Das Rätsel um das Lönsgrab in der Heide
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Das Rätsel um das Lönsgrab in der Heide
Sie kommen im Morgengrauen. Ein Trupp SA-Männer holt den Zinksarg im November 1934 aus der Friedhofskapelle von Fallingbostel und verscharrt ihn bei Barrl, einem Nest irgendwo an der Landstraße von Soltau nach Hamburg. In dem Zinksarg: die Gebeine von Hermann Löns, des sogenannten Heidedichters. Oder doch nicht? Diese Frage ist bis heute nicht geklärt. Seltsamerweise scheint das aber auch niemanden wirklich zu stören. Seine endgültige Ruhe findet der vermeintliche Löns-Leichnam kurz darauf im Tietlinger Wacholderhain bei Walsrode. In einem kleinen Park mit einer Gedenkstätte steht bis heute ein großer Findling. Darauf eingraviert: eine Wolfsangel und die Inschrift "Hier ruht Hermann Löns". Die offizielle Bestattung mit militärischen Ehren durch die Reichswehr findet hier vor fast genau 80 Jahren statt, am 2. August 1935. Doch der Anfang dieser Geschichte führt in den Sommer 1914 - in den Krieg.
Ein Bauer und sein Fund
Löns meldet sich freiwillig als Soldat für den Ersten Weltkrieg. Eigentlich ist er mit 48 Jahren schon viel zu alt für die Front. Doch es gelingt ihm, seinen Willen durchzusetzen. Nach wenigen Wochen fällt er, am 26. September 1914, bei Loivre in der Nähe von Reims in Frankreich. Was danach genau geschieht, ist nicht ganz klar. Zunächst heißt es, dass der Dichter in einem Massengrab für deutsche Soldaten beerdigt wurde. Fast 20 Jahre lang passiert gar nichts - bis ein französischer Bauer beim Pflügen auf eine deutsche Erkennungsmarke und einen Leichnam stößt. Die Gebeine werden auf einen Militärfriedhof umgebettet, die Marke wird nach Berlin geschickt. In Berlin regieren inzwischen die Nazis. Und die geben im Jahr 1934, pünktlich zum 20. Todestag des Autors, bekannt: Der unbekannte Tote ist Hermann Löns. Kurz darauf wird die Parole laut, die sterblichen Überreste heim ins Reich zu holen - heim in seine Lüneburger Heide.
Ist er es wirklich?
Doch es bleibt kompliziert: Eigentlich soll Löns bei den Sieben Steinhäusern begraben werden, einer Gruppe von historischen Großsteingräbern in der Heide. Nur plant die Reichswehr für dieses Gebiet bereits insgeheim einen großen Truppenübungsplatz. So wird der Zinksarg in der Fallingbosteler Kapelle zwischengelagert. Gerüchte machen die Runde. Jüdische Vorfahren? Zu viele Frauengeschichten? Warum wird der Löns denn nicht anständig begraben? Bis die SA kommt und die Nacht-und-Nebel-Aktion beginnt. Löns' Witwe beschwert sich daraufhin, die Reichswehr nimmt sich der "Angelegenheit Löns" an. Damals konkurrieren SA und Reichswehr, die Armee nutzt die Gunst der Stunde, um den ungeliebten Rivalen auszustechen. Der Frontsoldat und Kriegsfreiwillige Löns wird in Barrl ausgebuddelt und im Tietlinger Wacholderhain bestattet. Und schon damals, schon in den 30er-Jahren, herrschen Zweifel.
Skepsis bei den Experten
Alte Kameraden melden sich und zweifeln die Echtheit der in der NS-Presse veröffentlichten Erkennungsmarke an. Löns' Zahnarzt bietet gar einen Abgleich an, um die Identität des Toten endgültig zu klären - er wird abgewiesen. Die Frage bleibt unbeantwortet: Ist es wirklich Löns, der drinliegt, wo Löns draufsteht? Zwei Fachleute sind skeptisch - auch heute noch. "Es ist unklar", sagt Rainer Kaune, Autor des Buches "Hermann Löns - Naturfreund, Dichter, Umweltschützer". "Die Indizien sprechen dagegen", sagt Thomas Dupke, Germanist und Autor des Buches "Hermann Löns. Mythos und Wirklichkeit". Wie aber kann es sein, dass es ein bekanntes Lönsgrab gibt, von dem zumindest zweifelhaft ist, dass dort wirklich der Schriftsteller begraben ist? Warum wurde die Leiche nicht erneut untersucht?
Kein beliebtes Thema in der Heide
Der Heidekreis, in dem der Wacholderhain liegt, verweist in dieser Frage auf die Stadt Walsrode, die Stadt schnell zurück auf den Heidekreis. Das Grab scheint kein beliebtes Thema in der Heide zu sein. Kein Wunder: Die selbsternannte Lönsstadt könnte ihres Titels verlustig gehen. Schließlich doch noch eine Antwort aus Walsrode: "Um letzte Zweifel zu beseitigen, müssten eine nochmalige Exhumierung der Knochen, eine gerichtsmedizinische Untersuchung und unter Umständen eine DNA-Analyse (...) erfolgen. Davon abgesehen, dass solche Maßnahmen ungemein hohe Kosten verursachen würden (...) stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit bei derart geringen Restzweifeln."
Hohes Rechtsgut Totenruhe
Von wem könnte aber dann ein Anstoß kommen, diese "geringen Restzweifel" zu zerstreuen? Ganz so einfach ist das nicht. "Der Schutz der Totenruhe ist ein sehr starkes Rechtsgut", sagt der Rechtsanwalt Torsten F. Bartel, der einen juristischen Kommentar zum Bestattungsgesetz in Niedersachsen verfasst hat. Nur mit der Zustimmung des sogenannten Totenfürsorgeberechtigten sei in diesem Fall eine Untersuchung überhaupt möglich - behördlich legitimierte Gründe würden hier kaum greifen, so Bartel. Totenfürsorgeberechtiger war früher der Vater von Ernst Löns, ein Nachfahre des Dichters. "Das ist dann auf mich übergegangen", sagt Ernst Löns. Die wichtigen Entscheidungen, die würde er aber auch immer mit den anderen Verwandten abstimmen. Und hier herrsche Konsens. "Was soll eine Untersuchung bringen?", fragt er, "was bringt es, wenn herauskommt, dass er es nicht ist?" Er selbst schätzt die Wahrscheinlichkeit auf 70 bis 80 Prozent, dass es sich bei dem Toten um seinen Vorfahren handelt, sagt Ernst Löns.
"Kein Stein, kein Hügel - kein Kranz, keine Träne"
Selbst die Wissenschaft winkt bei der Frage nach einer posthumen Untersuchung ab. "Ein wissenschaftliches Interesse seitens der Forscher, die sich mit Hermann Löns und seiner Grabstätte beschäftigen, ist uns nicht bekannt", heißt es aus dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium. Es scheint also ganz so, als würde das Rätsel, dass der Leichnam mit ins Grab genommen hat, auch dort begraben bleiben. Nur einen dürfte die ganze Sache ziemlich kalt lassen: die Hauptperson. In seinem Gedicht "Abendsprache" schreibt Löns zum Thema Tod: "Auf meinem Grabe soll stehen kein Stein; kein Hügel soll dorten geschüttet sein; kein Kranz soll liegen, da wo ich starb; keine Träne fallen, wo ich verdarb. Will nichts mehr hören und nichts mehr sehn; wie ein totes Getier, so will ich vergeh'n; und darum kein Hügel und deshalb kein Stein; spurlos will ich vergangen sein." Vielleicht hatte er da schon eine Ahnung. Nun ist seine Grabstätte vermutlich die einzige in ganz Deutschland, die sogar auf Landkarten verzeichnet ist. Wenn es denn seine ist.
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Ein Bauer und sein Fund
Löns meldet sich freiwillig als Soldat für den Ersten Weltkrieg. Eigentlich ist er mit 48 Jahren schon viel zu alt für die Front. Doch es gelingt ihm, seinen Willen durchzusetzen. Nach wenigen Wochen fällt er, am 26. September 1914, bei Loivre in der Nähe von Reims in Frankreich. Was danach genau geschieht, ist nicht ganz klar. Zunächst heißt es, dass der Dichter in einem Massengrab für deutsche Soldaten beerdigt wurde. Fast 20 Jahre lang passiert gar nichts - bis ein französischer Bauer beim Pflügen auf eine deutsche Erkennungsmarke und einen Leichnam stößt. Die Gebeine werden auf einen Militärfriedhof umgebettet, die Marke wird nach Berlin geschickt. In Berlin regieren inzwischen die Nazis. Und die geben im Jahr 1934, pünktlich zum 20. Todestag des Autors, bekannt: Der unbekannte Tote ist Hermann Löns. Kurz darauf wird die Parole laut, die sterblichen Überreste heim ins Reich zu holen - heim in seine Lüneburger Heide.
Ist er es wirklich?
Doch es bleibt kompliziert: Eigentlich soll Löns bei den Sieben Steinhäusern begraben werden, einer Gruppe von historischen Großsteingräbern in der Heide. Nur plant die Reichswehr für dieses Gebiet bereits insgeheim einen großen Truppenübungsplatz. So wird der Zinksarg in der Fallingbosteler Kapelle zwischengelagert. Gerüchte machen die Runde. Jüdische Vorfahren? Zu viele Frauengeschichten? Warum wird der Löns denn nicht anständig begraben? Bis die SA kommt und die Nacht-und-Nebel-Aktion beginnt. Löns' Witwe beschwert sich daraufhin, die Reichswehr nimmt sich der "Angelegenheit Löns" an. Damals konkurrieren SA und Reichswehr, die Armee nutzt die Gunst der Stunde, um den ungeliebten Rivalen auszustechen. Der Frontsoldat und Kriegsfreiwillige Löns wird in Barrl ausgebuddelt und im Tietlinger Wacholderhain bestattet. Und schon damals, schon in den 30er-Jahren, herrschen Zweifel.
Skepsis bei den Experten
Alte Kameraden melden sich und zweifeln die Echtheit der in der NS-Presse veröffentlichten Erkennungsmarke an. Löns' Zahnarzt bietet gar einen Abgleich an, um die Identität des Toten endgültig zu klären - er wird abgewiesen. Die Frage bleibt unbeantwortet: Ist es wirklich Löns, der drinliegt, wo Löns draufsteht? Zwei Fachleute sind skeptisch - auch heute noch. "Es ist unklar", sagt Rainer Kaune, Autor des Buches "Hermann Löns - Naturfreund, Dichter, Umweltschützer". "Die Indizien sprechen dagegen", sagt Thomas Dupke, Germanist und Autor des Buches "Hermann Löns. Mythos und Wirklichkeit". Wie aber kann es sein, dass es ein bekanntes Lönsgrab gibt, von dem zumindest zweifelhaft ist, dass dort wirklich der Schriftsteller begraben ist? Warum wurde die Leiche nicht erneut untersucht?
Kein beliebtes Thema in der Heide
Der Heidekreis, in dem der Wacholderhain liegt, verweist in dieser Frage auf die Stadt Walsrode, die Stadt schnell zurück auf den Heidekreis. Das Grab scheint kein beliebtes Thema in der Heide zu sein. Kein Wunder: Die selbsternannte Lönsstadt könnte ihres Titels verlustig gehen. Schließlich doch noch eine Antwort aus Walsrode: "Um letzte Zweifel zu beseitigen, müssten eine nochmalige Exhumierung der Knochen, eine gerichtsmedizinische Untersuchung und unter Umständen eine DNA-Analyse (...) erfolgen. Davon abgesehen, dass solche Maßnahmen ungemein hohe Kosten verursachen würden (...) stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit bei derart geringen Restzweifeln."
Hohes Rechtsgut Totenruhe
Von wem könnte aber dann ein Anstoß kommen, diese "geringen Restzweifel" zu zerstreuen? Ganz so einfach ist das nicht. "Der Schutz der Totenruhe ist ein sehr starkes Rechtsgut", sagt der Rechtsanwalt Torsten F. Bartel, der einen juristischen Kommentar zum Bestattungsgesetz in Niedersachsen verfasst hat. Nur mit der Zustimmung des sogenannten Totenfürsorgeberechtigten sei in diesem Fall eine Untersuchung überhaupt möglich - behördlich legitimierte Gründe würden hier kaum greifen, so Bartel. Totenfürsorgeberechtiger war früher der Vater von Ernst Löns, ein Nachfahre des Dichters. "Das ist dann auf mich übergegangen", sagt Ernst Löns. Die wichtigen Entscheidungen, die würde er aber auch immer mit den anderen Verwandten abstimmen. Und hier herrsche Konsens. "Was soll eine Untersuchung bringen?", fragt er, "was bringt es, wenn herauskommt, dass er es nicht ist?" Er selbst schätzt die Wahrscheinlichkeit auf 70 bis 80 Prozent, dass es sich bei dem Toten um seinen Vorfahren handelt, sagt Ernst Löns.
"Kein Stein, kein Hügel - kein Kranz, keine Träne"
Selbst die Wissenschaft winkt bei der Frage nach einer posthumen Untersuchung ab. "Ein wissenschaftliches Interesse seitens der Forscher, die sich mit Hermann Löns und seiner Grabstätte beschäftigen, ist uns nicht bekannt", heißt es aus dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium. Es scheint also ganz so, als würde das Rätsel, dass der Leichnam mit ins Grab genommen hat, auch dort begraben bleiben. Nur einen dürfte die ganze Sache ziemlich kalt lassen: die Hauptperson. In seinem Gedicht "Abendsprache" schreibt Löns zum Thema Tod: "Auf meinem Grabe soll stehen kein Stein; kein Hügel soll dorten geschüttet sein; kein Kranz soll liegen, da wo ich starb; keine Träne fallen, wo ich verdarb. Will nichts mehr hören und nichts mehr sehn; wie ein totes Getier, so will ich vergeh'n; und darum kein Hügel und deshalb kein Stein; spurlos will ich vergangen sein." Vielleicht hatte er da schon eine Ahnung. Nun ist seine Grabstätte vermutlich die einzige in ganz Deutschland, die sogar auf Landkarten verzeichnet ist. Wenn es denn seine ist.
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