Albert Camus
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Albert Camus
Albert Camus [alˈbɛːʀ kaˈmy] (* 7. November 1913 in Mondovi, Französisch-Nordafrika, heute Dréan, Algerien; † 4. Januar 1960 nahe Villeblevin, Frankreich) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph. 1957 erhielt er für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Camus gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts.
Leben
Kindheit und Jugend
Camus stammte aus einer Familie, die seit drei Generationen in Algerien ansässig war. Er hatte südfranzösische Wurzeln väterlicherseits und spanische mütterlicherseits. Sein Geburtsort Mondovi (nahe Bône, dem heutigen Annaba) war ein Zentrum des Weinbaus. Camus’ Vater Lucien, ein ungelernter Fuhrmann, war kurz zuvor von seiner im Weinanbau und -export tätigen Firma aus Algier dorthin geschickt worden, um als Kellermeister in einem ihrer Weingüter zu arbeiten.
Der Vater wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges von der französischen Armee eingezogen und in der Schlacht an der Marne verwundet. Im Oktober 1914 starb er in einem Lazarett in der Bretagne. Daraufhin zog die Mutter mit Albert und seinem älteren Bruder Lucien zurück zu ihrer verwitweten Mutter nach Algier in das Kleine-Leute-Viertel Belcourt. Dort trug sie zusammen mit ihrem unverheirateten, sprachbehinderten Bruder, einem Böttchergesellen, zuerst als Fabrikarbeiterin und später als Reinigungskraft zum Unterhalt der Familie bei, die unter der strengen Obhut der Großmutter stand.
1924 erhielt Camus’ Grundschullehrer von Mutter und Großmutter die Erlaubnis, den begabten Jungen auf die Aufnahmeprüfung am Gymnasium vorzubereiten. Camus bestand die Prüfung und pendelte fortan zwischen der ärmlichen Welt von Belcourt und dem bürgerlichen Milieu der Schule, wo er seine Herkunft vor den Klassenkameraden verbarg, denn er schämte sich wegen seiner Mutter, die nicht nur Analphabetin, sondern auch leicht hör- und sprachbehindert war. Um seinen Status in der Klasse zu verbessern, trieb er Sport und spielte als Torwart beim Fußballverein Racing Universitaire d’Alger.[1]
1930, nach dem ersten Teil des Baccalauréat, erkrankte er an Tuberkulose und musste sich mehrere Monate in einem Sanatorium in Südfrankreich behandeln lassen. Nach seiner Rückkehr wurde er von einer kinderlosen Schwester seiner Mutter und deren Mann, einem wohlhabenden und literarisch interessierten Metzgermeister, aufgenommen. Bei ihnen fühlte er sich wohl, las und schrieb, entwickelte aber auch erste Dandy-Allüren. Seine Mutter sah er nur noch selten.
1932 legte er den zweiten Teil seines Baccalauréats ab. Sein Traum war der Besuch der Pariser École normale supérieure, der französischen Elitehochschule für die Lehramtsfächer, doch gab es in ganz Algerien keine Vorbereitungsklassen für die Zulassungsprüfung.
Ehe, Studium und erste politische Aktivitäten
Albert Camus begann sein Studium der Philosophie an der neu eröffneten Universität von Algier, wo er mit dem jungen Professor Jean Grenier Freundschaft schloss. 1932, gleich nach Beginn seines Studiums, lernte er seine spätere Frau Simone Hié kennen. Er traf sie eines Abends bei seinem Freund Max-Pol Fouchet, dessen Verlobte sie war (zeitweise gab sich Hié auch als Fouchets Frau aus).[2] Obwohl Hié kein Baccalauréat (Entsprechung zum Abitur) besaß, war sie ebenfalls an der Universität Algier eingeschrieben. Sie pflegte das Image einer intellektuellen „femme fatale“ und soll sehr schön gewesen sein.[3] Camus und Hié verliebten sich, über sie erlangte er erstmals Zugang zur Welt der algerischen Oberschicht und deren Luxusclubs. Für Simone schrieb Camus unter anderem Märchen wie Livre de Melusine und verschiedene Texte über seine Jugend. Diese fasste er unter dem Titel L’Envers et l’Endroit (gedruckt 1937) zusammen. Camus beschrieb Simone als Fee[4] und verfasste lyrische und philosophische Texte, die einen Bezug zu Simone hatten.[3] Aus ihren Briefen wird eine starke Seelenverwandtschaft deutlich, dennoch blieb ihre Beziehung zeitlebens rätselhaft.[5]
Als Camus von Simone Hiés Drogensucht, insbesondere ihrer Morphiumsucht, erfahren hatte[6], versuchte er wiederholt, sie von den Drogen abzubringen.[7] Wegen ihrer Sucht und ihrer zerrütteten Familie (Simones Vater hatte ihre Mutter verlassen) war sie auf dem damaligen „Heiratsmarkt“ für Camus eigentlich nicht attraktiv. Dennoch kam es am 16. Juni 1934 zur Heirat[8], obwohl sich Simones Mutter und Alberts Onkel (der eine Gefährdung von Camus’ Karriere durch Hiés Einfluss befürchtete) dagegen ausgesprochen hatten.[3] Bis an sein Lebensende unterstützte Camus Simone Hié finanziell und blieb mit ihr in Kontakt.[9]
1935, nach der Bildung der „Volksfront“, eines antifaschistischen Bündnisses der französischen Linken und gemäßigt linken Parteien (Kommunisten und Sozialisten sowie Radikalsozialisten), politisierte er sich wie viele andere junge Intellektuelle und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, die in Algerien, obwohl es offiziell ein Teil Frankreichs war, eine eigene Organisation aufzubauen versuchte.
Die Partei setzte Camus ein, um im muslimischen Bevölkerungsteil der Stadt antikolonialistische und prokommunistische Propaganda zu betreiben und Mitglieder zu werben. Letzteres erwies sich allerdings als fast unmöglich, da der marxistische Atheismus die Moslems abstieß. Immerhin erhielt Camus Einblick in die sozialen und psychologischen Probleme der damals etwa 8 Millionen arabo- und berberophonen „Eingeborenen“, die von etwa 800.000 „weißen“ Algerienfranzosen, d.h. den Nachkommen französischer, spanischer und italienischer Einwanderer sowie französisierter einheimischer Juden, beherrscht wurden.
Als im Frühsommer 1936 die Volksfront die Wahlen gewann und in ganz Frankreich neue kulturelle Einrichtungen geschaffen wurden, um das Bildungsniveau der Arbeiter zu heben, gründete Camus mit anderen Linken in Algier ein Théâtre du travail (dt. „Theater der Arbeit“), für das er sein erstes Stück Révolte dans les Asturies verfasste und einstudierte. Es handelte von einem Streik spanischer Bergarbeiter im Jahr 1934, wurde jedoch vor der ersten Aufführung bereits verboten. Nebenbei absolvierte Camus – er war inzwischen auch Mitglied der Schauspieltruppe von Radio Algier – sein Diplôme d'études supérieures mit einer Examensarbeit (s.o.) über die antiken nordafrikanischen Philosophen Plotin und Augustinus.
Mit dem Abschluss dieser Arbeit begann Camus’ Entfremdung von Simone Hié, die weiterhin ein ausschweifendes Leben mit häufig wechselnden Beziehungen führte, während Camus sich dem Schreiben widmen wollte. Er verließ die gemeinsame Wohnung und zog zu Freunden in die „Maison Fichu“, ein malerisch auf einer Anhöhe von Algier gelegenes Haus.[10]
Um seine Ehe doch noch zu retten, unternahm Camus mit Simone eine Reise durch Europa. Besonders in Prag machten die beiden lange Station, da Camus sich sehr für Franz Kafka interessierte. In Salzburg entdeckte er jedoch, dass seine Frau eine Beziehung zu ihrem Arzt unterhielt, der sie auch mit Drogen versorgte. Tief getroffen vollzog Camus die endgültige Trennung von ihr und zog zu seinem Bruder Lucien, während Simone zu ihrer Mutter zurückkehrte.
Zurück in Algier traf er auf eine Parteiführung, die auf Moskaus Anweisung hin jegliche antikolonialistische Propaganda eingestellt hatte, weil diese die Verteidigungskraft Frankreichs gegenüber dem aufrüstenden Deutschland, vor dem sich auch Stalin immer mehr fürchtete, hätte schwächen können. Camus, dem die soziale und politische Gleichberechtigung der „Arabes“ am Herzen lag, war empört über den Kurswechsel seiner Partei und wollte die alte Agitation fortsetzen. Dafür wurde er mit dem Parteiausschluss bestraft. Ebenso enttäuscht war er 1937 über das Scheitern eines Gesetzesvorhabens in der Assemblée nationale, wonach zumindest die gebildete und teilweise frankophile autochthone Elite in Algerien das volle französische Bürgerrecht erhalten sollte. Ein weiterer persönlicher Schlag war, dass er wegen seiner Tuberkulose nicht zu den Prüfungen (concours) für die Agrégation zugelassen wurde und sich damit von einer Einstellung als beamteter Gymnasiallehrer ausgeschlossen sah.
Beginn der Schriftstellerei
In seiner Enttäuschung begann Camus einen ersten Roman über einen tuberkulosekranken jungen Mann, der einen reichen Krüppel ermordet und bestiehlt, um dann selbst zu sterben: La Mort heureuse. Dieses ihm vielleicht allzu persönlich und unreif erscheinende Werk stellte er jedoch nicht fertig. Vielmehr benutzte er es ab 1938 als Material für L’Étranger, einen politisch motivierten Roman um einen durchschnittlichen jungen Algerienfranzosen namens Meursault.[11] Dieser erschießt zufällig einen jungen Araber, von dem er sich irgendwie bedroht fühlt, will für sein Vergehen aber einstehen und wird so zum Sündenbock, an dem die Justiz erst zögernd, dann jedoch mit voller Härte ein Exempel statuiert.
Obwohl Camus nur von einem Hilfsjob im meteorologischen Institut von Algier lebte, schlug er 1938 einen Posten als angestellter Lehrer in einer algerischen Kleinstadt aus, vielleicht auch deshalb, weil er sich gerade mit seiner späteren zweiten Frau liiert hatte, der Mathematikstudentin und späteren Mathematiklehrerin Francine Faure.
Über seinen Freund Pascal Pia erhielt Camus eine Stelle als Reporter bei dem neuen (linken) Blatt Alger républicain. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte wurden dort Gerichtsreportagen, besonders von Prozessen gegen Araber und Berber, die in einer von den Algerienfranzosen dominierten Justiz häufig die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekamen. Nebenher verfasste Camus eine erste Version seines ersten gänzlich eigenen Stücks Caligula, ein Drama um die Sinnsuche eines jungen Mannes.
In dieser Phase existentieller Enttäuschungen, aber auch mancher Lichtblicke, begann er den philosophischen Essay Le Mythe de Sisyphe, in dem er das menschliche Dasein als fundamental absurd, aber dennoch lebenswert, ja glücklich, darstellt. Im Sommer 1939 schrieb er eine Serie von anklagenden Artikeln über eine Hungersnot im Hinterland von Algier, gegen die die Behörden seines Erachtens nichts unternahmen, weil dort ja nur Berber verhungerten.
Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach und eine Zensur eingeführt wurde, lagen Camus und seine Zeitung ständig im Streit mit der Zensurbehörde. Anfang 1940 stellte die Zeitung aus verschiedenen Gründen ihr Erscheinen ein. Camus musste sich, nachdem er endlich von seiner ersten Frau geschieden worden war und Francine Faure geheiratet hatte, von seiner zweiten Frau ernähren lassen. Da dies für ihn schwer erträglich war, ging er nach Paris – ohne (wie oft fälschlich behauptet) aus Algerien ausgewiesen worden zu sein –, nachdem er dort, wiederum mit Hilfe von Pascal Pia, eine Stelle als Reporter bei der Zeitung Paris-Soir erhalten hatte.
Die Kriegszeit
Unmittelbar vor Beginn des blitz allemand am 10. Mai beendete er sein Werk L’Étranger, das er in der Zwischenzeit mit zusätzlichen Themen, insbesondere den Lehren des Sisyphe, angereichert hatte, die die ursprüngliche politische Intention fast verdeckten. Kurz bevor die deutschen Truppen in Paris einmarschierten, flüchtete Camus mit der Redaktion seiner Zeitung nach Clermont-Ferrand und bald weiter nach Lyon, wo er den Waffenstillstand (22. Juni) und die Anfänge des neuen État français unter Marschall Pétain erlebte.
In der Folgezeit führte er ein unstetes Leben zwischen Frankreich und Algerien, schrieb dennoch fleißig und beendete im Winter 1941/42 in Oran (dem Heimatort seiner Frau, wo er eine Lehrerstelle erhalten hatte) Le Mythe de Sisyphe. Der Essay, der die Überwindung der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz durch trotziges Akzeptieren ihrer Tragik und durch Pflichterfüllung zu propagieren scheint, traf bei seiner Publikation im Oktober offenbar die Stimmung im besetzten Frankreich. Denn hier neigte man dazu, die gerade erlittene Niederlage gegen Deutschland durch eine Flucht ins Alltagsleben zu kompensieren. Camus wurde nun bekannt, zumal auch der im Juni endlich veröffentlichte Étranger gut aufgenommen wurde (der jedoch nicht mehr als ein algerisch-politisch motivierter Roman gesehen wurde, sondern als Meditation über den Sinn der menschlichen Existenz).
Ende 1942 weilte Camus wieder zu einer Kur in Südfrankreich und konnte nicht nach Oran zurück, nachdem Algerien von anglo-amerikanischen Truppen eingenommen worden war und die Deutschen am 11. November auch den bisher unbesetzten Süden Frankreichs, die zone libre, ihrer direkten Kontrolle unterstellt hatten. Er reiste deshalb nach seiner Kur nach Paris, wo er bei seinem Verlag Gallimard eine Stelle als Lektor erhielt und nunmehr hautnah die Verhältnisse im besetzten Frankreich miterlebte, wo sich nach der Niederlage der deutschen Truppen in Stalingrad die Stimmung allmählich aufhellte. In diesem Umfeld begann er die Arbeit an dem Roman La Peste, der seine persönliche Situation, d.h. das Getrenntsein von seiner Frau, und seinen Willen, sich politisch zu engagieren, ebenso widerspiegelt wie die allgemeine Lage im Land, dessen Menschen meist noch willig oder gleichmütig mit dem Pétain-Regime und den Besatzern kollaborierten, teils aber schon, wie bald auch Camus selbst, sich der Widerstandsbewegung anschlossen, der Résistance. La Peste erschien erst 1947, wurde aber trotzdem noch ein großer Erfolg, weil das Werk, als ein Hohes Lied der Pflichterfüllung, speziell den männlichen Franzosen offenbar die letzten Kriegsjahre verklären half, in denen sie nach einem sich rasch bildenden Mythos angeblich allesamt erklärte (oder doch wenigstens heimliche) Widerständler gewesen waren. Camus lernte in der Widerstandsgruppe Combat auch René Leynaud kennen, zu dessen 1947 bei Gallimard herausgegebenen Gedichten er das Vorwort schrieb.
1943 schrieb Camus das Stück Le Malentendu und begann seine Mitarbeit an dem im Untergrund erscheinenden Blatt Combat, dessen Chefredakteur er nach der Befreiung Frankreichs im Jahre 1944 wurde. Trotz seines Wirkens als Widerständler setzte er sich mit seinen Lettres à un ami allemand (1945) für die deutsch-französische Versöhnung ein.
Herman Melville wird zu dieser Zeit von Camus in einem privaten Brief an Liselotte Dieckmann ausdrücklich als eines seiner wichtigsten Vorbilder genannt.
Nachkriegszeit
In den Nachkriegsjahren war er wie Sartre (mit dem ihn eine kurze Zeit lang auch ein freundschaftliches Verhältnis verband) einer der Vordenker des Existentialismus. Sein bekanntestes philosophisches Werk aus dieser Zeit ist die Essay-Sammlung L’Homme révolté (1947–1951), die ihm neben viel Beifall auch Polemik eintrug, nicht zuletzt von Sartre, der ihm den Verrat linker Ideale vorwarf.
Weniger erfolgreich waren seine politischen Werke aus diesen Jahren: L’État de siège (1948) oder das im zaristischen Russland spielende Les Justes (1949), das anhand des 1905 von Iwan Kaljajew verübten Attentats auf Großfürst Sergei Alexandrowitsch Romanow die immer wieder aktuelle Problematik der politisch motivierten Attentate behandelt, deren Sinnhaftigkeit Camus in Frage stellte, aber nicht völlig verneinte.
Ähnlich wie Sartre begnügte auch Camus sich nicht mit einer Literatenrolle, sondern versuchte darüber hinaus journalistisch in die Politik hineinzuwirken als ein humanitärer, gemäßigt linker Pazifist, der insbesondere die Unnachgiebigkeit der französischen Kolonialpolitik und die Grausamkeiten der Kolonialtruppen brandmarkte. Seine Zeitschriftenartikel gab er ab 1950 regelmäßig auch in Sammelbänden mit dem Titel Actuelles heraus.
Da er bemüht war, über den Parteien zu stehen, geriet er oft zwischen die Fronten. So scheiterten 1956 seine Vermittlungsversuche bei den sich langsam zum Krieg entwickelnden Unruhen in Algerien, denn sein Plädoyer für eine bürgerrechtliche Gleichstellung der Arabes war den meisten Franzosen viel zu radikal, wogegen seine Vorstellung von einem am Ende doch französischen Algerien für die meisten autochthonen Algerier inzwischen inakzeptabel war.
Sein belletristisches Schaffen war in diesen Jahren weniger intensiv, zumal ihn seine Tuberkulose häufig an der Arbeit hinderte. Immerhin kamen 1956 der kurze Roman La Chute und 1957 ein Sammelband von meist in Algerien spielenden Erzählungen, L’Exil et le Royaume, heraus.
1957 erhielt Camus den Literaturnobelpreis „für seine bedeutungsvolle Verfasserschaft, die mit scharfsichtigem Ernst menschliche Gewissensprobleme in unserer Zeit beleuchtet“.[12]
Tod
Denkmal zu Ehren von Albert Camus in Villeblevin
Camus’ Grabstein in Lourmarin, Vaucluse
Am Nachmittag des 4. Januar 1960 starb Camus bei einem Autounfall als Beifahrer auf der Fahrt von Lourmarin nach Paris in der Nähe von Villeblevin. Der von Michel Gallimard, einem Neffen von Camus’ Verleger, gelenkte Facel Vega FV kam ins Schleudern, als ein Hinterreifen geplatzt war, und prallte mit der rechten Seite gegen einen Baum. Camus war sofort tot, Michel Gallimard starb am 14. Januar 1960 in einem Krankenhaus an seinen Verletzungen. Die Insassen im Fond dagegen, Michel Gallimards Frau Janine und ihre Tochter Anne, überlebten beinahe unverletzt.[13] Camus hatte sich von Gallimard zu der Fahrt überreden lassen, obwohl er bereits eine Bahnfahrkarte nach Paris gelöst hatte.
Bis zuletzt hatte er an Le Premier Homme gearbeitet, einem autobiografischen Roman über seine Kindheit und frühe Jugend als Sohn eines ihm nur vom Hörensagen schemenhaft bekannten Vaters. Das Roman-Fragment erschien postum 1994.
Zu Camus’ Tod gab es – aufgrund einer Behauptung des italienischen Intellektuellen und Dichters Giovanni Catelli – die Spekulation, an dem Fahrzeug des Verlegers Gallimard seien im Auftrag des früheren sowjetischen Außenministers Dmitri Schepilow (der freilich schon 1957 aus dem Amt entlassen worden war) Manipulationen vorgenommen worden.[14][15] Catelli berief sich dabei auf Auszüge aus dem Tagebuch des tschechischen Übersetzers und Dichters Jan Zábrana, der dies von einem Informanten erfahren haben will.[14][15]
Philosophie
Klassifizierung von Camus’ Philosophie
Albert Camus, der in Deutschland eher als Philosoph denn als Literat bekannt ist, zählte sich selbst nicht zu den Vertretern des Existentialismus.[16] Insbesondere seine frühen Werke stehen dieser philosophischen Strömung jedoch sehr nahe. So würdigte Jean-Paul Sartre seinen Roman Der Fremde (1942) als wichtiges Werk des Existentialismus.
Das philosophische Werk von Camus hat jedoch auch einen eigenständigen Charakter. Die Camus’sche Philosophie wird daher in Abgrenzung zum Existentialismus oft als „Philosophie des Absurden“ bezeichnet. Dies erscheint gerechtfertigt, da insbesondere Camus’ Sicht der Revolte von der existentialistischen Philosophie abweicht, was schließlich auch zum Bruch mit Sartre führte.
Die beiden philosophischen Hauptwerke von Camus sind die Essays Der Mythos des Sisyphos (Le Mythe de Sisyphe, 1944) und Der Mensch in der Revolte (L’Homme révolté, 1951). Daneben bringt Camus seine Philosophie auch in seinen Romanen und Bühnenstücken zum Ausdruck.
Das Absurde
Im Zentrum der Philosophie Camus steht das Absurde.
Dem Leid und dem Elend in der Welt ist kein Sinn abzugewinnen. Der „absurde Mensch“ ist stets Atheist. Das Leid bleibt für ihn nicht nur sinnlos, es bleibt auch unerklärbar. Wäre Camus' „Mensch“ nicht Atheist, sondern den christlichen Religionen verbunden, könnte man hinter diesem theoretischen Ansatz das Problem der Theodizee vermuten, das die Frage danach, wie ein „liebender Gott“ mit dem Leid der Welt in Einklang zu bringen ist, sinnvoll aufzulösen versucht. Bei Camus fühlt „der Mensch“, wie fremd ihm alles ist, und erkennt dabei die Sinnlosigkeit der Welt; so stürzt er im Verlaufe seines Strebens nach Sinn in tiefste existentielle Krisen. Das Absurde macht vor niemandem halt:
„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“
Für Camus besteht das Absurde im Erkennen der Tatsache, dass das menschliche Streben nach Sinn in einer sinnleeren Welt notwendigerweise vergeblich, aber nicht ohne Hoffnung bleiben muss. Um nicht verzweifelt zu resignieren oder in Passivität zu verfallen, propagiert Camus im Sinne des Existentialismus und in Anlehnung an Friedrich Nietzsche den aktiven, auf sich allein gestellten Menschen, der unabhängig von einem Gott und dessen Gnade selbstbestimmt ein Bewusstsein neuer Möglichkeiten der Schicksalsüberwindung, der Auflehnung, des Widerspruchs und der inneren Revolte entwickelt.
Der Tod als absolutes Ende und unausweichliche Fatalität
Der Tod ist für Camus zum einen ein absolutes Ende, das wie das Leben keinen Sinn hat. Der Tod ist die einzige Fatalität, die schon vorgegeben ist und der man nicht entrinnen kann (hier zeigt sich der Einfluss Martin Heideggers). Oft ist der Tod „ungerecht“, etwa wenn er wie in dem Roman Die Pest Kinder trifft. Wichtig dabei ist, dass der Tod für Camus auch ein endgültiges Ende ist: All die sinnlosen Taten und Auflehnungen gegen das Absurde werden durch den Tod ein für alle Mal besiegelt. Der Tod ist für die Menschen bei Camus ein krönender Abschluss eines absurden Lebens.
Der Tod ist für Camus (vielleicht) eine unausweichliche Fatalität, aber keinesfalls das Ende bzw. der Endpunkt des absurden Lebens; vielmehr ist der Tod bzw. der Selbstmord die Umkehrung des Absurden, vor dem die Augen geschlossen werden. Es ist auch absurd, vor dem Absurden fliehen zu wollen. Die Möglichkeit, trotz der Absurdität des Daseins – Unvereinbarkeit von Mensch und Welt – als Mensch Bestand zu haben, liegt für Camus im „existentiellen Sprung“. Diesen kann er selbst nicht genau definieren, scheint damit aber ein „Weitermachen“ und „Hinausgehen über das Bestehende“ zu meinen, das sich der Unvereinbarkeit bewusst ist, also ein „Sich-zur-Wehr-setzen“.
Das führt dann zur anderen Seite der Todeserfahrung bei Camus als ein Moment, das unabhängig vom eigentlichen endgültigen körperlichen Absterben als eine glückliche vorweggenommene Todeserfahrung im Diesseits beschrieben wird. In Der glückliche Tod, dem von ihm selbst nicht veröffentlichten Vorentwurf von Der Fremde, beschreibt er diesen aus der Sicht des Protagonisten Meursault als ein ewiges Ereignis im Bewusstsein. Meursault kauft gegen Ende des Romans ein Haus in einem Dorf am Meer. Nachdem er schwer krank geworden ist, stirbt er angeblich einen glücklichen, bewusst erlebten Tod: „Ein Stein zwischen Steinen, ging er in der Freude seines Herzens wieder in die Wahrheit der unbeweglichen Welten ein.“
Die „permanente Revolte“ als Weg zur Überwindung des Absurden
Es gibt zwar keinen „Ausweg“ aus der absurden Situation des Menschen, dennoch kann das Absurde überwunden werden: durch die Annahme der absurden Situation seitens des Menschen. Der Mensch gesteht sich die Absurdität seiner Lage ein und akzeptiert sie, anstatt dem Irrglauben zu erliegen, er müsse sich durch Selbsttötung aus der Absurdität befreien. Vielmehr strebt er trotz allem (und auch das sei absurd) weiter, nach vorne. Der Mensch ist – ebenso wie bei anderen Vertretern des Existentialismus – ein Handelnder, ein Drängender. Sinnbild für diesen „absurden“ Menschen ist die mythologische Gestalt des Sisyphos (vgl. Der Mythos des Sisyphos).
In dem philosophischen Essay Der Mythos des Sisyphos illustriert Camus das Glücklichsein des absurden Menschen am Beispiel der mythologischen Figur, die dazu verdammt ist, einen Stein immer wieder von neuem auf einen Berg zu wälzen.
Dennoch löst sich der Widerspruch des Absurden durch diese „permanente Revolte“ nie ganz auf. Die Revolte ist notwendig, führt aber letztlich nie zum Ziel. Es ist in gewisser Hinsicht ein ewiges Aufstehen mit einem „höhnischen Trotzdem“, mit dem der absurde Mensch den Tag aufs Neue beginnt. Dieser Prozess selbst ist endlos. Jene Sicht der Revolte entzweite Camus mit dem inzwischen marxistischen Sartre, der sich eine gesellschaftliche Revolte vorstellte, die zum historischen Ziel des Kommunismus führen sollte.
Menschliche Solidarität und Liebe als Werte
Schon in der Novellensammlung Das Exil und das Reich (L’Exil et le Royaume, 1952) und ansatzweise in Le Mythe de Sisyphe von 1942, wird deutlich, dass „solidaire“ (Beziehungen zu anderen Menschen) und „solitaire“ (Alleinsein) zwei Seiten derselben Medaille sind, das eine so einseitig wie das andere. Würde man sich entscheiden, beträte man einen Irrweg. Nach Camus sind die zwischenmenschlichen Beziehungen für sich betrachtet ebenso absurd wie die Situation des Menschen, der sich alleine der Natur gegenübersieht, die ihn allumfassend umgibt. Beides ist komplementär wie zwei Seiten eines Schriftstückes, die dem Leser nie zugleich bewusst sichtbar sind. Sie schließen sich aus und bedingen sich gleichzeitig. In der Pest versucht er eine Weiterentwicklung dieses Gedankens – allerdings persönlich wohl nicht überzeugt, eher der politischen Situation geschuldet. Es bleibt letztlich dabei, dass der Mensch „vor dem Sprung“ bleiben muss, um nicht einen der beiden sich bietenden einseitigen Irrwege zu beschreiten. In Die Pest reicht die Revolte allein nun nicht mehr zur Sinngebung des Menschen aus. In ihrer scheinbar hoffnungslosen Situation und ihrem aussichtslosen Kampf dagegen finden die Menschen zur gegenseitigen Solidarität, zu Freundschaft und Liebe:
«À la fin, c’est trop bête de ne vivre que dans la peste. Bien entendu, un homme doit se battre […]. Mais s’il cesse de rien aimer par ailleurs, à quoi sert qu’il se batte?»
„Letztendlich ist es sehr dumm, nur mit der Pest zu leben. Ein Mensch muss natürlich kämpfen […]. Aber wenn es damit endet, dass er sonst nichts mehr liebt, wofür ist dann das Kämpfen gut?“[17]
Ohne im Daseinskampf gewonnene Werte ergibt die Revolte keinen Sinn. Aber diese Werte müssen sich auf das richten, was wirklich existiert: auf die Menschen selbst. Was der Mensch braucht, ist „menschliche Wärme“ („chaleur humaine“).
Ähnlich thematisiert Camus in seinem Drama Der Belagerungszustand den Widerstand gegen jede Form der Inhumanität, politischer wie existentieller Art. Die spanische Stadt Cádiz ist als Schauplatz exemplarisch gewählt, weil dort in der Vergangenheit zum einen die Pest bereits gewütet hatte und die Stadt zum anderen eine wichtige Rolle in der spanischen Revolution von 1823 spielte, die in der Schlacht von Trocadero niedergeschlagen wurde. Ähnlich manchen Republikanern im Spanischen Bürgerkrieg gibt auch der Held Diego in diesem Drama trotz teils aussichtsloser Lage den Kampf nicht auf. Das Stück wurde daher oft als dramatische Variante des Romans Die Pest bezeichnet. Die Helden Bernard Rieux und Diego haben zwar manches gemeinsam, dennoch gibt es unterschiedliche Diskurse in beiden Werken.
In seinem Roman Der Fall (La chute, 1956) kritisiert Camus den oft heuchlerischen und oberflächlichen Charakter der menschlichen Beziehungen.
Politische Haltung
Camus wandte sich in seinen Reden und Schriften gegen alle autoritären Staatsformen, insbesondere gegen den stalinistischen Sozialismus. Es ist jedoch keineswegs so, dass er Befürworter einer parlamentarischen Demokratie war. Vielmehr vertrat Camus einen Anarchosyndikalismus, bei dem die Produktionsmittel in den Händen der Gewerkschaften liegen. Bereits 1944 wünschte er sich eine „internationalistische Ökonomie, in der die Rohstoffe verstaatlicht werden, der Handel kooperativ organisiert und die kolonialen Absatzmärkte allen zugänglich gemacht werden und das Geld selbst Kollektivstatus erhält.“ Wenig später forderte er die „Vereinigten Staaten der Welt“, die „Abschaffung der Lohnarbeit“ und, „die Gewerkschaften an der Verwaltung des Volkseinkommens zu beteiligen“. 1951 betonte er zusammenfassend: „Meine Sympathien gelten den libertären Formen des Syndikalismus.“[18]
Werke
Originalausgaben
Licht und Schatten (L’envers et l’endroit, 1937), in: Literarische Essays. Rowohlt, Hamburg 1959
Caligula (1938), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
Hochzeit des Lichts. Impressionen am Rande der Wüste (Noces, 1938). Arche, Zürich 1954; Neuausgabe ebd. 2009, ISBN 978-3-7160-2634-2
Der Mythos des Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde (Le mythe de Sisyphe, 1942). Rauch, Bad Salzig/Düsseldorf 1950
Der Fremde. Erzählung (L’étranger, 1942). Rauch, Boppard/Bad Salzig 1948
Das Missverständnis (Le malentendu, 1944), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
Die Pest. Roman (La peste, 1947). Abendlandverlag, Innsbruck 1948
Der Belagerungszustand (L’état de siège, 1948). Desch, München 1950
Die Gerechten (Les justes, 1949), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
Der Mensch in der Revolte (L’homme révolté, 1951). Rowohlt, Hamburg 1953
Heimkehr nach Tipasa (L’été, 1954). Arche, Zürich 1957
Der Fall. Roman (La chute, 1956). Rowohlt, Hamburg 1957
Das Exil und das Reich. Erzählungen (L’exil et le royaume, 1957). Rowohlt, Hamburg 1958
Die Besessenen (Les possédés, 1959). Rowohlt, Hamburg 1960
Postum erschienene Werke bzw. Ausgaben
Fragen der Zeit. Essays. Rowohlt, Reinbek 1960, ISBN 3-499-22195-0
Kleine Prosa. Rowohlt, Reinbek 1961, ISBN 3-499-22190-X
Jonas oder Der Künstler bei der Arbeit. Gesammelte Erzählungen. Rowohlt, Reinbek 1966, ISBN 3-499-22286-8
Verteidigung der Freiheit. Politische Essays. Rowohlt, Reinbek 1968, ISBN 3-499-22192-6
Der glückliche Tod. Roman (La mort heureuse, 1970). Rowohlt, Reinbek 1972, ISBN 3-499-22196-9 (Frühe Version bzw. Vorgänger von Der Fremde)
Tagebücher 1935–1951. Rowohlt, Reinbek 1972, ISBN 3-499-22194-2
Reisetagebücher. Rowohlt, Reinbek 1980, ISBN 3-499-22197-7
Tagebuch. März 1951–Dezember 1959. Rowohlt, Reinbek 1991, ISBN 3-499-22199-3
Der erste Mensch. Roman (Le premier homme, 1994). Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13273-7 (Camus starb, als er am Manuskript arbeitete)
Libertäre Schriften (1948–1960). Eingeleitet, kommentiert und übersetzt von Lou Marin. Laika, Hamburg 2013, ISBN 978-3-942281-56-0
Sämtliche Dramen. Rowohlt, Reinbek 2013, ISBN 978-3-498-00942-7
mit Jean Grenier: Briefwechsel 1932–1960. Mit den Erinnerungen Jean Greniers an Albert Camus. Alber, Freiburg im Breisgau 2013, ISBN 978-3-495-48621-4
Postum geschriebener Brief an Camus
Paul Pitous: Mon Cher Albert. Ein Brief an Albert Camus, übersetzt von Brigitte Große. Arche Verlag, Zürich 2014, ISBN 978-3-7160-2712-7
Verfilmungen
Fritz Umgelter verfilmte Der Belagerungszustand 1963 als Fernsehfilm für den WDR. Hauptdarsteller waren Hellmut Lange (Diego) und Richard Münch (Nada). (zelluloid.de)
Luchino Visconti verfilmte Der Fremde 1967; Hauptdarsteller war Marcello Mastroianni.
Luis Puenzo verfilmte Die Pest 1992; Hauptdarsteller war William Hurt.
Frank Castorf inszenierte 1999 an der Volksbühne Berlin Camus’ Bühnenfassung Die Besessenen des Dostojewskij-Romans Die Dämonen mit u.a. Henry Hübchen und Martin Wuttke. „Für den Film Dämonen (2000) wurde die am Theater erarbeitete Spielweise mit der Kulisse nach draußen gebracht und teilweise mit Handkamera gefilmt.“ (VideoWoche)
"Die Gerechten". Deutsches Fernsehspiel, Hessischer Rundfunk 1959; Regie: Rolf Hädrich[21]
Hörspiele
Frank-Erich Hübner führte Regie beim dreiteiligen Hörspiel “Die Pest“ nach dem gleichnamigen Roman, WDR/NDR 2010, Laufzeit 150 Min., Rezension auf Hoerspieltipps.net
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Leben
Kindheit und Jugend
Camus stammte aus einer Familie, die seit drei Generationen in Algerien ansässig war. Er hatte südfranzösische Wurzeln väterlicherseits und spanische mütterlicherseits. Sein Geburtsort Mondovi (nahe Bône, dem heutigen Annaba) war ein Zentrum des Weinbaus. Camus’ Vater Lucien, ein ungelernter Fuhrmann, war kurz zuvor von seiner im Weinanbau und -export tätigen Firma aus Algier dorthin geschickt worden, um als Kellermeister in einem ihrer Weingüter zu arbeiten.
Der Vater wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges von der französischen Armee eingezogen und in der Schlacht an der Marne verwundet. Im Oktober 1914 starb er in einem Lazarett in der Bretagne. Daraufhin zog die Mutter mit Albert und seinem älteren Bruder Lucien zurück zu ihrer verwitweten Mutter nach Algier in das Kleine-Leute-Viertel Belcourt. Dort trug sie zusammen mit ihrem unverheirateten, sprachbehinderten Bruder, einem Böttchergesellen, zuerst als Fabrikarbeiterin und später als Reinigungskraft zum Unterhalt der Familie bei, die unter der strengen Obhut der Großmutter stand.
1924 erhielt Camus’ Grundschullehrer von Mutter und Großmutter die Erlaubnis, den begabten Jungen auf die Aufnahmeprüfung am Gymnasium vorzubereiten. Camus bestand die Prüfung und pendelte fortan zwischen der ärmlichen Welt von Belcourt und dem bürgerlichen Milieu der Schule, wo er seine Herkunft vor den Klassenkameraden verbarg, denn er schämte sich wegen seiner Mutter, die nicht nur Analphabetin, sondern auch leicht hör- und sprachbehindert war. Um seinen Status in der Klasse zu verbessern, trieb er Sport und spielte als Torwart beim Fußballverein Racing Universitaire d’Alger.[1]
1930, nach dem ersten Teil des Baccalauréat, erkrankte er an Tuberkulose und musste sich mehrere Monate in einem Sanatorium in Südfrankreich behandeln lassen. Nach seiner Rückkehr wurde er von einer kinderlosen Schwester seiner Mutter und deren Mann, einem wohlhabenden und literarisch interessierten Metzgermeister, aufgenommen. Bei ihnen fühlte er sich wohl, las und schrieb, entwickelte aber auch erste Dandy-Allüren. Seine Mutter sah er nur noch selten.
1932 legte er den zweiten Teil seines Baccalauréats ab. Sein Traum war der Besuch der Pariser École normale supérieure, der französischen Elitehochschule für die Lehramtsfächer, doch gab es in ganz Algerien keine Vorbereitungsklassen für die Zulassungsprüfung.
Ehe, Studium und erste politische Aktivitäten
Albert Camus begann sein Studium der Philosophie an der neu eröffneten Universität von Algier, wo er mit dem jungen Professor Jean Grenier Freundschaft schloss. 1932, gleich nach Beginn seines Studiums, lernte er seine spätere Frau Simone Hié kennen. Er traf sie eines Abends bei seinem Freund Max-Pol Fouchet, dessen Verlobte sie war (zeitweise gab sich Hié auch als Fouchets Frau aus).[2] Obwohl Hié kein Baccalauréat (Entsprechung zum Abitur) besaß, war sie ebenfalls an der Universität Algier eingeschrieben. Sie pflegte das Image einer intellektuellen „femme fatale“ und soll sehr schön gewesen sein.[3] Camus und Hié verliebten sich, über sie erlangte er erstmals Zugang zur Welt der algerischen Oberschicht und deren Luxusclubs. Für Simone schrieb Camus unter anderem Märchen wie Livre de Melusine und verschiedene Texte über seine Jugend. Diese fasste er unter dem Titel L’Envers et l’Endroit (gedruckt 1937) zusammen. Camus beschrieb Simone als Fee[4] und verfasste lyrische und philosophische Texte, die einen Bezug zu Simone hatten.[3] Aus ihren Briefen wird eine starke Seelenverwandtschaft deutlich, dennoch blieb ihre Beziehung zeitlebens rätselhaft.[5]
Als Camus von Simone Hiés Drogensucht, insbesondere ihrer Morphiumsucht, erfahren hatte[6], versuchte er wiederholt, sie von den Drogen abzubringen.[7] Wegen ihrer Sucht und ihrer zerrütteten Familie (Simones Vater hatte ihre Mutter verlassen) war sie auf dem damaligen „Heiratsmarkt“ für Camus eigentlich nicht attraktiv. Dennoch kam es am 16. Juni 1934 zur Heirat[8], obwohl sich Simones Mutter und Alberts Onkel (der eine Gefährdung von Camus’ Karriere durch Hiés Einfluss befürchtete) dagegen ausgesprochen hatten.[3] Bis an sein Lebensende unterstützte Camus Simone Hié finanziell und blieb mit ihr in Kontakt.[9]
1935, nach der Bildung der „Volksfront“, eines antifaschistischen Bündnisses der französischen Linken und gemäßigt linken Parteien (Kommunisten und Sozialisten sowie Radikalsozialisten), politisierte er sich wie viele andere junge Intellektuelle und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, die in Algerien, obwohl es offiziell ein Teil Frankreichs war, eine eigene Organisation aufzubauen versuchte.
Die Partei setzte Camus ein, um im muslimischen Bevölkerungsteil der Stadt antikolonialistische und prokommunistische Propaganda zu betreiben und Mitglieder zu werben. Letzteres erwies sich allerdings als fast unmöglich, da der marxistische Atheismus die Moslems abstieß. Immerhin erhielt Camus Einblick in die sozialen und psychologischen Probleme der damals etwa 8 Millionen arabo- und berberophonen „Eingeborenen“, die von etwa 800.000 „weißen“ Algerienfranzosen, d.h. den Nachkommen französischer, spanischer und italienischer Einwanderer sowie französisierter einheimischer Juden, beherrscht wurden.
Als im Frühsommer 1936 die Volksfront die Wahlen gewann und in ganz Frankreich neue kulturelle Einrichtungen geschaffen wurden, um das Bildungsniveau der Arbeiter zu heben, gründete Camus mit anderen Linken in Algier ein Théâtre du travail (dt. „Theater der Arbeit“), für das er sein erstes Stück Révolte dans les Asturies verfasste und einstudierte. Es handelte von einem Streik spanischer Bergarbeiter im Jahr 1934, wurde jedoch vor der ersten Aufführung bereits verboten. Nebenbei absolvierte Camus – er war inzwischen auch Mitglied der Schauspieltruppe von Radio Algier – sein Diplôme d'études supérieures mit einer Examensarbeit (s.o.) über die antiken nordafrikanischen Philosophen Plotin und Augustinus.
Mit dem Abschluss dieser Arbeit begann Camus’ Entfremdung von Simone Hié, die weiterhin ein ausschweifendes Leben mit häufig wechselnden Beziehungen führte, während Camus sich dem Schreiben widmen wollte. Er verließ die gemeinsame Wohnung und zog zu Freunden in die „Maison Fichu“, ein malerisch auf einer Anhöhe von Algier gelegenes Haus.[10]
Um seine Ehe doch noch zu retten, unternahm Camus mit Simone eine Reise durch Europa. Besonders in Prag machten die beiden lange Station, da Camus sich sehr für Franz Kafka interessierte. In Salzburg entdeckte er jedoch, dass seine Frau eine Beziehung zu ihrem Arzt unterhielt, der sie auch mit Drogen versorgte. Tief getroffen vollzog Camus die endgültige Trennung von ihr und zog zu seinem Bruder Lucien, während Simone zu ihrer Mutter zurückkehrte.
Zurück in Algier traf er auf eine Parteiführung, die auf Moskaus Anweisung hin jegliche antikolonialistische Propaganda eingestellt hatte, weil diese die Verteidigungskraft Frankreichs gegenüber dem aufrüstenden Deutschland, vor dem sich auch Stalin immer mehr fürchtete, hätte schwächen können. Camus, dem die soziale und politische Gleichberechtigung der „Arabes“ am Herzen lag, war empört über den Kurswechsel seiner Partei und wollte die alte Agitation fortsetzen. Dafür wurde er mit dem Parteiausschluss bestraft. Ebenso enttäuscht war er 1937 über das Scheitern eines Gesetzesvorhabens in der Assemblée nationale, wonach zumindest die gebildete und teilweise frankophile autochthone Elite in Algerien das volle französische Bürgerrecht erhalten sollte. Ein weiterer persönlicher Schlag war, dass er wegen seiner Tuberkulose nicht zu den Prüfungen (concours) für die Agrégation zugelassen wurde und sich damit von einer Einstellung als beamteter Gymnasiallehrer ausgeschlossen sah.
Beginn der Schriftstellerei
In seiner Enttäuschung begann Camus einen ersten Roman über einen tuberkulosekranken jungen Mann, der einen reichen Krüppel ermordet und bestiehlt, um dann selbst zu sterben: La Mort heureuse. Dieses ihm vielleicht allzu persönlich und unreif erscheinende Werk stellte er jedoch nicht fertig. Vielmehr benutzte er es ab 1938 als Material für L’Étranger, einen politisch motivierten Roman um einen durchschnittlichen jungen Algerienfranzosen namens Meursault.[11] Dieser erschießt zufällig einen jungen Araber, von dem er sich irgendwie bedroht fühlt, will für sein Vergehen aber einstehen und wird so zum Sündenbock, an dem die Justiz erst zögernd, dann jedoch mit voller Härte ein Exempel statuiert.
Obwohl Camus nur von einem Hilfsjob im meteorologischen Institut von Algier lebte, schlug er 1938 einen Posten als angestellter Lehrer in einer algerischen Kleinstadt aus, vielleicht auch deshalb, weil er sich gerade mit seiner späteren zweiten Frau liiert hatte, der Mathematikstudentin und späteren Mathematiklehrerin Francine Faure.
Über seinen Freund Pascal Pia erhielt Camus eine Stelle als Reporter bei dem neuen (linken) Blatt Alger républicain. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte wurden dort Gerichtsreportagen, besonders von Prozessen gegen Araber und Berber, die in einer von den Algerienfranzosen dominierten Justiz häufig die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekamen. Nebenher verfasste Camus eine erste Version seines ersten gänzlich eigenen Stücks Caligula, ein Drama um die Sinnsuche eines jungen Mannes.
In dieser Phase existentieller Enttäuschungen, aber auch mancher Lichtblicke, begann er den philosophischen Essay Le Mythe de Sisyphe, in dem er das menschliche Dasein als fundamental absurd, aber dennoch lebenswert, ja glücklich, darstellt. Im Sommer 1939 schrieb er eine Serie von anklagenden Artikeln über eine Hungersnot im Hinterland von Algier, gegen die die Behörden seines Erachtens nichts unternahmen, weil dort ja nur Berber verhungerten.
Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach und eine Zensur eingeführt wurde, lagen Camus und seine Zeitung ständig im Streit mit der Zensurbehörde. Anfang 1940 stellte die Zeitung aus verschiedenen Gründen ihr Erscheinen ein. Camus musste sich, nachdem er endlich von seiner ersten Frau geschieden worden war und Francine Faure geheiratet hatte, von seiner zweiten Frau ernähren lassen. Da dies für ihn schwer erträglich war, ging er nach Paris – ohne (wie oft fälschlich behauptet) aus Algerien ausgewiesen worden zu sein –, nachdem er dort, wiederum mit Hilfe von Pascal Pia, eine Stelle als Reporter bei der Zeitung Paris-Soir erhalten hatte.
Die Kriegszeit
Unmittelbar vor Beginn des blitz allemand am 10. Mai beendete er sein Werk L’Étranger, das er in der Zwischenzeit mit zusätzlichen Themen, insbesondere den Lehren des Sisyphe, angereichert hatte, die die ursprüngliche politische Intention fast verdeckten. Kurz bevor die deutschen Truppen in Paris einmarschierten, flüchtete Camus mit der Redaktion seiner Zeitung nach Clermont-Ferrand und bald weiter nach Lyon, wo er den Waffenstillstand (22. Juni) und die Anfänge des neuen État français unter Marschall Pétain erlebte.
In der Folgezeit führte er ein unstetes Leben zwischen Frankreich und Algerien, schrieb dennoch fleißig und beendete im Winter 1941/42 in Oran (dem Heimatort seiner Frau, wo er eine Lehrerstelle erhalten hatte) Le Mythe de Sisyphe. Der Essay, der die Überwindung der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz durch trotziges Akzeptieren ihrer Tragik und durch Pflichterfüllung zu propagieren scheint, traf bei seiner Publikation im Oktober offenbar die Stimmung im besetzten Frankreich. Denn hier neigte man dazu, die gerade erlittene Niederlage gegen Deutschland durch eine Flucht ins Alltagsleben zu kompensieren. Camus wurde nun bekannt, zumal auch der im Juni endlich veröffentlichte Étranger gut aufgenommen wurde (der jedoch nicht mehr als ein algerisch-politisch motivierter Roman gesehen wurde, sondern als Meditation über den Sinn der menschlichen Existenz).
Ende 1942 weilte Camus wieder zu einer Kur in Südfrankreich und konnte nicht nach Oran zurück, nachdem Algerien von anglo-amerikanischen Truppen eingenommen worden war und die Deutschen am 11. November auch den bisher unbesetzten Süden Frankreichs, die zone libre, ihrer direkten Kontrolle unterstellt hatten. Er reiste deshalb nach seiner Kur nach Paris, wo er bei seinem Verlag Gallimard eine Stelle als Lektor erhielt und nunmehr hautnah die Verhältnisse im besetzten Frankreich miterlebte, wo sich nach der Niederlage der deutschen Truppen in Stalingrad die Stimmung allmählich aufhellte. In diesem Umfeld begann er die Arbeit an dem Roman La Peste, der seine persönliche Situation, d.h. das Getrenntsein von seiner Frau, und seinen Willen, sich politisch zu engagieren, ebenso widerspiegelt wie die allgemeine Lage im Land, dessen Menschen meist noch willig oder gleichmütig mit dem Pétain-Regime und den Besatzern kollaborierten, teils aber schon, wie bald auch Camus selbst, sich der Widerstandsbewegung anschlossen, der Résistance. La Peste erschien erst 1947, wurde aber trotzdem noch ein großer Erfolg, weil das Werk, als ein Hohes Lied der Pflichterfüllung, speziell den männlichen Franzosen offenbar die letzten Kriegsjahre verklären half, in denen sie nach einem sich rasch bildenden Mythos angeblich allesamt erklärte (oder doch wenigstens heimliche) Widerständler gewesen waren. Camus lernte in der Widerstandsgruppe Combat auch René Leynaud kennen, zu dessen 1947 bei Gallimard herausgegebenen Gedichten er das Vorwort schrieb.
1943 schrieb Camus das Stück Le Malentendu und begann seine Mitarbeit an dem im Untergrund erscheinenden Blatt Combat, dessen Chefredakteur er nach der Befreiung Frankreichs im Jahre 1944 wurde. Trotz seines Wirkens als Widerständler setzte er sich mit seinen Lettres à un ami allemand (1945) für die deutsch-französische Versöhnung ein.
Herman Melville wird zu dieser Zeit von Camus in einem privaten Brief an Liselotte Dieckmann ausdrücklich als eines seiner wichtigsten Vorbilder genannt.
Nachkriegszeit
In den Nachkriegsjahren war er wie Sartre (mit dem ihn eine kurze Zeit lang auch ein freundschaftliches Verhältnis verband) einer der Vordenker des Existentialismus. Sein bekanntestes philosophisches Werk aus dieser Zeit ist die Essay-Sammlung L’Homme révolté (1947–1951), die ihm neben viel Beifall auch Polemik eintrug, nicht zuletzt von Sartre, der ihm den Verrat linker Ideale vorwarf.
Weniger erfolgreich waren seine politischen Werke aus diesen Jahren: L’État de siège (1948) oder das im zaristischen Russland spielende Les Justes (1949), das anhand des 1905 von Iwan Kaljajew verübten Attentats auf Großfürst Sergei Alexandrowitsch Romanow die immer wieder aktuelle Problematik der politisch motivierten Attentate behandelt, deren Sinnhaftigkeit Camus in Frage stellte, aber nicht völlig verneinte.
Ähnlich wie Sartre begnügte auch Camus sich nicht mit einer Literatenrolle, sondern versuchte darüber hinaus journalistisch in die Politik hineinzuwirken als ein humanitärer, gemäßigt linker Pazifist, der insbesondere die Unnachgiebigkeit der französischen Kolonialpolitik und die Grausamkeiten der Kolonialtruppen brandmarkte. Seine Zeitschriftenartikel gab er ab 1950 regelmäßig auch in Sammelbänden mit dem Titel Actuelles heraus.
Da er bemüht war, über den Parteien zu stehen, geriet er oft zwischen die Fronten. So scheiterten 1956 seine Vermittlungsversuche bei den sich langsam zum Krieg entwickelnden Unruhen in Algerien, denn sein Plädoyer für eine bürgerrechtliche Gleichstellung der Arabes war den meisten Franzosen viel zu radikal, wogegen seine Vorstellung von einem am Ende doch französischen Algerien für die meisten autochthonen Algerier inzwischen inakzeptabel war.
Sein belletristisches Schaffen war in diesen Jahren weniger intensiv, zumal ihn seine Tuberkulose häufig an der Arbeit hinderte. Immerhin kamen 1956 der kurze Roman La Chute und 1957 ein Sammelband von meist in Algerien spielenden Erzählungen, L’Exil et le Royaume, heraus.
1957 erhielt Camus den Literaturnobelpreis „für seine bedeutungsvolle Verfasserschaft, die mit scharfsichtigem Ernst menschliche Gewissensprobleme in unserer Zeit beleuchtet“.[12]
Tod
Denkmal zu Ehren von Albert Camus in Villeblevin
Camus’ Grabstein in Lourmarin, Vaucluse
Am Nachmittag des 4. Januar 1960 starb Camus bei einem Autounfall als Beifahrer auf der Fahrt von Lourmarin nach Paris in der Nähe von Villeblevin. Der von Michel Gallimard, einem Neffen von Camus’ Verleger, gelenkte Facel Vega FV kam ins Schleudern, als ein Hinterreifen geplatzt war, und prallte mit der rechten Seite gegen einen Baum. Camus war sofort tot, Michel Gallimard starb am 14. Januar 1960 in einem Krankenhaus an seinen Verletzungen. Die Insassen im Fond dagegen, Michel Gallimards Frau Janine und ihre Tochter Anne, überlebten beinahe unverletzt.[13] Camus hatte sich von Gallimard zu der Fahrt überreden lassen, obwohl er bereits eine Bahnfahrkarte nach Paris gelöst hatte.
Bis zuletzt hatte er an Le Premier Homme gearbeitet, einem autobiografischen Roman über seine Kindheit und frühe Jugend als Sohn eines ihm nur vom Hörensagen schemenhaft bekannten Vaters. Das Roman-Fragment erschien postum 1994.
Zu Camus’ Tod gab es – aufgrund einer Behauptung des italienischen Intellektuellen und Dichters Giovanni Catelli – die Spekulation, an dem Fahrzeug des Verlegers Gallimard seien im Auftrag des früheren sowjetischen Außenministers Dmitri Schepilow (der freilich schon 1957 aus dem Amt entlassen worden war) Manipulationen vorgenommen worden.[14][15] Catelli berief sich dabei auf Auszüge aus dem Tagebuch des tschechischen Übersetzers und Dichters Jan Zábrana, der dies von einem Informanten erfahren haben will.[14][15]
Philosophie
Klassifizierung von Camus’ Philosophie
Albert Camus, der in Deutschland eher als Philosoph denn als Literat bekannt ist, zählte sich selbst nicht zu den Vertretern des Existentialismus.[16] Insbesondere seine frühen Werke stehen dieser philosophischen Strömung jedoch sehr nahe. So würdigte Jean-Paul Sartre seinen Roman Der Fremde (1942) als wichtiges Werk des Existentialismus.
Das philosophische Werk von Camus hat jedoch auch einen eigenständigen Charakter. Die Camus’sche Philosophie wird daher in Abgrenzung zum Existentialismus oft als „Philosophie des Absurden“ bezeichnet. Dies erscheint gerechtfertigt, da insbesondere Camus’ Sicht der Revolte von der existentialistischen Philosophie abweicht, was schließlich auch zum Bruch mit Sartre führte.
Die beiden philosophischen Hauptwerke von Camus sind die Essays Der Mythos des Sisyphos (Le Mythe de Sisyphe, 1944) und Der Mensch in der Revolte (L’Homme révolté, 1951). Daneben bringt Camus seine Philosophie auch in seinen Romanen und Bühnenstücken zum Ausdruck.
Das Absurde
Im Zentrum der Philosophie Camus steht das Absurde.
Dem Leid und dem Elend in der Welt ist kein Sinn abzugewinnen. Der „absurde Mensch“ ist stets Atheist. Das Leid bleibt für ihn nicht nur sinnlos, es bleibt auch unerklärbar. Wäre Camus' „Mensch“ nicht Atheist, sondern den christlichen Religionen verbunden, könnte man hinter diesem theoretischen Ansatz das Problem der Theodizee vermuten, das die Frage danach, wie ein „liebender Gott“ mit dem Leid der Welt in Einklang zu bringen ist, sinnvoll aufzulösen versucht. Bei Camus fühlt „der Mensch“, wie fremd ihm alles ist, und erkennt dabei die Sinnlosigkeit der Welt; so stürzt er im Verlaufe seines Strebens nach Sinn in tiefste existentielle Krisen. Das Absurde macht vor niemandem halt:
„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“
Für Camus besteht das Absurde im Erkennen der Tatsache, dass das menschliche Streben nach Sinn in einer sinnleeren Welt notwendigerweise vergeblich, aber nicht ohne Hoffnung bleiben muss. Um nicht verzweifelt zu resignieren oder in Passivität zu verfallen, propagiert Camus im Sinne des Existentialismus und in Anlehnung an Friedrich Nietzsche den aktiven, auf sich allein gestellten Menschen, der unabhängig von einem Gott und dessen Gnade selbstbestimmt ein Bewusstsein neuer Möglichkeiten der Schicksalsüberwindung, der Auflehnung, des Widerspruchs und der inneren Revolte entwickelt.
Der Tod als absolutes Ende und unausweichliche Fatalität
Der Tod ist für Camus zum einen ein absolutes Ende, das wie das Leben keinen Sinn hat. Der Tod ist die einzige Fatalität, die schon vorgegeben ist und der man nicht entrinnen kann (hier zeigt sich der Einfluss Martin Heideggers). Oft ist der Tod „ungerecht“, etwa wenn er wie in dem Roman Die Pest Kinder trifft. Wichtig dabei ist, dass der Tod für Camus auch ein endgültiges Ende ist: All die sinnlosen Taten und Auflehnungen gegen das Absurde werden durch den Tod ein für alle Mal besiegelt. Der Tod ist für die Menschen bei Camus ein krönender Abschluss eines absurden Lebens.
Der Tod ist für Camus (vielleicht) eine unausweichliche Fatalität, aber keinesfalls das Ende bzw. der Endpunkt des absurden Lebens; vielmehr ist der Tod bzw. der Selbstmord die Umkehrung des Absurden, vor dem die Augen geschlossen werden. Es ist auch absurd, vor dem Absurden fliehen zu wollen. Die Möglichkeit, trotz der Absurdität des Daseins – Unvereinbarkeit von Mensch und Welt – als Mensch Bestand zu haben, liegt für Camus im „existentiellen Sprung“. Diesen kann er selbst nicht genau definieren, scheint damit aber ein „Weitermachen“ und „Hinausgehen über das Bestehende“ zu meinen, das sich der Unvereinbarkeit bewusst ist, also ein „Sich-zur-Wehr-setzen“.
Das führt dann zur anderen Seite der Todeserfahrung bei Camus als ein Moment, das unabhängig vom eigentlichen endgültigen körperlichen Absterben als eine glückliche vorweggenommene Todeserfahrung im Diesseits beschrieben wird. In Der glückliche Tod, dem von ihm selbst nicht veröffentlichten Vorentwurf von Der Fremde, beschreibt er diesen aus der Sicht des Protagonisten Meursault als ein ewiges Ereignis im Bewusstsein. Meursault kauft gegen Ende des Romans ein Haus in einem Dorf am Meer. Nachdem er schwer krank geworden ist, stirbt er angeblich einen glücklichen, bewusst erlebten Tod: „Ein Stein zwischen Steinen, ging er in der Freude seines Herzens wieder in die Wahrheit der unbeweglichen Welten ein.“
Die „permanente Revolte“ als Weg zur Überwindung des Absurden
Es gibt zwar keinen „Ausweg“ aus der absurden Situation des Menschen, dennoch kann das Absurde überwunden werden: durch die Annahme der absurden Situation seitens des Menschen. Der Mensch gesteht sich die Absurdität seiner Lage ein und akzeptiert sie, anstatt dem Irrglauben zu erliegen, er müsse sich durch Selbsttötung aus der Absurdität befreien. Vielmehr strebt er trotz allem (und auch das sei absurd) weiter, nach vorne. Der Mensch ist – ebenso wie bei anderen Vertretern des Existentialismus – ein Handelnder, ein Drängender. Sinnbild für diesen „absurden“ Menschen ist die mythologische Gestalt des Sisyphos (vgl. Der Mythos des Sisyphos).
In dem philosophischen Essay Der Mythos des Sisyphos illustriert Camus das Glücklichsein des absurden Menschen am Beispiel der mythologischen Figur, die dazu verdammt ist, einen Stein immer wieder von neuem auf einen Berg zu wälzen.
Dennoch löst sich der Widerspruch des Absurden durch diese „permanente Revolte“ nie ganz auf. Die Revolte ist notwendig, führt aber letztlich nie zum Ziel. Es ist in gewisser Hinsicht ein ewiges Aufstehen mit einem „höhnischen Trotzdem“, mit dem der absurde Mensch den Tag aufs Neue beginnt. Dieser Prozess selbst ist endlos. Jene Sicht der Revolte entzweite Camus mit dem inzwischen marxistischen Sartre, der sich eine gesellschaftliche Revolte vorstellte, die zum historischen Ziel des Kommunismus führen sollte.
Menschliche Solidarität und Liebe als Werte
Schon in der Novellensammlung Das Exil und das Reich (L’Exil et le Royaume, 1952) und ansatzweise in Le Mythe de Sisyphe von 1942, wird deutlich, dass „solidaire“ (Beziehungen zu anderen Menschen) und „solitaire“ (Alleinsein) zwei Seiten derselben Medaille sind, das eine so einseitig wie das andere. Würde man sich entscheiden, beträte man einen Irrweg. Nach Camus sind die zwischenmenschlichen Beziehungen für sich betrachtet ebenso absurd wie die Situation des Menschen, der sich alleine der Natur gegenübersieht, die ihn allumfassend umgibt. Beides ist komplementär wie zwei Seiten eines Schriftstückes, die dem Leser nie zugleich bewusst sichtbar sind. Sie schließen sich aus und bedingen sich gleichzeitig. In der Pest versucht er eine Weiterentwicklung dieses Gedankens – allerdings persönlich wohl nicht überzeugt, eher der politischen Situation geschuldet. Es bleibt letztlich dabei, dass der Mensch „vor dem Sprung“ bleiben muss, um nicht einen der beiden sich bietenden einseitigen Irrwege zu beschreiten. In Die Pest reicht die Revolte allein nun nicht mehr zur Sinngebung des Menschen aus. In ihrer scheinbar hoffnungslosen Situation und ihrem aussichtslosen Kampf dagegen finden die Menschen zur gegenseitigen Solidarität, zu Freundschaft und Liebe:
«À la fin, c’est trop bête de ne vivre que dans la peste. Bien entendu, un homme doit se battre […]. Mais s’il cesse de rien aimer par ailleurs, à quoi sert qu’il se batte?»
„Letztendlich ist es sehr dumm, nur mit der Pest zu leben. Ein Mensch muss natürlich kämpfen […]. Aber wenn es damit endet, dass er sonst nichts mehr liebt, wofür ist dann das Kämpfen gut?“[17]
Ohne im Daseinskampf gewonnene Werte ergibt die Revolte keinen Sinn. Aber diese Werte müssen sich auf das richten, was wirklich existiert: auf die Menschen selbst. Was der Mensch braucht, ist „menschliche Wärme“ („chaleur humaine“).
Ähnlich thematisiert Camus in seinem Drama Der Belagerungszustand den Widerstand gegen jede Form der Inhumanität, politischer wie existentieller Art. Die spanische Stadt Cádiz ist als Schauplatz exemplarisch gewählt, weil dort in der Vergangenheit zum einen die Pest bereits gewütet hatte und die Stadt zum anderen eine wichtige Rolle in der spanischen Revolution von 1823 spielte, die in der Schlacht von Trocadero niedergeschlagen wurde. Ähnlich manchen Republikanern im Spanischen Bürgerkrieg gibt auch der Held Diego in diesem Drama trotz teils aussichtsloser Lage den Kampf nicht auf. Das Stück wurde daher oft als dramatische Variante des Romans Die Pest bezeichnet. Die Helden Bernard Rieux und Diego haben zwar manches gemeinsam, dennoch gibt es unterschiedliche Diskurse in beiden Werken.
In seinem Roman Der Fall (La chute, 1956) kritisiert Camus den oft heuchlerischen und oberflächlichen Charakter der menschlichen Beziehungen.
Politische Haltung
Camus wandte sich in seinen Reden und Schriften gegen alle autoritären Staatsformen, insbesondere gegen den stalinistischen Sozialismus. Es ist jedoch keineswegs so, dass er Befürworter einer parlamentarischen Demokratie war. Vielmehr vertrat Camus einen Anarchosyndikalismus, bei dem die Produktionsmittel in den Händen der Gewerkschaften liegen. Bereits 1944 wünschte er sich eine „internationalistische Ökonomie, in der die Rohstoffe verstaatlicht werden, der Handel kooperativ organisiert und die kolonialen Absatzmärkte allen zugänglich gemacht werden und das Geld selbst Kollektivstatus erhält.“ Wenig später forderte er die „Vereinigten Staaten der Welt“, die „Abschaffung der Lohnarbeit“ und, „die Gewerkschaften an der Verwaltung des Volkseinkommens zu beteiligen“. 1951 betonte er zusammenfassend: „Meine Sympathien gelten den libertären Formen des Syndikalismus.“[18]
Werke
Originalausgaben
Licht und Schatten (L’envers et l’endroit, 1937), in: Literarische Essays. Rowohlt, Hamburg 1959
Caligula (1938), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
Hochzeit des Lichts. Impressionen am Rande der Wüste (Noces, 1938). Arche, Zürich 1954; Neuausgabe ebd. 2009, ISBN 978-3-7160-2634-2
Der Mythos des Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde (Le mythe de Sisyphe, 1942). Rauch, Bad Salzig/Düsseldorf 1950
Der Fremde. Erzählung (L’étranger, 1942). Rauch, Boppard/Bad Salzig 1948
Das Missverständnis (Le malentendu, 1944), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
Die Pest. Roman (La peste, 1947). Abendlandverlag, Innsbruck 1948
Der Belagerungszustand (L’état de siège, 1948). Desch, München 1950
Die Gerechten (Les justes, 1949), in: Dramen. Rowohlt, Hamburg 1959
Der Mensch in der Revolte (L’homme révolté, 1951). Rowohlt, Hamburg 1953
Heimkehr nach Tipasa (L’été, 1954). Arche, Zürich 1957
Der Fall. Roman (La chute, 1956). Rowohlt, Hamburg 1957
Das Exil und das Reich. Erzählungen (L’exil et le royaume, 1957). Rowohlt, Hamburg 1958
Die Besessenen (Les possédés, 1959). Rowohlt, Hamburg 1960
Postum erschienene Werke bzw. Ausgaben
Fragen der Zeit. Essays. Rowohlt, Reinbek 1960, ISBN 3-499-22195-0
Kleine Prosa. Rowohlt, Reinbek 1961, ISBN 3-499-22190-X
Jonas oder Der Künstler bei der Arbeit. Gesammelte Erzählungen. Rowohlt, Reinbek 1966, ISBN 3-499-22286-8
Verteidigung der Freiheit. Politische Essays. Rowohlt, Reinbek 1968, ISBN 3-499-22192-6
Der glückliche Tod. Roman (La mort heureuse, 1970). Rowohlt, Reinbek 1972, ISBN 3-499-22196-9 (Frühe Version bzw. Vorgänger von Der Fremde)
Tagebücher 1935–1951. Rowohlt, Reinbek 1972, ISBN 3-499-22194-2
Reisetagebücher. Rowohlt, Reinbek 1980, ISBN 3-499-22197-7
Tagebuch. März 1951–Dezember 1959. Rowohlt, Reinbek 1991, ISBN 3-499-22199-3
Der erste Mensch. Roman (Le premier homme, 1994). Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-13273-7 (Camus starb, als er am Manuskript arbeitete)
Libertäre Schriften (1948–1960). Eingeleitet, kommentiert und übersetzt von Lou Marin. Laika, Hamburg 2013, ISBN 978-3-942281-56-0
Sämtliche Dramen. Rowohlt, Reinbek 2013, ISBN 978-3-498-00942-7
mit Jean Grenier: Briefwechsel 1932–1960. Mit den Erinnerungen Jean Greniers an Albert Camus. Alber, Freiburg im Breisgau 2013, ISBN 978-3-495-48621-4
Postum geschriebener Brief an Camus
Paul Pitous: Mon Cher Albert. Ein Brief an Albert Camus, übersetzt von Brigitte Große. Arche Verlag, Zürich 2014, ISBN 978-3-7160-2712-7
Verfilmungen
Fritz Umgelter verfilmte Der Belagerungszustand 1963 als Fernsehfilm für den WDR. Hauptdarsteller waren Hellmut Lange (Diego) und Richard Münch (Nada). (zelluloid.de)
Luchino Visconti verfilmte Der Fremde 1967; Hauptdarsteller war Marcello Mastroianni.
Luis Puenzo verfilmte Die Pest 1992; Hauptdarsteller war William Hurt.
Frank Castorf inszenierte 1999 an der Volksbühne Berlin Camus’ Bühnenfassung Die Besessenen des Dostojewskij-Romans Die Dämonen mit u.a. Henry Hübchen und Martin Wuttke. „Für den Film Dämonen (2000) wurde die am Theater erarbeitete Spielweise mit der Kulisse nach draußen gebracht und teilweise mit Handkamera gefilmt.“ (VideoWoche)
"Die Gerechten". Deutsches Fernsehspiel, Hessischer Rundfunk 1959; Regie: Rolf Hädrich[21]
Hörspiele
Frank-Erich Hübner führte Regie beim dreiteiligen Hörspiel “Die Pest“ nach dem gleichnamigen Roman, WDR/NDR 2010, Laufzeit 150 Min., Rezension auf Hoerspieltipps.net
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