Der Humanismus
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Der Humanismus
Humanismus ist eine seit dem 19. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung für verschiedene, teils gegensätzliche geistige Strömungen in diversen historischen Ausformungen, unter denen der Renaissance-Humanismus begriffsbildend herausragt. Gemeinsam ist ihnen eine optimistische Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, zu einer besseren Existenzform zu finden. Es wird ein Gesellschafts- und insbesondere Bildungsideal entworfen, dessen Verwirklichung jedem die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung ermöglichen soll. Damit verbindet sich Kritik an bestehenden Verhältnissen, die aus humanistischer Sicht diesem Ziel entgegenstehen. Hinsichtlich der konkreten Inhalte bestehen zwischen den einzelnen Humanismuskonzepten große Unterschiede, die sich aus der Verschiedenheit der anthropologischen Grundannahmen ergeben. Insbesondere besteht ein Gegensatz zwischen den Modellen, die aus der Tradition des Renaissance-Humanismus hervorgegangen sind, und alternativen Entwürfen der Moderne, die sich in Opposition zum traditionellen Humanismus begreifen und mit ihm wenig gemeinsam haben, aber am Begriff Humanismus als Selbstbezeichnung festhalten.
Michelangelo Buonarroti: Die Erschaffung Adams (Ausschnitt)
Der Humanismus der Renaissance war eine breite Bildungsbewegung, die auf antike oder als antik angesehene Vorstellungen zurückgriff. Die Renaissance-Humanisten erhofften sich eine optimale Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten durch die Verbindung von Wissen und Tugend. Humanistische Bildung sollte den Menschen befähigen, seine wahre Bestimmung zu erkennen und durch Nachahmung klassischer Vorbilder ein ideales Menschentum zu verwirklichen und eine entsprechende Gesellschaftsform zu gestalten. Der humanistische Lebensentwurf, der an das antike römische Konzept der humanitas anknüpfte, trat als Alternative neben das traditionelle, aus dem Mittelalter überkommene Menschenbild, das stark auf Gott und das Jenseits ausgerichtet war. Scharf grenzten sich die Renaissance-Humanisten vom spätmittelalterlichen scholastischen Gelehrtentum ab.
Die auf antike Schriften und Kunstwerke als klassische Bildungsgüter fokussierte humanistische Bewegung verbreitete sich im 15. und 16. Jahrhundert von Italien aus in Europa, verlor aber im Lauf des 16. Jahrhunderts an Schwungkraft. Sie beeinflusste alle europäisch geprägten Teile der Welt. Einen neuen Impuls erhielt sie im 18. und 19. Jahrhundert durch den in Deutschland florierenden Neuhumanismus, der sich in erster Linie an der griechischen Antike orientierte und im deutschsprachigen Raum das höhere Bildungswesen prägte. Eine Begleiterscheinung war der Griechenenthusiasmus, der sich im Philhellenismus auch politisch auswirkte.
Kritik an der als einseitig empfundenen Ausrichtung des Neuhumanismus auf die Antike und das „klassische“ Griechentum kam von verschiedenen Seiten. Im englischen Sprachraum wurde die deutsche Griechenbegeisterung teils als „Tyrannei Griechenlands über Deutschland“ wahrgenommen. Verfechter einer gleichberechtigten neusprachlichen Bildung wie Friedrich Paulsen wandten sich gegen das Übergewicht des altsprachlichen Unterrichts im humanistischen Gymnasium, der daraufhin schrittweise zurückgedrängt wurde.
Neuartige Ausprägungen hat der Humanismusbegriff in der existentialistischen Philosophie sowie in Marxismus und Realsozialismus erfahren, wobei es von völlig neuen Ansätzen aus zu scharfer Abgrenzung vom „klassischen“ Humanismus kam. Als verbindendes Element alter und neuer Ansätze kann der Anthropozentrismus gelten, die Konzentration des Interesses und der Bemühungen auf den Menschen und seine Einzigartigkeit, im Gegensatz etwa zu Weltanschauungen, die Gott oder das Naturganze in den Mittelpunkt stellen oder die menschliche Lebensform nur als eine unter vielen auffassen.
Bedeutungen und Problematik des Begriffs Humanismus
Entstehung und traditionelle Verwendungen des Begriffs
Der deutsche Begriff Humanismus wurde erstmals von Friedrich Immanuel Niethammer in der 1808 erschienenen Schrift Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unserer Zeit verwendet. Er verteidigt die an der griechischen Klassik orientierte Bildung gegen die praktisch-technische Ausbildung an den Realschulen. Der praktische Nutzen soll nicht allein im Vordergrund stehen. Die humanistische Bildung gibt den Jugendlichen klassische Muster vor, die zu einer ästhetischen, moralischen und geistigen Entwicklung beitragen. Nach Niethammer hat der von den Griechen thematisierte Logos den Menschen über seine rohe Natur hinaus zum Geistigen geführt. Erst damit wurde seine wahre Menschlichkeit begründet. Der Logos, der sich in Jesus Christus inkarniert habe (Joh 1,14 EU), sei zugleich das Urprinzip menschlicher Bildung.[1]
Neben die von Niethammer geprägte ursprüngliche, epochenübergreifende Bedeutung des Ausdrucks Humanismus trat im Lauf des 19. Jahrhunderts eine weitere: Er wurde als kulturhistorischer Epochenbegriff auch zur Bezeichnung für die lange Zeit des Übergangs vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit verwendet. Erstmals sprach Karl Hagen 1841 in diesem engeren Sinn von „Humanismus“.[2] 1859 veröffentlichte Georg Voigt das Standardwerk Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus, das maßgeblich zur Etablierung der speziellen historischen Begriffsverwendung beitrug.
Gemeinsam ist den traditionellen Begriffsverwendungen, dass das Menschenbild und Bildungsideal führender Renaissance-Humanisten und deren Haltung gegenüber der Antike als Kernbestandteil dessen, was „Humanismus“ ausmacht, aufgefasst wird. Der traditionelle, „klassische“ Humanismus umfasst im engsten Sinne nur die Bildungsbewegung in der Epoche der Renaissance. In einem weiteren Sinne gehören dazu auch alle späteren Konzepte bis zur Gegenwart, deren Vertreter sich auf die Tradition des Renaissance-Humanismus berufen und dessen Hauptgedanken übernommen und weiterentwickelt haben. Das gemeinsame Hauptmerkmal aller traditionellen Richtungen ist die Vorstellung einer überzeitlichen Vorbildlichkeit antiker Muster.
In Anbetracht der zentralen Bedeutung römischer Vorbilder für die Inhalte des neuzeitlichen Humanismus werden mitunter auch diese Vorbilder selbst - in erster Linie Cicero – zum Humanismus gezählt. Als „Humanist“ kann Cicero auch unter dem Gesichtspunkt gelten, dass Humanisten Bewunderer und Nachahmer von Klassikern sind: Seine Rezeption der griechischen Literatur und Bildung ist dem Verhältnis der Renaissance-Humanisten zur altrömischen Kultur in gewisser Hinsicht vergleichbar. Daher ist in manchen Werken der Forschungsliteratur von einem antiken „römischen Humanismus“ die Rede. Die Anwendung des Begriffs „Humanismus“ auf Erscheinungen der römischen Geistesgeschichte hat zwar bei einer Reihe von Forschern Anklang gefunden,[3] ist aber auch auf Kritik gestoßen und hat sich nicht allgemein durchgesetzt. Ein Einwand lautet, eine humanistische Haltung entspreche nicht der römischen Mentalität.[4] Parallelen zum neuzeitlichen Humanismus schon in hochmittelalterlichem Schrifttum haben dazu geführt, dass mitunter auch von einem „mittelalterlichen Humanismus“ die Rede ist.[5]
Für die Befürworter einer epochenübergreifenden, auch die antiken Vorbilder einbeziehenden Begriffsverwendung ist das verbindende Element – das spezifisch Humanistische – ein Konzept von humanitas, das sowohl „Menschlichkeit“ im Sinne von humaner Gesinnung als auch sprachlich-literarische Bildung umfasst. Damit werde der Humanismus sowohl der ethischen als auch der intellektuellen Komponente des Menschseins gerecht. Auch in den Debatten um einen modernen Humanismus geht es um die beiden Aspekte der Humanität und einer idealistischen Erziehung und Bildung, wobei deren Gewichtung schwankt.
Breites Spektrum neuerer Lesarten
Dem kulturhistorischen Humanismusbegriff steht eine Vielzahl von im 19. und 20. Jahrhundert neu entwickelten Konzepten gegenüber, deren Vertreter unter „Humanismus“ nicht ein Phänomen einer abgeschlossenen Epoche oder einen bloßen Kanon herkömmlicher Bildungsgüter verstehen, sondern ein gesellschaftspolitisches Programm, das zur Bewältigung gegenwärtiger Herausforderungen und zur Gestaltung der Zukunft dienen soll.[6] Die neuen Ansätze treten nicht nur als individualphilosophische Ausprägungen, sondern auch in Form breiterer Strömungen in Erscheinung. Teils bewegen sie sich in traditionellen Bahnen, indem sie an die Grundgedanken der Renaissance-Humanisten und des Neuhumanismus anknüpfen, teils distanzieren sie sich nachdrücklich davon und beschreiten völlig neue Wege. Walter Rüegg unterscheidet sechs Richtungen:
der idealistische Humanismus, zielend auf die „harmonische Idealität der griechischen Menschen“ (samt Neubegründung in Werner Jaegers Paideia);
der liberaldemokratische Humanismus dialektischer, positivistischer und pragmatischer Färbung, der den allgemein gebildeten, aufgeklärten und beruflich erfolgreichen Bürger in der modernen Welt im Visier hat;
der marxistische Humanismus, der auf Überwindung der Selbstentfremdung des Menschen durch kapitalistische Arbeitsverhältnisse und Ausbeutung zielt;
der integrale Humanismus, der in seinem Menschenbild die Tradition des Katholizismus (in Form der Vereinigung von antikem Vernunftdenken mit jüdisch-christlicher Gotteskindschaft) mit den neuen Aufgaben in einer säkularisierten Gesellschaft zusammenführt;
der biblizistische Humanismus protestantischer Herkunft, dessen Menschenbild ausschließlich auf die Bibel zurückgreift, dabei aber der Begegnung konfessionell verschiedener Humanismus-Auffassungen Raum gibt;
der existenzialistische Humanismus, der vorgegebene Menschenbilder durchgängig zurückweist, für die freie Entwicklung der individuellen Existenz auf Orientierung aber angewiesen bleibt.[7]
Kritik an unpräziser und unhistorischer Begriffsverwendung
Die Vielfalt der gedanklichen Konzepte, Deutungen und gesellschaftspolitischen Verwendungen, die mit Humanismus in der jüngeren Vergangenheit verbunden wurden, unterstreicht einerseits eine überzeitliche Aura und Attraktivität dieses Begriffs, lässt ihn andererseits aber auch schillernd bis zur Beliebigkeit erscheinen. Daran wurde mitunter harsche Kritik geübt, so zum Beispiel durch den Romanisten Ernst Robert Curtius 1960:
„Wie schattenhaft heute schon der Begriff Humanismus geworden ist, ersieht man daraus, daß sich die meisten Leute nichts Bestimmtes mehr darunter vorstellen können. In der ersten Nachkriegsphase – vom Waffenstillstand zum Währungsschnitt – wurden wenige Schlagwörter in der öffentlichen Diskussion so abgegriffen wie Humanismus. Hinz und Kunz gaben vor, das Publikum damit beliefern zu können. Wie viele Erasmusse gab es damals in Deutschland. Man soll diejenigen respektieren, die es schon immer waren und sich dazu bekannt haben. Aber ihrer waren wenige unter den neuen Konjunkturhumanisten.“[8]
Die Ansicht, dass nur ein auf die Ausgangskonstellation zielender Humanismus den Begriff richtig erfasse, ist neuerdings von Volker Reinhardt wieder betont worden. Als Erscheinung der europäischen Kulturgeschichte sei Humanismus auf die Zeit zwischen 1350 und 1550 beschränkt und danach untergegangen. Anderweitige Verwendungen, die in der Gleichsetzung von Humanismus mit humanitär gründeten, seien unhistorisch und sinnentstellend. Bei den „echten“ Humanisten habe es sich um „begnadete Polemiker, Selbstprofilierer, Ab- und Ausgrenzer in jeder Hinsicht“ gehandelt. Für sie sei der Perfektionsgrad des jeweiligen Lateins der Maßstab sittlicher Vervollkommnung gewesen. „Von dieser Sprachverherrlichung und diesem Sprachkult aber sind die Geistesbewegungen, die sich als neo-humanistisch verstehen oder als „modern-humanistisch“ angesprochen werden, denkbar weit entfernt.“[9]
Epochen des „klassischen“ Humanismus
Antike Wurzeln
Den Ausgangspunkt für die Formulierung und Verbreitung des Gedankenguts, das später „humanistisch“ genannt wurde, bildete der antike römische Begriff humanitas („Humanität“, „Menschlichkeit“). Das vom Adjektiv humanus („menschlich“) abgeleitete Wort ist erstmals in der von einem unbekannten Verfasser stammenden Schrift Rhetorica ad Herennium bezeugt, die im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist. Dort ist das Merkmal der humanitas das Mitgefühl, das als besondere Qualität des Menschen gilt, die sein Wesen von der tierischen Wildheit und Grausamkeit abhebt. In diesem Sinne wurde humanus schon früher in der römischen Komödie verwendet. Als „menschlich“ bezeichnete man in der lateinischen Umgangssprache eine milde, mitfühlende Person, wobei die Konnotationen „liebenswürdig“, „freundlich“, „wohlwollend“ und „hilfsbereit“ mitschwingen konnten. Eine solche Haltung wurde eher von kultivierten, vornehmen Bewohnern der Großstadt Rom als von der Landbevölkerung erwartet, daher erhielt das Adjektiv schon früh auch die Nebenbedeutungen „großstädtisch“ und „gebildet“ („urban“).[10]
Marcus Tullius Cicero
Das Bedeutungsfeld von humanitas wurde vor allem von Cicero geprägt, der später zum wichtigsten antiken Impulsgeber des Renaissance-Humanismus wurde. Kein anderer römischer Autor hat auf diesen Begriff so großes Gewicht gelegt wie Cicero. Auch für ihn war der Aspekt der menschenfreundlichen Gesinnung wichtig, den er als Kenner der griechischen Literatur im griechischen Begriff philanthrōpía („Philanthropie“) vorfand. Er war vom Philanthropie-Ideal beeindruckt, das er für eine spezifisch griechische Errungenschaft hielt. In diesem Sinne konstatierte er, die Menschlichkeit sei von den Griechen nicht nur praktiziert worden, sondern von ihnen zu den anderen Völkern ausgegangen. Daher schuldeten die Römer nun, da sie Griechenland beherrschten, den Griechen ganz besonders eine menschenfreundliche Behandlung.[11]
Spätestens bei Cicero trat aber neben die herkömmliche Hauptbedeutung von humanus und humanitas eine weitere, die sogar in den Vordergrund rückte. Nach seinem Verständnis gehörte zum Menschentum nicht nur eine wohlwollende „Humanität“, sondern in erster Linie Bildung. Dabei ging es ihm um die Verwirklichung eines Bildungsideals, das an die griechische paideía anknüpfte. Bei seinem Bildungsziel setzte Cicero allerdings einen anderen Akzent als die griechischen Vorbilder, indem er mit der humanitas die Eigenart des spezifisch Menschlichen (im Unterschied zum Tier und zum Gott) hervorhob. Zu kultivieren war nach seiner Überzeugung die „Menschennatur“, das Menschengemäße, den Menschen Auszeichnende. Für dieses Element des nur dem Menschen Eigentümlichen, nur ihn Charakterisierenden hatten die griechischen Klassiker keinen besonderen Ausdruck. Ein Ideal vollendeten Menschentums gab es im griechischen Denken der klassischen Zeit nicht, da das Menschliche primär als etwas im Vergleich zum Göttlichen prinzipiell Mangelhaftes wahrgenommen wurde. Die römische humanitas, in der die beiden Elemente Menschenfreundlichkeit und Bildung verschmolzen, stellte eine Neuschöpfung dar.[12]
Eine zentrale Rolle spielte für dieses Verständnis von Menschentum die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation auf hohem Niveau, die ein erstrangiges Bildungsziel war. Sie zeigte sich im öffentlichen Leben – in der Politik und im Rechtswesen – als Beredsamkeit, im alltäglichen privaten Umgang als Urbanität, das heißt als Höflichkeit, Witz, Anmut und Leichtigkeit in der Ausdrucksweise, worin sich eine gelassene Haltung spiegelte. Neben der Fähigkeit, sich der Sprache souverän zu bedienen und andere zu überzeugen, war die philosophische Charakterbildung, die Aneignung von Tugenden wie Milde, Gerechtigkeit und Würde ein Hauptelement des Strebens nach humanitas im Sinne Ciceros. Auch Freigebigkeit gehörte dazu.
In der römischen Kaiserzeit griff Seneca das Konzept der humanitas auf, verengte es aber, indem er nur die ethische Zielsetzung als wesentlich betrachtete.
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus
Michelangelo Buonarroti: Die Erschaffung Adams (Ausschnitt)
Der Humanismus der Renaissance war eine breite Bildungsbewegung, die auf antike oder als antik angesehene Vorstellungen zurückgriff. Die Renaissance-Humanisten erhofften sich eine optimale Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten durch die Verbindung von Wissen und Tugend. Humanistische Bildung sollte den Menschen befähigen, seine wahre Bestimmung zu erkennen und durch Nachahmung klassischer Vorbilder ein ideales Menschentum zu verwirklichen und eine entsprechende Gesellschaftsform zu gestalten. Der humanistische Lebensentwurf, der an das antike römische Konzept der humanitas anknüpfte, trat als Alternative neben das traditionelle, aus dem Mittelalter überkommene Menschenbild, das stark auf Gott und das Jenseits ausgerichtet war. Scharf grenzten sich die Renaissance-Humanisten vom spätmittelalterlichen scholastischen Gelehrtentum ab.
Die auf antike Schriften und Kunstwerke als klassische Bildungsgüter fokussierte humanistische Bewegung verbreitete sich im 15. und 16. Jahrhundert von Italien aus in Europa, verlor aber im Lauf des 16. Jahrhunderts an Schwungkraft. Sie beeinflusste alle europäisch geprägten Teile der Welt. Einen neuen Impuls erhielt sie im 18. und 19. Jahrhundert durch den in Deutschland florierenden Neuhumanismus, der sich in erster Linie an der griechischen Antike orientierte und im deutschsprachigen Raum das höhere Bildungswesen prägte. Eine Begleiterscheinung war der Griechenenthusiasmus, der sich im Philhellenismus auch politisch auswirkte.
Kritik an der als einseitig empfundenen Ausrichtung des Neuhumanismus auf die Antike und das „klassische“ Griechentum kam von verschiedenen Seiten. Im englischen Sprachraum wurde die deutsche Griechenbegeisterung teils als „Tyrannei Griechenlands über Deutschland“ wahrgenommen. Verfechter einer gleichberechtigten neusprachlichen Bildung wie Friedrich Paulsen wandten sich gegen das Übergewicht des altsprachlichen Unterrichts im humanistischen Gymnasium, der daraufhin schrittweise zurückgedrängt wurde.
Neuartige Ausprägungen hat der Humanismusbegriff in der existentialistischen Philosophie sowie in Marxismus und Realsozialismus erfahren, wobei es von völlig neuen Ansätzen aus zu scharfer Abgrenzung vom „klassischen“ Humanismus kam. Als verbindendes Element alter und neuer Ansätze kann der Anthropozentrismus gelten, die Konzentration des Interesses und der Bemühungen auf den Menschen und seine Einzigartigkeit, im Gegensatz etwa zu Weltanschauungen, die Gott oder das Naturganze in den Mittelpunkt stellen oder die menschliche Lebensform nur als eine unter vielen auffassen.
Bedeutungen und Problematik des Begriffs Humanismus
Entstehung und traditionelle Verwendungen des Begriffs
Der deutsche Begriff Humanismus wurde erstmals von Friedrich Immanuel Niethammer in der 1808 erschienenen Schrift Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unserer Zeit verwendet. Er verteidigt die an der griechischen Klassik orientierte Bildung gegen die praktisch-technische Ausbildung an den Realschulen. Der praktische Nutzen soll nicht allein im Vordergrund stehen. Die humanistische Bildung gibt den Jugendlichen klassische Muster vor, die zu einer ästhetischen, moralischen und geistigen Entwicklung beitragen. Nach Niethammer hat der von den Griechen thematisierte Logos den Menschen über seine rohe Natur hinaus zum Geistigen geführt. Erst damit wurde seine wahre Menschlichkeit begründet. Der Logos, der sich in Jesus Christus inkarniert habe (Joh 1,14 EU), sei zugleich das Urprinzip menschlicher Bildung.[1]
Neben die von Niethammer geprägte ursprüngliche, epochenübergreifende Bedeutung des Ausdrucks Humanismus trat im Lauf des 19. Jahrhunderts eine weitere: Er wurde als kulturhistorischer Epochenbegriff auch zur Bezeichnung für die lange Zeit des Übergangs vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit verwendet. Erstmals sprach Karl Hagen 1841 in diesem engeren Sinn von „Humanismus“.[2] 1859 veröffentlichte Georg Voigt das Standardwerk Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus, das maßgeblich zur Etablierung der speziellen historischen Begriffsverwendung beitrug.
Gemeinsam ist den traditionellen Begriffsverwendungen, dass das Menschenbild und Bildungsideal führender Renaissance-Humanisten und deren Haltung gegenüber der Antike als Kernbestandteil dessen, was „Humanismus“ ausmacht, aufgefasst wird. Der traditionelle, „klassische“ Humanismus umfasst im engsten Sinne nur die Bildungsbewegung in der Epoche der Renaissance. In einem weiteren Sinne gehören dazu auch alle späteren Konzepte bis zur Gegenwart, deren Vertreter sich auf die Tradition des Renaissance-Humanismus berufen und dessen Hauptgedanken übernommen und weiterentwickelt haben. Das gemeinsame Hauptmerkmal aller traditionellen Richtungen ist die Vorstellung einer überzeitlichen Vorbildlichkeit antiker Muster.
In Anbetracht der zentralen Bedeutung römischer Vorbilder für die Inhalte des neuzeitlichen Humanismus werden mitunter auch diese Vorbilder selbst - in erster Linie Cicero – zum Humanismus gezählt. Als „Humanist“ kann Cicero auch unter dem Gesichtspunkt gelten, dass Humanisten Bewunderer und Nachahmer von Klassikern sind: Seine Rezeption der griechischen Literatur und Bildung ist dem Verhältnis der Renaissance-Humanisten zur altrömischen Kultur in gewisser Hinsicht vergleichbar. Daher ist in manchen Werken der Forschungsliteratur von einem antiken „römischen Humanismus“ die Rede. Die Anwendung des Begriffs „Humanismus“ auf Erscheinungen der römischen Geistesgeschichte hat zwar bei einer Reihe von Forschern Anklang gefunden,[3] ist aber auch auf Kritik gestoßen und hat sich nicht allgemein durchgesetzt. Ein Einwand lautet, eine humanistische Haltung entspreche nicht der römischen Mentalität.[4] Parallelen zum neuzeitlichen Humanismus schon in hochmittelalterlichem Schrifttum haben dazu geführt, dass mitunter auch von einem „mittelalterlichen Humanismus“ die Rede ist.[5]
Für die Befürworter einer epochenübergreifenden, auch die antiken Vorbilder einbeziehenden Begriffsverwendung ist das verbindende Element – das spezifisch Humanistische – ein Konzept von humanitas, das sowohl „Menschlichkeit“ im Sinne von humaner Gesinnung als auch sprachlich-literarische Bildung umfasst. Damit werde der Humanismus sowohl der ethischen als auch der intellektuellen Komponente des Menschseins gerecht. Auch in den Debatten um einen modernen Humanismus geht es um die beiden Aspekte der Humanität und einer idealistischen Erziehung und Bildung, wobei deren Gewichtung schwankt.
Breites Spektrum neuerer Lesarten
Dem kulturhistorischen Humanismusbegriff steht eine Vielzahl von im 19. und 20. Jahrhundert neu entwickelten Konzepten gegenüber, deren Vertreter unter „Humanismus“ nicht ein Phänomen einer abgeschlossenen Epoche oder einen bloßen Kanon herkömmlicher Bildungsgüter verstehen, sondern ein gesellschaftspolitisches Programm, das zur Bewältigung gegenwärtiger Herausforderungen und zur Gestaltung der Zukunft dienen soll.[6] Die neuen Ansätze treten nicht nur als individualphilosophische Ausprägungen, sondern auch in Form breiterer Strömungen in Erscheinung. Teils bewegen sie sich in traditionellen Bahnen, indem sie an die Grundgedanken der Renaissance-Humanisten und des Neuhumanismus anknüpfen, teils distanzieren sie sich nachdrücklich davon und beschreiten völlig neue Wege. Walter Rüegg unterscheidet sechs Richtungen:
der idealistische Humanismus, zielend auf die „harmonische Idealität der griechischen Menschen“ (samt Neubegründung in Werner Jaegers Paideia);
der liberaldemokratische Humanismus dialektischer, positivistischer und pragmatischer Färbung, der den allgemein gebildeten, aufgeklärten und beruflich erfolgreichen Bürger in der modernen Welt im Visier hat;
der marxistische Humanismus, der auf Überwindung der Selbstentfremdung des Menschen durch kapitalistische Arbeitsverhältnisse und Ausbeutung zielt;
der integrale Humanismus, der in seinem Menschenbild die Tradition des Katholizismus (in Form der Vereinigung von antikem Vernunftdenken mit jüdisch-christlicher Gotteskindschaft) mit den neuen Aufgaben in einer säkularisierten Gesellschaft zusammenführt;
der biblizistische Humanismus protestantischer Herkunft, dessen Menschenbild ausschließlich auf die Bibel zurückgreift, dabei aber der Begegnung konfessionell verschiedener Humanismus-Auffassungen Raum gibt;
der existenzialistische Humanismus, der vorgegebene Menschenbilder durchgängig zurückweist, für die freie Entwicklung der individuellen Existenz auf Orientierung aber angewiesen bleibt.[7]
Kritik an unpräziser und unhistorischer Begriffsverwendung
Die Vielfalt der gedanklichen Konzepte, Deutungen und gesellschaftspolitischen Verwendungen, die mit Humanismus in der jüngeren Vergangenheit verbunden wurden, unterstreicht einerseits eine überzeitliche Aura und Attraktivität dieses Begriffs, lässt ihn andererseits aber auch schillernd bis zur Beliebigkeit erscheinen. Daran wurde mitunter harsche Kritik geübt, so zum Beispiel durch den Romanisten Ernst Robert Curtius 1960:
„Wie schattenhaft heute schon der Begriff Humanismus geworden ist, ersieht man daraus, daß sich die meisten Leute nichts Bestimmtes mehr darunter vorstellen können. In der ersten Nachkriegsphase – vom Waffenstillstand zum Währungsschnitt – wurden wenige Schlagwörter in der öffentlichen Diskussion so abgegriffen wie Humanismus. Hinz und Kunz gaben vor, das Publikum damit beliefern zu können. Wie viele Erasmusse gab es damals in Deutschland. Man soll diejenigen respektieren, die es schon immer waren und sich dazu bekannt haben. Aber ihrer waren wenige unter den neuen Konjunkturhumanisten.“[8]
Die Ansicht, dass nur ein auf die Ausgangskonstellation zielender Humanismus den Begriff richtig erfasse, ist neuerdings von Volker Reinhardt wieder betont worden. Als Erscheinung der europäischen Kulturgeschichte sei Humanismus auf die Zeit zwischen 1350 und 1550 beschränkt und danach untergegangen. Anderweitige Verwendungen, die in der Gleichsetzung von Humanismus mit humanitär gründeten, seien unhistorisch und sinnentstellend. Bei den „echten“ Humanisten habe es sich um „begnadete Polemiker, Selbstprofilierer, Ab- und Ausgrenzer in jeder Hinsicht“ gehandelt. Für sie sei der Perfektionsgrad des jeweiligen Lateins der Maßstab sittlicher Vervollkommnung gewesen. „Von dieser Sprachverherrlichung und diesem Sprachkult aber sind die Geistesbewegungen, die sich als neo-humanistisch verstehen oder als „modern-humanistisch“ angesprochen werden, denkbar weit entfernt.“[9]
Epochen des „klassischen“ Humanismus
Antike Wurzeln
Den Ausgangspunkt für die Formulierung und Verbreitung des Gedankenguts, das später „humanistisch“ genannt wurde, bildete der antike römische Begriff humanitas („Humanität“, „Menschlichkeit“). Das vom Adjektiv humanus („menschlich“) abgeleitete Wort ist erstmals in der von einem unbekannten Verfasser stammenden Schrift Rhetorica ad Herennium bezeugt, die im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist. Dort ist das Merkmal der humanitas das Mitgefühl, das als besondere Qualität des Menschen gilt, die sein Wesen von der tierischen Wildheit und Grausamkeit abhebt. In diesem Sinne wurde humanus schon früher in der römischen Komödie verwendet. Als „menschlich“ bezeichnete man in der lateinischen Umgangssprache eine milde, mitfühlende Person, wobei die Konnotationen „liebenswürdig“, „freundlich“, „wohlwollend“ und „hilfsbereit“ mitschwingen konnten. Eine solche Haltung wurde eher von kultivierten, vornehmen Bewohnern der Großstadt Rom als von der Landbevölkerung erwartet, daher erhielt das Adjektiv schon früh auch die Nebenbedeutungen „großstädtisch“ und „gebildet“ („urban“).[10]
Marcus Tullius Cicero
Das Bedeutungsfeld von humanitas wurde vor allem von Cicero geprägt, der später zum wichtigsten antiken Impulsgeber des Renaissance-Humanismus wurde. Kein anderer römischer Autor hat auf diesen Begriff so großes Gewicht gelegt wie Cicero. Auch für ihn war der Aspekt der menschenfreundlichen Gesinnung wichtig, den er als Kenner der griechischen Literatur im griechischen Begriff philanthrōpía („Philanthropie“) vorfand. Er war vom Philanthropie-Ideal beeindruckt, das er für eine spezifisch griechische Errungenschaft hielt. In diesem Sinne konstatierte er, die Menschlichkeit sei von den Griechen nicht nur praktiziert worden, sondern von ihnen zu den anderen Völkern ausgegangen. Daher schuldeten die Römer nun, da sie Griechenland beherrschten, den Griechen ganz besonders eine menschenfreundliche Behandlung.[11]
Spätestens bei Cicero trat aber neben die herkömmliche Hauptbedeutung von humanus und humanitas eine weitere, die sogar in den Vordergrund rückte. Nach seinem Verständnis gehörte zum Menschentum nicht nur eine wohlwollende „Humanität“, sondern in erster Linie Bildung. Dabei ging es ihm um die Verwirklichung eines Bildungsideals, das an die griechische paideía anknüpfte. Bei seinem Bildungsziel setzte Cicero allerdings einen anderen Akzent als die griechischen Vorbilder, indem er mit der humanitas die Eigenart des spezifisch Menschlichen (im Unterschied zum Tier und zum Gott) hervorhob. Zu kultivieren war nach seiner Überzeugung die „Menschennatur“, das Menschengemäße, den Menschen Auszeichnende. Für dieses Element des nur dem Menschen Eigentümlichen, nur ihn Charakterisierenden hatten die griechischen Klassiker keinen besonderen Ausdruck. Ein Ideal vollendeten Menschentums gab es im griechischen Denken der klassischen Zeit nicht, da das Menschliche primär als etwas im Vergleich zum Göttlichen prinzipiell Mangelhaftes wahrgenommen wurde. Die römische humanitas, in der die beiden Elemente Menschenfreundlichkeit und Bildung verschmolzen, stellte eine Neuschöpfung dar.[12]
Eine zentrale Rolle spielte für dieses Verständnis von Menschentum die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation auf hohem Niveau, die ein erstrangiges Bildungsziel war. Sie zeigte sich im öffentlichen Leben – in der Politik und im Rechtswesen – als Beredsamkeit, im alltäglichen privaten Umgang als Urbanität, das heißt als Höflichkeit, Witz, Anmut und Leichtigkeit in der Ausdrucksweise, worin sich eine gelassene Haltung spiegelte. Neben der Fähigkeit, sich der Sprache souverän zu bedienen und andere zu überzeugen, war die philosophische Charakterbildung, die Aneignung von Tugenden wie Milde, Gerechtigkeit und Würde ein Hauptelement des Strebens nach humanitas im Sinne Ciceros. Auch Freigebigkeit gehörte dazu.
In der römischen Kaiserzeit griff Seneca das Konzept der humanitas auf, verengte es aber, indem er nur die ethische Zielsetzung als wesentlich betrachtete.
Weiteres dazu im Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus
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