Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV)
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Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV)
Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) war die erste Massenpartei der deutschen Arbeiterbewegung. Er wurde am 23. Mai 1863 in Leipzig/Königreich Sachsen gegründet. Maßgeblicher Gründer war Ferdinand Lassalle. Nach dessen Tod im Jahr 1864 kam es zu Auseinandersetzungen um seine Nachfolge. Erst unter dem Vorsitz von Johann Baptist von Schweitzer ab 1867 war diese Krise überstanden. Seit 1869 stand der ADAV in Konkurrenz zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, bis sich beide Organisationen auf dem Gothaer Fusionsparteitag Ende Mai 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, der unmittelbaren Vorläuferpartei der SPD, vereinigten.
Vorgeschichte und Gründung
Ansätze zu einer eigenständigen Arbeiterbewegung hatte es bereits vor der bürgerlich dominierten Revolution von 1848/49 beispielsweise in Form des Bundes der Kommunisten und der Allgemeinen Arbeiterverbrüderung gegeben. Beide fielen nach der Niederlage der Revolution der Reaktionspolitik zum Opfer. Der Kommunistenbund wurde im Zusammenhang mit der Kölner Kommunistenprozess von der Obrigkeit zerschlagen, die Arbeiterverbrüderung konnte durch das Verbot politischer Vereine durch den Deutschen Bund 1854 nicht weiterarbeiten. Erst das Auslaufen der Reaktionsära in den deutschen Staaten eröffnete auch der Arbeiterbewegung zu Beginn der 1860er Jahre neue Entfaltungsmöglichkeiten. Zunächst entstanden, teilweise gefördert von liberalen und demokratischen Politikern, vor allem in Sachsen und einigen Teilen Preußens Arbeiterbildungsvereine. Aus deren Umfeld kamen auch die wesentlichen Impulse zur Gründung einer eigenen Arbeiterpartei.
Unterstützt auch vom Deutschen Nationalverein besuchte eine Gruppe von etwa fünfzig Arbeitern 1862 die Weltausstellung in London und nahm dort Kontakt mit ausländischen Arbeitern und politischen Emigranten auf, unter ihnen Karl Marx. Zurück in Deutschland wurde während einer Versammlung in Leipzig beschlossen, einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongress einzuberufen. Zum Vorbereitungskomitee aus dem Umfeld des Leipziger gewerblichen Bildungsvereins gehörten unter anderem August Bebel, Friedrich Wilhelm Fritzsche und Julius Vahlteich. Als sich eine Parteigründung immer stärker abzeichnete, zog sich Bebel von den Vorbereitungen wieder zurück, da er zu dieser Zeit noch auf eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Demokraten setzte. Ähnliche Überlegungen zu einem Kongress gab es auch in Berlin, Hamburg und Nürnberg. Zwar wurde ein solches Treffen von Berliner Arbeitern bereits für November 1862 angekündigt. Dieses fand jedoch nicht statt, und die weiteren Vorbereitungen wurden den Leipzigern überlassen.[1]
Diese wandten sich zunächst an den Deutschen Nationalverein. Hermann Schulze-Delitzsch antwortete, dass die Zeit noch nicht reif sei, Arbeiter in den Verein aufzunehmen. Später äußerte er, sie dürften sich allerdings als „geistige Ehrenmitglieder“ fühlen.[2] Das Komitee, unter anderem vertreten von Julius Vahlteich, Friedrich Wilhelm Fritzsche und Otto Dammer, wandte sich am 11. Februar 1863 in einem Brief auch an den Journalisten Ferdinand Lassalle, um dessen Ansicht zur Arbeiterbewegung und den Mitteln, die sie einsetzen sollte, zu erfahren.
Lassalle antwortete dem Komitee am 1. März 1863 mit seinem Offenen Antwortschreiben. Darin forderte er programmatisch:
„Der Arbeiterstand muss sich als selbstständige politische Partei konstituieren und das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu dem prinzipiellen Losungswort und Banner dieser Partei machen. Die Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körpern Deutschlands – dies ist es allein, was in politischer Hinsicht seine legitimen Interessen befriedigen kann.“
Er führte weiter aus, dass die soziale Lage der Arbeiter durch das ‚eherne Lohngesetz‘ bestimmt sei, wonach die Reallöhne langfristig gerade so hoch seien, wie nötig sei, um die benötigte Zahl an Arbeitern zu ernähren. Hilfe versprach er sich von Produktivassoziationen mit Unterstützung des Staates.|ref=[3]
Innerhalb des Leipziger Komitees kam es zu Auseinandersetzungen vor allem mit liberalen Politikern, die den örtlichen Arbeiterverein bislang gefördert hatten. In einer Abstimmung erklärten sich allerdings 1300 Anwesende gegen 2 Stimmen für die Ausführungen Lassalles. Ein neues Komitee bereitete die Gründung eines entsprechenden Vereins vor. Ende März 1863 fanden in Hamburg, Düsseldorf, Solingen, Köln, Barmen und Elberfeld (heute beide zu Wuppertal) Arbeiterversammlungen statt, die sich den Leipziger Beschlüssen anschlossen. Zahlreiche weitere Arbeitervereine lehnten dagegen unter dem Einfluss der bürgerlichen Liberalen und Demokraten Lassalles Programm ab.
Am 23. Mai 1863 wurde im Pantheon in Leipzig von Ferdinand Lassalle und Abgesandten aus Leipzig, Hamburg, Harburg, Köln, Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Solingen, Frankfurt am Main, Mainz und Dresden der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben Vahlteich und Fritzsche auch Theodor Yorck und Bernhard Becker. Lassalle wurde für zunächst fünf Jahre zum Präsidenten gewählt. Diese Position war deutlich stärker als in den sozialdemokratischen Parteien der folgenden Jahrzehnte, da der Präsident bei seinen Entscheidungen weitgehende Handlungsfreiheit hatte. Erst nachträglich war die Zustimmung des 23-köpfigen Vorstandes nötig. Hier spielte Julius Vahlteich als Sekretär eine herausgehobene Rolle. Sitz des Vereins war Leipzig. Einen gewissen Ausgleich für die Machtfülle des Präsidenten bot vor allem die jährlich einberufene Generalversammlung, die sich aus gewählten Delegierten zusammensetzte. Allerdings blieb dieser Aspekt innerparteilicher Demokratie bis 1871 ohne nennenswerte Bedeutung. Dazu trugen auch Manipulationen von Seiten der Präsidenten und des Vorstandes bei. Da die bestehenden Vereinsgesetze die Bildung von lokalen Gruppen ausschlossen, musste jedes Mitglied dem zentralen Verein beitreten. Ziel des Vereins war nach seinem programmatischen Selbstverständnis die „Vertretung der sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes“.[4]
Georg Herwegh (1817–1875)
Die optimistische Stimmung der neuen Partei kam auch in dem noch im Gründungsjahr gedichteten Bundeslied von Georg Herwegh zum Ausdruck, das auch nach dem Ende des ADAV fester Bestandteil des Liedgut-Repertoires der Arbeiterbewegung blieb.
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still.
Wenn dein starker Arm es will.
Deiner Dränger Schar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke stellst den Pflug.
Wenn du rufst: Es ist genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot![5]
Entwicklung bis zum Tod Lassalles
Insbesondere Lassalles These vom ehernen Lohngesetz hatte erhebliche Folgen für die Positionierung des ADAV innerhalb des politischen Spektrums und für seine Politik. Es besagt, dass Selbsthilfeeinrichtungen oder Gewerkschaften letztlich an der sozialen Lage grundsätzlich nichts ändern können, weil die Löhne stets in der Nähe des Existenzminimums bleiben würden, während der Gewinn den Unternehmern zufließe. Der einzige Ausweg war nach Meinung Lassalles, dass die Arbeiter durch Gründung von Produktivgenossenschaften selbst zu Unternehmern werden müssten. Dies war ohne Staatsunterstützung allerdings nicht denkbar. Da die Bewilligung von Geldern für Staatsausgaben Sache der Parlamente war, bedeutete die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts die zentrale Voraussetzung auch für grundlegende soziale Veränderungen. Diese Position erklärt die relative Staatsnähe des ADAV und seine Vorbehalte, die gewerkschaftliche Arbeiterbewegung anzuerkennen.[6]
Foto der Delegierten und Gäste unmittelbar vor der Gründung des ADAV am 23. Mai 1863
Für Lassalle war der Hauptgegner der Arbeiterbewegung das liberale Bürgertum, das die demokratischen Forderungen von 1848 verraten habe. An diese demokratische Tradition habe die Arbeiterbewegung anzuknüpfen. Die Gegnerschaft gegen den Liberalismus führte auch dazu, dass Lassalle eine gewisse Nähe zu Otto von Bismarck nicht scheute, der sich zu dieser Zeit als preußischer Ministerpräsident im Verfassungskonflikt ein Gegner der Liberalen war. Lassalle rechnete mit Bismarcks Unterstützung bei der Überwindung des Dreiklassenwahlrechts und auf staatliche Unterstützung für den Aufbau von Produktivgenossenschaften. Tatsächlich haben sich Lassalle und Bismarck auch mehrfach getroffen, um – wenn auch vergeblich – die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten.
Die Sorge im liberalen Lager vor einem Übergang der Arbeiter zur neuen Partei war groß. Nicht zuletzt aus diesem Grund kam es unter Beteiligung von liberalen und demokratischen Politiker 1863 zum Zusammenschluss der ihnen nahestehenden Vereine im Vereinstag Deutscher Arbeitervereine (VDAV). Die Gründung des ADAV blieb allerdings zunächst ohne große Resonanz, die meisten der politisch interessierten Arbeiter blieben den Arbeiter- und Arbeiterbildungsvereinen treu. Angesichts der nur schwachen Mitgliederentwicklung des ADAV äußerte sich Lassalle nach einigen Monaten des Bestehens enttäuscht.
„Nicht wahr, diese Apathie der Massen ist zum Verzweifeln! Solche Apathie bei einer Bewegung, die rein für sie, rein in ihrem politischen Interesse stattfindet, und bei den in geistiger Beziehung immensen Agitationsmitteln, die schon aufgewendet worden sind und die bei einem Volke wie dem französischen schon Riesenresultate gehabt haben würden?! Wann wird das stumpfe Volk endlich seine Lethargie abschütteln.“[7]
Lassalle sprach im September 1863 in verschiedenen Versammlungen erneut öffentlich und nahm dabei auch Stellung zur Gründung des VDAV. In diesem Rahmen kam es in Solingen zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und denen der Fortschrittspartei. In der Folge wurde er erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Aller Anstrengungen zum Trotz blieb der ADAV auch in Berlin zunächst weitgehend erfolglos. Dort hatte er zwar Ende 1863 200 Mitglieder, diese Zahl sank allerdings in der Folge wieder auf 35. Gegenwind kam auch von Marx und Engels: Ihnen war die Idee einer Überwindung des Kapitalismus durch Produktivgenossenschaften verdächtig. Besondere Kritik übten sie an Lassalles Haltung gegenüber dem Liberalismus, da nach ihrer Überzeugung die Arbeiterbewegung zunächst gemeinsam mit dem Bürgertum die Reaktion zu bekämpfen habe, bevor die Arbeiter anschließend an eine eigene Revolution gehen könnten.[8] Marx mahnte Wilhelm Liebknecht in einem Brief, sich politisch nicht mit Lassalle einzulassen, aber auch nicht offen gegen ihn aufzutreten. Widerspruch kam auch von innen. Julius Vahlteich trat im Januar 1864 aus Protest gegen das diktatorische Verhalten Lassalles von seinem Posten als Sekretär zurück.
Lassalle starb am 31. August 1864 nach einem Duell. Bei seinem Tod hatte der ADAV etwa 4600 Mitglieder.[7] Im selben Jahr wurde das Bundeslied des ADAV durch eine Arbeitermarseillaise ersetzt, mit der Vorstandsmitglied Jacob Audorf dem charismatischen Parteigründer anlässlich seiner Totenfeier ein musikalisches Denkmal setzte. Er dichtete auf die Melodie der Marseillaise den noch lange viel gesungenen Refrain:
Nicht zählen wir den Feind
Nicht die Gefahren all:
Der kühnen Bahn nur folgen wir,
Die uns geführt Lassalle![9]
Mitgliederstruktur und regionale Verteilung
Zigarrenmacher (Gemälde von J. Marx von 1889)
Zwar war der besoldete Parteiapparat klein – Anfangs bezog nur der Vereinssekretär ein Gehalt – gleichwohl hatte der ADAV erhebliche Kosten. Die Agitation vor Ort musste ebenso bezahlt werden, wie Broschüren und auch das Parteiorgan der Socialdemocrat kostete Geld, obwohl dieses eigentlich gar nicht der Partei sondern von Schweitzer gehörte. Diese Ausgaben konnten nicht wie bei den liberalen Parteien durch Spenden wohlhabender Gönner gedeckt werden. Die Partei war also Gegensatz zu den bürgerlichen Honoratiorenparteien von Beginn an eine Mitgliederpartei. Der Beitrag betrug 2 Silbergroschen. Bei einem Jahresverdienst von 200 Talern waren das etwa 0,43 % des Einkommens. Für viele Arbeiter vor allem in den Heimarbeitergebieten, war dies immer noch zu hoch. Dort wurden die Beiträge dann ermäßigt. Auch aus diesem Grund blieb die finanzielle Situation der Partei immer angespannt.[10]
Für den Zentralismus der Organisation waren nicht nur die Vereinsgesetze entscheidend, sondern wie bei der starken Stellung des Präsidenten die politische Konzeption von Lassalle, der die bürgerliche, föderalistische Vereinskultur als „Vereinsspielerei“ abtat und auf eine „Diktatur der Einsicht“ setzte. Dies war für ihn als Voraussetzung für den Aufbau einer starken Organisation. Die Einheitlichkeit der Partei galt, wie die Parteipresse schrieb, als „höchstes Kleinod. (...) Einer Leitung folgend, können sie [die Arbeiter] wirklich allmälig über ihre mächtigen, durch alle bestehenden Einrichtungen gestützten Gegner Herr werden; die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit, die Fernhaltung der Spaltung, das ist also die organisatorische Hauptaufgabe.“[11]
Als Basisorganisationen entstanden lokale „Gemeinden,“ die aber für sich genommen, keine eigenständige Politik machen sollten. Diese hatten zwar einen Vorstand, wurden aber von einem Bevollmächtigten des Gesamtvereins geleitet. In der Praxis entwickelten diese jedoch durchaus ein Eigenleben. Diejenigen Ortsgruppen, die aus der Arbeitervereinsbewegung hervorgegangen waren, setzten etwa ihre Bildungsarbeit fort und entwickelten eine eigene lokale Vereinskultur. Dazu gehörte die Einrichtung von Hilfskassen, die Durchführung von Festen und Ausflügen oder sogar der Aufbau von Bibliotheken. Zentral für den Zusammenhalt wurde der Personenkult um Ferdinand Lassalle vor allem nach dessen Tod. Insgesamt zeigten sich im ADAV, wenn auch mit lokalen Unterschieden, deutliche Ansätze eines sozialdemokratischen Milieus. Dabei spielten Frauen – nicht nur wegen der restriktiven Vereinsgesetze – nur eine untergeordnete Rolle. Entsprechende Tendenzen, sieht man von der Führungsrolle der Gräfin Hatzfeldt ab, stießen auf Ablehnung bei den männlichen Anhängern der Partei.[12]
Die Gründe sich dem ADAV anzuschließen waren regional sehr unterschiedlich. Die radikal antibürgerliche und antiliberale Programmatik hatte vor allem unter Kleinhandwerkern und in Gebieten mit antikapitalistischen und demokratischen Traditionen Erfolg. Dazu zählten etwa Hamburg, Harburg, Frankfurt am Main und Umgebung. Dort herrschten eher sozialrevolutionäre und radikaldemokratische Tendenzen innerhalb des ADAV vor. Dagegen fanden die sozial-ökonomischen Vorstellungen Lassalles in älteren Gewerberegionen wie in Sachsen und in Gebieten mit einer in die Krise geratenen heimgewerblichen Struktur etwa im Erzgebirge Anklang. Wichtig waren auch solche Gebiete, in denen wie im bergischen Land oder im märkischen Sauerland die Kleinproduzenten stark proletarisiert worden waren und durch die frühindustrielle Entwicklung seit längerem eine stark polarisierte Gesellschaft entstanden war. So konnte der ADAV im Rheinland und im bergischen Land an die Traditionen von 1848/49 anknüpfen. In diesen älteren und teilweise krisenbedrohten Regionen stießen die staatssozialistisch interpretierten Produktivgenossenschaften auf Anklang.[13]
Gründungsdokument der ADAV Gemeinde in Iserlohn
Auf Grund der unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur stammten die Mitglieder aus jeweils verschiedenen Schichten der entstehenden Arbeiterschaft. Im westfälischen Raum gehörten nicht so sehr die Massenarbeiter der neuen Industrien etwa der Eisenproduktion dem ADAV an, sondern es waren vielfach Beschäftigte in teilweise noch stark handwerklich geprägten Branchen. In Solingen gehörten dazu etwa die Messerproduzenten, in Iserlohn waren es die Arbeiter des Metallwarengewerbes. Aus Eschweiler wurde berichtet, dass zwar die Fabrikarbeiter nicht aber die Bergleute sich dem Verein angeschlossen hätten. Durchaus beträchtlich war auch der Anteil der Handwerker. In Hamburg und wohl auch anderswo beschränkte sich die Mitgliedschaft auf wandernde Gesellen, während der ADAV unter den ansässigen Gesellen und Meistern kaum Rückhalt fand. Eine nicht unerhebliche Bedeutung spielten daneben auch die Beschäftigten im alten und neuen Heimgewerbe. In Schlesien gehörten dazu die Weber. In Ostwestfalen und in Teilen Sachsens gehörten die Zigarrenarbeiter zu einer für die Entstehung der organisierten Arbeiterbewegung wichtigen Gruppe. Sofern die Produktion nicht im protoindustriellen Heimgewerbe stattfand, wurden die Zigarren in Manufakturen hergestellt. Der weitgehend fehlende Maschinenlärm erleichterte dort die Kommunikation. Trotz ihrer handwerksähnlichen Tätigkeit fehlte den Zigarrenmachern ein entsprechendes Sozialprestige. Eine wichtige Rolle spielten, wie schon bei der Gründung der Arbeiterverbrüderung, die Buchdrucker. Diese verfügten über ein bis in die vorindustrielle Zeit zurückreichendes handwerkliches Selbstbewusstsein und waren relativ gebildet. Allerdings wurde ihre Qualifikation durch die Mechanisierung auch im Druckgewerbe zunehmend entwertet, auch geriet die bisherige soziale Sicherheit und fast ständische Exklusivität in Gefahr. Es war kein Zufall, dass die Gründung des ADAV von der Stadt Leipzig ausging, die damals das Zentrum des Verlagswesens in Deutschland darstellte. Dort wurde die politische Kommunikation auch durch den Charakter als Messe- und Universitätsstadt sowie als Verkehrszentrum gefördert.
Während die ältere Forschung insgesamt vor allem die Bedeutung der Handwerker und der Heimgewerbetreibenden hervorgehoben hatte, kommen neuere Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass neben diesen zweifellose wichtigen Gruppen auch die modernen Lohn- und Fabrikarbeiter unter den Mitgliedern des ADAV bereits in den 1860er Jahren relativ stark vertreten war.[14]
Der ADAV bis zur Spaltung
Die innere Entwicklung zwischen 1864 und 1867 war von Fraktionskämpfen um die Führung im ADAV bestimmt. Hinter diesen standen weniger inhaltliche Differenzen, sondern im Wesentlichen rein persönliche Querelen. Allerdings spielten Fragen des Führungsstils, aber auch das Problem, ob man den finanziell angeschlagenen Verein an einen Gönner in Person der Gräfin Hatzfeld ausliefern sollte eine Rolle.[15]
Bereits die Suche nach einem neuen Vorsitzenden gestaltete sich schwierig. Der von Lassalle testamentarisch eingesetzte Bernhard Becker stieß auf den Widerstand von Sophie von Hatzfeldt, der einflussreichen zeitweiligen Lebensgefährtin Lassalles. Außerdem hatte sich Becker durch den Bruch der Vereinsstatuten selbst diskreditiert. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung kam es ausgehend von Leipzig zu ersten Abspaltungen, ehe Becker zurücktrat.[16]
Der Gedanke, Karl Marx zum Nachfolger zu machen, zerschlug sich an unüberbrückbaren programmatischen Differenzen. In der Folge kam es zwar zu einer Annäherung, als die von Marx entworfene Inauguraladresse für die Internationale Arbeiterassoziation auch in der neuen, von Johann Baptist von Schweitzer herausgegebenen Zeitung des ADAV Der Social-Demokrat mehrfach erschien. Aber zum endgültigen Bruch zwischen Schweitzer auf der einen Seite sowie Marx, Engels und Liebknecht auf der anderen Seite kam es 1865 nach der Veröffentlichung von Artikeln, die die Politik Bismarcks positiv beurteilten. Auch die Haltung des Parteiblattes gegenüber den bürgerlichen Parteien und der Personenkult um Lassalle trugen zur Distanzierung bei.
Köpfe der frühen deutschen Arbeiterbewegung (August Bebel, Wilhelm Liebknecht (beide SDAP) – obere Reihe, Karl Marx als theoretischer Impulsgeber – Mitte, Carl Wilhelm Tölcke, Ferdinand Lassalle (beide ADAV) – untere Reihe)
Vom 30. November bis 1. Dezember 1865 fand in Frankfurt am Main die 2. Generalversammlung des ADAV statt. Dabei wurden die etwa 5000 Mitglieder von neunzehn Delegierten vertreten. Andere Quellen sprechen von 9400 Mitgliedern aus 67 Orten.[17] Carl Wilhelm Tölcke wurde einstimmig zum Präsidenten gewählt, nachdem die Amtszeit auf ein Jahr verkürzt worden war. Während dieser Versammlung wurde auf Anregung von Friedrich Wilhelm Fritzsche der Allgemeine Deutsche Zigarrenarbeiterverband als die erste zentral organisierte Gewerkschaft gegründet.
Im Jahr 1866 kam es im Laufe einiger Volksversammlungen in Dresden zu einer ersten Annäherung zwischen dem ADAV und dem VDAV. August Bebel als Vertreter der Arbeitervereine sprach sich dabei für ein Zusammengehen beider Richtungen etwa in der Wahlrechtsfrage aus. Innerhalb des ADAV hatte der Präsident Tölcke mit einer doppelten Opposition zu tun. Dies waren die Anhänger der Gräfin Hatzfeldt mit Schwerpunkt in Solingen sowie das hinter Schweitzer stehenden Vereinsblatt und die Leipziger Polizei, die Tölcke auf Grund alter Haftstrafen die Anerkennung verweigerte. Diesem Druck war Tölcke nicht gewachsen und trat zurück. Aus diesem Grund fand am 17. Juni eine außerordentliche Generalversammlung des ADAV statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verein etwa 9400 Mitglieder.[18] Nachfolger Töclkes wurde nach einer Kampfabstimmung August Perl. Die Beteiligung von einigen sächsischen Mitgliedern des Vereins an der Gründung der Sächsischen Volkspartei stieß in weiten Teilen der Organisation wegen der preußenkritischen Haltung der Volkspartei auf Kritik. In der Tat war der Gegensatz zwischen ADAV und Sächsischer Volkspartei (und der späteren SDAP) vor allem von der unterschiedlichen Beurteilung der nationalen Frage bestimmt. Während die Anhänger Lassalles kleindeutsch-preußisch eingestellt waren, standen Bebel und Liebknecht auf der großdeutschen und antipreußischen Seite.
Auf der vierten Generalversammlung des ADAV am 27. Dezember 1866 kam es zum endgültigen Bruch mit Gräfin Hatzfeld, die daraufhin 1867 als Abspaltung den Lassalleschen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (LADAV) („Hatzfeldtianer“) gründete. In der Mehrheitsorganisation wurde Perl als Vorsitzender bestätigt. Diese gab sich außerdem ein neues Programm, in dem die Partei die Auflösung jedes Staatenbundes, konkret also des gerade entstehenden Norddeutschen Bundes, zugunsten eines Einheitsstaats verlangte. Ferner wurden die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts sowie von Diäten für Abgeordnete eingefordert. Der neu zu wählende Reichstag des Norddeutschen Bundes sollte nicht nur beratende, sondern beschließende Funktion haben. Außerdem wurde erneut die Einrichtung von freien Arbeiter-Assoziationen zur Lösung der sozialen Frage gefordert.
Bei den Wahlen zum konstituierenden Norddeutschen Reichstag stellten sächsische Volkspartei und ADAV eigene Kandidaten auf. Durch die unterschiedlichen regionalen Schwerpunkte kam es allerdings kaum zu einer direkten Konkurrenz, da beide Parteien nur in wenigen Wahlkreisen kandidierten. Während zwei Vertreter – Bebel und Reinhold Schraps von der Volkspartei – auch gewählt wurden, ging der ADAV leer aus.[19]
Hier unterbrechen wir,wer weiterlesen möchte,her derr Link:
http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeiner_Deutscher_Arbeiterverein
Vorgeschichte und Gründung
Ansätze zu einer eigenständigen Arbeiterbewegung hatte es bereits vor der bürgerlich dominierten Revolution von 1848/49 beispielsweise in Form des Bundes der Kommunisten und der Allgemeinen Arbeiterverbrüderung gegeben. Beide fielen nach der Niederlage der Revolution der Reaktionspolitik zum Opfer. Der Kommunistenbund wurde im Zusammenhang mit der Kölner Kommunistenprozess von der Obrigkeit zerschlagen, die Arbeiterverbrüderung konnte durch das Verbot politischer Vereine durch den Deutschen Bund 1854 nicht weiterarbeiten. Erst das Auslaufen der Reaktionsära in den deutschen Staaten eröffnete auch der Arbeiterbewegung zu Beginn der 1860er Jahre neue Entfaltungsmöglichkeiten. Zunächst entstanden, teilweise gefördert von liberalen und demokratischen Politikern, vor allem in Sachsen und einigen Teilen Preußens Arbeiterbildungsvereine. Aus deren Umfeld kamen auch die wesentlichen Impulse zur Gründung einer eigenen Arbeiterpartei.
Unterstützt auch vom Deutschen Nationalverein besuchte eine Gruppe von etwa fünfzig Arbeitern 1862 die Weltausstellung in London und nahm dort Kontakt mit ausländischen Arbeitern und politischen Emigranten auf, unter ihnen Karl Marx. Zurück in Deutschland wurde während einer Versammlung in Leipzig beschlossen, einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongress einzuberufen. Zum Vorbereitungskomitee aus dem Umfeld des Leipziger gewerblichen Bildungsvereins gehörten unter anderem August Bebel, Friedrich Wilhelm Fritzsche und Julius Vahlteich. Als sich eine Parteigründung immer stärker abzeichnete, zog sich Bebel von den Vorbereitungen wieder zurück, da er zu dieser Zeit noch auf eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Demokraten setzte. Ähnliche Überlegungen zu einem Kongress gab es auch in Berlin, Hamburg und Nürnberg. Zwar wurde ein solches Treffen von Berliner Arbeitern bereits für November 1862 angekündigt. Dieses fand jedoch nicht statt, und die weiteren Vorbereitungen wurden den Leipzigern überlassen.[1]
Diese wandten sich zunächst an den Deutschen Nationalverein. Hermann Schulze-Delitzsch antwortete, dass die Zeit noch nicht reif sei, Arbeiter in den Verein aufzunehmen. Später äußerte er, sie dürften sich allerdings als „geistige Ehrenmitglieder“ fühlen.[2] Das Komitee, unter anderem vertreten von Julius Vahlteich, Friedrich Wilhelm Fritzsche und Otto Dammer, wandte sich am 11. Februar 1863 in einem Brief auch an den Journalisten Ferdinand Lassalle, um dessen Ansicht zur Arbeiterbewegung und den Mitteln, die sie einsetzen sollte, zu erfahren.
Lassalle antwortete dem Komitee am 1. März 1863 mit seinem Offenen Antwortschreiben. Darin forderte er programmatisch:
„Der Arbeiterstand muss sich als selbstständige politische Partei konstituieren und das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu dem prinzipiellen Losungswort und Banner dieser Partei machen. Die Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körpern Deutschlands – dies ist es allein, was in politischer Hinsicht seine legitimen Interessen befriedigen kann.“
Er führte weiter aus, dass die soziale Lage der Arbeiter durch das ‚eherne Lohngesetz‘ bestimmt sei, wonach die Reallöhne langfristig gerade so hoch seien, wie nötig sei, um die benötigte Zahl an Arbeitern zu ernähren. Hilfe versprach er sich von Produktivassoziationen mit Unterstützung des Staates.|ref=[3]
Innerhalb des Leipziger Komitees kam es zu Auseinandersetzungen vor allem mit liberalen Politikern, die den örtlichen Arbeiterverein bislang gefördert hatten. In einer Abstimmung erklärten sich allerdings 1300 Anwesende gegen 2 Stimmen für die Ausführungen Lassalles. Ein neues Komitee bereitete die Gründung eines entsprechenden Vereins vor. Ende März 1863 fanden in Hamburg, Düsseldorf, Solingen, Köln, Barmen und Elberfeld (heute beide zu Wuppertal) Arbeiterversammlungen statt, die sich den Leipziger Beschlüssen anschlossen. Zahlreiche weitere Arbeitervereine lehnten dagegen unter dem Einfluss der bürgerlichen Liberalen und Demokraten Lassalles Programm ab.
Am 23. Mai 1863 wurde im Pantheon in Leipzig von Ferdinand Lassalle und Abgesandten aus Leipzig, Hamburg, Harburg, Köln, Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Solingen, Frankfurt am Main, Mainz und Dresden der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben Vahlteich und Fritzsche auch Theodor Yorck und Bernhard Becker. Lassalle wurde für zunächst fünf Jahre zum Präsidenten gewählt. Diese Position war deutlich stärker als in den sozialdemokratischen Parteien der folgenden Jahrzehnte, da der Präsident bei seinen Entscheidungen weitgehende Handlungsfreiheit hatte. Erst nachträglich war die Zustimmung des 23-köpfigen Vorstandes nötig. Hier spielte Julius Vahlteich als Sekretär eine herausgehobene Rolle. Sitz des Vereins war Leipzig. Einen gewissen Ausgleich für die Machtfülle des Präsidenten bot vor allem die jährlich einberufene Generalversammlung, die sich aus gewählten Delegierten zusammensetzte. Allerdings blieb dieser Aspekt innerparteilicher Demokratie bis 1871 ohne nennenswerte Bedeutung. Dazu trugen auch Manipulationen von Seiten der Präsidenten und des Vorstandes bei. Da die bestehenden Vereinsgesetze die Bildung von lokalen Gruppen ausschlossen, musste jedes Mitglied dem zentralen Verein beitreten. Ziel des Vereins war nach seinem programmatischen Selbstverständnis die „Vertretung der sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes“.[4]
Georg Herwegh (1817–1875)
Die optimistische Stimmung der neuen Partei kam auch in dem noch im Gründungsjahr gedichteten Bundeslied von Georg Herwegh zum Ausdruck, das auch nach dem Ende des ADAV fester Bestandteil des Liedgut-Repertoires der Arbeiterbewegung blieb.
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still.
Wenn dein starker Arm es will.
Deiner Dränger Schar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke stellst den Pflug.
Wenn du rufst: Es ist genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot![5]
Entwicklung bis zum Tod Lassalles
Insbesondere Lassalles These vom ehernen Lohngesetz hatte erhebliche Folgen für die Positionierung des ADAV innerhalb des politischen Spektrums und für seine Politik. Es besagt, dass Selbsthilfeeinrichtungen oder Gewerkschaften letztlich an der sozialen Lage grundsätzlich nichts ändern können, weil die Löhne stets in der Nähe des Existenzminimums bleiben würden, während der Gewinn den Unternehmern zufließe. Der einzige Ausweg war nach Meinung Lassalles, dass die Arbeiter durch Gründung von Produktivgenossenschaften selbst zu Unternehmern werden müssten. Dies war ohne Staatsunterstützung allerdings nicht denkbar. Da die Bewilligung von Geldern für Staatsausgaben Sache der Parlamente war, bedeutete die Durchsetzung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts die zentrale Voraussetzung auch für grundlegende soziale Veränderungen. Diese Position erklärt die relative Staatsnähe des ADAV und seine Vorbehalte, die gewerkschaftliche Arbeiterbewegung anzuerkennen.[6]
Foto der Delegierten und Gäste unmittelbar vor der Gründung des ADAV am 23. Mai 1863
Für Lassalle war der Hauptgegner der Arbeiterbewegung das liberale Bürgertum, das die demokratischen Forderungen von 1848 verraten habe. An diese demokratische Tradition habe die Arbeiterbewegung anzuknüpfen. Die Gegnerschaft gegen den Liberalismus führte auch dazu, dass Lassalle eine gewisse Nähe zu Otto von Bismarck nicht scheute, der sich zu dieser Zeit als preußischer Ministerpräsident im Verfassungskonflikt ein Gegner der Liberalen war. Lassalle rechnete mit Bismarcks Unterstützung bei der Überwindung des Dreiklassenwahlrechts und auf staatliche Unterstützung für den Aufbau von Produktivgenossenschaften. Tatsächlich haben sich Lassalle und Bismarck auch mehrfach getroffen, um – wenn auch vergeblich – die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten.
Die Sorge im liberalen Lager vor einem Übergang der Arbeiter zur neuen Partei war groß. Nicht zuletzt aus diesem Grund kam es unter Beteiligung von liberalen und demokratischen Politiker 1863 zum Zusammenschluss der ihnen nahestehenden Vereine im Vereinstag Deutscher Arbeitervereine (VDAV). Die Gründung des ADAV blieb allerdings zunächst ohne große Resonanz, die meisten der politisch interessierten Arbeiter blieben den Arbeiter- und Arbeiterbildungsvereinen treu. Angesichts der nur schwachen Mitgliederentwicklung des ADAV äußerte sich Lassalle nach einigen Monaten des Bestehens enttäuscht.
„Nicht wahr, diese Apathie der Massen ist zum Verzweifeln! Solche Apathie bei einer Bewegung, die rein für sie, rein in ihrem politischen Interesse stattfindet, und bei den in geistiger Beziehung immensen Agitationsmitteln, die schon aufgewendet worden sind und die bei einem Volke wie dem französischen schon Riesenresultate gehabt haben würden?! Wann wird das stumpfe Volk endlich seine Lethargie abschütteln.“[7]
Lassalle sprach im September 1863 in verschiedenen Versammlungen erneut öffentlich und nahm dabei auch Stellung zur Gründung des VDAV. In diesem Rahmen kam es in Solingen zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und denen der Fortschrittspartei. In der Folge wurde er erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Aller Anstrengungen zum Trotz blieb der ADAV auch in Berlin zunächst weitgehend erfolglos. Dort hatte er zwar Ende 1863 200 Mitglieder, diese Zahl sank allerdings in der Folge wieder auf 35. Gegenwind kam auch von Marx und Engels: Ihnen war die Idee einer Überwindung des Kapitalismus durch Produktivgenossenschaften verdächtig. Besondere Kritik übten sie an Lassalles Haltung gegenüber dem Liberalismus, da nach ihrer Überzeugung die Arbeiterbewegung zunächst gemeinsam mit dem Bürgertum die Reaktion zu bekämpfen habe, bevor die Arbeiter anschließend an eine eigene Revolution gehen könnten.[8] Marx mahnte Wilhelm Liebknecht in einem Brief, sich politisch nicht mit Lassalle einzulassen, aber auch nicht offen gegen ihn aufzutreten. Widerspruch kam auch von innen. Julius Vahlteich trat im Januar 1864 aus Protest gegen das diktatorische Verhalten Lassalles von seinem Posten als Sekretär zurück.
Lassalle starb am 31. August 1864 nach einem Duell. Bei seinem Tod hatte der ADAV etwa 4600 Mitglieder.[7] Im selben Jahr wurde das Bundeslied des ADAV durch eine Arbeitermarseillaise ersetzt, mit der Vorstandsmitglied Jacob Audorf dem charismatischen Parteigründer anlässlich seiner Totenfeier ein musikalisches Denkmal setzte. Er dichtete auf die Melodie der Marseillaise den noch lange viel gesungenen Refrain:
Nicht zählen wir den Feind
Nicht die Gefahren all:
Der kühnen Bahn nur folgen wir,
Die uns geführt Lassalle![9]
Mitgliederstruktur und regionale Verteilung
Zigarrenmacher (Gemälde von J. Marx von 1889)
Zwar war der besoldete Parteiapparat klein – Anfangs bezog nur der Vereinssekretär ein Gehalt – gleichwohl hatte der ADAV erhebliche Kosten. Die Agitation vor Ort musste ebenso bezahlt werden, wie Broschüren und auch das Parteiorgan der Socialdemocrat kostete Geld, obwohl dieses eigentlich gar nicht der Partei sondern von Schweitzer gehörte. Diese Ausgaben konnten nicht wie bei den liberalen Parteien durch Spenden wohlhabender Gönner gedeckt werden. Die Partei war also Gegensatz zu den bürgerlichen Honoratiorenparteien von Beginn an eine Mitgliederpartei. Der Beitrag betrug 2 Silbergroschen. Bei einem Jahresverdienst von 200 Talern waren das etwa 0,43 % des Einkommens. Für viele Arbeiter vor allem in den Heimarbeitergebieten, war dies immer noch zu hoch. Dort wurden die Beiträge dann ermäßigt. Auch aus diesem Grund blieb die finanzielle Situation der Partei immer angespannt.[10]
Für den Zentralismus der Organisation waren nicht nur die Vereinsgesetze entscheidend, sondern wie bei der starken Stellung des Präsidenten die politische Konzeption von Lassalle, der die bürgerliche, föderalistische Vereinskultur als „Vereinsspielerei“ abtat und auf eine „Diktatur der Einsicht“ setzte. Dies war für ihn als Voraussetzung für den Aufbau einer starken Organisation. Die Einheitlichkeit der Partei galt, wie die Parteipresse schrieb, als „höchstes Kleinod. (...) Einer Leitung folgend, können sie [die Arbeiter] wirklich allmälig über ihre mächtigen, durch alle bestehenden Einrichtungen gestützten Gegner Herr werden; die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit, die Fernhaltung der Spaltung, das ist also die organisatorische Hauptaufgabe.“[11]
Als Basisorganisationen entstanden lokale „Gemeinden,“ die aber für sich genommen, keine eigenständige Politik machen sollten. Diese hatten zwar einen Vorstand, wurden aber von einem Bevollmächtigten des Gesamtvereins geleitet. In der Praxis entwickelten diese jedoch durchaus ein Eigenleben. Diejenigen Ortsgruppen, die aus der Arbeitervereinsbewegung hervorgegangen waren, setzten etwa ihre Bildungsarbeit fort und entwickelten eine eigene lokale Vereinskultur. Dazu gehörte die Einrichtung von Hilfskassen, die Durchführung von Festen und Ausflügen oder sogar der Aufbau von Bibliotheken. Zentral für den Zusammenhalt wurde der Personenkult um Ferdinand Lassalle vor allem nach dessen Tod. Insgesamt zeigten sich im ADAV, wenn auch mit lokalen Unterschieden, deutliche Ansätze eines sozialdemokratischen Milieus. Dabei spielten Frauen – nicht nur wegen der restriktiven Vereinsgesetze – nur eine untergeordnete Rolle. Entsprechende Tendenzen, sieht man von der Führungsrolle der Gräfin Hatzfeldt ab, stießen auf Ablehnung bei den männlichen Anhängern der Partei.[12]
Die Gründe sich dem ADAV anzuschließen waren regional sehr unterschiedlich. Die radikal antibürgerliche und antiliberale Programmatik hatte vor allem unter Kleinhandwerkern und in Gebieten mit antikapitalistischen und demokratischen Traditionen Erfolg. Dazu zählten etwa Hamburg, Harburg, Frankfurt am Main und Umgebung. Dort herrschten eher sozialrevolutionäre und radikaldemokratische Tendenzen innerhalb des ADAV vor. Dagegen fanden die sozial-ökonomischen Vorstellungen Lassalles in älteren Gewerberegionen wie in Sachsen und in Gebieten mit einer in die Krise geratenen heimgewerblichen Struktur etwa im Erzgebirge Anklang. Wichtig waren auch solche Gebiete, in denen wie im bergischen Land oder im märkischen Sauerland die Kleinproduzenten stark proletarisiert worden waren und durch die frühindustrielle Entwicklung seit längerem eine stark polarisierte Gesellschaft entstanden war. So konnte der ADAV im Rheinland und im bergischen Land an die Traditionen von 1848/49 anknüpfen. In diesen älteren und teilweise krisenbedrohten Regionen stießen die staatssozialistisch interpretierten Produktivgenossenschaften auf Anklang.[13]
Gründungsdokument der ADAV Gemeinde in Iserlohn
Auf Grund der unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur stammten die Mitglieder aus jeweils verschiedenen Schichten der entstehenden Arbeiterschaft. Im westfälischen Raum gehörten nicht so sehr die Massenarbeiter der neuen Industrien etwa der Eisenproduktion dem ADAV an, sondern es waren vielfach Beschäftigte in teilweise noch stark handwerklich geprägten Branchen. In Solingen gehörten dazu etwa die Messerproduzenten, in Iserlohn waren es die Arbeiter des Metallwarengewerbes. Aus Eschweiler wurde berichtet, dass zwar die Fabrikarbeiter nicht aber die Bergleute sich dem Verein angeschlossen hätten. Durchaus beträchtlich war auch der Anteil der Handwerker. In Hamburg und wohl auch anderswo beschränkte sich die Mitgliedschaft auf wandernde Gesellen, während der ADAV unter den ansässigen Gesellen und Meistern kaum Rückhalt fand. Eine nicht unerhebliche Bedeutung spielten daneben auch die Beschäftigten im alten und neuen Heimgewerbe. In Schlesien gehörten dazu die Weber. In Ostwestfalen und in Teilen Sachsens gehörten die Zigarrenarbeiter zu einer für die Entstehung der organisierten Arbeiterbewegung wichtigen Gruppe. Sofern die Produktion nicht im protoindustriellen Heimgewerbe stattfand, wurden die Zigarren in Manufakturen hergestellt. Der weitgehend fehlende Maschinenlärm erleichterte dort die Kommunikation. Trotz ihrer handwerksähnlichen Tätigkeit fehlte den Zigarrenmachern ein entsprechendes Sozialprestige. Eine wichtige Rolle spielten, wie schon bei der Gründung der Arbeiterverbrüderung, die Buchdrucker. Diese verfügten über ein bis in die vorindustrielle Zeit zurückreichendes handwerkliches Selbstbewusstsein und waren relativ gebildet. Allerdings wurde ihre Qualifikation durch die Mechanisierung auch im Druckgewerbe zunehmend entwertet, auch geriet die bisherige soziale Sicherheit und fast ständische Exklusivität in Gefahr. Es war kein Zufall, dass die Gründung des ADAV von der Stadt Leipzig ausging, die damals das Zentrum des Verlagswesens in Deutschland darstellte. Dort wurde die politische Kommunikation auch durch den Charakter als Messe- und Universitätsstadt sowie als Verkehrszentrum gefördert.
Während die ältere Forschung insgesamt vor allem die Bedeutung der Handwerker und der Heimgewerbetreibenden hervorgehoben hatte, kommen neuere Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass neben diesen zweifellose wichtigen Gruppen auch die modernen Lohn- und Fabrikarbeiter unter den Mitgliedern des ADAV bereits in den 1860er Jahren relativ stark vertreten war.[14]
Der ADAV bis zur Spaltung
Die innere Entwicklung zwischen 1864 und 1867 war von Fraktionskämpfen um die Führung im ADAV bestimmt. Hinter diesen standen weniger inhaltliche Differenzen, sondern im Wesentlichen rein persönliche Querelen. Allerdings spielten Fragen des Führungsstils, aber auch das Problem, ob man den finanziell angeschlagenen Verein an einen Gönner in Person der Gräfin Hatzfeld ausliefern sollte eine Rolle.[15]
Bereits die Suche nach einem neuen Vorsitzenden gestaltete sich schwierig. Der von Lassalle testamentarisch eingesetzte Bernhard Becker stieß auf den Widerstand von Sophie von Hatzfeldt, der einflussreichen zeitweiligen Lebensgefährtin Lassalles. Außerdem hatte sich Becker durch den Bruch der Vereinsstatuten selbst diskreditiert. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung kam es ausgehend von Leipzig zu ersten Abspaltungen, ehe Becker zurücktrat.[16]
Der Gedanke, Karl Marx zum Nachfolger zu machen, zerschlug sich an unüberbrückbaren programmatischen Differenzen. In der Folge kam es zwar zu einer Annäherung, als die von Marx entworfene Inauguraladresse für die Internationale Arbeiterassoziation auch in der neuen, von Johann Baptist von Schweitzer herausgegebenen Zeitung des ADAV Der Social-Demokrat mehrfach erschien. Aber zum endgültigen Bruch zwischen Schweitzer auf der einen Seite sowie Marx, Engels und Liebknecht auf der anderen Seite kam es 1865 nach der Veröffentlichung von Artikeln, die die Politik Bismarcks positiv beurteilten. Auch die Haltung des Parteiblattes gegenüber den bürgerlichen Parteien und der Personenkult um Lassalle trugen zur Distanzierung bei.
Köpfe der frühen deutschen Arbeiterbewegung (August Bebel, Wilhelm Liebknecht (beide SDAP) – obere Reihe, Karl Marx als theoretischer Impulsgeber – Mitte, Carl Wilhelm Tölcke, Ferdinand Lassalle (beide ADAV) – untere Reihe)
Vom 30. November bis 1. Dezember 1865 fand in Frankfurt am Main die 2. Generalversammlung des ADAV statt. Dabei wurden die etwa 5000 Mitglieder von neunzehn Delegierten vertreten. Andere Quellen sprechen von 9400 Mitgliedern aus 67 Orten.[17] Carl Wilhelm Tölcke wurde einstimmig zum Präsidenten gewählt, nachdem die Amtszeit auf ein Jahr verkürzt worden war. Während dieser Versammlung wurde auf Anregung von Friedrich Wilhelm Fritzsche der Allgemeine Deutsche Zigarrenarbeiterverband als die erste zentral organisierte Gewerkschaft gegründet.
Im Jahr 1866 kam es im Laufe einiger Volksversammlungen in Dresden zu einer ersten Annäherung zwischen dem ADAV und dem VDAV. August Bebel als Vertreter der Arbeitervereine sprach sich dabei für ein Zusammengehen beider Richtungen etwa in der Wahlrechtsfrage aus. Innerhalb des ADAV hatte der Präsident Tölcke mit einer doppelten Opposition zu tun. Dies waren die Anhänger der Gräfin Hatzfeldt mit Schwerpunkt in Solingen sowie das hinter Schweitzer stehenden Vereinsblatt und die Leipziger Polizei, die Tölcke auf Grund alter Haftstrafen die Anerkennung verweigerte. Diesem Druck war Tölcke nicht gewachsen und trat zurück. Aus diesem Grund fand am 17. Juni eine außerordentliche Generalversammlung des ADAV statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verein etwa 9400 Mitglieder.[18] Nachfolger Töclkes wurde nach einer Kampfabstimmung August Perl. Die Beteiligung von einigen sächsischen Mitgliedern des Vereins an der Gründung der Sächsischen Volkspartei stieß in weiten Teilen der Organisation wegen der preußenkritischen Haltung der Volkspartei auf Kritik. In der Tat war der Gegensatz zwischen ADAV und Sächsischer Volkspartei (und der späteren SDAP) vor allem von der unterschiedlichen Beurteilung der nationalen Frage bestimmt. Während die Anhänger Lassalles kleindeutsch-preußisch eingestellt waren, standen Bebel und Liebknecht auf der großdeutschen und antipreußischen Seite.
Auf der vierten Generalversammlung des ADAV am 27. Dezember 1866 kam es zum endgültigen Bruch mit Gräfin Hatzfeld, die daraufhin 1867 als Abspaltung den Lassalleschen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (LADAV) („Hatzfeldtianer“) gründete. In der Mehrheitsorganisation wurde Perl als Vorsitzender bestätigt. Diese gab sich außerdem ein neues Programm, in dem die Partei die Auflösung jedes Staatenbundes, konkret also des gerade entstehenden Norddeutschen Bundes, zugunsten eines Einheitsstaats verlangte. Ferner wurden die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts sowie von Diäten für Abgeordnete eingefordert. Der neu zu wählende Reichstag des Norddeutschen Bundes sollte nicht nur beratende, sondern beschließende Funktion haben. Außerdem wurde erneut die Einrichtung von freien Arbeiter-Assoziationen zur Lösung der sozialen Frage gefordert.
Bei den Wahlen zum konstituierenden Norddeutschen Reichstag stellten sächsische Volkspartei und ADAV eigene Kandidaten auf. Durch die unterschiedlichen regionalen Schwerpunkte kam es allerdings kaum zu einer direkten Konkurrenz, da beide Parteien nur in wenigen Wahlkreisen kandidierten. Während zwei Vertreter – Bebel und Reinhold Schraps von der Volkspartei – auch gewählt wurden, ging der ADAV leer aus.[19]
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http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeiner_Deutscher_Arbeiterverein
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