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Der Mord an Familie Kraemer

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Der Mord an Familie Kraemer Empty Der Mord an Familie Kraemer

Beitrag  Andy Mi Aug 19, 2015 9:28 pm

Der Mord an Familie Kraemer war ein Kriminalfall, der sich am 19. Januar 1977 in Mascherode, einem Stadtteil von Braunschweig, ereignete. Der bereits nach wenigen Tagen als mutmaßlicher Täter ermittelte Ferenc Sos nahm Wolfgang Kraemer, einen Direktor der örtlichen Volksbank, sowie dessen Ehefrau und drei der vier gemeinsamen Kinder als Geiseln, um Lösegeld zu erpressen. Nach erfolgter Geldübergabe ermordete er jedoch alle fünf Personen. Die älteste Tochter des Ehepaars befand sich zur Tatzeit nicht im Haus und überlebte so als einzige.

Der Mord an Familie Kraemer 800px-Grabstaette_der_Bankiersfamilie_Kraemer_in_Braunschweig
Grabstätte der Familie Kraemer auf dem Hauptfriedhof Braunschweig

Sos wurde 1978 in einem Indizienprozess zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Es handelte sich deutschlandweit um den ersten Fall seit 1945, bei dem ein Bereicherungstäter fünf Menschen tötete.

Rekonstruierter Tathergang

Seit dem Nachmittag oder Abend des 19. Januar 1977 wurden Wolfgang Kraemer, seine Ehefrau Brigitte sowie die gemeinsamen Kinder Stefan, Nele und Martin in ihrem Einfamilienhaus in Mascherode, von Ferenc Sos festgehalten und bedroht, um so ein Lösegeld zu erpressen.

Nach einer Rekonstruktion stellte sich das Tatgeschehen folgendermaßen dar:
19. Januar

Martin, der jüngste Sohn, wurde an diesem Tage gegen 14:30 Uhr letztmals beim gemeinsamen Spiel mit seiner Schwester Nele gesehen, die nach einem Besuch bei einer Freundin gegen 18:30 Uhr nach Hause ging. Stefan wurde gegen 16:30 Uhr bei der Fahrt auf seinem Moped zuletzt gesehen. Ein Zeuge gab an, dass sich Stefan mit ihm treffen wollte, jedoch die Verabredung nicht einhielt. Gegen 17:10 Uhr fragte dieser bei Brigitte Kraemer nach Stefan. Obwohl das Moped in der Garage stand, gab Frau Kraemer an, Stefan sei nicht zuhause. Dies war zugleich die letzte Sichtung Brigitte Kraemers, die zuvor gegen 16 Uhr mit einem roten VW Käfer nach Hause gefahren war. Wolfgang Kraemer kehrte gegen 18:30 Uhr von seiner Arbeit bei der Volksbank heim. Kurz vor 21 Uhr rief Kraemer bei Kurt R. einem Prokuristen der Volksbank an, und teilte ihm mit, dass seine Familie entführt worden sei und er selbst von mehreren Männern mit Schusswaffen bedroht werde, die ein Lösegeld zwischen 700.000 DM und 1.000.000 DM verlangten. Dieser Betrag konnte nicht beschafft werden, da im Tresor der Bank keine solche Summe verfügbar war.[1] Nach Verhandlungen Kraemers mit dem oder den Tätern wurde eine Summe von 165.000 DM vereinbart. Gegen 22:30 Uhr wurde das Geld an der Haustür des Einfamilienhauses an Wolfgang Kraemer übergeben. Auf Drängen Kraemers benachrichtigte der Prokurist bis zum nächsten Morgen jedoch nicht die Polizei.[2]

Zeugen gaben später an, am Abend der Tat zwei Autos gehört zu haben, die sich vom Haus entfernten. Das Fahrzeug von Brigitte Kraemer wurde später am Hauptbahnhof aufgefunden.
20. Januar

Am nächsten Morgen benachrichtigt der Prokurist besorgt seine Vorgesetzten und diese schließlich die Polizei. Als diese am Tatort eintraf, stand noch nicht fest, ob sich die Täter noch hier aufhielten. Daher begab sich der leitende Beamte durch ein Kellerfenster in das Gebäude. Dort fand er zunächst den gefesselten und mit einer Schnur erdrosselten Wolfgang Kraemer. Im Erdgeschoss entdeckte er in unterschiedlichen Räumen die übrigen Familienmitglieder, die ebenfalls erdrosselt wurden.[1] Die mutmaßlichen Täter hinterließen nur wenige Spuren, dazu gehörte ein Schriftstück, in dem die Freilassung von Mitgliedern der „Baader-Meinhof-Gruppe“ gefordert wurde, wodurch offenbar die Aufmerksamkeit auf die zu dieser Zeit aktive Terrororganisation Rote Armee Fraktion gelenkt werden sollte. Ein linksterroristischer Hintergrund konnte jedoch bald ausgeschlossen und das Schriftstück als falsche Fährte identifiziert werden.[3]

Als in den Spätnachrichten von der Geiselnahme und dem fünffachen Mord in Braunschweig berichtet wurde, meldete sich ein ehemaliger Mithäftling von Sos, Waldemar S., beim Wachpersonal mit der Nachricht, er wisse wer das getan habe und gab damit den entscheidenden Hinweis auf Ferenc Sos.[4]
Ermittlungen

Nach der Tat bildete die zuständige Kriminalpolizei der Polizeidirektion Braunschweig eine Sonderkommission, die zeitweilig aus bis zu 70 Ermittlern bestand. Bei einer Anfrage nach ähnlichen Taten an das polizeiliche Auskunftssystem POLAS benannte der Computer den Ungarnflüchtling Ferenc Sos, der bereits 1970 in Borgholzhausen bei Bielefeld sechs Personen gefesselt und eingesperrt hatte. Am 23. Dezember 1976 war Sos aus der Strafhaft in Hamburg-Fuhlsbüttel entlassen worden. Er hatte bereits zwölf der 20 Jahre in Deutschland hauptsächlich wegen Einbrüchen im Gefängnis verbracht.

Vier Tage nach der Tat wurde Ferenc Sos in Hamburg festgenommen. Es wurde die Untersuchungshaft angeordnet. Der Festgenommene leugnete die Tatbeteiligung. Die Ermittlungen führten aufgrund der gegen Sos sprechenden Indizien zur Anklage. Ein weiterer Mithäftling von Sos, Klaus-Heinz P., wurde ebenfalls festgenommen, jedoch wieder freigelassen. Dieser belastete Sos schwer, wurde jedoch von den Medien als möglicher Mittäter wahrgenommen.[5]
Berichterstattung und Reaktionen

Die Berichterstatter der unterschiedlichen Tages-und Boulevardzeitungen reisten aus dem gesamten Bundesgebiet an, um exklusiv über dieses Verbrechen zu berichten. Es entstand ein regelrechter „Medientourismus“.[1] Die Schlagzeilen lauteten beispielsweise: Bild: Eine Villa voll mit Toten; Hamburger Abendblatt: Entsetzen über fünffachen Mord;[6] oder der Spiegel: Dumm, primitiv und stümperhaft?.[7]

Nach der Tat wurde vom Braunschweiger Oberstadtdirektor Hans-Günther Weber und von vielen Braunschweiger Bürgern die Wiedereinführung der Todesstrafe für Morde gefordert.[2]

Mehrere Personen wurden von Sensationshungrigen und Journalisten belästigt und eingeschüchtert, um an Informationen über den Mordfall zu gelangen; so waren etwa mehrere Menschen unter Einsatz körperlicher Gewalt bis vor die Vorstandszimmer der Volksbank gelangt. Des Weiteren wurden Fotos der Familie Kraemer mit unethischen Mitteln beschafft. Teilweise wurden auch falsche Angaben über die Opfer gemacht, so wurde etwa Wolfgang Kraemer fälschlich klischeehaft als Tennisspieler hingestellt. Auch für die Trauerfeier versuchten Angehörige der Regenbogenpresse, sich unter falschen Angaben Details zum Trauerfeierort zu verschaffen. Aus ähnlichen Gründen mussten sogar zwei Anwälte das Mandat für Sos aufgeben.[3]
Strafprozess

Der Strafprozess begann ein Jahr später am 2. Februar 1978 vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Braunschweig; Vorsitzender Richter war Manfred Flotho. Die überlebende Tochter trat, vertreten durch ihren Anwalt Lehmann, als Nebenklägerin auf. Die Staatsanwaltschaft wurde von Karl-Heinz Reinhardt vertreten. Der Angeklagte Ferenc Sos wurde von den Strafverteidigern Leonore Gottschalk-Solger, Peter Gottschalk und Reinhard Daum verteidigt.[4][5]

Für das Verfahren wurden vom Gericht 131 Zeugen und 19 Sachverständige geladen. Neben 27 Bänden mit insgesamt 6750 Seiten Prozessakten wurden auch 41 Aktenordner mit Spuren für das Verfahren verwendet. In dem Indizienprozess wurden von der Verteidigung Argumente gegen den Zeugen Klaus-Heinz P., der in einer gemeinsamen Wohnung mit Sos lebte, wie auch gegen die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Indizien vorgebracht.[5]

Neben den Indizien wies auch das Verhalten von Sos auf ihn als Täter hin. So hatte er nach Angaben eines früheren Mithäftlings am 17. Januar 1977 versucht, diesen zu einer Geiselnahme mit Erpressung zu überreden, um an Geld zu gelangen. Dazu hätten die beiden Wohnungen von Prominenten in Hamburg beobachtet.[3]

Am 12. Mai 1978[8] wurde Ferenc Sos wegen Mordes in fünf Fällen, räuberischer Erpressung und erpresserischen Menschenraubs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zusätzlich wurde Sos wegen eines Einbruchs und versuchten Totschlags vom 26. November 1970 in Hamburg, wo er auf eine unerwartete Zeugin gezielt geschossen hatte, zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Bei ihrem erstinstanzlichen Urteil schloss die Strafkammer am Landgericht Braunschweig nicht aus, dass ein weiterer Täter an der Tat beteiligt war. Da jedoch von der Beute nur 8000 DM fehlten, kam nach Überzeugung der Strafkammer nur er als Haupttäter in Betracht. Von mehreren Journalisten wurde nach dem Urteil die Täterschaft von Sos angezweifelt.[5] Die Verteidigung legte Revision ein, die am 23. März 1979 vom 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in West-Berlin verworfen wurde.[9]

Sos starb Mitte August 2011 im Alter von 77 Jahren in Haft in der Justizvollzugsanstalt Celle.[10]

Die folgenden Indizien wurden in der Presse thematisiert.[11][3] Indiz Bedeutung Ort Fundzeit (durch Zeugen oder Polizei)
Adresse von Sos Sos bestritt, sich in Braunschweig aufgehalten zu haben Von Sos auf der Rückfahrt per Bahn von Braunschweig nach Hamburg für eine Studentin aufgeschrieben 20. Januar 1977: Tatnacht, nach der Tat[12]
Zigarettenkippen „Reval“ Nach Speichelprobe: Blutgruppe stimmt mit Blutgruppe von Sos überein Am Tatort gefunden 20. Januar 1977, morgens
angebliches RAF-Schreiben Ähnliches Schriftstück wurde von einer Zeugin Monate vor der Tat bei Sos gesehen
VW-Käfer Auto von Frau Kraemer, vermutlich als Fluchtfahrzeug genutzt[13] Hauptbahnhof Braunschweig
Kassenbelege Zwei Metallkassetten wurden kurz nach 9:30 Uhr am Morgen nach der Tat in Hamburg von einem Mann gekauft. Kaufhof, Hamburg kurz nach 9:30 Uhr am 20. Januar 1977
Zigarettenschachtel und Zigaretten „Reval“ dieselbe Marke wie am Tatort Festnahme von Sos 23. Januar 1977?
Stoffhandschuhe unbekannt
Adressen
Bindfaden (Paketschnur) Gleiche Beschaffenheit wie für die Erdrosselung benutzter Bindfaden Hausdurchsuchung bei Sos oder Festnahme von Sos, Wohnung Sos und P. 23. Januar(?) oder 4. Februar 1977
Banderolen Banderolen der Volksbank Braunschweig, angekohlt (im Papierkorb) Hausdurchsuchung Wohnung Sos und P. 4. Februar 1977
Metallkassette 1 Mit Kaufhof-Aufkleber. Inhalt: 16.500 DM
Metallkassette 2 Bei Streckenabfahrt mit Zeuge P. gefunden, der die Strecken mit Sos gefahren haben wollte. Inhalt: 139.000 DM, Seriennummern teilweise bei Volksbank Braunschweig registriert bei Autobahnauffahrt Hörn 4. Februar 1977?

Quelle - Literatur & Einzelnachweise
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