Schwerter zu Pflugscharen
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Schwerter zu Pflugscharen
Schwerter zu Pflugscharen ist ein zur Redewendung gewordenes Teilzitat aus der Bibel, das das Ziel des Völkerfriedens durch weltweite Abrüstung und Rüstungskonversion ausdrückt. Ab 1980 wurde das Zitat zum Symbol staatsunabhängiger Abrüstungsinitiativen in der DDR, das auch Teile der westdeutschen Friedensbewegung übernahmen.
Symbol der DDR-Friedensbewegung
Bibel
Micha
Beim Propheten Micha heißt es in Mi 4,1–4 EU:
„In den letzten Tagen aber wird der Berg, auf dem Gottes Haus steht, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen: ‚Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln!‘
Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Ländern. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken.
Denn der Mund des Herrn Zebaot hat es geredet.“
In scharfem Kontrast dazu kündigt Mi 3,1–12 EU zuvor an:
„Haben sie etwas zu beißen, dann rufen sie: Friede! Wer ihnen aber nichts in den Mund steckt, dem sagen sie den Heiligen Krieg an. Darum kommt die Nacht über euch, in der ihr keine Visionen mehr habt … Ihr erbaut Zion mit Blut und Jerusalem mit lauter Unrecht. Die Häupter dieser Stadt sprechen Recht und nehmen dafür Geschenke an, ihre Priester lehren gegen Bezahlung. Ihre Propheten wahrsagen für Geld und doch berufen sie sich auf den Herrn und sagen: ‚Ist nicht Gott in unserer Mitte? Niemals kann Unheil über uns kommen!‘
Deshalb wird euretwegen der Zion als Feld umgepflügt, Jerusalem wird zum Trümmerhaufen, der Tempelberg zur bewaldeten Höhe.“
Dieses Gerichtswort kennzeichnet die Zerstörung des Jerusalemer Tempels also als unausweichliche Folge der Ausbeutung der Armen durch korrupte, vom Opferkult abhängige Heilspropheten und Priester. Damit entzog es allen damaligen Autoritäten und dem ganzen Jerusalemer Tempelkult jede Rechtfertigung. Jeremia erinnerte seine Gegner, die Tempelpriester, noch 150 Jahre später an diese Gerichtsprophetie und rettete so sein Leben (Jer 26,17ff). 586 v. Chr. trat die angekündigte Tempelzerstörung ein.
Die Verheißung des Völkerfriedens setzt demnach das unwiderrufliche Ende des bisherigen Tempelkults und des israelitischen Königtums voraus. Michas Kritik an der falschen Heilsgewissheit gilt nach Mi 1,2 EU auch allen übrigen Völkern, die am Beispiel der Geschichte Israels Gottes Rechtswillen erkennen und für sich gelten lassen sollen: Weder politische Diplomatie noch militärische Rüstung könnten Frieden gewährleisten. Ebendiese Anpassung an die Politik der Großmächte in Israels Umgebung sei tödlicher Ungehorsam gegen Gottes Rechtswillen gewesen. So widerspricht V.4 dem Fazit zur Epoche Salomos, des Tempelbauers, in 1 Kön 5,5 EU, und dem Angebot eines Fremdherrschers, den Israeliten ein Auskommen im Falle ihrer Unterwerfung zu gewähren, in 2 Kön 18,31 EU.[1]
Stattdessen werde JHWH, der „Gott Jakobs“, eines Tages selbst seinen Platz einnehmen und sichtbar über die ganze Welt herrschen. Die Erhöhung des Tempelberges Zion zum Weltmittelpunkt ist das Gegenbild zur Selbsterhöhung der Völker beim Turmbau zu Babel (Gen 11), die dort Sprachverwirrung, Zerstreuung und Fremdheit verursachte. Alle Völker würden diesen Gott ohne weltliche Zwischeninstanzen anerkennen und sich gegenseitig einladen, sein Gebot (Weisung, Schiedsspruch) in ihren Konflikten einzuholen. Darauf würden sie weltweit alle Waffen ab- und umrüsten, Berufsheere und Kriegsdienste abschaffen und so allen Menschen ein Auskommen und furchtloses Zusammenleben ermöglichen. Die Verheißung fordert also keine bestimmte Politik, verspricht aber konkrete Befreiung von Hunger, Heimatlosigkeit und Angst durch freiwilligen und rückhaltlosen Verzicht auf Waffen und Militär, dauerhaftes Verlernen von Kriegshandlungen, radikale Neuorientierung auf das zum Miteinanderleben Notwendige.[2]
Dem folgt ein feierliches liturgisches Glaubensbekenntnis der Gemeinde in Israel (Mi 4,5 EU):
„Denn alle Völker gehen ihren Weg, jedes ruft den Namen seines Gottes an; wir aber gehen unseren Weg im Namen Jahwes, unseres Gottes, für immer und ewig.“
Dies deuten Exegeten als Selbstverpflichtung der Verheißungsempfänger, dem Abrüstungsgebot Gottes schon jetzt zu folgen, auch solange die übrigen Völker es noch nicht beachten.[3]
Mi 5,9–13 EU kommt auf die vorhergehende Sozialkritik zurück und entfaltet sie: Sowohl militärische Machtmittel (V.9f) als auch religiöse Verklärung derselben (V.11ff) könnten Israel nicht retten, Gottes Gericht schlage sie seinem Volk aus der Hand. Am Schicksal ihrer religiösen und politischen Autoritäten machte diese Prophetie den Juden Gottes Abrüstungswillen pars pro toto (stellvertretend für das Ganze) deutlich. Hoffnung auf weltweiten und dauernden Frieden gründete für sie darin, dass Israel das Gericht über sich als selbstverschuldet annimmt und umkehrt.[4] Realistische Friedenshoffnung gab es für sie daher nur dort, wo Menschen sich den selbstverursachten Katastrophen ihrer Geschichte stellen und sie als Gericht Gottes über menschliche Eigenmacht annehmen.[5]
Jesaja
In Jes 2,2–4 EU taucht die Verheißung der „Völkerwallfahrt zum Zion“, die zur weltweiten Umrüstung der Waffen führt, fast wortgleich auf. Daher datieren manche Alttestamentler ihre Entstehung in die Zeit Jesajas nach dem Untergang des Nordreichs Israel (722 v. Chr.), andere erst in die Zeit nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil (586–539 v. Chr.), bevor der Tempel wiederaufgebaut wurde. In jedem Fall wurde die Friedensverheißung wohl erst nach der Tempelzerstörung 586 v. Chr., mit der auch Königtum und Eigenstaatlichkeit Israels endeten, in den Zusammenhang des Michabuches eingefügt.[6]
Joel
Der nachexilische Prophet Joel[7] griff Michas Verheißung um 440 v. Chr. wie folgt auf (Joel 4,1.9–12 EU):
„Denn siehe, in jenen Tagen zu der Zeit, da ich das Schicksal Judas und Jerusalems wenden werde, will ich alle Heiden zusammenbringen und sie ins Tal Josaphat hinabführen und dort mit ihnen Gericht halten wegen meines Volks … Ruft dies aus unter den Heiden: Bereitet euch zum Heiligen Krieg! Bietet die Starken auf! Lasst alle Kriegsleute herzukommen und hinaufziehen! Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Der Schwächling spreche: Ein Held bin ich!“
Hier wird das Hoffnungsmotiv der weltweiten Ab- und Umrüstung, die der Völkerwallfahrt zum Tempelberg folgen werde (Mi 4,3; Jes 2,4), bewusst zum Aufmarsch der hochgerüsteten Fremdvölker gegen den Gott Israels umgekehrt. „Wegen meines Volkes“, d.h. der wiederholten Exilierung und Zerstreuung der Israeliten, sollten sie sich zur letzten Entscheidungsschlacht mit diesem Gott rüsten. Dabei wird der Aufruf zum heiligen Krieg, mit dem Jer 6,4 EU Gottes Gericht über Israel und den Zion ankündete, nun zum Gericht über Israels Feinde gewendet.[8]
Damit wird die Heilsverheißung von Mi 4,1–5 jedoch nicht zurückgenommen. Denn Joel betont, dass alle Kriegsrüstung, sogar wenn sie alle Ackergeräte umschmiedet und kriegsuntüchtige Schwächlinge aufbietet, vor Gottes Gericht vergehen wird. Damit wird die totale Aufrüstung der Fremdvölker, die sich dem Gott Israels überlegen dünken, verhöhnt und das Nichtbefolgen von Michas Verheißung als vergebliche Flucht vor Gottes Weisung gekennzeichnet.[9]
Der Gerichtsankündigung geht Joel 3,1–5 EU voraus: Danach werde Gott seinen Geist über alle Sterblichen ausgießen, so dass die, die am „Tag JHWHs“ (dem Endgericht) seinen Namen anrufen, gerettet würden.
Auslegungen
Hans Walter Wolff betonte 1978 die Verbindlichkeit der Verheißung Michas auch für alle Nichtjuden, besonders für Christen:[10]
„Der Gott Israels, der Herr der Kirche will nicht abseits von seinen geringsten Brüdern gefunden werden. […] Der Prophet reißt die Augen dafür auf, daß kein heiliger Ort Garant der Gegenwart Gottes und darum der Zukunft ist. […] Die Kirche denkt genau so weit für die Zukunft der Völkerwelt, als sie ihrerseits der Stimme vom Zion entsprechend nicht nur redet, sondern lebt. Eben wenn unsere Völker immer noch den Krieg einüben, sollte die Gemeinde um so klarer den Weg des Friedens einschlagen. […] So wird die Gemeinde Israel zum Ort des Friedens, an dem alle Verteidigungs- und Angriffsmittel zerschlagen sind, ebenso die okkulten religiösen Selbstsicherungspraktiken. So wird Zion gerade durch seine Entmachtung zugerüstet, dem Friedenswerk und Friedenswort seines Gottes allein zu trauen.“
Jürgen Ebach betonte 1980 den Realismus der Verheißung:[11]
„Die ersehnte Friedenszeit hat mit einem Schlaraffenland nichts zu tun. Es wird – wie nach der Schilderung der Paradieserzählung bereits im Garten Eden (vergl. 1. Mose 2,15) – auch in einer glücklichen Zukunft Arbeit geben. Die Arbeit mit dem Pflug und dem Winzermesser ist zudem schwere Arbeit, wie sie zum Alltag des Verfassers und seiner Hörer gehört. Menschsein ohne Arbeit kommt für das Alte Testament gar nicht in den Blick, ist nicht einmal erstrebenswert. Erhofft wird dagegen eine Zeit, in der der Einzelne in seiner Gemeinschaft den Ertrag seiner Arbeit genießen kann, einer Arbeit, die keine Zwangsarbeit ist, die nicht zerstört, die unter nicht entfremdeten Bedingungen getan werden kann.“
Micha habe gewusst, „dass es nicht damit getan ist, Frieden zu wollen und Friedenswillen zu bekunden, daß vielmehr jede Rüstung, jede Waffenansammlung Kriegsgefahr bedeutet“:
„Frieden ist nicht schon da gesichert, wo Rüstung defensiv angelegt ist, wo Kriegslust glaubwürdig durch 'Verteidigungsbereitschaft' ersetzt ist, wo eine Armee darauf angelegt ist, Kriege zu verhindern. Wo dies erreicht ist, mag Fortschritt erzielt sein. Frieden aber ist erst da möglich, wo aus Waffen produktive Geräte geworden sind, wo es keine Armee mehr gibt, ja, mit Jes 2,4 erst, wo niemand mehr lernt, Kriege zu führen.“
Willy Schottroff betonte 1984, die Verheißung sei Ergebnis eines jahrhundertelangen schmerzhaften Lernprozesses in Israel gewesen. Micha habe aus dem Scheitern traditioneller monarchischer Großmacht-, Bündnis- und Rüstungspolitik gefolgert:[12]
„Die Abschaffung der Rüstung allein genügt nicht, um wirksamen Frieden zu schaffen. Frieden hat vielmehr vorgängig Gerechtigkeit zur Voraussetzung: daß nicht ein Volk das andere beherrscht, unterjocht, ausbeutet oder gar ausplündert und auf seine Kosten lebt und daß nicht innerhalb eines Volkes eine Klasse die andere unterdrückt und ausbeutet. […] Das friedliche Bild […], daß jeder ungestört unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum sitzen und sein Genüge haben soll, ist kein Bild des Reichtums, aber auch kein Bild des Hungers. Es wird noch großer Anstrengungen der Solidarität und des solidarischen Teilens bedürfen, bis erreicht ist, was dieser Utopie vorschwebt …“
Trutz Rendtorff und Wolfhart Pannenberg sprachen 1984 von einem Missbrauch der Abrüstungsverheißung in der Friedensbewegung und lehnten ein Glaubensbekenntnis der EKD gegen die Atomrüstung ab. Hans Walter Wolff erklärte dagegen:[13]
„Die universale Verheißung, nach der alle Völker auf Jahwes Weg den Frieden suchen, ist noch gänzlich unerfüllt. Die Völkerwelt denkt noch nicht daran, ihre Entscheidungen nach Jahwes Wort zu richten. Doch Jahwes Gemeinde soll (Jes 2,5) und will (Mi 4,5) jetzt schon auf seine Weisung und sein Wort hören, jetzt schon Schwerter zu Pflugscharen machen und nicht mehr das Kriegshandwerk lernen. So betritt die Jahwegemeinde jetzt schon den Weg, der für die Zeitenwende allen verheißen ist. […] Die Hörer des Wortes bauen ihre Waffen in Friedensgeräte um, sie hören auf, den Krieg zu lernen und zu erklären. In der Konsequenz von Jahwes Schlichten und Richten ist offenbar die Entscheidung nicht zu umgehen, Schwerter in Pflugscharen umzuschmieden. Die Richtung ist eindeutig. Eine Alternative dazu, gar in Richtung auf die Bereitstellung moderner Menschheitsvernichtungswaffen, ist doch weder hier noch in der Fülle verwandter alttestamentlicher und neutestamentlicher Texte auch nur von ferne zu erkennen. Das Hinarbeiten auf internationale Rechtsabsprachen zur Abrüstung ist zwar dringend zu wünschen, ersetzt aber nicht annähernd, was hier als Konsequenz des Jahwewortes verkündigt wird. Müssen wir uns nicht als Menschen, die auf den Gott der biblischen Zeugen hören, hier wie vielfach in neutestamentlichen Apostel- und Jesus-Worten der Zumutung eines besonderen und vorläufig einseitigen Friedensverhaltens in der Nachfolge stellen, unabhängig von verbindlichen internationalen Absprachen, aber wahrscheinlich zu deren intensiver Förderung?“
Ulrich Dahmen kommentierte die Joelstelle:[14]
„Wer von den Völkern sich jetzt immer noch zum Umschmieden der Werkzeuge in Kriegsgerät und zum Waffengang gegen Jerusalem – und damit gegen JHWH – verleiten lässt (VV. 9 f), der – und nur der! – verfällt dem kommenden Gericht (vgl. Jes 66,23 f). Die Völker, die friedlich und auf der Suche nach der Weisung JHWHs nach Jerusalem und zum Zion ziehen, haben nichts zu befürchten.“
Francis L. Andersen und David Noel Freedman kommentierten:[15]
„There is no indication that the Jews ever lost this hope [Mi 4,1–5], given as a promise to Abraham, of bringing blessing to the whole world when the nations realize that Yahweh is God.“
Sie verwiesen damit auf den Völkersegen in Gen 12,1–3 EU und darauf, dass z.B. Sach 8,20–23 EU Jahrhunderte später an die Verheißung Michas erinnerte und diese aktualisierte.
Jesus
Jesus von Nazaret beantwortete die kriegerisch-nationale Messiaserwartung in der judäischen Landbevölkerung nach Mk 11,1–10 EU bei seinem Einzug in Jerusalem – „Hosianna dem Sohne Davids!“ – mit einem Eselsritt. Diese Zeichenhandlung erinnerte an eine Weissagung Sacharjas, der nach dem babylonischen Exil einen machtlosen Messias der Armen angekündigt hatte, durch den Gott die Waffen in Israel abschaffen und allen Völkern Abrüstung gebieten werde (Sach 9,9 EU). Damit hatte Sacharja die Verheißung von Mi 4/Jes 2 festgehalten und nationalistischen und imperialistischen, auf Erneuerung des davidischen Großreichs gerichteten Messiashoffnungen in Judäa widersprochen.
Mit seiner Toraauslegung (z.B. Mt 5,38-48 EU) und der waffen- und wehrlosen Weise seiner Reich-Gottes-Verkündigung hat Jesus dieses gewaltlose Messiasbild bestätigt und übernommen. In Mk 10,45 EU und 14,62 EU bekräftigt er die Vision Daniels (Dan 7,2-14 EU), die sich auf die dauerhafte Entmachtung und Abschaffung aller Gewaltimperien richtete.
Das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium stellen daher bereits Jesu Geburt als Erfüllung prophetischer Friedensverheißungen dar. So bezieht sich Mt 2,5f EU ausdrücklich auf Mi 5,1ff, wonach der künftige Retter in Betlehem geboren und den zuvor angekündigten Völkerfrieden personhaft verkörpern werde. Lk 2,14 EU lässt das Engelsheer stellvertretend für die Menschheit Jesu Geburt als Beginn des verheißenen Friedens auf Erden besingen.
Christentumsgeschichte
Patristik
Die meisten christlichen Theologen der Patristik lehnten jedes Töten von Menschen, besonders bewaffnete Selbstverteidigung, mit Bezug auf die Bergpredigt strikt ab. Da Jesus die biblische Verheißung des Völkerfriedens auf gewaltlose Weise zu erfüllen begonnen und seinen Nachfolger aufgetragen habe, allen Völkern Frieden zu verkünden, könnten Christen unmöglich an Krieg und Militär teilnehmen.
So kommentierte Justin der Märtyrer in seiner Ersten Apologie Micha 4:[16]
„Wenn aber der prophetische Geist als Verkünder der Zukunft sich vernehmen läßt, sagt er also: ‚Von Zion wird ausgehen das Gesetz, und das Wort des Herrn von Jerusalem, und er wird richten mitten unter Nationen und viel Volk zurechtweisen; und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Sicheln umschmieden, und sie werden nicht mehr Volk gegen Volk zum Schwerte greifen und werden den Krieg verlernen‘.
Und daß das eingetroffen ist, davon könnt ihr euch überzeugen; denn von Jerusalem gingen Männer aus in die Welt, zwölf an der Zahl, ganz ungebildet und der Rede nicht mächtig; aber durch die Kraft Gottes haben sie dem ganzen Menschengeschlechte gezeigt, daß sie von Christus gesandt waren, allen das Wort Gottes zu predigen. Und wir, die wir einst einander mordeten, enthalten uns jetzt nicht nur jeder Feindseligkeit gegen unsere Gegner, sondern wir gehen, um nicht zu lügen und die Untersuchungsrichter nicht zu täuschen, auch freudig für das Bekenntnis Christi in den Tod.“
Dass das Christentum die verheißene weltweite Abrüstung durch eigene Gewaltlosigkeit, Kriegsdienstverweigerung und Bereitschaft zum Martyrium erfülle und lehre, vertraten auch Irenäus von Lyon, Tertullian, Klemens von Alexandrien und Origenes.[17]
Großkirchliche Kriegstheorie
Mit der konstantinischen Wende 313 wurde die gewaltlose und militärkritische Haltung der meisten frühen Christen bald von einer Bejahung des römischen Staates und seiner militärischen Verteidigung abgelöst. Daraufhin verlor die biblische Abrüstungsverheißung ihre konkrete handlungsleitende Rolle für die Getauften. Sie wurde nun zu einem von Menschen nicht herstellbaren, erst mit Gottes Endgericht bzw. der Wiederkunft Christi eintreffenden Zustand im jenseitigen Reich Gottes erklärt.
Maßgebend für kirchliches Reden und Handeln zu Krieg und Militär wurde die 420 von Augustinus von Hippo formulierte Theorie vom Gerechten Krieg. Sie sollte das Gewaltmonopol des römischen Staates der geistlichen Führung der Reichskirche und seine Kriege ihren moralischen Kriterien unterordnen. Sie diente jedoch oft zur Rechtfertigung, nicht zur Begrenzung von Kriegen christlicher Regierungen.
Thomas von Aquin entwickelte im 13. Jahrhundert Augustins Lehre vom Gerechten Krieg weiter, ohne die Friedensverheißungen des Alten Testaments zu berücksichtigen. Für ihn war das von der Römisch-katholischen Kirche geistlich geführte Reich eine gerechte Friedensordnung, die notfalls auch mit kriegerischen Mitteln gegen Bedrohungen verteidigt werden musste. Daher problematisierte er Rüstung als solche nicht und strebte keine allgemeine Abrüstung an.
Friedenskirchen
Um 1200 entstanden christliche Minderheiten, die Waffenbesitz und Kriegsdienste als unvereinbar mit der Nachfolge Jesu ablehnten. Die von Franz von Assisi geprägten Laien des Dritten Ordens folgten dem Gebot: Tödliche Waffen dürfen sie gegen niemanden empfangen noch mit sich tragen (Memoriale 15,3). Zudem waren sie verpflichtet, den Fahneneid zu verweigern. Beide Verbote zusammen schlossen Kriegsdienst aus.[18]
Die Waldenser, seit der Reformation die täuferischen Gemeinschaften der Stäbler, Hutterer und Mennoniten und später die Quäker, Unitarier und Adventisten knüpfen an die urchristliche Gewaltlosigkeit an und lehnen Waffendienste darum für sich ab. Sie werden heute als „Friedenskirchen“ zusammengefasst. Einige dieser Kirchen haben im 20. Jahrhundert internationale Christian Peacemaker Teams gegründet, um vor Ort die zivile Konfliktbearbeitung zu unterstützen.
Haltungen von Juden
Bei meist erzwungenen Disputationen versuchten Vertreter der Reichskirche Juden im Mittelalter häufig zum Christusbekenntnis zu nötigen. Daran beteiligte Rabbiner wiesen in ihren Verhören oft auf die Verheißungen biblischer Propheten hin, die Jesus nicht erfüllt habe, so dass er nicht der Messias sein könne. So reagierte Nachmanides im Streitgespräch von Barcelona 1263 auf die Frage, ob er an Jesu Messanität glaube, mit der Gegenfrage:[19]
„Und verkündet der Prophet nicht auch, daß im Zeitalter des Messias keiner den anderen die Kriegskunst lehren werde (Jes 2,4) und daß die Welt voll der Erkenntnis des Herrn sein wird, wie Wasser das Meer bedeckt (Jes 11,9)? Jedoch seit den Tagen Jesu bis auf den heutigen Tag ist die ganze Welt übervoll des Mordens, Raubens und Plünderns - und die Christen haben mehr Blut vergossen als irgendein anderes Volk…“
André Schwarz-Bart beschrieb in seinem Roman Der Letzte der Gerechten eine solche Disputationsszene, in der ein Rabbiner auf die obligatorische Messiasfrage antwortete:[20]
„„…wenn es stimmt, daß der Messias, von dem unsere Propheten reden, schon gekommen ist, wie erklärt ihr dann den gegenwärtigen Zustand der Welt? Edle Herren, die Propheten haben doch gesagt, daß bei der Ankunft des Messias Weinen und Stöhnen aus der Welt verschwinden würden - nicht wahr? Und auch, daß alle Völker ihre Schwerter zerbrechen würden, ohja, um aus ihnen Pflugscharen zu machen - nicht wahr? […] Ach, was würde man sagen, Sire, wenn Ihr vergäßet, wie man Krieg führt?“ - Der Rabbi wurde verbrannt - im Namen Jesu Christi.“
Im Jahr 2000 begründete die Erklärung Dabru Emet von jüdischen Theologen der USA ihre Forderung, Juden und Christen müssten sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden in aller Welt einsetzen, mit der prophetischen Abrüstungsvision.[21]
Zeit der Weltkriege
Im aufkommenden Nationalismus des 19. Jahrhunderts verstanden sich die Großkirchen meist als Nationalkirchen, die besonders im Kriegsfall das eigene Vaterland unterstützen müssten. Führende Theologen sahen Krieg im Anschluss an Hegel und Schleiermacher als Schöpfungsordnung, also natürliches und unabänderliches Gesetz der Geschichte. Die deutschen evangelischen Kirchen befürworteten die Kriegserklärung des Kaiserreichs und Besetzung Belgiens, mit der der Erste Weltkrieg begann. Theologen wie Adolf von Harnack, Wilhelm Herrmann, Adolf Schlatter und Reinhold Seeberg unterschrieben das am 4. Oktober 1914 veröffentlichte Manifest der 93. Karl Barth erlebte dies als ethisches Versagen seiner Lehrer, das ihn veranlasste, mit deren Theologie zu brechen.[22] Nur wenige Christen verweigerten den Kriegsdienst. Sie gehörten fast alle zu den Friedenskirchen oder Sondergruppen, wurden oft zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt und blieben ohne großkirchliche Unterstützung.
Am 8. September 1914 sprach sich Papst Benedikt XV. in seinem Apostolischen Schreiben Ubi primum gegen den Krieg aus. Am 1. August 1917 rief er die Kriegsteilnehmer in der Friedensnote Dès le début zur Beendigung des Krieges, sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen und allgemeinen Abrüstung auf. Die Deutsche Bischofskonferenz unterstützte wie andere nationale Bischofskonferenzen jedoch weiterhin die Kriegsanstrengungen der eigenen Regierung. Auf den Papstaufruf bezog sich der am 28. August 1917 gegründete Friedensbund katholischer Geistlicher, aus dem 1919 der auch für Laien offene Friedensbund Deutscher Katholiken (FDK) entstand. Er wuchs bis 1932 mit 48.000 Mitgliedern zur zweitgrößten pazifistischen Organisation der Weimarer Republik. Erst dann gestattete die deutsche Bischofskonferenz Erzbischof Michael von Faulhaber, das Protektorat für den FDK zu übernehmen.
1920 übernahm Papst Benedikt XV. in der Enzyklika Pacem, Dei munus pulcherrimum alle Forderungen der Pazifisten seit den Haager Friedenskonferenzen vor 1914: darunter ein internationales unabhängiges Schiedsgericht zur zwischenstaatlichen Konfliktlösung und einen Völkerbund als Vorbereitung dafür, „die enorme Last der Ausgaben für Militär, welche die Staaten nicht länger tragen können, abzuschaffen oder zu verringern, um diese verhängnisvollen Kriege zu verhindern oder zumindest die Gefährdung durch sie weitestgehend zu verhindern“ (§17).
Auch der am 1. August 1914 gegründete Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen und die 1919 gegründete Bewegung für praktisches Christentum (später: Life and Work) befürworteten Völkerverständigung und allgemeine Abrüstung. Bei ihrer ersten internationalen Konferenz in Stockholm 1925 unter dem biblischen Leitwort von Eph 2,14 EU (Christus ist unser Friede) erklärte diese Ökumenische Bewegung:
„Der Krieg, als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten durch physische, mit Heimtücke und Lüge sich verbindende Gewalt, ist unvereinbar mit der Gesinnung und dem Verhalten Christi und darum auch mit der Gesinnung und dem Verhalten der Kirche Christi.“
Die deutschen Delegierten widersprachen dem, da sie Krieg als Naturgesetz und das Eintreten dagegen als vermessenen Eingriff in „Gottes Walten“ ansahen. Diese Kriegstheologie vertraten unter anderen Emanuel Hirsch und Paul Althaus.
1933 verbot das nationalsozialistische Regime die pazifistischen Organisationen, inhaftierte viele ihrer führenden Vertreter und ließ einige von ihnen in KZ-Haft ermorden. Die Kirchen widersprachen dem nicht. Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 brach den Friedensvertrag von Versailles von 1919 endgültig. Die Bekennende Kirche und die Deutschen Christen begrüßten diese Einführung in einer gemeinsamen Presseerklärung:[23]
„Die allgemeine Wehrpflicht ist den Protestanten die gewaltige Volksschule, ein Erziehungsmittel, das wie kaum ein anderes unserem Volke die großen sittlichen, seelischen und körperlichen Werte mitzuteilen imstande ist, deren ein Volk im Kampf um sein Dasein bedarf, die Deutschland groß gemacht haben und es schwere Schicksalsschläge überwinden ließen … Darum heute und immer: Gott mit uns!“
Auch die deutschen katholischen Bischöfe rechtfertigten die Wehrpflicht 1936 wie 1914 einhellig als notwendige Vorbereitung eines angeblichen Verteidigungskrieges:[24]
„Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat den Anmarsch des Bolschewismus von weitem gesichtet und sein Sinnen und Sorgen darauf gerichtet, diese ungeheure Gefahr von unserm deutschen Volk und dem gesamten Abendland abzuwehren. Die deutschen Bischöfe halten es für ihre Pflicht, das Oberhaupt des Deutschen Reiches in diesem Abwehrkampf mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihnen aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen.“
Nach Hitlers Überfall auf Polen hieß es in einem weiteren „Hirtenwort“ vom 17. September 1939:[25]
„In dieser entscheidungsvollen Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, im Gehorsam gegen den Führer, opferwillig, unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun. Das gläubige Volk rufen wir auf zu heißem Gebet, dass Gottes Vorsehung den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk segensreichen Erfolg und Frieden führen möge.“
Im Ersten Weltkrieg hatten die Kirchen ab 1917 auf staatlichen Befehl etwa 65.000 Kirchenglocken als Waffenmaterial zur Verfügung gestellt.[26] Anfang April 1940 forderte ein Erlass Hermann Görings die Abgabe fast aller deutschen Kirchenglocken an die Rüstungsindustrie „zur Sicherung der Metallreserve für eine Kriegsführung auf lange Sicht“. Im Ergebnis wurden 47.000 von 63.000 Glocken (fast 77 %) eingeschmolzen und meist zu Granaten verarbeitet.[27] Der „geistliche Vertrauensrat“ der DEK unter dem Vorsitz von August Marahrens empfahl am 12. April 1940 allen Landeskirchen, Görings Befehl als „freudiges Opfer für Führer und Vaterland“ in Form einer „Glockenopferfeier“ umzusetzen. Zugleich beschloss er eine Gratulation, Kanzelabkündigung und landesweites Glockengeläut zum „Führergeburtstag“. Die zu dieser Sitzung eingereichte briefliche Bitte des am 16. März 1940 vom Reichskriegsgericht zum Tod verurteilten Kriegsdienstverweigerers Hermann Stöhr, sein Gnadengesuch an Hitler zu unterstützen, wurde nicht behandelt; Stöhr wurde am 21. Juni 1940 enthauptet. In der Woche seiner Beerdigung hängten die Kirchen der DEK Hakenkreuzflaggen auf, läuteten auf Anweisung Hitlers die Glocken sieben Tage lang und hielten Dankgottesdienste für den Sieg über Frankreich im Westfeldzug.[28]
Kirchliche Friedensethik seit 1945
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Kirchen ihre traditionelle Kriegsethik stärker in Frage. 1948 verabschiedete der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) auf seiner Gründungsversammlung in Amsterdam im Konsens den Satz: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“[29]
1950 begann die westdeutsche Wiederbewaffnung: Martin Niemöller, der sich als einer der ersten dagegen aussprach, wurde von der EKD-Leitung, zu der er damals noch gehörte, gerügt.
Angesichts der bevorstehenden Atombewaffnung der NATO forderte der Rat der EKD im Mai 1954 einen allgemeinen Stopp des atomaren Wettrüstens; ihm folgte die Vollversammlung des ÖRK im August 1954. Im Juni 1956 rief die Synode der EKD mit einer von Heinrich Vogel verfassten Erklärung alle Christen auf, sich nicht an Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu beteiligen. Doch die EKD lehnte es ab, ein Wort der Bruderschaften zu übernehmen, das im März 1958 alle Massenvernichtungsmittel als unvereinbar mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis verwarf. Stattdessen gab sie 1959 die Heidelberger Thesen heraus, in denen Abschreckung auch mit Atomwaffen befristet als friedenserhaltend bejaht wurde. Seitdem drückte die Formel vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ die Haltung der EKD aus: Sie bejaht das individuelle Recht zur Kriegsdienstverweigerung und unterstützt die, die es beanspruchen, betreibt aber parallel die Betreuung derer, die Militärdienst leisten (Militärseelsorgevertrag) und hält gerechte Kriege von Fall zu Fall für möglich.
Papst Johannes XXIII. verfasste 1963 die Enzyklika Pacem in terris, die sich erstmals an „alle Menschen guten Willens“ richtete und u.a. forderte:
„Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend, daß der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; daß ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; daß Atomwaffen verboten werden; und daß endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen.“
Damit wurde das Gleichgewichtsprinzip faktisch als friedenserhaltend anerkannt und deshalb kein einseitiger, ethisch begründeter Verzicht auf Atomwaffen gefordert, sondern multilaterale Abrüstungsverträge.
Minderheiten in den Großkirchen wollten das militärische Sicherheitskonzept allmählich durch andere Formen der Verteidigung ablösen, so Pax Christi auf katholischer, Aktion Sühnezeichen und Ohne Rüstung Leben auf evangelischer Seite. Sie fassen die biblische Friedensvision als verbindliches Leitbild für die konsequente Ausrichtung auf Abrüstung, gewaltfreie Konfliktlösungsmodelle und die Versöhnung mit Opfernachfahren deutscher Gewaltherrschaft und Menschheitsverbrechen auf.
Das Zweite Vatikanische Konzil formulierte 1965 in Gaudium et Spes, Nr. 82:
„Darum sind vor allem eine neue Erziehung und ein neuer Geist in der öffentlichen Meinung dringend notwendig. Wer sich der Aufgabe der Erziehung, vor allem der Jugend, widmet und wer die öffentliche Meinung mitformt, soll es als seine schwere Pflicht ansehen, in allen eine neue Friedensgesinnung zu wecken.“
Das Hirtenwort Gerechter Friede der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2000 betont auch im Rückgriff auf die Prophetenworte, dass Frieden nur durch gerechte Lebensbedingungen für alle entstehen kann. Demgemäß wird ein Einsatz für Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Gewaltprävention und Konfliktnachsorge verlangt. Von den Staaten wird Rüstungsbegrenzung und atomare Abrüstung gefordert. Auch dieser Text fordert keine einseitige und totale Abrüstung von Massenvernichtungsmitteln, sondern gesteht den Staaten konventionelle Streitkräfte „für Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch für ein angemessenes Engagement im Rahmen internationaler Krisenbewältigung“ zu.[30] Denn es bestehe die „Pflicht […], Menschen vor fremder Willkür und Gewalt wirksam zu schützen“.[31]
1975 führte der ÖRK ein Antimilitarismus-Programm ein, das die Ursachen weltweiter Aufrüstung und kriegerischer Konflikte analysiert und Alternativen dazu bedenkt. Er verpflichtet seine Mitgliedskirchen auf die Abschaffung der Atomwaffen und befürwortet ein weltweites Verbot von Landminen. Unter seinem Dach setzen sich zahlreiche nationale und internationale Initiativen im Sinne von „Schwerter zu Pflugscharen“ für Ab- und Umrüstung und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ein. Im Verbund mit anderen Nichtregierungsorganisationen wirken sie auch auf NATO-Staaten ein, die im Atomwaffensperrvertrag eingegangene Verpflichtung zur atomaren Abrüstung umzusetzen. Ein Beispiel für eine solche Gruppe ist Ploughshares („Pflugscharen“) in Kanada: Die Gruppe gibt u.a. einen detaillierten jährlichen Bericht über Kriege, bewaffnete Konflikte und Aufrüstung heraus, benennt deren Ursachen und setzt sie in Beziehung zu den Ausgaben für Entwicklungshilfe.[32]
Weiter geht es in Teil 2
Symbol der DDR-Friedensbewegung
Bibel
Micha
Beim Propheten Micha heißt es in Mi 4,1–4 EU:
„In den letzten Tagen aber wird der Berg, auf dem Gottes Haus steht, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen, und viele Heiden werden hingehen und sagen: ‚Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln!‘
Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Ländern. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken.
Denn der Mund des Herrn Zebaot hat es geredet.“
In scharfem Kontrast dazu kündigt Mi 3,1–12 EU zuvor an:
„Haben sie etwas zu beißen, dann rufen sie: Friede! Wer ihnen aber nichts in den Mund steckt, dem sagen sie den Heiligen Krieg an. Darum kommt die Nacht über euch, in der ihr keine Visionen mehr habt … Ihr erbaut Zion mit Blut und Jerusalem mit lauter Unrecht. Die Häupter dieser Stadt sprechen Recht und nehmen dafür Geschenke an, ihre Priester lehren gegen Bezahlung. Ihre Propheten wahrsagen für Geld und doch berufen sie sich auf den Herrn und sagen: ‚Ist nicht Gott in unserer Mitte? Niemals kann Unheil über uns kommen!‘
Deshalb wird euretwegen der Zion als Feld umgepflügt, Jerusalem wird zum Trümmerhaufen, der Tempelberg zur bewaldeten Höhe.“
Dieses Gerichtswort kennzeichnet die Zerstörung des Jerusalemer Tempels also als unausweichliche Folge der Ausbeutung der Armen durch korrupte, vom Opferkult abhängige Heilspropheten und Priester. Damit entzog es allen damaligen Autoritäten und dem ganzen Jerusalemer Tempelkult jede Rechtfertigung. Jeremia erinnerte seine Gegner, die Tempelpriester, noch 150 Jahre später an diese Gerichtsprophetie und rettete so sein Leben (Jer 26,17ff). 586 v. Chr. trat die angekündigte Tempelzerstörung ein.
Die Verheißung des Völkerfriedens setzt demnach das unwiderrufliche Ende des bisherigen Tempelkults und des israelitischen Königtums voraus. Michas Kritik an der falschen Heilsgewissheit gilt nach Mi 1,2 EU auch allen übrigen Völkern, die am Beispiel der Geschichte Israels Gottes Rechtswillen erkennen und für sich gelten lassen sollen: Weder politische Diplomatie noch militärische Rüstung könnten Frieden gewährleisten. Ebendiese Anpassung an die Politik der Großmächte in Israels Umgebung sei tödlicher Ungehorsam gegen Gottes Rechtswillen gewesen. So widerspricht V.4 dem Fazit zur Epoche Salomos, des Tempelbauers, in 1 Kön 5,5 EU, und dem Angebot eines Fremdherrschers, den Israeliten ein Auskommen im Falle ihrer Unterwerfung zu gewähren, in 2 Kön 18,31 EU.[1]
Stattdessen werde JHWH, der „Gott Jakobs“, eines Tages selbst seinen Platz einnehmen und sichtbar über die ganze Welt herrschen. Die Erhöhung des Tempelberges Zion zum Weltmittelpunkt ist das Gegenbild zur Selbsterhöhung der Völker beim Turmbau zu Babel (Gen 11), die dort Sprachverwirrung, Zerstreuung und Fremdheit verursachte. Alle Völker würden diesen Gott ohne weltliche Zwischeninstanzen anerkennen und sich gegenseitig einladen, sein Gebot (Weisung, Schiedsspruch) in ihren Konflikten einzuholen. Darauf würden sie weltweit alle Waffen ab- und umrüsten, Berufsheere und Kriegsdienste abschaffen und so allen Menschen ein Auskommen und furchtloses Zusammenleben ermöglichen. Die Verheißung fordert also keine bestimmte Politik, verspricht aber konkrete Befreiung von Hunger, Heimatlosigkeit und Angst durch freiwilligen und rückhaltlosen Verzicht auf Waffen und Militär, dauerhaftes Verlernen von Kriegshandlungen, radikale Neuorientierung auf das zum Miteinanderleben Notwendige.[2]
Dem folgt ein feierliches liturgisches Glaubensbekenntnis der Gemeinde in Israel (Mi 4,5 EU):
„Denn alle Völker gehen ihren Weg, jedes ruft den Namen seines Gottes an; wir aber gehen unseren Weg im Namen Jahwes, unseres Gottes, für immer und ewig.“
Dies deuten Exegeten als Selbstverpflichtung der Verheißungsempfänger, dem Abrüstungsgebot Gottes schon jetzt zu folgen, auch solange die übrigen Völker es noch nicht beachten.[3]
Mi 5,9–13 EU kommt auf die vorhergehende Sozialkritik zurück und entfaltet sie: Sowohl militärische Machtmittel (V.9f) als auch religiöse Verklärung derselben (V.11ff) könnten Israel nicht retten, Gottes Gericht schlage sie seinem Volk aus der Hand. Am Schicksal ihrer religiösen und politischen Autoritäten machte diese Prophetie den Juden Gottes Abrüstungswillen pars pro toto (stellvertretend für das Ganze) deutlich. Hoffnung auf weltweiten und dauernden Frieden gründete für sie darin, dass Israel das Gericht über sich als selbstverschuldet annimmt und umkehrt.[4] Realistische Friedenshoffnung gab es für sie daher nur dort, wo Menschen sich den selbstverursachten Katastrophen ihrer Geschichte stellen und sie als Gericht Gottes über menschliche Eigenmacht annehmen.[5]
Jesaja
In Jes 2,2–4 EU taucht die Verheißung der „Völkerwallfahrt zum Zion“, die zur weltweiten Umrüstung der Waffen führt, fast wortgleich auf. Daher datieren manche Alttestamentler ihre Entstehung in die Zeit Jesajas nach dem Untergang des Nordreichs Israel (722 v. Chr.), andere erst in die Zeit nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil (586–539 v. Chr.), bevor der Tempel wiederaufgebaut wurde. In jedem Fall wurde die Friedensverheißung wohl erst nach der Tempelzerstörung 586 v. Chr., mit der auch Königtum und Eigenstaatlichkeit Israels endeten, in den Zusammenhang des Michabuches eingefügt.[6]
Joel
Der nachexilische Prophet Joel[7] griff Michas Verheißung um 440 v. Chr. wie folgt auf (Joel 4,1.9–12 EU):
„Denn siehe, in jenen Tagen zu der Zeit, da ich das Schicksal Judas und Jerusalems wenden werde, will ich alle Heiden zusammenbringen und sie ins Tal Josaphat hinabführen und dort mit ihnen Gericht halten wegen meines Volks … Ruft dies aus unter den Heiden: Bereitet euch zum Heiligen Krieg! Bietet die Starken auf! Lasst alle Kriegsleute herzukommen und hinaufziehen! Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Der Schwächling spreche: Ein Held bin ich!“
Hier wird das Hoffnungsmotiv der weltweiten Ab- und Umrüstung, die der Völkerwallfahrt zum Tempelberg folgen werde (Mi 4,3; Jes 2,4), bewusst zum Aufmarsch der hochgerüsteten Fremdvölker gegen den Gott Israels umgekehrt. „Wegen meines Volkes“, d.h. der wiederholten Exilierung und Zerstreuung der Israeliten, sollten sie sich zur letzten Entscheidungsschlacht mit diesem Gott rüsten. Dabei wird der Aufruf zum heiligen Krieg, mit dem Jer 6,4 EU Gottes Gericht über Israel und den Zion ankündete, nun zum Gericht über Israels Feinde gewendet.[8]
Damit wird die Heilsverheißung von Mi 4,1–5 jedoch nicht zurückgenommen. Denn Joel betont, dass alle Kriegsrüstung, sogar wenn sie alle Ackergeräte umschmiedet und kriegsuntüchtige Schwächlinge aufbietet, vor Gottes Gericht vergehen wird. Damit wird die totale Aufrüstung der Fremdvölker, die sich dem Gott Israels überlegen dünken, verhöhnt und das Nichtbefolgen von Michas Verheißung als vergebliche Flucht vor Gottes Weisung gekennzeichnet.[9]
Der Gerichtsankündigung geht Joel 3,1–5 EU voraus: Danach werde Gott seinen Geist über alle Sterblichen ausgießen, so dass die, die am „Tag JHWHs“ (dem Endgericht) seinen Namen anrufen, gerettet würden.
Auslegungen
Hans Walter Wolff betonte 1978 die Verbindlichkeit der Verheißung Michas auch für alle Nichtjuden, besonders für Christen:[10]
„Der Gott Israels, der Herr der Kirche will nicht abseits von seinen geringsten Brüdern gefunden werden. […] Der Prophet reißt die Augen dafür auf, daß kein heiliger Ort Garant der Gegenwart Gottes und darum der Zukunft ist. […] Die Kirche denkt genau so weit für die Zukunft der Völkerwelt, als sie ihrerseits der Stimme vom Zion entsprechend nicht nur redet, sondern lebt. Eben wenn unsere Völker immer noch den Krieg einüben, sollte die Gemeinde um so klarer den Weg des Friedens einschlagen. […] So wird die Gemeinde Israel zum Ort des Friedens, an dem alle Verteidigungs- und Angriffsmittel zerschlagen sind, ebenso die okkulten religiösen Selbstsicherungspraktiken. So wird Zion gerade durch seine Entmachtung zugerüstet, dem Friedenswerk und Friedenswort seines Gottes allein zu trauen.“
Jürgen Ebach betonte 1980 den Realismus der Verheißung:[11]
„Die ersehnte Friedenszeit hat mit einem Schlaraffenland nichts zu tun. Es wird – wie nach der Schilderung der Paradieserzählung bereits im Garten Eden (vergl. 1. Mose 2,15) – auch in einer glücklichen Zukunft Arbeit geben. Die Arbeit mit dem Pflug und dem Winzermesser ist zudem schwere Arbeit, wie sie zum Alltag des Verfassers und seiner Hörer gehört. Menschsein ohne Arbeit kommt für das Alte Testament gar nicht in den Blick, ist nicht einmal erstrebenswert. Erhofft wird dagegen eine Zeit, in der der Einzelne in seiner Gemeinschaft den Ertrag seiner Arbeit genießen kann, einer Arbeit, die keine Zwangsarbeit ist, die nicht zerstört, die unter nicht entfremdeten Bedingungen getan werden kann.“
Micha habe gewusst, „dass es nicht damit getan ist, Frieden zu wollen und Friedenswillen zu bekunden, daß vielmehr jede Rüstung, jede Waffenansammlung Kriegsgefahr bedeutet“:
„Frieden ist nicht schon da gesichert, wo Rüstung defensiv angelegt ist, wo Kriegslust glaubwürdig durch 'Verteidigungsbereitschaft' ersetzt ist, wo eine Armee darauf angelegt ist, Kriege zu verhindern. Wo dies erreicht ist, mag Fortschritt erzielt sein. Frieden aber ist erst da möglich, wo aus Waffen produktive Geräte geworden sind, wo es keine Armee mehr gibt, ja, mit Jes 2,4 erst, wo niemand mehr lernt, Kriege zu führen.“
Willy Schottroff betonte 1984, die Verheißung sei Ergebnis eines jahrhundertelangen schmerzhaften Lernprozesses in Israel gewesen. Micha habe aus dem Scheitern traditioneller monarchischer Großmacht-, Bündnis- und Rüstungspolitik gefolgert:[12]
„Die Abschaffung der Rüstung allein genügt nicht, um wirksamen Frieden zu schaffen. Frieden hat vielmehr vorgängig Gerechtigkeit zur Voraussetzung: daß nicht ein Volk das andere beherrscht, unterjocht, ausbeutet oder gar ausplündert und auf seine Kosten lebt und daß nicht innerhalb eines Volkes eine Klasse die andere unterdrückt und ausbeutet. […] Das friedliche Bild […], daß jeder ungestört unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum sitzen und sein Genüge haben soll, ist kein Bild des Reichtums, aber auch kein Bild des Hungers. Es wird noch großer Anstrengungen der Solidarität und des solidarischen Teilens bedürfen, bis erreicht ist, was dieser Utopie vorschwebt …“
Trutz Rendtorff und Wolfhart Pannenberg sprachen 1984 von einem Missbrauch der Abrüstungsverheißung in der Friedensbewegung und lehnten ein Glaubensbekenntnis der EKD gegen die Atomrüstung ab. Hans Walter Wolff erklärte dagegen:[13]
„Die universale Verheißung, nach der alle Völker auf Jahwes Weg den Frieden suchen, ist noch gänzlich unerfüllt. Die Völkerwelt denkt noch nicht daran, ihre Entscheidungen nach Jahwes Wort zu richten. Doch Jahwes Gemeinde soll (Jes 2,5) und will (Mi 4,5) jetzt schon auf seine Weisung und sein Wort hören, jetzt schon Schwerter zu Pflugscharen machen und nicht mehr das Kriegshandwerk lernen. So betritt die Jahwegemeinde jetzt schon den Weg, der für die Zeitenwende allen verheißen ist. […] Die Hörer des Wortes bauen ihre Waffen in Friedensgeräte um, sie hören auf, den Krieg zu lernen und zu erklären. In der Konsequenz von Jahwes Schlichten und Richten ist offenbar die Entscheidung nicht zu umgehen, Schwerter in Pflugscharen umzuschmieden. Die Richtung ist eindeutig. Eine Alternative dazu, gar in Richtung auf die Bereitstellung moderner Menschheitsvernichtungswaffen, ist doch weder hier noch in der Fülle verwandter alttestamentlicher und neutestamentlicher Texte auch nur von ferne zu erkennen. Das Hinarbeiten auf internationale Rechtsabsprachen zur Abrüstung ist zwar dringend zu wünschen, ersetzt aber nicht annähernd, was hier als Konsequenz des Jahwewortes verkündigt wird. Müssen wir uns nicht als Menschen, die auf den Gott der biblischen Zeugen hören, hier wie vielfach in neutestamentlichen Apostel- und Jesus-Worten der Zumutung eines besonderen und vorläufig einseitigen Friedensverhaltens in der Nachfolge stellen, unabhängig von verbindlichen internationalen Absprachen, aber wahrscheinlich zu deren intensiver Förderung?“
Ulrich Dahmen kommentierte die Joelstelle:[14]
„Wer von den Völkern sich jetzt immer noch zum Umschmieden der Werkzeuge in Kriegsgerät und zum Waffengang gegen Jerusalem – und damit gegen JHWH – verleiten lässt (VV. 9 f), der – und nur der! – verfällt dem kommenden Gericht (vgl. Jes 66,23 f). Die Völker, die friedlich und auf der Suche nach der Weisung JHWHs nach Jerusalem und zum Zion ziehen, haben nichts zu befürchten.“
Francis L. Andersen und David Noel Freedman kommentierten:[15]
„There is no indication that the Jews ever lost this hope [Mi 4,1–5], given as a promise to Abraham, of bringing blessing to the whole world when the nations realize that Yahweh is God.“
Sie verwiesen damit auf den Völkersegen in Gen 12,1–3 EU und darauf, dass z.B. Sach 8,20–23 EU Jahrhunderte später an die Verheißung Michas erinnerte und diese aktualisierte.
Jesus
Jesus von Nazaret beantwortete die kriegerisch-nationale Messiaserwartung in der judäischen Landbevölkerung nach Mk 11,1–10 EU bei seinem Einzug in Jerusalem – „Hosianna dem Sohne Davids!“ – mit einem Eselsritt. Diese Zeichenhandlung erinnerte an eine Weissagung Sacharjas, der nach dem babylonischen Exil einen machtlosen Messias der Armen angekündigt hatte, durch den Gott die Waffen in Israel abschaffen und allen Völkern Abrüstung gebieten werde (Sach 9,9 EU). Damit hatte Sacharja die Verheißung von Mi 4/Jes 2 festgehalten und nationalistischen und imperialistischen, auf Erneuerung des davidischen Großreichs gerichteten Messiashoffnungen in Judäa widersprochen.
Mit seiner Toraauslegung (z.B. Mt 5,38-48 EU) und der waffen- und wehrlosen Weise seiner Reich-Gottes-Verkündigung hat Jesus dieses gewaltlose Messiasbild bestätigt und übernommen. In Mk 10,45 EU und 14,62 EU bekräftigt er die Vision Daniels (Dan 7,2-14 EU), die sich auf die dauerhafte Entmachtung und Abschaffung aller Gewaltimperien richtete.
Das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium stellen daher bereits Jesu Geburt als Erfüllung prophetischer Friedensverheißungen dar. So bezieht sich Mt 2,5f EU ausdrücklich auf Mi 5,1ff, wonach der künftige Retter in Betlehem geboren und den zuvor angekündigten Völkerfrieden personhaft verkörpern werde. Lk 2,14 EU lässt das Engelsheer stellvertretend für die Menschheit Jesu Geburt als Beginn des verheißenen Friedens auf Erden besingen.
Christentumsgeschichte
Patristik
Die meisten christlichen Theologen der Patristik lehnten jedes Töten von Menschen, besonders bewaffnete Selbstverteidigung, mit Bezug auf die Bergpredigt strikt ab. Da Jesus die biblische Verheißung des Völkerfriedens auf gewaltlose Weise zu erfüllen begonnen und seinen Nachfolger aufgetragen habe, allen Völkern Frieden zu verkünden, könnten Christen unmöglich an Krieg und Militär teilnehmen.
So kommentierte Justin der Märtyrer in seiner Ersten Apologie Micha 4:[16]
„Wenn aber der prophetische Geist als Verkünder der Zukunft sich vernehmen läßt, sagt er also: ‚Von Zion wird ausgehen das Gesetz, und das Wort des Herrn von Jerusalem, und er wird richten mitten unter Nationen und viel Volk zurechtweisen; und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Sicheln umschmieden, und sie werden nicht mehr Volk gegen Volk zum Schwerte greifen und werden den Krieg verlernen‘.
Und daß das eingetroffen ist, davon könnt ihr euch überzeugen; denn von Jerusalem gingen Männer aus in die Welt, zwölf an der Zahl, ganz ungebildet und der Rede nicht mächtig; aber durch die Kraft Gottes haben sie dem ganzen Menschengeschlechte gezeigt, daß sie von Christus gesandt waren, allen das Wort Gottes zu predigen. Und wir, die wir einst einander mordeten, enthalten uns jetzt nicht nur jeder Feindseligkeit gegen unsere Gegner, sondern wir gehen, um nicht zu lügen und die Untersuchungsrichter nicht zu täuschen, auch freudig für das Bekenntnis Christi in den Tod.“
Dass das Christentum die verheißene weltweite Abrüstung durch eigene Gewaltlosigkeit, Kriegsdienstverweigerung und Bereitschaft zum Martyrium erfülle und lehre, vertraten auch Irenäus von Lyon, Tertullian, Klemens von Alexandrien und Origenes.[17]
Großkirchliche Kriegstheorie
Mit der konstantinischen Wende 313 wurde die gewaltlose und militärkritische Haltung der meisten frühen Christen bald von einer Bejahung des römischen Staates und seiner militärischen Verteidigung abgelöst. Daraufhin verlor die biblische Abrüstungsverheißung ihre konkrete handlungsleitende Rolle für die Getauften. Sie wurde nun zu einem von Menschen nicht herstellbaren, erst mit Gottes Endgericht bzw. der Wiederkunft Christi eintreffenden Zustand im jenseitigen Reich Gottes erklärt.
Maßgebend für kirchliches Reden und Handeln zu Krieg und Militär wurde die 420 von Augustinus von Hippo formulierte Theorie vom Gerechten Krieg. Sie sollte das Gewaltmonopol des römischen Staates der geistlichen Führung der Reichskirche und seine Kriege ihren moralischen Kriterien unterordnen. Sie diente jedoch oft zur Rechtfertigung, nicht zur Begrenzung von Kriegen christlicher Regierungen.
Thomas von Aquin entwickelte im 13. Jahrhundert Augustins Lehre vom Gerechten Krieg weiter, ohne die Friedensverheißungen des Alten Testaments zu berücksichtigen. Für ihn war das von der Römisch-katholischen Kirche geistlich geführte Reich eine gerechte Friedensordnung, die notfalls auch mit kriegerischen Mitteln gegen Bedrohungen verteidigt werden musste. Daher problematisierte er Rüstung als solche nicht und strebte keine allgemeine Abrüstung an.
Friedenskirchen
Um 1200 entstanden christliche Minderheiten, die Waffenbesitz und Kriegsdienste als unvereinbar mit der Nachfolge Jesu ablehnten. Die von Franz von Assisi geprägten Laien des Dritten Ordens folgten dem Gebot: Tödliche Waffen dürfen sie gegen niemanden empfangen noch mit sich tragen (Memoriale 15,3). Zudem waren sie verpflichtet, den Fahneneid zu verweigern. Beide Verbote zusammen schlossen Kriegsdienst aus.[18]
Die Waldenser, seit der Reformation die täuferischen Gemeinschaften der Stäbler, Hutterer und Mennoniten und später die Quäker, Unitarier und Adventisten knüpfen an die urchristliche Gewaltlosigkeit an und lehnen Waffendienste darum für sich ab. Sie werden heute als „Friedenskirchen“ zusammengefasst. Einige dieser Kirchen haben im 20. Jahrhundert internationale Christian Peacemaker Teams gegründet, um vor Ort die zivile Konfliktbearbeitung zu unterstützen.
Haltungen von Juden
Bei meist erzwungenen Disputationen versuchten Vertreter der Reichskirche Juden im Mittelalter häufig zum Christusbekenntnis zu nötigen. Daran beteiligte Rabbiner wiesen in ihren Verhören oft auf die Verheißungen biblischer Propheten hin, die Jesus nicht erfüllt habe, so dass er nicht der Messias sein könne. So reagierte Nachmanides im Streitgespräch von Barcelona 1263 auf die Frage, ob er an Jesu Messanität glaube, mit der Gegenfrage:[19]
„Und verkündet der Prophet nicht auch, daß im Zeitalter des Messias keiner den anderen die Kriegskunst lehren werde (Jes 2,4) und daß die Welt voll der Erkenntnis des Herrn sein wird, wie Wasser das Meer bedeckt (Jes 11,9)? Jedoch seit den Tagen Jesu bis auf den heutigen Tag ist die ganze Welt übervoll des Mordens, Raubens und Plünderns - und die Christen haben mehr Blut vergossen als irgendein anderes Volk…“
André Schwarz-Bart beschrieb in seinem Roman Der Letzte der Gerechten eine solche Disputationsszene, in der ein Rabbiner auf die obligatorische Messiasfrage antwortete:[20]
„„…wenn es stimmt, daß der Messias, von dem unsere Propheten reden, schon gekommen ist, wie erklärt ihr dann den gegenwärtigen Zustand der Welt? Edle Herren, die Propheten haben doch gesagt, daß bei der Ankunft des Messias Weinen und Stöhnen aus der Welt verschwinden würden - nicht wahr? Und auch, daß alle Völker ihre Schwerter zerbrechen würden, ohja, um aus ihnen Pflugscharen zu machen - nicht wahr? […] Ach, was würde man sagen, Sire, wenn Ihr vergäßet, wie man Krieg führt?“ - Der Rabbi wurde verbrannt - im Namen Jesu Christi.“
Im Jahr 2000 begründete die Erklärung Dabru Emet von jüdischen Theologen der USA ihre Forderung, Juden und Christen müssten sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden in aller Welt einsetzen, mit der prophetischen Abrüstungsvision.[21]
Zeit der Weltkriege
Im aufkommenden Nationalismus des 19. Jahrhunderts verstanden sich die Großkirchen meist als Nationalkirchen, die besonders im Kriegsfall das eigene Vaterland unterstützen müssten. Führende Theologen sahen Krieg im Anschluss an Hegel und Schleiermacher als Schöpfungsordnung, also natürliches und unabänderliches Gesetz der Geschichte. Die deutschen evangelischen Kirchen befürworteten die Kriegserklärung des Kaiserreichs und Besetzung Belgiens, mit der der Erste Weltkrieg begann. Theologen wie Adolf von Harnack, Wilhelm Herrmann, Adolf Schlatter und Reinhold Seeberg unterschrieben das am 4. Oktober 1914 veröffentlichte Manifest der 93. Karl Barth erlebte dies als ethisches Versagen seiner Lehrer, das ihn veranlasste, mit deren Theologie zu brechen.[22] Nur wenige Christen verweigerten den Kriegsdienst. Sie gehörten fast alle zu den Friedenskirchen oder Sondergruppen, wurden oft zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt und blieben ohne großkirchliche Unterstützung.
Am 8. September 1914 sprach sich Papst Benedikt XV. in seinem Apostolischen Schreiben Ubi primum gegen den Krieg aus. Am 1. August 1917 rief er die Kriegsteilnehmer in der Friedensnote Dès le début zur Beendigung des Krieges, sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen und allgemeinen Abrüstung auf. Die Deutsche Bischofskonferenz unterstützte wie andere nationale Bischofskonferenzen jedoch weiterhin die Kriegsanstrengungen der eigenen Regierung. Auf den Papstaufruf bezog sich der am 28. August 1917 gegründete Friedensbund katholischer Geistlicher, aus dem 1919 der auch für Laien offene Friedensbund Deutscher Katholiken (FDK) entstand. Er wuchs bis 1932 mit 48.000 Mitgliedern zur zweitgrößten pazifistischen Organisation der Weimarer Republik. Erst dann gestattete die deutsche Bischofskonferenz Erzbischof Michael von Faulhaber, das Protektorat für den FDK zu übernehmen.
1920 übernahm Papst Benedikt XV. in der Enzyklika Pacem, Dei munus pulcherrimum alle Forderungen der Pazifisten seit den Haager Friedenskonferenzen vor 1914: darunter ein internationales unabhängiges Schiedsgericht zur zwischenstaatlichen Konfliktlösung und einen Völkerbund als Vorbereitung dafür, „die enorme Last der Ausgaben für Militär, welche die Staaten nicht länger tragen können, abzuschaffen oder zu verringern, um diese verhängnisvollen Kriege zu verhindern oder zumindest die Gefährdung durch sie weitestgehend zu verhindern“ (§17).
Auch der am 1. August 1914 gegründete Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen und die 1919 gegründete Bewegung für praktisches Christentum (später: Life and Work) befürworteten Völkerverständigung und allgemeine Abrüstung. Bei ihrer ersten internationalen Konferenz in Stockholm 1925 unter dem biblischen Leitwort von Eph 2,14 EU (Christus ist unser Friede) erklärte diese Ökumenische Bewegung:
„Der Krieg, als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten durch physische, mit Heimtücke und Lüge sich verbindende Gewalt, ist unvereinbar mit der Gesinnung und dem Verhalten Christi und darum auch mit der Gesinnung und dem Verhalten der Kirche Christi.“
Die deutschen Delegierten widersprachen dem, da sie Krieg als Naturgesetz und das Eintreten dagegen als vermessenen Eingriff in „Gottes Walten“ ansahen. Diese Kriegstheologie vertraten unter anderen Emanuel Hirsch und Paul Althaus.
1933 verbot das nationalsozialistische Regime die pazifistischen Organisationen, inhaftierte viele ihrer führenden Vertreter und ließ einige von ihnen in KZ-Haft ermorden. Die Kirchen widersprachen dem nicht. Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 brach den Friedensvertrag von Versailles von 1919 endgültig. Die Bekennende Kirche und die Deutschen Christen begrüßten diese Einführung in einer gemeinsamen Presseerklärung:[23]
„Die allgemeine Wehrpflicht ist den Protestanten die gewaltige Volksschule, ein Erziehungsmittel, das wie kaum ein anderes unserem Volke die großen sittlichen, seelischen und körperlichen Werte mitzuteilen imstande ist, deren ein Volk im Kampf um sein Dasein bedarf, die Deutschland groß gemacht haben und es schwere Schicksalsschläge überwinden ließen … Darum heute und immer: Gott mit uns!“
Auch die deutschen katholischen Bischöfe rechtfertigten die Wehrpflicht 1936 wie 1914 einhellig als notwendige Vorbereitung eines angeblichen Verteidigungskrieges:[24]
„Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat den Anmarsch des Bolschewismus von weitem gesichtet und sein Sinnen und Sorgen darauf gerichtet, diese ungeheure Gefahr von unserm deutschen Volk und dem gesamten Abendland abzuwehren. Die deutschen Bischöfe halten es für ihre Pflicht, das Oberhaupt des Deutschen Reiches in diesem Abwehrkampf mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihnen aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen.“
Nach Hitlers Überfall auf Polen hieß es in einem weiteren „Hirtenwort“ vom 17. September 1939:[25]
„In dieser entscheidungsvollen Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, im Gehorsam gegen den Führer, opferwillig, unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun. Das gläubige Volk rufen wir auf zu heißem Gebet, dass Gottes Vorsehung den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk segensreichen Erfolg und Frieden führen möge.“
Im Ersten Weltkrieg hatten die Kirchen ab 1917 auf staatlichen Befehl etwa 65.000 Kirchenglocken als Waffenmaterial zur Verfügung gestellt.[26] Anfang April 1940 forderte ein Erlass Hermann Görings die Abgabe fast aller deutschen Kirchenglocken an die Rüstungsindustrie „zur Sicherung der Metallreserve für eine Kriegsführung auf lange Sicht“. Im Ergebnis wurden 47.000 von 63.000 Glocken (fast 77 %) eingeschmolzen und meist zu Granaten verarbeitet.[27] Der „geistliche Vertrauensrat“ der DEK unter dem Vorsitz von August Marahrens empfahl am 12. April 1940 allen Landeskirchen, Görings Befehl als „freudiges Opfer für Führer und Vaterland“ in Form einer „Glockenopferfeier“ umzusetzen. Zugleich beschloss er eine Gratulation, Kanzelabkündigung und landesweites Glockengeläut zum „Führergeburtstag“. Die zu dieser Sitzung eingereichte briefliche Bitte des am 16. März 1940 vom Reichskriegsgericht zum Tod verurteilten Kriegsdienstverweigerers Hermann Stöhr, sein Gnadengesuch an Hitler zu unterstützen, wurde nicht behandelt; Stöhr wurde am 21. Juni 1940 enthauptet. In der Woche seiner Beerdigung hängten die Kirchen der DEK Hakenkreuzflaggen auf, läuteten auf Anweisung Hitlers die Glocken sieben Tage lang und hielten Dankgottesdienste für den Sieg über Frankreich im Westfeldzug.[28]
Kirchliche Friedensethik seit 1945
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Kirchen ihre traditionelle Kriegsethik stärker in Frage. 1948 verabschiedete der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) auf seiner Gründungsversammlung in Amsterdam im Konsens den Satz: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“[29]
1950 begann die westdeutsche Wiederbewaffnung: Martin Niemöller, der sich als einer der ersten dagegen aussprach, wurde von der EKD-Leitung, zu der er damals noch gehörte, gerügt.
Angesichts der bevorstehenden Atombewaffnung der NATO forderte der Rat der EKD im Mai 1954 einen allgemeinen Stopp des atomaren Wettrüstens; ihm folgte die Vollversammlung des ÖRK im August 1954. Im Juni 1956 rief die Synode der EKD mit einer von Heinrich Vogel verfassten Erklärung alle Christen auf, sich nicht an Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungsmitteln zu beteiligen. Doch die EKD lehnte es ab, ein Wort der Bruderschaften zu übernehmen, das im März 1958 alle Massenvernichtungsmittel als unvereinbar mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis verwarf. Stattdessen gab sie 1959 die Heidelberger Thesen heraus, in denen Abschreckung auch mit Atomwaffen befristet als friedenserhaltend bejaht wurde. Seitdem drückte die Formel vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ die Haltung der EKD aus: Sie bejaht das individuelle Recht zur Kriegsdienstverweigerung und unterstützt die, die es beanspruchen, betreibt aber parallel die Betreuung derer, die Militärdienst leisten (Militärseelsorgevertrag) und hält gerechte Kriege von Fall zu Fall für möglich.
Papst Johannes XXIII. verfasste 1963 die Enzyklika Pacem in terris, die sich erstmals an „alle Menschen guten Willens“ richtete und u.a. forderte:
„Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend, daß der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; daß ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; daß Atomwaffen verboten werden; und daß endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen.“
Damit wurde das Gleichgewichtsprinzip faktisch als friedenserhaltend anerkannt und deshalb kein einseitiger, ethisch begründeter Verzicht auf Atomwaffen gefordert, sondern multilaterale Abrüstungsverträge.
Minderheiten in den Großkirchen wollten das militärische Sicherheitskonzept allmählich durch andere Formen der Verteidigung ablösen, so Pax Christi auf katholischer, Aktion Sühnezeichen und Ohne Rüstung Leben auf evangelischer Seite. Sie fassen die biblische Friedensvision als verbindliches Leitbild für die konsequente Ausrichtung auf Abrüstung, gewaltfreie Konfliktlösungsmodelle und die Versöhnung mit Opfernachfahren deutscher Gewaltherrschaft und Menschheitsverbrechen auf.
Das Zweite Vatikanische Konzil formulierte 1965 in Gaudium et Spes, Nr. 82:
„Darum sind vor allem eine neue Erziehung und ein neuer Geist in der öffentlichen Meinung dringend notwendig. Wer sich der Aufgabe der Erziehung, vor allem der Jugend, widmet und wer die öffentliche Meinung mitformt, soll es als seine schwere Pflicht ansehen, in allen eine neue Friedensgesinnung zu wecken.“
Das Hirtenwort Gerechter Friede der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2000 betont auch im Rückgriff auf die Prophetenworte, dass Frieden nur durch gerechte Lebensbedingungen für alle entstehen kann. Demgemäß wird ein Einsatz für Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Gewaltprävention und Konfliktnachsorge verlangt. Von den Staaten wird Rüstungsbegrenzung und atomare Abrüstung gefordert. Auch dieser Text fordert keine einseitige und totale Abrüstung von Massenvernichtungsmitteln, sondern gesteht den Staaten konventionelle Streitkräfte „für Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch für ein angemessenes Engagement im Rahmen internationaler Krisenbewältigung“ zu.[30] Denn es bestehe die „Pflicht […], Menschen vor fremder Willkür und Gewalt wirksam zu schützen“.[31]
1975 führte der ÖRK ein Antimilitarismus-Programm ein, das die Ursachen weltweiter Aufrüstung und kriegerischer Konflikte analysiert und Alternativen dazu bedenkt. Er verpflichtet seine Mitgliedskirchen auf die Abschaffung der Atomwaffen und befürwortet ein weltweites Verbot von Landminen. Unter seinem Dach setzen sich zahlreiche nationale und internationale Initiativen im Sinne von „Schwerter zu Pflugscharen“ für Ab- und Umrüstung und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ein. Im Verbund mit anderen Nichtregierungsorganisationen wirken sie auch auf NATO-Staaten ein, die im Atomwaffensperrvertrag eingegangene Verpflichtung zur atomaren Abrüstung umzusetzen. Ein Beispiel für eine solche Gruppe ist Ploughshares („Pflugscharen“) in Kanada: Die Gruppe gibt u.a. einen detaillierten jährlichen Bericht über Kriege, bewaffnete Konflikte und Aufrüstung heraus, benennt deren Ursachen und setzt sie in Beziehung zu den Ausgaben für Entwicklungshilfe.[32]
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Teil 2
Friedenspolitische Initiativen
Neuzeitlicher Pazifismus
Nicht die Kirchen, sondern die Philosophie der Aufklärung begann mit Überlegungen, wie der Traum vom „ewigen Frieden“ politisch zu realisieren sei. Immanuel Kant entwarf 1795 eine internationale Vertragsordnung souveräner republikanischer Staaten, die den friedlichen Interessenausgleich der Völker nachhaltig regeln sollte:
Ein Friedensvertrag unter Völkern muss versteckte kriegerische Absichten und künftige Kriegsursachen ausschließen.
Er muss die Souveränität jedes Staates und sein Gebiet anerkennen.
„Stehende Heere … sollen mit der Zeit ganz aufhören.“
Die sonst fortbestehende Kriegsdrohung würde Wettrüsten und Angriffskriege erzeugen. Sie degradiere Menschen zu Sachen und Kriegsmaschinen, sei also mit der Idee des universalen Menschenrechts unvereinbar.[33]
Im 19. Jahrhundert entstand mit dem Pazifismus eine Bewegung, die diese aufgeklärten Ideen zu realisieren versuchte. Umfassende Abrüstung und Ausschluss des Angriffskrieges wurden nun erstmals als politische Ziele angestrebt. Dabei wurde die biblische Vision aus ihrem theologischen Kontext gelöst und säkularisiert: Das Gebot des Gottes Israels wurde in einen moralischen Appell an die Gewissen und die ethische Entscheidung des Einzelnen für einen Verzicht auf bewaffnete Selbstverteidigung transformiert (vgl. Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!).
Erst nach dem Ersten Weltkrieg gewann diese Bewegung in Deutschland an Zulauf und etablierte u.a. den Antikriegstag als Datum einer jährlich wiederkehrenden Großdemonstration. Doch die Pazifisten blieben eine gesellschaftliche Minderheit: zum einen, weil das Verhältnis von eigenem Gewaltverzicht zu politischer Macht und nationaler Souveränität ungelöst blieb, zum anderen, weil sie untereinander zerstritten waren in Vertreter einer prinzipiellen Gewaltlosigkeit, Antimilitaristen („Krieg dem Kriege!“) und Sozialisten, die sich die Überwindung des Krieges erst von der Abschaffung aller Klassenherrschaft erhofften und dazu bedingte revolutionäre Gewalt rechtfertigten. Dabei beriefen sich auch Neomarxisten wie Ernst Bloch auf die Bibel: Die Prophetie von Mi 4/Jes 2 sei „das Urmodell der pazifizierten Internationale“, die allen Menschen zugänglich und verständlich sei, da sie ihre nächstliegenden Interessen zum Ausdruck bringe.[34]
Der „Militärisch-industrielle Komplex“ – die Abhängigkeiten und Verflechtungen von Rüstungsindustrie, Militär und Staatsführungen – blieb in vielen gesinnungsethischen Appellen unzureichend berücksichtigt. Rüstungskonversion stand in den meisten Abrüstungsforderungen erst ganz am Ende eines internationalen Verständigungsprozesses.
UN-Charta
Das Ziel eines nachhaltigen Völkerfriedens wurde 1945 in der UN-Charta festgeschrieben. Seitdem haben die meisten Staaten das Verbot jedes Angriffskriegs theoretisch anerkannt (Kapitel I, Artikel 2, Absatz 4):
"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."[35]
Sowjetische Skulptur
Skulptur von Jewgeni Wutschetitsch
Am 4. Dezember 1959 schenkte die Sowjetunion der UNO eine Bronzeskulptur von Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch, die das biblische Motiv bildlich-plastisch darstellt.[36] Die Skulptur wurde im Garten des UNO-Hauptgebäudes in New York City aufgestellt. Ihr Modell befindet sich vor der Zweigstelle der Tretjakow-Galerie für moderne Kunst in Moskau. Die Skulptur zeigt einen muskulösen Heros, der ein Schwert zu einem Pflug umschmiedet. Sie ist im Stil des Sozialistischen Realismus gestaltet und hebt die Schöpferkraft des arbeitenden Menschen hervor. Zugleich appelliert sie an das Friedensziel der UN-Charta. Sie ist das dritte Werk einer Trilogie dieses Bildhauers, die durch das Schwertmotiv verbunden ist: Ihr ging die Skulptur „Mutter Heimat“ voraus, deren Figur das Schwert dem heldischen Kämpfer übergibt (Standort Wolgograd, das frühere Stalingrad), sowie „der Befreiungskrieger“, ein russischer Soldat, der mit dem Schwert das Hakenkreuz zerstört (Standort sowjetisches Ehrenmal in Berlin-Treptow).
Damit bekräftigte die sowjetische Partei- und Staatsführung ihre damals offiziell erklärte Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz mit dem „Klassenfeind“. Sie stellte ihr Land stets als Friedensmacht und dessen Hochrüstung als ausschließlich defensiven Zwecken dienend dar. Seit 1960 bot die Sowjetunion dem Westen eigene Abrüstungsinitiativen an und versuchte vor allem, die NATO zur Abkehr von ihrer Strategie des Ersteinsatzes von Atomwaffen zu bewegen. Zugleich setzten beide Supermächte das Wettrüsten unvermindert fort und führten oder unterstützten Stellvertreterkriege in Staaten der Dritten Welt. Westliche Historiker deuten sowjetische Abrüstungsvorstöße weitgehend als Propagandamittel, um machtpolitische Vorteile im fortgesetzten Kalten Krieg zu erlangen.[37] Abrüstungsvorleistungen ohne multilaterale Vertragsbindung wurden von Regierungsvertretern in Ost wie West meist als Gefährdung des militärischen Gleichgewichts und damit Destabilisierung des Nichtkriegszustands betrachtet.[38]
Friedensinitiativen in den USA und Großbritannien
In den 1960er Jahren stieß der Vietnamkrieg der USA weltweit auf zunehmende Ablehnung. Ein einflussreicher Kriegsgegner in den USA war Martin Luther King jr.: Er hielt am 30. April 1967 die Predigt It’s A Dark Day In Our Nation.[39] Darin nannte er sieben Gründe für seine Haltung: zuerst seine Gewissensnot vor Gott, der ihn zum Reden zwinge, da Schweigen Verrat an den Kriegsopfern bedeute; zuletzt seine Liebe zu Amerika, das mit diesem Krieg seine eigenen konstitutionellen Werte, die Menschenwürde und gottgegebenen Menschenrechte, verlassen habe. Zum Schluss ermutigte er seine Hörer, ihren Glauben an die weltverändernde Kraft der Liebe, der Hindus, Buddhisten, Juden, Christen, Muslime verbinde, nicht aufzugeben, und paraphrasierte als Quelle dieser Kraft zuletzt Michas Friedensverheißung:
„Mit diesem Vertrauen können wir den Tag beschleunigen, an dem wir überall auf der Welt […] singen: … Dank Gott dem Allmächtigen, wir sind endlich frei! […] Menschen werden ihre Schwerter in Pflugscharen umschmieden und ihre Speere in Sicheln. Und Nationen werden nicht gegen Nationen aufstehen, noch werden sie mehr Krieg lernen. Und ich weiß nicht wie ihr dazu steht, aber ich werde nicht mehr Krieg lernen.“
Damit verknüpfte King sein an Mahatma Gandhi angelehntes Konzept des „gewaltfreien Widerstandes“ und „zivilen Ungehorsams“ für die Bürgerrechte der Afroamerikaner mit dem Eintreten gegen diesen Krieg.
In den 1980er Jahren entstand in den USA und Großbritannien erneut eine breite außerparlamentarische Protestbewegung, diesmal gegen atomare Rüstungsprojekte unter Ronald Reagan. Pazifistische und antimilitaristische Gruppen der Pflugscharbewegung bezogen sich dabei ausdrücklich auf das Bibelzitat. Sie wollten u.a. mit Blockaden und Besetzungen von militärischem Firmengelände zeigen, dass nicht nur öffentlicher Druck, sondern direkter risikobereiter Widerstand gegen die Atomrüstung notwendig und möglich sei. Dabei unterschieden sie strikt Gewalt gegen Sachen von Gewalt gegen Personen.
Die Plowshare Eight („Pflugschar Acht“) bestand aus acht Personen, unter ihnen der vormalige römisch-katholische Priester Philip Berrigan und sein Bruder, der Jesuitenprediger Daniel Berrigan. Am 9. September 1980 drangen sie in eine Fabrik für Atomwaffen in Pennsylvania ein und schlugen mit Hämmern auf Nuklearsprengköpfe ein. Sie machten Konstruktionspläne für Atomwaffen mit ihrem eigenen Blut unbrauchbar und beteten in der Fabrikhalle für den Frieden, bis sie verhaftet wurden. Es folgten Prozesse mit Hafturteilen von fünf bis zehn Jahren wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. Diese Urteile wurden später auf knapp zwei Jahre Haft reduziert. Nach der Freilassung blieben die Mitglieder der Gruppe zusammen und setzten ähnliche Aktionen fort. Der Priester Carl Kabat feierte den 25. Jahrestag seiner Priesterweihe mit einem Hammer auf einem Atomwaffengelände.
Andere Gruppen wie die Trident Ploughshares in Großbritannien griffen die Idee auf; diese Gruppe erhielt 2001 für ihre gewaltfreien Aktionen gegen ein Atomunterseeboot den Right Livelihood Award. Man kennt weltweit bis heute rund 70 derartige Aktionen, meist in westlichen Staaten, die über Atomwaffen verfügen. Sie alle berufen sich auf die biblische Friedensvision und begehen gezielte, auf Rüstungsobjekte bezogene Gewalt, beanspruchen aber ansonsten strikte Gewaltfreiheit. Die Täter bleiben meist am Ort der Tat bis zur Verhaftung und verteidigen ihr Vorgehen vor Gericht mit Bezug auf Gott, das eigene Gewissen und das Widerstandsrecht.
Beim Dankgebet zur Inauguration von Barack Obama zum 44. US-Präsidenten am 20. Januar 2009 bezog sich Pastor Joseph Lowery auf die biblische Friedensverheißung:[40]
„Help us then, now, Lord, to work for that day when nation shall not lift up sword against nation, when tanks will be beaten into tractors, when every man and every woman shall sit under his or her own vine and fig tree, and none shall be afraid; when justice will roll down like waters and righteousness as a mighty stream.“
Friedensinitiativen in der DDR
Gedenkstein in Gramzow
Im uckermärkischen Gramzow ließ der dortige Pfarrer und Superintendent Curt-Jürgen Heinemann-Grüder 1971 an den Gefallenengräbern einen Gedenkstein mit den Worten „Schwerter zu Pflugscharen“ aufstellen. Die Jahreszahlen 1933 und 1938 erinnern an die Verschleppung von Kommunisten und Sozialdemokraten in Zuchthäuser und Konzentrationslager und an den Beginn der Judenvernichtung. Dies war die erste öffentliche Darstellung dieses Textes in der DDR, der später zum Slogan der unabhängigen Friedensbewegung wurde.
Erste Friedensdekade
1978 hatte die SED das Pflichtfach „Wehrerziehung“ an DDR-Schulen eingeführt. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR legte dagegen erfolglos Widerspruch ein und stellte ein Alternativprogramm „Erziehung zum Frieden“ vor. Daraufhin entstanden in vielen Kirchengemeinden staatskritische, unabhängige Friedensinitiativen. Regelmäßige Seminare, etwa in Königswalde (Ortsteil von Werdau in Sachsen), zogen Jugendliche aus der ganzen DDR an.
„Schwerter zu Pflugscharen“-Grafik von 1980 als Banner am Greifswalder Dom, 2008
Das Abbild der sowjetischen Skulptur zusammen mit dem Schriftzug „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde erstmals als Lesezeichen für eine Einladung zum Gottesdienst am Buß- und Bettag des Jahres 1980 von evangelischen Jugendgruppen in der DDR verwendet. Dieser Feiertag war als Abschluss einer ersten zehntägigen „Friedensdekade“ mit dem DDR-Kirchenbund verabredet worden. Die Anregung dazu kam vom überkonfessionellen Interkirchlichen Friedensrat in den Niederlanden, der als erste kirchliche Vereinigung einen Totalabbau aller Atomwaffen in Europa forderte und dies mit dem Votum der Reformde Kerk begründete, wonach Friedenssicherung durch atomare Abschreckung mit dem Christsein völlig unvereinbar sei.
Die erste Friedensdekade ging aus der intensiven Vorbereitungsarbeit des Evangelischen Jungmännerwerks (Ostwerk) und einer Arbeitsgruppe des CVJM (Westwerk) im Oktober 1979 hervor. Ein weiteres Arbeitstreffen musste wegen des Überwachungsdrucks der Stasi zum Teil nächtlich in privaten Wohnungen in Berlin stattfinden.[41] Die Initiatoren teilten die starke Sorge über die Aufrüstung in der Mitte Europas beiderseits der innerdeutschen Grenze. Sie versuchten, dazu einen klaren gemeinsamen Standpunkt zu finden. So forderten sie die vollständige Entmilitarisierung beider deutscher Staaten. Das erarbeitete Material wurde als Auftrag an die Konferenz der evangelischen Landesjugendpfarrer in der DDR weitergeleitet, eine gemeinsame Friedensaktion zu realisieren: die erste Friedensdekade. Diese sollte gleichzeitig in allen Gliedkirchen beider deutscher Kirchenbünde stattfinden und wurde diesen daher vorgeschlagen.
Die Einladung gestaltete der damalige sächsische Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider; die Grafikerin Ingeborg Geißler schuf eine druckfähige Zeichnung dafür. Das Lesezeichen wurde in einer Auflage von 120.000 Stück in der Druckerei Abraham Dürninger der Herrnhuter Brüdergemeine auf Vliesstoff gedruckt, da dies als „Textiloberflächenveredlung“ galt und keine staatliche Druckgenehmigung erforderte. Der Einladungstext wies auf Gottesdienste, Jugend- und Gemeindeabende und eine „Friedensminute“ hin: Am Bußtag um 13:00 Uhr sollten landesweit die Kirchenglocken gleichzeitig mit der staatlichen Sirenenübung zum Gebet mahnen. Nachdem die DDR-Regierung dies als Gefährdung des Zivilschutzes und Aufruf zur Arbeitsniederlegung untersagte, wurde das Läuten auf 13:15 Uhr verlegt.
Das Motto der Dekade lautete „Frieden schaffen ohne Waffen“. Dasselbe Motto verwendete unabhängig davon auch die westdeutsche Aktion Sühnezeichen mit ihrem Vorsitzenden Volkmar Deile. Es ging auf ein weltweites Treffen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zurück: Er hatte 1975 in Nairobi allen Mitgliedskirchen empfohlen, gegenüber den je eigenen Regierungen ihre Bereitschaft zu erklären, „ohne den Schutz von Waffen zu leben“. Dies blieb den meisten Kirchengemeinden zunächst unbekannt und wurde von kaum einer Kirchenleitung publik gemacht. Die EKD sprach in ihren offiziellen Erklärungen stets vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ und rechtfertigte die Abschreckung sogar mit Atomwaffen 1982 wie schon 1959 weiterhin als „christlich mögliche Handlungsweise“.
Im Juni 1980 griff die Evangelische Studentengemeinde Dresden als erste Gruppe in der DDR die Empfehlung des ÖRK auf, um einen Diskussionsprozess in den Gemeinden auszulösen. Unter dem wachsenden Druck der kirchlichen Jugend beschloss die Konferenz der Kirchenleitungen daraufhin die erste Friedensdekade. Nach Gesprächen mit dem Sekretariat des DDR-Kirchenbundes, Manfred Stolpe, wurde die Einladung dazu mitsamt der Grafik des Lesezeichens genehmigt. Der Aufnäher[42] traf die Friedenssehnsucht vieler Jugendlicher. Sie trugen ihn nun spontan überall auf ihrer Straßenkleidung, an Mänteln, Taschen und Mützen in Schulen und Betrieben und machten so ihren Friedenswunsch öffentlich.
Zweite Friedensdekade
Plakat zur Friedensdekade, aufgenommen im November 1989 im Schweriner Dom
Im Frühjahr 1981 schlugen einige Kirchengemeinden ihren Synoden vor, einen zweijährigen Sozialen Friedensdienst als gleichberechtigte Alternative zum staatlichen Wehrdienst in der NVA und zu den Bausoldaten einzuführen. Einige Landessynoden stellten sich bis zum Jahresende öffentlich hinter diese Forderung, andere lehnten ab. Ein Treffen der Kirchenleitungen mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi im September endete mit der strikten staatlichen Ablehnung der Idee.
Am 10. Oktober 1981 fand auf der Hofgartenwiese in Bonn mit etwa 300.000 Teilnehmern die bislang größte Demonstration gegen die „Nachrüstung“ in der alten Bundesrepublik statt. Während die traditionellen, häufig der DKP nahestehenden Gruppen meist das bekannte Symbol der blauen Friedenstaube von Pablo Picasso verwendeten, zeigten vor allem christliche Friedensgruppen aus Solidarität mit den staatsunabhängigen Friedensgruppen der DDR das Motiv „Schwerter zu Pflugscharen“. Vielfach wurden diese Plakate auch mit Hinweisen auf die Solidarność-Gewerkschaft in Polen verbunden, um
eine von sowjetischen oder großdeutschen Interessen unabhängige, blockübergreifende Friedensbewegung anzumahnen,
auf das gemeinsame Abrüstungsinteresse von Arbeiterbewegung und Friedensbewegung hinzuweisen,
das Friedensthema mit dem Thema der Demokratisierung und sozialen Gerechtigkeit zu verbinden.
Als Vertreter der ostdeutschen Friedensgruppen durfte der Erfurter Propst Heino Falcke vor den Bonner Demonstranten sprechen.
Die folgende Friedensdekade vom 8. bis 18. November 1981 wurde erstmals gleichzeitig auch innerhalb der westdeutschen EKD durchgeführt und stand unter dem Thema „Gerechtigkeit – Abrüstung – Frieden“. Da nicht mit einer Druckgenehmigung der DDR-Behörden für Aufkleber oder Anstecker zu rechnen war, wurde das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ mit nochmals 100.000 Stück auf Vliesstoff gedruckt und als Aufnäher weiterverwendet. In der Nikolaikirche (Leipzig) wurde wenig später eine große Schautafel mit dem Symbol aufgestellt.
Während zahlreiche Schullehrer, Volkspolizei und Betriebsfunktionäre nun die Entfernung der Aufnäher forderten, nahmen Kirchenvertreter die Träger in Schutz, wiesen auf die Herkunft des abgebildeten Symbols und die offizielle Propaganda hin. So war das sowjetische Denkmal auch im DDR-Geschichtsbuch für die 6. Klasse abgebildet, und das Lehrbuch für die Jugendweihe von 1975 erläuterte: „Wir schmieden Schwerter zu Pflugscharen um.“ Die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ der DDR zitierte zum Jahresbeginn 1982 die Jesajastelle und schrieb dazu:[43]
„Welcher Marxist würde behaupten wollen, dass religiöser Glaube in dieser Form reaktionär sei und, obwohl er selbst noch kein wissenschaftlich fundiertes Bewusstsein darstellen konnte, unvereinbar mit Wissenschaftlichkeit sei? Dieser […] Glaube ahnt gewissermaßen die wissenschaftliche Erkenntnis von einer klassenlosen Gesellschaft, in der es keine Kriege mehr gibt, voraus.“
Unter Berufung darauf gelang es den Kirchenbehörden zunächst, ein Verbot des Aufnähers abzuwenden. Doch ab November 1981 erhielt der sächsische Landesbischof Johannes Hempel die amtliche Mitteilung: „Wegen Missbrauchs dürfen diese Aufnäher in Schule und Öffentlichkeit nicht mehr getragen werden.“ Dahinter stand das Bemühen der SED, Akzeptanz für das neue Wehrdienstgesetz zu organisieren. Die Aufnäherträger wurden nun mit massiven Vorwürfen konfrontiert: Der undifferenzierte Pazifismus sei friedensfeindlich, die Aufnäher seien westliche Importe und schulfremdes Material, wer sie trage, übe Wehrkraftzersetzung aus und untergrabe die staatliche und gesellschaftliche Tätigkeit zum Schutz des Friedens. Sie seien zum Zeichen einer unabhängigen Friedensbewegung geworden, die nicht geduldet werden könne.
Viele Jugendliche, die die Aufnäher nicht entfernten, wurden aus Hochschulen und Erweiterten Oberschulen entlassen, erfuhren Strafversetzung, Nichtzulassung zum Abitur, Verweigerung der gewünschten Lehrstelle, Schulverbot oder Hinderung beim Betreten seines Betriebs. Pädagogen, Zoll und Polizisten schnitten die Aufnäher aus Jacken heraus, wenn Jugendliche dies nicht freiwillig taten, oder beschlagnahmten die Aufnäher oder ganze Kleidungsstücke. Manches davon fand sich später in Stasi-Akten wieder. Anfang 1982 reagierte eine wachsende Zahl von Jugendlichen, indem sie sich runde weiße Flecken auf die Jacken nähten oder mit Filzstift auf den Ärmel schrieben: „Hier war ein Schmied.“[44]
Andere Abrüstungsinitiativen
„Schwerter zu Pflugscharen“ auf einer Gedenktafel am evangelischen Pfarrhaus in Meiningen
Am 25. Januar 1982 veröffentlichte Rainer Eppelmann, damals Pastor in Ost-Berlin, seinen Berliner Appell: Darin forderte er den Abzug aller Atomwaffen aus der DDR, der Bundesrepublik und Mitteleuropa. Prominente DDR-Dissidenten wie Stefan Heym und Robert Havemann unterstützten den Aufruf und forderten öffentlich eine autonome Friedensbewegung in der DDR. Damit war der Versuch der SED-Führung vorerst gescheitert, die westeuropäische Opposition gegen den NATO-Doppelbeschluss zu fördern, aber eigenständige ostdeutsche Abrüstungsinitiativen als Gefahr für den „sozialistischen Friedensstaat“ zu unterdrücken.
Sie reagierte darauf mit einer FDJ-Aktion unter dem Titel: Der Friede muss verteidigt werden – der Friede muss bewaffnet sein. Dabei wurde die Initiative für den Sozialen Friedensdienst als verfassungsfeindlich dargestellt. Damit zeigte die SED dem Kirchenbund seine Grenze: Zum Staatsvertrag gehörte, dass er sich nicht als politische Opposition betätigte. Die Bischöfe wollten diese Grenze achten, verteidigten aber Recht und Pflicht der Christen auf selbständiges Nachdenken über eigene Friedensbeiträge und Kritik an Militarisierungstendenzen im Rahmen des DDR-Systems.
Zum 13. Februar 1982 riefen staatskritische Jugendliche angesichts der zunehmenden Militarisierung des zivilen Lebens in der DDR aus Anlass des 37. Jahrestags der Luftangriffe auf Dresden zu einer Gedenkfeier an der Frauenkirche auf.[45] Um befürchtete Zusammenstöße der Demonstranten mit Stasi und Volkspolizei zu vermeiden, bot die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens in der Dresdner Kreuzkirche ein „Forum Frieden“ als Alternative zu der illegalen Versammlung an. Etwa 5.000 Besucher nahmen an dem Diskussionsforum teil. Die Ablehnung der NATO-Aufrüstung war ebenso einhellig wie die Ablehnung der fortgesetzten DDR-Militarisierung und Knebelung eigener friedenspolitischer Betätigung. Bischof Hempel erfuhr viel Kritik, weil er vom Tragen des Aufnähers abriet, da dies den Staat provoziere, die Handlungsspielräume der Kirche verenge und diese die Jugend nicht vor Strafverfolgung schützen könne. Von der Veranstaltung aus zogen einige hundert Menschen zur Ruine der Frauenkirche, standen dort schweigend mit Kerzenlichtern oder sangen Lieder. Das offene Forum und das folgende schweigende Gedenken werden seither jährlich am 13. Februar in Dresden begangen.
Zwischen dem Aufruf Eppelmanns und dem Dresdner Forum bestand kein direkter Zusammenhang. Ostdeutsche unabhängige Friedensinitiativen waren nicht landesweit organisiert und bildeten gerade so eine echte Alternative zu staatlich verordneten, seit langem stagnierenden Vereinigungen wie dem Friedensrat der DDR und der Christlichen Friedenskonferenz (CFK).[46] Die westdeutschen Medien versuchten zwar, eine flächendeckende Systemopposition als Pendant zur westlichen Friedensbewegung herbeizuschreiben: Doch die meisten kirchlichen Jugendgruppen der DDR lehnten damals weitreichende Forderungen nach Abzug der Besatzungstruppen und Austritt der deutschen Staaten aus den Militärbündnissen ab. Sie wollten zunächst die Spielräume für Eigeninitiative und soziales Engagement erweitern.
Bei einem weiteren Gespräch mit Klaus Gysi am 7. April 1982 protestierten die Kirchenvertreter gegen die Angriffe und Verdächtigungen, denen die Träger des Aufnähers ausgesetzt wurden. Das Symbol sei ein christliches Friedenszeugnis, sein Verbot eine Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Kirche sei nicht bloß Verstärker der staatlichen Außenpolitik, sondern betreibe eine eigenständige Friedensarbeit, die als „Abrüstungsimpuls“ nötig bleibe. Das Symbol dürfe nicht als Gegensatz zur staatlichen Friedenspolitik aufgefasst werden. – Damit versuchte der Kirchenbund die Jugendlichen und kirchliche Freiräume zu schützen. Zugleich schloss er weitergehende, die staatliche Militärpolitik angreifende Konzepte aus der Debatte zunächst aus.
Am 12. Mai 1983 entrollten Petra Kelly, Gert Bastian und drei weitere Bundestagsabgeordnete der Grünen auf dem Alexanderplatz in Berlin-Ost ein Transparent mit der Aufschrift „Die Grünen - Schwerter zu Pflugscharen“ und trafen sich anschließend mit DDR-Oppositionellen. Dies duldeten die DDR-Behörden nach ihrer vorübergehenden Festnahme, weil die westdeutschen Grünen den Natodoppelbeschluss ablehnten.[47]
Am 24. September 1983 fand während eines evangelischen Kirchentages in Wittenberg auf dem Lutherhof eine symbolische Aktion statt: Der örtliche Schmied Stefan Nau schmiedete vor etwa 4000 Teilnehmern ein Schwert zu einer Pflugschar um. Wegen der Präsenz von westlichen Medienvertretern und Richard von Weizsäcker als Gast griffen die Staatsorgane nicht ein.[48] Manche Quellen sprechen die Idee zu dieser Aktion Stefan Nau selbst zu; Friedrich Schorlemmer, damals Prediger an der Schlosskirche Wittenberg, trug die Initiative dazu mit.[49] Er hatte bereits 1980 einen Friedenskreis gegründet, der sich auch nach dem Verbot des Aufnähers und dem Abklingen der westdeutschen Friedensbewegung hielt. In einem späteren Interview mit dem MDR-Fernsehen berichtet Nau, dass Schorlemmer Texte u. a. auch von Gorbatschow bei dieser Schmiedeaktion vorgetragen habe. Gorbatschow war zu dieser Zeit so gut wie nicht bekannt, er wurde erst 1985 Generalsekretär der KPdSU.
Im Oktober 1983 empfing Staatsratschef Erich Honecker Petra Kelly, Gerd Bastian und weitere Westgrüne zu einem Gespräch. Dabei trug Kelly einen Pullover, auf dem „Schwerter zu Pflugscharen“ gedruckt stand.[50] Sie forderte die Freilassung aller „Verhafteten der DDR-Friedensbewegung“ und fragte Honecker, warum er in der DDR verbiete, was er im Westen unterstütze. Anschließend trafen die Besucher DDR-Oppositionelle um Bärbel Bohley. Daraufhin verbot ihnen die DDR für ein Jahr weitere Einreisen.[51]
Die Wende von 1989
Im Juli 1989 ging aus dem Wittenberger Friedenskreis eine Bürgerrechtsgruppe hervor, die sich mit anderen Vorläufern zur Initiative Demokratischer Aufbruch verband. Auch in der Nikolaikirche Leipzig entwickelte sich unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ ein regelmäßiges offenes Montagsgebet, das zur Keimzelle der späteren Montagsdemonstrationen vom Herbst 1989 wurde. Dabei blieb das biblische Symbol zunächst Ausdruck für alternative Friedensaktivitäten im Rahmen der DDR. Es eignete sich ein sowjetisches Bildmotiv an und kehrte es gegen die staatliche Propaganda, wonach die DDR die Einheit von Volk, Staat und Partei realisiert habe und daher per definitionem eine „Friedensmacht“ sei. Es drückte den Wunsch aus, das Christen und Marxisten gemeinsame Ziel einer befriedeten Welt zur Beendung des Wettrüstens und der gesellschaftlichen Militarisierung zu nutzen. Militärische Sicherheitskonzepte sollten von politischer Friedensfähigkeit abgelöst werden. Eine direkte Konfrontation mit den jeweiligen Systemen war darin nicht vorgesehen.
Gerade so verband das Symbol christliche Friedensgruppen in West und Ost und wurde zum ersten sichtbaren Zeichen einer Bürgerrechtsbewegung, die über die blockübergreifende Verhinderung von Aufrüstung und Krieg hinaus einen Systemwandel anvisierte und schließlich bewirkte. Dabei war das pazifistische Erbe ein wesentlicher Faktor für die Gewaltlosigkeit der Revolution von 1989. Die Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches übernahm das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ in ihren Verfassungsentwurf. Laut Artikel 43 des Entwurfs sollte es das Staatswappen der DDR werden.[52]
Die Perspektive von sozialer Gerechtigkeit und Überwindung des Welthungers, die durch umfassende Abrüstung ermöglicht werden sollte und in der biblischen Herkunft des Symbols angelegt ist, ging dagegen weitgehend verloren. Die Friedensdekaden, die seit 1994 in der gesamtdeutschen EKD durchgeführt werden, mahnen diese Perspektive an und verwenden dazu nach wie vor das Bild des Stoffaufnähers.
Künstlerische Rezeption
Literatur
Leo Tolstoj bezieht sich in seiner Erzählung Die Kreutzersonate unmittelbar auf die biblische Redewendung. So heißt es im Gespräch Posdnyschews mit dem Erzähler: Bedenken Sie, wenn das Ziel der Menschheit das Gute, Edle, die Liebe ist [...], wenn das Ziel der Menschen das ist, wovon die alten Weissagungen reden, daß alle Menschen sich in Liebe einen, daß Speere und Schwerter zu Sicheln umgeschmiedet werden, was hindert denn die Erreichung dieses Ziels?[53]
Musik
In den Worksongs, Gospels und Spirituals der Afroamerikaner ist ein Lied Ain't gonna study war no more („ich werde nicht mehr Krieg lernen“) überliefert, das auf die Verheißung von Mi 4 anspielt. Es entstand möglicherweise nach dem Sezessionskrieg. Die Textzeile erschien gedruckt erstmals 1898 in der Hymne Down by the River.[54] Die heute weit verbreitete Textversion wurde 1940 durch eine Ausgabe von American Negro Spirituals in den USA bekannt:[55]
„I’m going to lay down my sword and shield
Down by the riverside
Down by the riverside
Down by the riverside
Going to lay down my sword and shield
Down by the riverside
Ain’t going to study war no more …“
Die Zeile Down by the Riverside wurde zum Titel des Songs; sie spielt auf die Taufe Jesu im Jordan und die analoge Taufe der Nachfolger Jesu an, die im Urchristentum eine Selbstverpflichtung zur Waffen- und Gewaltlosigkeit beinhaltete. Dieser Song wurde nach 1945 etwa durch Pete Seeger, Willie Dixon,[56] Mahalia Jackson und über 600 weitere Interpreten in zahlreichen Abwandlungen popularisiert.
Die Liedzeile dient auch als Buchtitel, etwa für eine exegetische Studie über die biblischen Friedensvisionen[57] oder eine historische Studie über die US-Friedensbewegung[58] oder eine wissenschaftliche Untersuchung über vom Militär finanzierte Forschungsprojekte an britischen Universitäten.[59]
Zu der Melodie eines auch in den USA bekannten israelischen Volksliedes dichteten Dieter Trautwein und Friedrich Karl Barth 1978 das neue geistliche Lied Ein jeder braucht sein Brot sein Wein mit dem an Michas Verheißung angelehnten Text:
„Ein jeder braucht sein Brot sein’ Wein,
und Frieden ohne Furcht soll sein.
Pflugscharen schmelzt aus Gewehren und Kanonen,
daß wir im Frieden beisammen wohnen.“
Michael Jacksons Song Heal the World fordert die Hörer im dritten Vers auf:[60]
„Create A World With No Fear
Together We’ll Cry Happy Tears
See The Nations Turn
Their Swords Into Plowshares“
Das Album Til Death Do Us Unite der deutschen Thrash-Metal-Band Sodom beinhaltet den Song Schwerter zu Pflugscharen.
Felicitas Kukuck schuf 1995 ihre Kantate Schwerter zu Pflugscharen.
Weiterführende Informationen
Siehe auch
Gewalt in der Bibel
Christen und Kirche in der DDR
Operation Plowshare
Megatonnen zu Megawatt
Quelle
Neuzeitlicher Pazifismus
Nicht die Kirchen, sondern die Philosophie der Aufklärung begann mit Überlegungen, wie der Traum vom „ewigen Frieden“ politisch zu realisieren sei. Immanuel Kant entwarf 1795 eine internationale Vertragsordnung souveräner republikanischer Staaten, die den friedlichen Interessenausgleich der Völker nachhaltig regeln sollte:
Ein Friedensvertrag unter Völkern muss versteckte kriegerische Absichten und künftige Kriegsursachen ausschließen.
Er muss die Souveränität jedes Staates und sein Gebiet anerkennen.
„Stehende Heere … sollen mit der Zeit ganz aufhören.“
Die sonst fortbestehende Kriegsdrohung würde Wettrüsten und Angriffskriege erzeugen. Sie degradiere Menschen zu Sachen und Kriegsmaschinen, sei also mit der Idee des universalen Menschenrechts unvereinbar.[33]
Im 19. Jahrhundert entstand mit dem Pazifismus eine Bewegung, die diese aufgeklärten Ideen zu realisieren versuchte. Umfassende Abrüstung und Ausschluss des Angriffskrieges wurden nun erstmals als politische Ziele angestrebt. Dabei wurde die biblische Vision aus ihrem theologischen Kontext gelöst und säkularisiert: Das Gebot des Gottes Israels wurde in einen moralischen Appell an die Gewissen und die ethische Entscheidung des Einzelnen für einen Verzicht auf bewaffnete Selbstverteidigung transformiert (vgl. Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!).
Erst nach dem Ersten Weltkrieg gewann diese Bewegung in Deutschland an Zulauf und etablierte u.a. den Antikriegstag als Datum einer jährlich wiederkehrenden Großdemonstration. Doch die Pazifisten blieben eine gesellschaftliche Minderheit: zum einen, weil das Verhältnis von eigenem Gewaltverzicht zu politischer Macht und nationaler Souveränität ungelöst blieb, zum anderen, weil sie untereinander zerstritten waren in Vertreter einer prinzipiellen Gewaltlosigkeit, Antimilitaristen („Krieg dem Kriege!“) und Sozialisten, die sich die Überwindung des Krieges erst von der Abschaffung aller Klassenherrschaft erhofften und dazu bedingte revolutionäre Gewalt rechtfertigten. Dabei beriefen sich auch Neomarxisten wie Ernst Bloch auf die Bibel: Die Prophetie von Mi 4/Jes 2 sei „das Urmodell der pazifizierten Internationale“, die allen Menschen zugänglich und verständlich sei, da sie ihre nächstliegenden Interessen zum Ausdruck bringe.[34]
Der „Militärisch-industrielle Komplex“ – die Abhängigkeiten und Verflechtungen von Rüstungsindustrie, Militär und Staatsführungen – blieb in vielen gesinnungsethischen Appellen unzureichend berücksichtigt. Rüstungskonversion stand in den meisten Abrüstungsforderungen erst ganz am Ende eines internationalen Verständigungsprozesses.
UN-Charta
Das Ziel eines nachhaltigen Völkerfriedens wurde 1945 in der UN-Charta festgeschrieben. Seitdem haben die meisten Staaten das Verbot jedes Angriffskriegs theoretisch anerkannt (Kapitel I, Artikel 2, Absatz 4):
"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."[35]
Sowjetische Skulptur
Skulptur von Jewgeni Wutschetitsch
Am 4. Dezember 1959 schenkte die Sowjetunion der UNO eine Bronzeskulptur von Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch, die das biblische Motiv bildlich-plastisch darstellt.[36] Die Skulptur wurde im Garten des UNO-Hauptgebäudes in New York City aufgestellt. Ihr Modell befindet sich vor der Zweigstelle der Tretjakow-Galerie für moderne Kunst in Moskau. Die Skulptur zeigt einen muskulösen Heros, der ein Schwert zu einem Pflug umschmiedet. Sie ist im Stil des Sozialistischen Realismus gestaltet und hebt die Schöpferkraft des arbeitenden Menschen hervor. Zugleich appelliert sie an das Friedensziel der UN-Charta. Sie ist das dritte Werk einer Trilogie dieses Bildhauers, die durch das Schwertmotiv verbunden ist: Ihr ging die Skulptur „Mutter Heimat“ voraus, deren Figur das Schwert dem heldischen Kämpfer übergibt (Standort Wolgograd, das frühere Stalingrad), sowie „der Befreiungskrieger“, ein russischer Soldat, der mit dem Schwert das Hakenkreuz zerstört (Standort sowjetisches Ehrenmal in Berlin-Treptow).
Damit bekräftigte die sowjetische Partei- und Staatsführung ihre damals offiziell erklärte Bereitschaft zur friedlichen Koexistenz mit dem „Klassenfeind“. Sie stellte ihr Land stets als Friedensmacht und dessen Hochrüstung als ausschließlich defensiven Zwecken dienend dar. Seit 1960 bot die Sowjetunion dem Westen eigene Abrüstungsinitiativen an und versuchte vor allem, die NATO zur Abkehr von ihrer Strategie des Ersteinsatzes von Atomwaffen zu bewegen. Zugleich setzten beide Supermächte das Wettrüsten unvermindert fort und führten oder unterstützten Stellvertreterkriege in Staaten der Dritten Welt. Westliche Historiker deuten sowjetische Abrüstungsvorstöße weitgehend als Propagandamittel, um machtpolitische Vorteile im fortgesetzten Kalten Krieg zu erlangen.[37] Abrüstungsvorleistungen ohne multilaterale Vertragsbindung wurden von Regierungsvertretern in Ost wie West meist als Gefährdung des militärischen Gleichgewichts und damit Destabilisierung des Nichtkriegszustands betrachtet.[38]
Friedensinitiativen in den USA und Großbritannien
In den 1960er Jahren stieß der Vietnamkrieg der USA weltweit auf zunehmende Ablehnung. Ein einflussreicher Kriegsgegner in den USA war Martin Luther King jr.: Er hielt am 30. April 1967 die Predigt It’s A Dark Day In Our Nation.[39] Darin nannte er sieben Gründe für seine Haltung: zuerst seine Gewissensnot vor Gott, der ihn zum Reden zwinge, da Schweigen Verrat an den Kriegsopfern bedeute; zuletzt seine Liebe zu Amerika, das mit diesem Krieg seine eigenen konstitutionellen Werte, die Menschenwürde und gottgegebenen Menschenrechte, verlassen habe. Zum Schluss ermutigte er seine Hörer, ihren Glauben an die weltverändernde Kraft der Liebe, der Hindus, Buddhisten, Juden, Christen, Muslime verbinde, nicht aufzugeben, und paraphrasierte als Quelle dieser Kraft zuletzt Michas Friedensverheißung:
„Mit diesem Vertrauen können wir den Tag beschleunigen, an dem wir überall auf der Welt […] singen: … Dank Gott dem Allmächtigen, wir sind endlich frei! […] Menschen werden ihre Schwerter in Pflugscharen umschmieden und ihre Speere in Sicheln. Und Nationen werden nicht gegen Nationen aufstehen, noch werden sie mehr Krieg lernen. Und ich weiß nicht wie ihr dazu steht, aber ich werde nicht mehr Krieg lernen.“
Damit verknüpfte King sein an Mahatma Gandhi angelehntes Konzept des „gewaltfreien Widerstandes“ und „zivilen Ungehorsams“ für die Bürgerrechte der Afroamerikaner mit dem Eintreten gegen diesen Krieg.
In den 1980er Jahren entstand in den USA und Großbritannien erneut eine breite außerparlamentarische Protestbewegung, diesmal gegen atomare Rüstungsprojekte unter Ronald Reagan. Pazifistische und antimilitaristische Gruppen der Pflugscharbewegung bezogen sich dabei ausdrücklich auf das Bibelzitat. Sie wollten u.a. mit Blockaden und Besetzungen von militärischem Firmengelände zeigen, dass nicht nur öffentlicher Druck, sondern direkter risikobereiter Widerstand gegen die Atomrüstung notwendig und möglich sei. Dabei unterschieden sie strikt Gewalt gegen Sachen von Gewalt gegen Personen.
Die Plowshare Eight („Pflugschar Acht“) bestand aus acht Personen, unter ihnen der vormalige römisch-katholische Priester Philip Berrigan und sein Bruder, der Jesuitenprediger Daniel Berrigan. Am 9. September 1980 drangen sie in eine Fabrik für Atomwaffen in Pennsylvania ein und schlugen mit Hämmern auf Nuklearsprengköpfe ein. Sie machten Konstruktionspläne für Atomwaffen mit ihrem eigenen Blut unbrauchbar und beteten in der Fabrikhalle für den Frieden, bis sie verhaftet wurden. Es folgten Prozesse mit Hafturteilen von fünf bis zehn Jahren wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. Diese Urteile wurden später auf knapp zwei Jahre Haft reduziert. Nach der Freilassung blieben die Mitglieder der Gruppe zusammen und setzten ähnliche Aktionen fort. Der Priester Carl Kabat feierte den 25. Jahrestag seiner Priesterweihe mit einem Hammer auf einem Atomwaffengelände.
Andere Gruppen wie die Trident Ploughshares in Großbritannien griffen die Idee auf; diese Gruppe erhielt 2001 für ihre gewaltfreien Aktionen gegen ein Atomunterseeboot den Right Livelihood Award. Man kennt weltweit bis heute rund 70 derartige Aktionen, meist in westlichen Staaten, die über Atomwaffen verfügen. Sie alle berufen sich auf die biblische Friedensvision und begehen gezielte, auf Rüstungsobjekte bezogene Gewalt, beanspruchen aber ansonsten strikte Gewaltfreiheit. Die Täter bleiben meist am Ort der Tat bis zur Verhaftung und verteidigen ihr Vorgehen vor Gericht mit Bezug auf Gott, das eigene Gewissen und das Widerstandsrecht.
Beim Dankgebet zur Inauguration von Barack Obama zum 44. US-Präsidenten am 20. Januar 2009 bezog sich Pastor Joseph Lowery auf die biblische Friedensverheißung:[40]
„Help us then, now, Lord, to work for that day when nation shall not lift up sword against nation, when tanks will be beaten into tractors, when every man and every woman shall sit under his or her own vine and fig tree, and none shall be afraid; when justice will roll down like waters and righteousness as a mighty stream.“
Friedensinitiativen in der DDR
Gedenkstein in Gramzow
Im uckermärkischen Gramzow ließ der dortige Pfarrer und Superintendent Curt-Jürgen Heinemann-Grüder 1971 an den Gefallenengräbern einen Gedenkstein mit den Worten „Schwerter zu Pflugscharen“ aufstellen. Die Jahreszahlen 1933 und 1938 erinnern an die Verschleppung von Kommunisten und Sozialdemokraten in Zuchthäuser und Konzentrationslager und an den Beginn der Judenvernichtung. Dies war die erste öffentliche Darstellung dieses Textes in der DDR, der später zum Slogan der unabhängigen Friedensbewegung wurde.
Erste Friedensdekade
1978 hatte die SED das Pflichtfach „Wehrerziehung“ an DDR-Schulen eingeführt. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR legte dagegen erfolglos Widerspruch ein und stellte ein Alternativprogramm „Erziehung zum Frieden“ vor. Daraufhin entstanden in vielen Kirchengemeinden staatskritische, unabhängige Friedensinitiativen. Regelmäßige Seminare, etwa in Königswalde (Ortsteil von Werdau in Sachsen), zogen Jugendliche aus der ganzen DDR an.
„Schwerter zu Pflugscharen“-Grafik von 1980 als Banner am Greifswalder Dom, 2008
Das Abbild der sowjetischen Skulptur zusammen mit dem Schriftzug „Schwerter zu Pflugscharen“ wurde erstmals als Lesezeichen für eine Einladung zum Gottesdienst am Buß- und Bettag des Jahres 1980 von evangelischen Jugendgruppen in der DDR verwendet. Dieser Feiertag war als Abschluss einer ersten zehntägigen „Friedensdekade“ mit dem DDR-Kirchenbund verabredet worden. Die Anregung dazu kam vom überkonfessionellen Interkirchlichen Friedensrat in den Niederlanden, der als erste kirchliche Vereinigung einen Totalabbau aller Atomwaffen in Europa forderte und dies mit dem Votum der Reformde Kerk begründete, wonach Friedenssicherung durch atomare Abschreckung mit dem Christsein völlig unvereinbar sei.
Die erste Friedensdekade ging aus der intensiven Vorbereitungsarbeit des Evangelischen Jungmännerwerks (Ostwerk) und einer Arbeitsgruppe des CVJM (Westwerk) im Oktober 1979 hervor. Ein weiteres Arbeitstreffen musste wegen des Überwachungsdrucks der Stasi zum Teil nächtlich in privaten Wohnungen in Berlin stattfinden.[41] Die Initiatoren teilten die starke Sorge über die Aufrüstung in der Mitte Europas beiderseits der innerdeutschen Grenze. Sie versuchten, dazu einen klaren gemeinsamen Standpunkt zu finden. So forderten sie die vollständige Entmilitarisierung beider deutscher Staaten. Das erarbeitete Material wurde als Auftrag an die Konferenz der evangelischen Landesjugendpfarrer in der DDR weitergeleitet, eine gemeinsame Friedensaktion zu realisieren: die erste Friedensdekade. Diese sollte gleichzeitig in allen Gliedkirchen beider deutscher Kirchenbünde stattfinden und wurde diesen daher vorgeschlagen.
Die Einladung gestaltete der damalige sächsische Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider; die Grafikerin Ingeborg Geißler schuf eine druckfähige Zeichnung dafür. Das Lesezeichen wurde in einer Auflage von 120.000 Stück in der Druckerei Abraham Dürninger der Herrnhuter Brüdergemeine auf Vliesstoff gedruckt, da dies als „Textiloberflächenveredlung“ galt und keine staatliche Druckgenehmigung erforderte. Der Einladungstext wies auf Gottesdienste, Jugend- und Gemeindeabende und eine „Friedensminute“ hin: Am Bußtag um 13:00 Uhr sollten landesweit die Kirchenglocken gleichzeitig mit der staatlichen Sirenenübung zum Gebet mahnen. Nachdem die DDR-Regierung dies als Gefährdung des Zivilschutzes und Aufruf zur Arbeitsniederlegung untersagte, wurde das Läuten auf 13:15 Uhr verlegt.
Das Motto der Dekade lautete „Frieden schaffen ohne Waffen“. Dasselbe Motto verwendete unabhängig davon auch die westdeutsche Aktion Sühnezeichen mit ihrem Vorsitzenden Volkmar Deile. Es ging auf ein weltweites Treffen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zurück: Er hatte 1975 in Nairobi allen Mitgliedskirchen empfohlen, gegenüber den je eigenen Regierungen ihre Bereitschaft zu erklären, „ohne den Schutz von Waffen zu leben“. Dies blieb den meisten Kirchengemeinden zunächst unbekannt und wurde von kaum einer Kirchenleitung publik gemacht. Die EKD sprach in ihren offiziellen Erklärungen stets vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ und rechtfertigte die Abschreckung sogar mit Atomwaffen 1982 wie schon 1959 weiterhin als „christlich mögliche Handlungsweise“.
Im Juni 1980 griff die Evangelische Studentengemeinde Dresden als erste Gruppe in der DDR die Empfehlung des ÖRK auf, um einen Diskussionsprozess in den Gemeinden auszulösen. Unter dem wachsenden Druck der kirchlichen Jugend beschloss die Konferenz der Kirchenleitungen daraufhin die erste Friedensdekade. Nach Gesprächen mit dem Sekretariat des DDR-Kirchenbundes, Manfred Stolpe, wurde die Einladung dazu mitsamt der Grafik des Lesezeichens genehmigt. Der Aufnäher[42] traf die Friedenssehnsucht vieler Jugendlicher. Sie trugen ihn nun spontan überall auf ihrer Straßenkleidung, an Mänteln, Taschen und Mützen in Schulen und Betrieben und machten so ihren Friedenswunsch öffentlich.
Zweite Friedensdekade
Plakat zur Friedensdekade, aufgenommen im November 1989 im Schweriner Dom
Im Frühjahr 1981 schlugen einige Kirchengemeinden ihren Synoden vor, einen zweijährigen Sozialen Friedensdienst als gleichberechtigte Alternative zum staatlichen Wehrdienst in der NVA und zu den Bausoldaten einzuführen. Einige Landessynoden stellten sich bis zum Jahresende öffentlich hinter diese Forderung, andere lehnten ab. Ein Treffen der Kirchenleitungen mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi im September endete mit der strikten staatlichen Ablehnung der Idee.
Am 10. Oktober 1981 fand auf der Hofgartenwiese in Bonn mit etwa 300.000 Teilnehmern die bislang größte Demonstration gegen die „Nachrüstung“ in der alten Bundesrepublik statt. Während die traditionellen, häufig der DKP nahestehenden Gruppen meist das bekannte Symbol der blauen Friedenstaube von Pablo Picasso verwendeten, zeigten vor allem christliche Friedensgruppen aus Solidarität mit den staatsunabhängigen Friedensgruppen der DDR das Motiv „Schwerter zu Pflugscharen“. Vielfach wurden diese Plakate auch mit Hinweisen auf die Solidarność-Gewerkschaft in Polen verbunden, um
eine von sowjetischen oder großdeutschen Interessen unabhängige, blockübergreifende Friedensbewegung anzumahnen,
auf das gemeinsame Abrüstungsinteresse von Arbeiterbewegung und Friedensbewegung hinzuweisen,
das Friedensthema mit dem Thema der Demokratisierung und sozialen Gerechtigkeit zu verbinden.
Als Vertreter der ostdeutschen Friedensgruppen durfte der Erfurter Propst Heino Falcke vor den Bonner Demonstranten sprechen.
Die folgende Friedensdekade vom 8. bis 18. November 1981 wurde erstmals gleichzeitig auch innerhalb der westdeutschen EKD durchgeführt und stand unter dem Thema „Gerechtigkeit – Abrüstung – Frieden“. Da nicht mit einer Druckgenehmigung der DDR-Behörden für Aufkleber oder Anstecker zu rechnen war, wurde das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ mit nochmals 100.000 Stück auf Vliesstoff gedruckt und als Aufnäher weiterverwendet. In der Nikolaikirche (Leipzig) wurde wenig später eine große Schautafel mit dem Symbol aufgestellt.
Während zahlreiche Schullehrer, Volkspolizei und Betriebsfunktionäre nun die Entfernung der Aufnäher forderten, nahmen Kirchenvertreter die Träger in Schutz, wiesen auf die Herkunft des abgebildeten Symbols und die offizielle Propaganda hin. So war das sowjetische Denkmal auch im DDR-Geschichtsbuch für die 6. Klasse abgebildet, und das Lehrbuch für die Jugendweihe von 1975 erläuterte: „Wir schmieden Schwerter zu Pflugscharen um.“ Die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ der DDR zitierte zum Jahresbeginn 1982 die Jesajastelle und schrieb dazu:[43]
„Welcher Marxist würde behaupten wollen, dass religiöser Glaube in dieser Form reaktionär sei und, obwohl er selbst noch kein wissenschaftlich fundiertes Bewusstsein darstellen konnte, unvereinbar mit Wissenschaftlichkeit sei? Dieser […] Glaube ahnt gewissermaßen die wissenschaftliche Erkenntnis von einer klassenlosen Gesellschaft, in der es keine Kriege mehr gibt, voraus.“
Unter Berufung darauf gelang es den Kirchenbehörden zunächst, ein Verbot des Aufnähers abzuwenden. Doch ab November 1981 erhielt der sächsische Landesbischof Johannes Hempel die amtliche Mitteilung: „Wegen Missbrauchs dürfen diese Aufnäher in Schule und Öffentlichkeit nicht mehr getragen werden.“ Dahinter stand das Bemühen der SED, Akzeptanz für das neue Wehrdienstgesetz zu organisieren. Die Aufnäherträger wurden nun mit massiven Vorwürfen konfrontiert: Der undifferenzierte Pazifismus sei friedensfeindlich, die Aufnäher seien westliche Importe und schulfremdes Material, wer sie trage, übe Wehrkraftzersetzung aus und untergrabe die staatliche und gesellschaftliche Tätigkeit zum Schutz des Friedens. Sie seien zum Zeichen einer unabhängigen Friedensbewegung geworden, die nicht geduldet werden könne.
Viele Jugendliche, die die Aufnäher nicht entfernten, wurden aus Hochschulen und Erweiterten Oberschulen entlassen, erfuhren Strafversetzung, Nichtzulassung zum Abitur, Verweigerung der gewünschten Lehrstelle, Schulverbot oder Hinderung beim Betreten seines Betriebs. Pädagogen, Zoll und Polizisten schnitten die Aufnäher aus Jacken heraus, wenn Jugendliche dies nicht freiwillig taten, oder beschlagnahmten die Aufnäher oder ganze Kleidungsstücke. Manches davon fand sich später in Stasi-Akten wieder. Anfang 1982 reagierte eine wachsende Zahl von Jugendlichen, indem sie sich runde weiße Flecken auf die Jacken nähten oder mit Filzstift auf den Ärmel schrieben: „Hier war ein Schmied.“[44]
Andere Abrüstungsinitiativen
„Schwerter zu Pflugscharen“ auf einer Gedenktafel am evangelischen Pfarrhaus in Meiningen
Am 25. Januar 1982 veröffentlichte Rainer Eppelmann, damals Pastor in Ost-Berlin, seinen Berliner Appell: Darin forderte er den Abzug aller Atomwaffen aus der DDR, der Bundesrepublik und Mitteleuropa. Prominente DDR-Dissidenten wie Stefan Heym und Robert Havemann unterstützten den Aufruf und forderten öffentlich eine autonome Friedensbewegung in der DDR. Damit war der Versuch der SED-Führung vorerst gescheitert, die westeuropäische Opposition gegen den NATO-Doppelbeschluss zu fördern, aber eigenständige ostdeutsche Abrüstungsinitiativen als Gefahr für den „sozialistischen Friedensstaat“ zu unterdrücken.
Sie reagierte darauf mit einer FDJ-Aktion unter dem Titel: Der Friede muss verteidigt werden – der Friede muss bewaffnet sein. Dabei wurde die Initiative für den Sozialen Friedensdienst als verfassungsfeindlich dargestellt. Damit zeigte die SED dem Kirchenbund seine Grenze: Zum Staatsvertrag gehörte, dass er sich nicht als politische Opposition betätigte. Die Bischöfe wollten diese Grenze achten, verteidigten aber Recht und Pflicht der Christen auf selbständiges Nachdenken über eigene Friedensbeiträge und Kritik an Militarisierungstendenzen im Rahmen des DDR-Systems.
Zum 13. Februar 1982 riefen staatskritische Jugendliche angesichts der zunehmenden Militarisierung des zivilen Lebens in der DDR aus Anlass des 37. Jahrestags der Luftangriffe auf Dresden zu einer Gedenkfeier an der Frauenkirche auf.[45] Um befürchtete Zusammenstöße der Demonstranten mit Stasi und Volkspolizei zu vermeiden, bot die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens in der Dresdner Kreuzkirche ein „Forum Frieden“ als Alternative zu der illegalen Versammlung an. Etwa 5.000 Besucher nahmen an dem Diskussionsforum teil. Die Ablehnung der NATO-Aufrüstung war ebenso einhellig wie die Ablehnung der fortgesetzten DDR-Militarisierung und Knebelung eigener friedenspolitischer Betätigung. Bischof Hempel erfuhr viel Kritik, weil er vom Tragen des Aufnähers abriet, da dies den Staat provoziere, die Handlungsspielräume der Kirche verenge und diese die Jugend nicht vor Strafverfolgung schützen könne. Von der Veranstaltung aus zogen einige hundert Menschen zur Ruine der Frauenkirche, standen dort schweigend mit Kerzenlichtern oder sangen Lieder. Das offene Forum und das folgende schweigende Gedenken werden seither jährlich am 13. Februar in Dresden begangen.
Zwischen dem Aufruf Eppelmanns und dem Dresdner Forum bestand kein direkter Zusammenhang. Ostdeutsche unabhängige Friedensinitiativen waren nicht landesweit organisiert und bildeten gerade so eine echte Alternative zu staatlich verordneten, seit langem stagnierenden Vereinigungen wie dem Friedensrat der DDR und der Christlichen Friedenskonferenz (CFK).[46] Die westdeutschen Medien versuchten zwar, eine flächendeckende Systemopposition als Pendant zur westlichen Friedensbewegung herbeizuschreiben: Doch die meisten kirchlichen Jugendgruppen der DDR lehnten damals weitreichende Forderungen nach Abzug der Besatzungstruppen und Austritt der deutschen Staaten aus den Militärbündnissen ab. Sie wollten zunächst die Spielräume für Eigeninitiative und soziales Engagement erweitern.
Bei einem weiteren Gespräch mit Klaus Gysi am 7. April 1982 protestierten die Kirchenvertreter gegen die Angriffe und Verdächtigungen, denen die Träger des Aufnähers ausgesetzt wurden. Das Symbol sei ein christliches Friedenszeugnis, sein Verbot eine Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Kirche sei nicht bloß Verstärker der staatlichen Außenpolitik, sondern betreibe eine eigenständige Friedensarbeit, die als „Abrüstungsimpuls“ nötig bleibe. Das Symbol dürfe nicht als Gegensatz zur staatlichen Friedenspolitik aufgefasst werden. – Damit versuchte der Kirchenbund die Jugendlichen und kirchliche Freiräume zu schützen. Zugleich schloss er weitergehende, die staatliche Militärpolitik angreifende Konzepte aus der Debatte zunächst aus.
Am 12. Mai 1983 entrollten Petra Kelly, Gert Bastian und drei weitere Bundestagsabgeordnete der Grünen auf dem Alexanderplatz in Berlin-Ost ein Transparent mit der Aufschrift „Die Grünen - Schwerter zu Pflugscharen“ und trafen sich anschließend mit DDR-Oppositionellen. Dies duldeten die DDR-Behörden nach ihrer vorübergehenden Festnahme, weil die westdeutschen Grünen den Natodoppelbeschluss ablehnten.[47]
Am 24. September 1983 fand während eines evangelischen Kirchentages in Wittenberg auf dem Lutherhof eine symbolische Aktion statt: Der örtliche Schmied Stefan Nau schmiedete vor etwa 4000 Teilnehmern ein Schwert zu einer Pflugschar um. Wegen der Präsenz von westlichen Medienvertretern und Richard von Weizsäcker als Gast griffen die Staatsorgane nicht ein.[48] Manche Quellen sprechen die Idee zu dieser Aktion Stefan Nau selbst zu; Friedrich Schorlemmer, damals Prediger an der Schlosskirche Wittenberg, trug die Initiative dazu mit.[49] Er hatte bereits 1980 einen Friedenskreis gegründet, der sich auch nach dem Verbot des Aufnähers und dem Abklingen der westdeutschen Friedensbewegung hielt. In einem späteren Interview mit dem MDR-Fernsehen berichtet Nau, dass Schorlemmer Texte u. a. auch von Gorbatschow bei dieser Schmiedeaktion vorgetragen habe. Gorbatschow war zu dieser Zeit so gut wie nicht bekannt, er wurde erst 1985 Generalsekretär der KPdSU.
Im Oktober 1983 empfing Staatsratschef Erich Honecker Petra Kelly, Gerd Bastian und weitere Westgrüne zu einem Gespräch. Dabei trug Kelly einen Pullover, auf dem „Schwerter zu Pflugscharen“ gedruckt stand.[50] Sie forderte die Freilassung aller „Verhafteten der DDR-Friedensbewegung“ und fragte Honecker, warum er in der DDR verbiete, was er im Westen unterstütze. Anschließend trafen die Besucher DDR-Oppositionelle um Bärbel Bohley. Daraufhin verbot ihnen die DDR für ein Jahr weitere Einreisen.[51]
Die Wende von 1989
Im Juli 1989 ging aus dem Wittenberger Friedenskreis eine Bürgerrechtsgruppe hervor, die sich mit anderen Vorläufern zur Initiative Demokratischer Aufbruch verband. Auch in der Nikolaikirche Leipzig entwickelte sich unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ ein regelmäßiges offenes Montagsgebet, das zur Keimzelle der späteren Montagsdemonstrationen vom Herbst 1989 wurde. Dabei blieb das biblische Symbol zunächst Ausdruck für alternative Friedensaktivitäten im Rahmen der DDR. Es eignete sich ein sowjetisches Bildmotiv an und kehrte es gegen die staatliche Propaganda, wonach die DDR die Einheit von Volk, Staat und Partei realisiert habe und daher per definitionem eine „Friedensmacht“ sei. Es drückte den Wunsch aus, das Christen und Marxisten gemeinsame Ziel einer befriedeten Welt zur Beendung des Wettrüstens und der gesellschaftlichen Militarisierung zu nutzen. Militärische Sicherheitskonzepte sollten von politischer Friedensfähigkeit abgelöst werden. Eine direkte Konfrontation mit den jeweiligen Systemen war darin nicht vorgesehen.
Gerade so verband das Symbol christliche Friedensgruppen in West und Ost und wurde zum ersten sichtbaren Zeichen einer Bürgerrechtsbewegung, die über die blockübergreifende Verhinderung von Aufrüstung und Krieg hinaus einen Systemwandel anvisierte und schließlich bewirkte. Dabei war das pazifistische Erbe ein wesentlicher Faktor für die Gewaltlosigkeit der Revolution von 1989. Die Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches übernahm das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ in ihren Verfassungsentwurf. Laut Artikel 43 des Entwurfs sollte es das Staatswappen der DDR werden.[52]
Die Perspektive von sozialer Gerechtigkeit und Überwindung des Welthungers, die durch umfassende Abrüstung ermöglicht werden sollte und in der biblischen Herkunft des Symbols angelegt ist, ging dagegen weitgehend verloren. Die Friedensdekaden, die seit 1994 in der gesamtdeutschen EKD durchgeführt werden, mahnen diese Perspektive an und verwenden dazu nach wie vor das Bild des Stoffaufnähers.
Künstlerische Rezeption
Literatur
Leo Tolstoj bezieht sich in seiner Erzählung Die Kreutzersonate unmittelbar auf die biblische Redewendung. So heißt es im Gespräch Posdnyschews mit dem Erzähler: Bedenken Sie, wenn das Ziel der Menschheit das Gute, Edle, die Liebe ist [...], wenn das Ziel der Menschen das ist, wovon die alten Weissagungen reden, daß alle Menschen sich in Liebe einen, daß Speere und Schwerter zu Sicheln umgeschmiedet werden, was hindert denn die Erreichung dieses Ziels?[53]
Musik
In den Worksongs, Gospels und Spirituals der Afroamerikaner ist ein Lied Ain't gonna study war no more („ich werde nicht mehr Krieg lernen“) überliefert, das auf die Verheißung von Mi 4 anspielt. Es entstand möglicherweise nach dem Sezessionskrieg. Die Textzeile erschien gedruckt erstmals 1898 in der Hymne Down by the River.[54] Die heute weit verbreitete Textversion wurde 1940 durch eine Ausgabe von American Negro Spirituals in den USA bekannt:[55]
„I’m going to lay down my sword and shield
Down by the riverside
Down by the riverside
Down by the riverside
Going to lay down my sword and shield
Down by the riverside
Ain’t going to study war no more …“
Die Zeile Down by the Riverside wurde zum Titel des Songs; sie spielt auf die Taufe Jesu im Jordan und die analoge Taufe der Nachfolger Jesu an, die im Urchristentum eine Selbstverpflichtung zur Waffen- und Gewaltlosigkeit beinhaltete. Dieser Song wurde nach 1945 etwa durch Pete Seeger, Willie Dixon,[56] Mahalia Jackson und über 600 weitere Interpreten in zahlreichen Abwandlungen popularisiert.
Die Liedzeile dient auch als Buchtitel, etwa für eine exegetische Studie über die biblischen Friedensvisionen[57] oder eine historische Studie über die US-Friedensbewegung[58] oder eine wissenschaftliche Untersuchung über vom Militär finanzierte Forschungsprojekte an britischen Universitäten.[59]
Zu der Melodie eines auch in den USA bekannten israelischen Volksliedes dichteten Dieter Trautwein und Friedrich Karl Barth 1978 das neue geistliche Lied Ein jeder braucht sein Brot sein Wein mit dem an Michas Verheißung angelehnten Text:
„Ein jeder braucht sein Brot sein’ Wein,
und Frieden ohne Furcht soll sein.
Pflugscharen schmelzt aus Gewehren und Kanonen,
daß wir im Frieden beisammen wohnen.“
Michael Jacksons Song Heal the World fordert die Hörer im dritten Vers auf:[60]
„Create A World With No Fear
Together We’ll Cry Happy Tears
See The Nations Turn
Their Swords Into Plowshares“
Das Album Til Death Do Us Unite der deutschen Thrash-Metal-Band Sodom beinhaltet den Song Schwerter zu Pflugscharen.
Felicitas Kukuck schuf 1995 ihre Kantate Schwerter zu Pflugscharen.
Weiterführende Informationen
Siehe auch
Gewalt in der Bibel
Christen und Kirche in der DDR
Operation Plowshare
Megatonnen zu Megawatt
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