Die Aufklärung
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Die Aufklärung
Der Begriff Aufklärung, auch für das „Aufklären“ beliebiger Sachverhalte verwendet, bezeichnet seit etwa 1700 das gesamte Vorhaben, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden. Seit etwa 1780 bezeichnet der Begriff auch diese geistige und soziale Reformbewegung, ihre Vertreter und das zurückliegende Zeitalter der Aufklärung in der Geschichte Europas und Nordamerikas. Es wird meist auf etwa 1650 bis 1800 datiert.
Daniel Chodowiecki 1791: Im Moment der Aufklärung, zu dem die römische Göttin der Erkenntnis, Minerva, das Licht spendet, finden die Religionen der Welt zusammen.
Als wichtige Kennzeichen der Aufklärung gelten die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Orientierung am Naturrecht. Gesellschaftspolitisch zielte die Aufklärung auf mehr persönliche Handlungsfreiheit (Emanzipation), Bildung, Bürgerrechte, allgemeine Menschenrechte und das Gemeinwohl als Staatspflicht. Viele Vordenker der Aufklärung waren optimistisch, eine vernunftorientierte Gesellschaft werde die Hauptprobleme menschlichen Zusammenlebens schrittweise lösen. Dazu vertrauten sie auf eine kritische Öffentlichkeit. Kritik an diesem „Vernunftglauben“ entstand seit etwa 1750 unter den Aufklärern selbst, dann im Sturm und Drang und in der Romantik.
Aufklärerische Impulse beeinflussten Literatur, Schöne Künste und Politik, etwa die Amerikanische Revolution von 1776 und die Französische Revolution von 1789. Sie beeinflussen viele Gesellschaftsbereiche bis heute, so dass der Begriff auch den gesamten Rationalisierungsprozess der Moderne bezeichnet.
Seit 1945 wird die europäische Aufklärung angesichts ihrer Spätfolgen auch als unabgeschlossenes und ambivalentes Projekt gedeutet, etwa in der Frankfurter Schule. Analoge Emanzipationsprozesse, ihr Fehlen oder ihre Notwendigkeit werden auch bei anderen Kulturen diskutiert.
Begriff
Herkunft
Der Begriff Aufklärung ist eng verbunden mit der frühmodernen Verurteilung des Mittelalters als einer Epoche der Dunkelheit und des finsteren Aberglaubens, die im Vergleich zur Antike als rückständig galt. Die Neuzeit sollte der Dunkelheit des Mittelalters das Licht der Erkenntnis entgegensetzen. Die Lichtmetaphorik konnte von der Antike übernommen werden: Vom Licht der Erkenntnis wurde in der griechischen Philosophie, in der spätantiken Gnostik sowie in der Bibel gesprochen. Der Ausdruck ist zugleich mit einer Bemühung um Klarheit der Begriffe (clare et distincte) als Maßstab der Wahrheit verbunden – etwa bei René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Heinrich Lambert.
Das englische Verb „to enlighten“ und das Partizip „enlightened“ waren seit dem 17. Jahrhundert üblich. Sie bedeuten „Verständnis schaffen“ und „aufgeklärt“ im Sinne von „über eine Sache erhellend informiert“. Das Substantiv Enlightenment wurde erst im 20. Jahrhundert als Epochenbegriff gängig.[1] Der deutsche Ausdruck Aufklärung wurde um 1770 üblicher. Immanuel Kants berühmte Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (Dezember 1784) reagierte auf einen Aufruf der Berliner Monatsschrift zur Klärung eines Begriffs. Auch hier ging der Epochenbegriff aus dem bis dahin unauffälligen Sprechen von „aufklären“ im Sinne von „sich über einen Sachverhalt Klarheit verschaffen“ hervor. Nach Kant ist Aufklärung „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, also die Entwicklung zu einer mündigen Persönlichkeit, zugleich erklärte er „sapere aude“ („wage es, weise zu sein!“) zum Wahlspruch der Aufklärung.
Epochenbildung
Die Aufklärungsdiskussion ab 1650 nahm Vorstellungen des Renaissance-Humanismus und der Reformation zwischen 1480 und 1550 auf, die das Mittelalter als vergangene Epoche definierten und von der Gegenwart eine Neuausrichtung in Form einer Wiederbelebung der Antike forderten, um dem Mittelalter zu entrinnen. Der Lichtmetaphorik bezüglich des „finsteren“ Mittelalters entsprach nun kontrastierend ein „helleres“ Zeitalter.
In der Querelle des Anciens et des Modernes, dem Streit der „Alten und der Neuen“ zwischen 1680 und 1720 diskutierte man, ob die Moderne nicht eine ganz eigene Kultur hervorbringe – eine Zivilisation, die dem Mittelalter und der Antike überlegen sei. In den 1730er und 1740er Jahren bekämpfte die Aufklärung noch immer traditionelle und scholastische Gegenströmungen, nun aber im Bewusstsein, mit der gesamten Vergangenheit zu brechen und sich von vorherigen Autoritäten zu lösen.
Jean-Baptiste Dubos sprach 1732 erstmals von einem Siècle des Lumières („Jahrhundert der Lichter“). Jean-Jacques Rousseau und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1751 in seiner Einleitung zur Encyclopédie) griffen den Ausdruck auf. Die Vertreter dieser neuen Denkweise wurden Les Lumières genannt.
Eine rückblickende Kontroverse, wie diese Epoche zu verstehen sei, ereignete sich zwischen 1780 und 1800. Eine geschlossene Theorie der Aufklärung fand keine Verbreitung. Eher wurden Theorien der Aufklärung zwischen Gruppen, die das Wort für sich beanspruchten, sich von ihm distanzierten oder einander das Recht absprachen, in der Tradition der Aufklärung zu stehen, diskutiert. Grundgedanken wie die Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, wie sie in die Verfassung der Vereinigten Staaten einflossen, wurden von einzelnen Aufklärern wie Edmund Burke oder Moses Mendelssohn kritisch betrachtet.[2]
Die historischen Eckdaten der Epoche sind je nach Fachgebiet verschieden. Ein relativ eng gefasster Begriff von Aufklärung besteht in der Germanistik, die Johann Christoph Gottsched und Gotthold Ephraim Lessing als die zentralen Vertreter der Epoche begreift und diese vom Barock und dem 17. Jahrhundert absetzt. Forscher wie Werner Krauss stellten der Hauptphase eine Frühaufklärung voran, die ins 17. Jahrhundert zurückreicht, und setzten eine Spätaufklärung vor 1800 an. Jürgen Osterhammel datiert das Zeitalter der Aufklärung zwischen 1680 und 1830.[3]
In der breiteren internationalen Forschung setzte sich demgegenüber ein Interesse an „Diskursen der Aufklärung“ in der frühen Neuzeit durch, also etwa zwischen 1500 und 1800. In jüngster Zeit wurde das 17. Jahrhundert als Phase eigenständiger radikaler und subversiver Denkbewegungen entdeckt. Wichtig wurde hier besonders Jonathan Israels Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity, 1650–1750 von 2001. Nach wie vor wird der Schwerpunkt der Aufklärung zwischen 1750 und 1780 gesehen.
Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert auch auf die klassische Epoche im antiken Griechenland übertragen. Man sprach von einer „ersten“ Aufklärung und bezog sich dabei einerseits auf das methodisch-kritische Fragen des platonischen Sokrates und seine Wendung gegen sophistische Lehren, andererseits auf sophistische Denker wie Protagoras.
Eine „Epoche“ der Aufklärung blieb wegen fließender Übergänge in vielen Bereichen schwer abgrenzbar. So fand in der Musikgeschichte um 1800 eine Abkehr von der Barockmusik statt, besonders von der Gattung der Fuge. Ähnlich ergebnislos wurde diskutiert, ob die „Empfindsamkeit“ eine emotionale Seite der Aufklärung sei oder eine Gegenströmung. Die Forschung vermeidet Konflikte um die epochale Zuordnung solcher Begriffe, indem sie von der „frühen Neuzeit“ oder dem „18. Jahrhundert“ spricht.
Voraussetzungen
Größere technologische und politische Umwälzungen unterscheiden die Frühe Neuzeit vom Mittelalter und vom 19. Jahrhundert. Der Buchdruck brachte ab etwa 1500 eine neue Öffentlichkeit hervor. Der Entdeckung Amerikas 1492 folgte eine Neuorganisation des europäischen Mächtegewichts. Die Reformation veränderte ab 1520 Europas Bündniskonstellationen und das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Erst im 19. Jahrhundert entstand ein neuer Typus des Nationalstaats, der die Säkularisation durchsetzte, moderne Bildungssysteme etablierte und die Industrialisierung vorantrieb.
Beim Begriff der Aufklärung geht es auch um die Prozesse zwischen diesen frühneuzeitlichen Eckpunkten. Man versucht die fortschrittlichen Faktoren zu definieren, die in das 19. Jahrhundert führten. Widerstände gegen diesen Fortschritt werden anti-aufklärerischen Kräften oder unreflektierten Traditionen zugeordnet. Die Epochendefinition rückt vor allem publizistisch tätige Gruppen in den gesellschaftlichen Fokus: Wissenschaftler, Journalisten, Autoren, Regenten, die Traditionen der Kritik unterzogen, indem sie sich auf die Vernunftperspektive beriefen.
Bestrebungen, das Wissen der Zeit mit neuen Bildungssystemen, neuer Pädagogik, durch Bücher und Journale in der Bevölkerung zu verbreiten, ergänzten die primär wissenschaftlichen Diskussionsfelder der Aufklärungsepoche. Die damaligen öffentlichen Diskussionen politischer und gesellschaftlicher Prozesse spielen eine zentrale Rolle in der aktuellen Definition der Aufklärung. Die Verbreitung der Lesefähigkeit bot dafür eine wichtige Voraussetzung. Die Reformation brachte in den protestantischen Ländern einen Schub mit Aufrufen, eine persönliche Beziehung zur Bibel herzustellen, und mit einer eigenen Kultur der Streitschriften. In katholischen Gebieten gewann Erbauungsliteratur einen vergleichbaren Markt. In West- und Mitteleuropa festigte sich Alphabetisierung ab den 1620ern durch die Zirkulation von Zeitungen als den gängigsten modernen Lektüreartikeln. Ab 1650 weichte die Grenze zwischen dem akademischen und dem öffentlich verfügbaren Wissen auf: Zwischen den Wissenschaften und dem niederen Markt der Volksbücher war ein breites Angebot an „schöner Literatur“ (belles lettres) entstanden, die sich primär durch Eleganz definierte und in den Städten das bürgerliche Publikum erreichte, besonders die Altersgruppe zwischen 20 und 40 und Frauen. Ab 1660 stellten sich auch die Wissenschaften auf das breitere Interesse ein. Die Publikation in den Landessprachen wurde in Frankreich (hier betreut durch die Académie française) die Regel. In England gewann das Englische mit London als Druckort mit kommerziell orientiertem Buchmarkt Bedeutung. In den Niederlanden wurde ab 1660 auf Französisch für den gesamten europäischen Markt gedruckt, der niederländische Markt blieb unterentwickelt.
In Deutschland stellten sich die Wissenschaften relativ langsam vom Lateinischen auf die Landessprache um. Christian Thomasius versuchte als Erster, deutsche Vorlesungen einzurichten, und begründete dies 1687 mit der Notwendigkeit, die Franzosen nachzuahmen. Im 18. Jahrhundert distanzierte sich eine zunehmend nationale Strömung von Frankreich als einem nun abschätzig betrachteten Modelieferanten. Ab 1720 nutzten Aufklärer in Deutschland die Landessprache gezielt, um Modernisierungsprozesse außerhalb der universitären Gelehrsamkeit voranzutreiben.
Noch stockender verliefen die Entwicklungen in Nord- und Osteuropa. Der deutsche Buchmarkt war in Skandinavien neben dem französischen präsent; ein eigener skandinavischer hatte hier erschwerte Startbedingungen. In Osteuropa richtete sich der Adel westeuropäisch aus; Frankreich blieb hier Orientierungspunkt. Eine kommerzielle bürgerliche Kultur der Bildung bauten Osteuropas Nationen erst in den Nationalisierungsprozessen des 19. Jahrhunderts auf. Aufklärerische Potentiale gelangten hier über die aristokratische Oberschicht kaum hinaus.
Über 1700 hinaus blieb die Theologie das zentrale Diskussionsfeld, wie sich schon an der Buchproduktion zeigte. Im Lauf des 18. Jahrhunderts etablierten die Naturwissenschaften Erkenntnisse im Gegensatz zur Bibel. Obskurantismus und Szientismus standen sich nun als Pole polemischer Kritik gegenüber. Die Belletristik schuf einen neuen Bereich breiter Lektüre, in dem sich die Bevölkerung mit persönlichen Leitbildern ausstattete. Die Geschichtsschreibung wurde der neue Ort gesellschaftsweiter Kontroversen um die historische Selbstverortung. In den 1760ern wuchs die Produktion historischer und belletristischer Schriften enorm und drängte die Theologie an den Rand.
Um 1800 wurde die gesamte Bildung schrittweise in Europa reformiert und auf die modernen öffentlichen Debatten ausgerichtet. Die alte Teilung der Universitäten in die vier Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie wich der Aufteilung in Naturwissenschaften und Technik, je einen Bereich der Sozialwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Die letzten beiden Bereiche wurden dabei für die Debatten zuständig, die in den modernen Gesellschaften öffentlich geführt werden.
Religion
Individuum, Staat, Kirche und religiöse Toleranz
Die Reformation löste in den von ihr betroffenen Gebieten Mittel-, West- und Nordeuropas neue theologische und politische Debatten aus, an denen sich große Bevölkerungsteile beteiligten. Die aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen grenzten sich gegeneinander ab, distanzierten sich aber auch gemeinsam von der Wissenschaftstradition der Scholastik. In Syllogismen über die Folgen von Definitionen nachzudenken und gestützt auf Autoritäten, besonders Aristoteles, zu argumentieren wurde zum Zeichen einer mittelalterlichen Wissenschaftlichkeit. Traditionsbrüche legitimierten sich anfangs fast durchweg als Versuche, zum Urchristentum zurückzukehren oder die gegenwärtige Religionsausübung danach zu reformieren. Das Individuum wurde in diesen Debatten persönlich angesprochen und zur Stellungnahme aufgefordert. Da die Obrigkeiten die konfessionelle Bindung der Bevölkerung nicht allein bestimmen konnten und Gebietsgrenzen sich später veränderten, entstanden konfessionelle Minderheiten. Die Frage ihrer Loyalität gegenüber dem Staat und der Religion, die er privilegierte, wurde juristisch und staatstheoretisch interessant.
In lutherischen Gebieten übernahm der jeweilige Landesherr die Leitung der Landeskirchen. Die reformierte Kirche betonte die grundsätzliche Gleichheit aller Gläubigen und baute neue kirchliche Strukturen auf, teils im Einvernehmen mit der Obrigkeit (so etwa in Genf oder Schottland), teils in Opposition zur katholischen oder lutherischen Herrschaft.
Im zunehmend absolutistisch regierten Frankreich eskalierte der Konflikt zwischen dem katholischen Königshaus und der calvinistischen Minderheit, den Hugenotten, in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts. Nach der Aufkündigung des Ediktes von Nantes 1685 kam es zu einer Massenauswanderung der Hugenotten.
Die Niederlande hatten sich calvinistisch orientiert und republikanisch verfasst. Sie gerieten mit der Dordrechter Synode von 1618/19 in eine Zerreißprobe über die Frage weiterer Teilungen unter den reformierten Protestanten. Danach kam es zu einer fortschreitenden stillschweigenden Liberalisierung. Ab den 1640ern wurden die Niederlande zum ersten Zufluchtsort für französische Hugenotten und verschiedenste Sekten und entwickelten einen gewissen Pluralismus.
In England trennte der König die Church of England zunächst aus politisch-dynastischen Motiven von Rom. Die theologische Reformation unter calvinistischen Vorzeichen folgte. Daher behielt diese Kirche trotz evangelischer Lehre einige katholische Formen und Riten bei. Der König hatte als ihr Oberhaupt einen besonders starken Einfluss auf deren Ausrichtung. Freikirchliche und reformierte Kreise gerieten deshalb in Konflikt mit Landeskirche und Staat zugleich und wurden verfolgt. Daraufhin wanderten viele Angehörige dieser religiösen Minderheiten nach Nordamerika aus. 1641/42 begann der englische Bürgerkrieg, der 1649 mit der ersten Hinrichtung eines Königs - Karl I. - endete. Mit dem Commonwealth of England folgte eine Militärdiktatur, an deren Ende das Parlament die Monarchie wiederherstellte.
Im Kontext dieser politischen Ereignisse fand die zentrale philosophisch-politische Debatte um das zukünftige Verhältnis zwischen Parlament, von ihm ausgehender Regierung, König, Kirche und Bürger statt. Die staatspolitischen Vorschläge von Thomas Hobbes 1651 und John Locke 1688/1689 wurden Meilensteine der Aufklärungsdiskussion. Die Problemlösungen wurden zuletzt nicht mehr in der Theologie, sondern der Philosophie und der von ihr inspirierten Rechtsdiskussion entschieden. Die Theologie verlor auch in den Niederlanden an Macht, wo man sich auf die Liberalisierung einließ, und in Frankreich, wo die Krone als bestimmende Instanz gewann.
Im christlich-orthodoxen Kulturraum Osteuropas dagegen wurde die Aufklärung zunächst vorwiegend vom Adel rezipiert.
Heterodoxien und die philosophische Kontroverse
Die Kontroversen um die Auslegungen der Bibel bereicherten die philosophischen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts – vor allem in den Niederlanden, wo der Pluralismus konkurrierender Auslegungen auf engstem Raum gedieh. Die neuen theologischen Positionen warfen samt und sonders erkenntnistheoretische Fragen auf: Wie beweist man religiöse Positionen? Worauf kann sich das Individuum bei seiner persönlichen Antwort auf eine theologische Frage berufen? Detailfragen boten den Naturwissenschaften interessante Prämissen. Calvinisten und Lutheraner entzweiten sich mit Blick auf die Determination und die Frage des Freien Willens: Hatte Gott zu Beginn der Schöpfung als allmächtiger Gott den gesamten Lauf des Universums festgelegt, dann bestand theoretisch für das Individuum kein Raum, etwas zu denken oder zu entscheiden, was Gott nicht schon eben so festgelegt hatte. In der modernen naturwissenschaftlichen Forschung ist Determination eine interessante Prämisse: Gott könnte tatsächlich der Welt Naturgesetze gegeben haben, nach denen alle weiteren Geschehnisse zwangsläufig aufeinanderfolgen. Die Forschung kann sich dem Projekt widmen, diese Gesetze zu erfassen. Mit dem Zweifel der Antitrinitarier an der Dreifaltigkeit Gottes ging es – wieder philosophisch betrachtet – um mehr: um die Frage nach einem universellen Gottesbild, auf das sich eventuell alle Religionen einigen könnten, um die Möglichkeit eines Deismus, einer Vorstellung eines Gottes, die diesem keine menschlichen Züge mehr gibt, ihn eher philosophisch definiert.
Mit der Vielzahl der Strömungen und den Kontroversen der Reformation endete im 17. Jahrhundert zunehmend die Hoffnung, eine einzelne Konfession als die wahre Religion erweisen zu können. Skeptizismus rechtfertigte sich heimlich in Untergrundschriften mit Blick auf die Vielzahl der Positionen. Baruch de Spinoza vertrat in seinem theologisch-politischen Traktat von 1670 die These, Judentum und Christentum seien lediglich vergängliche Phänomene ohne absolute Gültigkeit. John Toland behauptete 1696, die Bibel sei zum Teil eine menschliche Fälschung. In radikalen Schriften des Untergrunds diffamierten Autoren direkt oder indirekt Moses, Jesus und Mohammed als die drei „großen Betrüger der Menschheitsgeschichte“. Von der Zirkulation eines Buches De tribus impostoribus wurde berichtet, bis es schließlich 1716 als subversive Schrift auf den Markt kam. Gegenpositionen vertraten die als Bischöfe kirchlich gebundenen Philosophen Joseph Butler und George Berkeley.
Die zentralen Positionen, die im Laufe des 17. Jahrhunderts von „aufgeklärten“ Philosophen gegen Alleingültigkeitsansprüche einzelner Religionen in Anschlag gebracht werden, befinden sich in der theologischen Kontroverse: In der Reformation begegneten sich die Konfessionen wechselseitig mit Betrugsvorwürfen. Mit Blick auf außereuropäische Religionen teilten die Konfessionen die Anschauung, dass hier Religionen und Kulte auf dem Betrug von Priesterkasten basierten. Autoren wie Pierre Daniel Huet, katholischer Bischof von Avranches, stehen für die Aufklärung in der religiösen Debatte mit Versuchen, die Kulte der Antike zu enträtseln und dem modernen aufgeklärten Leser verständlicher zu machen, wie sie funktionierten. Dass man in diesen Kulten hermetische Lehren vertrat, sollte sicherstellen, dass Priester ihr Wissen (oder ihren Betrug) nur in Initiationsriten weitergaben. Auf Priesterbetrug seien viele der Kulte gegründet gewesen, die nach der Sintflut eingerichtet wurden, um die Bevölkerung unwissend und in Ehrfurcht zu halten – so der aufklärerische, den Betrug entlarvende Gedanke.
Im späten 17. Jahrhundert wendet sich die um aufgeklärte Diskussionen ringende neue theologische Debatte unter der Hand gegen das Christentum als schlicht auf dem Glauben basierender Religion. Die Diskussion, dass das Christentum selbst Traditionen verhaftet ist und auf antiken Kulten fußt, bereitet sich in einer neuen kirchengeschichtlichen Forschung vor. Die neue Auseinandersetzung mit Religion führt im 18. Jahrhundert zu zunehmend freien Konkurrenzprojekten: Zum philosophischen Deismus als Vernunftoption, zur Gründung von Geheimgesellschaften, die neue Zeremonien ausgestalten und sich dabei Vergangenheiten in antiken Kulten geben. Der Markt ketzerischer Positionen erzeugte einen fruchtbaren Grund, auf dem die Grenzen tolerierten Nachdenkens kreativ und subversiv ausgeweitet wurden. Europa öffnete sich im selben Moment der Geschichte als fremdem Raum genauso wie der außereuropäischen kulturellen Vielfalt. Antike Kulte wurden nicht nur in ihren geheimen Grundlagen entlarvt, sie wurden im selben Moment rekonstruiert. Die Geschichte der Häresien wurde am Ende von Gottfried Arnolds ab 1699 in einer revolutionären Unparteyischen Kirchen- und Ketzer-Historie neu beleuchtet. Seltene Sekten und exotische Religionen gewannen ein Liebhaberinteresse, das von der zunehmenden Relativierung aller Standpunkte lebte. Reisende, die die Niederlande besuchten, sahen bei den interessantesten Sekten vorbei, in der Hoffnung, curieuse Besonderheiten in Riten geboten zu erhalten. Reisende, die in den 1770ern den Pazifik und Nordamerika kennenlernten, begannen hier nach interessanten Glaubensvorstellungen zu suchen.
Weiter geht es in Teil 2
Daniel Chodowiecki 1791: Im Moment der Aufklärung, zu dem die römische Göttin der Erkenntnis, Minerva, das Licht spendet, finden die Religionen der Welt zusammen.
Als wichtige Kennzeichen der Aufklärung gelten die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Orientierung am Naturrecht. Gesellschaftspolitisch zielte die Aufklärung auf mehr persönliche Handlungsfreiheit (Emanzipation), Bildung, Bürgerrechte, allgemeine Menschenrechte und das Gemeinwohl als Staatspflicht. Viele Vordenker der Aufklärung waren optimistisch, eine vernunftorientierte Gesellschaft werde die Hauptprobleme menschlichen Zusammenlebens schrittweise lösen. Dazu vertrauten sie auf eine kritische Öffentlichkeit. Kritik an diesem „Vernunftglauben“ entstand seit etwa 1750 unter den Aufklärern selbst, dann im Sturm und Drang und in der Romantik.
Aufklärerische Impulse beeinflussten Literatur, Schöne Künste und Politik, etwa die Amerikanische Revolution von 1776 und die Französische Revolution von 1789. Sie beeinflussen viele Gesellschaftsbereiche bis heute, so dass der Begriff auch den gesamten Rationalisierungsprozess der Moderne bezeichnet.
Seit 1945 wird die europäische Aufklärung angesichts ihrer Spätfolgen auch als unabgeschlossenes und ambivalentes Projekt gedeutet, etwa in der Frankfurter Schule. Analoge Emanzipationsprozesse, ihr Fehlen oder ihre Notwendigkeit werden auch bei anderen Kulturen diskutiert.
Begriff
Herkunft
Der Begriff Aufklärung ist eng verbunden mit der frühmodernen Verurteilung des Mittelalters als einer Epoche der Dunkelheit und des finsteren Aberglaubens, die im Vergleich zur Antike als rückständig galt. Die Neuzeit sollte der Dunkelheit des Mittelalters das Licht der Erkenntnis entgegensetzen. Die Lichtmetaphorik konnte von der Antike übernommen werden: Vom Licht der Erkenntnis wurde in der griechischen Philosophie, in der spätantiken Gnostik sowie in der Bibel gesprochen. Der Ausdruck ist zugleich mit einer Bemühung um Klarheit der Begriffe (clare et distincte) als Maßstab der Wahrheit verbunden – etwa bei René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Heinrich Lambert.
Das englische Verb „to enlighten“ und das Partizip „enlightened“ waren seit dem 17. Jahrhundert üblich. Sie bedeuten „Verständnis schaffen“ und „aufgeklärt“ im Sinne von „über eine Sache erhellend informiert“. Das Substantiv Enlightenment wurde erst im 20. Jahrhundert als Epochenbegriff gängig.[1] Der deutsche Ausdruck Aufklärung wurde um 1770 üblicher. Immanuel Kants berühmte Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (Dezember 1784) reagierte auf einen Aufruf der Berliner Monatsschrift zur Klärung eines Begriffs. Auch hier ging der Epochenbegriff aus dem bis dahin unauffälligen Sprechen von „aufklären“ im Sinne von „sich über einen Sachverhalt Klarheit verschaffen“ hervor. Nach Kant ist Aufklärung „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, also die Entwicklung zu einer mündigen Persönlichkeit, zugleich erklärte er „sapere aude“ („wage es, weise zu sein!“) zum Wahlspruch der Aufklärung.
Epochenbildung
Die Aufklärungsdiskussion ab 1650 nahm Vorstellungen des Renaissance-Humanismus und der Reformation zwischen 1480 und 1550 auf, die das Mittelalter als vergangene Epoche definierten und von der Gegenwart eine Neuausrichtung in Form einer Wiederbelebung der Antike forderten, um dem Mittelalter zu entrinnen. Der Lichtmetaphorik bezüglich des „finsteren“ Mittelalters entsprach nun kontrastierend ein „helleres“ Zeitalter.
In der Querelle des Anciens et des Modernes, dem Streit der „Alten und der Neuen“ zwischen 1680 und 1720 diskutierte man, ob die Moderne nicht eine ganz eigene Kultur hervorbringe – eine Zivilisation, die dem Mittelalter und der Antike überlegen sei. In den 1730er und 1740er Jahren bekämpfte die Aufklärung noch immer traditionelle und scholastische Gegenströmungen, nun aber im Bewusstsein, mit der gesamten Vergangenheit zu brechen und sich von vorherigen Autoritäten zu lösen.
Jean-Baptiste Dubos sprach 1732 erstmals von einem Siècle des Lumières („Jahrhundert der Lichter“). Jean-Jacques Rousseau und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1751 in seiner Einleitung zur Encyclopédie) griffen den Ausdruck auf. Die Vertreter dieser neuen Denkweise wurden Les Lumières genannt.
Eine rückblickende Kontroverse, wie diese Epoche zu verstehen sei, ereignete sich zwischen 1780 und 1800. Eine geschlossene Theorie der Aufklärung fand keine Verbreitung. Eher wurden Theorien der Aufklärung zwischen Gruppen, die das Wort für sich beanspruchten, sich von ihm distanzierten oder einander das Recht absprachen, in der Tradition der Aufklärung zu stehen, diskutiert. Grundgedanken wie die Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, wie sie in die Verfassung der Vereinigten Staaten einflossen, wurden von einzelnen Aufklärern wie Edmund Burke oder Moses Mendelssohn kritisch betrachtet.[2]
Die historischen Eckdaten der Epoche sind je nach Fachgebiet verschieden. Ein relativ eng gefasster Begriff von Aufklärung besteht in der Germanistik, die Johann Christoph Gottsched und Gotthold Ephraim Lessing als die zentralen Vertreter der Epoche begreift und diese vom Barock und dem 17. Jahrhundert absetzt. Forscher wie Werner Krauss stellten der Hauptphase eine Frühaufklärung voran, die ins 17. Jahrhundert zurückreicht, und setzten eine Spätaufklärung vor 1800 an. Jürgen Osterhammel datiert das Zeitalter der Aufklärung zwischen 1680 und 1830.[3]
In der breiteren internationalen Forschung setzte sich demgegenüber ein Interesse an „Diskursen der Aufklärung“ in der frühen Neuzeit durch, also etwa zwischen 1500 und 1800. In jüngster Zeit wurde das 17. Jahrhundert als Phase eigenständiger radikaler und subversiver Denkbewegungen entdeckt. Wichtig wurde hier besonders Jonathan Israels Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity, 1650–1750 von 2001. Nach wie vor wird der Schwerpunkt der Aufklärung zwischen 1750 und 1780 gesehen.
Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert auch auf die klassische Epoche im antiken Griechenland übertragen. Man sprach von einer „ersten“ Aufklärung und bezog sich dabei einerseits auf das methodisch-kritische Fragen des platonischen Sokrates und seine Wendung gegen sophistische Lehren, andererseits auf sophistische Denker wie Protagoras.
Eine „Epoche“ der Aufklärung blieb wegen fließender Übergänge in vielen Bereichen schwer abgrenzbar. So fand in der Musikgeschichte um 1800 eine Abkehr von der Barockmusik statt, besonders von der Gattung der Fuge. Ähnlich ergebnislos wurde diskutiert, ob die „Empfindsamkeit“ eine emotionale Seite der Aufklärung sei oder eine Gegenströmung. Die Forschung vermeidet Konflikte um die epochale Zuordnung solcher Begriffe, indem sie von der „frühen Neuzeit“ oder dem „18. Jahrhundert“ spricht.
Voraussetzungen
Größere technologische und politische Umwälzungen unterscheiden die Frühe Neuzeit vom Mittelalter und vom 19. Jahrhundert. Der Buchdruck brachte ab etwa 1500 eine neue Öffentlichkeit hervor. Der Entdeckung Amerikas 1492 folgte eine Neuorganisation des europäischen Mächtegewichts. Die Reformation veränderte ab 1520 Europas Bündniskonstellationen und das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Erst im 19. Jahrhundert entstand ein neuer Typus des Nationalstaats, der die Säkularisation durchsetzte, moderne Bildungssysteme etablierte und die Industrialisierung vorantrieb.
Beim Begriff der Aufklärung geht es auch um die Prozesse zwischen diesen frühneuzeitlichen Eckpunkten. Man versucht die fortschrittlichen Faktoren zu definieren, die in das 19. Jahrhundert führten. Widerstände gegen diesen Fortschritt werden anti-aufklärerischen Kräften oder unreflektierten Traditionen zugeordnet. Die Epochendefinition rückt vor allem publizistisch tätige Gruppen in den gesellschaftlichen Fokus: Wissenschaftler, Journalisten, Autoren, Regenten, die Traditionen der Kritik unterzogen, indem sie sich auf die Vernunftperspektive beriefen.
Bestrebungen, das Wissen der Zeit mit neuen Bildungssystemen, neuer Pädagogik, durch Bücher und Journale in der Bevölkerung zu verbreiten, ergänzten die primär wissenschaftlichen Diskussionsfelder der Aufklärungsepoche. Die damaligen öffentlichen Diskussionen politischer und gesellschaftlicher Prozesse spielen eine zentrale Rolle in der aktuellen Definition der Aufklärung. Die Verbreitung der Lesefähigkeit bot dafür eine wichtige Voraussetzung. Die Reformation brachte in den protestantischen Ländern einen Schub mit Aufrufen, eine persönliche Beziehung zur Bibel herzustellen, und mit einer eigenen Kultur der Streitschriften. In katholischen Gebieten gewann Erbauungsliteratur einen vergleichbaren Markt. In West- und Mitteleuropa festigte sich Alphabetisierung ab den 1620ern durch die Zirkulation von Zeitungen als den gängigsten modernen Lektüreartikeln. Ab 1650 weichte die Grenze zwischen dem akademischen und dem öffentlich verfügbaren Wissen auf: Zwischen den Wissenschaften und dem niederen Markt der Volksbücher war ein breites Angebot an „schöner Literatur“ (belles lettres) entstanden, die sich primär durch Eleganz definierte und in den Städten das bürgerliche Publikum erreichte, besonders die Altersgruppe zwischen 20 und 40 und Frauen. Ab 1660 stellten sich auch die Wissenschaften auf das breitere Interesse ein. Die Publikation in den Landessprachen wurde in Frankreich (hier betreut durch die Académie française) die Regel. In England gewann das Englische mit London als Druckort mit kommerziell orientiertem Buchmarkt Bedeutung. In den Niederlanden wurde ab 1660 auf Französisch für den gesamten europäischen Markt gedruckt, der niederländische Markt blieb unterentwickelt.
In Deutschland stellten sich die Wissenschaften relativ langsam vom Lateinischen auf die Landessprache um. Christian Thomasius versuchte als Erster, deutsche Vorlesungen einzurichten, und begründete dies 1687 mit der Notwendigkeit, die Franzosen nachzuahmen. Im 18. Jahrhundert distanzierte sich eine zunehmend nationale Strömung von Frankreich als einem nun abschätzig betrachteten Modelieferanten. Ab 1720 nutzten Aufklärer in Deutschland die Landessprache gezielt, um Modernisierungsprozesse außerhalb der universitären Gelehrsamkeit voranzutreiben.
Noch stockender verliefen die Entwicklungen in Nord- und Osteuropa. Der deutsche Buchmarkt war in Skandinavien neben dem französischen präsent; ein eigener skandinavischer hatte hier erschwerte Startbedingungen. In Osteuropa richtete sich der Adel westeuropäisch aus; Frankreich blieb hier Orientierungspunkt. Eine kommerzielle bürgerliche Kultur der Bildung bauten Osteuropas Nationen erst in den Nationalisierungsprozessen des 19. Jahrhunderts auf. Aufklärerische Potentiale gelangten hier über die aristokratische Oberschicht kaum hinaus.
Über 1700 hinaus blieb die Theologie das zentrale Diskussionsfeld, wie sich schon an der Buchproduktion zeigte. Im Lauf des 18. Jahrhunderts etablierten die Naturwissenschaften Erkenntnisse im Gegensatz zur Bibel. Obskurantismus und Szientismus standen sich nun als Pole polemischer Kritik gegenüber. Die Belletristik schuf einen neuen Bereich breiter Lektüre, in dem sich die Bevölkerung mit persönlichen Leitbildern ausstattete. Die Geschichtsschreibung wurde der neue Ort gesellschaftsweiter Kontroversen um die historische Selbstverortung. In den 1760ern wuchs die Produktion historischer und belletristischer Schriften enorm und drängte die Theologie an den Rand.
Um 1800 wurde die gesamte Bildung schrittweise in Europa reformiert und auf die modernen öffentlichen Debatten ausgerichtet. Die alte Teilung der Universitäten in die vier Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie wich der Aufteilung in Naturwissenschaften und Technik, je einen Bereich der Sozialwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Die letzten beiden Bereiche wurden dabei für die Debatten zuständig, die in den modernen Gesellschaften öffentlich geführt werden.
Religion
Individuum, Staat, Kirche und religiöse Toleranz
Die Reformation löste in den von ihr betroffenen Gebieten Mittel-, West- und Nordeuropas neue theologische und politische Debatten aus, an denen sich große Bevölkerungsteile beteiligten. Die aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen grenzten sich gegeneinander ab, distanzierten sich aber auch gemeinsam von der Wissenschaftstradition der Scholastik. In Syllogismen über die Folgen von Definitionen nachzudenken und gestützt auf Autoritäten, besonders Aristoteles, zu argumentieren wurde zum Zeichen einer mittelalterlichen Wissenschaftlichkeit. Traditionsbrüche legitimierten sich anfangs fast durchweg als Versuche, zum Urchristentum zurückzukehren oder die gegenwärtige Religionsausübung danach zu reformieren. Das Individuum wurde in diesen Debatten persönlich angesprochen und zur Stellungnahme aufgefordert. Da die Obrigkeiten die konfessionelle Bindung der Bevölkerung nicht allein bestimmen konnten und Gebietsgrenzen sich später veränderten, entstanden konfessionelle Minderheiten. Die Frage ihrer Loyalität gegenüber dem Staat und der Religion, die er privilegierte, wurde juristisch und staatstheoretisch interessant.
In lutherischen Gebieten übernahm der jeweilige Landesherr die Leitung der Landeskirchen. Die reformierte Kirche betonte die grundsätzliche Gleichheit aller Gläubigen und baute neue kirchliche Strukturen auf, teils im Einvernehmen mit der Obrigkeit (so etwa in Genf oder Schottland), teils in Opposition zur katholischen oder lutherischen Herrschaft.
Im zunehmend absolutistisch regierten Frankreich eskalierte der Konflikt zwischen dem katholischen Königshaus und der calvinistischen Minderheit, den Hugenotten, in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts. Nach der Aufkündigung des Ediktes von Nantes 1685 kam es zu einer Massenauswanderung der Hugenotten.
Die Niederlande hatten sich calvinistisch orientiert und republikanisch verfasst. Sie gerieten mit der Dordrechter Synode von 1618/19 in eine Zerreißprobe über die Frage weiterer Teilungen unter den reformierten Protestanten. Danach kam es zu einer fortschreitenden stillschweigenden Liberalisierung. Ab den 1640ern wurden die Niederlande zum ersten Zufluchtsort für französische Hugenotten und verschiedenste Sekten und entwickelten einen gewissen Pluralismus.
In England trennte der König die Church of England zunächst aus politisch-dynastischen Motiven von Rom. Die theologische Reformation unter calvinistischen Vorzeichen folgte. Daher behielt diese Kirche trotz evangelischer Lehre einige katholische Formen und Riten bei. Der König hatte als ihr Oberhaupt einen besonders starken Einfluss auf deren Ausrichtung. Freikirchliche und reformierte Kreise gerieten deshalb in Konflikt mit Landeskirche und Staat zugleich und wurden verfolgt. Daraufhin wanderten viele Angehörige dieser religiösen Minderheiten nach Nordamerika aus. 1641/42 begann der englische Bürgerkrieg, der 1649 mit der ersten Hinrichtung eines Königs - Karl I. - endete. Mit dem Commonwealth of England folgte eine Militärdiktatur, an deren Ende das Parlament die Monarchie wiederherstellte.
Im Kontext dieser politischen Ereignisse fand die zentrale philosophisch-politische Debatte um das zukünftige Verhältnis zwischen Parlament, von ihm ausgehender Regierung, König, Kirche und Bürger statt. Die staatspolitischen Vorschläge von Thomas Hobbes 1651 und John Locke 1688/1689 wurden Meilensteine der Aufklärungsdiskussion. Die Problemlösungen wurden zuletzt nicht mehr in der Theologie, sondern der Philosophie und der von ihr inspirierten Rechtsdiskussion entschieden. Die Theologie verlor auch in den Niederlanden an Macht, wo man sich auf die Liberalisierung einließ, und in Frankreich, wo die Krone als bestimmende Instanz gewann.
Im christlich-orthodoxen Kulturraum Osteuropas dagegen wurde die Aufklärung zunächst vorwiegend vom Adel rezipiert.
Heterodoxien und die philosophische Kontroverse
Die Kontroversen um die Auslegungen der Bibel bereicherten die philosophischen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts – vor allem in den Niederlanden, wo der Pluralismus konkurrierender Auslegungen auf engstem Raum gedieh. Die neuen theologischen Positionen warfen samt und sonders erkenntnistheoretische Fragen auf: Wie beweist man religiöse Positionen? Worauf kann sich das Individuum bei seiner persönlichen Antwort auf eine theologische Frage berufen? Detailfragen boten den Naturwissenschaften interessante Prämissen. Calvinisten und Lutheraner entzweiten sich mit Blick auf die Determination und die Frage des Freien Willens: Hatte Gott zu Beginn der Schöpfung als allmächtiger Gott den gesamten Lauf des Universums festgelegt, dann bestand theoretisch für das Individuum kein Raum, etwas zu denken oder zu entscheiden, was Gott nicht schon eben so festgelegt hatte. In der modernen naturwissenschaftlichen Forschung ist Determination eine interessante Prämisse: Gott könnte tatsächlich der Welt Naturgesetze gegeben haben, nach denen alle weiteren Geschehnisse zwangsläufig aufeinanderfolgen. Die Forschung kann sich dem Projekt widmen, diese Gesetze zu erfassen. Mit dem Zweifel der Antitrinitarier an der Dreifaltigkeit Gottes ging es – wieder philosophisch betrachtet – um mehr: um die Frage nach einem universellen Gottesbild, auf das sich eventuell alle Religionen einigen könnten, um die Möglichkeit eines Deismus, einer Vorstellung eines Gottes, die diesem keine menschlichen Züge mehr gibt, ihn eher philosophisch definiert.
Mit der Vielzahl der Strömungen und den Kontroversen der Reformation endete im 17. Jahrhundert zunehmend die Hoffnung, eine einzelne Konfession als die wahre Religion erweisen zu können. Skeptizismus rechtfertigte sich heimlich in Untergrundschriften mit Blick auf die Vielzahl der Positionen. Baruch de Spinoza vertrat in seinem theologisch-politischen Traktat von 1670 die These, Judentum und Christentum seien lediglich vergängliche Phänomene ohne absolute Gültigkeit. John Toland behauptete 1696, die Bibel sei zum Teil eine menschliche Fälschung. In radikalen Schriften des Untergrunds diffamierten Autoren direkt oder indirekt Moses, Jesus und Mohammed als die drei „großen Betrüger der Menschheitsgeschichte“. Von der Zirkulation eines Buches De tribus impostoribus wurde berichtet, bis es schließlich 1716 als subversive Schrift auf den Markt kam. Gegenpositionen vertraten die als Bischöfe kirchlich gebundenen Philosophen Joseph Butler und George Berkeley.
Die zentralen Positionen, die im Laufe des 17. Jahrhunderts von „aufgeklärten“ Philosophen gegen Alleingültigkeitsansprüche einzelner Religionen in Anschlag gebracht werden, befinden sich in der theologischen Kontroverse: In der Reformation begegneten sich die Konfessionen wechselseitig mit Betrugsvorwürfen. Mit Blick auf außereuropäische Religionen teilten die Konfessionen die Anschauung, dass hier Religionen und Kulte auf dem Betrug von Priesterkasten basierten. Autoren wie Pierre Daniel Huet, katholischer Bischof von Avranches, stehen für die Aufklärung in der religiösen Debatte mit Versuchen, die Kulte der Antike zu enträtseln und dem modernen aufgeklärten Leser verständlicher zu machen, wie sie funktionierten. Dass man in diesen Kulten hermetische Lehren vertrat, sollte sicherstellen, dass Priester ihr Wissen (oder ihren Betrug) nur in Initiationsriten weitergaben. Auf Priesterbetrug seien viele der Kulte gegründet gewesen, die nach der Sintflut eingerichtet wurden, um die Bevölkerung unwissend und in Ehrfurcht zu halten – so der aufklärerische, den Betrug entlarvende Gedanke.
Im späten 17. Jahrhundert wendet sich die um aufgeklärte Diskussionen ringende neue theologische Debatte unter der Hand gegen das Christentum als schlicht auf dem Glauben basierender Religion. Die Diskussion, dass das Christentum selbst Traditionen verhaftet ist und auf antiken Kulten fußt, bereitet sich in einer neuen kirchengeschichtlichen Forschung vor. Die neue Auseinandersetzung mit Religion führt im 18. Jahrhundert zu zunehmend freien Konkurrenzprojekten: Zum philosophischen Deismus als Vernunftoption, zur Gründung von Geheimgesellschaften, die neue Zeremonien ausgestalten und sich dabei Vergangenheiten in antiken Kulten geben. Der Markt ketzerischer Positionen erzeugte einen fruchtbaren Grund, auf dem die Grenzen tolerierten Nachdenkens kreativ und subversiv ausgeweitet wurden. Europa öffnete sich im selben Moment der Geschichte als fremdem Raum genauso wie der außereuropäischen kulturellen Vielfalt. Antike Kulte wurden nicht nur in ihren geheimen Grundlagen entlarvt, sie wurden im selben Moment rekonstruiert. Die Geschichte der Häresien wurde am Ende von Gottfried Arnolds ab 1699 in einer revolutionären Unparteyischen Kirchen- und Ketzer-Historie neu beleuchtet. Seltene Sekten und exotische Religionen gewannen ein Liebhaberinteresse, das von der zunehmenden Relativierung aller Standpunkte lebte. Reisende, die die Niederlande besuchten, sahen bei den interessantesten Sekten vorbei, in der Hoffnung, curieuse Besonderheiten in Riten geboten zu erhalten. Reisende, die in den 1770ern den Pazifik und Nordamerika kennenlernten, begannen hier nach interessanten Glaubensvorstellungen zu suchen.
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Teil 2
Judentum, Islam, Hinduismus und Konfuzianismus
Jesuitische Ausgabe der konfuzianischen Philosophie von 1687: China etablierte nach der Sintflut einen bewundernswerten philosophischen Religionsersatz.
Das Verhältnis des Christentums zu den Weltreligionen entspannt sich im 18. Jahrhundert zunehmend. Meilensteine sind hier die Bemühungen der Jesuiten, ab den 1660ern China zu missionieren. Sie erhalten dazu am chinesischen Hof die Möglichkeit, falls sie den Riten des Konfuzianismus tolerant begegnen. Im Ritenstreit halten ihnen konkurrierende Orden Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts vor, in China Vielgötterei zu betreiben. In ihren eigenen Publikationen hatten die Jesuiten dafür plädiert, den Konfuzianismus nicht als Religion, sondern als aufgeklärte Staatsphilosophie zu lesen. Gottfried Wilhelm Leibniz übersetzte jesuitische Schriften dieser Tendenz. Christian Wolff riskierte 1723 seine Position, nachdem er in einer Vorlesung über Chinesen die Auffassung vertreten hatte, auch Heiden könnten tugendhaft sein. Die Frage der Toleranz und des Verhältnisses zwischen Philosophie und Religion gewann mit der kulturellen Konfrontation neue Extrempositionen.
Der Islam wurde seit dem Mittelalter als Feind der Christenheit gehandelt. Nach der Zurückschlagung der Türken vor Wien 1683 setzte um 1700 eine öffentliche Mode islamischer Kultur ein. Die Übersetzung der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht (1704 ff.) erzeugte in Westeuropa die Sensation, Moslems könnten am Ende den Christen kulturell unterlegen, jedoch möglicherweise in ihrer Moral viel reiner und unschuldiger sein. Montesquieus Lettres Persanes (1721) spielten dieses Moment der Islam-Würdigung in einer Kritik an der Zivilisation des Westens und des Christentums aus: Ein persischer Beobachter betrachtet hier Europa aus der überlegenen Perspektive seiner Kultur und Religion. Eine Entwicklungslinie verläuft von Pierre Daniel Huets Erklärungen antiker und fremder Religionen bis zu Fiktionen der 1770er, die wie Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise (1779) den Gedanken interreligiöser Achtung auf die Bühnen brachten und öffentlich diskutierten. Es gab eine negative Kritik an der islamischen Kultur, die mit dem Satz „Der Islam kennt keine Aufklärung” begründet wurde. Eine gegenteilige Hypothese geht davon aus, dass eine spezifische Aufklärungstradition in der islamischen Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts verborgen ist und diese durch die Rezeption der „europäischen” Aufklärung durch muslimische Intellektuelle des 19. Jahrhunderts gleichzeitig bestätigt und verschüttet worden ist. Allerdings ist es schwierig für die Wissenschaftler, diese Hypothese zu bestätigen, da die Analyse eines asiatischen Kontextes (z. B. Islam) durch einen europäischen Terminus (z. B. Aufklärung) problematisch ist.
Im Hinduismus gibt es eine ähnliche Diskussion wie im Islam. (Der Hinduismus kennt keine Aufklärung.) In dem Aufsatz, der von Paul Hacker zuerst 1957 veröffentlicht wurde, behandelte er das Thema „Inklusivismus‟ in seinem Verhältnis zur Toleranz im Hinduismus, die ihren Ursprung in dem europäischen Deismus des 18. Jahrhunderts wegen dessen aufklärischer Tendenz hatte. Der Begriff „Toleranz‟ ist nach Wilhelm Halbfass als eine neuzeitliche europäische Idee oder Ideologie zu verstehen. Dies muss man berücksichtigen, wenn man den Begriff auf außereuropäische Traditionen bzw. auf Perioden vor der Neuzeit anwendet. D. h., die Diskussion, ob es Aufklärung im Hinduismus gab oder nicht, kann nicht genau überprüft werden, weil die Kriterien für die Diskussion unklar sind.
Das europäische Judentum schaltete sich in den 1770ern in die neue Diskussion ein. Der hebräische Begriff Haskala bezeichnete von da an die neuen jüdischen Emanzipationsbestrebungen in West- und Mitteleuropa sowie in Osteuropa. Der Kreis um Moses Mendelssohn, Marcus Herz und David Friedländer bemühte sich um eine Trennung von Religion und Staat und zugleich um eine Integration der jüdischen Bürger in die deutsche Gesellschaft. Dieses Denken gab einen wesentlichen Impuls für die Judenemanzipation in Preußen. Dies war ein Grund, der die Haskala in West- und Mitteleuropa als erfolgreich gelten ließ, in Osteuropa scheiterte sie jedoch am Widerstand orthodox-jüdischer Kreise.
Theodizee und Deismus
Für die Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert als Aufklärer in die Diskussion um religiöse Vielfalt und Toleranz mischten, wurde der Gedanke bestimmend, dass es in allen Religionen und Konfessionen einen rationalen Kern des Glaubens gebe.[5] In Form des sich ausbreitenden Deismus als Vernunftreligion wurde diese Option im 18. Jahrhundert mit zunehmender Offenheit diskutiert. In Verbindung damit ergab sich die Zusatzoption einer Gotteserkenntnis aus den modernen Wissenschaften heraus. Diese, so hieß es nun, setzen Gott als Schöpfer voraus und bestätigen seine Weisheit in den Naturgesetzen. Von der Welt als „Uhrwerk“ wurde hier in einer beliebten Metapher gesprochen, die Gott aus dem aktuellen Weltgeschehen herausdrängt und damit Berichte von Wundern diskreditiert: Die deistische naturwissenschaftliche Option ist, dass Gott die Welt mit allen Naturgesetzen geschaffen habe und nun ihrer gesetzlichen Bewegung überlasse. Neben das Bild von Gott als handelndem Gegenüber traten abstraktere Bilder von Gott als Prinzip und von Gott als nicht mehr in die Welt eingreifender, sie den Menschen überlassender Instanz.
Die gesamte Diskussion ist im Rückblick eng gebunden an eine Diskussion der Scholastik – und erwies sich gerade deshalb als Diskussion, der das Christentum kaum kritisch begegnen konnte. Definierte man Gott über die Idee seiner Vollkommenheit, so konnte man aus dieser Idee beweisen, dass es ihn geben musste: Nur ein existierender Gott sei vollkommen. Die Idee, dass die von Gott geschaffene Welt perfekt sein müsse, entfaltete sich als neues attraktives Argument in dieser Debatte im späten 17. Jahrhundert: Sie findet sich bei Anthony Ashley-Cooper, dem 3. Earl of Shaftesbury, verknüpft mit dem Gedanken, dass alle Lebewesen in der Natur in perfekt organisierten Gleichgewichten zusammenleben.[6] Gottfried Wilhelm Leibniz verband das Postulat in seinen Essais de théodicée' mit Folgepostulaten wie demjenigen, dass es unendlich viele bewohnte Welten geben müsse: Die Welt, auf der wir leben, sei offenkundig nicht vollkommen, im Universum müsse es darum weitere bewohnte Welten geben, die gemeinsam das perfekte Universum Gottes bildeten. Shaftesbury verteidigte demgegenüber die bestehende Welt als perfekt und postulierte, dass dem Menschen letztlich lediglich das Wissen und die Perspektive fehlen würden, diese Perfektion zu erkennen. Man erfasse sie in der Regel allenfalls mit einer Ahnung, die einem ein Gefühl für die Harmonie der Schöpfung gebe. Mit der Theodizee-Debatte verband sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die spezifisch aufklärerische Fortschrittsdebatte um die Idee, die Welt erreiche erst im komplizierten Prozess der Aufklärung die Vollkommenheit, die Gott ermöglichte. Konkret wurde die Diskussion mit dem Erdbeben von Lissabon 1755, als Voltaire ein pessimistisches Gedicht über die Katastrophe von Lissabon verfasste und Rousseau ihn in einem Brief darauf hinwies, dass die Schäden nicht der Natur, sondern der Lebensweise des Menschen und seiner Art, eine Stadt zu bauen, anzulasten seien. Weder die Welt noch der Mensch seien von Natur aus böse.[7]
Der Deismus geriet in der Zeit der Romantik in den Ruf, eine kalte rationale Konstruktion zu sein, die dem Menschen keine religiöse Heimat geben könne. Er führte auf der anderen Seite im 19. Jahrhundert zu Versuchen, Religion gänzlich zu ersetzen, wie sie vor allem im Materialismus und im Positivismus im 19. Jahrhundert hervortreten.
Wissenschaft
Medizin und Naturphilosophie
Darstellungen des 20. Jahrhunderts nahmen die Aufklärung wiederholt als die große Phase der Naturwissenschaften wahr. Die Perspektive hierauf veränderte sich in den letzten Jahren. Die Naturwissenschaften gewannen keinen größeren Anteil am Buchmarkt und veränderten kaum die Lebensbedingungen im vorindustriellen Europa. Die frühe Neuzeit ist die Zeit der Kopernikanische Wende, doch lässt sich nicht behaupten, dass dem eine große allgemeine mentale Verunsicherung folgte.[8] Atlanten des 18. Jahrhunderts präsentieren die Weltbilder harmonisch nebeneinander. Zur frühen Neuzeit gehört der Umgang mit der Welt als Globus, doch war man vor der Entdeckung Amerikas bereits davon ausgegangen, dass die Welt eine Kugel war. Die großen technologischen Erfindungen, auf denen die moderne Medizin beruht, insbesondere der Bau erster Mikroskope und der Vorstoß in den Mikrokosmos, lassen sich in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Andererseits blieb die Medizin im Großen und Ganzen bei einer Kombination von Astrologie und aus der Antike bezogener Humoralpathologie stehen: Krankheiten entstanden durch Ungleichgewichte der vier Säfte. Zentrale Behandlungsoptionen waren der Aderlass, das Abführen schädlicher Stoffe, die Zuführung von Medikamenten, denen man zutraute, Hitze, Kälte, Wässerichkeit und Melancholie im Körper zu regulieren. Anatomen untersuchten das Gehirn und das Nervensystem und vermuteten mit Descartes, dass es mechanisch funktionierte oder mit ihm folgenden Forschern, dass es den Flüssigkeitstransport regulierte. Erst mit den Experimenten Luigi Galvanis wurde klarer, dass elektrische Impulse von den Nerven weitergeleitet wurden. Es blieb offen, was Elektrizität war. Theorien vom Zusammenhang zwischen Körper und Seele durchzogen die konventionelle Medizin des 18. Jahrhunderts basierend auf der Theorie, dass die Säfteungleichgewichte und -Verunreinigungen vom Menschen selbst als Gemütszustände erfahren würden. Die Entdeckung der bakteriellen und viralen Krankheitserreger und die Anstrengungen, Krankheiten durch Hygiene zu verhindern, folgen im Großen und Ganzen erst im 19. Jahrhundert und führen zu drastischen Veränderungen der Medizin (als zunehmend experimenteller Wissenschaft) und der Lebensbedingungen. Die Bevölkerungszahlen explodieren im 19. Jahrhundert, nachdem man die Säuglingssterblichkeit durch Hygiene drastisch senkt.
Die Lebenserwartung wurde von Edmond Halley erstmals 1692 korrekt statistisch erfasst und für die einzelnen Altersstufen berechnet: Für Neugeborene lag sie bis weit in das 18. Jahrhundert hinein bei 17 Jahren. Wer siebenjährig die Kinderkrankheiten hinter sich hatte, konnte mit einer Lebenserwartung von im Schnitt 50 Jahren rechnen, 40-Jährige rechneten mit weiteren 20 Jahren, 60-Jährige mit einem weiteren Jahrzehnt. Die großen Risiken lagen in der immensen Säuglingssterblichkeit.[9]
Tatsächlich wird Forschung in den Naturwissenschaften bis in das 18. Jahrhundert hinein selbst in Kreisen der Aufklärung immer wieder belächelt: Man sucht hier Wunder der Natur in Experimenten, die keinen weiteren wirtschaftlichen Nutzen entfalten. Noch Utopien, die am Ende der Aufklärungsdebatte geschrieben wurden – Werke wie Louis-Sébastien Mercier's L'An 2440 (1771) – messen den Naturwissenschaften im Blick auf die Zukunft kaum Bedeutung zu. Sie spielten nicht in einer Zukunft gänzlich anderer Technologien. Der Reiz des Nachdenkens liegt in der Zukunft, in der man endlich nach den Anforderungen der Ethik lebt.
Naturwissenschaften
Das Anatomisches Theater der Universität Leiden gefüllt mit Curiositäten und erbaulichen Mahnungen um 1610.
Der Raum der Naturwissenschaften im Alltag blieb bis in das späte 18. Jahrhundert hinein undefiniert. Kinder wurden im Lesen und Rechnen unterrichtet, an den Gymnasien in Latein und Altgriechisch. An den Universitäten stand die Entscheidung zwischen den drei berufsqualifizierenden Fakultäten der Theologie, der Jurisprudenz und der Medizin an. Die Naturwissenschaften wurden dagegen im philosophischen Grundstudium abgehandelt, das neben Basiswissen zur Planetenbewegung einen Unterricht in Geographie, Weltgeschichte und den Philologien (mit Spezialisierungen in Hebräisch, Altgriechisch und orientalischen Sprachen) anbot.
Die Naturwissenschaften gediehen in dieser Lage im ersten Schritt als Teilbereich philosophischer Erkenntnistheorie – als Naturerkenntnis – unter vor allem privaten Interessen. Philosophen wie René Descartes unterfütterten ihre Aussagen mit Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Die neuen Wissenschaften gediehen zweitens an wenigen planetarischen Observatorien und in alchemistischen Laboratorien, die von interessierten Landesherren finanziert wurden. Sie gediehen drittens in der Medizin in Anatomieklassen, die zunehmend an Universitäten eingerichtet wurden. Landesherren und Universitäten unterhielten „Wunderkammern“ mit unterschiedlicher Offenheit für Raritäten aus der Natur: Seltene Steine, Fossilien, ausgestopfte Tiere, aufsehenerregende „Monstrositäten“, Missgeburten wurden hier gesammelt. Menagerien sammelten in ähnlicher Absicht die Lebewesen. Systematische Forschung im modernen Sinne blieb unterentwickelt. Die öffentlichen Sammlungen standen oft unter einem Interesse an Wunderbefunden, die als göttliche Zeichen gewertet und geschätzt wurden.
Eine Koppelung zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und der Arbeit am technologischen Fortschritt bestand nicht. Naturwissenschaftliche Akademien, die ein staatliches Interesse in die Forschung in Gang setzten wurden erst im 17. Jahrhundert gebildet. 1635 wurde die Académie française gegründet. Ihr naturwissenschaftliches Projekt erhielt sie 1666 mit der Académie des sciences, sechs Jahre nachdem in London die Royal Society ihre Arbeit aufgenommen hatte, die rasch zur führenden europäischen Institution frühneuzeitlicher naturwissenschaftlicher Forschung aufstieg. Das korrespondierende deutsche Akademieprojekt entwickelte sich aus der 1652 in Schweinfurt gegründete Academia Naturae Curiosorum, deren Namen noch auf das Interesse am Wunderbaren verweist. Die Preußische Akademie der Wissenschaften nahm ihre Arbeit 1700 auf, die Russische Akademie der Wissenschaften 1724 in Sankt Petersburg.
Mit den naturwissenschaftlichen Akademien gewann der Austausch von Befunden und deren Publikation neue Organisationsformen – die Berechnung der Lebenserwartung durch Edmond Halley 1692/93 etwa demonstriert die Wirkungsweise: Das Datenmaterial hatte Caspar Neumann, ein Stadtpfarrer in Breslau, aus Sterberegistern erhoben und Gottfried Wilhelm Leibniz übersandt, der es an die Akademie in London schickte, die wiederum wusste, wer die Daten auswerten konnte. Die Publikation der Daten fand in den Philosophical Transactions, dem von der Royal Society seit 1665 herausgegebenen wissenschaftlichen Journal statt. Mit den Journalen, die seit 1664 von Forschergruppen und Akademien herausgegeben wurden, fanden die bislang dezentral publizierten und nicht konsequent bewerteten Befunde ihr zukunftsweisendes Publikationsmedium. Das Journal des Sçavans machte hier 1665 den Anfang (siehe Liste frühmoderner Zeitschriften mit einer Chronologie der Journalgründungen). Die ersten Journale wiesen erhebliche Sektionen für die Publikation naturwissenschaftlicher Befunde und ihre Diskussion auf. Fachzeitschriften übernahmen das Feld, als im 18. Jahrhundert die allgemeinen wissenschaftlichen Zeitschriften sich vermehrt auf den Bereich historischer Schriften ausrichteten. In den Spezialzeitschriften kam im 18. Jahrhundert die Professionalisierung der Naturwissenschaften voran. Einzelne Zeitschriften wie die Breslauischen Sammlungen nutzten das Periodikum als Medium, um laufende Forschung in Beobachtungsserien zu präsentieren. Mit den konsequenten Auswertungen naturwissenschaftlicher Befunde ebbte das Interesse an „Curiositäten“ ab. Für die wissenschaftliche Auswertung interessanter waren Observationen des Normalen, aus denen sich Naturgesetze und statistische Korrelationen ableiten ließen.
In größerer Breite blieben die Naturwissenschaften bis in die 1770er hinein ein Feld privater Interessen. Forscher wie Antoine Laurent de Lavoisier mussten sich privat finanzieren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich hier eine eigene Mode, spektakuläre Experimente, insbesondere mit Elektrizität, in Privatkreisen als aufsehenerregende gesellschaftliche Unterhaltung zu inszenieren. Erst die staatlichen Interessen, die sich in den 1770ern und 1780ern an Erfindungen mehrten, mit denen sich ihre Territorien wirtschaftlich entwickeln ließen, veränderten die Position der Naturwissenschaften. In den Naturwissenschaften selbst bereitet sich der Schritt ab Mitte des 17. Jahrhunderts vor. Die Suche nach Curiosa, nach den Zeichen von Wundern wird in Kreisen der hier Forschenden im späten 17. Jahrhundert zunehmend suspekt. Interessanter als Werke, die von Gott oder vom Teufel zeugen könnten, werden Beobachtungen, die sich in Experimenten wiederholen lassen. Aus ihnen lassen sich Naturgesetze ableiten, die sich am Ende für neue Erfindungen nutzen lassen.
Erkenntnistheorie
Im Rückblick entfalteten die Naturwissenschaften der frühen Neuzeit ihren größten Einfluss auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie. So ergaben sich die Voraussetzungen zu einer tiefgreifenden Umstrukturierung der Wissenschaften. Die zwei gegnerischen Lager, die die heutige Philosophiegeschichte zwischen Rationalisten und Empiristen aufmacht, sind eher eine rückwirkende Projektion, bei der der Konflikt, der im 19. Jahrhundert zwischen dem deutschen Idealismus und dem englischen Empirismus beziehungsweise dem neuen Materialismus ausgetragen wird, eine Vorgeschichte erhält.
René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz nehmen in dieser Debatte Positionen zugunsten einer Naturwissenschaft ein, in der das Schließen in Syllogismen legitim bleibt. Aus der Definition Gottes über seine Vollkommenheit werden weitere Schlüsse über die Welt als seine Schöpfung gezogen. Das Verfahren basiert auf einem immensen Vertrauen auf die Vernunft, die in der Logik ihren härtesten Kern findet. Namentlich die englischen Empiristen von John Locke bis zu David Hume distanzierten sich von dieser Grundlage der Erkenntnistheorie. Mit ihren Untersuchungen über den menschlichen Verstand[10] schufen sie eine neue Position in der philosophischen Literatur. Ihr Gegenmodell besagte, dass nichts Gegenstand menschlichen Denkens werden könne, was nicht vorher wahrgenommen worden sei.[11] Die Wissenschaften werden damit auf Beobachtung gestützt, ihre Schlüsse darauf verpflichtet, nichts weiter zu tun, als den Beobachtungen gerecht zu werden. Isaac Newton wird im Verlauf dieser Debatte als derjenige Forscher gefeiert, der aus den bestehenden Daten mit der größten Tragweite auf die Naturgesetze schloss. Ihm gelang die Begründung der modernen Optik und mit der Gravitationstheorie jene Theorie, die die von Johannes Kepler formulierten Gesetze erklärte. Alexander Pope würdigte Newton am Ende 1727 mit der Metaphorik der neuen Epoche:
„Nature and nature's laws lay hid in night;
God said „Let Newton be“ and all was light.“[12]
Rationalisten und Empiristen vereint im Rückblick die Entscheidung, Wissen von der Bibel und allen schriftlichen Überlieferungen loszulösen und einem ausschließlich vernunftbasierten Diskurs auszusetzen. Dem liegt die Theorie zugrunde, dass es keinen Konflikt zwischen einer auf Sinnesdaten gestützten Erkenntnis und vernünftigem Nachdenken geben könne.[13] Versuche, das rationale, vernünftige Nachdenken und eine auf Sinnesdaten gestützte Forschung erkenntnistheoretisch zu harmonisieren, durchlaufen das 18. Jahrhundert. Kants Formel: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (KrV B 75) ist charakteristisch für diese Versuche. Der erkenntnistheoretische Beitrag der Aufklärungsdebatte gewann mit der Wende ins 19. Jahrhundert und der Säkularisation an Bedeutung. Nationalstaaten, die die Naturwissenschaften zu den modernen Wissenschaften par excellence erhoben, trennten sich am Ende endgültig vom alten Wissenschaftsgefüge, in dem die Theologie die oberste Autorität war.
Ökonomie und neue Fakultäten
Zwei Entwicklungen sprengten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Gefüge der Wissenschaften mit seinen vier Fakultäten. Erstens mussten moderne praktische Wissenschaften rund um die Ökonomie in den Lehrbetrieb integriert werden. Zweitens gewann die Öffentlichkeit in der Belletristik mit den 1750ern einen neuen zentralen Debattengegenstand auf den sich die Geisteswissenschaften am Ende neu ausrichteten.
Die erste Entwicklung ließ sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts mitsamt ihren Konsequenzen absehen: Das Wissen hatte sich flexibilisiert, es lag jetzt mit einem unüberschaubaren Forschungsstand vor statt in systematisch gefügten Büchern, die die Welt abbildeten. Als publizierbare Marktware fand das Wissen Interesse weit außerhalb der universitären Wissenschaften. Die neuen Leser gerieten ohne Schulung in scholastischer Wissensgliederung an die Bücher und verlangten den direkten Zugriff auf Informationen. Johann Hübner beschrieb die Revolution in der Vorrede des Curieusen Natur- Kunst- Gewerck- und Handlungslexicons, das 1712 genau dies anbot: das moderne praktische Wissen aus Naturwissenschaften, Technik („Kunst“) und Wirtschaft („Handlung“):
„Vor Alters waren nur wenige Wissenschafften, und die waren auch nicht sonderlich ausgeführet: Es studirten auch wenige Leute, die begnügten sich, wenn sie eine oder die andere Disciplin ex professo verstunden; und die übrigen alle begehrten den Gelehrten nicht ins Handwerck zu fallen. […] Aber seit ohngefehr fünfftzig Jahren, ist erstlich die Anzahl der Wissenschaften gar sehr vermehret worden, daß man die Professiones auf Universitäten zum wenigsten dupliren müste, wenn eine iedwede Disciplin besonders solte dociret werden. […] daß man die alten Physici, Mathematici, und Historici, wenn sie heute wieder auffstünden […] nur vor schlechte Anfänger, paßiren würde. […] Daher es auch kommen ist, daß viel geringe Wissenschafften, die man sonst den Mechanicis überlassen hat, nunmehro von Literatis getrieben werden. Und endlich führet das ietzige Seculum eine solche Curiosität bey sich, daß ein iedweder alles; oder doch zum wenigsten von allem etwas wissen will. So viel Lehr-begierige Leute nun konten zu ihrem Zwecke nicht gelangen, so lange die Lateinische Sprache das MONOPOLIUM hatte, daß sie allein mit gelehrigen Sachen handeln durffte. […] Es haben demnach die Deutschen, nach dem Exempel anderer Nationen nicht geruhet, biß nunmehro fast alle Wissenschafften in die Mutter-Sprache dieser cultivirten Nation sind übersetzet worden. Darnach war ihnen die Systematische Methode viel zu weitläufftig, zu langweilig und zu verdrießlich: sonderlich um dieselbe Zeit, da man den Kern der wahren Weißheit nicht zu kosten kriegte, wenn man nicht vorhero die Metaphysischen Schalen, darinnen sie verborgen lag, mit Kopff-brechender Arbeit auffgemacht hatte. Es wurde aber auch diese Seite endlich zerrissen.“[14]
Der Lexikonmarkt explodierte wie derjenige der Journale seit den 1660ern. Nicht Großprojekte kamen hier auf den Markt, sondern vor allem Bücher zum Nachschlagen im Alltag. Die erste Generation dieser Werke sammelte bloß. Die zweite setzte mit Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique in den 1690ern ein: Es musste zum einen darum gehen, das historische Wissen kritisch zu bereinigen. Zum anderen schlug die Stunde für Werke, die sich dem praktischen Leben zuwandten und alltagstaugliche Informationen aufboten: das Wissen, über das Zeitungsleser verfügen mussten. „Universal-Lexica“ folgten ab den 1730ern. Das große Projekt modernen Wissens der Aufklärung entstand mit der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, organisiert von Denis Diderot, Jean Baptiste le Rond d’Alembert unter der Mitarbeit von 142 Beiträgern und Kupferstechern, die den Stand der Technik festhielten.
Auf dem Buchmarkt hatten Autoren wie – in Deutschland – Julius Bernhard von Rohr und Paul Jacob Marperger den Schritt in die Wissenschaft getan, die sich der Zivilisation der Moderne in ihren Technologien und praktischen Organisationsformen zuwandte. Marperger veröffentlichte Handbücher zum bargeldlosem Zahlungsverkehr, den Handelsmessen, der Kunst der privaten Keller und Küchenführung. Rohr publizierte eine Compendieuse Haushaltungs-Bibliothek (1716), eine Einleitung zur Staatsklugheit (1718) einen Nöthigen und nützlichen Vorrath von allerhand auserlesenen Contracten, Verträgen, Recessen, Bestallungen [...] und andern dergleichen Concepten, Die sowol bey der Hauß-Wirthschafft Ueberhaupt Als insonderheit bey dem Acker-Bau, der Vieh-Zucht, Jagd- und Forst-Sachen, Wasser und Fischereyen, Bierbrauen, Weinbau, Bergwercken [...] vorzufallen pflegen (1719). Das Faszinierende an diesen Büchern wie an den Anleitungen aller Handwerke, die auf den Markt kamen, war die neue Offenheit für das Alltagswissen. Die Herausgeber der Deutschen Acta Eruditorum fragten nach dem Nutzen des modernen Nutzbaren, galanten und curiösen Frauenzimmer-Lexicons, das 1715 auf den Markt kam, und das erfasste, was jeder wissen konnte, der in einem Haus wohnte.[15]
In einem ersten Schritt drang die Wissenschaft in den Alltag vor, im zweiten setzten Mitte des 18. Jahrhunderts Publikationen mit gezielten Verbesserungsvorschlägen ein. Was mit den alten Wissenschaften zuvor geschehen war, dass sie einen aktuellen Forschungsstand hervorbrachten, geschah Mitte des 18. Jahrhunderts mit allen Lebensbereichen, in die die Wissenschaften eindrangen: Sie wurden Gegenstand neuer Fachdebatten. Die Ökonomie, die Haushaltungskunst kam aus dem Alltag und wuchs zur Kunst, moderne Wirtschaftssysteme zu betreiben. Erste Ideen stammen von den Physiokraten, die den Ursprung allen Wertes in der Landwirtschaft sahen. Diese Theorie wurde von Richard Cantillon formuliert und von Francois Quesnay mit dem Tableau économique ausgebaut. Theorie und Praxis wurden eng aneinander gebunden, etwa bei Anne Robert Jacques Turgot. In den 1770ern brachte Adam Smith die neue Wissenschaft mit seinem Buch An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations auf den Stand der in die Zukunft weisenden Nationalökonomie. An diesen anknüpfend entwickelte Jean-Baptiste Say das Saysches Theorem, das erste Prinzip, das einen funktionalen Zusammenhang zwischen den volkswirtschaftlichen Größen Angebot und Nachfrage herstellte.
Moderne Universitäten erhielten die Strukturen, in denen Wissen zur Entwicklung von Nationen gebildet und unterrichtet werden konnte. Der Boden für die Industrialisierung wurde hier ab den 1770ern vorbereitet.
So hier unterbrechen wir dieses spannende zhema,wer weiterlesen möchte,hier der Link dazu:
https://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung
Jesuitische Ausgabe der konfuzianischen Philosophie von 1687: China etablierte nach der Sintflut einen bewundernswerten philosophischen Religionsersatz.
Das Verhältnis des Christentums zu den Weltreligionen entspannt sich im 18. Jahrhundert zunehmend. Meilensteine sind hier die Bemühungen der Jesuiten, ab den 1660ern China zu missionieren. Sie erhalten dazu am chinesischen Hof die Möglichkeit, falls sie den Riten des Konfuzianismus tolerant begegnen. Im Ritenstreit halten ihnen konkurrierende Orden Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts vor, in China Vielgötterei zu betreiben. In ihren eigenen Publikationen hatten die Jesuiten dafür plädiert, den Konfuzianismus nicht als Religion, sondern als aufgeklärte Staatsphilosophie zu lesen. Gottfried Wilhelm Leibniz übersetzte jesuitische Schriften dieser Tendenz. Christian Wolff riskierte 1723 seine Position, nachdem er in einer Vorlesung über Chinesen die Auffassung vertreten hatte, auch Heiden könnten tugendhaft sein. Die Frage der Toleranz und des Verhältnisses zwischen Philosophie und Religion gewann mit der kulturellen Konfrontation neue Extrempositionen.
Der Islam wurde seit dem Mittelalter als Feind der Christenheit gehandelt. Nach der Zurückschlagung der Türken vor Wien 1683 setzte um 1700 eine öffentliche Mode islamischer Kultur ein. Die Übersetzung der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht (1704 ff.) erzeugte in Westeuropa die Sensation, Moslems könnten am Ende den Christen kulturell unterlegen, jedoch möglicherweise in ihrer Moral viel reiner und unschuldiger sein. Montesquieus Lettres Persanes (1721) spielten dieses Moment der Islam-Würdigung in einer Kritik an der Zivilisation des Westens und des Christentums aus: Ein persischer Beobachter betrachtet hier Europa aus der überlegenen Perspektive seiner Kultur und Religion. Eine Entwicklungslinie verläuft von Pierre Daniel Huets Erklärungen antiker und fremder Religionen bis zu Fiktionen der 1770er, die wie Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise (1779) den Gedanken interreligiöser Achtung auf die Bühnen brachten und öffentlich diskutierten. Es gab eine negative Kritik an der islamischen Kultur, die mit dem Satz „Der Islam kennt keine Aufklärung” begründet wurde. Eine gegenteilige Hypothese geht davon aus, dass eine spezifische Aufklärungstradition in der islamischen Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts verborgen ist und diese durch die Rezeption der „europäischen” Aufklärung durch muslimische Intellektuelle des 19. Jahrhunderts gleichzeitig bestätigt und verschüttet worden ist. Allerdings ist es schwierig für die Wissenschaftler, diese Hypothese zu bestätigen, da die Analyse eines asiatischen Kontextes (z. B. Islam) durch einen europäischen Terminus (z. B. Aufklärung) problematisch ist.
Im Hinduismus gibt es eine ähnliche Diskussion wie im Islam. (Der Hinduismus kennt keine Aufklärung.) In dem Aufsatz, der von Paul Hacker zuerst 1957 veröffentlicht wurde, behandelte er das Thema „Inklusivismus‟ in seinem Verhältnis zur Toleranz im Hinduismus, die ihren Ursprung in dem europäischen Deismus des 18. Jahrhunderts wegen dessen aufklärischer Tendenz hatte. Der Begriff „Toleranz‟ ist nach Wilhelm Halbfass als eine neuzeitliche europäische Idee oder Ideologie zu verstehen. Dies muss man berücksichtigen, wenn man den Begriff auf außereuropäische Traditionen bzw. auf Perioden vor der Neuzeit anwendet. D. h., die Diskussion, ob es Aufklärung im Hinduismus gab oder nicht, kann nicht genau überprüft werden, weil die Kriterien für die Diskussion unklar sind.
Das europäische Judentum schaltete sich in den 1770ern in die neue Diskussion ein. Der hebräische Begriff Haskala bezeichnete von da an die neuen jüdischen Emanzipationsbestrebungen in West- und Mitteleuropa sowie in Osteuropa. Der Kreis um Moses Mendelssohn, Marcus Herz und David Friedländer bemühte sich um eine Trennung von Religion und Staat und zugleich um eine Integration der jüdischen Bürger in die deutsche Gesellschaft. Dieses Denken gab einen wesentlichen Impuls für die Judenemanzipation in Preußen. Dies war ein Grund, der die Haskala in West- und Mitteleuropa als erfolgreich gelten ließ, in Osteuropa scheiterte sie jedoch am Widerstand orthodox-jüdischer Kreise.
Theodizee und Deismus
Für die Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert als Aufklärer in die Diskussion um religiöse Vielfalt und Toleranz mischten, wurde der Gedanke bestimmend, dass es in allen Religionen und Konfessionen einen rationalen Kern des Glaubens gebe.[5] In Form des sich ausbreitenden Deismus als Vernunftreligion wurde diese Option im 18. Jahrhundert mit zunehmender Offenheit diskutiert. In Verbindung damit ergab sich die Zusatzoption einer Gotteserkenntnis aus den modernen Wissenschaften heraus. Diese, so hieß es nun, setzen Gott als Schöpfer voraus und bestätigen seine Weisheit in den Naturgesetzen. Von der Welt als „Uhrwerk“ wurde hier in einer beliebten Metapher gesprochen, die Gott aus dem aktuellen Weltgeschehen herausdrängt und damit Berichte von Wundern diskreditiert: Die deistische naturwissenschaftliche Option ist, dass Gott die Welt mit allen Naturgesetzen geschaffen habe und nun ihrer gesetzlichen Bewegung überlasse. Neben das Bild von Gott als handelndem Gegenüber traten abstraktere Bilder von Gott als Prinzip und von Gott als nicht mehr in die Welt eingreifender, sie den Menschen überlassender Instanz.
Die gesamte Diskussion ist im Rückblick eng gebunden an eine Diskussion der Scholastik – und erwies sich gerade deshalb als Diskussion, der das Christentum kaum kritisch begegnen konnte. Definierte man Gott über die Idee seiner Vollkommenheit, so konnte man aus dieser Idee beweisen, dass es ihn geben musste: Nur ein existierender Gott sei vollkommen. Die Idee, dass die von Gott geschaffene Welt perfekt sein müsse, entfaltete sich als neues attraktives Argument in dieser Debatte im späten 17. Jahrhundert: Sie findet sich bei Anthony Ashley-Cooper, dem 3. Earl of Shaftesbury, verknüpft mit dem Gedanken, dass alle Lebewesen in der Natur in perfekt organisierten Gleichgewichten zusammenleben.[6] Gottfried Wilhelm Leibniz verband das Postulat in seinen Essais de théodicée' mit Folgepostulaten wie demjenigen, dass es unendlich viele bewohnte Welten geben müsse: Die Welt, auf der wir leben, sei offenkundig nicht vollkommen, im Universum müsse es darum weitere bewohnte Welten geben, die gemeinsam das perfekte Universum Gottes bildeten. Shaftesbury verteidigte demgegenüber die bestehende Welt als perfekt und postulierte, dass dem Menschen letztlich lediglich das Wissen und die Perspektive fehlen würden, diese Perfektion zu erkennen. Man erfasse sie in der Regel allenfalls mit einer Ahnung, die einem ein Gefühl für die Harmonie der Schöpfung gebe. Mit der Theodizee-Debatte verband sich im Laufe des 18. Jahrhunderts die spezifisch aufklärerische Fortschrittsdebatte um die Idee, die Welt erreiche erst im komplizierten Prozess der Aufklärung die Vollkommenheit, die Gott ermöglichte. Konkret wurde die Diskussion mit dem Erdbeben von Lissabon 1755, als Voltaire ein pessimistisches Gedicht über die Katastrophe von Lissabon verfasste und Rousseau ihn in einem Brief darauf hinwies, dass die Schäden nicht der Natur, sondern der Lebensweise des Menschen und seiner Art, eine Stadt zu bauen, anzulasten seien. Weder die Welt noch der Mensch seien von Natur aus böse.[7]
Der Deismus geriet in der Zeit der Romantik in den Ruf, eine kalte rationale Konstruktion zu sein, die dem Menschen keine religiöse Heimat geben könne. Er führte auf der anderen Seite im 19. Jahrhundert zu Versuchen, Religion gänzlich zu ersetzen, wie sie vor allem im Materialismus und im Positivismus im 19. Jahrhundert hervortreten.
Wissenschaft
Medizin und Naturphilosophie
Darstellungen des 20. Jahrhunderts nahmen die Aufklärung wiederholt als die große Phase der Naturwissenschaften wahr. Die Perspektive hierauf veränderte sich in den letzten Jahren. Die Naturwissenschaften gewannen keinen größeren Anteil am Buchmarkt und veränderten kaum die Lebensbedingungen im vorindustriellen Europa. Die frühe Neuzeit ist die Zeit der Kopernikanische Wende, doch lässt sich nicht behaupten, dass dem eine große allgemeine mentale Verunsicherung folgte.[8] Atlanten des 18. Jahrhunderts präsentieren die Weltbilder harmonisch nebeneinander. Zur frühen Neuzeit gehört der Umgang mit der Welt als Globus, doch war man vor der Entdeckung Amerikas bereits davon ausgegangen, dass die Welt eine Kugel war. Die großen technologischen Erfindungen, auf denen die moderne Medizin beruht, insbesondere der Bau erster Mikroskope und der Vorstoß in den Mikrokosmos, lassen sich in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Andererseits blieb die Medizin im Großen und Ganzen bei einer Kombination von Astrologie und aus der Antike bezogener Humoralpathologie stehen: Krankheiten entstanden durch Ungleichgewichte der vier Säfte. Zentrale Behandlungsoptionen waren der Aderlass, das Abführen schädlicher Stoffe, die Zuführung von Medikamenten, denen man zutraute, Hitze, Kälte, Wässerichkeit und Melancholie im Körper zu regulieren. Anatomen untersuchten das Gehirn und das Nervensystem und vermuteten mit Descartes, dass es mechanisch funktionierte oder mit ihm folgenden Forschern, dass es den Flüssigkeitstransport regulierte. Erst mit den Experimenten Luigi Galvanis wurde klarer, dass elektrische Impulse von den Nerven weitergeleitet wurden. Es blieb offen, was Elektrizität war. Theorien vom Zusammenhang zwischen Körper und Seele durchzogen die konventionelle Medizin des 18. Jahrhunderts basierend auf der Theorie, dass die Säfteungleichgewichte und -Verunreinigungen vom Menschen selbst als Gemütszustände erfahren würden. Die Entdeckung der bakteriellen und viralen Krankheitserreger und die Anstrengungen, Krankheiten durch Hygiene zu verhindern, folgen im Großen und Ganzen erst im 19. Jahrhundert und führen zu drastischen Veränderungen der Medizin (als zunehmend experimenteller Wissenschaft) und der Lebensbedingungen. Die Bevölkerungszahlen explodieren im 19. Jahrhundert, nachdem man die Säuglingssterblichkeit durch Hygiene drastisch senkt.
Die Lebenserwartung wurde von Edmond Halley erstmals 1692 korrekt statistisch erfasst und für die einzelnen Altersstufen berechnet: Für Neugeborene lag sie bis weit in das 18. Jahrhundert hinein bei 17 Jahren. Wer siebenjährig die Kinderkrankheiten hinter sich hatte, konnte mit einer Lebenserwartung von im Schnitt 50 Jahren rechnen, 40-Jährige rechneten mit weiteren 20 Jahren, 60-Jährige mit einem weiteren Jahrzehnt. Die großen Risiken lagen in der immensen Säuglingssterblichkeit.[9]
Tatsächlich wird Forschung in den Naturwissenschaften bis in das 18. Jahrhundert hinein selbst in Kreisen der Aufklärung immer wieder belächelt: Man sucht hier Wunder der Natur in Experimenten, die keinen weiteren wirtschaftlichen Nutzen entfalten. Noch Utopien, die am Ende der Aufklärungsdebatte geschrieben wurden – Werke wie Louis-Sébastien Mercier's L'An 2440 (1771) – messen den Naturwissenschaften im Blick auf die Zukunft kaum Bedeutung zu. Sie spielten nicht in einer Zukunft gänzlich anderer Technologien. Der Reiz des Nachdenkens liegt in der Zukunft, in der man endlich nach den Anforderungen der Ethik lebt.
Naturwissenschaften
Das Anatomisches Theater der Universität Leiden gefüllt mit Curiositäten und erbaulichen Mahnungen um 1610.
Der Raum der Naturwissenschaften im Alltag blieb bis in das späte 18. Jahrhundert hinein undefiniert. Kinder wurden im Lesen und Rechnen unterrichtet, an den Gymnasien in Latein und Altgriechisch. An den Universitäten stand die Entscheidung zwischen den drei berufsqualifizierenden Fakultäten der Theologie, der Jurisprudenz und der Medizin an. Die Naturwissenschaften wurden dagegen im philosophischen Grundstudium abgehandelt, das neben Basiswissen zur Planetenbewegung einen Unterricht in Geographie, Weltgeschichte und den Philologien (mit Spezialisierungen in Hebräisch, Altgriechisch und orientalischen Sprachen) anbot.
Die Naturwissenschaften gediehen in dieser Lage im ersten Schritt als Teilbereich philosophischer Erkenntnistheorie – als Naturerkenntnis – unter vor allem privaten Interessen. Philosophen wie René Descartes unterfütterten ihre Aussagen mit Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Die neuen Wissenschaften gediehen zweitens an wenigen planetarischen Observatorien und in alchemistischen Laboratorien, die von interessierten Landesherren finanziert wurden. Sie gediehen drittens in der Medizin in Anatomieklassen, die zunehmend an Universitäten eingerichtet wurden. Landesherren und Universitäten unterhielten „Wunderkammern“ mit unterschiedlicher Offenheit für Raritäten aus der Natur: Seltene Steine, Fossilien, ausgestopfte Tiere, aufsehenerregende „Monstrositäten“, Missgeburten wurden hier gesammelt. Menagerien sammelten in ähnlicher Absicht die Lebewesen. Systematische Forschung im modernen Sinne blieb unterentwickelt. Die öffentlichen Sammlungen standen oft unter einem Interesse an Wunderbefunden, die als göttliche Zeichen gewertet und geschätzt wurden.
Eine Koppelung zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und der Arbeit am technologischen Fortschritt bestand nicht. Naturwissenschaftliche Akademien, die ein staatliches Interesse in die Forschung in Gang setzten wurden erst im 17. Jahrhundert gebildet. 1635 wurde die Académie française gegründet. Ihr naturwissenschaftliches Projekt erhielt sie 1666 mit der Académie des sciences, sechs Jahre nachdem in London die Royal Society ihre Arbeit aufgenommen hatte, die rasch zur führenden europäischen Institution frühneuzeitlicher naturwissenschaftlicher Forschung aufstieg. Das korrespondierende deutsche Akademieprojekt entwickelte sich aus der 1652 in Schweinfurt gegründete Academia Naturae Curiosorum, deren Namen noch auf das Interesse am Wunderbaren verweist. Die Preußische Akademie der Wissenschaften nahm ihre Arbeit 1700 auf, die Russische Akademie der Wissenschaften 1724 in Sankt Petersburg.
Mit den naturwissenschaftlichen Akademien gewann der Austausch von Befunden und deren Publikation neue Organisationsformen – die Berechnung der Lebenserwartung durch Edmond Halley 1692/93 etwa demonstriert die Wirkungsweise: Das Datenmaterial hatte Caspar Neumann, ein Stadtpfarrer in Breslau, aus Sterberegistern erhoben und Gottfried Wilhelm Leibniz übersandt, der es an die Akademie in London schickte, die wiederum wusste, wer die Daten auswerten konnte. Die Publikation der Daten fand in den Philosophical Transactions, dem von der Royal Society seit 1665 herausgegebenen wissenschaftlichen Journal statt. Mit den Journalen, die seit 1664 von Forschergruppen und Akademien herausgegeben wurden, fanden die bislang dezentral publizierten und nicht konsequent bewerteten Befunde ihr zukunftsweisendes Publikationsmedium. Das Journal des Sçavans machte hier 1665 den Anfang (siehe Liste frühmoderner Zeitschriften mit einer Chronologie der Journalgründungen). Die ersten Journale wiesen erhebliche Sektionen für die Publikation naturwissenschaftlicher Befunde und ihre Diskussion auf. Fachzeitschriften übernahmen das Feld, als im 18. Jahrhundert die allgemeinen wissenschaftlichen Zeitschriften sich vermehrt auf den Bereich historischer Schriften ausrichteten. In den Spezialzeitschriften kam im 18. Jahrhundert die Professionalisierung der Naturwissenschaften voran. Einzelne Zeitschriften wie die Breslauischen Sammlungen nutzten das Periodikum als Medium, um laufende Forschung in Beobachtungsserien zu präsentieren. Mit den konsequenten Auswertungen naturwissenschaftlicher Befunde ebbte das Interesse an „Curiositäten“ ab. Für die wissenschaftliche Auswertung interessanter waren Observationen des Normalen, aus denen sich Naturgesetze und statistische Korrelationen ableiten ließen.
In größerer Breite blieben die Naturwissenschaften bis in die 1770er hinein ein Feld privater Interessen. Forscher wie Antoine Laurent de Lavoisier mussten sich privat finanzieren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich hier eine eigene Mode, spektakuläre Experimente, insbesondere mit Elektrizität, in Privatkreisen als aufsehenerregende gesellschaftliche Unterhaltung zu inszenieren. Erst die staatlichen Interessen, die sich in den 1770ern und 1780ern an Erfindungen mehrten, mit denen sich ihre Territorien wirtschaftlich entwickeln ließen, veränderten die Position der Naturwissenschaften. In den Naturwissenschaften selbst bereitet sich der Schritt ab Mitte des 17. Jahrhunderts vor. Die Suche nach Curiosa, nach den Zeichen von Wundern wird in Kreisen der hier Forschenden im späten 17. Jahrhundert zunehmend suspekt. Interessanter als Werke, die von Gott oder vom Teufel zeugen könnten, werden Beobachtungen, die sich in Experimenten wiederholen lassen. Aus ihnen lassen sich Naturgesetze ableiten, die sich am Ende für neue Erfindungen nutzen lassen.
Erkenntnistheorie
Im Rückblick entfalteten die Naturwissenschaften der frühen Neuzeit ihren größten Einfluss auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie. So ergaben sich die Voraussetzungen zu einer tiefgreifenden Umstrukturierung der Wissenschaften. Die zwei gegnerischen Lager, die die heutige Philosophiegeschichte zwischen Rationalisten und Empiristen aufmacht, sind eher eine rückwirkende Projektion, bei der der Konflikt, der im 19. Jahrhundert zwischen dem deutschen Idealismus und dem englischen Empirismus beziehungsweise dem neuen Materialismus ausgetragen wird, eine Vorgeschichte erhält.
René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz nehmen in dieser Debatte Positionen zugunsten einer Naturwissenschaft ein, in der das Schließen in Syllogismen legitim bleibt. Aus der Definition Gottes über seine Vollkommenheit werden weitere Schlüsse über die Welt als seine Schöpfung gezogen. Das Verfahren basiert auf einem immensen Vertrauen auf die Vernunft, die in der Logik ihren härtesten Kern findet. Namentlich die englischen Empiristen von John Locke bis zu David Hume distanzierten sich von dieser Grundlage der Erkenntnistheorie. Mit ihren Untersuchungen über den menschlichen Verstand[10] schufen sie eine neue Position in der philosophischen Literatur. Ihr Gegenmodell besagte, dass nichts Gegenstand menschlichen Denkens werden könne, was nicht vorher wahrgenommen worden sei.[11] Die Wissenschaften werden damit auf Beobachtung gestützt, ihre Schlüsse darauf verpflichtet, nichts weiter zu tun, als den Beobachtungen gerecht zu werden. Isaac Newton wird im Verlauf dieser Debatte als derjenige Forscher gefeiert, der aus den bestehenden Daten mit der größten Tragweite auf die Naturgesetze schloss. Ihm gelang die Begründung der modernen Optik und mit der Gravitationstheorie jene Theorie, die die von Johannes Kepler formulierten Gesetze erklärte. Alexander Pope würdigte Newton am Ende 1727 mit der Metaphorik der neuen Epoche:
„Nature and nature's laws lay hid in night;
God said „Let Newton be“ and all was light.“[12]
Rationalisten und Empiristen vereint im Rückblick die Entscheidung, Wissen von der Bibel und allen schriftlichen Überlieferungen loszulösen und einem ausschließlich vernunftbasierten Diskurs auszusetzen. Dem liegt die Theorie zugrunde, dass es keinen Konflikt zwischen einer auf Sinnesdaten gestützten Erkenntnis und vernünftigem Nachdenken geben könne.[13] Versuche, das rationale, vernünftige Nachdenken und eine auf Sinnesdaten gestützte Forschung erkenntnistheoretisch zu harmonisieren, durchlaufen das 18. Jahrhundert. Kants Formel: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (KrV B 75) ist charakteristisch für diese Versuche. Der erkenntnistheoretische Beitrag der Aufklärungsdebatte gewann mit der Wende ins 19. Jahrhundert und der Säkularisation an Bedeutung. Nationalstaaten, die die Naturwissenschaften zu den modernen Wissenschaften par excellence erhoben, trennten sich am Ende endgültig vom alten Wissenschaftsgefüge, in dem die Theologie die oberste Autorität war.
Ökonomie und neue Fakultäten
Zwei Entwicklungen sprengten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Gefüge der Wissenschaften mit seinen vier Fakultäten. Erstens mussten moderne praktische Wissenschaften rund um die Ökonomie in den Lehrbetrieb integriert werden. Zweitens gewann die Öffentlichkeit in der Belletristik mit den 1750ern einen neuen zentralen Debattengegenstand auf den sich die Geisteswissenschaften am Ende neu ausrichteten.
Die erste Entwicklung ließ sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts mitsamt ihren Konsequenzen absehen: Das Wissen hatte sich flexibilisiert, es lag jetzt mit einem unüberschaubaren Forschungsstand vor statt in systematisch gefügten Büchern, die die Welt abbildeten. Als publizierbare Marktware fand das Wissen Interesse weit außerhalb der universitären Wissenschaften. Die neuen Leser gerieten ohne Schulung in scholastischer Wissensgliederung an die Bücher und verlangten den direkten Zugriff auf Informationen. Johann Hübner beschrieb die Revolution in der Vorrede des Curieusen Natur- Kunst- Gewerck- und Handlungslexicons, das 1712 genau dies anbot: das moderne praktische Wissen aus Naturwissenschaften, Technik („Kunst“) und Wirtschaft („Handlung“):
„Vor Alters waren nur wenige Wissenschafften, und die waren auch nicht sonderlich ausgeführet: Es studirten auch wenige Leute, die begnügten sich, wenn sie eine oder die andere Disciplin ex professo verstunden; und die übrigen alle begehrten den Gelehrten nicht ins Handwerck zu fallen. […] Aber seit ohngefehr fünfftzig Jahren, ist erstlich die Anzahl der Wissenschaften gar sehr vermehret worden, daß man die Professiones auf Universitäten zum wenigsten dupliren müste, wenn eine iedwede Disciplin besonders solte dociret werden. […] daß man die alten Physici, Mathematici, und Historici, wenn sie heute wieder auffstünden […] nur vor schlechte Anfänger, paßiren würde. […] Daher es auch kommen ist, daß viel geringe Wissenschafften, die man sonst den Mechanicis überlassen hat, nunmehro von Literatis getrieben werden. Und endlich führet das ietzige Seculum eine solche Curiosität bey sich, daß ein iedweder alles; oder doch zum wenigsten von allem etwas wissen will. So viel Lehr-begierige Leute nun konten zu ihrem Zwecke nicht gelangen, so lange die Lateinische Sprache das MONOPOLIUM hatte, daß sie allein mit gelehrigen Sachen handeln durffte. […] Es haben demnach die Deutschen, nach dem Exempel anderer Nationen nicht geruhet, biß nunmehro fast alle Wissenschafften in die Mutter-Sprache dieser cultivirten Nation sind übersetzet worden. Darnach war ihnen die Systematische Methode viel zu weitläufftig, zu langweilig und zu verdrießlich: sonderlich um dieselbe Zeit, da man den Kern der wahren Weißheit nicht zu kosten kriegte, wenn man nicht vorhero die Metaphysischen Schalen, darinnen sie verborgen lag, mit Kopff-brechender Arbeit auffgemacht hatte. Es wurde aber auch diese Seite endlich zerrissen.“[14]
Der Lexikonmarkt explodierte wie derjenige der Journale seit den 1660ern. Nicht Großprojekte kamen hier auf den Markt, sondern vor allem Bücher zum Nachschlagen im Alltag. Die erste Generation dieser Werke sammelte bloß. Die zweite setzte mit Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique in den 1690ern ein: Es musste zum einen darum gehen, das historische Wissen kritisch zu bereinigen. Zum anderen schlug die Stunde für Werke, die sich dem praktischen Leben zuwandten und alltagstaugliche Informationen aufboten: das Wissen, über das Zeitungsleser verfügen mussten. „Universal-Lexica“ folgten ab den 1730ern. Das große Projekt modernen Wissens der Aufklärung entstand mit der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, organisiert von Denis Diderot, Jean Baptiste le Rond d’Alembert unter der Mitarbeit von 142 Beiträgern und Kupferstechern, die den Stand der Technik festhielten.
Auf dem Buchmarkt hatten Autoren wie – in Deutschland – Julius Bernhard von Rohr und Paul Jacob Marperger den Schritt in die Wissenschaft getan, die sich der Zivilisation der Moderne in ihren Technologien und praktischen Organisationsformen zuwandte. Marperger veröffentlichte Handbücher zum bargeldlosem Zahlungsverkehr, den Handelsmessen, der Kunst der privaten Keller und Küchenführung. Rohr publizierte eine Compendieuse Haushaltungs-Bibliothek (1716), eine Einleitung zur Staatsklugheit (1718) einen Nöthigen und nützlichen Vorrath von allerhand auserlesenen Contracten, Verträgen, Recessen, Bestallungen [...] und andern dergleichen Concepten, Die sowol bey der Hauß-Wirthschafft Ueberhaupt Als insonderheit bey dem Acker-Bau, der Vieh-Zucht, Jagd- und Forst-Sachen, Wasser und Fischereyen, Bierbrauen, Weinbau, Bergwercken [...] vorzufallen pflegen (1719). Das Faszinierende an diesen Büchern wie an den Anleitungen aller Handwerke, die auf den Markt kamen, war die neue Offenheit für das Alltagswissen. Die Herausgeber der Deutschen Acta Eruditorum fragten nach dem Nutzen des modernen Nutzbaren, galanten und curiösen Frauenzimmer-Lexicons, das 1715 auf den Markt kam, und das erfasste, was jeder wissen konnte, der in einem Haus wohnte.[15]
In einem ersten Schritt drang die Wissenschaft in den Alltag vor, im zweiten setzten Mitte des 18. Jahrhunderts Publikationen mit gezielten Verbesserungsvorschlägen ein. Was mit den alten Wissenschaften zuvor geschehen war, dass sie einen aktuellen Forschungsstand hervorbrachten, geschah Mitte des 18. Jahrhunderts mit allen Lebensbereichen, in die die Wissenschaften eindrangen: Sie wurden Gegenstand neuer Fachdebatten. Die Ökonomie, die Haushaltungskunst kam aus dem Alltag und wuchs zur Kunst, moderne Wirtschaftssysteme zu betreiben. Erste Ideen stammen von den Physiokraten, die den Ursprung allen Wertes in der Landwirtschaft sahen. Diese Theorie wurde von Richard Cantillon formuliert und von Francois Quesnay mit dem Tableau économique ausgebaut. Theorie und Praxis wurden eng aneinander gebunden, etwa bei Anne Robert Jacques Turgot. In den 1770ern brachte Adam Smith die neue Wissenschaft mit seinem Buch An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations auf den Stand der in die Zukunft weisenden Nationalökonomie. An diesen anknüpfend entwickelte Jean-Baptiste Say das Saysches Theorem, das erste Prinzip, das einen funktionalen Zusammenhang zwischen den volkswirtschaftlichen Größen Angebot und Nachfrage herstellte.
Moderne Universitäten erhielten die Strukturen, in denen Wissen zur Entwicklung von Nationen gebildet und unterrichtet werden konnte. Der Boden für die Industrialisierung wurde hier ab den 1770ern vorbereitet.
So hier unterbrechen wir dieses spannende zhema,wer weiterlesen möchte,hier der Link dazu:
https://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung
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