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Die Theodizee

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Die Theodizee Empty Die Theodizee

Beitrag  Andy So Feb 15, 2015 10:53 pm

Theodizee [teodiˈʦeː] (von altgriechisch θεός theós ‚Gott‘ und δίκη díkē ‚Gerechtigkeit‘) heißt „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“. Gemeint sind verschiedene Antwortversuche auf die Frage, wie das Leiden in der Welt zu erklären sei vor dem Hintergrund, dass Gott einerseits allmächtig, andererseits gut sei. Konkret geht es um die Frage, warum Gott das Leiden zulässt, wenn er doch die Potenz („Allmacht“) und den Willen („Güte“) besitzen müsste, das Leiden zu verhindern. Der Begriff „Theodizee“ geht auf den Philosophen und frühen Aufklärer Gottfried Wilhelm Leibniz zurück[1].

Der Hinweis auf das Leid als religiöse oder religionskritische Frage ist bereits in Kulturen der Antike, z. B. im alten China, in Indien, Iran, Sumer, Babylonien, Ägypten und Israel zu finden. Ein bekanntes Beispiel aus dem Alten Testament ist das Buch Hiob. Skeptische Philosophen der griechischen Antike argumentierten, dass Gott (wenn er existierte) in der Tat Übel verhindern müsste, und führten teils weitere Argumente zugunsten eines Agnostizismus oder Atheismus an.

Die Frage nach der Rechtfertigung Gottes stellte sich für viele religiöse Menschen in besonderer Weise nach den Schrecken des Holocaust (vgl. auch Theologie nach Auschwitz).

Das Problem

Eine prägnante, oft zitierte Formulierung des Problems lautet:

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft,
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist,
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?

Diese Argumentation wurde von dem lateinisch-afrikanischen Rhetoriklehrer und christlichen Apologeten Lactantius (ca. 250 bis nach 317) überliefert, der sie dem Philosophen Epikur zuschrieb;[2] allerdings zu Unrecht, denn sie ist nicht epikureisch, sondern ist wohl in Anlehnung an einen unbekannten skeptischen Philosophen formuliert worden – möglicherweise Arkesilaos oder Karneades.[3] Cicero hatte mit Berufung auf Poseidonios berichtet, Epikur habe die Götter ihrer Untätigkeit wegen geleugnet.[4] Der Skeptiker Sextus Empiricus hat im 2. Jahrhundert n. Chr. eine ähnliche, etwas ausführlichere Überlegung entwickelt, die davon ausgeht, dass Gott für alles sorgen müsste, wonach es kein Übel geben dürfte, es existiert aber Übel; die Konsequenz, dass demnach Gott nicht existiert, wird nicht expliziert, ist aber offensichtlich impliziert.[5] Dem Problem liegt das theistische Gottesbild zugrunde.[6]
Lösungsansätze

Man kann das Theodizee-Problem als Widerspruch rekonstruieren, der sich aus der Annahme ergibt, dass es Übel in der Welt gibt und Gott existiert:

Gott existiert und es gibt Übel in der Welt.
Wenn Gott existiert, dann ist Gott allmächtig.
Wenn Gott allmächtig ist, dann kann Gott das Übel verhindern.
Wenn das Übel existiert, dann kann Gott das Übel nicht verhindern.
Wenn Gott existiert und das Übel existiert, dann kann Gott das Übel verhindern und nicht verhindern. (Widerspruch)
Also: Entweder existiert Gott nicht oder es gibt kein Übel in der Welt oder weder existieren Gott noch Übel in der Welt.

Ähnliche Argumente lassen sich ebenfalls für andere Eigenschaften Gottes konstruieren, d.h. wenn Gott allwissend ist, dann erkennt er das Übel und wenn Gott allgütig ist, dann will er das Übel verhindern. Das Problem wird nicht wesentlich modifiziert, wenn der Bereich der relevanten Übel spezifisch qualifiziert wird. So rekonstruiert, muss nach üblicher Analyse mindestens eine der obigen Aussagen modifiziert oder negiert werden. Die nachfolgenden Lösungsansätze tun dies auf unterschiedliche Weise.
Übel werden als „Mangel an Gutem“ gedeutet

Schon der frühe christliche Kirchenlehrer und Philosoph Augustinus und später mittelalterliche Denker wie Thomas von Aquin begründeten die Auffassung, das Übel habe kein eigenständiges Sein, sondern sei nur Mangel an Sein bzw. Mangel am Guten (privatio boni). Thomas nannte als Beispiel die Blindheit, die Entbehrung des Augenlichtes sei. Diese philosophische Position geht demnach von einem realen Mangel aus – im Gegensatz zu jener, die behauptet, das Leid bzw. das Übel sei für den davon Betroffenen nicht real.

Diese Privationstheorie hat eine „außerordentliche Erfolgsgeschichte“ hinter sich, schreibt der zeitgenössische Theologe Friedrich Hermanni. Vom 2. bis in das 17. Jahrhundert hinein sei sie in fast allen philosophischen Systemen unumstritten gewesen – zwischen den Kirchenvätern und den spätantiken Philosophen, zwischen Aristotelikern und Platonikern, zwischen Thomisten und Scotisten, zwischen Reformatoren wie Philipp Melanchthon und römisch-katholischen Dogmatikern wie Robert Bellarmin sei dies ein Punkt gewesen, in dem man sich einig war.

Im 17. Jahrhundert und bei einigen sogenannten Nominalisten im Universalienstreit bereits im 14. Jahrhundert wurde das Leiden hingegen als ein Seiendes – eine auf empirischen Feststellungen beruhende Tatsache – betrachtet. Daher komme dem Übel auch eine eigene Realität zu. Weiterhin wurde vorgebracht, dass auch ein bloßer Mangel an Gutem, der zu Leid führt, nicht mit der Allmacht und Allgüte Gottes zu vereinbaren sei.
Erklärungen für Übel werden in einem größeren Zusammenhang gesucht
Wir leben in der besten aller möglichen Welten (Leibniz)

Nach der Monadologie von Gottfried Wilhelm Leibniz gibt es eine unendliche Anzahl möglicher Welten. Von diesen hat Gott nur eine geschaffen, nämlich die vollkommenste, „die beste aller möglichen Welten“. Leibniz argumentierte:

Gottes unendliche Weisheit lasse ihn die beste unter allen möglichen Welten herausfinden,
seine unendliche Güte lasse ihn diese beste Welt auswählen,
und seine Allmacht lasse ihn diese beste Welt hervorbringen.

Folglich müsse die Welt, die Gott hervorgebracht hat – also die tatsächlich existierende Welt –, „die beste aller möglichen Welten“ sein, und jede Form des Übels sei letztlich notwendig und erklärbar.[7]

Dagegen brachte der Philosoph Gerhard Streminger verschiedene Einwände vor. Schon in dem Begriff „beste Welt“ sah er eine Schwierigkeit: Dieser Begriff sei „unbestimmt, da sich bei der Endlichkeit alles Geschaffenen über jede bestimmte Welt hinaus noch eine bessere denken lässt, so wie […] über jede größte Zahl noch eine größere“.[8]

Außerdem meinte Streminger, ohne Zusatzüberlegungen enthalte Leibniz’ Argumentation eine Petitio principii: Leibniz stütze den Hauptsatz seiner Theodizee, dass die vorhandene Welt die beste aller möglichen sei, mit dem Hinweis auf die Weisheit und Güte Gottes. So werde das, was in der Theodizee erst noch zu beweisen sei, nämlich die Güte Gottes, bereits als erwiesen vorausgesetzt.[8]

Der Philosoph Bertrand Russell (* 18. Mai 1872; † 2. Februar 1970) bekundete „höchstes Erstaunen“ darüber, „dass Menschen glauben können, diese Welt mit allem, was sich darin befindet, und mit all ihren Fehlern sei das Beste, was Allmacht und Allwissenheit in Millionen von Jahren erschaffen konnten“. Er fragte: „Meinen Sie, wenn Ihnen Allmacht und Allwissenheit und dazu Jahrmillionen gegeben wären, um Ihre Welt zu vervollkommnen, dass Sie dann nichts Besseres als den Ku-Klux-Klan oder die Faschisten hervorbringen könnten?“[9]

Eine weithin bekannte Antwort auf Leibniz' Lösungsvorschlag ist Voltaires satirische Novelle Candide oder der Optimismus.
Kontraste und ihr Nutzen

„Im Wege des Kontrastes und der Ergänzung“ leisteten Übel „zum optimalen Gesamtbild dieser Welt einen unverzichtbaren Beitrag“, so beschreibt der Philosoph Norbert Hoerster einen anderen Lösungsansatz.[10]

Die Gegenüberstellung von Gegensätzen verschöne die Rede, erklärte Kirchenlehrer Augustinus, um fortzufahren: „so bewirkt die göttliche Redekunst, die statt der Worte sich der Dinge bedient, durch dieselbe Gegenüberstellung von Gegensätzen die Schönheit des Weltalls.“[11] Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz meinte: „Da aber die göttliche Weisheit … das erwählen mußte, was den besten Zusammenklang ergab und das Laster durch diese Pforte eingetreten ist: so wäre Gott nicht vollkommen gut, nicht vollkommen weise gewesen, wenn er es ausgeschlossen hätte.“ [12]

Zu Argumenten dieser Art meint der Philosoph Gerhard Streminger: „Selbst wenn im ästhetischen Bereich häßliche Teile zu einem Gesamtschönen zusammengefügt werden können, so ist nicht einzusehen, daß ein gütiger Gott Menschen wie Figuren in einem Schachspiel behandeln sollte – und nicht wie Individuen mit eigenen Antrieben. Menschen besitzen einen Eigenwert und nicht bloß einen Wert in einem übergeordneten Rahmen“, und: „Es existiert keine Analogie zwischen schön und gut. […] die Behauptung, das Vollkommene werde durch Leid erhöht, ist spätestens dann voll Lebensverachtung, wenn dieses Leid über ein gewisses Maß an Stärke und Quantität hinausgeht.“ Eine „christliche Theodizee“, erklärt Streminger, „muß um die moralische Persönlichkeit zentriert sein und nicht um die Idee der Schönheit des ganzen Universums; ihr entscheidender Grundsatz muß ethisch und kann nicht ästhetisch sein.“ [13]

Eine Variante dieses Lösungsansatzes stellt Gerhard Streminger vor: „daß Leid […] unerläßlich sei zum Bewußtwerden des Guten“. Streminger bestreitet das. Er weist darauf hin, dass ein allmächtiger Gott uns so geschaffen haben könnte, „daß wir das Gute als solches erkennen, es also auch dann schätzen, wenn wir Schlechtes niemals erfahren haben.“ Zu dem „Prinzip des Gegensatzes, demzufolge kontinuierliche Lust und Freude von niemandem als solche erlebt werden könne“, meint Streminger, mit einem solchen Prinzip könne bestenfalls ein äußerst geringes Maß an Leid erklärt werden. Selbst wenn dies Prinzip plausibel wäre, würde als Gegensatz Langeweile genügen.[14]
Irenäische Theodizee (Soul-making)

Übel und Leiden könnten für ein spirituelles Wachstum notwendig sein. Diese Überlegung wurde von dem Theologen und Religionsphilosophen John Hick entwickelt und nach dem Kirchenvater Irenäus benannt.[15] Das Verhältnis dieser Überlegung zur Willensfreiheit erläutert der Theologe Armin Kreiner folgendermaßen: Die „irenäische Theodizee“ sei keine Alternative zum Argument der Willensfreiheit, sondern setze diese als konstitutiven Bestandteil voraus. Die Existenz der Willensfreiheit ermögliche die Genese der Sittlichkeit.[16]

Ein Problem dabei ist, dass viele Übel nicht dazu beizutragen scheinen, wie das Leiden von jungen, unschuldigen Kindern. Andere genießen ein Leben in Bequemlichkeit und Luxus, in dem es buchstäblich nichts gibt, was zu einer moralischen Entwicklung herausfordern würde.[17] Ein weiteres Problem entsteht bei dieser Art von Theodizee, wenn beim „spirituellen Wachstum“ auf die Nützlichkeit zur Überwindung von Übel abgestellt wird. Denn wenn es kein Übel gäbe, das überwunden werden müsste, dann würde eine solche Fähigkeit ihre Nützlichkeit verlieren. In diesem Fall wäre es nötig, mehr über den inhärenten Wert von spiritueller Gesundheit zu sagen.
Hinweis auf das Ziel Gottes: Umgestaltung des Menschen

Durch die gesamte Bibel findet sich immer wieder der Hinweis, dass Gott durch Leiden Menschen in seine Nähe ziehen möchte: Nachdem Ijob durch das Leid gegangen ist, sagt er am Ende des Buches in Ijob 42,5 EU: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“

Ähnliche Aussagen sind zu finden in

Ps 78,34 EU: „Wenn er den Tod unter sie brachte, suchten sie Gott und fragten wieder nach ihm.“
Röm 8,28 EU: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“
Heb 12,5–7,10-11 EU: „… habt bereits den Trost vergessen, der zu euch redet wie zu seinen Kindern (Spr 3,11–12 EU): ‚Mein Sohn, achte nicht gering die Erziehung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er schlägt jeden Sohn, den er annimmt.’ Es dient zu eurer Erziehung, wenn ihr dulden müsst. Wie mit seinen Kindern geht Gott mit euch um; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? … dieser aber tut es zu unserm Besten, damit wir an seiner Heiligkeit Anteil erlangen. Jede Züchtigung aber, wenn sie da ist, scheint uns nicht Freude, sondern Leid zu sein; danach aber bringt sie als Frucht denen, die dadurch geübt sind, Frieden und Gerechtigkeit.“

Es wird gewarnt, dass Menschen, denen es sehr gut geht, dazu neigen, Gott zu vergessen: „Als aber Jeschurun fett ward, wurde er übermütig. Er ist fett und dick und feist geworden und hat den Gott verworfen, der ihn gemacht hat.“ (5 Mos 32,15 EU)

Martin Luther schreibt zu Ps 118,5 EU: „… werde ein jeglicher auch ein Falke, der sich in solcher Not in die Höhe schwingen könne und wisse aufs erste sicher, zweifle auch nicht, dass ihm Gott solche Not nicht zum Verderben zuschickt, […], sondern dass er ihn damit zum Gebet, zum Rufen und zum Streit treiben will, damit er seinen Glauben übe und Gott erkennen lerne, in einem andern Anblick, als er es bisher getan hat, und gewöhne sich auch, mit dem Teufel und den Sünden zu kämpfen und durch Gottes Hilfe zu siegen. Sonst lernten wir nimmermehr, was Glaube, Wort, Geist, Gnade, Sünde, Tod oder Teufel wäre, wo es immer in Frieden und ohne Anfechtung zugehen sollte. Damit würden wir denn Gott nimmermehr kennenlernen, wir würden nimmermehr rechte Christen, … Er will, dass du zu schwach sein sollst, solche Not zu tragen und zu überwinden, auf dass du in ihm stark werden lernest und er in dir durch seine Stärke gepriesen werde.“[18]

Bei Dietrich Bonhoeffer findet sich dieselbe Haltung: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen [Hinweis auf Röm 8,28 EU]. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“[19]
Die Umgestaltung der menschlichen Seele kann mehrere Erdenleben dauern

Einige Menschen glauben an Reinkarnation und argumentieren: Gottes Güte bestehe darin, den Menschen einen Zeitrahmen von mehreren Leben zu geben, in welchen sie durch das von ihren falschen Entscheidungen verursachte Leid lernen könnten, sich im göttlichen Sinne zu verhalten. Diesem oder einem sehr ähnlichen Gedankenmodell folgen die Theosophie-Anhänger oder im christlichen Bereich die Anthroposophen, die Geistchristen und die sich „Urchristen“ nennenden Vertreter der Bewegung Universelles Leben, außerdem viele New-Age-Anhänger.

Derlei Reinkarnationslehren stehen im Widerspruch zu Lehren der Bibel. Im Hebräerbrief steht: „Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben …“ (Heb 9,27 EU). So lehrt die Römisch-Katholische Kirche: „Wenn unser einmaliger irdischer Lebenslauf erfüllt ist“ (LG 48), kehren wir nicht mehr zurück, um noch weitere Male auf Erden zu leben. Es ist „dem Menschen bestimmt“, „ein einziges Mal zu sterben“ (Hebr 9,27). Nach dem Tod gibt es keine „Reinkarnation“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Absatz 1013). Auch das Lexikon der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland stellt fest: „Der biblisch begründete Glaube geht davon aus, dass dem Menschen nur ein Leben geschenkt wird, dass er von Gott geliebt wird und keiner karmischen Aufarbeitung bedarf, wenn er unwiderruflich stirbt.“[20]
Übel werden im Zusammenhang einer Entwicklung gesehen
Das Übel als Durchgangsstadium der Geschichte (Hegel)

Das Übel ist nur ein notwendiges Durchgangsstadium; nach Hegel dient es der dialektischen Entwicklung der Geschichte, in der eine „göttliche Vorsehung“ den „absoluten, vernünftigen Endzweck der Welt“ verwirklicht. In Perioden des Glücks, so Hegel, fehle der Gegensatz; sie seien „leere Blätter“ in der Weltgeschichte.[21] Das Ergebnis seiner Darlegungen nennt Hegel „die wahrhafte Theodicee, die Rechtfertigung Gottes in der Geschichte“.[22]
Das Böse ist Rest von unvollkommenen Probeschöpfungen Gottes (Kabbala)

Laut jüdisch-mystischer Zohar-Auslegung des Buches Genesis hat Gott vor der Schöpfung unserer Welt andere Welten erschaffen und wegen ihrer Unvollkommenheit wieder zerstört (soweit herrscht Übereinstimmung mit der Interpretation des Midrasch). Die Reste dieser Welten haben sich laut Zohar als „Hülsen“ (heb. Qlipot) erhalten, die fortdauern und das Böse in der Welt verursachen (die „andere Seite“, heb. sitra aḥrā). Da aber auch sie ursprünglich von Gott erschaffen wurden, enthalten sie noch „Funken von Heiligkeit“ (heb. nīṣōṣōt šēl qədušā).

Gegen diese Theorie kann eingewandt werden, sie stehe im Widerspruch mit einigen Eigenschaften Gottes:

Allwissen: Gott hätte wissen müssen, dass die vorherigen Welten unvollkommen sind.
Allmacht: Gott hätte die unvollkommenen Welten bereits perfekt erschaffen oder sie zumindest so weit beseitigen können, dass das Böse und Unvollkommene nicht Einzug in unsere Welt erhält.
Allgüte: Wie kann Gott seine eigenen Schöpfungen zerstören, wenn er gütig ist? Und wie kann er zulassen, dass seine unvollkommenen Werke Leid über Unbeteiligte in unserer Welt bringen?

Diesen Widerspruch versuchte Isaac Luria durch die Einführung der Notwendigkeit des Tzimtzum aufzulösen. Tzimtzum, wörtlich Zusammenziehung oder Rückzug, ist ein Akt göttlicher Selbstbeschränkung des En Sof (des Unendlichen). Aufgrund des Tzimtzum und dem Erscheinen des unendlichen Lichtes kommt es zum Bruch der Gefäße (šəvīrat hakəlīm).
Die Annahme, die Schöpfung sei „nicht fertig“

Neutestamentliche Theologen wie der Heidelberger Klaus Berger weisen darauf hin, dass die Bibel selbst und damit der christliche Glaube nicht das Ziel habe, eine Antwort auf die Herkunft des Bösen zu geben, sondern eher darauf, dass Gott die Errettung daraus sei. Gott habe das Böse nicht geschaffen, sondern das Böse war bereits gegeben, als Gott zu wirken begann. Im Alten Testament der Bibel schaffe Gott die Welt als einen Bereich der Ordnung, der dem lebensfeindlichen Chaos abgerungen wurde. Das Chaos und die Mächte, die den Menschen und das Leben bedrohen, werden nach diesem Denkansatz hier vorerst zurückgedrängt, die Chaosmächte sind aber weiterhin anwesend und gefährlich, sobald die Anwesenheit Gottes schwindet.

Dadurch wird die Allmacht Gottes als Prinzip in Frage gestellt, welche im biblischen Denken so nicht bekannt sei, sondern eher aus dem Einfluss des griechischen Denkens komme. Gott wäre demnach dabei, in einer bösen Welt und einer unfertigen, schwachen Schöpfung sein Reich aufzubauen, aber dies könne er nicht mit einem Fingerschnippen und in einem Augenblick tun (insofern wäre der Begriff von Allmacht falsch). Allmacht sollte nach dieser Anschauung vielmehr so verstanden werden, als dass letzten Endes die Verheißung des Reiches Gottes und der vollendeten Schöpfung erfüllt wird und Gott mächtiger als alle anderen Mächte in Raum und Zeit ist, nicht aber, dass Gott alles und jedes jederzeit wirkt. Das Geheimnis der Zeit steht nach Berger zwischen der „schwachen Schöpfung“ und der Erfüllung der Verheißung:

„Gott ist nicht grausam, davon bin ich im Laufe meines Lebens als Neutestamentler zusehends überzeugt. Sondern, wenn ein Unglück passiert, ist es allemal die Eigengesetzlichkeit dieser Schöpfung. Wenn jemand vor das Auto läuft und überfahren wird, ist es kein grausamer Gott, sondern es sind die Naturgesetze. Wer so über die rote Ampel hinwegsieht, dem ist nicht zu helfen. Wunder sind für diese Fälle nicht vorgesehen. Es gibt kein Menschenrecht auf Wunder. Der Tod gehört zu dieser Schöpfung hinzu, weil sie schwach ist. Gott will die Überwindung des Todes in all seinen Formen.“[23]

Weitere Ansätze zur Verteidigung des Glaubens an einen allmächtigen und gütigen Gott
Es gibt keine Lösung

Nach Karl Barth gibt es keine Lösung des Theodizee-Problems. Wir sind nicht berechtigt, Gott anzuklagen. Wir können nur dialektisch vom Paradoxon reden (Karl Barth: Das Böse ist die „unmögliche Möglichkeit“).

Ähnlich äußern sich Theologen von heute, so der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß: „Ehrliche Theologie gesteht ein, dass es auf die Frage nach dem Sinn des Leidens keine Antwort gibt. Wer sie trotzdem versucht, setzt nur Irrlichter auf.“[24]

Fast 2000 Jahre zuvor wird in den Sprüchen der Väter, einem Teil der Mischna und Hauptwerk der jüdischen Ethik, formuliert: „Rabbi Janai sagt: Es ist uns nicht gegeben zu wissen, warum Frevler in Wohlergehen und Gerechte in Leiden leben.“ (Kap. IV, Vers 19)
Bei der Metaphysik stößt die Vernunft an ihre Grenzen (Kant)

Immanuel Kant definierte das Problem wie folgt: „Unter einer Theodicee versteht man die Verteidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt.“ Zugleich schienen für Kant alle philosophischen Versuche in der Theodizee zum Scheitern verurteilt. Wir seien zu begrenzt, um metaphysische Spekulationen anzustellen. Hier stoße unsere Vernunft an ihre Grenzen.[25]
Das Übel als unerkennbarer Wille des Gottes der Bibel

Eine andere Interpretation der Bibel besagt, dem Menschen erscheinen Dinge als übel, aber er kann nicht objektiv urteilen. Für Gott habe das Übel einen Sinn, obwohl es aus menschlicher Sicht unverständlich ist. Gott ist demnach nicht nur für das verantwortlich, was Menschen subjektiv als „gut“ bewerten, sondern für alles, wenn man seine Allmacht ernst nehmen will. Dies wird u. a. mit folgenden Bibelstellen begründet:

Gott hat demnach auch das Unheil erschaffen: „Ich [Gott] bilde das Licht und erschaffe das Finstere, bewirke das Gute und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“ (Jes 45,7 EU)
„Oder geschieht ein Unglück in der Stadt, und der HERR hätte es nicht bewirkt?“ (Am 3,6 EU)
Alles, d. h. ausnahmslos jedes Wesen, diene Gott. (Ps 119,91 EU)
Gott mache alles zu seinem Zweck, auch den Gottlosen. (Spr 16,4 EU)
Auch Unglaube wird als gottgewirkt angesehen, denn „Gott gibt ihnen einen Geist der Betäubung, Augen die nicht erblicken“. (Röm 11,8 EU)
„Heißt das nun, dass Gott ungerecht handelt? Keineswegs! Denn zu Mose sagt er: Ich schenke Erbarmen, wem ich will, und erweise Gnade, wem ich will. Also kommt es nicht auf das Wollen und Streben des Menschen an, sondern auf das Erbarmen Gottes. In der Schrift wird zum Pharao gesagt: Eben dazu habe ich dich bestimmt, dass ich an dir meine Macht zeige und dass auf der ganzen Erde mein Name verkündet wird. Er erbarmt sich also, wessen er will, und macht verstockt, wen er will.“ (Röm 9,14–18 EU); siehe dazu 2 Mos 4,21 EU, 9,12 EU, 14,4 EU, 14,7 EU
„Nun wirst du erwidern: Was tadelt Er dann noch? Wer hat denn je Seiner Absicht widerstanden? – O Mensch, in der Tat, wer bist denn du, Gott gegenüber eine solche Antwort zu geben? Das Gebilde wird doch nicht dem Bildner erwidern: Warum hast du mich so gemacht? – Hat der Töpfer nicht Vollmacht über den Ton, aus derselben Knetmasse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?“ (Röm 9,19–21 EU).
Gott wird die Macht zugeschrieben, auch das Wirken Satans ohne Weiteres vollständig zu unterbinden oder einzuschränken, wie es im vollendeten Gottesreich geschehen werde: „Er [ein Bote Gottes] bemächtigte sich des Drachen, der uralten Schlange (die der Widerwirker und der Satan ist) und band ihn für 1000 Jahre.“ (Offb 20,1ff EU)
So soll auch die Kreuzigung Jesu in seinem Plan festgelegt gewesen sein, und niemand hätte es verhindern können: „Herodes wie auch Pontius Pilatus mit den Nationen und den Völkern Israels [waren versammelt], um alles auszuführen, was deine Hand und dein Ratschluss vorherbestimmt hatten, dass es geschehe.“ (Apg 4,26–28 EU)
Das Böse, das dem Menschen geschieht, wird als Prüfung angesehen, welche zur Standfestigkeit im Glauben beiträgt: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (Hi 2,10 EU)

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Beitrag  Andy So Feb 15, 2015 10:55 pm

Das Buch Ijob: gegen den Tun-Ergehen-Zusammenhang

Anhand der dramatischen Geschichte des leidenden Ijob entwirft der Autor des gleichnamigen biblischen Buches eine Theodizee-Antwort, die vor allem negativ ist. Insbesondere argumentiert der Autor intensiv gegen den sogenannten „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ (Glück/Wohlstand einerseits und Leid/Not andererseits gelten als eine Belohnung bzw. Bestrafung Gottes für gerechtes oder sündhaftes Leben). Dass Ijob unschuldig ist, das wird nicht nur von ihm selbst beteuert (Hi 9,21 EU) – vielmehr sagt das auch Gott selbst: Ijob sei „untadelig und rechtschaffen; er fürchtet Gott und meidet das Böse“. Gott erklärt, er sei von Satan aufgereizt worden, Ijob „ohne Grund zu verderben“ (Hi 2,3 EU). In Streitgesprächen mit seinen Freunden weist Ijob den angeblich göttlich garantierten Zusammenhang zwischen Leiden und Schuld plausibel zurück und verlangt eine andere Antwort von Gott. In zwei großen Gottesreden am Ende des Buches ergreift Jahwe selbst das Wort. Er rühmt seine Schöpfung als Erweis seiner Macht und seines Wissens, im Gegensatz zu Ijobs Ohnmacht und Unwissenheit. Daraufhin widerruft Ijob (Hi 42,6 EU): „So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind“ (Hi 42,3 EU). Nach Klaus Kühlwein erkennt Ijob am Ende „im farbenprächtigen Mosaik der Schöpfung das Antlitz des Schöpfers und einen Plan, der weit entfernt ist von menschlichen, allzu menschlichen Vergeltungsfantasien, von göttlicher Willkür und kosmischer Sinnlosigkeit“.[26]
Das Quellenmaterial und die daraus entwickelten Denkmodelle sind unzureichend

Theologisch anerkannt relevante Überlieferungen wie die christliche Bibel können laut dieser Sichtweise nicht den Anspruch erheben, vollständig und widerspruchsfrei zu sein. Die theologische/philosophische Erkenntnis, die allein aus diesen Quellen geschöpft werden kann, genügt nicht, um ein hinreichend plausibles Bild der Beweggründe, Pläne und Ziele eines höchst vollkommenen Gottes, welchem Liebe, Weisheit und Macht in höchster Potenz zugeschrieben werden, zu zeichnen. (Mögliche Quellenerweiterung, siehe Mystik, Neuoffenbarung.)
Unbedingtes Vertrauen zu Gott statt Suche nach rationalen Lösungen

Nach Ansicht des Theologen Hans Küng soll „Durch Leiden … der Mensch zum Leben gelangen. Warum das so ist, warum das für den Menschen gut und sinnvoll ist, warum es nicht ohne Leid besser ginge, das kann keine Vernunft erweisen. Das kann aber vom Leiden, Sterben und neuen Leben Jesu im Vertrauen auf Gott schon in der Gegenwart als sinnvoll angenommen werden, in der Gewissheit der Hoffnung auf ein Offenbarwerden des Sinnes in der Vollendung.“[27]

„Unbedingtes und restloses Vertrauen“ zu Gott, trotz „Unfähigkeit, das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können“, dafür wirbt Küng mit dem Versprechen, darin finde „der leidende, zweifelnde, verzweifelte Mensch“ einen „letzten Halt“; so lasse sich das Leid „zwar nicht ‚erklären‘, aber bestehen“.[28] So verschiebt Küng den Akzent des Theodizee-Problems: weg vom Problem eines logischen Widerspruchs zwischen zwei Aussagen, hin zur Frage nach der Qualität der Beziehung des gläubigen Menschen zu seinem Gott und hin zu der Frage, welche Auswirkungen dies Gottvertrauen auf das Leben eines Menschen haben kann, insbesondere auf das Leben eines leidenden Menschen.

Der Theologe Armin Kreiner nennt es hingegen „völlig abwegig“, aus der Erkenntnis der Fehlbarkeit des menschlichen Ermessens zu folgern, „daß es besser wäre, auf rationale Kontrolle zu verzichten und sein Vertrauen stattdessen ausschließlich auf die göttliche Offenbarung zu setzen. Denn auch die Akzeptanz eines Offenbarungsanspruchs […] ist ein Akt des Glaubenssubjekts – ein Akt, den es, soweit es in seiner Macht steht, vor sich selbst und vor anderen zu verantworten hat. Der bewußte Verzicht auf vernünftige Kriterien der Verantwortbarkeit heiligt nicht den Glaubensgehorsam, sondern entehrt ihn zum blinden Obskurantismus.“[29]
Hinweis auf den Beistand Gottes

„Gott ist bei den Leidenden. Gott zieht uns nicht plötzlich aus dem Leiden, aber wenn wir leiden und angefochten sind, steht Gott uns bei.“ (Margot Käßmann, von 1999 bis Februar 2010 Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers). Ps 68,20 EU: „Gepriesen sei der Herr, Tag für Tag! Gott trägt uns, er ist unsre Hilfe.“ Und Heb 13,5 EU: „Denn der Herr hat gesagt (Jos 1,5 EU): ‚Ich will dich nicht verlassen und nicht von dir weichen.‘“
Theodizee-Frage wird als Anmaßung zurückgewiesen

Einige Gläubige erklären, es stehe dem Menschen nicht zu, die Theodizee-Frage zu stellen. Hans Küng spricht von der „Anmaßung, als neutraler und angeblich unschuldiger Zensor über Gott und die Welt das Urteil sprechen zu wollen“.[28] Andere Menschen, darunter auch Gläubige, erwidern, es gehe bei der Theodizee-Frage nicht darum, sich ein Urteil über Gott zu bilden, sondern darum, sich ein Urteil über einen Glauben zu bilden: ein Urteil darüber, ob der Glaube an einen allmächtigen und gütigen Gott trotz Theodizee-Problem gerechtfertigt ist.
Gottes Eigenschaften sind zu überdenken

Für die Theodizee-Frage sind unter den Eigenschaften Gottes die (angenommene) Allgüte, Allmacht, Unbegreiflichkeit und Allwissenheit relevant. Norbert Hoerster vertritt die Meinung, dass der Theist wenigstens eines der Gottesattribute aufgeben müsse. Entweder sei Gott allgütig oder er sei allmächtig. Beide Eigenschaften gleichzeitig anzunehmen betrachtet er als in sich widersprüchlich und damit irrational.[30]
Gottes Allgüte wird relativiert

Einige Theologen und Philosophen haben – zum Teil mit Hinweis auf biblische Aussagen – die Meinung vertreten, dass Gott in sich komplex und eben nicht nur gut sei. Der ‚liebe‘ Gott wäre eine Verkürzung des biblischen Gottesbildes, wobei man dennoch auf diesen Aspekt Gottes vertrauen soll.[31] Bekannt sind die Unterscheidungen von Luther und Schelling: Luther hebt den Deus absconditus (verborgenen Gott; Zorn, Gesetz) und den Deus revelatus (offenbarten Gott; Liebe, Evangelium) voneinander ab; Schelling unterscheidet zwischen Grund und Existenz in Gott, wobei Gott qua Grund die Ursache für das Übel sei. Friedrich Nietzsche bestreitet Gottes Gutsein und sieht ihn „jenseits von Gut und Böse“.

Einer noch stärker ausgeprägten ambivalenten Gottesvorstellung begegnet man zum Beispiel im Hinduismus, in der altägyptischen Religion, in der griechischen Mythologie oder in der germanischen Mythologie, wo die Götter nicht als absolut gütig und gut betrachtet werden. Sie vereinen helfende, gebende und friedensbringende Eigenschaften ebenso in sich wie zerstörerisch-wütende und kriegerische. In diesem Sinne wird durch eine ambivalente Gottesvorstellung ebenfalls die Allgüte Gottes relativiert.
Gottes Gerechtigkeit wird seiner Güte gegenübergestellt

Es wird argumentiert, die Gerechtigkeit Gottes mache es erforderlich, dass er nicht immer auf maximales Wohlergehen hinwirken könne. Menschliches Leiden wird gedeutet als „gerechte Strafe“ für menschliches Fehlverhalten und/oder für Ungehorsam gegenüber den Geboten Gottes und/oder für „Sünde“, d. h. die Trennung des Menschen von Gott.

Dieser Theodizee-Versuch ist dem Einwand ausgesetzt, dass menschliches Leiden oft in keinem Verhältnis zur Schuld des Betroffenen stehe, dass auch Unschuldige litten, z. B. Säuglinge. So erhalte man keine Lösung des Theodizee-Problems, sondern ein Theodizee-Problem in etwas veränderter Gestalt: „Verträgt sich die Lehre vom allmächtigen und gerechten Gott mit der Erfahrung einer Welt voller Ungerechtigkeiten?“ Hinzu kommt, nach Bart D. Ehrman, Professor für Neues Testament, ein doppeltes Problem: dass die Vorstellung von Leiden als Strafe Gottes „sowohl falsche Sicherheit als auch falsche Schuld“ erzeugt. Er schreibt:

„Wenn Strafe durch die Sünde kommt und ich kein bisschen leide, danke sehr, macht mich das gerecht? Gerechter als meinen Nachbarn, der seinen Job verloren hat oder dessen Kind bei einem Unfall getötet wurde oder dessen Frau brutal vergewaltigt und ermordet wurde? Andererseits, wenn ich schwerem Leiden unterworfen bin, liegt es wirklich daran, dass Gott mich straft? Ist es wirklich meine Schuld, wenn mein Kind mit einer Behinderung geboren wird? Wenn die Wirtschaft abstürzt und ich kein Essen mehr auf den Tisch bringen kann? Wenn ich Krebs bekomme?“[32]

Im Buch Ijob wird bei dieser Fragestellung der individuelle Anspruch des unschuldig Leidenden, eine reale Gotteserfahrung zu haben, in den Vordergrund gerückt.
Gottes Allgüte wird unterschieden von menschlichen Begriffen der Güte

Gottes Allgüte sei mit menschlichen Begriffen nicht zu erfassen, wird argumentiert. Der menschliche Begriff der Güte beschreibe die Allgüte Gottes nur unvollkommen und nicht fehlerfrei. Der Widerspruch im Theodizee-Problem sei lediglich eine Folge der Fehlerhaftigkeit menschlicher Begriffe.

Gegen Argumentationen dieser Art hat der Philosoph Norbert Hoerster eingewendet:

„Wenn jene Güte, die der Gläubige in maximalem Ausmaß Gott zuschreibt, nicht einmal jene bescheidene Form der Güte, die man sinnvollerweise einem Menschen zuschreiben kann, zu umfassen braucht, dann hat der Gläubige seine Überzeugung (d. h. die Überzeugung Dieser Gott ist allgütig, d. h. er besitzt ein Maximum an Güte) offenbar falsch formuliert. Eine „Güte“, die mit dem, was wir gewöhnlich im menschlichen Bereich unter diesem Begriff verstehen, nicht in Zusammenhang steht, ist ein leeres Wort.“[33]

Gottes Allmacht wird relativiert …
… durch Annahme der Freiheit des Menschen

Weitere Ansätze bei der Lösung der Theodizee-Frage liegen in der Annahme, dass Gott dem Menschen Freiheit und Eigenverantwortung in seinem Handeln lasse.

Da das zeitlich-irdische Leben zwar ein sehr hohes, aber nicht das höchste Gut sei, müsse es weder von Gott noch von den Menschen mit allen Mitteln angestrebt werden. Das höchste Ziel bzw. Gut des Menschen sei nach dem christlichen Glauben das ewige Leben, d. h. die maximal mögliche Gemeinschaft mit Gott. Wenn nötig, könne Gott dafür auch das physische Übel einsetzen oder das moralische Übel zulassen (jedoch nicht selbst direkt bewirken).

Angenommen, Gott könnte das Leid zugunsten der menschlichen Freiheit nicht aktiv verhindern und sei selbst daher weitgehend passiv, so stellt sich die Frage nach der Distanz Gottes zum Leid im Diesseits. Hier setzt die Theorie einer „passio continua“ an, wonach Gott nicht distanziert zum irdischen Leid sei, sondern am Unrecht der Welt leide – und zwar nicht nur gedanklich-geistig, sondern seinshaft: erlebt und erlitten durch die Passion Christi, den Gipfelpunkt der Offenbarung.

Ein pragmatischer Lösungsansatz besteht darin zu postulieren, dass Gott die Welt mit Entwicklungspotential geschaffen hat und nun nicht mehr in sie eingreift (Deismus der Aufklärung), denn dies würde das Potenzial der Welt und den freien Willen des Menschen stören. Ein Eingreifen Gottes, um Leid zu verhindern, würde die Welt zu seinem Labor und uns zu seinen Laborratten degradieren und insgesamt mehr Schaden als Nutzen bringen. Dieses Prinzip widerspricht allerdings den Überlieferungen vieler Religionen (der Bibel im Christentum, der Thora und dem Talmud im Judentum, dem Koran im Islam etc.), welche alle eindeutig von Eingriffen Gottes auch noch nach der Schöpfung sprechen. Außerdem erklärt der Ansatz nicht das nicht von Menschen verursachte Übel wie Krankheiten und Naturkatastrophen. Das jüdische Konzept des Tikkun olam (hebräisch: תיקון עולם), was „Verbesserung der Welt“ oder „Reparieren der Welt“ bedeutet, kann neben verschiedenen Erklärungsvarianten der Theodizee bestehen und verschiedene Motive hinterlegt haben, welche das eigenverantwortliche Handeln des Menschen in der Schöpfung anerkennen.

Der Philosoph Bertrand Russell vertrat dagegen die Meinung, ein allmächtiger Gott sei für alles verantwortlich. Es sei sinnlos anzuführen, das Leiden in der Welt sei durch die Sünde verursacht. Selbst wenn das wahr wäre, würde es nichts bedeuten. Wenn Gott im Voraus gewusst hätte, welche Sünden die Menschen begehen würden, so wäre er eindeutig für alle Folgen dieser Sünden verantwortlich, durch seinen Beschluss, den Menschen zu erschaffen.[34] Von einer anderen Seite beleuchtete der Philosoph John Leslie Mackie das Problem: Wenn die Menschen Freiheit hätten in dem Sinne, dass sie in einigen Fällen tatsächlich so oder so entscheiden könnten – wenn das also weder durch äußere Umstände noch durch die Wesensart dieser Menschen festgelegt wäre –, dann wäre es unmöglich zu wissen, wie sie sich entscheiden würden, bevor sie sich entschieden hätten; niemand könnte das vorher wissen, auch kein allmächtiger Gott, der alles wüsste, was gewusst werden kann. So hätte Gott nicht wissen können, wie die Menschen ihre Freiheit gebrauchen würden. Eine solche Verteidigungsstrategie für Gott, meinte Mackie, gelinge jedoch nur auf Kosten einer sehr ernsten Aushöhlung dessen, was man gewöhnlich unter der Allwissenheit Gottes versteht.[35] Außerdem gab Mackie zu bedenken, dass selbst dann, wenn ein allmächtiger Gott nicht wissen konnte, was Adam, Eva und Satan tun würden, wenn er sie erschüfe, er doch zweifellos wissen würde, was sie tun könnten. So wäre er ein „höllisches Risiko“ eingegangen, als er Adam, Eva und Satan erschuf; ja, er wäre das Risiko eingegangen, dass die Menschen noch weitaus bösartiger sein könnten, als sie es tatsächlich sind.[36]
… durch die Annahme, Gott habe sich von den Menschen zurückgezogen

Grundlage dieses Ansatzes, z. B. vertreten durch den protestantischen Pfarrer, Prediger und Schriftsteller Wilhelm Busch (1897–1966), ist die Beobachtung, dass in der westlichen Welt die Säkularisierung stets voranschreitet. Die Gebote Gottes werden nicht mehr beachtet und sind den meisten Menschen nicht einmal bekannt. Dies ist ein klares Nein zu Gott durch die Nichtbeachter. Ein „Nein“ durch Nicht-Kenner ist das noch keineswegs. Gott respektiert diese scheinbar endgültige Entscheidung und zieht sich weitgehend, aber nicht ganz zurück. Gott weiß nämlich, dass der Mensch dazulernt und zu einem geistig fortgeschritteneren Zeitpunkt aufgrund gereifter Einsicht, dass er Gottes Hilfe braucht, eine andere Entscheidung treffen könnte, die eine vertieftere Wissens- und Verstehenslage beinhalten kann.

Dietrich Bonhoeffer trieb solch eine Sicht in einem seiner Briefe auf die Spitze: „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt hinausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“
… durch die Annahme, Gott sei gut, aber nicht allmächtig

Aus der Erfahrung persönlichen Leides kommt der Rabbi Harold S. Kushner in seinem Buch „Wenn guten Menschen Böses widerfährt“ zu dem Schluss, dass Gott zwar gut, aber nicht allmächtig sei. Die Frage nach dem „Warum?“ des Leides führe zu nichts, da sie entweder Wut auf sich selbst (Was habe ich getan, dass mir das passiert?) oder auf Gott (Warum lässt Gott das zu?) zur Folge habe und diese Wut verhindere, dass der Mensch Hilfe von anderen Menschen und von Gott annehmen könne. Da Gott durch die Menschen wirke, solle die Frage vielmehr lauten „Wenn mir dieses Leid nun schon einmal passiert ist, wer kann mir helfen?“ Dieser Lösungsansatz ist auch im Rahmen der sog. Theologie nach Auschwitz verbreitet. Auch Hans Jonas ist der Meinung, dass der Begriff der Allmacht zweifelhaft sei und dass deswegen auf dieses Gottesattribut verzichtet werden müsse. Jonas glaubt, dass Gott deswegen in Auschwitz nicht eingegriffen habe, weil er es nicht konnte. Jonas schlägt deshalb die Idee eines Gottes vor, der darauf verzichtet (hat), in den Verlauf des Weltgeschehens einzugreifen.[37]
… durch den Hinweis auf Christus am Kreuz

Durch die Kreuzigung Christi sei die Ohnmacht Gottes deutlich geworden (Dorothee Sölle: „Gott hat keine anderen Hände als die unseren“). Zugleich wird die besondere Nähe Gottes zu den Menschen in der Passion beschrieben. Gott entäußert sich selbst und unterwirft sich menschlicher Grausamkeit, um zugleich eine Perspektive aufzuweisen, die in die Ewigkeit hineinragt.
… durch ein dualistisches Weltbild

Das Böse sei durch gefallene Engel, den Satan, Demiurgen oder miteinander konkurrierende Weltprinzipien (Dualismus) zu erklären. Als Beispiel hierfür kann die altpersische Religion Zarathustras dienen, die davon ausging, dass zwei gleich mächtige Urprinzipien die Welt beherrschen: Auf der einen Seite das gute, gebende, göttliche Prinzip, auf der anderen Seite das böse, nehmende, widergöttliche. Auf diese Art und Weise wird die Allmacht Gottes bestritten, und (der gute) Gott ist dann nicht mehr für die Existenz des Bösen verantwortlich.

In gnostischen Schriften wird die Herkunft des Bösen durch ein für Gott inakzeptables Verhalten einiger Engel beschrieben. Diese sahen Adam, der als Gottes Ebenbild geschaffen wurde, und lachten ihn wegen seiner Schwäche aus. Da Gott diese Engel verstieß, wurden sie zu seinen Feinden. Und da sie Gott selbst nicht bezwingen können, wollen sie Gottes Schöpfung durch einen Abnutzungskampf zerstören. Der Mensch kann sich nun nach seinem Schöpfer ausrichten oder sich unter der Herrschaft dieser Engel der Selbstzerstörung hingeben.

Solche dualistische Gottesvorstellungen finden sich bei den Bogomilen, in der Gnosis und im Manichäismus.

Ein atheistisches Beispiel wäre das Yin-Yang der chinesischen Philosophie, welches die Geschehnisse in der Welt durch dualistische Urprinzipien erklärt.
Gottes Allwissenheit wird relativiert

Die Gnosis sieht den Menschen als für eine vollkommene Gottesbeziehung gedacht. Durch die Sünde wurde die Weiterentwicklung der Schöpfung unvollkommen, wodurch die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer und Ursprung getrübt wird. Der Mensch leidet unter diesem Umstand. Gott hüllt sich aufgrund der Sünde in einen Nebel, der dem Menschen die Distanz und Freiheit gibt, während der Zeit, die ihm gegeben ist, in Sünde zu leben, wenn er das will. Gottes Allwissenheit wird zur warnenden Botschaft einer absoluten, heiligen Gerechtigkeit, die nicht auf diese Welt beschränkt bleibt.
Theologischer Einwand: Falsche Fragestellung

Peter Knauer hält das Theodizee-Problem für das Ergebnis einer von „vorneherein falsche[n] Fragestellung“. Er betrachtet das Theodizee-Problem als ein spekulatives Problem, bei dem von Gott auf die Welt und von der Welt auf Gott geschlossen werde. Das ist seiner Meinung nach aber unzulässig, da es keine Gott und die Welt übergreifende Wirklichkeit gebe. Er verschiebt die Fragestellung von der spekulativen Ebene zu einer existentiellen Frage. Also nicht mehr „Wie kann Gott das Übel zulassen?“, sondern „Wie kann der Mensch die eigene Endlichkeit aushalten und bestehen?“[38]
Atheistische Schlussfolgerung: Die Existenz eines Gottes wird bestritten

Die atheistische Schlussfolgerung aus der, wie man meinte, misslungenen Theodizee gewann Ende des 18. Jahrhunderts an Boden. Als nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 die optimistische Leibniz’sche Lösung der Theodizee für viele an Plausibilität einbüßte, war es nur noch ein kleiner Schritt, anstatt Gottes Güte gleich Gottes Existenz zu verneinen.

Viele Atheisten und Agnostiker ziehen aus dem Theodizee-Problem ähnliche Schlüsse wie der Philosoph Norbert Hoerster: „… dass jedenfalls auf dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens die Existenz eines ebenso allmächtigen wie allgütigen göttlichen Wesens angesichts der vielfältigen Übel der Welt als äußerst unwahrscheinlich gelten muss.“[39] Joachim Kahl sieht im Theodizee-Problem sogar eine „empirische Widerlegung des Gottesglaubens“.[40] John Leslie Mackie führte aus: Da es nun einmal Übel gebe und „keine plausible Theodizee in Sicht“ sei, spreche viel dafür, „dass sich der Theismus nicht widerspruchsfrei darlegen lässt, ohne dass wenigstens eine seiner zentralen Aussagen wesentlich verändert wird.“[41] In einer Gesamtschau kommt Mackie „nach Abwägen der Wahrscheinlichkeiten“ zu dem Ergebnis, „dass weitaus mehr gegen die Existenz eines Gottes spricht als dafür“.[42]

Eine besondere Sichtweise findet sich bei Odo Marquard:

„[Nach 1755] lag es nahe, zu meinen: die Theodizee gelingt nicht dort, wo – wie bei Leibniz – Gott durch das Schöpfungsprinzip ‚der Zweck heiligt die Mittel‘ entlastet, sondern erst dort, wo Gott von diesem Prinzip entlastet wird. Wo dieses Prinzip als Prinzip der Schöpfung gleichwohl unangefochten bleibt, muss das schließlich folgende Konsequenz haben: Gott muss – zugunsten seiner Güte – aus der Rolle des Schöpfers befreit, ihm muss – zur Rettung seiner Güte – sein Nichtsein erlaubt oder gar nahegelegt werden. … Durch diesen Atheismus ad maiorem Dei gloriam wird der Mensch der Erbe der Funktionen Gottes: nicht nur seiner Funktion als Schöpfer, sondern eben darum auch … seiner Funktion als Angeklagter der Theodizee.“[43]

Damit sei die Theodizee in der zweiten Hälfte des 18. Jh. in die Geschichtsphilosophie gemündet. An Gottes Allgüte, Allwissenheit und Allmacht wird also in vollem Umfang festgehalten. Zur Rettung aller drei klassischen Eigenschaften wird aber die Existenz (des so definierten) Gottes aufgegeben.
Logisch-philosophische Erklärung: Freier Wille ist unvermeidliche Konsequenz des Fühlens

Raymond Smullyan führt in seinem Dialog „Ist Gott ein Taoist?“[44] aus, dass die Existenz fühlender Wesen unvermeidlich den freien Willen nach sich zieht und damit die Möglichkeit der Entscheidung für oder gegen das Böse, hier definiert als Handlung, die anderen fühlenden Wesen Leid zufügt. Daher ist es auch Gott logisch unmöglich, eine Welt mit fühlenden Wesen zu erschaffen, in der das Böse nicht existiert, genauso wenig wie es ihm möglich ist, ein Dreieck in der Ebene zu erschaffen, dessen Winkelsumme nicht 180° beträgt. Das Problem des Bösen, das gute Menschen ohne erkennbare Ursache erleiden, wird nicht direkt thematisiert, allerdings werden die Themen Reinkarnation und Karma indirekt angesprochen.

Siehe auch

Anthropodizee
Gottesbeweis


Quelle - literatur & Einzelnachweise
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