Der Volksaltar
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Der Volksaltar
Als Volksaltar bezeichnet man heute im Allgemeinen den frei stehenden Altar in katholischen Kirchen, an dem der Priester den Eucharistieteil der Heiligen Messe den Gläubigen zugewendet (versus populum) zelebriert, so dass die Mitfeiernden sich als um den Altar Versammelte erfahren können. Dieser ist „der Mittelpunkt der Danksagung, die in der Eucharistie vollzogen wird“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs [2002] Nr. 296).
Kölner Dom, Volksaltar, 1956–1960
Handelt es sich bei einem Volksaltar um einen feststehenden, geweihten Altar, gilt dieser als der eigentliche Hauptaltar (altare maius = Hochaltar) der Kirche, selbst wenn sich der früher gottesdienstlich gebrauchte Hochaltar, etwa seines künstlerischen Wertes wegen, weiterhin im Kirchenraum befindet. Volksaltar ist somit zwar ein unter deutschsprachigen Katholiken geläufiger Ausdruck, jedoch kein aktueller Fachbegriff liturgierechtlicher oder liturgiewissenschaftlicher Art.
Vorgeschichte und Liturgische Bewegung
Klosterkirche in Maulbronn, Blick vom Mittelschiff auf den Lettner mit dem davor stehenden Kreuzaltar
In den ersten Jahrhunderten bildete die römische Thron- oder Palastbasilika das Vorbild für den christlichen Kirchenbau. Im Apsisscheitel standen die Kathedra des Bischofs und die halbrunde Priesterbank. Dadurch wurde ein hierarchisches Gegenüber von Priesterschaft und Volk ausgedrückt. Der Altar stand frei in der Apsis und konnte umschritten werden. Freistehende Altäre der beschriebenen Art waren seit jeher die Hauptaltäre der großen Basiliken in Rom, z. B. von St. Peter und St. Johann im Lateran. Auch das Messbuch Papst Pius V. von 1570 und das Caeremoniale episcoporum von 1600 rechnen weiterhin mit solchen Altären und der Feier versus populum (zu den Christgläubigen gewandt) bis hin zum Missale Romanum in der Fassung von 1962.[1]
Das Aufkommen der Ostung der Apsis beim Kirchenbau veränderte allmählich auch den Gottesdienst. Das Gegenüber von Zelebrant und Gemeinde wurde außerhalb Roms weithin abgelöst von einem gemeinsamen Beten in Richtung nach Osten. Der Zelebrant stand jetzt vor dem Altar mit dem Rücken zur Gemeinde und behielt diesen Standort auch überall dort bei, wo beim Kirchenbau auf eine bestimmte Himmelsrichtung nicht mehr geachtet wurde. Die Kathedra des Bischofs wurde häufig aus dem Zentrum an die Seitenwand des Chores verschoben, der Altar wanderte gegen den Apsisabschluss und erhielt im Mittelalter häufig Aufbauten mit Retabel und gegebenenfalls Tabernakel.[2]
Freistehender Papstaltar der Lateranbasilika
Altar von Santa Cecilia in Trastevere, um 1700. Der Altar steht, wie in römischen Kirchen üblich, im Westen des Gebäudes. Beim Gebet am Altar blickt der zelebrierende Priester sowohl nach Osten (zum Eingang der Kirche) wie zur mitfeiernden Gemeinde.
Bis in die Zeit nach der Reformation nahm der Lettner den Laien (in Klosterkirchen auch den Konversen) die Sicht auf den Hochaltar, vor dem Chorherren und die Priestermönche die Stundenliturgie und die Messe feierten. Vor dem Lettner, zwischen Hauptschiff und Chor, gab es meist einen oder zwei weitere Altäre. Einer war häufig dem Kreuz Christi geweiht und wurde daher auch als Kreuzaltar bezeichnet, später auch als Laienaltar, Gemeindealtar oder Messaltar.[3]
Im 20. Jahrhundert gab es erste neuere Versuche mit „Volksaltären“ in Deutschland während der 1920er Jahre - wie in der Krypta der Abtei Maria Laach, im Dom in Passau, in Sankt Paul (München) oder von Johannes Pinsk und Romano Guardini. Bei Messfeiern außerhalb des Kirchenraumes, etwa in Zeltlagern oder Heimen der katholischen Jugendbewegung, war es seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allgemein üblich, den Altar in solcher Weise aufzustellen, damit die Mitfeiernden dem Handeln des Priesters wenigstens zuschauen und sich seinem meist leisen Beten anschließen konnten, da in den üblichen „Stillmessen“ die Orationen und das Hochgebet vor dem Einsatz von Mikrofonen nicht zu hören waren. Am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils war der Wunsch, die Heilige Messe um einen frei stehenden, zum Volk gewandten Altar zu feiern, vor allem in der Liturgischen Bewegung selbstverständlich[4], zumal in dieser Zeit eine auf Priestersitz, Ambo und Altar verteilte Stellung der Zelebranten kaum, nämlich nur beim Pontifikalamt, erfahrbar war. Der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings beispielsweise griff diese Tendenz auf und schrieb 1956: „Es entspricht unserer visuell eingestellten Zeit, dass die Gläubigen heute sehen wollen, was am Altar geschieht, und es entspricht dem demokratischen Zuge unserer Tage, dass der Unterschied zwischen geweihten Priestern und Laienschaft nicht stärker als notwendig betont wird. Unsere Zeit hat ferner bei allem Subjektivismus und Individualismus eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft und besitzt darum ein tiefes Verständnis für Kirche als Gemeinschaft.“ Allerdings legte Frings Wert darauf, dass bis zum II. Vatikanischen Konzil in Kirchen des Erzbistums Köln nicht „versus populum“ zelebriert wurde, mit Ausnahme des Erzbischofs am Vierungsaltar des Kölner Doms.[5]
Liturgiereform (seit 1964)
Über die Gestaltung der Altäre allgemein oder speziell die Einführung von „Volksaltären“ gibt es keine detaillierten Vorschriften in Sacrosanctum Concilium (SC), der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Konstitution über die Liturgie verlangt aber grundsätzlich, dass der Kirchenraum sorgfältig so einzurichten ist, dass die tätige und bewusste Teilnahme der Gläubigen erreicht werden kann (SC 124) sowie eine Revision von „Gestalt und Errichtung der Altäre“, damit sie „der erneuerten Liturgie“ entsprechen (SC 128). Während des Konzils (1962-1965) wurde in der Konzilsaula, dem Petersdom, die Eucharistie durchgängig versus participantes, in Richtung der Teilnehmer, gefeiert, weil der Papstaltar (Altar der Confessio) über dem Petrusgrab in der Mitte des Kuppelraums steht.
Die seither üblich gewordene Wendung der Altäre zum Volk erfolgte nicht „ohne Auftrag“[6] und erscheint keineswegs „erst in nachkonziliaren Anweisungen“[7]. Seit 1964 besteht vielmehr die den versammelten Konzilsvätern vorab zur Kenntnis gebrachte[8] kirchliche Vorschrift, dass der Hauptaltar künftig „freistehend“ zu errichten ist, und zwar mit zwei ausdrücklich genannten Zielen: damit der Priester ihn leicht umschreiten und außerdem an ihm zum Volke hin zelebrieren kann (Instruktion „Inter oecumenici“ Nr. 91[9]). In jedem Fall soll der Altar, zugleich Zeichen des Ecksteins Christus, die „Mitte sein, auf die sich die Blicke der Versammlung richten“[10]. Die Vorschrift von 1964 fand 1969 Eingang in die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (AEM Nr. 262) und wurde 2002 unter Papst Johannes Paul II. wiederholt mit dem ausdrücklichen Zusatz: quod expedit ubicumque possibile sit, „Das empfiehlt sich überall, wo es möglich ist“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs [2002] Nr. 299).
Ergänzende kirchliche Vorschriften zielen auf: die Benutzung allein eines Altares (Symbol des einen Christus), die zeitliche Begrenzung provisorischer Lösungen, den Erhalt künstlerisch wertvoller historischer Altäre (gegebenenfalls ohne liturgische Nutzung).
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurden die freistehenden Altäre unter der Bezeichnung „Volksaltar“ durch die 1964 einsetzende Liturgiereform (beginnend mit der Instruktion Inter oecumenici 26. September 1964) in den meisten katholischen Kirchen eingerichtet. Hierzu ist folgendes zu bedenken: „Inter oecumenici hatte die Zelebrationsrichtung zu den Gläubigen hin gebilligt, jedoch nicht gefordert. Das Konzil selbst hatte nicht ausdrücklich von celebratio versus populum oder der Errichtung neuer Altäre gesprochen. Erstaunlich schnell interpretierten dennoch fast alle Ortskirchen die bewahrende Empfehlung von Inter oecumenici als allgemein verpflichtende Norm. Nach 1964 kam es nicht nur in neu errichteter Kirchenarchitektur, sondern auch in kunsthistorisch bedeutenden Altbauten zu umfassenden Neuordnungen und Umbauten im Altarbereich bzw. Chorraum. An der Schwelle zwischen Presbyterium und Langhaus errichtete man einen neuen Altar, den sogenannten Volksaltar (coram populo). Räumlich war er den Gottesdienstteilnehmern näher gerückt und gut sichtbar, zudem freistehend und oft als quadratischer Block gestaltet, jedenfalls weniger breit als frühere Hochaltäre. Seine oftmals auch tischförmige Gestalt sollte den Mahlcharakter der Eucharistiefeier, die Mahlgemeinschaft des Gottesvolkes veranschaulichen.“[11].
Bischöfliche Weihe eines Volksaltars
Waren die „Volksaltäre“ in den Kirchen nach dem zweiten Vatikanum zunächst häufig nur Provisorien, sind sie inzwischen weithin durch ordentlich konsekrierte („geheiligte“) Altäre, also einen echten „Hauptaltar“ (= Hochaltar), abgelöst. „Nur auf ihm sind die heiligen Feiern auszuführen ... der alte nicht in besonderer Weise zu schmücken“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs [2002] Nr. 303). Der zum Volk gewandte Altar („Volksaltar“) steht als neuer Hauptaltar der Kirche meist unter der Vierung oder dem Triumphbogen, in nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu begonnenen Kirchenbauten auch oft praktisch in der Mitte der versammelten Gläubigen.
Wo immer ein christlicher Altar steht, ist er ein herausgehobenes Symbol für Christus, zu dem beim Gebet Christen sich ausrichten oder um den sie sich versammeln können. Geist und Gebet am Altar richten sich immer, ob vom Vorsteher mit Rücken oder Gesicht zur Gemeinde gesprochen, zu Gott hin (ad Dominum). Einen Gegensatz von versus populum und versus/ad Deum gibt es folglich nicht[12]. In diesem Sinne hat Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, die Praxis beider Zelebrationsrichtungen 2007 gebilligt und ausdrücklich verteidigt[13].
Pfarrkirche Scheidegg: Volksaltar
Da nicht in jedem bestehenden Kirchengebäude ein neuer „Volksaltar“ eingerichtet werden kann, ist für die Eucharistiefeier die Ausrichtung des Priesters zur Gemeinde nicht vorgeschrieben. Sie gilt generell als nützlich, aber nicht als notwendig[14]. Daher berücksichtigen die Rubriken des heutigen Missale Romanum beide möglichen Ausrichtungen des zelebrierenden Priesters: Mit dem Gesicht zu Altar und Gemeinde (versus populum) bzw. mit dem Rücken zur Gemeinde (versus absidem).
Eine Feier der Eucharistie „zum Tabernakel hin“ kennt der römisch-katholische Gottesdienst nicht. Sie wäre, so Joseph Ratzinger, „gegen jede theologische Logik“ und „offensichtlich sinnlos“.[12] Allerdings wollte Papst Benedikt XVI. zur Wiederentdeckung der kosmologischen Dimension der Liturgie die Gleichrichtung von Priester und Gemeinde zum Vater hin anregen. Schon als Theologe hatte er 1966 beim Katholikentag in Bamberg die "Volksaltarwelle" kritisiert und gefragt, ob es nicht eher im Sinne des Konzils sei, den "Neuklerikalismus" der Zelebration im Gegenüber von Zelebrant und Volk dadurch zu verhindern, dass alle sich gemeinsam zu Gott hinwenden und rufen: "Vater Unser". Nicht betroffen von dieser Kritik war das seit jeher übliche Gebet im Gegenüber von Zelebrant und Gemeinde im Wortgottesdienst der Messfeier. Seit Januar 2008 feierte Papst Benedikt XVI. in der gewesteten Sixtina die hl. Messe am historischen Hochaltar - also mit dem Gesicht zum Altarkreuz (und zum Westen) und nicht wie seine Vorgänger an einem mobilen, jeweils für die Feiern aufgestellten Volksaltar nach Osten und zu den Gläubigen hin.[15] Bei größeren Papstmessen in Rom und anderswo zelebrierte auch Papst Benedikt XVI. die Liturgie versus populum, gerne vor einem großen Altarkreuz.
Gebetsrichtung und Orientierung (Kirchenarchitektur)
Der Kult im Tempel zu Jerusalem war nach dem im Westen gelegenen Allerheiligsten ausgerichtet (versus occidentem). Die neutestamentlichen Schriften wenden sich gegen die Festlegung einer bestimmten Gebetsrichtung (Mt 6, 6; Joh 4, 21-23). Seit etwa dem zweiten Jahrhundert beten Christen mit Vorliebe Richtung Osten - dem Ort des Paradieses und der erwarteten Wiederkunft Christi - gewandt; in Gebäuden zieht ein Teil der Gläubigen den freien Blick zum Himmel durch Tür oder Fenster der Ostrichtung vor.
Freistehender Hauptaltar des Petersdoms unter dem Bernini-Baldachin
Die seit der sog. Konstantinischen Wende (im vierten Jahrhundert) errichteten monumentalen Kirchengebäude waren in aller Regel nach Osten (versus orientem) ausgerichtet, allerdings in entgegengesetzter Weise: entweder mit der Apsis oder, so in Jerusalem (konstantinische Grabeskirche) und vor allem in Rom (St. Peter, St. Johann im Lateran, Santa Croce in Gerusalemme, Santa Cecilia, Sant'Alessio, S. Giorgio al Velabro, S.Nicola In Carcere, Santi Nereo e Achilleo, Sant'Agata dei Goti, San Pancrazio, San Saba usw.) sowie in den römischem Beispiel folgenden Kirchen, mit dem Eingang. Im letzteren Fall der „gewesteten“ (= „eingangsgeosteten“) Kirchen betete der Hauptzelebrant zugleich in östlicher Richtung wie mit dem Gesicht zur Gemeinde (ad orientem, versus populum); die Gläubigen demgegenüber blickten zumindest in späterer Zeit zum Altar hin, also nach Westen. Rechts neben dem Hochaltar in St. Peter, nicht auf ihm, erhob sich ein großes Kreuz auf einem Ständer[16]. Alle Mitfeiernden beteten mit zum Himmel erhobenen Augen, nicht gezielt auf Altar oder Altarkreuz.
In anderen Regionen des Abendlandes baute man auch „apsisgeostete“ Kirchengebäude, in denen sich alle Gottesdienstteilnehmer, Vorsteher wie Gläubige, nach Osten hin ausrichten konnten. In den folgenden Jahrhunderten verliert die Frage der Himmelsrichtung im abendländischen Kirchenbau an Bedeutung. In der Sixtinischen Kapelle des Papstes z.B. steht der historische Altar an der Westwand, ist eine Ostung der Zelebration mithin nicht möglich. Mit und nach dem Konzil von Trient setzte sich im katholischen Raum seit dem 16. Jahrhundert die pastoral motivierte Regel durch, den Gläubigen die unbehinderte Sicht auf das liturgische Geschehen am Hauptaltar zu ermöglichen (z.B. durch Entfernung vorhandener Lettner)[17]. Hinsichtlich der Zelebrationsrichtung wurde vom Tridentinum keine Vorschrift erlassen. Noch das Messbuch Papst Pius V. von 1570 und das Caeremoniale episcoporum von 1600 – also die „Tridentinische Liturgie“ – rechnen weiterhin mit solchen Altären und der Feier versus populum (zu den Christgläubigen gewandt) bis hin zum Missale Romanum in der Fassung von 1962.[18] In den ostchristlichen Gebieten setzte sich allgemein die Ostung des Betens am Altar durch. Doch wurden manche, durchaus gewichtige Vorstehergebete auch in den Ostkirchen in westliche Richtung, zur Gemeinde hin, gesprochen, zum Beispiel bei den Ordinationen und Segensgebeten über Personen. In der heutigen Form der Alt-Jerusalemer Liturgie[19] ist die Feier mit Blick der Priester zum Volk die Regel.
Siehe auch: Ostung, Orientierung und Ad orientem
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Kölner Dom, Volksaltar, 1956–1960
Handelt es sich bei einem Volksaltar um einen feststehenden, geweihten Altar, gilt dieser als der eigentliche Hauptaltar (altare maius = Hochaltar) der Kirche, selbst wenn sich der früher gottesdienstlich gebrauchte Hochaltar, etwa seines künstlerischen Wertes wegen, weiterhin im Kirchenraum befindet. Volksaltar ist somit zwar ein unter deutschsprachigen Katholiken geläufiger Ausdruck, jedoch kein aktueller Fachbegriff liturgierechtlicher oder liturgiewissenschaftlicher Art.
Vorgeschichte und Liturgische Bewegung
Klosterkirche in Maulbronn, Blick vom Mittelschiff auf den Lettner mit dem davor stehenden Kreuzaltar
In den ersten Jahrhunderten bildete die römische Thron- oder Palastbasilika das Vorbild für den christlichen Kirchenbau. Im Apsisscheitel standen die Kathedra des Bischofs und die halbrunde Priesterbank. Dadurch wurde ein hierarchisches Gegenüber von Priesterschaft und Volk ausgedrückt. Der Altar stand frei in der Apsis und konnte umschritten werden. Freistehende Altäre der beschriebenen Art waren seit jeher die Hauptaltäre der großen Basiliken in Rom, z. B. von St. Peter und St. Johann im Lateran. Auch das Messbuch Papst Pius V. von 1570 und das Caeremoniale episcoporum von 1600 rechnen weiterhin mit solchen Altären und der Feier versus populum (zu den Christgläubigen gewandt) bis hin zum Missale Romanum in der Fassung von 1962.[1]
Das Aufkommen der Ostung der Apsis beim Kirchenbau veränderte allmählich auch den Gottesdienst. Das Gegenüber von Zelebrant und Gemeinde wurde außerhalb Roms weithin abgelöst von einem gemeinsamen Beten in Richtung nach Osten. Der Zelebrant stand jetzt vor dem Altar mit dem Rücken zur Gemeinde und behielt diesen Standort auch überall dort bei, wo beim Kirchenbau auf eine bestimmte Himmelsrichtung nicht mehr geachtet wurde. Die Kathedra des Bischofs wurde häufig aus dem Zentrum an die Seitenwand des Chores verschoben, der Altar wanderte gegen den Apsisabschluss und erhielt im Mittelalter häufig Aufbauten mit Retabel und gegebenenfalls Tabernakel.[2]
Freistehender Papstaltar der Lateranbasilika
Altar von Santa Cecilia in Trastevere, um 1700. Der Altar steht, wie in römischen Kirchen üblich, im Westen des Gebäudes. Beim Gebet am Altar blickt der zelebrierende Priester sowohl nach Osten (zum Eingang der Kirche) wie zur mitfeiernden Gemeinde.
Bis in die Zeit nach der Reformation nahm der Lettner den Laien (in Klosterkirchen auch den Konversen) die Sicht auf den Hochaltar, vor dem Chorherren und die Priestermönche die Stundenliturgie und die Messe feierten. Vor dem Lettner, zwischen Hauptschiff und Chor, gab es meist einen oder zwei weitere Altäre. Einer war häufig dem Kreuz Christi geweiht und wurde daher auch als Kreuzaltar bezeichnet, später auch als Laienaltar, Gemeindealtar oder Messaltar.[3]
Im 20. Jahrhundert gab es erste neuere Versuche mit „Volksaltären“ in Deutschland während der 1920er Jahre - wie in der Krypta der Abtei Maria Laach, im Dom in Passau, in Sankt Paul (München) oder von Johannes Pinsk und Romano Guardini. Bei Messfeiern außerhalb des Kirchenraumes, etwa in Zeltlagern oder Heimen der katholischen Jugendbewegung, war es seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allgemein üblich, den Altar in solcher Weise aufzustellen, damit die Mitfeiernden dem Handeln des Priesters wenigstens zuschauen und sich seinem meist leisen Beten anschließen konnten, da in den üblichen „Stillmessen“ die Orationen und das Hochgebet vor dem Einsatz von Mikrofonen nicht zu hören waren. Am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils war der Wunsch, die Heilige Messe um einen frei stehenden, zum Volk gewandten Altar zu feiern, vor allem in der Liturgischen Bewegung selbstverständlich[4], zumal in dieser Zeit eine auf Priestersitz, Ambo und Altar verteilte Stellung der Zelebranten kaum, nämlich nur beim Pontifikalamt, erfahrbar war. Der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings beispielsweise griff diese Tendenz auf und schrieb 1956: „Es entspricht unserer visuell eingestellten Zeit, dass die Gläubigen heute sehen wollen, was am Altar geschieht, und es entspricht dem demokratischen Zuge unserer Tage, dass der Unterschied zwischen geweihten Priestern und Laienschaft nicht stärker als notwendig betont wird. Unsere Zeit hat ferner bei allem Subjektivismus und Individualismus eine große Sehnsucht nach Gemeinschaft und besitzt darum ein tiefes Verständnis für Kirche als Gemeinschaft.“ Allerdings legte Frings Wert darauf, dass bis zum II. Vatikanischen Konzil in Kirchen des Erzbistums Köln nicht „versus populum“ zelebriert wurde, mit Ausnahme des Erzbischofs am Vierungsaltar des Kölner Doms.[5]
Liturgiereform (seit 1964)
Über die Gestaltung der Altäre allgemein oder speziell die Einführung von „Volksaltären“ gibt es keine detaillierten Vorschriften in Sacrosanctum Concilium (SC), der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Konstitution über die Liturgie verlangt aber grundsätzlich, dass der Kirchenraum sorgfältig so einzurichten ist, dass die tätige und bewusste Teilnahme der Gläubigen erreicht werden kann (SC 124) sowie eine Revision von „Gestalt und Errichtung der Altäre“, damit sie „der erneuerten Liturgie“ entsprechen (SC 128). Während des Konzils (1962-1965) wurde in der Konzilsaula, dem Petersdom, die Eucharistie durchgängig versus participantes, in Richtung der Teilnehmer, gefeiert, weil der Papstaltar (Altar der Confessio) über dem Petrusgrab in der Mitte des Kuppelraums steht.
Die seither üblich gewordene Wendung der Altäre zum Volk erfolgte nicht „ohne Auftrag“[6] und erscheint keineswegs „erst in nachkonziliaren Anweisungen“[7]. Seit 1964 besteht vielmehr die den versammelten Konzilsvätern vorab zur Kenntnis gebrachte[8] kirchliche Vorschrift, dass der Hauptaltar künftig „freistehend“ zu errichten ist, und zwar mit zwei ausdrücklich genannten Zielen: damit der Priester ihn leicht umschreiten und außerdem an ihm zum Volke hin zelebrieren kann (Instruktion „Inter oecumenici“ Nr. 91[9]). In jedem Fall soll der Altar, zugleich Zeichen des Ecksteins Christus, die „Mitte sein, auf die sich die Blicke der Versammlung richten“[10]. Die Vorschrift von 1964 fand 1969 Eingang in die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (AEM Nr. 262) und wurde 2002 unter Papst Johannes Paul II. wiederholt mit dem ausdrücklichen Zusatz: quod expedit ubicumque possibile sit, „Das empfiehlt sich überall, wo es möglich ist“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs [2002] Nr. 299).
Ergänzende kirchliche Vorschriften zielen auf: die Benutzung allein eines Altares (Symbol des einen Christus), die zeitliche Begrenzung provisorischer Lösungen, den Erhalt künstlerisch wertvoller historischer Altäre (gegebenenfalls ohne liturgische Nutzung).
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurden die freistehenden Altäre unter der Bezeichnung „Volksaltar“ durch die 1964 einsetzende Liturgiereform (beginnend mit der Instruktion Inter oecumenici 26. September 1964) in den meisten katholischen Kirchen eingerichtet. Hierzu ist folgendes zu bedenken: „Inter oecumenici hatte die Zelebrationsrichtung zu den Gläubigen hin gebilligt, jedoch nicht gefordert. Das Konzil selbst hatte nicht ausdrücklich von celebratio versus populum oder der Errichtung neuer Altäre gesprochen. Erstaunlich schnell interpretierten dennoch fast alle Ortskirchen die bewahrende Empfehlung von Inter oecumenici als allgemein verpflichtende Norm. Nach 1964 kam es nicht nur in neu errichteter Kirchenarchitektur, sondern auch in kunsthistorisch bedeutenden Altbauten zu umfassenden Neuordnungen und Umbauten im Altarbereich bzw. Chorraum. An der Schwelle zwischen Presbyterium und Langhaus errichtete man einen neuen Altar, den sogenannten Volksaltar (coram populo). Räumlich war er den Gottesdienstteilnehmern näher gerückt und gut sichtbar, zudem freistehend und oft als quadratischer Block gestaltet, jedenfalls weniger breit als frühere Hochaltäre. Seine oftmals auch tischförmige Gestalt sollte den Mahlcharakter der Eucharistiefeier, die Mahlgemeinschaft des Gottesvolkes veranschaulichen.“[11].
Bischöfliche Weihe eines Volksaltars
Waren die „Volksaltäre“ in den Kirchen nach dem zweiten Vatikanum zunächst häufig nur Provisorien, sind sie inzwischen weithin durch ordentlich konsekrierte („geheiligte“) Altäre, also einen echten „Hauptaltar“ (= Hochaltar), abgelöst. „Nur auf ihm sind die heiligen Feiern auszuführen ... der alte nicht in besonderer Weise zu schmücken“ (Grundordnung des Römischen Messbuchs [2002] Nr. 303). Der zum Volk gewandte Altar („Volksaltar“) steht als neuer Hauptaltar der Kirche meist unter der Vierung oder dem Triumphbogen, in nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu begonnenen Kirchenbauten auch oft praktisch in der Mitte der versammelten Gläubigen.
Wo immer ein christlicher Altar steht, ist er ein herausgehobenes Symbol für Christus, zu dem beim Gebet Christen sich ausrichten oder um den sie sich versammeln können. Geist und Gebet am Altar richten sich immer, ob vom Vorsteher mit Rücken oder Gesicht zur Gemeinde gesprochen, zu Gott hin (ad Dominum). Einen Gegensatz von versus populum und versus/ad Deum gibt es folglich nicht[12]. In diesem Sinne hat Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, die Praxis beider Zelebrationsrichtungen 2007 gebilligt und ausdrücklich verteidigt[13].
Pfarrkirche Scheidegg: Volksaltar
Da nicht in jedem bestehenden Kirchengebäude ein neuer „Volksaltar“ eingerichtet werden kann, ist für die Eucharistiefeier die Ausrichtung des Priesters zur Gemeinde nicht vorgeschrieben. Sie gilt generell als nützlich, aber nicht als notwendig[14]. Daher berücksichtigen die Rubriken des heutigen Missale Romanum beide möglichen Ausrichtungen des zelebrierenden Priesters: Mit dem Gesicht zu Altar und Gemeinde (versus populum) bzw. mit dem Rücken zur Gemeinde (versus absidem).
Eine Feier der Eucharistie „zum Tabernakel hin“ kennt der römisch-katholische Gottesdienst nicht. Sie wäre, so Joseph Ratzinger, „gegen jede theologische Logik“ und „offensichtlich sinnlos“.[12] Allerdings wollte Papst Benedikt XVI. zur Wiederentdeckung der kosmologischen Dimension der Liturgie die Gleichrichtung von Priester und Gemeinde zum Vater hin anregen. Schon als Theologe hatte er 1966 beim Katholikentag in Bamberg die "Volksaltarwelle" kritisiert und gefragt, ob es nicht eher im Sinne des Konzils sei, den "Neuklerikalismus" der Zelebration im Gegenüber von Zelebrant und Volk dadurch zu verhindern, dass alle sich gemeinsam zu Gott hinwenden und rufen: "Vater Unser". Nicht betroffen von dieser Kritik war das seit jeher übliche Gebet im Gegenüber von Zelebrant und Gemeinde im Wortgottesdienst der Messfeier. Seit Januar 2008 feierte Papst Benedikt XVI. in der gewesteten Sixtina die hl. Messe am historischen Hochaltar - also mit dem Gesicht zum Altarkreuz (und zum Westen) und nicht wie seine Vorgänger an einem mobilen, jeweils für die Feiern aufgestellten Volksaltar nach Osten und zu den Gläubigen hin.[15] Bei größeren Papstmessen in Rom und anderswo zelebrierte auch Papst Benedikt XVI. die Liturgie versus populum, gerne vor einem großen Altarkreuz.
Gebetsrichtung und Orientierung (Kirchenarchitektur)
Der Kult im Tempel zu Jerusalem war nach dem im Westen gelegenen Allerheiligsten ausgerichtet (versus occidentem). Die neutestamentlichen Schriften wenden sich gegen die Festlegung einer bestimmten Gebetsrichtung (Mt 6, 6; Joh 4, 21-23). Seit etwa dem zweiten Jahrhundert beten Christen mit Vorliebe Richtung Osten - dem Ort des Paradieses und der erwarteten Wiederkunft Christi - gewandt; in Gebäuden zieht ein Teil der Gläubigen den freien Blick zum Himmel durch Tür oder Fenster der Ostrichtung vor.
Freistehender Hauptaltar des Petersdoms unter dem Bernini-Baldachin
Die seit der sog. Konstantinischen Wende (im vierten Jahrhundert) errichteten monumentalen Kirchengebäude waren in aller Regel nach Osten (versus orientem) ausgerichtet, allerdings in entgegengesetzter Weise: entweder mit der Apsis oder, so in Jerusalem (konstantinische Grabeskirche) und vor allem in Rom (St. Peter, St. Johann im Lateran, Santa Croce in Gerusalemme, Santa Cecilia, Sant'Alessio, S. Giorgio al Velabro, S.Nicola In Carcere, Santi Nereo e Achilleo, Sant'Agata dei Goti, San Pancrazio, San Saba usw.) sowie in den römischem Beispiel folgenden Kirchen, mit dem Eingang. Im letzteren Fall der „gewesteten“ (= „eingangsgeosteten“) Kirchen betete der Hauptzelebrant zugleich in östlicher Richtung wie mit dem Gesicht zur Gemeinde (ad orientem, versus populum); die Gläubigen demgegenüber blickten zumindest in späterer Zeit zum Altar hin, also nach Westen. Rechts neben dem Hochaltar in St. Peter, nicht auf ihm, erhob sich ein großes Kreuz auf einem Ständer[16]. Alle Mitfeiernden beteten mit zum Himmel erhobenen Augen, nicht gezielt auf Altar oder Altarkreuz.
In anderen Regionen des Abendlandes baute man auch „apsisgeostete“ Kirchengebäude, in denen sich alle Gottesdienstteilnehmer, Vorsteher wie Gläubige, nach Osten hin ausrichten konnten. In den folgenden Jahrhunderten verliert die Frage der Himmelsrichtung im abendländischen Kirchenbau an Bedeutung. In der Sixtinischen Kapelle des Papstes z.B. steht der historische Altar an der Westwand, ist eine Ostung der Zelebration mithin nicht möglich. Mit und nach dem Konzil von Trient setzte sich im katholischen Raum seit dem 16. Jahrhundert die pastoral motivierte Regel durch, den Gläubigen die unbehinderte Sicht auf das liturgische Geschehen am Hauptaltar zu ermöglichen (z.B. durch Entfernung vorhandener Lettner)[17]. Hinsichtlich der Zelebrationsrichtung wurde vom Tridentinum keine Vorschrift erlassen. Noch das Messbuch Papst Pius V. von 1570 und das Caeremoniale episcoporum von 1600 – also die „Tridentinische Liturgie“ – rechnen weiterhin mit solchen Altären und der Feier versus populum (zu den Christgläubigen gewandt) bis hin zum Missale Romanum in der Fassung von 1962.[18] In den ostchristlichen Gebieten setzte sich allgemein die Ostung des Betens am Altar durch. Doch wurden manche, durchaus gewichtige Vorstehergebete auch in den Ostkirchen in westliche Richtung, zur Gemeinde hin, gesprochen, zum Beispiel bei den Ordinationen und Segensgebeten über Personen. In der heutigen Form der Alt-Jerusalemer Liturgie[19] ist die Feier mit Blick der Priester zum Volk die Regel.
Siehe auch: Ostung, Orientierung und Ad orientem
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