Der Millenarismus
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Der Millenarismus
Millenarismus, Millennialismus (v. lat.: millennium „Jahrtausend“) oder Chiliasmus (v. griech.: χιλία chilia „tausend“, adj. „chiliastisch“) im ursprünglichen Sinn bezeichnet den Glauben an die Wiederkunft Jesu Christi und das Aufrichten seines tausend Jahre währenden Reichs (genannt tausendjähriges Reich oder tausendjähriges Friedensreich), manchmal mit Israel als politisch und religiös dominierender Weltmacht. Der Begriff wird auch allgemeiner als Bezeichnung für den Glauben an das nahe Ende der gegenwärtigen Welt, manchmal verbunden mit der Erschaffung eines irdischen Paradieses, oder für einen apokalyptischen Fatalismus im Zusammenhang mit einer Jahrtausendwende verwendet.
Messianismus und Chiliasmus
Einen eschatologischen Messianismus als erweiterten Begriff des Millenarismus gibt es sowohl im Christentum, wie auch im Judentum, im Islam und im Zoroastrismus und kleineren Gruppen.
Einige christliche Gruppen wie die Mormonen vertreten die Sichtweise, dass ihr eigenes Auftreten mit dem Kommen des Millenniums gleichzusetzen ist oder durch das Kommen des Millenniums begründet wird. Für die Christen der Bibelforscherbewegung beginnt das Millennium nach Harmagedon und ist gleichzusetzen mit dem Jüngsten Gericht.
Es gibt auch einen säkularen Millenarismus. In der Soziologie wird dafür eher der Begriff Chiliasmus verwendet (vgl. Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus), und es wird vermutet, dass alle Kulturen (auch Stammeskulturen) in schweren sozialen Krisen zu chiliastischen Innovationen neigen.
Millenaristische Denkrichtungen im heutigen Christentum
Die vier hauptsächlichen Sichtweisen des Millenniums
Prämillenarismus
Diese im Evangelikalismus weit verbreitete Überzeugung geht auf die frühen Christen zurück, insbesondere auf Offb 20,1-10 LUT. Der Ausdruck besagt, dass Christus vor dem Millennium sichtbar wiederkommen wird (lat. prae „vor“). Innerhalb des Prämillenarismus gibt es ursprünglich die historische und die futuristische Denkrichtung. Die historische Richtung sieht in den Visionen im Buch Daniel und der Offenbarung des Johannes symbolisch vorgeschattete Abfolgen der Kirchengeschichte. Die futuristische Richtung bringt die Endzeit in Zusammenhang mit dem geistlich wiederhergestellten Israel.[1] Die Verbreitung des Prämillenarismus wurde durch die pessimistische Weltsicht als psychologische Folge von Industrialisierung, großen Wirtschaftskrisen, den Weltkriegen, dem kalten Krieg sowie des Sechs-Tage-Krieges in Israel stark gefördert.
Anhänger des neueren Dispensationalismus vertreten in der Regel ein Modell der futuristischen Denkrichtung des Prämillenarismus. Eine Besonderheit stellt die Entrückung der Gläubigen zusammen mit Christus dar, die vor der Trübsalszeit geschieht.
Da Prämillenaristen Erscheinungen ihrer Gegenwart als Indizien deuten, dass diese Trübsalszeit herannahe, besteht unter ihnen eine verbreitete Neigung zu Verschwörungstheorien. Insbesondere in den Vereinigten Staaten glauben viele Prämillenaristen, der geheime Zweck von Organisationen wie den Vereinten Nationen, des Federal Reserve Systems oder der Europäischen Union wäre es, eine „Neue Weltordnung“ zu errichten, eine Weltregierung unter der Herrschaft des Antichrist.[2]
Der progressive Dispensationalismus, wie er etwa von Robert Saucy, Darrell Bock und Kenneth L. Barker vertreten wird, geht noch einen Schritt weiter und nähert sich mehr und mehr dem Prämillennialismus an. Israel und die Gemeinde werden zwar weiterhin als Völker mit verschiedenen Verheißungen und Aufträgen betrachtet, aber spätestens in der Ewigkeit ist diese Unterschiedenheit völlig aufgehoben.[3]
Postmillenarismus
→ Hauptartikel: Postmillenarismus
Diese im arminianisch geprägten Christentum weit verbreitete Denkrichtung ist eine Art realisierter Millenarismus. Die systematische Aufarbeitung dieser Richtung geht auf den anglikanischen Geistlichen Daniel Whitby (1638–1726) zurück. Er vertrat die Ansicht, das Millennium würde anbrechen, wenn sich alle Menschen zu Jesus bekehren.[4] Postmillenaristen glauben, dass das Reich Gottes durch christliche Predigt und Lehre erreicht wird, die zu einer besseren Welt führt. Christus kommt nach (lat. post „nach“) dem Millennium und tritt dann erst seine Herrschaft an, d. h. das Millennium ist schon angebrochen.
Amillennialismus
→ Hauptartikel: Amillennialismus
Diese im Katholizismus und calvinistisch geprägten Protestantismus weit verbreitete Denkrichtung geht auf die frühen Kirchenväter zurück und überlebte die Reformation. Amillenaristen sehen die Zahl 1000 symbolisch und glauben, dass das Reich Gottes heute in der Welt gegenwärtig ist, da der siegreiche Christus seine Kirche durch Wort und Geist regiert. Die Abgrenzung zum Postmillenarismus ist oft fließend und es sind auch präteristische Ansichten vertreten.
Geschichte
Irenäus von Lyon rechnete den Chiliasmus zu den kirchlichen Glaubensbekenntnissen und alle Nichtchiliasten zu „Ketzern“. Auch Kirchenväter wie Tertullian und Cyprian verkündeten den Chiliasmus.
Ab Mitte des 3. Jahrhunderts wurde der Chiliasmus auch innerhalb der katholischen Kirche bekämpft. Die Erwartung eines irdischen Gottesreiches wurde nun überflüssig, denn der katholischen Kirche ging es materiell zunehmend besser und der politische Einfluss stieg. Dies interpretierte man als Zeichen, dass das Reich Gottes bereits begonnen habe. Man betonte die angebliche „Endlosigkeit“ des Reichs Christi und erklärte die gegenteilige – auch durch Paulus vertretene – Anschauung von einem befristeten (äonischen) Messiasreich offiziell zur Häresie. Die Kirche bemühte sich, das chiliastische Schrifttum in seiner Bedeutung in den Hintergrund treten zu lassen.
Augustinus verwarf den Millenarismus nach anfänglicher Befürwortung zugunsten eines Konzeptes, das den Anbruch des Millenniums bereits mit dem ersten Erscheinen Jesu Christi gleichsetzte (Amillenarismus). Als 1000 n. Chr. Christus jedoch nicht erschien, wurde es für die Anhänger des Amillenarismus notwendig, auch die Dauer der 1000 Jahre allegorisch aufzufassen. Jetzt sollten die 1000 Jahre für einen unbestimmten Zeitraum zwischen den beiden Kommen Christi stehen. Satan sei zwar gebunden, aber noch nicht ganz – das gegenwärtige Zeitalter sei, nach Augustinus, als Kampf zwischen Gemeinde und Welt, zwischen „Stadt Christi“ und „Stadt des Teufels“ zu sehen (Augustinus, De civitate dei 20,11). Diese allegorische Sicht setzte sich weithin im Christentum durch.
Joachim von Fiore nahm sich des Themas im 12. Jahrhundert jedoch wieder an und baute es aus. Danach gibt es – analog zur Lehre der Dreifaltigkeit – drei Reiche: das erste bis zum Erscheinen des Messias Jesus Christus, das zweite als das christliche Reich nach Christus und das dritte Reich als Reich des Heiligen Geistes. Es gibt jedoch unterschiedliche religiöse Interpretationen dieses Begriffs.
Im 15. und 16. Jahrhundert lebte der Prämillenarismus bei den Täufern und Taboriten wieder auf. Wohl vor allem um sich aus politischen Gründen von den Täuferbewegungen zu distanzieren, verwarfen reformatorische Bekenntnisse (Confessio Augustana 17; Confessio Helvetica posterior 11) den Chiliasmus als Irrlehre.
Erneut lebendig wurde der Chiliasmus im 17. Jahrhundert bei verfolgten Gemeinden in England und den Niederlanden, etwa bei den Quäkern oder den Fifth Monarchy Men, an der Wende zum 18. Jahrhundert auch im radikalen Pietismus und später in der aus diesem hervorgegangenen Inspirationsbewegung. In der Lutherischen Kirche hat es ebenfalls Strömungen des Chiliasmus gegeben. Anfang des 19. Jahrhunderts förderte der Chiliasmus die Auswanderung nach Bessarabien, weil die Sehnsucht der Anhänger in Südrussland und vor allem in Kaukasien einen „Bergungsort“ sah. Vor allem 1817 war ein großer Chiliastenzug mit 14 Harmonien zu jeweils etwa 400 Personen zu verzeichnen, der sich auf der Donau auf Ulmer Schachteln einschiffte. In Bessarabien entstand aus den Auswanderern die Bevölkerungsgruppe der Bessarabiendeutschen.
Die Geschichte des Millenarismus umfasst auch ihre Missbrauchs-Geschichte: Im 20. Jahrhundert griffen die Nationalsozialisten Begriffe wie „Drittes Reich“ oder „Tausendjähriges Reich“ für ihre Propaganda auf. Die Nationalsozialisten adaptierten den Begriff „Tausendjähriges Reich“, um nach der wechselvollen deutschen Geschichte eine Zeit der Kontinuität unter ihrer Herrschaft zu propagieren. So verkündete Adolf Hitler am 1. September 1933 offiziell, dass der von ihm geführte Staat ein „Drittes Reich“ sei, das „tausend Jahre“ dauern werde.[5]
Die „Einigungssätze zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche“, die 1947 erarbeitet wurden und in denen nur die Differenzpunkte zwischen beiden Kirchen behoben wurden, haben einen Abschnitt „Von den letzten Dingen“ (IV), in dem das Problem des Chiliasmus eine wichtige Rolle spielt.
Heutige Akzeptanz
Katholische Kirche, evangelisch-lutherische Kirchen und reformierte Kirchen allegorisieren und spiritualisieren heute jene Bibelstellen, die zur Begründung des Prämillenarismus herangezogen werden und vertreten in der Praxis eine Mischung aus Postmillenarismus und Amillenarismus.
Wird die Offenbarung als Ankündigung des Verlaufs der Ereignisse am Ende der Zeit verstanden, wie bei Adventisten, Baptisten, der Bibelforscherbewegung, in Pfingstgemeinden und weiteren Freikirchen, wird ein Millennium erwartet. Auch der so genannte christliche Zionismus ist chiliastisch ausgerichtet.
Anwendungen bei der Geschichtswissenschaft
Das Zentrum für Millennial Studies der Boston University unter der Leitung von Richard Landes veranstaltete jährliche Tagungen und gab die Onlinezeitschrift Journal of Millennial Studies heraus. Zu den Publikationen des mittlerweile geschlossenen Zentrums gehören die Encyclopedia of Millennialism and Millennial Movements, (Berkshire Reference Works; Routledge, NY 2000); Heaven on Earth: The Varieties of the Millennial Experience (Oxford U. Press, 2011), and The Paranoid Apocalypse: A Hundred-Year Retrospective on the Protocols of the Elders of Zion (NYU Press, 2011).
Landes betrachtet Religion als eine gesellschaftlich wichtige Kraft, die die Beziehungen zwischen Eliten und in Normalbürgern in vielen Ländern und Zeitabschnitten prägt. Landes zufolge wurde das Jahr 6000 der jüdischen Zeitrechnung im mittelalterlichen Europa jeweils für 500 CE und 801 CE als Ende der Zeiten angesehen. In beiden Fällen nutzte dies die klerikale Elite, zunächst um auf ein Ende der Zeiten warnend hinzuweisen, danach um die Chronologie entsprechend zu korrigieren. Im Jahr 500 wurde die biblische Zeitrechnung von 6000 auf 5700 korrigiert. 801 war das AD Datum eingeführt worden, welches ein Datum der Apokalypse auf 1000 oder 1033 nach der Geburt oder der Kreuzigung Christi vorsah. 801 war nicht mehr zu vermeiden. Das römische Christentum erhielt dadurch einiges an Schüben: Pilgerwesen, Häretiker, Geißler und Barfüßer erhielten Auftrieb.[6]
Landes, auf den auch das Kofferwort Pallywood zurückgeht, sieht aufgrund der Jahreswende 2000 ähnliche apokalyptische Strömungen in der Gegenwart. Den globalen islamistischen Dschihad bezeichnet er als eine millenaristische Bewegung. Dabei spiele für den Dschihad das Internet eine ähnliche Rolle wie der Buchdruck für den Protestantismus.
Siehe auch
Vier-Reiche-Lehre
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Messianismus und Chiliasmus
Einen eschatologischen Messianismus als erweiterten Begriff des Millenarismus gibt es sowohl im Christentum, wie auch im Judentum, im Islam und im Zoroastrismus und kleineren Gruppen.
Einige christliche Gruppen wie die Mormonen vertreten die Sichtweise, dass ihr eigenes Auftreten mit dem Kommen des Millenniums gleichzusetzen ist oder durch das Kommen des Millenniums begründet wird. Für die Christen der Bibelforscherbewegung beginnt das Millennium nach Harmagedon und ist gleichzusetzen mit dem Jüngsten Gericht.
Es gibt auch einen säkularen Millenarismus. In der Soziologie wird dafür eher der Begriff Chiliasmus verwendet (vgl. Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus), und es wird vermutet, dass alle Kulturen (auch Stammeskulturen) in schweren sozialen Krisen zu chiliastischen Innovationen neigen.
Millenaristische Denkrichtungen im heutigen Christentum
Die vier hauptsächlichen Sichtweisen des Millenniums
Prämillenarismus
Diese im Evangelikalismus weit verbreitete Überzeugung geht auf die frühen Christen zurück, insbesondere auf Offb 20,1-10 LUT. Der Ausdruck besagt, dass Christus vor dem Millennium sichtbar wiederkommen wird (lat. prae „vor“). Innerhalb des Prämillenarismus gibt es ursprünglich die historische und die futuristische Denkrichtung. Die historische Richtung sieht in den Visionen im Buch Daniel und der Offenbarung des Johannes symbolisch vorgeschattete Abfolgen der Kirchengeschichte. Die futuristische Richtung bringt die Endzeit in Zusammenhang mit dem geistlich wiederhergestellten Israel.[1] Die Verbreitung des Prämillenarismus wurde durch die pessimistische Weltsicht als psychologische Folge von Industrialisierung, großen Wirtschaftskrisen, den Weltkriegen, dem kalten Krieg sowie des Sechs-Tage-Krieges in Israel stark gefördert.
Anhänger des neueren Dispensationalismus vertreten in der Regel ein Modell der futuristischen Denkrichtung des Prämillenarismus. Eine Besonderheit stellt die Entrückung der Gläubigen zusammen mit Christus dar, die vor der Trübsalszeit geschieht.
Da Prämillenaristen Erscheinungen ihrer Gegenwart als Indizien deuten, dass diese Trübsalszeit herannahe, besteht unter ihnen eine verbreitete Neigung zu Verschwörungstheorien. Insbesondere in den Vereinigten Staaten glauben viele Prämillenaristen, der geheime Zweck von Organisationen wie den Vereinten Nationen, des Federal Reserve Systems oder der Europäischen Union wäre es, eine „Neue Weltordnung“ zu errichten, eine Weltregierung unter der Herrschaft des Antichrist.[2]
Der progressive Dispensationalismus, wie er etwa von Robert Saucy, Darrell Bock und Kenneth L. Barker vertreten wird, geht noch einen Schritt weiter und nähert sich mehr und mehr dem Prämillennialismus an. Israel und die Gemeinde werden zwar weiterhin als Völker mit verschiedenen Verheißungen und Aufträgen betrachtet, aber spätestens in der Ewigkeit ist diese Unterschiedenheit völlig aufgehoben.[3]
Postmillenarismus
→ Hauptartikel: Postmillenarismus
Diese im arminianisch geprägten Christentum weit verbreitete Denkrichtung ist eine Art realisierter Millenarismus. Die systematische Aufarbeitung dieser Richtung geht auf den anglikanischen Geistlichen Daniel Whitby (1638–1726) zurück. Er vertrat die Ansicht, das Millennium würde anbrechen, wenn sich alle Menschen zu Jesus bekehren.[4] Postmillenaristen glauben, dass das Reich Gottes durch christliche Predigt und Lehre erreicht wird, die zu einer besseren Welt führt. Christus kommt nach (lat. post „nach“) dem Millennium und tritt dann erst seine Herrschaft an, d. h. das Millennium ist schon angebrochen.
Amillennialismus
→ Hauptartikel: Amillennialismus
Diese im Katholizismus und calvinistisch geprägten Protestantismus weit verbreitete Denkrichtung geht auf die frühen Kirchenväter zurück und überlebte die Reformation. Amillenaristen sehen die Zahl 1000 symbolisch und glauben, dass das Reich Gottes heute in der Welt gegenwärtig ist, da der siegreiche Christus seine Kirche durch Wort und Geist regiert. Die Abgrenzung zum Postmillenarismus ist oft fließend und es sind auch präteristische Ansichten vertreten.
Geschichte
Irenäus von Lyon rechnete den Chiliasmus zu den kirchlichen Glaubensbekenntnissen und alle Nichtchiliasten zu „Ketzern“. Auch Kirchenväter wie Tertullian und Cyprian verkündeten den Chiliasmus.
Ab Mitte des 3. Jahrhunderts wurde der Chiliasmus auch innerhalb der katholischen Kirche bekämpft. Die Erwartung eines irdischen Gottesreiches wurde nun überflüssig, denn der katholischen Kirche ging es materiell zunehmend besser und der politische Einfluss stieg. Dies interpretierte man als Zeichen, dass das Reich Gottes bereits begonnen habe. Man betonte die angebliche „Endlosigkeit“ des Reichs Christi und erklärte die gegenteilige – auch durch Paulus vertretene – Anschauung von einem befristeten (äonischen) Messiasreich offiziell zur Häresie. Die Kirche bemühte sich, das chiliastische Schrifttum in seiner Bedeutung in den Hintergrund treten zu lassen.
Augustinus verwarf den Millenarismus nach anfänglicher Befürwortung zugunsten eines Konzeptes, das den Anbruch des Millenniums bereits mit dem ersten Erscheinen Jesu Christi gleichsetzte (Amillenarismus). Als 1000 n. Chr. Christus jedoch nicht erschien, wurde es für die Anhänger des Amillenarismus notwendig, auch die Dauer der 1000 Jahre allegorisch aufzufassen. Jetzt sollten die 1000 Jahre für einen unbestimmten Zeitraum zwischen den beiden Kommen Christi stehen. Satan sei zwar gebunden, aber noch nicht ganz – das gegenwärtige Zeitalter sei, nach Augustinus, als Kampf zwischen Gemeinde und Welt, zwischen „Stadt Christi“ und „Stadt des Teufels“ zu sehen (Augustinus, De civitate dei 20,11). Diese allegorische Sicht setzte sich weithin im Christentum durch.
Joachim von Fiore nahm sich des Themas im 12. Jahrhundert jedoch wieder an und baute es aus. Danach gibt es – analog zur Lehre der Dreifaltigkeit – drei Reiche: das erste bis zum Erscheinen des Messias Jesus Christus, das zweite als das christliche Reich nach Christus und das dritte Reich als Reich des Heiligen Geistes. Es gibt jedoch unterschiedliche religiöse Interpretationen dieses Begriffs.
Im 15. und 16. Jahrhundert lebte der Prämillenarismus bei den Täufern und Taboriten wieder auf. Wohl vor allem um sich aus politischen Gründen von den Täuferbewegungen zu distanzieren, verwarfen reformatorische Bekenntnisse (Confessio Augustana 17; Confessio Helvetica posterior 11) den Chiliasmus als Irrlehre.
Erneut lebendig wurde der Chiliasmus im 17. Jahrhundert bei verfolgten Gemeinden in England und den Niederlanden, etwa bei den Quäkern oder den Fifth Monarchy Men, an der Wende zum 18. Jahrhundert auch im radikalen Pietismus und später in der aus diesem hervorgegangenen Inspirationsbewegung. In der Lutherischen Kirche hat es ebenfalls Strömungen des Chiliasmus gegeben. Anfang des 19. Jahrhunderts förderte der Chiliasmus die Auswanderung nach Bessarabien, weil die Sehnsucht der Anhänger in Südrussland und vor allem in Kaukasien einen „Bergungsort“ sah. Vor allem 1817 war ein großer Chiliastenzug mit 14 Harmonien zu jeweils etwa 400 Personen zu verzeichnen, der sich auf der Donau auf Ulmer Schachteln einschiffte. In Bessarabien entstand aus den Auswanderern die Bevölkerungsgruppe der Bessarabiendeutschen.
Die Geschichte des Millenarismus umfasst auch ihre Missbrauchs-Geschichte: Im 20. Jahrhundert griffen die Nationalsozialisten Begriffe wie „Drittes Reich“ oder „Tausendjähriges Reich“ für ihre Propaganda auf. Die Nationalsozialisten adaptierten den Begriff „Tausendjähriges Reich“, um nach der wechselvollen deutschen Geschichte eine Zeit der Kontinuität unter ihrer Herrschaft zu propagieren. So verkündete Adolf Hitler am 1. September 1933 offiziell, dass der von ihm geführte Staat ein „Drittes Reich“ sei, das „tausend Jahre“ dauern werde.[5]
Die „Einigungssätze zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Altpreußens und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche“, die 1947 erarbeitet wurden und in denen nur die Differenzpunkte zwischen beiden Kirchen behoben wurden, haben einen Abschnitt „Von den letzten Dingen“ (IV), in dem das Problem des Chiliasmus eine wichtige Rolle spielt.
Heutige Akzeptanz
Katholische Kirche, evangelisch-lutherische Kirchen und reformierte Kirchen allegorisieren und spiritualisieren heute jene Bibelstellen, die zur Begründung des Prämillenarismus herangezogen werden und vertreten in der Praxis eine Mischung aus Postmillenarismus und Amillenarismus.
Wird die Offenbarung als Ankündigung des Verlaufs der Ereignisse am Ende der Zeit verstanden, wie bei Adventisten, Baptisten, der Bibelforscherbewegung, in Pfingstgemeinden und weiteren Freikirchen, wird ein Millennium erwartet. Auch der so genannte christliche Zionismus ist chiliastisch ausgerichtet.
Anwendungen bei der Geschichtswissenschaft
Das Zentrum für Millennial Studies der Boston University unter der Leitung von Richard Landes veranstaltete jährliche Tagungen und gab die Onlinezeitschrift Journal of Millennial Studies heraus. Zu den Publikationen des mittlerweile geschlossenen Zentrums gehören die Encyclopedia of Millennialism and Millennial Movements, (Berkshire Reference Works; Routledge, NY 2000); Heaven on Earth: The Varieties of the Millennial Experience (Oxford U. Press, 2011), and The Paranoid Apocalypse: A Hundred-Year Retrospective on the Protocols of the Elders of Zion (NYU Press, 2011).
Landes betrachtet Religion als eine gesellschaftlich wichtige Kraft, die die Beziehungen zwischen Eliten und in Normalbürgern in vielen Ländern und Zeitabschnitten prägt. Landes zufolge wurde das Jahr 6000 der jüdischen Zeitrechnung im mittelalterlichen Europa jeweils für 500 CE und 801 CE als Ende der Zeiten angesehen. In beiden Fällen nutzte dies die klerikale Elite, zunächst um auf ein Ende der Zeiten warnend hinzuweisen, danach um die Chronologie entsprechend zu korrigieren. Im Jahr 500 wurde die biblische Zeitrechnung von 6000 auf 5700 korrigiert. 801 war das AD Datum eingeführt worden, welches ein Datum der Apokalypse auf 1000 oder 1033 nach der Geburt oder der Kreuzigung Christi vorsah. 801 war nicht mehr zu vermeiden. Das römische Christentum erhielt dadurch einiges an Schüben: Pilgerwesen, Häretiker, Geißler und Barfüßer erhielten Auftrieb.[6]
Landes, auf den auch das Kofferwort Pallywood zurückgeht, sieht aufgrund der Jahreswende 2000 ähnliche apokalyptische Strömungen in der Gegenwart. Den globalen islamistischen Dschihad bezeichnet er als eine millenaristische Bewegung. Dabei spiele für den Dschihad das Internet eine ähnliche Rolle wie der Buchdruck für den Protestantismus.
Siehe auch
Vier-Reiche-Lehre
Quelle - literatur & Einzelnachweise
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