgebracht worden seien, von denen sie allerdings nur 113 namentlich aufführen,[6] von denen ebenfalls einige später als definitiv nicht ermordet festgestellt werden konnten. Der Historiker Wolfgang Sauer nannte die im Ausland veröffentlichten hohen Opferzahlen in den 1950er Jahren Phantasterei. Unklar ist, inwieweit die verschiedenen überhöhten Opferzahlen, die im Ausland lanciert wurden, ehrliche Missverständnisse und Irrtümer waren oder ob es sich in einigen Fällen nicht um bewusste Falschangaben handelte, die aus politischen Gründen von NS-Gegnern zu Propagandazwecken mit dem Ziel in die Welt gesetzt wurden, die ohnehin bedenklichen Zustände im Deutschen Reich in der Wahrnehmung des Auslandes weiter zu dramatisieren, um so das Ausland in seiner Abscheu und Gegnerschaft zum NS-Regime zu bestärken.
Die Angaben zur Zahl der Getöteten in der wissenschaftlichen Forschung ist seit den 1950er Jahren sukzessive nach unten korrigiert worden: Hermann Mau schätzte die Zahl Anfang der 1950er Jahre noch auf 150 bis 230 Tote. Wolfgang Sauer ging dann 1960 „nur“ noch von einer Zahl von 150 bis 200 getöteter Personen aus.[7] Karl Martin Grass meinte 1968, dass, wie „eine genaue Analyse aller Fälle zeigt, […] die Zahl der Ermordeten bei 85“ lag.[8] Charles Bloch ging in seiner 1970 erschienenen Monographie über die Röhm-Affäre, wie Sauer 1960, von 150 bis 200 während der Aktion ermordeten Menschen aus.[9] Peter Longerich taxierte die Zahl der Opfer in seinem 1989 veröffentlichten Buch über die SA auf 191 ermordete Personen.[10] Otto Gritschneder konnte 1993 in seinem Buch „Der Führer hat sie zum Tode verurteilt...“ nach Überarbeitung der amtlichen Liste 90 ermordete Personen namentlich benennen.[11] Rainer Orth identifizierte 2012 neunundachtzig definitiv getötete Personen sowie zwei weitere potentielle Opfer (Heimsoth und Krause), deren Tötung im Rahmen der Röhm-Affäre nicht erwiesen sei. Von Gritschneders Liste strich er eine Person (Theodor Schmidt) als definitiv nicht getötet sowie zwei weitere als nicht entscheidbar, fügte aber zugleich zwei weitere Opfer (Mosert und Oppenheim) hinzu, die auf Gritschneders Liste noch gefehlt hatten. Unter Verweis auf die Akten des Finanzministeriums zur Hinterbliebenenversorgung der Angehörigen der Opfer, in denen keine weiteren Getöteten auftauchen, geht er von einer die Zahl der 89 identifizierten getöteten Personen nur marginal übersteigenden Dunkelziffer aus.[12]
In den meisten jüngeren Arbeiten, die das Thema am Rand und nicht als zentralen Betrachtungsgegenstand behandeln, so in Ian Kershaws Hitler-Biographie, wird die Zahl der Getöteten auf 85 bis 90 veranschlagt.
Siehe auch: Liste der im Zuge des Röhm-Putsches getöteten Personen
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Teil 2
Rechtfertigung und Konsequenzen
Nicht zuletzt durch den Umstand, dass die Opfer aus politisch unterschiedlichen Gruppen kamen, war die Öffentlichkeit verwirrt. Zudem war die Informationspolitik der Regierung darauf aus, die Umstände zu verschleiern. Hitler setzte auf die Wirkung der „sexuellen Denunziation“, die auf moralische Entrüstung statt auf politische Aufklärung setzt. Hitler gab an, durch „schwerste Verfehlungen“ Röhms gezwungen worden zu sein, ihn abzusetzen. Die nächste (von Hitler verfasste?) „Erklärung der Reichspressestelle der NSDAP“ nannte die „bekannte unglückliche Veranlagung“ Röhms als Ursache für „schwerste Belastungen“, denen der Führer ausgesetzt gewesen sei. Wem das nicht genügte, der sollte durch die Schilderung der Verhaftungsszenen sittlich entrüstet werden. Homosexualität als klassisches Muster sexueller Denunziation wurde in den weiteren Stellungnahmen zum Einsatz gebracht. „Die Durchführung der Verhaftung zeigte moralisch so traurige Bilder, dass jede Spur von Mitleid schwinden musste. Einige SA-Führer hatten sich Lustknaben mitgenommen. Einer wurde in der ekelhaftesten Situation aufgeschreckt und verhaftet.“[13]
Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934
In der offiziellen Berichterstattung wurde Hitler als das Opfer eines hinterhältigen Putsches dargestellt. Am 3. Juli, also nachträglich, wurden die Maßnahmen formal durch ein von Hitler (nach den Bestimmungen des Ermächtigungsgesetzes) erlassenes Gesetz, das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 529) legalisiert. Der einzige Artikel des Gesetzes lautete: Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens. Deutschland war damit zu einem Staat mit Willkürherrschaft geworden, in dem die Meinung des Führers Gesetz war. Hitler machte sich durch die Erschießung ohne Gerichtsurteil zum Richter über Leben und Tod und, wie er es selbst ausdrückte, zum „obersten Gerichtsherren“, wodurch die Justiz offen erkennbar gleichgeschaltet war. Rechtlich weniger anspruchsvoll wurden die Vorgänge in der Propaganda auch als „Säuberungsaktion“ gegen homosexuelle Praktiken bezeichnet, die über Röhm hinaus in der SA verbreitet gewesen seien. Dieses Thema wurde auch noch nach 1945 in Spielfilmen betont.
Reichswehrminister Blomberg beglückwünschte am 3. Juli im Namen des Kabinetts Hitler zum erfolgreichen Abschluss der Aktion. Am 4. Juli wurden im Rahmen einer Zeremonie in Berlin die Beteiligten mit einem „Ehrendolch“ ausgezeichnet.
Hitler selbst trat erst etwa zwei Wochen nach dem Massaker an die Öffentlichkeit, die bis dahin auf zusammenhanglose und teils widersprüchliche Meldungen aus Radio und Zeitungen angewiesen war. Die im Rundfunk übertragene Reichstagsrede vom 13. Juli 1934[14] stieß daher trotz ihrer Länge und Zähigkeit auf große Aufmerksamkeit. Hitler beendete die Rede wie folgt:
„Wenn mir jemand den Vorwurf entgegenhält, weshalb wir nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen hätten, dann kann ich ihm nur sagen: in dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr. Meuternde Divisionen hat man zu allen Zeiten durch Dezimierung wieder zur Ordnung gerufen. […] Ich habe den Befehl gegeben, die Hauptschuldigen an diesem Verrat zu erschießen, und ich gab weiter den Befehl, die Geschwüre unserer inneren Brunnenvergiftung und der Vergiftung des Auslandes auszubrennen bis auf das rohe Fleisch. […] Die Nation muss wissen, dass ihre Existenz […] von niemandem ungestraft bedroht wird. Und es soll jeder für alle Zukunft wissen, dass, wenn er die Hand zum Schlag gegen den Staat erhebt, der sichere Tod sein Los ist.“[15]
„Der Führer schützt das Recht“
Der prominente Staatsrechtler Carl Schmitt lieferte kurze Zeit später die formaljuristische Rechtfertigung der Vorgänge in einem kurzen Aufsatz unter dem Titel Der Führer schützt das Recht in der angesehenen Deutschen Juristen-Zeitung nach.[16]
Folgen
Nach den Morden hatte die SA ihre politische Bedeutung verloren, die SS wurde selbständig und nahm eine wichtige Rolle ein.
Die Führung der Reichswehr ließ nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg im folgenden August die Reichswehr auf Hitler vereidigen.
Reichswehr
Die Reichswehrführung förderte die Ernennung Hitlers zum Reichspräsidenten und damit auch zu ihrem Oberbefehlshaber für den Preis der Entmachtung der SA und der (später nicht eingehaltenen) Zusicherung, die Reichswehr würde der einzige Waffenträger im Reich bleiben. Dass Röhms Anspruch, die Reichswehr in die SA einzugliedern und damit selbst zum Oberbefehlshaber zu werden, eine größere Herausforderung an Hitler als an sie selbst war, sahen die Generäle nicht. Letztlich bezahlten sie Hitler für etwas, was dieser ohnehin hätte tun müssen. Es wurden Teile der Ausführenden offiziell mit Waffen aus Reichswehrbeständen ausgerüstet. Man akzeptierte die offizielle Begründung Hitlers, er habe im Notstand als „oberster Gerichtsherr der Nation“ gehandelt, obwohl Hitler zwei Generäle (von Schleicher und von Bredow) unter fadenscheinigen Vorwänden ermorden ließ.
Die Reichswehr unterstützte die Mordaktion, weil mit der SA eine gefährliche und zugleich verachtete Konkurrenz ausgeschaltet wurde.[17] Für viele Bürger war die Hinnahme der Morde durch die Reichswehr ein wichtiger Grund, die Erklärungen Hitlers zu akzeptieren.
Die Behauptung Hitlers, Schleicher und Bredow hätten Landesverrat betrieben, erregte die gesamte Generalität. Die Wehrkreiskommandeure und die Befehlshaber wurden bei Reichswehrminister Werner von Blomberg vorstellig und beschwerten sich, dass er nichts gegen diese Diffamierung unternehme. Niemals hätten die beiden Generale Landesverrat betrieben; die Generalität forderte eine sofortige Untersuchung. Blomberg versprach, eine Dokumentation zu den Vorfällen zu liefern, tat dies aber nicht. Nur einer der Generale, Generalleutnant Wolfgang Fleck gab sich dauerhaft nicht zufrieden. Als er die Unterlagen nicht bekam, reichte er seinen Abschied ein, weil er in die Reichswehrführung kein Vertrauen mehr setzen könne. Wörtlich schrieb er an Blomberg: „[…] es ist bisher in der preußischen Armee nicht üblich gewesen, dass der Wehrmachtsminister seine Wehrkreiskommandeure belügt […]“.[18]
Aber noch von anderer Seite wurde gegen die Ermordung Schleichers Sturm gelaufen. Der greise Generalfeldmarschall August von Mackensen und ein Freund Schleichers, Generaloberst z.V. Kurt von Hammerstein-Equord, versuchten vergeblich, während der Mordtage Hindenburg zu erreichen, der von seinen beiden Adjutanten Oskar von Hindenburg und Wedige von der Schulenburg hermetisch abgeschirmt wurde. Daraufhin hofften sie, durch eine Denkschrift den Reichspräsidenten aufzuklären, aber die Schrift erreichte ihn nie. Das Memorandum wurde nach dem Tode Hindenburgs vervielfältigt und an alle höheren Offiziere verteilt. Unterdessen bedrängten die beiden fortwährend Blomberg sowie den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner von Fritsch, sich für die Rehabilitierung einzusetzen. Sie sorgten für eine dermaßen angespannte Stimmung im Offizierkorps, dass es Blomberg ratsam erschien, selber bei Hitler vorstellig zu werden, da sonst eine gefährliche Spaltung im Offizierskorps zu befürchten sei.
Hitler hatte zu jener Zeit schwerwiegendere Sorgen und konnte Spannungen innerhalb der Armee nicht gebrauchen. In einer geschlossenen Versammlung der Spitzen von Regierung, Partei und Reichswehr, die der Außenpolitik gewidmet war, gab Hitler am Ende seiner Rede bekannt, Untersuchungen hätten ergeben, dass die Generäle von Schleicher und von Bredow irrtümlich erschossen worden seien. Um dem Andenken der beiden unschuldig Erschossenen Genüge zu tun, sollten sie auf die Ehrentafeln ihrer Regimenter gesetzt werden. Allerdings durfte diese Erklärung nicht veröffentlicht werden, was Mackensen jedoch nicht daran hinderte, an den jährlichen Treffen aktiver und ehemaliger Generalstabsoffiziere am Geburtstag Schlieffens die Rehabilitierung zu verlesen und die „Erschießung“ als Mord zu bezeichnen.
Trotz Hitlers Versprechen, dass die Reichswehr das militärische Monopol behalten solle, erhielt die SS schon wenige Wochen nach den Morden die Erlaubnis, eigene bewaffnete Verbände aufzustellen.
Konservative
Die Konservativen, allen voran der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen, waren mit dem Anspruch angetreten, Hitler „einzurahmen“. Sie hatten wenig Erfolg damit. Im Frühjahr, als die Schwierigkeiten Hitlers mit der SA ruchbar wurden und das nahe Ableben Hindenburgs sicher erschien, unternahmen sie nochmals einen Anlauf. In seiner viel beachteten Marburger Rede fand von Papen deutliche Worte gegen die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten und forderte zur Besinnung auf. Die Aktion zur Ermordung der SA-Spitze war für Hitler eine willkommene Gelegenheit, auch mit seinen konservativen Gegnern abzurechnen. So ließ er unter anderem den Redenschreiber von Papens, den Publizisten Edgar Julius Jung, ermorden. Von Papen selbst wagte er wegen dessen Beliebtheit bei Hindenburg nicht zu ermorden; er wurde als Botschafter nach Wien abgeschoben. Natürlich durfte auch eine anerkennende Botschaft Hindenburgs nicht fehlen. Es ist unbekannt, ob Hindenburg diese Botschaft selbst verfasst hat und was er von den Vorgängen überhaupt noch mitbekommen hat.
Die Aktionen um den angeblichen Röhm-Putsch bedeuteten somit auch den Sieg Hitlers über die Konservativen. Hitler selbst wertete diesen Erfolg höher als den Prestigeverlust, den er durch die Affäre erlitten hatte.
Röhm und Hitler
Röhm war eine der wenigen Personen, mit denen sich Hitler duzte. Seine Verdienste um die Bewegung waren in Hitlers Augen bedeutend. Hitler zögerte daher lange, bis er ihn ermorden ließ, und duldete auch danach nicht, dass in seiner Gegenwart abfällig über Röhm gesprochen wurde.
Juristische Aufarbeitung
Während der NS-Zeit kam es naturgemäß zu keiner strafrechtlichen Verfolgung der im Verlauf der Röhm-Affäre verübten Tötungsdelikte. Aufforderungen an das Reichsjustizministerium, das Reichsgericht und ähnliche Stellen, die Rechtmäßigkeit einzelner Tötungen zu prüfen oder nachzuweisen, wurden von den verantwortlichen Staatsstellen konsequent unter Verweis auf das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 abgelehnt, das alle Handlungen einschließlich der ohne Gerichtsurteil erfolgten Erschießungen dieser Tage nachträglich, und damit unter Verletzung des rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass Gesetze keine rückwirkende Gültigkeit haben können, für rechtens erklärte. Die einzige Ausnahme bildete die strafrechtliche Verfolgung der Mörder des schlesischen Stadtbaurates Kuno Kamphausen, der einer eigenmächtigen Aktion untergeordneter lokaler SS-Führer zum Opfer fiel, die die Ereignisse des 30. Junis zur Begleichung einer privaten Rechnung nutzten. Die Verantwortlichen wurden zum Teil zu kürzeren Zuchthausstrafen verurteilt und zum Teil freigesprochen. Auf Druck der SS-Führung waren alle Beteiligten bis 1937 wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein ähnliches Verfahren wegen sieben weiterer unautorisierter Morde an unpolitischen Personen, wie es Hitler in seiner Reichstagsrede vom 13. Juli 1934 angekündigt hatte, wurde im Herbst 1934 nach Beginn der Vorermittlungen niedergeschlagen, nachdem Hitler es sich offenbar anders überlegt hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Ereignisse des Röhm-Putsches in ihrem Gesamtzusammenhang im Rahmen der Nürnberger Prozesse thematisiert. Zu einer systematischen Untersuchung von Einzelfällen kam es aber erst durch bundesdeutsche Gerichte: Der erste in diesem Zusammenhang durchgeführte Prozess war das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Führer Kurt Gildisch, der 1949 durch einen Zufall als Mörder des am 30. Juni in seinem Büro im Reichsverkehrsministerium auf Befehl Reinhard Heydrichs erschossenen Ministerialdirektors Erich Klausener identifiziert werden konnte: Gildisch wurde am 24. Mai 1951 durch ein Urteil des Schwurgerichts Berlin unter Berufung auf das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Aufhebung dieses Urteils durch den Bundesgerichtshof am 5. Februar 1953 – das diese Entscheidung damit begründete, dass deutsche Gerichte nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr befugt gewesen seien, das Kontrollratsgesetz anzuwenden – wurde Gildisch am 18. Mai 1953 wegen Mordes wiederum zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, was der BGH am 15. Dezember 1953 bestätigte. Im Urteil vom 18. Mai 1953 gelangte das Schwurgericht zu der die juristische Fundierung für alle späteren Verfahren bildenden Feststellung der juristischen Unstatthaftigkeit bzw. Nichtigkeit des Gesetzes vom 3. Juli 1934:
„Entgegen der Ansicht der Verteidigung, dass die Rechtswidrigkeit der Tat deshalb entfalle, weil durch das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 die Erschießungen im Zusammenhang mit der Röhm-Revolte nachträglich legalisiert seien, ist das Schwurgericht der Ansicht, daß dieses Gesetz […] unerheblich ist. Dieses Gesetz ist selbst rechtswidrig, da es im Widerspruch zu jeglichen rechtsstaatlichen Prinzipien steht.“
Das Schwurgericht stellte sich außerdem – in Fortführung der in den Nürnberger Prozessen begonnenen Linie – auf den Standpunkt, dass das Argument, „auf Befehl“ bzw. aus einem Untergebenenverhältnis heraus Tötungsdelikte ausgeführt zu haben, die Exekutoren der Mordbefehle vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 nicht von ihrer Schuld entbinde, unrechtmäßige Tötung durchgeführt zu haben, und somit keinen Anspruch auf Straflosigkeit begründen könne, eine Auffassung, die Präzedenzfall-Charakter für die weiteren Verfahren hatte:
„Das Schwurgericht verkennt nicht, dass der Angeklagte sich in einer gewissen schwierigen Situation befand. Er hatte sich aber der SS, einer Organisation, die blinden Gehorsam verlangt, aus freien Stücken verpflichtet. Er musste daher auch die Gefahr auf sich nehmen, dass er einmal in eine derartige schwierige Situation geriet. Wer sich freiwillig fremden Willen unterwirft, bleibt strafrechtlich verantwortlich. Dass der Angeklagte nur auf Befehl handelte, entschuldigt ihn keineswegs. Das Strafrecht kennt auch keinen Entschuldigungsgrund des blinden Gehorsams und kann ihn nicht anerkennen, weil es damit die Grundlagen der Verantwortlichkeit des Menschen als Person aufgeben würde.“
Außer dem Prozess gegen Gildisch fanden in den 1950er Jahren noch weitere Verfahren gegen untergeordnete SS-Führer und SS-Leute statt, die an der Organisation und Durchführung der Morde beteiligt waren: So wurde 1954 der ehemalige SS-Standartenführer Hans Himpe vor dem Schwurgericht beim Landgericht Berlin wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Er hatte 1934 als Chef der Hirschberger SS-Standarte den Befehl seines Vorgesetzten, vier jüdische Bürger von Hirschberg „auf der Flucht“ zu erschießen, an seine SS-Leute weitergegeben, die daraufhin die Morde tatsächlich ausführten. Nachdem er für schuldig befunden worden war, wurde Himpe zunächst zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt, die nach einer Revisionsverhandlung mit Urteil vom 12. September 1955 zu sechs Jahren Zuchthaus reduziert wurde. Der ehemalige SS-Obertruppführer Erich Böttger und der ehemalige SS-Unterscharführer Otto Gasse waren als Ausführende dieser Tat bereits im Jahr 1951 durch das Schwurgericht beim Landgericht Schweinfurt zu Strafen von acht bzw. vier Jahren verurteilt worden (Verfahrensaktenzeichen KS 2/51). Der ehemalige SS-Angehörige Herbert Bischoff musste sich derweil 1952 vor dem Schwurgericht Kassel wegen der Ermordung des Arztes Erich Lindemann im schlesischen Glogischdorf verantworten. Er wurde schließlich am 10. Oktober 1952 des Mordes für schuldig befunden und zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt (Verfahrensaktenzeichen 3 KS 5/52). Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Josef Makosch, Führer der SS-Standarte in Frankenstein, und sein Untergebener, der Untersturmführer Erich Moschner, wurden 1953 vom Schwurgericht beim Landgericht Hannover wegen der Erschießung des SA-Angehörigen Enders in der Nähe von Schweidnitz abgeurteilt (Verfahrensaktenzeichen 2 Ks 1/53). Der SS-Führer Richard Skarabis wurde schließlich im Jahr 1956 vom Schwurgericht beim Landgericht Braunschweig wegen der von ihm befohlenen Erschießung der Kommunisten Reh und Köppel zu vier Jahren Haft verurteilt, von denen über zweieinhalb Jahre durch die Untersuchungshaft als verbüßt galten, während die übrigen 486 Tage in eine dreijährige Bewährungsstrafe umgewandelt wurden (Verfahrensaktenzeichen 1 KS 1/56).
Der wohl meistbeachtete Röhm-Putsch-Prozess kam zustande, nachdem die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I am 4. Juli 1956 Anklage gegen den ehemaligen Kommandanten der Wachmannschaften im KL Dachau Michel Lippert und gegen den Befehlshaber der Leibstandarte Adolf Hitler, Sepp Dietrich, wegen der Ermordung von Ernst Röhm sowie weiterer SA-Führer während der Tage des „Röhm-Putsches“ erhob (Verfahrensaktenzeichen 3 Ks 4/57). Das Hauptverfahren fand im Mai 1957 statt und endete damit, dass Lippert und Dietrich wegen eines „gemeinschaftlich begangenen Verbrechens der Beihilfe zum gemeinschaftlich begangenen Totschlag“ zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurden. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Münchner Urteil am 20. Mai 1958.
Im Jahr 1957 fand vor dem Schwurgericht des Landgerichts Osnabrück ein Verfahren gegen Udo von Woyrsch und Müller-Altenau statt, die 1934 als Führer des SS-Oberabschnitts Schlesien bzw. des dortigen SD-Abschnitts als Beauftragte Görings und Himmlers mit der Leitung der dortigen Aktionen zur „Niederschlagung“ des angeblichen Putsches betraut waren. Gegenstand des Verfahrens war die Erschießung von zwanzig Personen in den zu ihrem Zuständigkeitsgebiet gehörenden Städten Breslau, Hirschberg, Landeshut, Leobschütz, Glogau und Waldenburg in der Zeit vom 30. Juni bis 2. Juli 1934. Woyrsch wurde am 2. August 1957 wegen Beihilfe zum Totschlag in sechs Fällen zu zehn Jahren Haft verurteilt, während er in einem Fall wegen erwiesener Unschuld und in den übrigen Fällen aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Müller-Altenau wurde in allen Fällen aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Auf Initiative von Woyrsch kam es im Anschluss an das Urteil zu einer Vielzahl von staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren wegen Meineides gegen Personen, die im Prozess ausgesagt hatten. All diese Verfahren wurden im Laufe der 1960er Jahre eingestellt.
Der SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski, der 1934 für Ostpreußen zuständig war, wurde nach langwierigen Vorermittlungen im Januar 1961 in Nürnberg wegen der am 2. Juli 1934 erfolgten Tötung des Anton von Hohberg und Buchwald angeklagt. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass die Tat auf seinen Befehl erfolgt sei und verurteilte ihn dafür zu vier Jahren und zehn Monaten Haft.[19]
Der SS-Führer Heinz Fanslau, der am 1. Juli 1934 den SA-Angehörigen Bläsner bei Tilsit erschossen hatte, wurde aufgrund dieser Tat im Juli 1963 durch das Schwurgericht München wegen Beihilfe zum Mord zu drei Jahren Haft verurteilt.
Die Staatsanwaltschaften München bzw. Berlin leiteten Ende der 1960er Jahre Untersuchungsverfahren wegen der Ermordung des ehemaligen Reichskanzlers von Schleicher und des Oppositionellen Herbert von Bose ein, die beide am 30. Juni 1934 im Berliner Raum erschossen wurden. Diese Verfahren mussten schließlich eingestellt werden, ohne dass es zu einer Anklageerhebung gekommen wäre, da Täter nicht ermittelt werden konnten und die wahrscheinlichen Auftraggeber verstorben waren.
Überlebende
Personen, die der Ermordung entgingen oder zumindest verhaftet wurden oder werden sollten, waren unter anderem:
Konrad Adenauer, ehemaliger Bürgermeister von Köln und Vorsitzender des Preußischen Staatsrates, wurde am 30. Juni 1934 von der Gestapo verhaftet und für ein paar Tage im Gefängnis von Potsdam festgehalten.[20]
Werner von Alvensleben, ehemaliger Verbindungsmann des Generals von Schleicher; wurde verhaftet und einige Tage im KZ Lichtenberg festgehalten. Friedrich Glum berichtete in seinen Memoiren, Alvensleben sei der Erschießung nur deshalb entgangen, weil es ihm gelungen sei, Heinrich Himmler unmittelbar vor dem Zugriff des SS-Kommandos, das ihn festsetzen sollte, über Telefon zu erreichen. Himmler habe sodann die dazutretenden SS-Leute, die Alvensleben den Hörer aus der Hand rissen, mit ihrem Kopf dafür verantwortlich gemacht, dass Alvensleben nichts geschehen würde.[21]
Heinrich Brüning, ehemaliger Reichskanzler, erhielt im Mai einen Zettel zugesteckt, der besagte, dass sein Leben in Gefahr sei, und floh danach ins Ausland.
Bernhard Wilhelm von Bülow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, auf Veranlassung Görings von der Todesliste gestrichen.
Rudolf Diels, der von Himmler und Heydrich verdrängte erste Chef der Gestapo gab 1949 in seinen Memoiren an, beide hätten die Gelegenheit des 30. Juni nutzen wollen, um auch ihn zu liquidieren. Nur die schützende Hand seines Gönners Göring habe ihn, Diels, vor der Erschießung bewahrt. Zur Sicherheit habe er sich außerdem am 30. Juni 1934 auf einen Jagdausflug begeben, so dass er – für mögliche Mörder unauffindbar – mit seinem Jagdgewehr auf einem Hochsitz gesessen hätte.[22]
Karl Leon Du Moulin-Eckart, ehemaliger Leiter des SA-Geheimdienstes, entkam, da das Flugzeug, das ihn zur Erschießung nach Berlin bringen sollte, aufgrund einer Panne nicht starten konnte. Zum Teil wird auch die Protektion Himmlers für seine Schonung verantwortlich gemacht.
Jenö von Egan-Krieger, ehemaliger Geschäftsführer der DNVP; wurde für einige Tage im Gefängnis von Potsdam festgehalten.
Hermann Ehrhardt, ehemaliger Freikorps-Führer und Konkurrent Hitlers um die Führung der deutschen Rechten; das SS-Kommando zog ab, weil Ehrhardt, von bewaffneten Getreuen gewarnt und umgeben, es an einem Waldsaum nahe seines Anwesens erwartete. Er entkam in die Schweiz.[23]
Hellmuth Elbrechter, Berliner Zahnarzt und Redakteur der Zeitschrift Die Tat, Berater und Verbindungsmann von Schleicher, Brüning und Gregor Strasser; entkam der Ermordung, da der am 30. Juni zufällig nicht in Berlin anwesend war.
Edmund Forschbach, DNVP-Politiker, konnte untertauchen und später in die Niederlande fliehen.
Theodor Groppe, Generalmajor, Kommandeur der Grenzschutzdivision in Gleiwitz, NS-Gegner und späterer Widerstandskämpfer.
Otto von Heydebreck, Journalist, Bruder des SA-Gruppenführers Hans Peter von Heydebreck. Als Freund des ehemaligen Kanzlers Brüning wurde er von Heydrich auf die Mordliste gesetzt, konnte aber nach rechtzeitiger Warnung untertauchen. Während Freunde ihn in wechselnden Quartieren versteckten, setzten sich Generale und hohe Beamte für ihn ein.[24]
Siegfried Kasche, SA-Gruppenführer, konnte Göring überreden, sein Leben zu schonen.
Hans von Kessel, Journalist, Bruder von Eugen von Kessel, entging der Ermordung, da er sich in Stockholm aufhielt.[24]
Wilhelm Freiherr von Ketteler, Mitarbeiter des Vizekanzlers Franz von Papen, Mitglied der konservativen Oppositionsgruppe um Herbert von Bose; konnte bei der Besetzung der Vizekanzlei durch die SS entkommen, indem er sich als Besucher ausgab.
Manfred von Killinger, SA-Führer
Ernst Klein, Journalist
Hanns Elard Ludin, Führer des SA-Gau-Sturms Baden, wurde verhaftet, aber von Hitler persönlich begnadigt
Bernhard Lippert, Diplomat, Neffe von Ernst Röhm, wurde verhaftet, aber nicht erschossen, nachdem man feststellte, dass er nichts von der angeblichen Verschwörung wusste.
Franz Mariaux, Journalist, Frankreichkorrespondent der Ullstein-Presse; wurde bereits einige Tage vor dem 30. Juni von der Gestapo verhaftet, aber – wahrscheinlich wegen Berichten der Auslandspresse und eventuell nach Protesten der französischen Botschaft – der regulären Polizei übergeben und wieder freigelassen.
Eugen Ott, ehemaliger Mitarbeiter Kurt von Schleichers, stand angeblich auf der Todesliste, weilte aber zum Zeitpunkt des vorgeblichen Röhm-Putsches bereits als Militärattaché in Japan.[25]
Franz von Papen, Vize-Kanzler in der Regierung Hitler, auf Veranlassung von Göring von der Mordliste gestrichen und in Schutzhaft genommen.
Rolf Reiner, SA-Führer
Gerhard Roßbach, ehemaliger Freikorpsführer
Friedrich Carl von Savigny, Mitarbeiter der Kanzlei des Vizekanzlers, verhaftet, aber aufgrund eines Missverständnisses nicht erschossen.
Otto Schmidt-Hannover, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der DNVP im Reichstag, floh vor dem Eintreffen eines Festnahmekommandos aus seiner Breslauer Heimat an die Küste, nachdem General von Kleist ihn gewarnt hatte.[26]
Johannes Ludwig Schmitt, Arzt und Klinikbesitzer in München; geriet wahrscheinlich auf die Mordliste, weil er Hitlers Erzfeind Otto Strasser zur Flucht ins Ausland verholfen hatte. Er entkam, weil das Gestapo-Kommando, das am 30. Juni zu seiner Ermordung ausgeschickt wurde, nicht wusste, dass er bereits seit April verhaftet war und im Gefängnis Stadelheim einsaß. Er wurde dort bis zum 2. Juli von einem Hausmeister in einem Holzverschlag vor der SS versteckt.
Walther Schotte, konservativer Publizist und Redenschreiber von Papens. Schotte wurde verschiedentlich fälschlich als ermordet gemeldet, kam nach Angaben eines Freundes „gerade noch so eben mit dem Leben davon“.[27]
Paul Schulz, ehemaliger Reichsinspektor der NSDAP und enger Mitarbeiter von Gregor Strasser, wurde von der Gestapo durch Schüsse schwer verletzt, stellte sich tot und konnte entfliehen.
Roderich Graf von Thun, Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher wurde am 1. Juli vorübergehend verhaftet und im Geheimen Staatspolizeiamt gefangen gehalten.
Gottfried Treviranus, konservativer Politiker, entkam der Gestapo, indem er bei ihrer Ankunft – im Tennis-Dress – über seine Gartenmauer sprang und durch die angrenzenden Gärten floh.
Fritz Günther von Tschirschky, Mitarbeiter der Vizekanzlei, entging der Ermordung, da zwei verschiedene Mordkommandos sich nicht einigen konnten, wer für ihn zuständig sei, dann durch Intervention Papens und des niederländischen Botschafters gerettet.
Wilhelm von Preußen, ehemaliger Kronprinz des deutschen Reiches, auf Görings Veranlassung von der Mordliste gestrichen.
Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, dritter Sohn des letzten Königs von Sachsen[28]
Verfilmung
1967: Der Röhm-Putsch – Fernsehspiel – Regie und Drehbuch Axel Eggebrecht – Darsteller: Hans Korte (Ernst Röhm), Wilmut Borell (Fritz von Krausser), Helmut Fischer (August Schneidhuber), Ulrich Beiger (Reichenau), Arthur Brauss, Friedrich G. Beckhaus, Dieter Kirchlechner, Gustl Bayrhammer
1969: Die Verdammten ist ein deutsch-italienischer Spielfilm (Italienischer Originaltitel: La caduta degli dei).
In diesem opulent ausgestatteten Historienfilm von Luchino Visconti erscheint eine kurze Szene über die Ermordung von Angehörigen der SA in der Pension Hanselbauer in Bad Wiessee – geschichtlich vermutlich nicht authentisch.
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Nicht zuletzt durch den Umstand, dass die Opfer aus politisch unterschiedlichen Gruppen kamen, war die Öffentlichkeit verwirrt. Zudem war die Informationspolitik der Regierung darauf aus, die Umstände zu verschleiern. Hitler setzte auf die Wirkung der „sexuellen Denunziation“, die auf moralische Entrüstung statt auf politische Aufklärung setzt. Hitler gab an, durch „schwerste Verfehlungen“ Röhms gezwungen worden zu sein, ihn abzusetzen. Die nächste (von Hitler verfasste?) „Erklärung der Reichspressestelle der NSDAP“ nannte die „bekannte unglückliche Veranlagung“ Röhms als Ursache für „schwerste Belastungen“, denen der Führer ausgesetzt gewesen sei. Wem das nicht genügte, der sollte durch die Schilderung der Verhaftungsszenen sittlich entrüstet werden. Homosexualität als klassisches Muster sexueller Denunziation wurde in den weiteren Stellungnahmen zum Einsatz gebracht. „Die Durchführung der Verhaftung zeigte moralisch so traurige Bilder, dass jede Spur von Mitleid schwinden musste. Einige SA-Führer hatten sich Lustknaben mitgenommen. Einer wurde in der ekelhaftesten Situation aufgeschreckt und verhaftet.“[13]
Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934
In der offiziellen Berichterstattung wurde Hitler als das Opfer eines hinterhältigen Putsches dargestellt. Am 3. Juli, also nachträglich, wurden die Maßnahmen formal durch ein von Hitler (nach den Bestimmungen des Ermächtigungsgesetzes) erlassenes Gesetz, das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 529) legalisiert. Der einzige Artikel des Gesetzes lautete: Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens. Deutschland war damit zu einem Staat mit Willkürherrschaft geworden, in dem die Meinung des Führers Gesetz war. Hitler machte sich durch die Erschießung ohne Gerichtsurteil zum Richter über Leben und Tod und, wie er es selbst ausdrückte, zum „obersten Gerichtsherren“, wodurch die Justiz offen erkennbar gleichgeschaltet war. Rechtlich weniger anspruchsvoll wurden die Vorgänge in der Propaganda auch als „Säuberungsaktion“ gegen homosexuelle Praktiken bezeichnet, die über Röhm hinaus in der SA verbreitet gewesen seien. Dieses Thema wurde auch noch nach 1945 in Spielfilmen betont.
Reichswehrminister Blomberg beglückwünschte am 3. Juli im Namen des Kabinetts Hitler zum erfolgreichen Abschluss der Aktion. Am 4. Juli wurden im Rahmen einer Zeremonie in Berlin die Beteiligten mit einem „Ehrendolch“ ausgezeichnet.
Hitler selbst trat erst etwa zwei Wochen nach dem Massaker an die Öffentlichkeit, die bis dahin auf zusammenhanglose und teils widersprüchliche Meldungen aus Radio und Zeitungen angewiesen war. Die im Rundfunk übertragene Reichstagsrede vom 13. Juli 1934[14] stieß daher trotz ihrer Länge und Zähigkeit auf große Aufmerksamkeit. Hitler beendete die Rede wie folgt:
„Wenn mir jemand den Vorwurf entgegenhält, weshalb wir nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen hätten, dann kann ich ihm nur sagen: in dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr. Meuternde Divisionen hat man zu allen Zeiten durch Dezimierung wieder zur Ordnung gerufen. […] Ich habe den Befehl gegeben, die Hauptschuldigen an diesem Verrat zu erschießen, und ich gab weiter den Befehl, die Geschwüre unserer inneren Brunnenvergiftung und der Vergiftung des Auslandes auszubrennen bis auf das rohe Fleisch. […] Die Nation muss wissen, dass ihre Existenz […] von niemandem ungestraft bedroht wird. Und es soll jeder für alle Zukunft wissen, dass, wenn er die Hand zum Schlag gegen den Staat erhebt, der sichere Tod sein Los ist.“[15]
„Der Führer schützt das Recht“
Der prominente Staatsrechtler Carl Schmitt lieferte kurze Zeit später die formaljuristische Rechtfertigung der Vorgänge in einem kurzen Aufsatz unter dem Titel Der Führer schützt das Recht in der angesehenen Deutschen Juristen-Zeitung nach.[16]
Folgen
Nach den Morden hatte die SA ihre politische Bedeutung verloren, die SS wurde selbständig und nahm eine wichtige Rolle ein.
Die Führung der Reichswehr ließ nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg im folgenden August die Reichswehr auf Hitler vereidigen.
Reichswehr
Die Reichswehrführung förderte die Ernennung Hitlers zum Reichspräsidenten und damit auch zu ihrem Oberbefehlshaber für den Preis der Entmachtung der SA und der (später nicht eingehaltenen) Zusicherung, die Reichswehr würde der einzige Waffenträger im Reich bleiben. Dass Röhms Anspruch, die Reichswehr in die SA einzugliedern und damit selbst zum Oberbefehlshaber zu werden, eine größere Herausforderung an Hitler als an sie selbst war, sahen die Generäle nicht. Letztlich bezahlten sie Hitler für etwas, was dieser ohnehin hätte tun müssen. Es wurden Teile der Ausführenden offiziell mit Waffen aus Reichswehrbeständen ausgerüstet. Man akzeptierte die offizielle Begründung Hitlers, er habe im Notstand als „oberster Gerichtsherr der Nation“ gehandelt, obwohl Hitler zwei Generäle (von Schleicher und von Bredow) unter fadenscheinigen Vorwänden ermorden ließ.
Die Reichswehr unterstützte die Mordaktion, weil mit der SA eine gefährliche und zugleich verachtete Konkurrenz ausgeschaltet wurde.[17] Für viele Bürger war die Hinnahme der Morde durch die Reichswehr ein wichtiger Grund, die Erklärungen Hitlers zu akzeptieren.
Die Behauptung Hitlers, Schleicher und Bredow hätten Landesverrat betrieben, erregte die gesamte Generalität. Die Wehrkreiskommandeure und die Befehlshaber wurden bei Reichswehrminister Werner von Blomberg vorstellig und beschwerten sich, dass er nichts gegen diese Diffamierung unternehme. Niemals hätten die beiden Generale Landesverrat betrieben; die Generalität forderte eine sofortige Untersuchung. Blomberg versprach, eine Dokumentation zu den Vorfällen zu liefern, tat dies aber nicht. Nur einer der Generale, Generalleutnant Wolfgang Fleck gab sich dauerhaft nicht zufrieden. Als er die Unterlagen nicht bekam, reichte er seinen Abschied ein, weil er in die Reichswehrführung kein Vertrauen mehr setzen könne. Wörtlich schrieb er an Blomberg: „[…] es ist bisher in der preußischen Armee nicht üblich gewesen, dass der Wehrmachtsminister seine Wehrkreiskommandeure belügt […]“.[18]
Aber noch von anderer Seite wurde gegen die Ermordung Schleichers Sturm gelaufen. Der greise Generalfeldmarschall August von Mackensen und ein Freund Schleichers, Generaloberst z.V. Kurt von Hammerstein-Equord, versuchten vergeblich, während der Mordtage Hindenburg zu erreichen, der von seinen beiden Adjutanten Oskar von Hindenburg und Wedige von der Schulenburg hermetisch abgeschirmt wurde. Daraufhin hofften sie, durch eine Denkschrift den Reichspräsidenten aufzuklären, aber die Schrift erreichte ihn nie. Das Memorandum wurde nach dem Tode Hindenburgs vervielfältigt und an alle höheren Offiziere verteilt. Unterdessen bedrängten die beiden fortwährend Blomberg sowie den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner von Fritsch, sich für die Rehabilitierung einzusetzen. Sie sorgten für eine dermaßen angespannte Stimmung im Offizierkorps, dass es Blomberg ratsam erschien, selber bei Hitler vorstellig zu werden, da sonst eine gefährliche Spaltung im Offizierskorps zu befürchten sei.
Hitler hatte zu jener Zeit schwerwiegendere Sorgen und konnte Spannungen innerhalb der Armee nicht gebrauchen. In einer geschlossenen Versammlung der Spitzen von Regierung, Partei und Reichswehr, die der Außenpolitik gewidmet war, gab Hitler am Ende seiner Rede bekannt, Untersuchungen hätten ergeben, dass die Generäle von Schleicher und von Bredow irrtümlich erschossen worden seien. Um dem Andenken der beiden unschuldig Erschossenen Genüge zu tun, sollten sie auf die Ehrentafeln ihrer Regimenter gesetzt werden. Allerdings durfte diese Erklärung nicht veröffentlicht werden, was Mackensen jedoch nicht daran hinderte, an den jährlichen Treffen aktiver und ehemaliger Generalstabsoffiziere am Geburtstag Schlieffens die Rehabilitierung zu verlesen und die „Erschießung“ als Mord zu bezeichnen.
Trotz Hitlers Versprechen, dass die Reichswehr das militärische Monopol behalten solle, erhielt die SS schon wenige Wochen nach den Morden die Erlaubnis, eigene bewaffnete Verbände aufzustellen.
Konservative
Die Konservativen, allen voran der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen, waren mit dem Anspruch angetreten, Hitler „einzurahmen“. Sie hatten wenig Erfolg damit. Im Frühjahr, als die Schwierigkeiten Hitlers mit der SA ruchbar wurden und das nahe Ableben Hindenburgs sicher erschien, unternahmen sie nochmals einen Anlauf. In seiner viel beachteten Marburger Rede fand von Papen deutliche Worte gegen die Willkürherrschaft der Nationalsozialisten und forderte zur Besinnung auf. Die Aktion zur Ermordung der SA-Spitze war für Hitler eine willkommene Gelegenheit, auch mit seinen konservativen Gegnern abzurechnen. So ließ er unter anderem den Redenschreiber von Papens, den Publizisten Edgar Julius Jung, ermorden. Von Papen selbst wagte er wegen dessen Beliebtheit bei Hindenburg nicht zu ermorden; er wurde als Botschafter nach Wien abgeschoben. Natürlich durfte auch eine anerkennende Botschaft Hindenburgs nicht fehlen. Es ist unbekannt, ob Hindenburg diese Botschaft selbst verfasst hat und was er von den Vorgängen überhaupt noch mitbekommen hat.
Die Aktionen um den angeblichen Röhm-Putsch bedeuteten somit auch den Sieg Hitlers über die Konservativen. Hitler selbst wertete diesen Erfolg höher als den Prestigeverlust, den er durch die Affäre erlitten hatte.
Röhm und Hitler
Röhm war eine der wenigen Personen, mit denen sich Hitler duzte. Seine Verdienste um die Bewegung waren in Hitlers Augen bedeutend. Hitler zögerte daher lange, bis er ihn ermorden ließ, und duldete auch danach nicht, dass in seiner Gegenwart abfällig über Röhm gesprochen wurde.
Juristische Aufarbeitung
Während der NS-Zeit kam es naturgemäß zu keiner strafrechtlichen Verfolgung der im Verlauf der Röhm-Affäre verübten Tötungsdelikte. Aufforderungen an das Reichsjustizministerium, das Reichsgericht und ähnliche Stellen, die Rechtmäßigkeit einzelner Tötungen zu prüfen oder nachzuweisen, wurden von den verantwortlichen Staatsstellen konsequent unter Verweis auf das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 abgelehnt, das alle Handlungen einschließlich der ohne Gerichtsurteil erfolgten Erschießungen dieser Tage nachträglich, und damit unter Verletzung des rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass Gesetze keine rückwirkende Gültigkeit haben können, für rechtens erklärte. Die einzige Ausnahme bildete die strafrechtliche Verfolgung der Mörder des schlesischen Stadtbaurates Kuno Kamphausen, der einer eigenmächtigen Aktion untergeordneter lokaler SS-Führer zum Opfer fiel, die die Ereignisse des 30. Junis zur Begleichung einer privaten Rechnung nutzten. Die Verantwortlichen wurden zum Teil zu kürzeren Zuchthausstrafen verurteilt und zum Teil freigesprochen. Auf Druck der SS-Führung waren alle Beteiligten bis 1937 wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein ähnliches Verfahren wegen sieben weiterer unautorisierter Morde an unpolitischen Personen, wie es Hitler in seiner Reichstagsrede vom 13. Juli 1934 angekündigt hatte, wurde im Herbst 1934 nach Beginn der Vorermittlungen niedergeschlagen, nachdem Hitler es sich offenbar anders überlegt hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Ereignisse des Röhm-Putsches in ihrem Gesamtzusammenhang im Rahmen der Nürnberger Prozesse thematisiert. Zu einer systematischen Untersuchung von Einzelfällen kam es aber erst durch bundesdeutsche Gerichte: Der erste in diesem Zusammenhang durchgeführte Prozess war das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Führer Kurt Gildisch, der 1949 durch einen Zufall als Mörder des am 30. Juni in seinem Büro im Reichsverkehrsministerium auf Befehl Reinhard Heydrichs erschossenen Ministerialdirektors Erich Klausener identifiziert werden konnte: Gildisch wurde am 24. Mai 1951 durch ein Urteil des Schwurgerichts Berlin unter Berufung auf das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Aufhebung dieses Urteils durch den Bundesgerichtshof am 5. Februar 1953 – das diese Entscheidung damit begründete, dass deutsche Gerichte nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr befugt gewesen seien, das Kontrollratsgesetz anzuwenden – wurde Gildisch am 18. Mai 1953 wegen Mordes wiederum zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, was der BGH am 15. Dezember 1953 bestätigte. Im Urteil vom 18. Mai 1953 gelangte das Schwurgericht zu der die juristische Fundierung für alle späteren Verfahren bildenden Feststellung der juristischen Unstatthaftigkeit bzw. Nichtigkeit des Gesetzes vom 3. Juli 1934:
„Entgegen der Ansicht der Verteidigung, dass die Rechtswidrigkeit der Tat deshalb entfalle, weil durch das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 die Erschießungen im Zusammenhang mit der Röhm-Revolte nachträglich legalisiert seien, ist das Schwurgericht der Ansicht, daß dieses Gesetz […] unerheblich ist. Dieses Gesetz ist selbst rechtswidrig, da es im Widerspruch zu jeglichen rechtsstaatlichen Prinzipien steht.“
Das Schwurgericht stellte sich außerdem – in Fortführung der in den Nürnberger Prozessen begonnenen Linie – auf den Standpunkt, dass das Argument, „auf Befehl“ bzw. aus einem Untergebenenverhältnis heraus Tötungsdelikte ausgeführt zu haben, die Exekutoren der Mordbefehle vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 nicht von ihrer Schuld entbinde, unrechtmäßige Tötung durchgeführt zu haben, und somit keinen Anspruch auf Straflosigkeit begründen könne, eine Auffassung, die Präzedenzfall-Charakter für die weiteren Verfahren hatte:
„Das Schwurgericht verkennt nicht, dass der Angeklagte sich in einer gewissen schwierigen Situation befand. Er hatte sich aber der SS, einer Organisation, die blinden Gehorsam verlangt, aus freien Stücken verpflichtet. Er musste daher auch die Gefahr auf sich nehmen, dass er einmal in eine derartige schwierige Situation geriet. Wer sich freiwillig fremden Willen unterwirft, bleibt strafrechtlich verantwortlich. Dass der Angeklagte nur auf Befehl handelte, entschuldigt ihn keineswegs. Das Strafrecht kennt auch keinen Entschuldigungsgrund des blinden Gehorsams und kann ihn nicht anerkennen, weil es damit die Grundlagen der Verantwortlichkeit des Menschen als Person aufgeben würde.“
Außer dem Prozess gegen Gildisch fanden in den 1950er Jahren noch weitere Verfahren gegen untergeordnete SS-Führer und SS-Leute statt, die an der Organisation und Durchführung der Morde beteiligt waren: So wurde 1954 der ehemalige SS-Standartenführer Hans Himpe vor dem Schwurgericht beim Landgericht Berlin wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Er hatte 1934 als Chef der Hirschberger SS-Standarte den Befehl seines Vorgesetzten, vier jüdische Bürger von Hirschberg „auf der Flucht“ zu erschießen, an seine SS-Leute weitergegeben, die daraufhin die Morde tatsächlich ausführten. Nachdem er für schuldig befunden worden war, wurde Himpe zunächst zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt, die nach einer Revisionsverhandlung mit Urteil vom 12. September 1955 zu sechs Jahren Zuchthaus reduziert wurde. Der ehemalige SS-Obertruppführer Erich Böttger und der ehemalige SS-Unterscharführer Otto Gasse waren als Ausführende dieser Tat bereits im Jahr 1951 durch das Schwurgericht beim Landgericht Schweinfurt zu Strafen von acht bzw. vier Jahren verurteilt worden (Verfahrensaktenzeichen KS 2/51). Der ehemalige SS-Angehörige Herbert Bischoff musste sich derweil 1952 vor dem Schwurgericht Kassel wegen der Ermordung des Arztes Erich Lindemann im schlesischen Glogischdorf verantworten. Er wurde schließlich am 10. Oktober 1952 des Mordes für schuldig befunden und zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt (Verfahrensaktenzeichen 3 KS 5/52). Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Josef Makosch, Führer der SS-Standarte in Frankenstein, und sein Untergebener, der Untersturmführer Erich Moschner, wurden 1953 vom Schwurgericht beim Landgericht Hannover wegen der Erschießung des SA-Angehörigen Enders in der Nähe von Schweidnitz abgeurteilt (Verfahrensaktenzeichen 2 Ks 1/53). Der SS-Führer Richard Skarabis wurde schließlich im Jahr 1956 vom Schwurgericht beim Landgericht Braunschweig wegen der von ihm befohlenen Erschießung der Kommunisten Reh und Köppel zu vier Jahren Haft verurteilt, von denen über zweieinhalb Jahre durch die Untersuchungshaft als verbüßt galten, während die übrigen 486 Tage in eine dreijährige Bewährungsstrafe umgewandelt wurden (Verfahrensaktenzeichen 1 KS 1/56).
Der wohl meistbeachtete Röhm-Putsch-Prozess kam zustande, nachdem die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I am 4. Juli 1956 Anklage gegen den ehemaligen Kommandanten der Wachmannschaften im KL Dachau Michel Lippert und gegen den Befehlshaber der Leibstandarte Adolf Hitler, Sepp Dietrich, wegen der Ermordung von Ernst Röhm sowie weiterer SA-Führer während der Tage des „Röhm-Putsches“ erhob (Verfahrensaktenzeichen 3 Ks 4/57). Das Hauptverfahren fand im Mai 1957 statt und endete damit, dass Lippert und Dietrich wegen eines „gemeinschaftlich begangenen Verbrechens der Beihilfe zum gemeinschaftlich begangenen Totschlag“ zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurden. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Münchner Urteil am 20. Mai 1958.
Im Jahr 1957 fand vor dem Schwurgericht des Landgerichts Osnabrück ein Verfahren gegen Udo von Woyrsch und Müller-Altenau statt, die 1934 als Führer des SS-Oberabschnitts Schlesien bzw. des dortigen SD-Abschnitts als Beauftragte Görings und Himmlers mit der Leitung der dortigen Aktionen zur „Niederschlagung“ des angeblichen Putsches betraut waren. Gegenstand des Verfahrens war die Erschießung von zwanzig Personen in den zu ihrem Zuständigkeitsgebiet gehörenden Städten Breslau, Hirschberg, Landeshut, Leobschütz, Glogau und Waldenburg in der Zeit vom 30. Juni bis 2. Juli 1934. Woyrsch wurde am 2. August 1957 wegen Beihilfe zum Totschlag in sechs Fällen zu zehn Jahren Haft verurteilt, während er in einem Fall wegen erwiesener Unschuld und in den übrigen Fällen aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Müller-Altenau wurde in allen Fällen aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Auf Initiative von Woyrsch kam es im Anschluss an das Urteil zu einer Vielzahl von staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren wegen Meineides gegen Personen, die im Prozess ausgesagt hatten. All diese Verfahren wurden im Laufe der 1960er Jahre eingestellt.
Der SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski, der 1934 für Ostpreußen zuständig war, wurde nach langwierigen Vorermittlungen im Januar 1961 in Nürnberg wegen der am 2. Juli 1934 erfolgten Tötung des Anton von Hohberg und Buchwald angeklagt. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass die Tat auf seinen Befehl erfolgt sei und verurteilte ihn dafür zu vier Jahren und zehn Monaten Haft.[19]
Der SS-Führer Heinz Fanslau, der am 1. Juli 1934 den SA-Angehörigen Bläsner bei Tilsit erschossen hatte, wurde aufgrund dieser Tat im Juli 1963 durch das Schwurgericht München wegen Beihilfe zum Mord zu drei Jahren Haft verurteilt.
Die Staatsanwaltschaften München bzw. Berlin leiteten Ende der 1960er Jahre Untersuchungsverfahren wegen der Ermordung des ehemaligen Reichskanzlers von Schleicher und des Oppositionellen Herbert von Bose ein, die beide am 30. Juni 1934 im Berliner Raum erschossen wurden. Diese Verfahren mussten schließlich eingestellt werden, ohne dass es zu einer Anklageerhebung gekommen wäre, da Täter nicht ermittelt werden konnten und die wahrscheinlichen Auftraggeber verstorben waren.
Überlebende
Personen, die der Ermordung entgingen oder zumindest verhaftet wurden oder werden sollten, waren unter anderem:
Konrad Adenauer, ehemaliger Bürgermeister von Köln und Vorsitzender des Preußischen Staatsrates, wurde am 30. Juni 1934 von der Gestapo verhaftet und für ein paar Tage im Gefängnis von Potsdam festgehalten.[20]
Werner von Alvensleben, ehemaliger Verbindungsmann des Generals von Schleicher; wurde verhaftet und einige Tage im KZ Lichtenberg festgehalten. Friedrich Glum berichtete in seinen Memoiren, Alvensleben sei der Erschießung nur deshalb entgangen, weil es ihm gelungen sei, Heinrich Himmler unmittelbar vor dem Zugriff des SS-Kommandos, das ihn festsetzen sollte, über Telefon zu erreichen. Himmler habe sodann die dazutretenden SS-Leute, die Alvensleben den Hörer aus der Hand rissen, mit ihrem Kopf dafür verantwortlich gemacht, dass Alvensleben nichts geschehen würde.[21]
Heinrich Brüning, ehemaliger Reichskanzler, erhielt im Mai einen Zettel zugesteckt, der besagte, dass sein Leben in Gefahr sei, und floh danach ins Ausland.
Bernhard Wilhelm von Bülow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, auf Veranlassung Görings von der Todesliste gestrichen.
Rudolf Diels, der von Himmler und Heydrich verdrängte erste Chef der Gestapo gab 1949 in seinen Memoiren an, beide hätten die Gelegenheit des 30. Juni nutzen wollen, um auch ihn zu liquidieren. Nur die schützende Hand seines Gönners Göring habe ihn, Diels, vor der Erschießung bewahrt. Zur Sicherheit habe er sich außerdem am 30. Juni 1934 auf einen Jagdausflug begeben, so dass er – für mögliche Mörder unauffindbar – mit seinem Jagdgewehr auf einem Hochsitz gesessen hätte.[22]
Karl Leon Du Moulin-Eckart, ehemaliger Leiter des SA-Geheimdienstes, entkam, da das Flugzeug, das ihn zur Erschießung nach Berlin bringen sollte, aufgrund einer Panne nicht starten konnte. Zum Teil wird auch die Protektion Himmlers für seine Schonung verantwortlich gemacht.
Jenö von Egan-Krieger, ehemaliger Geschäftsführer der DNVP; wurde für einige Tage im Gefängnis von Potsdam festgehalten.
Hermann Ehrhardt, ehemaliger Freikorps-Führer und Konkurrent Hitlers um die Führung der deutschen Rechten; das SS-Kommando zog ab, weil Ehrhardt, von bewaffneten Getreuen gewarnt und umgeben, es an einem Waldsaum nahe seines Anwesens erwartete. Er entkam in die Schweiz.[23]
Hellmuth Elbrechter, Berliner Zahnarzt und Redakteur der Zeitschrift Die Tat, Berater und Verbindungsmann von Schleicher, Brüning und Gregor Strasser; entkam der Ermordung, da der am 30. Juni zufällig nicht in Berlin anwesend war.
Edmund Forschbach, DNVP-Politiker, konnte untertauchen und später in die Niederlande fliehen.
Theodor Groppe, Generalmajor, Kommandeur der Grenzschutzdivision in Gleiwitz, NS-Gegner und späterer Widerstandskämpfer.
Otto von Heydebreck, Journalist, Bruder des SA-Gruppenführers Hans Peter von Heydebreck. Als Freund des ehemaligen Kanzlers Brüning wurde er von Heydrich auf die Mordliste gesetzt, konnte aber nach rechtzeitiger Warnung untertauchen. Während Freunde ihn in wechselnden Quartieren versteckten, setzten sich Generale und hohe Beamte für ihn ein.[24]
Siegfried Kasche, SA-Gruppenführer, konnte Göring überreden, sein Leben zu schonen.
Hans von Kessel, Journalist, Bruder von Eugen von Kessel, entging der Ermordung, da er sich in Stockholm aufhielt.[24]
Wilhelm Freiherr von Ketteler, Mitarbeiter des Vizekanzlers Franz von Papen, Mitglied der konservativen Oppositionsgruppe um Herbert von Bose; konnte bei der Besetzung der Vizekanzlei durch die SS entkommen, indem er sich als Besucher ausgab.
Manfred von Killinger, SA-Führer
Ernst Klein, Journalist
Hanns Elard Ludin, Führer des SA-Gau-Sturms Baden, wurde verhaftet, aber von Hitler persönlich begnadigt
Bernhard Lippert, Diplomat, Neffe von Ernst Röhm, wurde verhaftet, aber nicht erschossen, nachdem man feststellte, dass er nichts von der angeblichen Verschwörung wusste.
Franz Mariaux, Journalist, Frankreichkorrespondent der Ullstein-Presse; wurde bereits einige Tage vor dem 30. Juni von der Gestapo verhaftet, aber – wahrscheinlich wegen Berichten der Auslandspresse und eventuell nach Protesten der französischen Botschaft – der regulären Polizei übergeben und wieder freigelassen.
Eugen Ott, ehemaliger Mitarbeiter Kurt von Schleichers, stand angeblich auf der Todesliste, weilte aber zum Zeitpunkt des vorgeblichen Röhm-Putsches bereits als Militärattaché in Japan.[25]
Franz von Papen, Vize-Kanzler in der Regierung Hitler, auf Veranlassung von Göring von der Mordliste gestrichen und in Schutzhaft genommen.
Rolf Reiner, SA-Führer
Gerhard Roßbach, ehemaliger Freikorpsführer
Friedrich Carl von Savigny, Mitarbeiter der Kanzlei des Vizekanzlers, verhaftet, aber aufgrund eines Missverständnisses nicht erschossen.
Otto Schmidt-Hannover, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der DNVP im Reichstag, floh vor dem Eintreffen eines Festnahmekommandos aus seiner Breslauer Heimat an die Küste, nachdem General von Kleist ihn gewarnt hatte.[26]
Johannes Ludwig Schmitt, Arzt und Klinikbesitzer in München; geriet wahrscheinlich auf die Mordliste, weil er Hitlers Erzfeind Otto Strasser zur Flucht ins Ausland verholfen hatte. Er entkam, weil das Gestapo-Kommando, das am 30. Juni zu seiner Ermordung ausgeschickt wurde, nicht wusste, dass er bereits seit April verhaftet war und im Gefängnis Stadelheim einsaß. Er wurde dort bis zum 2. Juli von einem Hausmeister in einem Holzverschlag vor der SS versteckt.
Walther Schotte, konservativer Publizist und Redenschreiber von Papens. Schotte wurde verschiedentlich fälschlich als ermordet gemeldet, kam nach Angaben eines Freundes „gerade noch so eben mit dem Leben davon“.[27]
Paul Schulz, ehemaliger Reichsinspektor der NSDAP und enger Mitarbeiter von Gregor Strasser, wurde von der Gestapo durch Schüsse schwer verletzt, stellte sich tot und konnte entfliehen.
Roderich Graf von Thun, Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher wurde am 1. Juli vorübergehend verhaftet und im Geheimen Staatspolizeiamt gefangen gehalten.
Gottfried Treviranus, konservativer Politiker, entkam der Gestapo, indem er bei ihrer Ankunft – im Tennis-Dress – über seine Gartenmauer sprang und durch die angrenzenden Gärten floh.
Fritz Günther von Tschirschky, Mitarbeiter der Vizekanzlei, entging der Ermordung, da zwei verschiedene Mordkommandos sich nicht einigen konnten, wer für ihn zuständig sei, dann durch Intervention Papens und des niederländischen Botschafters gerettet.
Wilhelm von Preußen, ehemaliger Kronprinz des deutschen Reiches, auf Görings Veranlassung von der Mordliste gestrichen.
Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, dritter Sohn des letzten Königs von Sachsen[28]
Verfilmung
1967: Der Röhm-Putsch – Fernsehspiel – Regie und Drehbuch Axel Eggebrecht – Darsteller: Hans Korte (Ernst Röhm), Wilmut Borell (Fritz von Krausser), Helmut Fischer (August Schneidhuber), Ulrich Beiger (Reichenau), Arthur Brauss, Friedrich G. Beckhaus, Dieter Kirchlechner, Gustl Bayrhammer
1969: Die Verdammten ist ein deutsch-italienischer Spielfilm (Italienischer Originaltitel: La caduta degli dei).
In diesem opulent ausgestatteten Historienfilm von Luchino Visconti erscheint eine kurze Szene über die Ermordung von Angehörigen der SA in der Pension Hanselbauer in Bad Wiessee – geschichtlich vermutlich nicht authentisch.
Quelle - literatur & Einzelnachweise
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