Der Neostalinismus
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Der Neostalinismus
Neostalinismus ist eine Bezeichnung für totalitäre realsozialistische Staatsformen, die nach dem Tode Josef Stalins dessen Politik (Stalinismus), meist in einer modifizierten, weniger extremen Form, fortgeführt beziehungsweise wieder aufgegriffen haben.[1][2] Hierbei ist die Verwendung des Begriffes nicht ganz einheitlich. Gelegentlich wird er für fast alle totalitären sozialistischen Regierungen nach dem Tode Stalins verwendet, meist aber wird die Zeit der Regierung Nikita Chruschtschow aufgrund ihrer 1956 begonnenen Entstalinisierung und der mit ihr verbundenen Tauwetter-Periode davon ausgeschlossen. In diesem Fall bezeichnet Neostalinismus dann insbesondere das von Leonid Breschnew geprägte politische System der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten in der Zeit von 1964 bis 1985.[3][4] Im offiziellen Sprachgebrauch der betroffenen sozialistischen Regierungen wurde diese Zeit des Neostalinismus als „Normalisierung“ bezeichnet.[5]
Neostalinismus in der Sowjetunion
Leonid Breschnew
Nach dem unerwarteten Sturz von Nikita Chruschtschow durch konservative Kräfte im Jahre 1964, übernahm sein einstiger Weggefährte Leonid Breschnew gemeinsam mit Alexei Kossygin die Führung der Sowjetunion. Zunächst schien es, als wenn die von Chruschtschow eingeleiteten Reformen fortgesetzt werden würden, auch am Prinzip der Entstalinisierung hielt man zunächst fest. Seit dem Frühjahr 1965 mehrten sich jedoch die Zeichen, dass die dogmatisch-konservativen Kräfte im Vordringen waren. Die ersten Anzeichen für den Kurswechsel war der Versuch, Stalin wieder zu rehabilitieren und positiv erscheinen zu lassen, so hob beispielsweise Breschnew zur Zwanzigjahrfeier anlässlich des Sieges im Zweiten Weltkrieg erstmals Stalin wieder hervor. Auch in den Artikeln über den sowjetischen Staatssicherheitsdienst wurden die Stalin-Verbrechen kaum noch erwähnt.
Noch deutlicher wurde der Kurswechsel im massiven Einschränken der Meinungsfreiheit, so wurden unter anderem die beiden regimekritischen Schriftsteller Andrei Donatowitsch Sinjawski und Juli Daniel verhaftet, sowie eine Hausdurchsuchung bei Alexander Issajewitsch Solschenizyn durchgeführt. Ende Januar 1966 erklärte dann auch die Prawda, die zentrale Parteizeitung, dass im Zuge der Entstalinisierung eine Reihe von Fehlern begangen wurden, die Entlarvung des Personenkults sei zu weit gegangen und der Begriff "Periode des Personenkults" sei überhaupt unmarxistisch und falsch. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kampf gegen den stalinistischen Personenkult zum Nihilismus und Kosmopolitismus, sowie anderen antileninistischen Ideen und Bewegungen geführt hätten.
Auf dem 23. Parteitag der KPdSU wurde Stalin zwar nicht offiziell rehabilitiert, aber außerordentliche scharfe Attacken gegen reformfreudige Schriftsteller (die unter Chruschtschow noch frei schreiben konnten), die Rückbenennung des Parteipräsidiums in "Politbüro" und des Ersten Sekretärs in "Generalsekretär" (zuvor hatte nur Stalin diesen Titel innegehabt), die Abschaffung des von Chruschtschow eingeführten Rotationssystems, zeugten, dass der härtere Kurs nun auch offiziell sanktioniert worden war. Innenpolitisch wurde Chruschtschows Doktrin von der "friedlichen sozialistischen Umgestaltung" zurückgedrängt, bzw. überhaupt nicht mehr erwähnt. In der Außenpolitik wurde Chruschtschows Prinzip der "friedlichen Koexistenz" nun als Bestandteil im Kampf gegen den Imperialismus betrachtet, das Hauptziel war nun die Sicherung günstiger internationaler Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus. Später wurde durch die so genannte Breschnew-Doktrin, das Eingreifen der UdSSR in andere realsozialistische Staaten festgelegt, wenn in einem dieser Staaten der Sozialismus bedroht werden würde (Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 und Militärintervention in Afghanistan 1979).
Anstelle der Distanzierung vom Stalinismus und den Entstalinisierungsreformen war die neue Führung an der Festigung der eigenen Macht bzw. Autorität interessiert und knüpfte daher an die Stalintradition an. Die Zensur wurde verschärft, die Verhaftungen und Prozesse nahmen zu, die Bedingungen in den Lagern verschlechterten sich. Das von Chruschtschow 1960 aufgelöste Innenministerium wurde mit der berüchtigten Abkürzung MWD wiedererrichtet, sowie neue Strafen für „wissentliche Verbreitung von Lügen“, die den sowjetischen Staat und die Ordnung verunglimpfen, eingeführt. Anstelle der Kritik an Stalin trat nun die erneute Verherrlichung seiner militärischen Heldentaten während des „Großen Vaterländischen Krieges“, wobei die militärisch-patriotische Erziehung der Jugend stark unterstrichen wurde.
Die Ära des Neostalinismus endete erst mit den Reformen Michail Gorbatschows, der die Verbrechen Stalins erneut kritisierte und eine endgültige Abkehr von der Stalintradition einleitete. Gorbatschow beschreibt dabei das politische System der Breschnew-Ära als „einen Stalinismus ohne Repressionen, aber mit absoluter Kontrolle von allem und jedem“.[6] Allerdings gab es auch schon Ansätze in dieser Richtung bei dem gemäßigt reformerischen Juri Andropow, die aber durch Andropows kurze Regierungszeit bzw. durch die Nachfolge des Hardliners Konstantin Tschernenko nicht umgesetzt wurden.
Neostalinismus in Rumänien
Nicolae Ceaușescu
Von einigen Wissenschaftlern wie Anton Sterbling und Mariana Hausleitner[7] wird die Diktatur Nicolae Ceaușescus in Rumänien ebenfalls als neostalinistisch interpretiert. Sterbling unterscheidet dabei zwischen dem Stalinismus der in den 1940er und 1950er Jahren zu einer völligen Sowjetisierung des Landes geführt habe und dem so genannten „nationalkommunistischen Neostalinismus“,[8] der mit der Machtergreifung Ceaușescus begann. Stalinismus und nationalkommunistischer Neostalinismus besitzen demnach nicht nur wesentliche Ähnlichkeiten, sondern auch eine tiefgründige strukturelle Kontinuität. Allerdings seien auch wesentliche Unterschiede erkennbar, so stand im Mittelpunkt der Ideologie der stalinistischen Diktatur in Rumänien zunächst der kommunistische Egalitarismus und der „Klassenkampf“, der sich gegen die „Ausbeuter“ und „Klassenfeinde“ richtete, ebenso der revolutionäre „Internationalismus“ und die unverbrüchliche Freundschaft und Dankbarkeit gegenüber der Sowjetunion und ihrem großen Führer Stalin; mit der Entstalinisierung wuchs jedoch in Rumänien allmählich auch die Distanz zur Sowjetunion, die sich mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 noch weiter verstärkte. Bei der Reideologisierung, die ab Anfang der siebziger Jahre einsetze, nahm sodann ein extremer rumänischer Nationalismus und der Personenkult um den „größten Führer und Sohn seines Volkes“ einen zentralen ideologischen Stellenwert ein, allerdings ohne dass auf eine sozialrevolutionäre Rhetorik ganz verzichtet worden wäre.
Ein weiterer Unterscheidungsgrund sei die Situation der ethnischen Minderheiten gewesen. So waren während des Stalinismus der 1950er und frühen 1960er Jahre große Teile der deutschen sowie ungarischen Minderheit besonders stark von kollektiven und individuellen Repressions-, Verfolgungs- und Diskriminierungsmaßnahmen betroffen, während andere ethnische Minderheiten, beilspielsweise die slawischen (wie Russen, Ukrainer, Südslawen), damals zumindest zeitweilig deutlich bevorzugt und gefördert wurden. In der Zeit der neostalinistischen Ceaușescu-Diktatur seien hingegen nahezu alle ethnischen Minderheiten (Deutsche, Slawen und Ungarn) ähnlich behandelt worden; das heißt, sie waren nahezu ausnahmslos vergleichbaren Diskriminierungsprozessen und Assimilationszwängen, Verfolgungen und Erpressungen ausgesetzt.
Politisches Schlagwort
Der Begriff Neostalinismus wird auch gelegentlich als politisches Schlagwort vor allem in populärwissenschaftlichen Publikationen verwendet, um entsprechend der Ansicht der jeweiligen Autoren inhaltliche Verbindungen zum Stalinismus aufzuzeigen. So wird beispielsweise Wladimir Putins politisches System der so genannten gelenkten Demokratie als neostalinistisch interpretiert.
Kritik
Von einigen Wissenschaftlern, wie beispielsweise dem deutschen Soziologen Werner Hofmann wird der Begriff als politische Charakterisierung für die Breschnew-Ära abgelehnt bzw. nicht verwendet, da seiner Meinung nach die Entstalinisierung nicht mit dem Sturz Chruschtschows endete, sondern in einigen Bereichen unter anderen Aspekten fortgeführt worden sei.[9]
Quelle - Literatur & Einzelnachweise
Neostalinismus in der Sowjetunion
Leonid Breschnew
Nach dem unerwarteten Sturz von Nikita Chruschtschow durch konservative Kräfte im Jahre 1964, übernahm sein einstiger Weggefährte Leonid Breschnew gemeinsam mit Alexei Kossygin die Führung der Sowjetunion. Zunächst schien es, als wenn die von Chruschtschow eingeleiteten Reformen fortgesetzt werden würden, auch am Prinzip der Entstalinisierung hielt man zunächst fest. Seit dem Frühjahr 1965 mehrten sich jedoch die Zeichen, dass die dogmatisch-konservativen Kräfte im Vordringen waren. Die ersten Anzeichen für den Kurswechsel war der Versuch, Stalin wieder zu rehabilitieren und positiv erscheinen zu lassen, so hob beispielsweise Breschnew zur Zwanzigjahrfeier anlässlich des Sieges im Zweiten Weltkrieg erstmals Stalin wieder hervor. Auch in den Artikeln über den sowjetischen Staatssicherheitsdienst wurden die Stalin-Verbrechen kaum noch erwähnt.
Noch deutlicher wurde der Kurswechsel im massiven Einschränken der Meinungsfreiheit, so wurden unter anderem die beiden regimekritischen Schriftsteller Andrei Donatowitsch Sinjawski und Juli Daniel verhaftet, sowie eine Hausdurchsuchung bei Alexander Issajewitsch Solschenizyn durchgeführt. Ende Januar 1966 erklärte dann auch die Prawda, die zentrale Parteizeitung, dass im Zuge der Entstalinisierung eine Reihe von Fehlern begangen wurden, die Entlarvung des Personenkults sei zu weit gegangen und der Begriff "Periode des Personenkults" sei überhaupt unmarxistisch und falsch. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kampf gegen den stalinistischen Personenkult zum Nihilismus und Kosmopolitismus, sowie anderen antileninistischen Ideen und Bewegungen geführt hätten.
Auf dem 23. Parteitag der KPdSU wurde Stalin zwar nicht offiziell rehabilitiert, aber außerordentliche scharfe Attacken gegen reformfreudige Schriftsteller (die unter Chruschtschow noch frei schreiben konnten), die Rückbenennung des Parteipräsidiums in "Politbüro" und des Ersten Sekretärs in "Generalsekretär" (zuvor hatte nur Stalin diesen Titel innegehabt), die Abschaffung des von Chruschtschow eingeführten Rotationssystems, zeugten, dass der härtere Kurs nun auch offiziell sanktioniert worden war. Innenpolitisch wurde Chruschtschows Doktrin von der "friedlichen sozialistischen Umgestaltung" zurückgedrängt, bzw. überhaupt nicht mehr erwähnt. In der Außenpolitik wurde Chruschtschows Prinzip der "friedlichen Koexistenz" nun als Bestandteil im Kampf gegen den Imperialismus betrachtet, das Hauptziel war nun die Sicherung günstiger internationaler Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus. Später wurde durch die so genannte Breschnew-Doktrin, das Eingreifen der UdSSR in andere realsozialistische Staaten festgelegt, wenn in einem dieser Staaten der Sozialismus bedroht werden würde (Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 und Militärintervention in Afghanistan 1979).
Anstelle der Distanzierung vom Stalinismus und den Entstalinisierungsreformen war die neue Führung an der Festigung der eigenen Macht bzw. Autorität interessiert und knüpfte daher an die Stalintradition an. Die Zensur wurde verschärft, die Verhaftungen und Prozesse nahmen zu, die Bedingungen in den Lagern verschlechterten sich. Das von Chruschtschow 1960 aufgelöste Innenministerium wurde mit der berüchtigten Abkürzung MWD wiedererrichtet, sowie neue Strafen für „wissentliche Verbreitung von Lügen“, die den sowjetischen Staat und die Ordnung verunglimpfen, eingeführt. Anstelle der Kritik an Stalin trat nun die erneute Verherrlichung seiner militärischen Heldentaten während des „Großen Vaterländischen Krieges“, wobei die militärisch-patriotische Erziehung der Jugend stark unterstrichen wurde.
Die Ära des Neostalinismus endete erst mit den Reformen Michail Gorbatschows, der die Verbrechen Stalins erneut kritisierte und eine endgültige Abkehr von der Stalintradition einleitete. Gorbatschow beschreibt dabei das politische System der Breschnew-Ära als „einen Stalinismus ohne Repressionen, aber mit absoluter Kontrolle von allem und jedem“.[6] Allerdings gab es auch schon Ansätze in dieser Richtung bei dem gemäßigt reformerischen Juri Andropow, die aber durch Andropows kurze Regierungszeit bzw. durch die Nachfolge des Hardliners Konstantin Tschernenko nicht umgesetzt wurden.
Neostalinismus in Rumänien
Nicolae Ceaușescu
Von einigen Wissenschaftlern wie Anton Sterbling und Mariana Hausleitner[7] wird die Diktatur Nicolae Ceaușescus in Rumänien ebenfalls als neostalinistisch interpretiert. Sterbling unterscheidet dabei zwischen dem Stalinismus der in den 1940er und 1950er Jahren zu einer völligen Sowjetisierung des Landes geführt habe und dem so genannten „nationalkommunistischen Neostalinismus“,[8] der mit der Machtergreifung Ceaușescus begann. Stalinismus und nationalkommunistischer Neostalinismus besitzen demnach nicht nur wesentliche Ähnlichkeiten, sondern auch eine tiefgründige strukturelle Kontinuität. Allerdings seien auch wesentliche Unterschiede erkennbar, so stand im Mittelpunkt der Ideologie der stalinistischen Diktatur in Rumänien zunächst der kommunistische Egalitarismus und der „Klassenkampf“, der sich gegen die „Ausbeuter“ und „Klassenfeinde“ richtete, ebenso der revolutionäre „Internationalismus“ und die unverbrüchliche Freundschaft und Dankbarkeit gegenüber der Sowjetunion und ihrem großen Führer Stalin; mit der Entstalinisierung wuchs jedoch in Rumänien allmählich auch die Distanz zur Sowjetunion, die sich mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 noch weiter verstärkte. Bei der Reideologisierung, die ab Anfang der siebziger Jahre einsetze, nahm sodann ein extremer rumänischer Nationalismus und der Personenkult um den „größten Führer und Sohn seines Volkes“ einen zentralen ideologischen Stellenwert ein, allerdings ohne dass auf eine sozialrevolutionäre Rhetorik ganz verzichtet worden wäre.
Ein weiterer Unterscheidungsgrund sei die Situation der ethnischen Minderheiten gewesen. So waren während des Stalinismus der 1950er und frühen 1960er Jahre große Teile der deutschen sowie ungarischen Minderheit besonders stark von kollektiven und individuellen Repressions-, Verfolgungs- und Diskriminierungsmaßnahmen betroffen, während andere ethnische Minderheiten, beilspielsweise die slawischen (wie Russen, Ukrainer, Südslawen), damals zumindest zeitweilig deutlich bevorzugt und gefördert wurden. In der Zeit der neostalinistischen Ceaușescu-Diktatur seien hingegen nahezu alle ethnischen Minderheiten (Deutsche, Slawen und Ungarn) ähnlich behandelt worden; das heißt, sie waren nahezu ausnahmslos vergleichbaren Diskriminierungsprozessen und Assimilationszwängen, Verfolgungen und Erpressungen ausgesetzt.
Politisches Schlagwort
Der Begriff Neostalinismus wird auch gelegentlich als politisches Schlagwort vor allem in populärwissenschaftlichen Publikationen verwendet, um entsprechend der Ansicht der jeweiligen Autoren inhaltliche Verbindungen zum Stalinismus aufzuzeigen. So wird beispielsweise Wladimir Putins politisches System der so genannten gelenkten Demokratie als neostalinistisch interpretiert.
Kritik
Von einigen Wissenschaftlern, wie beispielsweise dem deutschen Soziologen Werner Hofmann wird der Begriff als politische Charakterisierung für die Breschnew-Ära abgelehnt bzw. nicht verwendet, da seiner Meinung nach die Entstalinisierung nicht mit dem Sturz Chruschtschows endete, sondern in einigen Bereichen unter anderen Aspekten fortgeführt worden sei.[9]
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