Joseph Süß Oppenheimer
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Joseph Süß Oppenheimer
Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer (kurz Joseph Süß Oppenheimer, auch diffamierend Jud Süß; * vermutlich Februar oder März 1698 in Heidelberg; † 4. Februar 1738 in Stuttgart) war Hoffaktor des Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Nach dem Tod des Herzogs wurde Oppenheimer als Opfer eines Justizmordes aufgrund judenfeindlicher Anschuldigungen hingerichtet und sechs Jahre lang in einem Käfig zur Schau gestellt.
Joseph Süß Oppenheimer (Kupferstich von 1738)
Joseph Süß Oppenheimer diente u. a. als historische Vorlage für Wilhelm Hauffs Novelle Jud Süß von 1827 und Lion Feuchtwangers Roman Jud Süß von 1925; die Nationalsozialisten nutzten die Geschichte 1940 propagandistisch für den antisemitischen Film Jud Süß.
Leben
Fantasiedarstellung des ersten Wohnhauses in der Judengasse in Stuttgart
Frühe Jahre
Joseph Süß Oppenheimer wuchs in Heidelberg in bürgerlichen Verhältnissen in einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie auf. 1713 bis 1717 unternahm er Reisen nach Amsterdam, Wien und Prag. Die Berufe, die Juden zur damaligen Zeit ergreifen durften, beschränkten sich weitgehend auf Handels- und Finanztätigkeiten. Der Landbesitz oder die Mitgliedschaft in Zünften war ihnen in der Regel verboten. So begann Oppenheimer erfolgreich, sich seinen Lebensunterhalt in der Pfalz als Privatfinanzier zu verdienen; auch das Eintreiben von Schulden gehörte zu seinen ersten Tätigkeiten. Mit der Vergabe von Krediten an verschuldete Adlige stieg er gesellschaftlich auf; er sprang immer dann ein, wenn Banken sich weigerten, den aufwändigen Lebenswandel der Geldsuchenden zu finanzieren. Seine Kredite waren teuer, jedoch ohne zu wuchern.
Als Finanzmakler und Bankier brachte er es schnell zu Wohlstand und Ansehen. Er arbeitete unter anderem für den pfälzischen und den Kölnischen Kurfürsten. Bei einer Heiratsvermittlung im Auftrag des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg lernte er 1732 in Wildbad dessen Neffen Karl Alexander kennen, der unter chronischem Geldmangel litt. Noch im selben Jahr ernannte dieser Oppenheimer zu seinem Hof- und Kriegsfaktor.
Ratgeber des Herzogs
Als Karl Alexander nach Eberhard Ludwigs Tod am 31. Oktober 1733 Herzog von Württemberg wurde, war Oppenheimer für ihn so wichtig geworden, dass er ihm einen weiten Entscheidungsspielraum in Wirtschafts- und Finanzfragen des Landes einräumte. 1736 wurde Oppenheimer zum Geheimen Finanzrat und politischen Ratgeber des Herzogs berufen und stieg schnell weiter auf. Herzog Karl Alexander war lange vor der Thronbesteigung vom protestantischen zum katholischen Glauben übergetreten. In seiner vierjährigen Regierungszeit (1733–1737) regierte also ein katholischer Fürst beraten von einem Juden ohne volle Bürgerrechte über eine protestantische Bevölkerung, was erhebliche Spannungen erzeugte.
Um die desolaten Finanzen des Landes mit dem absolutistischen Repräsentations- und Geldbedarf des Herzogs Karl Alexander in Einklang zu bringen, führte Oppenheimer zahlreiche Neuerungen im Sinne eines merkantilistischen Wirtschaftssystems ein. Er gründete eine Tabak-, Seiden- und Porzellanmanufaktur und auch die erste Bank Württembergs, die er selbst betrieb. Er besteuerte Beamtenbezüge und verkaufte gegen hohe Gebühren Handelsrechte für Salz, Leder und Wein an Juden. Daneben handelte er mit Edelsteinen, Edelmetallen, pachtete die staatliche Münze, veranstaltete Lotterien und andere Glücksspiele und vermittelte in Rechtsstreitigkeiten.
Herzog Karl Alexander beschloss die von Oppenheimer vorgeschlagenen Maßnahmen und Reformen in absolutistischer Machtvollkommenheit, ohne die Zustimmung der protestantischen Württembergischen Landstände, obgleich diesen nach dem Tübinger Vertrag, der auch als württembergische Verfassung galt, das Recht der Steuerbewilligung zugestanden hätte. Vor dem Hintergrund dieser politischen und konfessionellen Spannungen weckten Oppenheimers erfolgreiche Staatssanierung, sein Wohlstand und seine rigide Geld- und Steuerpolitik bei vielen Landesbeamten und Bürgern Neid, Hass und antijüdische Ressentiments.
Sturz und Hinrichtung
Verunglimpfende Darstellung des Joseph Süß Oppenheimer mit Galgen als Emblem in der unteren Bildmitte, über folgenden höhnischen Zeilen: „Wer grosser Herren Gunst misbraucht mit bösen Rath / Wie dieser freche Jud Süss Oppenheimer that, / Wen Geitz und Übermuth, auch Wollust eingenommen, / Der mus wie Haman dort zu letzt an Galgen kommen.“ (Kupferstich von 1738)
Als Karl Alexander am 12. März 1737 durch ein Lungenödem unerwartet starb und damit der Schutz entfiel, wurde Oppenheimer noch am selben Tag festgenommen. Gleich nach seiner Verhaftung wurde auch sein gesamtes Personal verhaftet, die Wohnung versiegelt, das Vermögen konfisziert und private und geschäftliche Schriftstücke beschlagnahmt.[1] Seine Wohnungseinrichtung sowie alle seine Wertgegenstände, soweit sie sich in Württemberg befanden, wurden bereits am 18. August 1737, ein halbes Jahr vor seiner Verurteilung, öffentlich versteigert oder verkauft.[2] Nachdem er zuerst auf die Burg Hohenneuffen verbracht worden war, wo auch ein erstes provisorisches Verhör stattgefunden hatte,[1] verlegte man ihn am 30. Mai auf die Festung Hohenasperg, wo er seinen Hungerstreik fortführte.[3]
Die Anklage lautete auf Hochverrat, Majestätsbeleidigung, Beraubung der staatlichen Kassen, Amtshandel, Bestechlichkeit, „Schändung“ der protestantischen Religion und sexuellen Umgang mit „Christinnen“. Man warf ihm unter anderem vor, er habe sich an einer Vierzehnjährigen vergangen. Deren Jungfräulichkeit wurde jedoch von zwei Hebammen bestätigt. Auch für andere Anklagepunkte, die auf alten antijüdischen Klischees beruhten, lagen keine Beweise vor. Die Verteidigung von Oppenheimer übernahm der Hofgerichtsadvokat Andreas Michael Mögling. Er verfasste eine Verteidigungsschrift, die nachweislich dem Sondergericht vorgelegt wurde. Das unter Ausschuss der Öffentlichkeit tagende Gericht nahm sie jedoch nicht zur Kenntnis, weil das am 9. Januar 1738 gefällte Todesurteil bereits vorher feststand. Die Verteidigungsschrift wurde aus den Prozessakten entfernt. Sie war zwar zuvor aus einer Abschrift (in der Universitätsbibliothek Tübingen) bekannt, doch erst 2011 gelang es dem Württembergischen Hauptstaatsarchiv das bis dahin sich im privaten Besitz befindende und deshalb unbekannte Original zu erwerben.[4] Bei der Urteilsverkündung wurde auf Benennung von Straftaten und auf eine Begründung verzichtet. Das Todesurteil unterzeichnete Herzog Carl Rudolf, der Vormund von Karl Alexanders minderjährigem Sohn Carl Eugen.
Man stellte Oppenheimer in einem rot gestrichenen Käfig zur Schau und versprach ihn zu begnadigen, falls er zum Christentum übertrete, was er jedoch ablehnte. Vor seinem Tod sprach er das Schma Israel. Mardochai Schloß, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, durfte ihm Beistand leisten, ein Rabbiner wurde ihm jedoch vorenthalten.
Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer am 4. Februar 1738 vor den Toren Stuttgarts
Am 4. Februar 1738 wurde er am Galgen gehenkt. Nach zeitgenössischen Quellen beobachtete eine große Anzahl von Menschen die Tötung auf dem Stuttgarter Hinrichtungsplatz, dem Stuttgarter Galgenberg[5], oberhalb der Tunzenhofer Steige, wo heute der Südeingang zum Pragfriedhof liegt.[6] Oppenheimers Leichnam wurde sechs Jahre lang in dem eisernen Käfig öffentlich zur Schau gestellt, erst 1744 ließ ihn Herzog Carl Eugen bei seinem Regierungsantritt abhängen und verscharren.
Die Prozessakten
Bis 1918 waren die 7,5 Regalmeter Prozessakten geheim. Ein Einblick zu Forschungszwecken war selbst noch im 19. Jahrhundert nur in einzelne Schriftstücke möglich. Im 19. Jahrhundert gingen die Prozessakten von den damit befassten Behörden in den Besitz des damaligen Königlichen Staatsarchivs über. Seit 1918 ist der Aktenbestand mit der Bezeichnung A48/14 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart frei zugänglich[7]. Er umfasst sämtliche Schriftstücke aus den Jahren von 1727 bis 1772, angefangen von den ältesten beschlagnahmten Dokumenten bis zur Auflösung der für das Vermögen Oppenheimers zuständigen Inventur-Deputation im Jahr 1772.
Erste Untersuchungen zeigten eine akribische Dokumentation jedes möglichen Verdachtsmomentes und aller Verhörprotokolle. Ziel der Ankläger war die Beweisführung, dass Oppenheimer der böse Ratgeber des Herzogs Karl Alexander gewesen sein musste. Dazu waren alle Mittel recht, so zum Beispiel die Aufforderung zur Denunziation, die öffentlich verlesen und an den Rathäusern in ganz Württemberg ausgehängt wurde. 607 Personen kamen dieser Aufforderung nach.[8] Selbst die Versteigerungserlöse wurden bis auf Heller und Pfennig aufgeführt.
Die Prozessakten umfassen im Wesentlichen:
Die Verhörprotokolle und Ermittlungen der Inquisitionskommission, die den nachfolgenden Gerichtsprozess vorbereitet hatte
Beschlagnahmte Dokumente aus den Privaträumen Oppenheimers
Die sogenannten Landberichte, die infolge der öffentlichen Aufforderung zur Denunziation Oppenheimers eingegangen waren
Regelmäßige Berichte der mit dem Vermögen betrauten Inventur-Deputation.
Die Akten aus dem Gerichtsprozess selbst mit Urteilsfassung.
Bis zur Gegenwart wurden die äußerst umfangreichen Prozessakten jedoch nicht vollständig durchgearbeitet. Die handschriftlichen und oft zusammenhanglos gesammelten Aufzeichnungen zu entziffern und zuzuordnen ist kompliziert. Damit ist die Quellengrundlage für eine vollständige Beurteilung der historischen Person Joseph Süß Oppenheimer wissenschaftlich noch nicht völlig erschlossen.
Getrennt von dem spezifischen Aktenbestand des Angeklagten Oppenheimer, existieren weitere Teilbestände von Mitangeklagten Oppenheimers:
A48/1 Johann Christoph Bühler
A48/6 Jakob Friedrich Hallwachs
A48/8 Professor Johann Friedrich Hobbahn
A48/9 Johann Albrecht Mez
A48/11 Franz Joseph Freiherr von Remchingen
A48/13 Johann Theodor Scheffer
Künstlerische und propagandistische Umsetzungen
Der Aufstieg eines im Ghetto aufgewachsenen Juden an die Spitze der höfischen Gesellschaft war ein bis ins 18. Jahrhundert noch nie dagewesenes Ereignis. Juden waren enge Schranken gesetzt. Einzig durch Aufgabe ihres Glaubens war es ihnen möglich, aus diesen Grenzen auszubrechen. Oppenheimer gelang das bis dahin Unmögliche, was seine Geschichte schon früh interessant und zum Stoff vieler Veröffentlichungen machte. Aber auch der Triumph des tief verwurzelten Antijudaismus sowie antisemitische Sexualphantasien dienten als Vorlage der Rezeption.
19. Jahrhundert
1827 erschien die Novelle Jud Süß von Wilhelm Hauff, die sich weitgehend auf Hörensagen und Interpretation stützen musste, da die Prozessakten erst ab 1919 zugänglich wurden. Hauff befürwortete die Trennung zwischen „Juden“ und „Nichtjuden“, das Urteil lehnte er aber als ungerecht ab.
1848 entwickelte Albert Dulk aus Hauffs Novelle ein Drama, das für die jüdische Emanzipation Partei ergriff. In den Jahren 1872 und 1886 entstand mit den Romanen von Marcus Lehmann und Salomon Kohn „erotisch eingefärbter Heiligen-Kitsch“.[9]
20. Jahrhundert
In Fritz Runges Schauspiel Jud Süß von 1912[10] war Oppenheimer ein „Sittenstrolch nach dem Geschmack der Antisemiten“.[11]
Weltbekannt wurde Lion Feuchtwangers Roman Jud Süß aus dem Jahr 1925, der ebenfalls mit drastischen Liebesszenen nicht spart. Feuchtwangers gleichnamiges Schauspiel von 1918 hatte weit weniger Publikumsresonanz erhalten. Auf dem Roman baute 1934 eine angloamerikanische Filmproduktion von Lothar Mendes Jew Süss auf, in der Oppenheimer zu einem Aufsteiger im Sinne des Selfmademan wird, der sein Volk aus dem Ghetto zu befreien hofft. Es war ein Versuch, mit dem vor dem Antisemitismus im gerade etablierten „Dritten Reich“ gewarnt werden sollte. In Deutschland und Österreich wurde der Film verboten.
1933 bearbeitete Eugen Ortner den Stoff im Sinne der nationalsozialistischen Kulturauffassung für die Bühne. Das Stück beruhte wie auch die Radio-Oper von Karl Otto Schilling aus dem Jahr 1937 auf Wilhelm Hauffs Novelle.
In der NS-Zeit wurde nur der antisemitische UFA- (bzw. Terra)-Propagandafilm Jud Süß bekannt, den Veit Harlan drehte und der 1940 Uraufführung hatte. Der Film beruhte teilweise auf der Hauff-Novelle. Als Pflichtprogramm für die SS sowie für alle Leiter und Wachmannschaften in den deutschen Vernichtungslagern sollte der Film vor allem dazu dienen, noch vorhandene Skrupel und Hemmungen bei der Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen zu beseitigen.[12] Am Drehbuch waren Eberhard Wolfgang Möller und Ludwig Metzger beteiligt. Veit Harlan ließ seinen Jud Süß in der Frankfurter Judengasse hausen, einem Ghetto, das mit drangvoller Enge, Schmutz und Unrat die negativen Klischees des Nationalsozialismus unterstrich. 1941 erschien im Ufa-Buchverlag Berlin J. R. Georges Roman zum Film „mit 16 Bildern aus dem gleichnamigen Terra-Film“. Der Film gilt bis heute als übelster Propagandafilm in der Zeit des Nationalsozialismus.
21. Jahrhundert
Die 1999 uraufgeführte Oper Joseph Süß von Detlev Glanert verarbeitet die historischen Ereignisse und erzählt die Geschichte aus der Perspektive des seine Hinrichtung erwartenden Oppenheimer.
Im Jahr 2013 wurde das Schauspiel Der Kaufmann von Stuttgart von Joshua Sobol unter der Regie von Manfred Langner im Alten Schauspielhaus in Stuttgart uraufgeführt.[13] Hier wird Oppenheimer als visionärer, kapitalistischer Freidenker dargestellt, der am Widerstand der Gilden gegen seine Reformen scheitert.
Seit 2013 initiiert eine Gruppe Kulturschaffender an der Hinrichtungsstätte Joseph Süß Oppenheimers, dem Stuttgarter Galgenbuckel, eine Veranstaltungsreihe, die sich mit dem Ort, seiner Geschichte und den aktuellen Veränderungen seiner Umgebung auseinandersetzt. [14]
Gedenktafel auf der Burg Hohenneuffen, wo Joseph Süß Oppenheimer eingekerkert war.
1998 wurde auf Anregung der Stiftung Geißstraße Sieben und in Gegenwart des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis ein Platz in der Stuttgarter Innenstadt nach Josef Süß Oppenheimer benannt.[15][16]
Seit 2015 wird im Gedenken an Joseph Süßkind Oppenheimer alle zwei Jahre vom Landtag von Baden-Württemberg und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) gemeinsam die „Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung für herausragendes Engagement gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile in Wissenschaft und Publizistik" verliehen. Erste Preisträgerin ist die in Heidelberg eingetragene Amadeu Antonio Stiftung.[17]
Romane und Erzählungen (Auswahl)
Erstausgabe des Romans von Lion Feuchtwanger aus dem Jahre 1925
Wilhelm Hauff: Jud Süß. In: Wilhelm Hauff: Novellen, Band 2. Franckh, Stuttgart 1828 (Neuauflage: Winkler, Darmstadt 1984, ISBN 3-538-06201-3)
Lion Feuchtwanger: Jud Süß, Drei Masken-Verlag, München 1925 (Neuauflage: Aufbau, Berlin 1991, ISBN 3-351-01660-3)
Rolf Schneider: Süß und Dreyfus, Steidl, Göttingen 1991, ISBN 3-88243-199-7
Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimers Rache, Erzählung, Gollenstein Verlag, Blieskastel 1994
Film
Jew Süss (nach dem Roman von Lion Feuchtwanger), 1934 (Regie: Lothar Mendes)
Jud Süß (nationalsozialistischer Propagandafilm), 1940 (Regie: Veit Harlan)
Joseph Süß-Oppenheimer, Dokumentarischer Fernsehfilm im ZDF, Deutschland 1983, mit Jörg Pleva und Manfred Krug
Jud Süß – Ein Film als Verbrechen?, Doku-Drama, Deutschland 2001, mit Axel Milberg, (Regie: Horst Königstein)[18]
Jud Süß – Film ohne Gewissen, Spielfilm, 2010 (Regie: Oskar Roehler)
Quelle - literatur & Einzelnachweise
Joseph Süß Oppenheimer (Kupferstich von 1738)
Joseph Süß Oppenheimer diente u. a. als historische Vorlage für Wilhelm Hauffs Novelle Jud Süß von 1827 und Lion Feuchtwangers Roman Jud Süß von 1925; die Nationalsozialisten nutzten die Geschichte 1940 propagandistisch für den antisemitischen Film Jud Süß.
Leben
Fantasiedarstellung des ersten Wohnhauses in der Judengasse in Stuttgart
Frühe Jahre
Joseph Süß Oppenheimer wuchs in Heidelberg in bürgerlichen Verhältnissen in einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie auf. 1713 bis 1717 unternahm er Reisen nach Amsterdam, Wien und Prag. Die Berufe, die Juden zur damaligen Zeit ergreifen durften, beschränkten sich weitgehend auf Handels- und Finanztätigkeiten. Der Landbesitz oder die Mitgliedschaft in Zünften war ihnen in der Regel verboten. So begann Oppenheimer erfolgreich, sich seinen Lebensunterhalt in der Pfalz als Privatfinanzier zu verdienen; auch das Eintreiben von Schulden gehörte zu seinen ersten Tätigkeiten. Mit der Vergabe von Krediten an verschuldete Adlige stieg er gesellschaftlich auf; er sprang immer dann ein, wenn Banken sich weigerten, den aufwändigen Lebenswandel der Geldsuchenden zu finanzieren. Seine Kredite waren teuer, jedoch ohne zu wuchern.
Als Finanzmakler und Bankier brachte er es schnell zu Wohlstand und Ansehen. Er arbeitete unter anderem für den pfälzischen und den Kölnischen Kurfürsten. Bei einer Heiratsvermittlung im Auftrag des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg lernte er 1732 in Wildbad dessen Neffen Karl Alexander kennen, der unter chronischem Geldmangel litt. Noch im selben Jahr ernannte dieser Oppenheimer zu seinem Hof- und Kriegsfaktor.
Ratgeber des Herzogs
Als Karl Alexander nach Eberhard Ludwigs Tod am 31. Oktober 1733 Herzog von Württemberg wurde, war Oppenheimer für ihn so wichtig geworden, dass er ihm einen weiten Entscheidungsspielraum in Wirtschafts- und Finanzfragen des Landes einräumte. 1736 wurde Oppenheimer zum Geheimen Finanzrat und politischen Ratgeber des Herzogs berufen und stieg schnell weiter auf. Herzog Karl Alexander war lange vor der Thronbesteigung vom protestantischen zum katholischen Glauben übergetreten. In seiner vierjährigen Regierungszeit (1733–1737) regierte also ein katholischer Fürst beraten von einem Juden ohne volle Bürgerrechte über eine protestantische Bevölkerung, was erhebliche Spannungen erzeugte.
Um die desolaten Finanzen des Landes mit dem absolutistischen Repräsentations- und Geldbedarf des Herzogs Karl Alexander in Einklang zu bringen, führte Oppenheimer zahlreiche Neuerungen im Sinne eines merkantilistischen Wirtschaftssystems ein. Er gründete eine Tabak-, Seiden- und Porzellanmanufaktur und auch die erste Bank Württembergs, die er selbst betrieb. Er besteuerte Beamtenbezüge und verkaufte gegen hohe Gebühren Handelsrechte für Salz, Leder und Wein an Juden. Daneben handelte er mit Edelsteinen, Edelmetallen, pachtete die staatliche Münze, veranstaltete Lotterien und andere Glücksspiele und vermittelte in Rechtsstreitigkeiten.
Herzog Karl Alexander beschloss die von Oppenheimer vorgeschlagenen Maßnahmen und Reformen in absolutistischer Machtvollkommenheit, ohne die Zustimmung der protestantischen Württembergischen Landstände, obgleich diesen nach dem Tübinger Vertrag, der auch als württembergische Verfassung galt, das Recht der Steuerbewilligung zugestanden hätte. Vor dem Hintergrund dieser politischen und konfessionellen Spannungen weckten Oppenheimers erfolgreiche Staatssanierung, sein Wohlstand und seine rigide Geld- und Steuerpolitik bei vielen Landesbeamten und Bürgern Neid, Hass und antijüdische Ressentiments.
Sturz und Hinrichtung
Verunglimpfende Darstellung des Joseph Süß Oppenheimer mit Galgen als Emblem in der unteren Bildmitte, über folgenden höhnischen Zeilen: „Wer grosser Herren Gunst misbraucht mit bösen Rath / Wie dieser freche Jud Süss Oppenheimer that, / Wen Geitz und Übermuth, auch Wollust eingenommen, / Der mus wie Haman dort zu letzt an Galgen kommen.“ (Kupferstich von 1738)
Als Karl Alexander am 12. März 1737 durch ein Lungenödem unerwartet starb und damit der Schutz entfiel, wurde Oppenheimer noch am selben Tag festgenommen. Gleich nach seiner Verhaftung wurde auch sein gesamtes Personal verhaftet, die Wohnung versiegelt, das Vermögen konfisziert und private und geschäftliche Schriftstücke beschlagnahmt.[1] Seine Wohnungseinrichtung sowie alle seine Wertgegenstände, soweit sie sich in Württemberg befanden, wurden bereits am 18. August 1737, ein halbes Jahr vor seiner Verurteilung, öffentlich versteigert oder verkauft.[2] Nachdem er zuerst auf die Burg Hohenneuffen verbracht worden war, wo auch ein erstes provisorisches Verhör stattgefunden hatte,[1] verlegte man ihn am 30. Mai auf die Festung Hohenasperg, wo er seinen Hungerstreik fortführte.[3]
Die Anklage lautete auf Hochverrat, Majestätsbeleidigung, Beraubung der staatlichen Kassen, Amtshandel, Bestechlichkeit, „Schändung“ der protestantischen Religion und sexuellen Umgang mit „Christinnen“. Man warf ihm unter anderem vor, er habe sich an einer Vierzehnjährigen vergangen. Deren Jungfräulichkeit wurde jedoch von zwei Hebammen bestätigt. Auch für andere Anklagepunkte, die auf alten antijüdischen Klischees beruhten, lagen keine Beweise vor. Die Verteidigung von Oppenheimer übernahm der Hofgerichtsadvokat Andreas Michael Mögling. Er verfasste eine Verteidigungsschrift, die nachweislich dem Sondergericht vorgelegt wurde. Das unter Ausschuss der Öffentlichkeit tagende Gericht nahm sie jedoch nicht zur Kenntnis, weil das am 9. Januar 1738 gefällte Todesurteil bereits vorher feststand. Die Verteidigungsschrift wurde aus den Prozessakten entfernt. Sie war zwar zuvor aus einer Abschrift (in der Universitätsbibliothek Tübingen) bekannt, doch erst 2011 gelang es dem Württembergischen Hauptstaatsarchiv das bis dahin sich im privaten Besitz befindende und deshalb unbekannte Original zu erwerben.[4] Bei der Urteilsverkündung wurde auf Benennung von Straftaten und auf eine Begründung verzichtet. Das Todesurteil unterzeichnete Herzog Carl Rudolf, der Vormund von Karl Alexanders minderjährigem Sohn Carl Eugen.
Man stellte Oppenheimer in einem rot gestrichenen Käfig zur Schau und versprach ihn zu begnadigen, falls er zum Christentum übertrete, was er jedoch ablehnte. Vor seinem Tod sprach er das Schma Israel. Mardochai Schloß, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, durfte ihm Beistand leisten, ein Rabbiner wurde ihm jedoch vorenthalten.
Hinrichtung des Joseph Süß Oppenheimer am 4. Februar 1738 vor den Toren Stuttgarts
Am 4. Februar 1738 wurde er am Galgen gehenkt. Nach zeitgenössischen Quellen beobachtete eine große Anzahl von Menschen die Tötung auf dem Stuttgarter Hinrichtungsplatz, dem Stuttgarter Galgenberg[5], oberhalb der Tunzenhofer Steige, wo heute der Südeingang zum Pragfriedhof liegt.[6] Oppenheimers Leichnam wurde sechs Jahre lang in dem eisernen Käfig öffentlich zur Schau gestellt, erst 1744 ließ ihn Herzog Carl Eugen bei seinem Regierungsantritt abhängen und verscharren.
Die Prozessakten
Bis 1918 waren die 7,5 Regalmeter Prozessakten geheim. Ein Einblick zu Forschungszwecken war selbst noch im 19. Jahrhundert nur in einzelne Schriftstücke möglich. Im 19. Jahrhundert gingen die Prozessakten von den damit befassten Behörden in den Besitz des damaligen Königlichen Staatsarchivs über. Seit 1918 ist der Aktenbestand mit der Bezeichnung A48/14 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart frei zugänglich[7]. Er umfasst sämtliche Schriftstücke aus den Jahren von 1727 bis 1772, angefangen von den ältesten beschlagnahmten Dokumenten bis zur Auflösung der für das Vermögen Oppenheimers zuständigen Inventur-Deputation im Jahr 1772.
Erste Untersuchungen zeigten eine akribische Dokumentation jedes möglichen Verdachtsmomentes und aller Verhörprotokolle. Ziel der Ankläger war die Beweisführung, dass Oppenheimer der böse Ratgeber des Herzogs Karl Alexander gewesen sein musste. Dazu waren alle Mittel recht, so zum Beispiel die Aufforderung zur Denunziation, die öffentlich verlesen und an den Rathäusern in ganz Württemberg ausgehängt wurde. 607 Personen kamen dieser Aufforderung nach.[8] Selbst die Versteigerungserlöse wurden bis auf Heller und Pfennig aufgeführt.
Die Prozessakten umfassen im Wesentlichen:
Die Verhörprotokolle und Ermittlungen der Inquisitionskommission, die den nachfolgenden Gerichtsprozess vorbereitet hatte
Beschlagnahmte Dokumente aus den Privaträumen Oppenheimers
Die sogenannten Landberichte, die infolge der öffentlichen Aufforderung zur Denunziation Oppenheimers eingegangen waren
Regelmäßige Berichte der mit dem Vermögen betrauten Inventur-Deputation.
Die Akten aus dem Gerichtsprozess selbst mit Urteilsfassung.
Bis zur Gegenwart wurden die äußerst umfangreichen Prozessakten jedoch nicht vollständig durchgearbeitet. Die handschriftlichen und oft zusammenhanglos gesammelten Aufzeichnungen zu entziffern und zuzuordnen ist kompliziert. Damit ist die Quellengrundlage für eine vollständige Beurteilung der historischen Person Joseph Süß Oppenheimer wissenschaftlich noch nicht völlig erschlossen.
Getrennt von dem spezifischen Aktenbestand des Angeklagten Oppenheimer, existieren weitere Teilbestände von Mitangeklagten Oppenheimers:
A48/1 Johann Christoph Bühler
A48/6 Jakob Friedrich Hallwachs
A48/8 Professor Johann Friedrich Hobbahn
A48/9 Johann Albrecht Mez
A48/11 Franz Joseph Freiherr von Remchingen
A48/13 Johann Theodor Scheffer
Künstlerische und propagandistische Umsetzungen
Der Aufstieg eines im Ghetto aufgewachsenen Juden an die Spitze der höfischen Gesellschaft war ein bis ins 18. Jahrhundert noch nie dagewesenes Ereignis. Juden waren enge Schranken gesetzt. Einzig durch Aufgabe ihres Glaubens war es ihnen möglich, aus diesen Grenzen auszubrechen. Oppenheimer gelang das bis dahin Unmögliche, was seine Geschichte schon früh interessant und zum Stoff vieler Veröffentlichungen machte. Aber auch der Triumph des tief verwurzelten Antijudaismus sowie antisemitische Sexualphantasien dienten als Vorlage der Rezeption.
19. Jahrhundert
1827 erschien die Novelle Jud Süß von Wilhelm Hauff, die sich weitgehend auf Hörensagen und Interpretation stützen musste, da die Prozessakten erst ab 1919 zugänglich wurden. Hauff befürwortete die Trennung zwischen „Juden“ und „Nichtjuden“, das Urteil lehnte er aber als ungerecht ab.
1848 entwickelte Albert Dulk aus Hauffs Novelle ein Drama, das für die jüdische Emanzipation Partei ergriff. In den Jahren 1872 und 1886 entstand mit den Romanen von Marcus Lehmann und Salomon Kohn „erotisch eingefärbter Heiligen-Kitsch“.[9]
20. Jahrhundert
In Fritz Runges Schauspiel Jud Süß von 1912[10] war Oppenheimer ein „Sittenstrolch nach dem Geschmack der Antisemiten“.[11]
Weltbekannt wurde Lion Feuchtwangers Roman Jud Süß aus dem Jahr 1925, der ebenfalls mit drastischen Liebesszenen nicht spart. Feuchtwangers gleichnamiges Schauspiel von 1918 hatte weit weniger Publikumsresonanz erhalten. Auf dem Roman baute 1934 eine angloamerikanische Filmproduktion von Lothar Mendes Jew Süss auf, in der Oppenheimer zu einem Aufsteiger im Sinne des Selfmademan wird, der sein Volk aus dem Ghetto zu befreien hofft. Es war ein Versuch, mit dem vor dem Antisemitismus im gerade etablierten „Dritten Reich“ gewarnt werden sollte. In Deutschland und Österreich wurde der Film verboten.
1933 bearbeitete Eugen Ortner den Stoff im Sinne der nationalsozialistischen Kulturauffassung für die Bühne. Das Stück beruhte wie auch die Radio-Oper von Karl Otto Schilling aus dem Jahr 1937 auf Wilhelm Hauffs Novelle.
In der NS-Zeit wurde nur der antisemitische UFA- (bzw. Terra)-Propagandafilm Jud Süß bekannt, den Veit Harlan drehte und der 1940 Uraufführung hatte. Der Film beruhte teilweise auf der Hauff-Novelle. Als Pflichtprogramm für die SS sowie für alle Leiter und Wachmannschaften in den deutschen Vernichtungslagern sollte der Film vor allem dazu dienen, noch vorhandene Skrupel und Hemmungen bei der Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen zu beseitigen.[12] Am Drehbuch waren Eberhard Wolfgang Möller und Ludwig Metzger beteiligt. Veit Harlan ließ seinen Jud Süß in der Frankfurter Judengasse hausen, einem Ghetto, das mit drangvoller Enge, Schmutz und Unrat die negativen Klischees des Nationalsozialismus unterstrich. 1941 erschien im Ufa-Buchverlag Berlin J. R. Georges Roman zum Film „mit 16 Bildern aus dem gleichnamigen Terra-Film“. Der Film gilt bis heute als übelster Propagandafilm in der Zeit des Nationalsozialismus.
21. Jahrhundert
Die 1999 uraufgeführte Oper Joseph Süß von Detlev Glanert verarbeitet die historischen Ereignisse und erzählt die Geschichte aus der Perspektive des seine Hinrichtung erwartenden Oppenheimer.
Im Jahr 2013 wurde das Schauspiel Der Kaufmann von Stuttgart von Joshua Sobol unter der Regie von Manfred Langner im Alten Schauspielhaus in Stuttgart uraufgeführt.[13] Hier wird Oppenheimer als visionärer, kapitalistischer Freidenker dargestellt, der am Widerstand der Gilden gegen seine Reformen scheitert.
Seit 2013 initiiert eine Gruppe Kulturschaffender an der Hinrichtungsstätte Joseph Süß Oppenheimers, dem Stuttgarter Galgenbuckel, eine Veranstaltungsreihe, die sich mit dem Ort, seiner Geschichte und den aktuellen Veränderungen seiner Umgebung auseinandersetzt. [14]
Gedenktafel auf der Burg Hohenneuffen, wo Joseph Süß Oppenheimer eingekerkert war.
1998 wurde auf Anregung der Stiftung Geißstraße Sieben und in Gegenwart des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis ein Platz in der Stuttgarter Innenstadt nach Josef Süß Oppenheimer benannt.[15][16]
Seit 2015 wird im Gedenken an Joseph Süßkind Oppenheimer alle zwei Jahre vom Landtag von Baden-Württemberg und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) gemeinsam die „Joseph-Ben-Issachar-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung für herausragendes Engagement gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile in Wissenschaft und Publizistik" verliehen. Erste Preisträgerin ist die in Heidelberg eingetragene Amadeu Antonio Stiftung.[17]
Romane und Erzählungen (Auswahl)
Erstausgabe des Romans von Lion Feuchtwanger aus dem Jahre 1925
Wilhelm Hauff: Jud Süß. In: Wilhelm Hauff: Novellen, Band 2. Franckh, Stuttgart 1828 (Neuauflage: Winkler, Darmstadt 1984, ISBN 3-538-06201-3)
Lion Feuchtwanger: Jud Süß, Drei Masken-Verlag, München 1925 (Neuauflage: Aufbau, Berlin 1991, ISBN 3-351-01660-3)
Rolf Schneider: Süß und Dreyfus, Steidl, Göttingen 1991, ISBN 3-88243-199-7
Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimers Rache, Erzählung, Gollenstein Verlag, Blieskastel 1994
Film
Jew Süss (nach dem Roman von Lion Feuchtwanger), 1934 (Regie: Lothar Mendes)
Jud Süß (nationalsozialistischer Propagandafilm), 1940 (Regie: Veit Harlan)
Joseph Süß-Oppenheimer, Dokumentarischer Fernsehfilm im ZDF, Deutschland 1983, mit Jörg Pleva und Manfred Krug
Jud Süß – Ein Film als Verbrechen?, Doku-Drama, Deutschland 2001, mit Axel Milberg, (Regie: Horst Königstein)[18]
Jud Süß – Film ohne Gewissen, Spielfilm, 2010 (Regie: Oskar Roehler)
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