Die Feministische Philosophie
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Die Feministische Philosophie
Als feministische Philosophie bezeichnet man verschiedene, zumeist von Frauen vertretene Ansätze in der Philosophie des 20. Jahrhunderts und der Gegenwartsphilosophie, die sich mit Fragen nach den Konstruktionen der natürlichen und der soziokulturellen Differenz der Geschlechter in der Geschichte und der Gegenwart und deren Auswirkungen auf Philosophie, Kunst, Wissenschaft sowie auf die Situation der Frau in einer männlich dominierten Welt beschäftigen. Grundlegend ist hierbei die Untersuchung der historisch-philosophischen Konzepte von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“.
Erste Ansätze einer feministischen Philosophie
Seit dem 14. Jahrhundert sind Schriften von Frauen über das Geschlechterverhältnis bekannt.
Die mittelalterliche französische Schriftstellerin Christine de Pizan (* 1365 in Venedig; † um 1430) wird heute als eine Feministin avant la lettre geschätzt. So kritisierte sie die männliche Misogynie ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Im Jahr 1402 schrieb sie Dit de la rose, ein Balladengedicht über einen Traum der Autorin, in dem sie sich mit den frauenfeindlichen Aspekten des Rosenromans auseinandersetzt und die Gründung eines Ritterordens zur Verteidigung der Ehre der Frau (des Rosenordens) imaginiert. Im Jahre 1404 schließt sich der Traktat Le Livre des trois vertus an, in welchem die rechte Mädchenerziehung behandelt wird. Kurze Zeit später, im Jahre 1405, folgte Das Buch von der Stadt der Frauen, in dem sie die Utopie einer Gründung einer Stadt beschreibt, in der Frauen einen Hort und Zufluchtsort finden können.
Die englische Philosophin Mary Astell (* 1666; † 1731) beschäftigte sich unter anderem mit der damals populären Naturphilosophie, wie sie Descartes und Bacon entwickelt hatten, sowie mit den ethischen Theorien von Hobbes und Locke. Darüber hinaus fragte sie nach Natur, der Intelligenz und der Seele der Frau. Sie kritisierte die Zwangsehe (Betrachtungen über die Ehe) und verursachte damit eine Diskussion über die Legitimität der Unterdrückung der Frau.
Der englischen Schriftstellerin Mary Wollstonecraft (* 27. April 1759 in Hoxton; † 10. September 1797 in London) blieb zeitlebens eine gute Schulbildung verwehrt; so wurde die gleichberechtigte Schulbildung für Mädchen zu einem ihrer großen Lebensziele. Marys bekanntestes Werk ist A vindication of the rights of woman (1792). Hierin plädiert sie für eine Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Entstehung
Während die praktisch bzw. politisch ausgerichtete sogenannte erste Frauenbewegung nach der teilweisen Einführung des allgemeinen Wahlrechts eher stagnierte, sorgte insbesondere Elisabeth Selbert für die Aufnahme der Gleichberechtigung in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Einen erneuten Aufschwung brachte die „zweite“ Frauenbewegung am Ende der 1960er Jahre. Aus dem Bemühen einer zunehmenden Theoretisierung und Verwissenschaftlichung der Kritik an den patriarchalischen Verhältnissen entstand die feministische Philosophie.
Fragestellungen
Die Fragestellungen der feministischen Philosophie umfassen nicht nur die Integration weiblicher Perspektiven und Erfahrungen in die Philosophie und die Offenlegung von Misogynie und Diskriminierung in der Philosophiegeschichte, sondern stellen das gesamte Selbstverständnis der Philosophie als geschlechtsneutrale, objektive und universale Wissenschaft in Frage.
Feministische politische Philosophie
In der politischen Theorie untersucht sie die Strukturierung des Raums in eine häuslich-familiäre und eine öffentlich-politische Sphäre, die jeweils mit „Weiblichkeit“ bzw. „Männlichkeit“ assoziiert werden, und ihre Folgen für die Konzeption von Politik als Männerdomäne und den Zusammenhängen der diesbezüglichen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und Macht.
Feministische Ethik
Die Feministische Ethik fragt nach den spezifischen Unterschieden einer männlichen und einer weiblichen Ethik und inwieweit als typisch weiblich aufgefasste Handlungsmodelle wie Anteilnahme oder Fürsorge in der traditionellen ethischen Konzepten zu kurz kommen.
Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie
Die Feministische Wissenschafts- und Erkenntnistheorie beschäftigt sich mit Grundfragen nach der Möglichkeit von geschlechtsunabhängiger Objektivität und Wahrheit bzw. einer geschlechtlichen Markiertheit von Erkenntnis (Standpunkt-Theorie); dabei versucht sie zu klären, ob sich epistemologische Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Wissenschaft feststellen lassen. Sandra Harding hat für die feministischen Erkenntnistheorien die Einteilung in empiristische Ansätze, Standpunkttheorien und postmoderne Theorien vorgeschlagen. Empirisitische Theorien gehen davon aus, dass die Praktiken und Normen der gegenwärtigen Naturwissenschaften ausreichen, um angemessene Forschungsresultate zu erreichen. Erst eine falsche oder fehlende Anwendung führt zu sexistischen oder androzentrischen Theorien. Die Standpunkt-Theorien (engl.: standpoint theories) gehen davon aus, dass keine Theorie von speziellen Interessen und Werten unabhängig ist, halten eine richtige Darstellung der Welt durch solche Theorien aber dennoch für möglich. Postmoderne Ansätze schließlich weisen allgemeine Wissensansprüche über Wissen, Fortschritt und Identität überhaupt zurück.[1]
Vertreter und Vertreterinnen
John Stuart Mill
John Stuart Mill gilt als ein Vertreter des Liberalismus, seine Ansichten zur Situation der Frau in der Gesellschaft können als liberaler Feminismus bezeichnet werden. Beeinflusst durch seine spätere Frau Harriet Taylor (Mill), forderte er – seit 1865 als Repräsentant der Gesellschaft für das Frauenwahlrecht ins Parlament gewählt –[2] das Frauenwahlrecht und das Scheidungsrecht. Er untersuchte als einer der Ersten sozialwissenschaftlich die Unterdrückung der Frau.
Simone de Beauvoir
Den Grundstein für die gegenwärtige Feministische Philosophie legte die Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir (* 9. Januar 1908 in Paris; † 14. April 1986 in Paris), die als eine der „Mütter“ des modernen Feminismus angesehen wird. In ihrer Studie Das andere Geschlecht (Le Deuxième Sexe, 1949) fragte sie – auf der Basis des Existenzialismus und der existenzialistischen Phänomenologie – nach der Bedeutung des Konzepts des Geschlechts für Gesellschaft und Diskurs und zeigte die Unterdrückung der Frau im Patriarchat auf. Damit legte sie wichtige, auf Gleichheit und Gleichberechtigung der Geschlechter zielende Grundlagen der feministischen Theorie.
Judith Butler
Die Philosophin Judith Butler (* 24. Februar 1956) ist die Hauptvertreterin eines dekonstruktiven Feminismus. Sie war an der Entwicklung der Queer-Theory beteiligt, mit der sich ihre einflussreichen Werke Das Unbehagen der Geschlechter (Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, 1990) und Körper von Gewicht (Bodies That Matter, 1993) beschäftigen. Geschlecht ist nach Butler ein performatives Modell. Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ sind reine Konstrukte, die nur durch Handlungswiederholungen konstituiert werden. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist demnach gesellschaftlich, soziokulturell bedingt, sie stellen keine naturgegebenen Absolutheiten dar. Die Geschlechtsidentität wird zugunsten einer totalen Ausdifferenzierung der Individualität eines jeden Menschen dekonstruiert. Die traditionelle Zweigeschlechtlichkeit wird durch eine „Vielgeschlechtlichkeit“ ersetzt.
Julia Kristeva
Julia Kristeva (* 24. Juni 1941 in Sliwen, Bulgarien) ist eine Philosophin, die allerdings das Etikett „feministisch“ von sich weist. Sie problematisierte in den frühen 1970er Jahren die weibliche Identität im Patriarchat, wurde jedoch wegen ihrer Nähe zur Psychoanalyse von Teilen der feministischen Literaturwissenschaft kritisiert.
Weitere Vertreterinnen: Helene Cixous, Bracha Ettinger, Patricia Hill Collins, Donna Haraway, Sandra Harding, Nancy Hartsock, Luce Irigaray, Lynn Hankinson Nelson, Dorothy Smith, Alison Wylie, Martha Nussbaum, Herta Nagl-Docekal, Seyla Benhabib.
Siehe auch
Liste der Philosophinnen
Frauen in der Philosophie
Frauenforschung
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Erste Ansätze einer feministischen Philosophie
Seit dem 14. Jahrhundert sind Schriften von Frauen über das Geschlechterverhältnis bekannt.
Die mittelalterliche französische Schriftstellerin Christine de Pizan (* 1365 in Venedig; † um 1430) wird heute als eine Feministin avant la lettre geschätzt. So kritisierte sie die männliche Misogynie ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Im Jahr 1402 schrieb sie Dit de la rose, ein Balladengedicht über einen Traum der Autorin, in dem sie sich mit den frauenfeindlichen Aspekten des Rosenromans auseinandersetzt und die Gründung eines Ritterordens zur Verteidigung der Ehre der Frau (des Rosenordens) imaginiert. Im Jahre 1404 schließt sich der Traktat Le Livre des trois vertus an, in welchem die rechte Mädchenerziehung behandelt wird. Kurze Zeit später, im Jahre 1405, folgte Das Buch von der Stadt der Frauen, in dem sie die Utopie einer Gründung einer Stadt beschreibt, in der Frauen einen Hort und Zufluchtsort finden können.
Die englische Philosophin Mary Astell (* 1666; † 1731) beschäftigte sich unter anderem mit der damals populären Naturphilosophie, wie sie Descartes und Bacon entwickelt hatten, sowie mit den ethischen Theorien von Hobbes und Locke. Darüber hinaus fragte sie nach Natur, der Intelligenz und der Seele der Frau. Sie kritisierte die Zwangsehe (Betrachtungen über die Ehe) und verursachte damit eine Diskussion über die Legitimität der Unterdrückung der Frau.
Der englischen Schriftstellerin Mary Wollstonecraft (* 27. April 1759 in Hoxton; † 10. September 1797 in London) blieb zeitlebens eine gute Schulbildung verwehrt; so wurde die gleichberechtigte Schulbildung für Mädchen zu einem ihrer großen Lebensziele. Marys bekanntestes Werk ist A vindication of the rights of woman (1792). Hierin plädiert sie für eine Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Entstehung
Während die praktisch bzw. politisch ausgerichtete sogenannte erste Frauenbewegung nach der teilweisen Einführung des allgemeinen Wahlrechts eher stagnierte, sorgte insbesondere Elisabeth Selbert für die Aufnahme der Gleichberechtigung in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Einen erneuten Aufschwung brachte die „zweite“ Frauenbewegung am Ende der 1960er Jahre. Aus dem Bemühen einer zunehmenden Theoretisierung und Verwissenschaftlichung der Kritik an den patriarchalischen Verhältnissen entstand die feministische Philosophie.
Fragestellungen
Die Fragestellungen der feministischen Philosophie umfassen nicht nur die Integration weiblicher Perspektiven und Erfahrungen in die Philosophie und die Offenlegung von Misogynie und Diskriminierung in der Philosophiegeschichte, sondern stellen das gesamte Selbstverständnis der Philosophie als geschlechtsneutrale, objektive und universale Wissenschaft in Frage.
Feministische politische Philosophie
In der politischen Theorie untersucht sie die Strukturierung des Raums in eine häuslich-familiäre und eine öffentlich-politische Sphäre, die jeweils mit „Weiblichkeit“ bzw. „Männlichkeit“ assoziiert werden, und ihre Folgen für die Konzeption von Politik als Männerdomäne und den Zusammenhängen der diesbezüglichen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und Macht.
Feministische Ethik
Die Feministische Ethik fragt nach den spezifischen Unterschieden einer männlichen und einer weiblichen Ethik und inwieweit als typisch weiblich aufgefasste Handlungsmodelle wie Anteilnahme oder Fürsorge in der traditionellen ethischen Konzepten zu kurz kommen.
Feministische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie
Die Feministische Wissenschafts- und Erkenntnistheorie beschäftigt sich mit Grundfragen nach der Möglichkeit von geschlechtsunabhängiger Objektivität und Wahrheit bzw. einer geschlechtlichen Markiertheit von Erkenntnis (Standpunkt-Theorie); dabei versucht sie zu klären, ob sich epistemologische Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Wissenschaft feststellen lassen. Sandra Harding hat für die feministischen Erkenntnistheorien die Einteilung in empiristische Ansätze, Standpunkttheorien und postmoderne Theorien vorgeschlagen. Empirisitische Theorien gehen davon aus, dass die Praktiken und Normen der gegenwärtigen Naturwissenschaften ausreichen, um angemessene Forschungsresultate zu erreichen. Erst eine falsche oder fehlende Anwendung führt zu sexistischen oder androzentrischen Theorien. Die Standpunkt-Theorien (engl.: standpoint theories) gehen davon aus, dass keine Theorie von speziellen Interessen und Werten unabhängig ist, halten eine richtige Darstellung der Welt durch solche Theorien aber dennoch für möglich. Postmoderne Ansätze schließlich weisen allgemeine Wissensansprüche über Wissen, Fortschritt und Identität überhaupt zurück.[1]
Vertreter und Vertreterinnen
John Stuart Mill
John Stuart Mill gilt als ein Vertreter des Liberalismus, seine Ansichten zur Situation der Frau in der Gesellschaft können als liberaler Feminismus bezeichnet werden. Beeinflusst durch seine spätere Frau Harriet Taylor (Mill), forderte er – seit 1865 als Repräsentant der Gesellschaft für das Frauenwahlrecht ins Parlament gewählt –[2] das Frauenwahlrecht und das Scheidungsrecht. Er untersuchte als einer der Ersten sozialwissenschaftlich die Unterdrückung der Frau.
Simone de Beauvoir
Den Grundstein für die gegenwärtige Feministische Philosophie legte die Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir (* 9. Januar 1908 in Paris; † 14. April 1986 in Paris), die als eine der „Mütter“ des modernen Feminismus angesehen wird. In ihrer Studie Das andere Geschlecht (Le Deuxième Sexe, 1949) fragte sie – auf der Basis des Existenzialismus und der existenzialistischen Phänomenologie – nach der Bedeutung des Konzepts des Geschlechts für Gesellschaft und Diskurs und zeigte die Unterdrückung der Frau im Patriarchat auf. Damit legte sie wichtige, auf Gleichheit und Gleichberechtigung der Geschlechter zielende Grundlagen der feministischen Theorie.
Judith Butler
Die Philosophin Judith Butler (* 24. Februar 1956) ist die Hauptvertreterin eines dekonstruktiven Feminismus. Sie war an der Entwicklung der Queer-Theory beteiligt, mit der sich ihre einflussreichen Werke Das Unbehagen der Geschlechter (Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, 1990) und Körper von Gewicht (Bodies That Matter, 1993) beschäftigen. Geschlecht ist nach Butler ein performatives Modell. Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ sind reine Konstrukte, die nur durch Handlungswiederholungen konstituiert werden. Nicht nur das soziale Geschlecht (gender), sondern auch das biologische Geschlecht (sex) ist demnach gesellschaftlich, soziokulturell bedingt, sie stellen keine naturgegebenen Absolutheiten dar. Die Geschlechtsidentität wird zugunsten einer totalen Ausdifferenzierung der Individualität eines jeden Menschen dekonstruiert. Die traditionelle Zweigeschlechtlichkeit wird durch eine „Vielgeschlechtlichkeit“ ersetzt.
Julia Kristeva
Julia Kristeva (* 24. Juni 1941 in Sliwen, Bulgarien) ist eine Philosophin, die allerdings das Etikett „feministisch“ von sich weist. Sie problematisierte in den frühen 1970er Jahren die weibliche Identität im Patriarchat, wurde jedoch wegen ihrer Nähe zur Psychoanalyse von Teilen der feministischen Literaturwissenschaft kritisiert.
Weitere Vertreterinnen: Helene Cixous, Bracha Ettinger, Patricia Hill Collins, Donna Haraway, Sandra Harding, Nancy Hartsock, Luce Irigaray, Lynn Hankinson Nelson, Dorothy Smith, Alison Wylie, Martha Nussbaum, Herta Nagl-Docekal, Seyla Benhabib.
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