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Die Jenische

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Die Jenische Empty Die Jenische

Beitrag  checker Mo Feb 09, 2015 8:04 am

Jenische ist sowohl eine Eigen- als auch eine Fremdbezeichnung für Angehörige eines nach landschaftlicher und sozialer Abkunft in sich heterogenen Teils der Bevölkerung in Mittel- und Westeuropa. Historisch lassen sich Jenische auf Angehörige der marginalisierten Schichten der Armutsgesellschaften der frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts zurückführen. Merkmale dieser historischen Jenischen waren ihr ökonomischer, rechtlicher und sozialer Ausschluss aus der Mehrheitsbevölkerung und eine dadurch bedingte Dauermigration.

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Jenische am Lauerzersee (Schweiz), 1928

Es „reist“ heute nur mehr ein kleiner Teil der Jenischen. Die gesellschaftliche Marginalisierung mit reduzierten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, in der Wohnsituation und in den Bildungsmöglichkeiten besteht bis heute ganz überwiegend fort.

Jenischen zugeordnet wird ein eigentümliches Idiom, die aus dem Rotwelschen hervorgegangene jenische Sprache.

Bezeichnungen

„Jenisch“ ist ein erstes Mal für eine Wortliste aus dem Jahr 1714 bei Friedrich Kluge (1901) angegeben, und zwar als Sprach-, nicht als Sprecherbezeichnung. Demnach seien es betrügerische Wiener „Kellner“ gewesen, die sich auf „eine gewisse Redens-Arth“ verlegt hätten, „welche sie die jenische Sprach nennen.“ Der Auszug enthält keine Hinweise darauf, dass es „Fahrende“ seien, die (ebenfalls) so sprächen. Er beschreibt die Sprache als Medium des Rechtsbruchs und die Sprecher als delinquent.[1] Eine zweite Nennung findet sich in einer „Diebsliste“ von 1716.[2] Sie bezieht sich räumlich auf Schwaben, die Aufgelisteten werden als „Rauber, Dieb, Beitel-Schneider und andere Jauners-Bursch“ kategorisiert. Es wird ihnen eine größere Zahl von rotwelschen Wörtern zugeordnet. Bei einem Wort ist angegeben, es sei der „jenischen Sprach“ entnommen.

Eine erste Schrift, in der das Wort „Jenische“ nicht als Fremd-, sondern als Eigenbezeichnung für Gruppen von „Fahrenden“ verwendet wird, liegt mit dem 1793 anonym veröffentlichten Abriß des Jauner- und Bettelwesens in Schwaben[3] vor, der meist dem Ludwigsburger Zuchthauspfarrer und Waisenhausdirektor Johann Ulrich Schöll zugeschrieben wird.

Der Verfasser beschreibt dort als eine Gegengesellschaft zur „arbeitsame[n] und erwerbende[n] Classe“ und als Bedrohung der staatlichen Ordnung „ein stehendes Heer von vielen tausenden“ von „Jaunern“, nämlich „herumstreichenden Dieben“, Räubern „von Profession“ sowie vagierenden gewerbsmäßigen Bettlern. In der von ihnen neben der Landessprache gesprochenen und als „Jenisch“ bezeichneten „rothwelschen“ Gruppensprache nennten sie sich auch „Jenische, d. i. Leute, die nirgends keine Niederlassung haben“.

Diebe bzw. Räuber und Bettler – als „Amphibien“ auch in Doppelfunktion tätig – seien jeweils noch in weitere „Classen“ zu unterteilen. Sie wiesen bedingt durch ihre je verschiedenen Erwerbsformen Unterschiede auf, stimmten jedoch „in ihrer übrigen Lebensart, in ihren Sitten und anderen Verhältnissen überein“ und machten insofern „im Grund nur eine Gesellschaft aus“.

Nach Auffassung des Verfassers handelt es sich dabei um eine gemessen an älteren kriminellen vagierenden Gruppen junge Erscheinung. Ihre Entstehung führt er auf die Entwurzelung und erzwungene „Landstreicherey“ großer Teile der Bevölkerung, darunter brotlos gewordener Soldaten in der Folge des Dreißigjährigen Krieges zurück. Er sieht eine Kontinuität dieser Erscheinung in Schwaben durch weitere Kriege bis hin zu den Folgewirkungen der französischen Revolution. In der Beschreibung der regionalen Herkunft der „Jauner“ spricht er von zu zwei Dritteln eingeborener Schwaben, während das übrige Drittel hauptsächlich aus Bayern, Schweizern, Franken und Elsässern bestehe und auch eine inzwischen bereits abnehmende Zahl von Juden dazugehöre. Soweit die Zugehörigkeit nicht bereits durch Geburt gegeben sei, handle es sich der sozialen Herkunft nach um entlaufene Bauern, Bürger und Handwerksburschen sowie mit einem hohen Anteil um ehemalige Soldaten und Soldatenkinder.[4]

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Kurpfälzische „Diebsliste“, 1770

Linguisten leiten übereinstimmend, aber nicht ohne Vorbehalt, den Sprachnamen und seine Ableitung für eine Sprechergruppe aus dem Romanes von „džan“ (Wolf) bzw. „džin“ (Matras) für „wissen“ ab.[5] Im Inhalt korrespondiert „Jenisch“ damit mit dem benachbarten aus dem Jiddischen entlehnten „kochem“ (= „gescheit“), das ohne klare Abgrenzung ebenfalls als Sprachname und Bezeichnung für die Sprechergruppen („Kochemer“) verwendet wird.

Inwieweit „Jenische“ von den Angehörigen der so bezeichneten regionalen Gruppen tatsächlich als Eigenname verwendet wird, ist nicht bekannt. Repräsentative Untersuchungen gibt es nicht. Der Verfasser einer bereits Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre entstandenen Untersuchung zum Rheinland stellte fest, dass „nach meinen Beobachtungen jene Gruppen [= Nicht-Roma-‚Vagantengruppen‘] das Wort jenisch nicht zur Selbstbezeichnung verwenden“.[6]

Eine weitere Eigenbezeichnung (die sehr gelegentlich mehrheitsgesellschaftliche Unterstützer der durchgängig als delinquent beschriebenen Gruppen und Individuen mitmeint) ist „Platte“ (auch: „Blatte“).[7]

Es gibt daneben eine größere Zahl von in der Regel regionalen Fremdbezeichnungen („Mäckesser“, „Pläcker“, „Fecker“, „Kiepenkerle“), denen ein früher stets abwertender, heute eher folkloristischer Inhalt gemeinsam ist.[8]

In der Schweiz gebräuchliche Fremdbezeichnungen haben ihren Ursprung teils in geografischen Herkunftszuschreibungen („Vazer“), meist jedoch im Zusammenhang mit den Erwerbstätigkeiten „Chorbeni“ (Korbmacher) im Wallis, „Spengler“ oder „Kessler“ in der Ostschweiz und im Kanton Graubünden, „Chacheler“ („Geschirrmacher“) oder „Chachelifuerme“ („fahrender Geschirrhändler“) im Mittelland (Aargau, Solothurn, Bern, Luzern).[9]

Verbreitung

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Polizeiliche Wegweisung, Messerligrube bei Bern, 1977

In den deutschsprachigen Ländern, in Frankreich, den Benelux-Staaten und in Italien sind jenische Gruppen dokumentiert. Sowohl die Zahl der Menschen mit jenischer Herkunft als auch die Zahl der heute sich selbst als Jenische definierenden Menschen ist unbekannt. Zahlen gibt es für die Schweiz und für die Bundesrepublik Deutschland.

2001 ging Nationalrat Remo Galli als Sprecher der Kommission Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“ von etwa 35.000 „Fahrenden“, sesshaft oder nicht, aus, darunter etwa 20.000 Jenische.[10] 2006 vertrat der schweizerische Bundesrat „zwischen 25.000 und 30.000 Personen“ der „Gemeinschaft der schweizerischen Fahrenden“, d. h., ohne eine Angabe zum Anteil der Jenischen zu machen.[11] Wie diese Zahlen entstanden, ist unbekannt.

Angaben gibt es nur zur Zahl der in der Schweiz noch Reisenden, die aber ebenfalls den Anteil der Jenischen offenlassen. 2001 ergab ein von der Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“ in Auftrag gegebenes Gutachten 2500 „aktiv Fahrende in der Schweiz“. Diese Zahl basiert auf den Nutzungszahlen der Stand- und Durchgangsplätze im Jahre 1999.[12] Auch der „Standbericht 2010“ nennt dieselbe Zahl, präzisiert aber: „Im Gegensatz zu den ausländischen bezeichnen sich die Schweizer Fahrenden in der Regel als Jenische.“[13]

Für Deutschland (alte Bundesländer) geht eine ältere Schätzung von 8000 bis 10.000 „Landfahrern“ aus. Damit waren neben Jenischen (in einem unbestimmten engeren Sinn) Artisten, Kleinzirkusleute und Schausteller gemeint. Zwischen 200 und 250 „Landfahrer“ seien ständig reisend.[14] Die Bundesregierung sprach von etwa 8000 Jenischen.[15] Wie diese Zahlen entstanden, ist unbekannt. Ausweislich gesicherter Angaben liegt die Zahl der deutschen Jenischen weit unter der der deutschen Sinti und Roma.[16]

Für Frankreich finden sich Aussagen nur ohne Zahlenangaben.[17] Alain Reyniers schrieb 1991 in einem Artikel der Zeitschrift Etudes Tsiganes: Ils „constituent, aujourd’hui en France, sans doute le groupe le plus volumineux“ au sein de la communauté des Gens du voyage [Sie „bilden heute in Frankreich ohne Zweifel die größte Gruppe“ unter den Fahrenden].[18] Eine jüngere Aussage gibt demgegenüber den Angehörigen der verschiedenen Gruppen der Roma den größten Anteil an den französischen „Gens de Voyage“.[19]
Rechtlicher Status

Als nationale Minderheit oder als Volksgruppe sind Jenische in keinem europäischen Staat anerkannt.

Eine besondere Situation besteht in der Schweiz. Die „Fahrenden“ mit Schweizer Staatsbürgerschaft sind mit der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten seit 1998 als nationale Minderheit anerkannt.[20] „Die Jenischen bilden die Hauptgruppe der Fahrenden schweizerischer Nationalität. Der Rest der Schweizer Fahrenden gehört zumeist der Gruppe der Sinti (Manusch) an.“[21] Entgegen dem Gruppenetikett spielt es keine Rolle, ob bzw. inwieweit „Fahrende“ real ortsfest oder nicht ortsfest leben.

Dem jenischen Idiom hat die Schweiz mit der Ratifizierung der europäischen Sprachencharta 1997 den Status einer „territorial nicht gebundenen Sprache“ gegeben.[20]

Für die Schweizer Bundesbehörden ist die 1975 gegründete Radgenossenschaft der Landstrasse die wichtigste Ansprechpartnerin. Sie subventionieren sie.[20] Dabei wird die Radgenossenschaft als Vertreterin aller „Fahrenden“ gesehen und zwischen Roma und Sinti (Manusch) einerseits sowie Jenischen andererseits nicht unterschieden. Ein gemeinsames Selbstverständnis als „fahrende“ Gruppen einigte lange auch die Gruppenvertreter in der „Radgenossenschaft“.[22]

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Selbstbeschreibung, 1991

In weiter soziografischer Definition bezeichnete sie sich als Gesamtvertretung der „Zigeuner“ und beschrieb Jenische als einen „Stamm der Roma“ und als aus Indien zugewandert. „Die Zigeuner bilden eine gemischte Gemeinschaft von Sinti, Romani und Jenischen, zusammengeschweisst durch ihr Schicksal, durch Verfolgung und Misstrauen der sesshaften Umwelt“ (Radgenossenschaft, 1992).[23] Seit 1979 ist die Radgenossenschaft der International Romani Union (IRU) assoziiert. Inzwischen hat die Radgenossenschaft dieses Selbstverständnis aufgegeben. Sie bekundet nurmehr, die „Dachorganisation der Jenischen der Schweiz“ zu sein.[24] Sie und die anderen jenischen Vereine grenzen sich heute von Roma und Sinti entschieden ab. Sie postulieren die Existenz eines „jenischen Volks“ und für die Schweiz, dass es mit dem „fahrenden Volk“ identisch sei. Allein Jenische seien dort folglich als „Fahrende“ zu sehen und rechtlich und politisch anzuerkennen.
Soziale Lage

Systematische Untersuchungen, denen Angaben zur sozialen Lage der heutigen Jenischen zu entnehmen sind, wenden sich der ortfest lebenden Mehrheit zu. Der jenische Verein schäft qwant schätzt diese Mehrheit für die Schweiz, in der das Reisen eine im deutschsprachigen Raum ungewöhnliche Unterstützung erfährt, auf 90 %.[25] Thema dieser Untersuchungen, wie sie allein für die Bundesrepublik Deutschland vorliegen, sind jeweils die Lebensbedingungen und -perspektiven von Menschen in sozialen Brennpunkten.[26] In den untersuchten Quartieren leben Jenische in einer Zahl, die sie aus der Bewohnerschaft hervorhebt und untersuchungsrelevant macht. Angaben zum Anteil dieser Familien an der Gesamtminderheit liegen ebenso wenig vor wie seriöse Angaben zu deren Größe oder zum Anteil der ebenfalls zumeist ortsfesten wirtschaftlich und sozial erfolgreichen Jenischen, wie sie als Sprecher der Vereine begegnen.

Soziale und wirtschaftliche Marginalisierung werden für den recherchierten Teil der Minderheit als die Regel, Armut, Bildungs- und insgesamt Chancendefizite als üblich beschrieben. Ausweislich der genannten Untersuchungen leben diese Jenischen – neben den beiden Gruppen der Roma und der sozial Deklassierten der mehrheitsgesellschaftlichen Neuen Armut – in Schlichtwohnungsblocks am Rand der Städte unter den äußerst schwierigen Bedingungen einer seit Generationen chronifizierten Armut. Die Familien sind in vielen Fällen seit langem von staatlichen Transferleistungen abhängig. Die Arbeitslosenrate ist überdurchschnittlich, die Analphabetenrate nach wie vor ebenfalls. Die Entwicklungsperspektiven der Kinder sind ungünstig. Der Anteil der Sonderschüler ist weitaus höher als insgesamt in der lokalen Schülerschaft, Ausbildungsplätze sind schwer zugänglich.[27]

Eine zusammenfassende Auswertung der Untersuchungen der ausgehenden 1970er und der 1980er Jahre kommt für diesen Zeitpunkt zu dem Ergebnis, dass „über 90 Prozent der Jenischen und Artisten ... keine formale Berufsausbildung (hatten). Die meisten arbeiteten selbständig in einem Kleinzirkus und als Schausteller. Nahezu alle verfügten Ende der siebziger Jahre über einen festen Wohnsitz. Auch diese Gruppe litt unter unzureichenden Wohnverhältnissen und lebte meist in Ghettos am Stadtrand.“[28]

Ein Wandel des kommunalen Umgangs mit sozialen Brennpunkten hat dazu geführt, dass ein Teil dieser geschlossenen Peripheriequartiere inzwischen verschwunden ist[29] oder auch durch Zuzug von Migranten der unterschiedlichen Herkunft den Charakter verändert hat. In der lokalen Überlieferung hat sich die Erinnerung nicht selten zu einem legendären Ruf verdichtet wie bei der Bock-Siedlung[30] in Innsbruck, dem „Bärenkeller“ in Augsburg, der „Gummiinsel“ in Gießen, den Quartieren Kuhviertel, Pluggendorf und dem Hansaviertel im westfälischen Münster, dem westpfälzischen Neumühle oder dem Mattequartier in Bern.

Aus der Lebenssituation im sozialen Brennpunkt resultiert für die Betroffenen ein hoch verfestigtes Diskriminierungsmuster. Über lange Fristen produzierte eine gezielt marginalisierende Kommunalpolitik dafür die augenscheinliche Grundlage.[31] Stigmatisierung trifft die gesamte Bewohnerschaft solcher Quartiere. Deren Solidarisierung hat sie nicht zur Folge, vielmehr diskriminieren die Angehörigen der Bewohnergruppen sich wechselseitig.

Innerhalb der eigenen Minderheit sehen diese Jenischen sich ebenfalls herabgesetzt und benachteiligt, da sie überkommene Ressentiments zu bestätigen scheinen und ihre sozialen Merkmale sich nicht in attraktive Selbstentwürfe einer jenischen Gruppenidentität integrieren lassen. Ausgrenzung aus der Gesamtgesellschaft und Ausgrenzung aus der Gesamtbezugsgruppe durch eine kleine Aufsteigerminderheit ergeben eine „doppelte Randständigkeit“.[32]

Auf die große Mehrheit der Schweizer Jenischen ist die Feststellung bezogen, sie seien „wirtschaftlich schlecht gestellt“.[33] Diese Aussage trifft die Zürcher Caritas mit Blick auf den reisenden Teil, für den sie eine besondere Beratung anbietet.[34] Ein nichtjenischer Schweizer Kenner spricht von einer Verbindung aus „fahrender Lebensweise und traditioneller Armut“ als konstitutivem Merkmal der Minderheit.[35] In einer ihrer öffentlichen Erklärungen in ihrer Frühzeit (1981) sprach die Radgenossenschaft die soziale Problematik gelegentlich in ihren Auswirkungen an. Es würden „die ‚echten‘ Fahrenden zwar unter wirtschaftlichem schwerem Druck stehen“, die auf 35.000 Menschen geschätzten „sesshaft gewordenen Fahrenden und ihre Nachkommen“ aber wiesen „einen grossen Prozentsatz von unglücklichen Menschen, von kaputten Ehen, von Alkoholikern, Pillensüchtigen“ auf. Für die Radgenossenschaft liegt die Erklärung nicht in unzureichenden Integrationsanstrengungen bei chronifizierter Armut und Chancenungleichheit, sondern in kultureller Entwurzelung, gemeint ist das Ende des Reisens.[36]

Weder staatliche Institutionen noch jenische Selbstorganisationen beschäftigen sich mit den strukturellen Ursachen jenischer Armut und den Folgewirkungen. Staatliche Einrichtungen wenden sich, soweit sie in Jenischen überhaupt eine besondere Zielgruppe erkennen, wie dies in der Schweiz der Fall ist, so gut wie ausschließlich den noch reisenden Jenischen zu. Eine soziale Problematik sehen sie hier nicht. Auf der politischen Tagesordnung der Selbstorganisationen stehen Forderungen nach Gewerbeerleichterungen für Marktbeschicker und andere Gewerbetreibende, so nach der Aufhebung des Kinderarbeitsverbots bereits ab zwölf Jahren bei jenischen Kindern,[37] sowie nach einer Verbesserung des Angebots an Stand- und Durchgangsplätzen.[38] Sozialpolitische Ziele verfolgen sie nicht. Jenische in sozialen Brennpunkten thematisieren sie nicht. Einer Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungsniveaus stehen jenische Sprecher abweisend gegenüber. „„Schule und geregelte Berufsausbildung problematisieren sie als ‚Gefahr‘ mit ‚katastrophalen Konsequenzen‘“.[39] „Die Fahrenden müssen gar nicht mehr können, als ihren Namen schreiben und etwas rechnen.“[40] Das Ausbildungsbedürfnis werde durch einige Monate Volksschule im Jahr „und später durch das Erlernen des elterlichen Berufes gedeckt“.[41] Deshalb sollten die Vorschriften für Kinderarbeit für die Minderheit gelockert werden, Gewerbepatente sollten „möglichst schon ab zwölf Jahren“ ausgestellt werden.[42] Die seltene Ausnahme von der Regel der Abstinenz gegenüber sozial- und bildungspolitischen Integrationsbemühungen ist der Verein der Jenischen e. V. Neben der Erhaltung reisender Kultur und darin einbezogen der „Gründung einer Jugendakademie alter Handwerke“ gehört zu seinen Zielen, Jenischen die Möglichkeit zu eröffnen, den Hauptschulabschluss nachzuholen.[43]

Geschichte
Sozioökonomischer Ausgangspunkt

Die Jenische Schongauer
Im 15. Jahrhundert (Kupferstich von Martin Schongauer)

Historiker und Sozialwissenschaftler[44] verorten die Entstehung der Jenischen oder – genauer – einer in sich nach Lebensweise, geografischer, kultureller und ökonomischer Zuordnung unterschiedlichen Bevölkerung in der frühen Neuzeit und am mehrheitsgesellschaftlichen Rand, dort dann in der vagierenden Armut.[45] Auf diese Bevölkerungsgruppen wird einmal ausgangs des 18. Jahrhunderts, etwas häufiger dann im 19. Jahrhundert die ebenso unbestimmte Eigen- und Fremdbezeichnung „Jenische“ angewendet.
Mythenbildung

Seit einigen Jahren beschreiben manche Jenische sich mit ethnischen Kategorien als Angehörige eines „Volks“ oder einer „Volksgruppe“. Sie lehnen es dann ab, die Entstehung einer solchen Population auf sozioökonomische Prozesse zurückzuführen (Soziogenese), und behaupten eine kollektive ethnisch-biologische „Abstammung“ oder ethnisch-kulturelle lange Kontinuität (Ethnogenese). Teils wird eine solche Herleitung unbestimmt ins Dunkel vorgeschichtlicher Zeiten gelegt, teils wird sie mit konkreten Herkunftsmythen ausgestattet. Gemeinsam ist diesen Vorstellungen die Behauptung einer von Anbeginn bestehenden ethnischen Geschlossenheit und Einheitlichkeit. Entweder biologisch-genetisch oder kulturell implementiert sei den Angehörigen der Gruppe als dominantes kollektives Persönlichkeitsmerkmal eigen, „Nomaden“ zu sein.

Demnach gehe das „jenische Volk“ zurück auf

die als „nomadisch“ betrachteten Helvetier. Dabei beruft man sich auf Aussagen in Caesars Werk über den Gallischen Krieg.[46]
die „fahrenden Ritter und Sänger des Mittelalters“ vor allem am „vagierenden Kaiserhof“ Karls des Großen[47]
die „nomadisierenden“ indischen Vorgänger der „Zigeuner“. Jenische und Roma seien demnach eines ethnischen Ursprungs. Diesen Mythos machte sich die schweizerische Radgenossenschaft der Landstrasse zu eigen und verwendete sie als Begründung für ihr erfolgreiches Beitrittsersuchen zur International Roma Union.[48]
eine europäisch-kleinasiatische „wilde“ Urbevölkerung tribalistischer „Nomaden“ bzw. auf eine osteuropäisch-kleinasiatische Teilbevölkerung in einem jüdisch beherrschten mittelalterlichen „riesigen Reich der mittelalterlichen Chazaren“, worauf die jiddische Komponente im Jenischen zurückgehen könne.[49]
die als „nomadisch“ betrachteten Kelten[50]
eine „nomadisch“ lebende alteuropäische Bevölkerung von „Wildbeutern“, die den Übergang zur Sesshaftigkeit vor Tausenden von Jahren nicht mitvollzogen habe. Diese Auffassung ist nicht nur von einigen Jenischen zu hören, sie wurde auch in der NS-Wissenschaft von der einflussreichen Rassenhygienischen Forschungsstelle sowie von Hermann Arnold, der deren erbbiologischen und rassenhygienischen Ansatz nach 1945 fortführte, vertreten.[51]

Als Realgeschichte werden diese Konstrukte im wissenschaftlichen Raum weder diskutiert noch überhaupt rezipiert.
Mittelalter und Frühe Neuzeit

Das Wort vom „herrenlosen Volk“ als Sammelbezeichnung einer diffusen Population von Gruppen und Individuen ohne Zugehörigkeit zu einem Untertanenverband und daher in zeitweiliger oder dauerhafter Migration ist seit dem Mittelalter geläufig. Seit der frühen Neuzeit gibt es eine deutliche Veränderung der herrschenden Blickweise. In den Schriften der Gelehrten und Gebildeten wie auch in den normativen Äußerungen der Behörden waren die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht gestellt. Diese Sicht spiegelt sich zum Beispiel wider in den Illustrationen Albrecht Dürers in Sebastian Brants Buch „das Narrenschiff“ von 1494, in Martin Schongauers Kupferstich „Leben auf der Landstraße“ von 1470 sowie der „Liber Vagatorum“ (Untertitel: „Von der falschen Bettler Büberei“), erschienen im Jahre 1510, dessen Urheberschaft ungeklärt ist.

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Geschirrhausierer („Mäckes“), Westerwald, 17. Jh.

Unterschieden wurden drei Teilgruppen:

vagierende „Schnorr-“ bzw. „Betteljuden“
„Zigeuner“ bzw. – mit einem ebenfalls populären Wort – „Heiden“
eine sozial, kulturell und ethnisch disparate Bevölkerung von Gruppen und Individuen Marginalisierter, ökonomisch, sozial und rechtlich ausgeschlossen wie die ersten, aber diesen beiden ethnisch klar konturierten Gruppen nicht zugehörig.

Retrospektiv wenden heutige Jenische, aber auch einzelne wissenschaftliche Autoren die Gruppenbezeichnung auf diese letzte der drei Gruppen an. Während manche Jenische damit eine Herleitung und Kontinuitätsbildung im Sinne eines Volkskonzepts verknüpfen, gehen Armuts-, Migrations- und Randgruppenforscher ausnahmslos von einer nichtethnischen, relativ uneinheitlich bleibenden Formierung am gesellschaftlichen Rand aus. Eine genealogisch-empirische Kontinuität der seit der ausgehenden frühen Neuzeit so genannten „jenischen“ Familiengruppen, wie sie mitunter für den Zeitraum seit Beginn der frühen Neuzeit, seit dem Mittelalter oder seit noch weiter zurückliegenden Zeiten behauptet wird, ist spekulativ und unbelegbar.

In Deutschland gab es seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, vermehrt aber seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts Domizilierungsangebote der Landesherren kleiner Territorien für Angehörige des nicht in einen Untertanenverband einbezogenen exkludierten Bevölkerungsteils in der Absicht, das Abgabenaufkommen zu erhöhen. So entstanden vor allem im südwestdeutschen Raum und in der Pfalz „Hausierdörfer“ und -wohnplätze. Hier lebten auf landwirtschaftlich meist wenig ergiebigen Böden nebeneinander sowohl Jenische wie auch einzelne Sinti-Familien.[52]
19. Jahrhundert

Zu einem zweiten starken Niederlassungsschub führte in den mitteleuropäischen Staaten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Einführung der Freizügigkeit. Hatten die Ortsgemeinden bis dahin durch lokale Vorschriften (Einzugsgeld und andere Abgabenverpflichtungen) den Zuzug regulieren und Unerwünschte, d. h. vor allem Arme, fernhalten können, zwangen zentralstaatliche Vorschriften sie nun, auch diese zu akzeptieren, falls sie entweder im Ort geboren waren oder dort eine bestimmte Zahl von Jahren gemeldet waren.

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Jenischer Geschirrhausierer („Mäckes“), Westerwald-Siegerland, Mitte 19. Jh.

Mit dem Niederlassungsrecht ging eine kommunale Versorgungspflicht einher. Gemeinden versuchten sich mit juristischen Mitteln gegen den Zuzug zur Wehr zu setzen, aber es kam auch zu massiven Übergriffen aus der Mehrheitsbevölkerung gegen niederlassungswillige Jenische und Sinti. Da die Ausstellung von Gewerbescheinen in aller Regel an den Nachweis eines festen Aufenthaltsorts gebunden war, ging es für viele „Reisende“ um eine existentielle Frage.

So hatte es im Preußen des 19. Jahrhunderts zunächst ein „Heimatrecht“ qua Geburt gegeben. Am 31. Dezember 1842 wurde es von dem Gesetz über den Unterstützungswohnsitz abgelöst. Es gewährte ein Unterstützungsanrecht aufgrund länger bestehenden Wohnsitzes in einer Gemeinde auch Nichtgemeindebürgern. Am gleichen Tag erging eine Verordnung über die Aufnahme neu anziehender Personen. Alle preußischen Staatsbürger hatten nun alle kommunalen Rechte ungeschmälert dort, wo sie sich eine Wohnung beschafft hatten. Der Aufenthalt durfte ihnen „nicht verweigert oder durch lästige Bedingungen erschwert werden“. Die Reform der Niederlassungsbedingungen bewirkte zum Missfallen der Kommunen die Begründung einer großen Zahl von regulären wie von „wilden“ Wohnplätzen der migrierenden Armut an der Peripherie der Dörfer und Städte.[53] Die rechtlichen Voraussetzungen einer dauerhaften Domizilierung wurden damit entscheidend verbessert. Andererseits entstand ein Konfliktpotential zwischen den Unterbehörden, alteingesessenen Einwohnern und Zuwanderern. Diesen wurde das Leben oft schwer gemacht. Ihre Wohnplätze wurden als „Zigeunerkolonien“ stigmatisiert. Sie selbst waren Anfeindungen bis hin zu physischen Angriffen ausgesetzt.[54] Die Gemeinden waren bestrebt, die Zuzügler wieder loszuwerden. Man bemühte sich, die Häuser aufzukaufen, um sie abzubrechen.[55]

Ganz ähnlich in der Schweiz: in der Bundesverfassung von 1848 wurden Rechtsvorschriften verankert, mit denen der migrierende Bevölkerungsteil domiziliert und die Entstehung neuer „Heimatlosigkeit“ verhindert werden sollten. Dem folgte das Bundesgesetz vom 3. Dezember 1850 „betreffend die Heimatlosigkeit“. Es verpflichtete die Kantone und damit die Unterbehörden zur Aufnahme. Maßgabe dafür waren angenommene oder tatsächliche biografische Bindungen an einen Ort.

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Jenische im Muotathal (Schweiz) um 1890

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Jenisches Musikantenpaar (Westerwald, um 1930)

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Gießen, Peripheriesiedlung Margaretenhütte, um 1930

Die Gemeinden versuchten, die „Heimatlosen“ mit juristischen Mitteln abzuwehren, von denen viele froh waren, endlich über ein Heimatrecht zu verfügen. Es ermöglichte ihnen, sich die für ihre Erwerbsweise entscheidend wichtigen „Heimatscheine“ ausstellen zu lassen. Die Zuweisungen erfolgten weitgehend in arme und entlegene Gebieten, so etwa in die Sumpfgebiete der Linthebene und in Bergdörfer des Kantons Graubünden.

Die strukturellen Veränderungen seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts, nämlich

die Möglichkeit und der Zwang zur festen Niederlassung, wie er z. B. mit der allgemeinen Schulpflicht administrativ, aber auch durch polizeiliche Vorschriften und Maßnahmen ausgeübt wurde,
die Möglichkeit zu industrieller Lohnarbeit,
die kostengünstigere industrielle Produktion der herkömmlichen Hausierwaren,
die flächendeckende Entstehung stationärer Vertriebsstellen im Zuge einer wachsenden Kaufkraft der Bevölkerung,
die Entstehung einer modernen Armenunterstützung, die an ein festes Wohnen und an die Möglichkeit des ständigen administrativen Zugriffs auf die Klienten gebunden war

entzogen zum einen der überkommenen Erwerbs- und Lebensweise die Grundlagen und eröffneten zum anderen den vormaligen Altstoffsammlern, Hausierhändlern und Kleinhandwerkern die Möglichkeit, von der labilen Existenzform der Dauermigration in die relative Stabilität einer ortsfesten Existenz zu wechseln, was seit etwa dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in großer Zahl geschah. Die soziale Marginalisierung war damit jedoch nicht beendet. Die mehrheitsgesellschaftliche Wahrnehmung, die traditionellen antiziganistischen Vorurteilskomplexe gegen „Mäckeser“, „Fecker“ usw. blieben davon unberührt.

Mit dem gemeinsamen Wohnen der Angehörigen exkludierter Gruppen an meist peripheren Wohnplätzen gab es eine vermehrte Annäherung der bis dahin voneinander relativ distanzierten Gruppen der Sinti wie der mehrheitsgesellschaftlichen „Reisenden“ wie der eingesessenen Armut. Das endogame Heiratsmuster innerhalb der jeweiligen Gruppen verlor an Bedeutung. Es entwickelten sich der kulturelle und sprachliche Austausch. Ein gutes Beispiel dafür sind die Jenischen in Gießen, die sich dort im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts niederließen. Ihr Idiom hat einen sehr hohen Romanesanteil. Es wird von ihnen als „Manisch“ bezeichnet.[56]

Soweit Jenische noch dauerhaft „reisten“, taten sie es nun möglichst in bis dahin nicht verwendeten Wohnwagen. Eine Kombination unterschiedlicher Handels- und Handwerkstätigkeiten blieb bei begrenzter Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Erfordernisse ihre Lebensgrundlage. Mit Korb- und Siebmachen, Scherenschleifen, Kessel- oder Schirmflicken, mit ambulantem Irdengeschirr- und Porzellanhandel, oft in Verbindung mit dem Altstoffsammeln behielten sie die traditionelle Erwerbsweise bei.

20. Jahrhundert

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Jenischer Scherenschleifer Lorenz Trapp aus Augsburg, um 1930

Während die subproletarischen Gruppen, unter die auch Jenische subsumiert werden können, in der organisierten Arbeiterbewegung abwertend als „Lumpenproletariat“ betrachtet wurden, sahen einige Anarchisten wie Erich Mühsam, Fritz Brupbacher oder Bakunin um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert in „Tippelbrüdern“, „Kunden“ und anderen „Ausgestoßenen der Gesellschaft“ ein politisierbares antibürgerliches Potenzial: „Verbrecher, Landstreicher, Huren und Künstler – das ist die Bohème, die einer neuen Kultur den Weg weist.“ (Erich Mühsam)[57] Die romantische Umdeutung des Subproletariats in eine positive gesellschaftliche Kraft erwies sich rasch als Irrweg, nachdem die ins Auge gefassten Zielgruppen weder für die politische Auseinandersetzung noch für weitergesteckte politische Perspektiven zu gewinnen waren.[58]
Verfolgung im Nationalsozialismus

Die seit Mitte der 1930er Jahre von den Nationalsozialisten erheblich verschärften Maßnahmen zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ richteten sich schon vor 1933 nicht nur gegen Roma, sondern zugleich gegen „nach Zigeunerart umherziehende Landfahrer“, womit Jenische und andere „Fahrende“ gemeint waren. Vermehrt wurden nun Wandergewerbescheine verweigert oder Kinder in Fürsorgeerziehung überwiesen. Der „Grundlegende Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom 14. Dezember 1937[59] ermöglichte eine polizeiliche Vorbeugehaft unter anderem gegen „Zigeuner“, aber auch gegen „nach Zigeunerart Umherziehende“. Reichsweite Verhaftungsaktionen der Gestapo im April 1938 (gegen „Gewohnheitsverbrecher“) und der Kripo im Juni 1938 (Aktion „Arbeitsscheu Reich“ gegen „Asoziale“) führten zu Deportationen in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen und Neuengamme. Davon waren neben Roma und Juden auch mehrheitsgesellschaftliche, als „deutschblütig“ geltende Randgruppenangehörige betroffen. Sie wurden nicht als solche, sondern unter nationalsozialistischen Gruppenetiketten wie „Arbeitsscheue“, „asoziale Elemente“, „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ deportiert. Unter ihnen dürften etwa auch Menschen mit einem Selbstverständnis als z. B. Landfahrer, Jenische oder Schausteller gewesen sein.

Für die nationalsozialistische „Zigeuner- und Asozialenforschung“, wie sie vor allem durch die 1936 eingerichtete Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt (RHF) unter ihrem Leiter Robert Ritter betrieben wurde, standen „Zigeuner“ im Mittelpunkt des Interesses. Die Kategorie „Zigeuner“ war ethnisch-rassisch definiert und gegen Angehörige der „deutschen Volksgemeinschaft“ abgegrenzt, an deren sozialen Rand die nationalsozialistische Asozialenforschung unter anderem auch Jenische platzierte.

Soweit sie auch diese für ein neben dem „Zigeunersippenarchiv“ eingeführtes „Landfahrersippenarchiv“ erfasste, kategorisierte sie sie nach erbbiologischen Kriterien als „Nichtzigeuner“. Ritters Einschätzung Jenischer als „minderwertig“ und seine Forderung nach Aussonderung setzte sich auf der Normierungsebene nicht durch. Ihr Fehlen in späteren Normierungen wird als „fraglos[er] ... Beleg dafür“ gewertet, „dass es Ritter nicht gelungen ist, die Gesetzgeber davon zu überzeugen, dass die Jenischen eine relevante rassenhygienische Gruppe und Bedrohung darstellen“.[60]

Falls in den von der RHF erfassten Genealogien neben Roma der unterschiedlichen Gruppen auch Angehörige der „deutschen Volksgemeinschaft“ vorkamen, ergab die Rassendiagnose in Verrechnung des „zigeunerischen“ mit dem „deutschen Blutsanteil“ unterschiedliche Abstufungen von „Zigeunermischlingen“. Gleichgültig war dabei, welcher Kategorie von „Deutschen“ die „deutschen Blutsanteile“ zuzuordnen waren. Das „Blut“ von Jenischen oder anderen Fahrenden hatte in dieser Sichtweise einen gleich hohen Wert wie das jeder anderen Gruppe von „Deutschen“: je „deutschblütiger“, desto geschützter ein „Mischling“, bis hin zum „Geltungs-Nichtzigeuner“ mit „vorwiegend deutschem Blutsanteil“.[61] Anders als bei der jüdischen Minderheit mit „Volljuden“ als Trägern höchsten Risikos galten der nationalsozialistischen Zigeunerforschung „Mischlinge“ als besonders gefährliche Krankheitserreger am „deutschen Volkskörper“.

Die Unterscheidung zwischen „Zigeunern“ (mit der Untergruppe der „Zigeunermischlinge“) und „Nichtzigeunern“ und damit die ersatzlose Aufgabe der Kategorie der „nach Zigeunerart Umherziehenden“ hatte weitreichende Folgen:

„Nach Zigeunerart umherziehende“ Jenische und andere Fahrende bildeten keine Fallgruppe bei der Deportation von mehr als 2500 Angehörigen von „Zigeuner“-Familien ins Generalgouvernement im Mai 1940. Es gab zu keinem Zeitpunkt Gruppendeportationen von jenischen Familien, wie sie für die Minderheit der europäischen Roma und die jüdische Minderheit typisch waren.
Erst nach dem Abschluss des „Zigeunersippenarchivs“ – die rassische Einstufung als Voraussetzung für die Vernichtungsdeportationen war jetzt gegeben – begann die RHF jenische Familien und die Familien anderer „fahrender“ Nicht-Roma in einem „Landfahrersippenarchiv“ zu erfassen. Es kam über begrenzte regionale Anfänge nicht hinaus.[62]
Jenische bildeten keine Fallgruppe im Auschwitz-Erlass vom 16. Dezember 1942 bzw. in dessen Ausführungsbestimmungen vom 29. Januar 1943.
Die Namen jenischer Familienverbände kommen, soweit erkennbar, im „Hauptbuch“ des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau, das ein Namensverzeichnis der mitteleuropäischen Roma ist, nicht vor.[63]

Auf der empirischen Ebene ist in diesem Zusammenhang Folgendes zu berücksichtigen:

Deportation am 22. Mai 1940 ins Generalgouvernement: 22 der von den südwestdeutschen Unterbehörden als „Zigeuner“ Betrachteten wurde nach ihrer Festnahme von der RHF als „Nicht-Zigeuner“ eingestuft und wieder entlassen. Mindestens fünf Jenische und ihre Angehörigen, die alle später von der RHF als „Nichtzigeuner“ gewertet wurden, wurden im Bereich der Kripoleitstelle Köln dagegen von Unterbehörden benannt und deportiert.[64]
Deportation am 19. Mai 1944 aus den Niederlanden nach Auschwitz-Birkenau: 279 als „woonwagenbewoners“ von Roma Unterschiedene, die einzelne Unterbehörden auf die Transportliste gesetzt hatten, wurden als „arische Asoziale“ wieder entlassen.[65]
In Tirol forderten Unterbehörden die Erfassung sowohl von „Zigeunern“ als auch von „nach Zigeunerart Umherziehenden“. Da Jenische nach dem NS-Rasse-Konzept als „deutschblütig“ nicht zur ersten Gruppe gerechnet wurden, treten sie in den Erfassungslisten des Gaus Tirol-Vorarlberg entgegen dem unterbehördlichen Bemühen nicht auf.[66]
Nach Begründung des Zwangslagers Berlin-Marzahn 1936 wurden zunächst auch Familien, die „rassisch nicht zu den Zigeunern“ (Behördenfeststellung 1936) gehörten, dort interniert, da sie wie ein Teil der Berliner Roma-Familien in Wohnwagen lebten. Ihnen wurde auf Antrag der Rückzug aus dem Lager gestattet. Die Marzahn-Historikerin Patricia Pientka geht davon aus, „dass Personen, die als 'nach Zigeunerart umherziehend' galten, grundsätzlich - abgesehen von der Anfangsphase des Lagers - nicht dort festgehalten wurden.“[67]
Guenter Lewy untersuchte quellenbasiert die Verfolgung der Roma und fragte auch nach der Verfolgungsgeschichte der Jenischen. „In den Akten“ bemerkte er nur einen möglichen Fall der KZ-Deportation, den „von Korseda M., die einer Familie von ‚nach Zigeunerart umherziehenden Personen‘ angehört haben soll und als ‚asozial‘ galt. Sie wurde im Juni 1939 ins KZ Ravensbrück eingewiesen und von dort im März 1942 ins Frauenlager von Auschwitz verlegt.“[68]
Die Annahme, dass sich unter den vom Auschwitz-Erlass betroffenen „Zigeunermischlingen“ über mögliche Einzelfälle hinaus Menschen befanden, die sich als Jenische verstanden, scheint nahezuliegen, ist aber ohne Empirie. Ob ein Teil der als „Mischlinge“ Begutachteten und später Deportierten sich selbst als Jenische definierte, geht weder aus staatlichen Dokumenten hervor noch ist es Selbstaussagen (z. B. den nicht seltenen Beschwerden gegen die RHF-Begutachtungen) zu entnehmen.

Eine Gleichsetzung der Verfolgungsgeschichte der Jenischen mit der der europäischen Roma gibt es in der Forschung nicht. Die Annahme, dass es eine umfassende und auf Vernichtung zielende Verfolgung dieser Gruppe und anderer Nichtroma-Fahrender gegeben hat, wird dort nicht vertreten. Zwar ist der Forschungsstand unzureichend, stichhaltige Anhaltspunkte aber für eine derartige These sind nicht zu erkennen.[69] Dass die Gruppe der Jenischen als „Zigeuner“ verfolgt worden sei, ist angesichts des rassistischen Selbstverständnisses der nationalsozialistischen Zigeunerforschung und der Zielsetzungen der NS-Zigeunerverfolgung unzutreffend.[70]

Der Text für das Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma[71] spricht auch Jenische an, obwohl sie unstreitig der Widmungsminderheit und Namensgeberin des Denkmals nicht angehören. Formuliert von Fachhistorikern des Instituts für Zeitgeschichte in München und des NS-Dokumentationszentrums in Köln,[72] beschränkt der Text sich auf die Feststellung, dass „auch Angehörige der eigenständigen Opfergruppe der Jenischen und andere Fahrende“ „von Verfolgungsmaßnahmen betroffen“ gewesen seien.[73] In einer „Entschließung“ befürwortete der Bundesrat diesen Text, weil er den divergierenden Anliegen der beiden beteiligten Sinti-und-Roma-Opferverbände „in größtmöglicher Weise“ Rechnung trage. In einer Begründung ging der anonyme Verfasser der Entschließung davon aus, auch Jenische hätten „als rassistisch [so!] minderwertige „Zigeuner“ ... vollständig vernichtet werden“ sollen. Diese Annahme, die wie bei Antragsbegründungen üblich nicht beschlossen wurde, teilten die Zeithistoriker ebenso wie der Bundesrat ausdrücklich nicht.[74]

Am 27. Januar 2014 wurde in der baden-württembergischen Gemeinde Fichtenau ein Gedenkstein für jenische Opfer des Nationalsozialismus aus der Gemeinde eingeweiht. Der Landtag von Baden-Württemberg publizierte die Gedenkreden sowie Fotos des Ereignisses.[75]

Zahlen über die Verfolgung von Jenischen im Dritten Reich lassen sich bislang nicht auch nur grob schätzen.

Zu den wenigen bislang bekannten Einzelfällen gehört der Krefelder Paul Prison. Durch die Setzung eines „Stolpersteins“ in seiner Heimatstadt und die damit einhergehenden Recherchen ist bekannt, dass er nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert und im Sommer 1938 verhaftet wurde. In der Häftlingskategorie „asozial“ wurde er zunächst in Buchenwald und dann in Groß-Rosen inhaftiert, wo er 1942 starb.[76]

Den nationalsozialistischen Krankenmorden (Euthanasie) fiel als angeblicher „Psychopath“ der 14-jährige Ernst Lossa 1944 in der Heil- und Pflegeanstalt Irsee zum Opfer.

Eine Schweizer Publikation nennt Georg Zepf, der im Zuge der „Aktion arbeitsscheu Reich“ im Sommer 1938 in Dachau inhaftiert wurde. 1944 wurde er als Häftling des KZ Mauthausen bei einem Einsatz im Außenkommando Wien-West „auf der Flucht erschossen“.[77]

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Beitrag  checker Mo Feb 09, 2015 8:12 am

Kindesentziehungen

In der Schweiz wurden von den 1920er bis in die 1970er Jahre hinein Kindesentziehungen, wie sie bis dahin üblicherweise von den mittleren und unteren Verwaltungsinstanzen gegen randständige Familien praktiziert wurden, im Fall der Kinder aus nicht ortsfest lebenden Familien zentralisiert und systematisiert. Unter dem Dach der halbstaatlichen Stiftung Pro Juventute entstand ein „Hilfswerk Kinder der Landstrasse“.[78] Ziel war nicht nur, Kinder aus einem, wie es hieß, „schädlichen Milieu“ zu entfernen und „rechtschaffenen Pflegeeltern oder gut geleiteten Anstalten“ zuzuführen. Das Hilfswerk betrieb die Kindesentziehungen zugleich „als Mittel für aus ihrer Sicht übergeordnete gesellschafts- und ordnungspolitische Zwecke“. „Durch geeignete Placierungs- und Erziehungsmassnahmen“ sollte die „Sesshaftmachung der Kinder fahrender Familien“ bewirkt werden, um so „das Übel der Vagantität ... zu überwinden.“[79] „Wer die Landfahrerei wirksam bekämpfen will, muss versuchen, die Gemeinschaft der Fahrenden zu sprengen. Auch wenn das hart klingen mag – er muss der familiären Gemeinschaft ein Ende setzen. Eine andere Lösung gibt es nicht“, schrieb Dr. Alfred Siegfried, der das „Hilfswerk“ von der Gründung 1926 bis zu seiner Pensionierung 1959 leitete.[80] Sowohl in den streng geführten und häufig religiös ausgerichteten Heimen als auch in den Pflegefamilien waren die Kinder häufig Misshandlungen und wirtschaftlicher Ausbeutung ausgesetzt. Anders scheint sich die Situation bei Adoptionen darzustellen, die der Leiter des Hilfswerks allerdings mutmaßlich wegen des damit einhergehenden Kontrollverlusts eher vermied.[81] Die Schweizer Jenischen waren die Hauptbetroffenen der Bekämpfung der „Vagantität“ durch Kindesentziehungen.

Nach der Aufdeckung der Praktiken des Hilfswerks in den 1970er Jahren kam es seit den 1980er Jahren unter dem Druck von Bürgerrechtsbewegung, „fahrender“ Selbstorganisationen und einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit zu Entschädigungszahlungen aus teils staatlichen, teils privaten Mitteln. An die einzelnen Opfer wurden in der Folge Entschädigungen in der Höhe von einigen Tausend, höchstens aber von 20.000 Franken gezahlt.[82]

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich ist die Öffentlichkeit seit einigen Jahren mit der Thematik der Heimkinder aus „sozial schwachen“ Familien konfrontiert. Es ist davon auszugehen, dass es Überschneidungen mit der Geschichte der Opfer des Schweizer Hilfswerks gibt.[83]
Staatliche Verfolgung und ihre strafrechtliche Bewertung

In der Schweizer Gesellschaft beendete seit den 1970er Jahren die kritische Auseinandersetzung mit der Verfolgung Jenischer durch das „Hilfswerk Kinder der Landstrasse“ die Kindswegnahmen. Sie führte zur Konstituierung einer von „Fahrenden“ und mehrheitsgesellschaftlichen Unterstützern getragenen sozialen Bewegung, die ein generelles Ende diskriminierender Praktiken, Schutzrechte, materielle Entschädigung und die strafrechtliche Ahndung des Unrechts an „Fahrenden“ einforderte.

Ganz ähnlich, wenngleich etwa drei Jahrzehnte später und ohne die breite gesellschaftliche Diskussion und die Unterstützung durch eine Bürgerrechtsbewegung wie in der Schweiz, verwiesen deutsche Jenische mit vergleichbaren Forderungen auf eine Verfolgung ihrer Gruppe im Nationalsozialismus.

In den Mittelpunkt stellen jenische Interessenvertretungen heute die Frage des Völkermords. Sie beziehen sich dabei auf Artikel II (e) der UNO-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords und auf die von dort in das nationale Strafrecht übernommenen Normierungen.

Die UNO-Konvention von 1948 qualifiziert die gewaltsame Überführung von Kindern einer „nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe“ in eine andere Gruppe in der Absicht, sie ganz oder teilweise zu zerstören, als „Völkermord“ und damit als „Verbrechen gemäß internationalem Recht“.[84] Das deutsche Strafrecht sanktionierte im § 220a StGB, der seit 2002 mit dem Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) aufgehoben ist, die vorsätzliche Zerstörung einer „nationale(n), rassische(n), religiöse(n) oder durch ihr Volkstum bestimmte(n) Gruppe“[85] ebenso als „Völkermord“ wie das schweizerische Strafrecht im Art. 264 StGB mit Blick auf „eine durch ihre Staatsangehörigkeit, Rasse, Religion oder ethnische Zugehörigkeit gekennzeichnete Gruppe“.[86] Artikel II (d) der UNO-Konvention ächtet ferner die Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb solcher Gruppen gerichtet sind. Auch hier folgt das nationale Strafrecht jeweils der Konvention. Einzelne Juristen betrachten den Tatbestand des Völkermords an den Schweizer Fahrenden als durch das „Hilfswerk Kinder der Landstrasse“ und seine staatlichen Auftraggeber erfüllt. Es handle sich zudem um ein Verbrechen, das nicht verjähre.[87] Eine Strafverfolgung hat es bis heute nicht gegeben.

Kernpunkt der Debatte ist die Frage, ob Jenische einer der genannten Gruppen zuzurechnen seien, was in Rechtsprechung, Politik, Gesellschaft und Forschung ganz überwiegend verneint wird. Interessenvertretungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz beschreiben ihre Gruppe seit einiger Zeit als ein „Volk“ bzw. als eine „Volksgruppe“ und parallelisieren deren Geschichte im Nationalsozialismus mit dem Schicksal der Roma und Sinti. „In welchem Ausmaß die Entscheidung der Vereine, die Gruppe zu ethnisieren, bei der Basis Zustimmung findet, ist unbekannt.“[88] Die mythisch begründeten Volkskonstrukte nehmen „vor allem die sesshaft gewordenen Jenischen“ „skeptisch bis wenig ernsthaft“ auf. „Sie sehen ihre Wurzeln mehrheitlich in den nichtsesshaften Bevölkerungsgruppen des 18. und 19. Jahrhunderts.“[89] Politik und Forschung unterstützten die Vereine bei ihrem Bemühen um kollektiven Einbezug in die Kategorie der Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik bislang nicht. Der Versuch, diese Position im Diskurs um ein Mahnmal für die ermordeten Roma und Sinti mehrheitsfähig zu machen und in den Mahnmaltext einzubringen, war nicht erfolgreich.[90]

Kunst und Kultur

Die Jenische JenischeOstschweiz1900
Jenische, um 1900

Unterhaltende Künste
Zirkus, Schaustellerei

Neben ambulantem Handel und Handwerk haben Menschen des migrierenden Bevölkerungsteils als Gaukler, Artisten, Komödianten oder Musiker stets auch unterhaltende Dienstleistungen auf den Märkten, Messen und Festen angeboten, um ihre Existenz sichern zu können. Als im 19. Jahrhundert der Zirkus aufkam, war mancher von ihnen als Artist dabei. Ein berühmtes Beispiel ist die badisch-elsässische Artistenfamilie Traber, deren artistische Tradition nach eigener Auskunft bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht.[91] Bis heute finden sich Menschen mit jenischem Selbstverständnis oder jenischer Herkunft auf allen Ebenen des Zirkus- und Schaustellermilieus. Sie grenzen sich dort von den als „Privaten“ bezeichneten Geschäftsinhabern aus der Mehrheitsbevölkerung ab. Das im Milieu gesprochene Idiom ist sowohl vom Jenischen wie vom Romanes geprägt. Es ist eine berufsfeldtypische Variante des Jenischen.[92]

Musik

Die Jenische Fraenzlimusik
Fränzli Waser (2. v. l.)

In alemannisch-bayrischen Gebieten sind jenische Löffel- und Handorgelspieler regionale Berühmtheiten. Der blinde Geiger Fränzli Waser prägte einen eigenen Stil des schweizerischen Ländlers, welcher heute unter dem Namen Fränzli-Musik meist als bündnerische Spezialität wahrgenommen wird.

1978 wurde von der Gruppe HölzerLips das Album Jenischer Schall aufgenommen. Viele der Lieder enthalten Formulierungen im jenischen Idiom. Die Produktion ist Zeugnis einer Wertschätzung jenischer Kultur durch Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung, die in den 1970er Jahren im Umfeld der Hippie-Bewegung als eine Art Zigeuner-Kultur wahrgenommen wurde. Man fühlte sich ihr in gewisser Weise verbunden und wandte romantisierende „Zigeuner“-Klischees auf sie an.

Die Jenische Stephan-Eicher-11-2002
Stephan Eicher, München, Muffathalle, 2002

Der jenische (Rock-)Chansonnier Stephan Eicher und sein Bruder Martin Eicher wurden mit der Band Grauzone im deutschsprachigen Raum in den 1980ern bekannt mit der NDW-Chartsingle Eisbär, danach europaweit mit diversen Alben, Tourneen und Nummer-eins-Hits in Frankreich und der Schweiz. Seit den 1990ern ist Stephan Eicher vor allem in Frankreich ein Star.

Eine aktuelle luxemburgische Gruppe ist das Duo „D’Lompekréimer“ (Lumpenkrämer), welches von Oliver Kayser mitbegründet wurde. Die Texte sind in Jenisch, Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Englisch.[93]
Kunsthandwerk

Manche Jenische beweisen nicht nur handwerkliches Geschick bei der Herstellung von Korbwaren oder Schnitzereien, sondern stellen kunsthandwerklich bemerkenswerte geflochtene Stühle, Bugholz- und Rattanmöbel her. Ihre Produkte bieten sie an hervorgehobenen Punkten an den Straßen, auf Märkten und mit abnehmender Häufigkeit als Hausierware an.

Nach wie vor betätigen sich Jenische bis heute als Korb- oder Stuhlflechter, zu bemerken ist allerdings gerade beim Angebot des Straßenhandels der Übergang zu angekauften Korbwaren und vermehrt zu großformatigen bunten Plastikfiguren.

Jenische in Frankreich und den Benelux-Staaten stellen auch künstlerische Zinn- und Kupferwaren her.

Das Museum der Kulturen Basel besitzt eine umfangreiche Sammlung jenischer Kunsthandwerksarbeiten, die vor allem auf die intensive Zusammenarbeit des Museums mit Engelbert Wittich zurückgeht, in der permanenten Ausstellung jedoch nicht zu sehen ist.
Bildende Kunst

Der Schweizer Walter Wegmüller (* 1937) war ein Heim- und Verdingkind aus der „Aktion Kinder der Landstrasse“.[94] Ob er sich als jenisch oder als Rom oder als beides betrachtet oder betrachtete, muss offenbleiben. In der Zeitschrift der Radgenossenschaft wird er als „ein Rom-Kind aus dem Stamm der Kalderasch“ beschrieben.[95]

Bekannt wurde er vor allem durch seine Tarotkarten. Er ist aber neben seinem malerischen Werk auch plastisch tätig, hat an mehreren Filmen mitgewirkt, eine Swatch-Uhr (Oracolo) gestaltet usw. 1972/73 machte er auch einen „Ausflug“ in die Musik: The 7up-Sessions mit Timothy Leary, Sergius Golowin und Brian Barrit und veröffentlichte die LP TAROT, kosmische Musik mit Klaus Schulze, Walter Westrupp und vielen anderen. Er ist Mitglied der Künstlergruppen „Farnsburggruppe“ und „visarte“. In den 1970er Jahren war er Mitbegründer, Aktivist und zeitweiliger Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse, Dachorganisation der Schweizer Jenischen und Roma.[96] 2007 nahm er an einer Tagung jenischer Kulturschaffender des Vereins schäft qwant teil.

Martin Schauer (* 1981) ist ein jenischer Künstler aus Innsbruck. Er lebt als freischaffender Künstler und arbeitet in den Techniken Acryl, Aquarell, Buntstifte und Mischtechniken auf Papier beziehungsweise Leinwand.[97]

Der Schweizer Ernst Spichiger (*1951) fand als Opfer von Kinder der Landstrasse erst spät den Weg zu seiner Verwandtschaft und Abstammung. Seine Bilder, meist Öl auf Leinwand, zum Teil auch Collagetechniken, zeigen einerseits die Landschaften seines Lebens, andererseits oft aber auch die thematische Verarbeitung seiner Abstammung und des Umgangs der Gesellschaft mit seiner Minderheit. Heute ist er Präsident des Vereins Schinagl und lebt als reisender Künstler im Wohnwagen.[98]

Unter dem Namen Luis (Luis Lucke, *1956) wird auf den Webseiten des Jenischen Kulturverbandes Österreich ein weiterer jenischer Künstler vorgestellt. Er wurde als 14. Kind in eine jenische Großfamilie hineingeboren. Sein Vater war schon als Regionalkünstler in Tirol und Umgebung tätig und bekannt. Luis wurde im Alter von etwa sechs Jahren in ein Erziehungsheim verschleppt. Dort wurde er schwer misshandelt. In Frankreich (Lyon) konnte er seine Techniken perfektionieren.
Jenische Sprache und Literatur

Da Jenisch keine voll ausgebaute Sprache ist, sondern aus einem nicht sehr umfangreichen separaten Sonderwortschatz des Deutschen besteht, sind seine kommunikativen Möglichkeiten eng begrenzt. Es ist nicht möglich, im Jenischen umfangreiche und komplexe Sachverhalte in ausführlichen Texten darzustellen. Demzufolge veröffentlichen Autoren mit jenischem Selbstverständnis in der Sprache der Mehrheitsgesellschaft. Die seltenen literarischen Texte jenischer Sprache beschränken sich auf Kleinformen.

In Deutschland veröffentlichte Engelbert Wittich (1878–1937) Folkloristisches und Kulturgeschichtliches über Sinti und Jenische. Er publizierte auch Gedichte und Lieder auf Jenisch.

Der schweizerische Jenische Albert Minder (1879–1965) publizierte 1948 die „Korber-Chronik“, eine Art Sittengemälde der Jenischen in der Schweiz des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Die schweizerische Jenische Mariella Mehr (* 1947) wurde durch ihre Schriften über ihre Vergangenheit als Opfer des Hilfswerks Kinder der Landstrasse international bekannt. Sie sieht sich weniger als Schweizer als vielmehr als Roma-Schriftstellerin.[99] Sie publiziert auf Deutsch und gelegentlich in Romanes und ist Mitglied der International Romani Writers (IRWA), deren Vizepräsidentin sie zeitweise war.[100] Für ihre schriftstellerische Leistung wie für ihr minderheitspolitisches Engagement erhielt sie 1998 die Ehrendoktorwürde der Universität Basel.

Der österreichische Jenische Romed Mungenast (1953–2006) publizierte in Deutsch und Jenisch vor allem Kurztexte und Gedichte.[101]

Die österreichische Jenische Simone Schönett (* 1972) verarbeitete in ihrem Roman „Im Moos“ ihre Kindheit in Österreich.[102]

Der schweizerische Jenische Peter Paul Moser (1926–2003) veröffentlichte im Eigenverlag eine dreibändige Autobiographie[103] mit vielen Reprints von Dokumenten aus seiner Akte als Opfer des Hilfswerks Kinder der Landstrasse.

Der schweizerische Jenische Venanz Nobel (* 1956) publiziert in deutscher Sprache Zeitungsartikel und Buchbeiträge über die Geschichte der Jenischen und jenisches Leben heute.[104]

Die Deutsche Helga Röder (* 1929) schrieb zwei dokumentarisch-biographische Romane.[105]
Alltagskultur

Feste von Jenischen haben nicht anders als bei anderen sozialen Gruppen auch meist privaten Charakter (Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen usw.). Dabei können sich jedoch anders als bei heutigen mehrheitsgesellschaftlichen Festanlässen große Familienverbände mit zahlreichen Teilnehmern versammeln.

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Feckerchilbi im 19. Jahrhundert

Von 1722 bis 1817 gab es in Gersau am Vierwaldstättersee – bis 1798 selbständige Republik – eine alljährliche „Feckerchilbi“. Sie wurde wesentlich von sogenannten „Fahrenden“, womit Jenische, Manouches, Sinti und Roma gemeint waren, geprägt.[106] 1832 wurde die Gersauer Feckerchilbi verboten. 1982 wurde der alte Anlass im Rahmen der 600-Jahr-Feiern der Republik Gersau wiederbelebt. Seither gab es in unregelmäßigen Abständen wieder „Feckerchilben“. Mit der Beteiligung von Jenischen und Sinti war dieser Gersauer Jahrmarkt ein gesuchter touristischer Anziehungspunkt und zugleich ein wichtiger Ort minderheitlicher Kommunikation und Selbstbestätigung.

Nach längerer Pause begann die Radgenossenschaft im Oktober 2009, die Feckerchilbi jeweils im Herbst in Brienz durchzuführen.[107]

Andere öffentliche Anlässe der Schweizer Jenischen sind religiös geprägt wie die seit 1999 im Juli stattfindende Wallfahrt zur Schwarzen Madonna im Kloster Einsiedeln (Kanton Schwyz) oder die Wallfahrt nach Notre-Dame-des-Marches in Broc FR,[108] an denen bis zu mehreren hundert Jenische teilnehmen.[109] Regelmäßig fahren auch Schweizer Jenische im Mai nach Saintes-Maries-de-la-Mer zur Wallfahrt zu Ehren der Schutzheiligen Sarah, ein Brauch, der offenbar von Roma übernommen wurde.[110]

Freikirchliche Schweizer Jenische haben ebenfalls regelmäßig größere Treffen.[111]

Jenische sind, ohne als solche besonders wahrgenommen zu werden, regelmäßig als Marktbeschicker und Schausteller tätig. Über Treffpunkte und -anlässe herausragender Bedeutung wie in der Schweiz ist aus anderen west- und mitteleuropäischen Ländern nichts bekannt.

Sport

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Bootsch-Turnier 2005 in Singen

In Ichenhausen (Bayern) gibt es seit 1980 einen Fußballverein mit jenischem Selbstverständnis.[112] Es ist der mit Abstand älteste Zusammenschluss von Jenischen in Deutschland.

Das Bootschen (Botschen) – im italienisch- bzw. französischsprachigen Raum als Boccia bzw. als Boule/Pétanque bekannt – ist ein auch bei Jenischen beliebtes Spiel. Um es spielen zu können, bedürfen Jenische nicht der üblichen Ausstattung mit Kugeln und eines abgemessenen Spielraums. Es genügen Feldsteine und freies Gelände. Im Zusammenhang der Belebung und Entwicklung eigentümlicher gruppentypischer Sozialpraktiken wird Bootschen von Jenischen als „ein traditionelles jenisches Spiel“ beschrieben und ist seit einigen Jahren gelegentlich Gegenstand von Turnieren.[113] Dafür, dass es sich um ein altes europäisches Spiel handelt, spricht die weite europäische Verbreitung. Im deutschen Sprachraum findet sich bis heute das Wort „Botschen“ als Dialektrelikt im Riograndenser Hunsrückisch. Im Grimmschen Wörterbuch erinnert die „Botzkugel“ an das alte Spiel.
Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten

Da Marginalisierungs- und Exklusionsprozesse und deren Verfestigung keine ethnische oder territoriale Besonderheit, sondern universal und überzeitlich sind, gab und gibt es soziokulturell ähnliche Gruppen auch anderswo, so etwa die Burakumin in Japan, die Pavee in den angelsächsischen Ländern, die Quinqui in Spanien, die Roma, die Sarmastaari in Baluchistan oder die Gadawan Kura („Hyänen-Menschen“), die als Schausteller, Gaukler und Wunderheiler durch Nigeria ziehen.[114]

Gegenüber Roma vertreten jenische Familien traditionell eine strenge Abgrenzung bis hin zum erklärten Heiratsverbot,[115] die sich unter den Bedingungen des gemeinsamen Lebens in sozialen Brennpunkten aber inzwischen „teilweise“ gelockert habe, wie ein Verfasser bereits Ende der 1970er Jahre meinte.[116]

Eine nicht weniger strikte Abgrenzung bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinschaft bei Regelverletzung praktizieren umgekehrt zumindest Sinti (Manouches) gegenüber Jenischen.[117] Sie brächten, heißt es, häufig Jenischen gegenüber „eine deutliche Verachtung zum Ausdruck“.[118] Nichtjenische Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft demgegenüber seien – so eine Untersuchung aus den 1960er Jahren – begehrte Heiratspartnerinnen.[119]

Auf internationaler politischer Ebene werden die Nichtroma-Gruppen, denen eine „fahrende“ Vergangenheit und/oder Gegenwart zugeschrieben wird, in Europa oft zusammenfassend als „Travellers“ bezeichnet.[120]

Selbstorganisation
Zusammenschlüsse, Geschichte

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Gründungsversammlung der Radgenossenschaft, Bern, 1975

Nach den öffentlichen Protesten gegen das Hilfswerk Kinder der Landstrasse entstanden in der Schweiz mit der Entstehung einer sozialen und bürgerrechtlichen Bewegung erste jenische Organisationen.

Die Radgenossenschaft der Landstrasse wurde 1975 gegründet und hat seit den 1980er Jahren in der Schweiz den Status einer staatlich anerkannten Dachorganisation der „Fahrenden“. Sie ist Mitglied der International Romani Union (IRU). 1985 entschied sich die Mehrheit der Radgenossen für eine grundsätzliche Neuorientierung: fort von der bis dahin engen Kooperation mit Roma-Zusammenschlüssen und hin zu einer möglichst exklusiven Vertretung jenischer Interessen. Da sie Politik und Verwaltung weiterhin als Organisation aller Schweizer „Fahrender“ gilt, ist sie unbeachtlich der starken Dominanz jenischer Interessen die einzige jenische Organisation, die auch Sinti und Roma mitzuvertreten gehalten ist. Die Mitgliedschaft in der IRU und die Mitvertretung auch von Roma-Interessen werden von den österreichischen, den deutschen Vereinen und einem Teil der Schweizer jenischen Organisationen entschieden kritisiert und abgelehnt.

Die Genossenschaft fahrendes Zigeuner-Kultur-Zentrum entstand 1985 nach der Neuausrichtung der Radgenossenschaft als Abspaltung mit dem Ziel, die Zusammenarbeit von Jenischen, Sinti und Roma wie bis dahin aufrechtzuerhalten, zu verbessern und in diesem Sinn Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.

1986 richteten Jenische und Sinti mit staatlichen und privaten Spenden die Stiftung Naschet Jenische ein. Die Stiftung bezweckte die Wiedergutmachung für die Betroffenen des „Hilfswerks“ und verfügte über einen Fonds in Millionenhöhe. Ein großer Teil der Fondsgelder wurde jedoch für andere Zwecke verausgabt. Die Stiftungsleitung wurde in der Folge ihrer Aufgaben entbunden. Eine neue Auszahlungskommission konstituierte sich 1991 neu unter dem Dach einer halbstaatlichen Neugründung, der Stiftung zur Wiedergutmachung für die Kinder der Landstrasse. Naschet Jenische ist seither eine Beratungseinrichtung.[121]

1992 wurde als Gegenorganisation zur Stiftung Naschet Jenische der Verein Interessengemeinschaft Kinder der Landstrasse gegründet, der sich für eine Vergangenheitsaufarbeitung und Rehabilitierung der Betroffenen einsetzt.[122]

Der vor wenigen Jahren gegründete Verein Schinagel hat sich zum Ziel gesetzt, mittels neuer Berufsbildungsprogramme an neue wirtschaftliche Umgebungen angepasste fahrende Lebensweisen zu ermöglichen.

Um 2005 eröffnete sich jenischen Interessenvertretern die Möglichkeit, sich am Diskurs mit Vertretern der deutschen Politik um den Text für ein Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas zu beteiligen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Gruppe nahm zu und regte intern die Bereitschaft zur Selbstorganisation an. Es entstanden in kurzer Folge mehrere jenische Neugründungen, so dass es heute eine größere Zahl jenischer bzw. von Jenischen geführter Interessenvereinigungen im deutschsprachigen Raum gibt.

2004 wurde das European Roma and Traveller Forum als dem Europarat assoziierte NGO mit Sitz in Straßburg gegründet.[120] Dort ist auch die Radgenossenschaft der Landstrasse vertreten. Ihr Repräsentant in der vor allem von Roma bestimmten Institution ist abweichend vom üblichen Auftreten der RG in diesem Fall nicht ein Jenischer, sondern ein Manouche aus der französischsprachigen Schweiz.[123]

Die Gemeinschaft Kochemer Loschen, welche von einigen Jenischen in Luxemburg und Umgebung gegründet wurde, setzt sich für die jenische Jugend ein.
Ziele

Gewerbeerleichterungen für Marktbeschicker und andere Gewerbetreibende und eine Verbesserung des Angebots an Stand- und Durchgangsplätzen haben Schweizer jenische Interessensorganisationen wie die Radgenossenschaft auf ihre sozialpolitische Tagesordnung gesetzt.

Für die Schweiz gilt, dass aufgrund internationaler gesetzlicher Vereinbarungen und gemäß Bundesgerichtsurteil die Kantone verpflichtet sind, Plätze für die reisenden Bevölkerungsgeruppen zu schaffen und schulpflichtigen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen.[124] Anders als in Deutschland und Österreich, wo entsprechende Forderungen ohne Widerhall blieben, sind in der Schweiz einige Standplätze für den dauerhaften Aufenthalt im Winter und einige Durchgangsplätze für die Reise entstanden und weitere werden projektiert.

Seit vielen Jahren erhebt die Schweizer Radgenossenschaft der Landstrasse als Dachorganisation der Schweizer „Fahrenden“ die Forderung nach „Trennung“ der „verschiedenen Kulturen“ der nichtschweizerischen und der Schweizer Fahrenden durch unterschiedliche Plätze.[125] „Ausländische Jenische, Sinti und Roma“ nutzten die offenen Grenzen und überfremdeten, überfüllten und verschmutzten die Plätze. Als Schweizer habe man einen anderen „Umgang mit der Umwelt, in der Körperpflege, in sozialen Belangen.“ Zumal Roma lebten „eher wie in traditionellen islamischen Gesellschaften.“[126] Es solle demnach

   gut ausgestattete und ausländerfreie Stand- und Durchgangsplätze für die Schweizer Fahrenden geben und
   davon getrennte Durchgangsplätze „mit minimalen Infrastrukturen“ für Ausländer.[127]

Gesamtüberblick

   Radgenossenschaft der Landstrasse, Schweiz, gegründet 1975, [29]
   FC Grün-Weiß Ichenhausen, Ichenhausen (Bayern), gegründet 1980
   Fahrendes Zigeuner-Kultur-Zentrum für „Jenische, Sinti und andere Fahrende“, Schweiz, gegründet 1985
   Naschet Jenische, Schweiz, gegründet 1986
   Jenischer Kulturverband, Österreich, gegründet 2001
   Verein der Jenischen e. V., Deutschland, gegründet 2003
   Transnationaler Verein schäft qwant, Schweiz, gegründet 2003
   Association Action Sinti et Jenisch Suisses, französischsprachige Schweiz, gegründet nach 2005
   Jenischer Bund, Deutschland, gegründet 2006
   Bewegung der Schweizer Reisenden, Schweiz, gegründet 2013
   Blog der luxemburgischen Jenischen Gemeinde Kochemer Loschen
   Verein Schinag(e)l, Schweiz


Quelle - literatur & einzelnachweise

Audio

Karin Lehner: Fahrendes Volk – Zur Geschichte der jenischen Minderheit ORF-Ö1-Sendung Radiokolleg, APA-OTS Presseaussendung, abgefragt am 28. Februar 2010

Filme

jung und jenisch. Dokumentarfilm von Martina Rieder und Karoline Arn, Dschoint Ventschr, Schweiz 2010
Chronik Nomaden in der Schweiz. Oliver M. Meyer und Thomas Huonker, Schweiz 2005 ist als Special auf der DVD Die letzten freien Menschen erschienen.
Gonzerath. SWR-Hierzuland-Reportage, Deutschland 2004
Wenn die Straße ruft. ZDF-Fernsehproduktion, Regie: Maike Conway, Matti Bauer, Deutschland 2001
Händlerdörfer in Hohenlohe. SWR-Reportage, Deutschland 2001
Unterwegs mit Jenischen. Reportage SF DRS, Schweiz 1998
Journal de Rivesaltes 1941–1942 Regie Jacqueline Veuve, Reportage über das Auffanglager Rivesaltes, worin auch jenische Familien waren, Schweiz 1997
Ich bin ein Jenischer. Eine Reise durch die fünfte Schweiz, Dokumentarfilm von Stascha Bader 1996
Kinder der Landstrasse. Regie: Urs Egger mit Jasmin Tabatabai, dokumentarischer Spielfilm, Schweiz 1992
Die letzten freien Menschen. Dokumentarfilm von Oliver M. Meyer, Schweiz 1991 (Zürcher Filmpreis 1992)
Jenseits der Landstrasse. Regie durch Marianne Pletscher, SF DRS, Schweiz 1986
Menschen, die vorüberziehen Spielfilm von Max Haufler, Schweiz 1941
SRF-Dossier mit 38 Filmbeiträgen über Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz, sf.tv
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