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Gottfried Benn

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Gottfried Benn Empty Gottfried Benn

Beitrag  checker So Jul 17, 2016 8:42 am

Gottfried Benn (* 2. Mai 1886 in Mansfeld, Brandenburg; † 7. Juli 1956 in Berlin) war ein deutscher Arzt, Dichter und Essayist.

Gottfried Benn 220px-Gottfried_Benn_by_Tobias_Falberg_26-11-05
Gottfried Benn Gottfried_Benn_Signature

Leben

Gottfried Benn Stamps_of_Germany_%28Berlin%29_1986%2C_MiNr_760
80 Pf-Sondermarke der Bundespost Berlin (1986) mit einem Porträt von Gottfried Benn

Frühe Kindheit

Gottfried Benn wurde am 2. Mai 1886 als zweitältestes der acht Kinder[1] des protestantischen Pastors Gustav Benn und dessen Frau Caroline Benn (geb. Jequier; aus Fleurier im schweizerischen Jura stammend) in dem Dorf Mansfeld bei Putlitz im Kreis Westprignitz geboren. Zu seinen Geschwistern zählte unter anderem Theodor Benn, der in den 1920er Jahren aufgrund seiner Beteiligung an einem Fememord bekannt wurde. Als Benn ein halbes Jahr alt war, zog die Familie nach Sellin in die Neumark. Aufgrund des Einkommens als Landpfarrer waren die wirtschaftlichen Mittel der Familie knapp bemessen und mussten durch eine eigene kleine Landwirtschaft aufgebessert werden. Seine Kindheit thematisierte Benn z. B. in der Prosaschrift Lebensweg eines Intellektualisten (1934) und in Gedichten mitunter in sehnsuchtsvollem Ton als unbewusst-glückliche Zeit.

Es ist ein Garten, den ich manchmal sehe
östlich der Oder, wo die Ebenen weit [...]
Es ist ein Knabe, dem ich manchmal trauere,
der sich am See in Schilf und Wogen ließ,
noch strömte nicht der Fluß, vor dem ich schauere,
der erst wie Glück und dann Vergessen hieß.[2]


Gottfried Benn 320px-Gedenktafel_Mehringdamm_38_%28Kreuzb%29_Gottfried_Benn
Gedenktafel am Haus Mehringdamm 38 in Berlin-Kreuzberg

Bestimmend für Benns Sozialisation war eine gewisse soziale Schieflage. Er wuchs gleichermaßen mit Landarbeiterkindern wie mit Söhnen des ostelbischen Adels auf. Er gehörte, trotz der privilegierten Stellung durch Amt und Bildung des Vaters, aufgrund von dessen relativer Besitzlosigkeit und wegen des Standesunterschieds eben doch nicht zur Schicht der Junkersöhne.[3] Der erste Benn-Biograph Thilo Koch folgerte daraus eine nicht vollendete Sozialisation und Entwurzelung Benns und ein bedrückendes Gefühl wegen seiner Armut, welches einen auch im späteren Leben nachzuweisenden Minderwertigkeitskomplex zur Folge gehabt habe.[4]
Beziehung zu den Eltern

Benns Verhältnis zu seinem Vater war über weite Strecken sehr gespannt und von gegenseitiger Entfremdung geprägt. Der Vater blieb für ihn mit seiner patriarchalischen, christlich-pietistischen, aber teils auch sozialdemokratischen Prägung immer ein Reibungspunkt, und noch in Benns eigenen Worten von 1954 wird er als großer Zelot und Fanatiker beschrieben.[5] Später stieß Benn – ähnlich wie den Pastorensohn Nietzsche – zunehmend der permanente religiöse Bezug ab, der in Benns Worten „alles nur mit Gott oder dem Tod, aber nicht der Irdischkeit verknüpfte“.[6]

Zu seiner Mutter hatte er hingegen ein innigeres, emotionales Verhältnis. Ihr früher Tod im Jahr 1912 traf ihn tief. Dies zeigt auch sein (zu Lebzeiten unveröffentlichtes) Gedicht Mutter:

Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.[7]


Als Benns Mutter an Brustkrebs litt, verbot sein Vater dem schon approbierten Sohn aus religiösen Gründen – da der Schmerz gottgewollt sei – sogar die Behandlung der Mutter mit schmerzlindernden Morphinen. Dies führte zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Benn und seinem Vater, und Benn unterbrach den Kontakt für die nächsten Jahre vollständig.[8] Dieser Gesamtkomplex eines Vater-Sohn-Konfliktes ist exemplarisch in Benns zwischen 1912 und 1917 geschriebenem und 1922 veröffentlichtem Gedicht Pastorensohn zu beobachten, in dem er – bis zur Kastration des Vaters gehend – mit diesem radikal abrechnet:

[…] Verfluchter alter Abraham,
zwölf schwere Plagen Isaake
haun dir mit einer Nudelhacke
den alten Zeugeschwengel lahm.[9]


Im Gedichtzyklus Söhne von 1913 scheint die Kritik am Vater dann in einem im Expressionismus durchaus üblichen Gesamtzusammenhang eines historischen und überindividuellen Generationenkonflikts[10] erneut auf (Gedicht Schnellzug):

[…] Von meinen Schultern blättern die Gefilde,
Väter und Hügelglück –;
Die Söhne wurden groß. Die Söhne gehn
nackt und im Grame des entbundnen Bluts
die Stirn aufrötet ein Abgrundglück.[11]


Gymnasialzeit

Von September 1897 bis September 1903 besuchte er das Friedrichs-Gymnasium in Frankfurt (Oder), in dem er auch das Reifezeugnis erwarb. Er wohnte vier Jahre in einer Pensionsstube zusammen mit dem gleichaltrigen Grafen Heinrich Finck von Finckenstein, den er schon seit dem Hauslehrerunterricht seines Vaters bei der Familie kannte. Benn hatte allgemein eher mittelmäßige Noten. In Latein und Altgriechisch war er dagegen gut. Dies spiegelt sich später auch in der engen Beziehung seiner Dichtung zur griechischen Antike und ihrer Mythologie und Götterwelt wider.[12]
Studium

Nach seinem Abitur im September 1903 wollte Benn sofort Medizin studieren. Dies widersprach aber den Vorstellungen seines Vaters, da dieses Studium lang und teuer war und er seinen Sohn gerne als Nachfolger in seinem Pfarramt gesehen hätte. Zum Wintersemester 1903/1904 nahm Benn also das Studium der Evangelischen Theologie und der Philosophie in Marburg auf. Er wohnte zunächst billig im Korporationshaus der dort ansässigen Turnerschaft, der schon sein Vater angehört hatte.[13] Im Wintersemester 1904/1905 wechselte er zum Philologiestudium an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Benn scheint für beide Studiengänge wenig Interesse aufgebracht zu haben und wurde im Sommer 1905 wegen „Unfleißes“ aus der Universitätsmatrikel gestrichen.

Nun stellte der Vater sich einem Medizinstudium des Sohnes nicht mehr in den Weg. Aus Kostengründen kam aber nur ein Studium an der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Frage. Diese ermöglichte eine nahezu kostenfreie Ausbildung unter der Auflage, für jedes Studiensemester später ein Jahr als Militärarzt zu dienen. Benn hat die Bedeutung dieser qualitativ hochstehenden, strengen, aber auch vielseitigen Ausbildung für seine Entwicklung später positiv hervorgehoben:[14]

„Eine vorzügliche Hochschule, alles verdanke ich ihr! Virchow, Helmholtz, Leyden, Behring waren aus ihr hervorgegangen, ihr Geist herrschte dort mehr als der militärische, […] das Leben dort war das völlig freier Studenten, wir hatten keine Uniform. […] Härte des Gedankens, Verantwortung im Urteil, Sicherheit im Unterscheiden von Zufälligem und Gesetzlichem, vor allem aber die tiefe Skepsis, die Stil schafft, das wuchs hier.“[15]


Durch seine sechsjährige Studienzeit nahm Benn einen lebenslangen – von Zeitzeugen häufig angemerkten – durch das preußische Militär als Lebensform geprägten geistigen wie auch gesellschaftlichen Habitus an.[16] Ab Oktober 1910 war Benn Unterarzt im Infanterie-Regiment 64 in Prenzlau und hospitierte gleichzeitig von Oktober 1910 bis November 1911 als Unterarzt in der Charité, vermutlich in der Psychiatrie. In dieser Zeit verfasste Benn mehrere medizinische Studien zu psychiatrischen Fragen, von denen eine (Die Ätiologie der Pubertätsepilepsie) den ersten Preis der Berliner Medizinischen Fakultät von 1910 errang. Im Oktober 1911 legte er sein medizinisches Staatsexamen ab, erhielt die Approbation, und 1912 promovierte er mit Über die Häufigkeit von Diabetes mellitus im Heer zum Doktor der Medizin.[17]

Zwischen 1910 und 1912 trat Benn in Verbindung mit Dichtern und Publizisten, die dem Umfeld des Expressionismus zuzuordnen sind, wie Carl Einstein, Alfred Lichtenstein, Franz Pfemfert, Herwarth Walden, und Paul Zech.[18] Noch während seiner Ausbildungszeit werden erste literarische Werke Benns veröffentlicht. Dies sind vier Gedichte im Jahr 1910, ein im selben Jahr in der Zeitschrift Der Grenzbote erschienener Text mit dem Titel Gespräch und der Prosatext Unter der Großhirnrinde. Briefe vom Meer im Jahr 1911. In beiden Texten werden in fiktiven Gesprächen zweier Protagonisten die Gegensatzpaare von Intellekt und Seele, Bewusstem und Unbewusstem sowie darauf aufbauende Modelle für die Dichtung diskutiert. Benn wird damit ein Autor, der bald auch in literarischen Zirkeln bekannt und geachtet wird. [19]
1912 bis 1914

Der erste Gedichtband Benns, in dem Erfahrungen des Arztes ihren Niederschlag fanden, erschien im März 1912 unter dem Titel Morgue und andere Gedichte. Die Veröffentlichung war ein Skandal und begründete Benns frühen Ruhm. Im Sommer desselben Jahres begegnete er der Dichterin Else Lasker-Schüler, mit der sich darauf auch eine Liebesbeziehung entwickelte.[20] Ab dem Sommer 1912 diente er als Arzt bei einem Pionierbataillon in Berlin-Spandau. Doch schon im März 1913 schied er aus gesundheitlichen Gründen („Wanderniere“) aus dem Militär aus. Bereits seit Oktober 1912 hatte Benn eine Assistentenstellung in der Pathologie der „Westend-Klinik am Spandauer Damm“ in Berlin-Charlottenburg inne. Dort entwickelte er bei der Durchführung von nachweislich 197 Obduktionen seinen präzisen Beschreibungsstil, wie seine Sektionsprotokolle belegen. Ende 1913 wechselte er auf die Leiterstelle der Pathologie des Gynäkologischen Krankenhauses Charlottenburg. Aber auch bei dieser Stelle schied er Anfang 1914 auf „eigenen Wunsch“ wieder aus.[21]

1914 reiste er kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Schiffsarzt in die USA (auf diese Reise spielt Benn in seinen späteren Werken des Öfteren an: „[…] fuhr nach Amerika, impfte das Zwischendeck“) und vertrat danach für kurze Zeit den Chefarzt einer Lungenheilstätte im Fichtelgebirge. Im selben Jahr ging er die Ehe mit Edith Brosin, geb. Osterloh, ein. Die Tochter Nele wurde am 8. September 1915 geboren.
Erster Weltkrieg

Benn hatte schon vor 1914 genügend Gelegenheit, den nicht selten arroganten und menschenverachtenden Habitus des deutschen Offizierskorps persönlich kennenzulernen. Diesen beschrieb er in einer Montage von Gesprächsfetzen in seinem 1912 erschienenen Gedicht Kasino. So beteiligte sich Benn auch nicht an der damals auch unter Intellektuellen aller politischen Richtungen weit verbreiteten nationalen Kriegsbegeisterung. Allerdings war er auch kein erklärter Kriegsgegner. Vielmehr stand er den Ereignissen eher in einer Mischung aus kühler Distanz und pflichtgemäßer, doch unengagierter Akzeptanz gegenüber.[22][23]

Gleich zu Beginn des Krieges wurde er eingezogen und zuerst an der Westfront in Feldlazaretten eingesetzt. Danach war er an der Erstürmung Antwerpens beteiligt und wurde dafür als einer der ersten Sanitätsoffiziere mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet.[24][25] Anschließend wurde er im besetzten Belgien in der Etappe als Arzt in einem Krankenhaus für Prostituierte eingesetzt. In Brüssel wurde er von Thea Sternheim, der Frau des Dichters Carl Sternheim, empfangen und schrieb die meisten der unter dem Titel Gehirne veröffentlichten „Rönne-Novellen“ nieder.

Benn schilderte diese Phase seines Lebens später in fast wehmütiger Erinnerung als eine Zeit des von sozialen und beruflichen Verpflichtungen freien Lebens, aber auch der Depersonalisierung innerhalb von Ausnahmezuständen:

„[…] hatte wenig Dienst, durfte in Zivil gehen, war mit nichts behaftet, hing an keinem, […] was war die Kanonade von Yser, ohne die kein Tag verging, das Leben schwang in einer Sphäre von Schweigen und Verlorenheit, ich lebte am Rande, wo das Dasein fällt und das Ich beginnt. Ich denke oft an diese Wochen zurück; sie waren das Leben, sie werden nicht wiederkommen, alles andere war Bruch.[26] […] Im Krieg und Frieden, in der Front und in der Etappe, als Offizier wie als Arzt […] verließ mich die Trance nie, daß es diese Wirklichkeit nicht gäbe.“[27]

In dieser Zeit hat Benn sich anscheinend auch kurzfristig durch die Einnahme von Kokain künstlerisch stimulieren lassen (in seinen eigenen Worten „Trance-Zustände innerer Konzentration, ein Anregen geheimer Sphären“).[28][29] Dies lassen auch Ausschnitte aus Benns Schriften beispielsweise in Der Garten von Arles, II, 84 und in seinen Gedichten Kokain und O Nacht („O Nacht! ich nahm schon Kokain, und Blutverteilung ist im Gange, …“) vermuten. An Ernst Jünger schrieb er 1951:

„Darf ich bei der Gelegenheit erwähnen, daß ich selber Drogen weder nehme noch genommen habe (außer einer kurzen Episode mit Kokain im I. Weltkrieg) …“[30]

Dienstlich war er zur Anwesenheit bei Exekutionen verpflichtet; so war er auch bei der Hinrichtung der als Spionin verurteilten britischen Krankenschwester Edith Cavell zugegen und stellte als offizieller Arzt der deutschen Armee deren Tod fest. Nach den Erinnerungen von Thea Sternheim bewertete Benn die Hinrichtung Cavells damals mit der „erschreckenden Sachlichkeit eines Arztes“ als kriegsbedingte Notwendigkeit und Normalität. Als der Fall Cavell 1928 durch einen englischen Film erneut propagandistisch in der Presse behandelt wurde, sah sich Benn zu einer Stellungnahme genötigt. In einer Berliner Abendzeitung beschrieb er als Zeitzeuge den Hergang des Prozesses und der Exekution. Obwohl er Cavell hier durchaus mit Empathie beschreibt, wertet Benn den damaligen Vorgang dennoch als unabdingbare und historisch folgerichtige Konsequenz der damaligen Zeit.
1917 bis 1927

Im Spätsommer 1917, mehr als ein Jahr vor Kriegsende, wurde Benn demobilisiert. Die Gründe dafür sind nicht mehr feststellbar. In Berlin arbeitete er dann für einige Wochen als Assistenzarzt für Dermatologie an der Charité, bevor er am 10. November 1917 seine eigene Praxis als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in der Belle-Alliance-Straße 12 (heute Mehringdamm 38), in der er auch eine Wohnung hatte, eröffnete. Benns Frau und Tochter wohnten allerdings in einer Familienwohnung in der Passauer Straße 19 im Bayerischen Viertel. Benns Tochter erinnerte sich später, dass der Vater ab und an, aber wohl nicht oft dort anwesend war.[31] Benn brauchte diese Trennung für seine Unabhängigkeit, seine literarische Produktion, aber auch für seine erotischen Abenteuer. So hatte Benn ab 1921 ein Verhältnis mit der zwölf Jahre jüngeren Bibliothekarin Gertrud Zenzes und in den zwanziger Jahren wurde ihm eine Liaison mit der Gesellschaftsfotografin Frieda Riess nachgesagt, der er auch ein Gedicht widmete.[32] Die überlieferten Briefe Benns aus dieser Zeit deuten an, dass er sich damals seelisch und auch körperlich nicht sehr wohl fühlte. Dazu mögen die wenig glückliche Ehe, sein Gelangweiltsein durch die alltäglichen beruflichen Aufgaben, aber auch eine allgemeine Depressivität beigetragen haben. Auch lief seine Arztpraxis wirtschaftlich nicht sonderlich gut.[33] So schreibt er 1921:

„Es ist kein Leben dies tägliche Schmieren u. Spritzen u. Quacksalbern u. abends so müde sein, daß man heulen könnte. […] Ja, ich bin unbeschreiblich müde u. abgelebt wieder mal augenblicklich, darüber ist nichts zu sagen, die Sinnlosigkeit des Daseins in Reinkultur u. die Aussichtslosigkeit der privaten Existenz in Konzentration.“[34]

Zu einem wichtigen Förderer und Freund wurde der jüdische Verleger Erich Reiss, der 1922 erstmals Gesammelte Schriften [35] Benns herausbrachte. Schon 1922 starb Edith Benn, seine erste Frau; die gemeinsame Tochter Nele wuchs daraufhin bei der dänischen Opernsängerin Ellen Overgaard auf.

In den 20er Jahren entstanden etliche neue Gedichte, sowie die Essays Das moderne Ich (1920) und der Prosatext Das letzte Ich. Das radikal-avantgardistische Vokabular seiner frühen Dichtung weicht gegen Ende der 20er Jahre zunehmend einem sanfteren und traditionelleren Ton.[36] Den massiven politisch-gesellschaftlichen Wirren und Veränderungen der Zeit stand Benn distanziert gegenüber und hielt sich von den damit verbundenen erregten öffentlichen Auseinandersetzungen bewusst fern.[37]

1928 bis 1945


1928 hielt Benn in Crossen an der Oder die Grabrede für seinen Freund Klabund, im selben Jahr wurde er in den Berliner PEN-Club aufgenommen.

Das Verhältnis Benns zum Nationalsozialismus wird häufig allzu schematisch als zwei scharf voneinander getrennten Phasen von Zustimmung und anschließender Ablehnung beschrieben. In Wirklichkeit war seine Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus durchaus differenziert.[38] Die Dialektik im Wesen und Denken Benns schwankte zwischen leidenschaftlichem Engagement und resignierend beleidigter Abkehr von der Politik in rein ästhetische Bereiche, was aber den künstlerischen Rang seines Werkes nicht berührte.[39] Nur in Vorträgen und Abhandlungen bekannte er sich zeitweise zu dem, was er für die NS-Ideologie hielt, in seinem lyrischen Werk hingegen finden sich keine eindeutigen Hinweise auf das entsprechende Gedankengut. Benn war zudem niemals – wie so viele andere Dichter – in einem der damals beliebten literarisch-weltanschaulichen Kreise (George-Kreis) bzw. in einer der vielen reaktionären politischen Gruppierungen der Zeit nach 1918 aktiv.

In den 1920er-Jahren zog Benn zunächst der italienische Faschismus an, wie er z. B. durch die Kunstprogrammatik des Futuristen Marinetti verkörpert wurde. Auch ist eine gewisse geistige Nähe Benns zu Themen und Vorstellungen von Denkern der Konservativen Revolution evident. Nach Veröffentlichung der Gesammelten Gedichte 1927 trat die lyrische Produktion Benns zeitweilig stark hinter weltanschauliche Aufsätze und die publizistische Auseinandersetzung mit Intellektuellen des politisch linken Spektrums zurück. Doch noch in der Kontroverse mit Johannes R. Becher lehnt Benn 1930 jedes politische Engagement und die Beschäftigung mit sozialreformerischen Fragen als eines wahren Dichters unwürdig ab. 1932 rückte Benn dann aber durch die Wahl in die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste stärker in den Fokus des öffentlichen kulturpolitischen Interesses.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde er als Nachfolger Heinrich Manns kommissarischer Vorsitzender der Sektion. Am 13. März, kurz nach der Reichstagswahl März 1933, verfasste er zusammen mit Max von Schillings eine Loyalitätsbekundung für Hitler, die den Mitgliedern eine nicht-nationalsozialistische politische Betätigung verbot: Sind Sie bereit unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Reichsregierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden nationalen kulturellen Aufgaben im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage.[40] Die Mitglieder mussten bei Drohung ihres Ausschlusses unterschreiben. Thomas Mann und Ricarda Huch traten aus; Gerhart Hauptmann, Oskar Loerke und Alfred Döblin, der dennoch als Jude seinen Austritt erklärte, und viele andere unterschrieben. Ausgeschlossen wurden z. B. Franz Werfel und Leonhard Frank.

Doch schon im Aufsatz Expressionismus von 1933 sah sich Benn zu einer Verteidigung dieser Kunstbewegung gegen nationalsozialistische Angriffe und zu einer Rechtfertigung seiner eigenen Position als einer ihrer literarischen Begründer genötigt.[41] Benn, dem von Börries Freiherr von Münchhausen zudem unterstellt wurde, jüdischer Abstammung zu sein (siehe unten), reagierte überrascht und fassungslos auf die Ablehnung, die seinem künstlerischen Werk von Seiten des neuen Regimes entgegenschlug. Die Willkür und Rechtslosigkeit des Judenboykotts – speziell auch in Bezug auf fünf in seinem Haus praktizierende ärztliche Kollegen – ließen in ihm zudem schon im Verlauf des Jahres 1933 Zweifel am neuen Staat aufkommen. Von Anfang 1933 bis zum sogenannten Röhm-Putsch (1934) setzte Benn sich dennoch durch essayistische Schriften für den Nationalsozialismus ein. Benn hatte sich in seinen frühen Aufsätzen von 1933 zwar deutlich für den neuen Staat, jedoch nicht explizit für dessen Führung durch eine Partei wie die NSDAP ausgesprochen. Schon damals wurde ihm langsam klar, dass er falsche Hoffnungen auf die politische Praxis der neuen Regierung gesetzt hatte.[38] Dennoch trug er am 29. April 1933 die Akademie-Rede vor und unterschrieb das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler, das am 26. Oktober 1933 gedruckt wurde.

Bald danach stellte Benn seine Bemühungen ein, sich einen staatlich sanktionierten Platz im nationalsozialistischen Literaturbetrieb zu sichern. Benns Werke nach 1934 sind dann verstärkt distanziert bis kritisch gegenüber dem NS-Regime.

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Gottfried Benn legt im Namen der Dichter-Akademie einen Kranz am Grab von Arno Holz nieder (1933), Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Die Frage, warum Gottfried Benn öffentlich Partei für den nationalsozialistischen Staat ergriff, wird bis heute von einigen mit einem „Missverständnis“ [42] erklärt. Diese Sichtweise legt auch Benn selbst in seiner Nachkriegs-Autobiographie Doppelleben nahe, wenn er dem „jungen Klaus Mann“ fast schon hellseherische Fähigkeiten attestiert, die er selbst zu diesem Zeitpunkt naturgemäß nicht habe besitzen können:

„[…] Die Lage im verworrenen Frühjahr 1933 war nun so, daß nach dem Fortgang der berühmtesten Träger der Abteilung hier ein knappes Dutzend Mitglieder zurückblieb, die sich dem Ansturm gewisser völkischer und volkhaft ausgerichteter Autoren gegenübersahen, die die alte Gruppe eliminieren und alle kulturellen Positionen besetzen wollten. Uns hielten sie alle mehr oder weniger für Kulturbolschewisten. Die Vorgänge spielten sich für uns im Dunkeln ab, niemand wußte, woran er war, und es standen nicht nur ideelle Frage zur Debatte, sondern auch materielle. Nicht für mich, ich habe nie einen Pfennig aus irgendeinem dieser Fonds bezogen oder irgendwelche anderen Vorteile gehabt […]“


In seiner Antwort an die literarischen Emigranten reagierte er auf private Vorhaltungen Klaus Manns öffentlich in den Massenmedien (Zeitungen und Rundfunk) und rechtfertigte seinen Verbleib im nationalsozialistischen Deutschland von 1933. Er befand sich, wie er im Vorwort zu Zwei Rundfunkreden. Der neue Staat und die Intellektuellen. Antwort an die literarischen Emigranten 1933 feststellt, am Ende „einer fünfzehnjährigen Entwicklung“ und mithin auf der Höhe des Zeitgeistes.

„Da sitzen Sie[43] also in Ihren Badeorten[44] und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neubau eines Staates, dessen Glaube einzig, dessen Ernst erschütternd, dessen innere und äußere Lage so schwer ist, dass es Illiaden und Äneiden bedürfte, um sein Schicksal zu erzählen. Diesem Staat und seinem Volk wünschen Sie vor dem ganzen Ausland Krieg, um ihn zu vernichten, Zusammenbruch, Untergang. Da werfen Sie nun also einen Blick auf das nach Afrika sich hinziehende Meer, vielleicht tummelt sich gerade ein Schlachtschiff darauf mit Negertruppen aus jenen 600.000 Kolonialsoldaten der gegen Deutschland einzusetzenden berüchtigten französischen Forces d'outremer, vielleicht auch auf den Arc de Triomphe oder den Hradschin[45], und schwören diesem Land[46], das politisch nichts will als seine Zukunft sichern, und von dem die meisten unter Ihnen geistig nur genommen haben, Rache.“[47]


In diesen Rundfunkreden erblickte Benn eine „neue historische Lage“ mit dem „Sieg neuer autoritärer Staaten“, welche den „Sieg der nationalen Idee“ vorantrieben. „Werdendes Gesetz des neuen Jahrhunderts“ sei nach Benn ein „totaler Staat“ in Einklang mit dem „Erscheinen einer neuen revolutionären Bewegung“ und eines „neuen menschlichen Typs“.[48]

In der Erwiderung auf Klaus Mann und auch in anderen Äußerungen finden sich (wie z. B. im darauf gehaltenen kurzen Aufsatz Züchtung) explizit dem Nationalsozialismus sehr nahestehende Gedanken Benns zur Züchtung von Menschen und zur Eugenik:

„Verstehen sie doch endlich [...], es handelt sich um das Hervortreten eines neuen biologischen Typs, die Geschichte mutiert und ein Volk will sich züchten. [...] Aus den Nahtlinien des Organischen stößt die Erbmasse, aus den Defekten der Regenerationszentren die menschliche Gene ans Licht.“


Eine Durchsetzung seiner Kunstvorstellungen und seines Werkes gelang dem individualistischen und (ehemaligen) Expressionisten Benn im nationalsozialistischen Deutschland jedoch nicht. Er musste bald erkennen, dass die formale und inhaltliche Modernität seiner Werke unvereinbar war mit der nun herrschenden Ideologie. Nachdem schon seit September 1933 keine Gedichte von ihm mehr gesendet werden durften und seine Zulassung als Arzt gefährdet war, wurde Benn ab Mai 1934 verboten, Vorträge im Radio zu halten. Zwar wurde Benn noch im Frühjahr 1934 Vizepräsident der „Union nationaler Schriftsteller“. Er wurde jedoch schon früh (seit 1933) von verschiedenen Organen der Nationalsozialisten, wie z. B. im „Schwarzen Korps“ angegriffen, vor allem von Börries Freiherr von Münchhausen, der ihn wegen seines Namens, den er mit dem jüdischen „Ben“ assoziierte, als „Juden“ zu diffamieren suchte, und schließlich 1936 vom Völkischen Beobachter als „Schwein“ bezeichnet. Auf die Unterstellungen Münchhausens reagierte Benn, indem er in Lebensweg eines Intellektualisten seine Abstammung aus einem deutschen Pfarrhaus betonte. Diese genealogischen Ausführungen nutzten Benn aber letztlich nichts.

Nach Aufgabe seiner Berliner Arztpraxis bemühte sich Benn 1935 erfolgreich um den Eintritt in die Wehrmacht; diese militärische Reaktivierung bezeichnete er als „aristokratische Form der Emigration“. In der Folgezeit wurde er Oberstabsarzt in der Wehrersatz-Inspektion Hannover. Heimisch ist er hier jedoch nie geworden, die Erzählungen Weinhaus Wolf und Doppelleben sowie die sogenannten Stadthallen-Elegien – darunter das bekannte Gedicht Astern[49] – bieten einige Impressionen seines Hannover-Aufenthaltes. 1937 wurde er als militärischer Versorgungsarzt nach Berlin versetzt und nahm seine Wohnung in der Bozener Straße im Bayerischen Viertel von Berlin-Schöneberg. 1938 ging Benn die Ehe mit seiner Sekretärin Herta von Wedemeyer (Hannover) ein.

Seit 1938 schrieb Benn sehr offene private Briefe, welche ihn leicht ins Konzentrationslager hätten bringen können.[50] 1938 wurde Benn aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhielt Schreibverbot. Die Wehrdienststelle, in der er tätig war, wurde nach Landsberg an der Warthe verlegt; in der dortigen Kaserne verfasste er analysierende Essays zu seiner Lage und den Erscheinungsformen des Nationalsozialismus (nach der ersten Abrechnung Kunst und Drittes Reich von 1941 hier Block II, Zimmer 66 [1944, der Titel verweist wiederum auf sein Lebensthema „Doppelleben“] u. a.).

Sein Gedicht Monolog von 1941 stellte eine unmissverständliche Verurteilung Hitlers (Clown) und der nationalsozialistischen Barbarei dar.[51]

Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen –
erwählte Völker Narren eines Clowns,
in Späße, Sternelesen, Vogelzug
den eigenen Unrat deutend! Sklaven –
aus kalten Ländern und aus glühenden,
immer mehr Sklaven, ungezieferschwere,
hungernde, peitschenüberschwungene Haufen:
dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum,
der grindige, zum Barte des Propheten![52]


1945 kehrte Benn nach Berlin zurück und nahm die ärztliche Tätigkeit in seiner alten Praxis wieder auf. Seine Frau Herta hatte sich am 2. Juli aus Furcht vor Vergewaltigung und Ermordung durch Soldaten der Roten Armee mit Morphium das Leben genommen.

Die literaturwissenschaftliche Forschung nach 1945 konnte bislang nicht klären, aus welchen Gründen Benn mit dem nationalsozialistischen Regime anfangs zusammenarbeitete. Es könnten eine prinzipiell antiegalitäre Haltung, eine Zustimmung für Gedanken der Konservativen Revolution oder eine damals nicht unübliche Ablehnung der Weimarer Republik und des Pluralismus sein. Nicht auszuschließen sind auch ein wirklicher Glaube an nationalsozialistisches Gedankengut oder ein reiner Opportunismus zwecks Förderung der eigenen literarischen Karriere im NS-Regime. Hinzu treten könnte eine teilweise konfuse und widersprüchliche gesellschaftlich-politische Haltung oder eine apolitische, primär künstlerisch-ästhetische Haltung.
1946 bis 1956

Im Dezember 1946 heiratete Benn die Zahnärztin Dr. Ilse Kaul. Das Schreibverbot für ihn wurde unter der alliierten Verwaltung zunächst beibehalten. In der Sowjetischen Besatzungszone wurden Benns Schriften Der neue Staat und die Intellektuellen (1933) und Kunst und Macht (1934) 1946 auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[53]

Seit dem Herbst 1948 durfte Benn wieder in Deutschland veröffentlichen; zuerst erschien jedoch im Schweizer Arche-Verlag der Band „Statische Gedichte“; der Verleger Max Niedermayer hatte die Druckerlaubnis in Westdeutschland erwirken können.

Im Gegensatz zu vielen anderen im Dritten Reich teilweise schuldig gewordenen Personen und Schriftstellern verdrängte Benn seine Beteiligung an der damaligen Zeit nach 1945 allerdings nicht. So beschrieb er seine frühere Haltung, ohne sie damit zu entschuldigen, als damals historisch und aus der persönlichen Biographie bedingt in folgenden Worten:

„Sich irren und doch seinem Inneren weiter Glauben schenken müssen, das ist der Mensch.“[54]


In den Jahren der frühen Bundesrepublik erlebte Benn einen rasanten Aufstieg. 1949 erschienen vier Bücher von Benn. Mit der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1951 fand seine Karriere ihren vorläufigen Höhepunkt. 1953, zu seinem 67. Geburtstag, wurde Benn durch Bundespräsident Theodor Heuss das Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Diese Verleihung stieß u. a. beim Schutzverband Deutscher Autoren Nordwest e. V. auf Kritik. Benn sprach davon, dass ein „Amoklauf“ gegen ihn stattfinde.[55]

Im September 1950 nahm Dieter Wellershoff, damals Germanistikstudent in Bonn, Kontakt zu Benn auf. Er schrieb in jener Zeit seine Dissertation über Benn, die dieser sehr lobte.[56] Wellershoff wurde später Herausgeber von Benns Gesammelten Werken. 1951 schloss Benn Bekanntschaft mit der Schriftstellerin Astrid Claes. 1954 begann er eine Beziehung mit der fünfunddreißig Jahre jüngeren Schriftstellerin und Journalistin Ursula Ziebarth, die jedoch nur ein Jahr dauerte.

Zu den von Benn gepflegten Kontakten zählte der Literaturjournalist und Autor Karl Schwedhelm.

Die dritte und letzte Strophe eines der bekanntesten Gedichte Benns, des 1953 entstandenen Nur zwei Dinge, das vielfach als Benns persönliche Lebensbilanz verstanden wurde, lautet:

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.[57]


Gottfried Benn litt seit Beginn des Jahres 1956 unter heftigen Schmerzen, deren Ursache, Knochenkrebs, jedoch erst kurz vor seinem Tod eindeutig festgestellt wurde. Ein Kuraufenthalt in Schlangenbad im Juni 1956 erwies sich als sinnlos und verfehlt, weil die Schmerzen balneologische Anwendungen unmöglich machten. Benn starb nur wenige Wochen nach seinem 70. Geburtstag am 7. Juli 1956 in Berlin und wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem in einem Ehrengrab der Stadt Berlin in der Abt. 27W-31/32 beigesetzt.

Zum Werk

Gottfried Benn gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dichter der literarischen Moderne. Ein erstes Mal betrat er die literarische Szene als Expressionist mit seinen Morgue-Gedichten, die mit herkömmlichen poetischen Traditionen radikal brachen und in denen vor allem Eindrücke aus seiner Tätigkeit als Arzt starken Niederschlag fanden. Sektionen und Krebs- und Geburtsstationen werden scheinbar emotionslos beschrieben, und romantische Titel wie „Kleine Aster“ wecken Erwartungen, die dann krass enttäuscht werden. Nach dem oben genannten Gedichtband erschienen in der Folgezeit nur noch wenige mit äußerst geringer Auflage; während der Zeit des Nationalsozialismus unterlag Benn einem Schreibverbot.

Vom Nationalsozialismus, mit dem er zuerst sympathisiert hatte, wandte sich Benn wohl vor allem ab, weil er ihn schließlich als ähnlich antikulturell einschätzte wie den Kommunismus und Sozialismus. Nach Kriegsende wurde er zunächst wegen seiner anfänglichen Unterstützung des Hitlerregimes angefeindet, doch spätestens mit seinen Statischen Gedichten, die sich weit vom wild-zynischen Ton der Morgue-Gedichte entfernt hatten, fand er in der jungen Bundesrepublik ein neues, stetig wachsendes Publikum. So wurde der Autor zum Ende hin ein weitberühmter, mit dem Büchner-Preis ausgezeichneter und stilbildender Dichter.

Die Rechte am Werk liegen heute beim Klett-Cotta Verlag.
Analysen

Max Rychner hat einen Versuch unternommen, von Benn häufig verwandte Substantive verschiedenen Wortfeldern und Bedeutungszusammenhängen zuzuordnen.[58]

Der wachbewussten, spaltenden, seelenfeindlichen, geschichtlichen und zahlenhaft-wissenschaftlichen Seite ordnet er folgende Begriffe zu:

Kopf, Stirn, Hirn, Schädel, Haupt, Ich, Selbst, Geist, Tat.

Den Gegensatz, also die glückselige Ichvergessenheit und Hingabe an den bewusstlosen Lebensstrom, identifiziert er mit Begriffen wie:

strömen, fließen, Meer, Flut, Hades, Lethe, Wasser, Opferwein, Träne, ferne Ewigkeit, Nacht, Blut, Schlaf, Traum, Rausch, Grenzenlos, Schauer, Tiefe, Glück, toxische Sphären.

Auf einen zeitenthobenen Bereich verweisen:

Ithaka, Blau, Südsee, Rose, Möwe, Traum, Nacht, Meer, Blut, Wein, Feuer, Welten und Wort.

Nachlass

Benns Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar[59] und ein kleiner Teil im Archiv der Akademie der Künste Berlin.[60] Teile aus dem Nachlass im Deutschen Literaturarchiv sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen.[61]
Werke (in Buchform)

Über die Häufigkeit des Diabetes mellitus im Heer. Dissertation (Berlin 1912)
Morgue und andere Gedichte (1912)
Söhne. Neue Gedichte (1913)
Gehirne. Novellen (Leipzig 1916)
Fleisch. Gesammelte Gedichte (1917)
Die Gesammelten Schriften (1922)
Schutt (1924)
Spaltung. Neue Gedichte (1925)
Gesammelte Gedichte (1927)
Oratorium. Das Unaufhörliche (1931), Musik von Paul Hindemith
Der neue Staat und die Intellektuellen (1933)
Kunst und Macht (1934)
Ausgewählte Gedichte (1936)
Zweiundzwanzig Gedichte (1943)
Statische Gedichte (1948)
Drei alte Männer (1949)
Der Ptolemäer (1949)
Ausdruckswelt. Essays und Aphorismen (1949)
Trunkene Flut. Ausgewählte Gedichte (1949)
Roman des Phänotyp (seit 1943, veröffentlicht 1949, 1961 als Nr. 734 in der Insel-Bücherei)
Doppelleben (1950)
Fragmente. Neue Gedichte (1951)
Probleme der Lyrik (1951)
Essays (1951)
Die Stimme hinter dem Vorhang (1952)
Destillationen. Neue Gedichte (1953),
darin: Nur zwei Dinge
Altern als Problem für Künstler (1954)
Aprèslude (1955)
Primäre Tage. Gedichte und Fragmente aus dem Nachlaß (1958)

Werkausgaben

Gesammelte Werke. Hrsg. von Dieter Wellershoff. 4 Bände. Limes, Stuttgart 1958–1961.
Bd. 1: Essays, Reden, Vorträge. 1959.
Bd. 2: Prosa und Szenen. 1958.
Bd. 3: Gedichte. 1960.
Bd. 4: Autobiographische und vermischte Schriften. 1961.
Gesammelte Werke. Hrsg. von Dieter Wellershoff. 8 Bände. Limes, Stuttgart 1968.
Gesammelte Werke in der Fassung der Erstdrucke. Textkritisch durchgesehen und hrsg. von Bruno Hillebrand. 4 Bände. Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M. 1982–1990.
Sämtliche Werke [SW] (Stuttgarter Ausgabe). 7 Bände in 8 Teilen, hg. von Gerhard Schuster (Bd.1–5) und Holger Hof (Bd.6 und 7). Klett-Cotta, Stuttgart 1986–2003, ISBN 978-3-608-93943-9.
Bd. 1: Gedichte 1 [Gesammelte Gedichte 1956]. 1986.
Bd. 2: Gedichte 2 [Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte, die nicht in die Sammlung von 1956 aufgenommen wurden; Gedichte aus dem Nachlass; Poetische Fragmente 1901 - 1956]. 1986.
Bd. 3: Prosa 1. 1987.
Bd. 4: Prosa 2 [1933–1945]. 1989.
Bd. 5: Prosa 3 [1946–1950]. 2001.
Bd. 6: Prosa 4 [1951–1956]. 2001.
Bd. 7,1: Szenen und andere Schriften. 2003.
Bd. 7,2: Vorarbeiten, Entwürfe und Notizen aus dem Nachlass, Register. 2003

Briefe

Zahlreiche Briefe sind überliefert und zu großen Teilen veröffentlicht. Die Briefe werden zunehmend als Teil des Werks anerkannt. Hervorzuheben ist etwa der Briefwechsel mit dem Bremer Großkaufmann und Mäzen Friedrich Wilhelm Oelze (1891–1978).

Ausgewählte Briefe. Mit einem Nachwort von Max Rychner. Wiesbaden 1957
Briefwechsel mit Paul Hindemith (Briefe Bd.III). Hg. von Ann Clark Fehn, mit einem Essay von Dieter Rexroth. Wiesbaden/München 1978
Briefe an F. W. Oelze (Briefe Bd. I-II/2; Bd.I: 1932–1945, Bd. II/1: 1945–1949, Bd. II/2: 1950–1956). Hg. von Harald Steinhagen und Jürgen Schröder, mit einem Vorwort von F. W. Oelze und einem Nachwort von Harald Steinhagen. Wiesbaden/München 1979 f.
Briefwechsel mit Max Rychner: 1930–1956. Hg. von Gerhard Schuster. Stuttgart 1986
Briefe an Tilly Wedekind 1930–1955 (Briefe Bd. IV). Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Marguerite Valerie Schlüter. Stuttgart 1986
Briefe an Elinor Büller 1930–1937 (Briefe Bd. V). Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Marguerite Valerie Schlüter. Stuttgart 1992
Gottfried Benn/Egmont Seyerlen, Briefwechsel 1914–1956. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gerhard Schuster. Stuttgart 1993
„Hernach“. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth. Mit Nachschriften von Ursula Ziebarth und einem Kommentar von Jochen Meyer, Göttingen 2001
Briefe an Astrid Claes 1951–1956 (Briefe Bd. VI). Stuttgart 2002
Briefwechsel Gottfried Benn – Richard Alewyn 1951–1956. Hg. vom Editionspraktischen Seminar. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 5 (2003), S. 25–50. ISSN 0949-5371
Jörg Döring / David Oels: „Wir machen ein Gedicht“: Richard Alewyn bittet Gottfried Benn zum Symposion für kreatives Schreiben. Zum Briefwechsel von Gottfried Benn und Richard Alewyn 1951–1956, ebd., S. 7–24.
Briefwechsel Gottfried Benn – Margret Boveri 1949–1956. Hg. v. Roland Berbig / Nele Herbst, ebd., S. 63–126.
Roland Berbig: Levkojen und Handkuss. Zum Briefwechsel von Gottfried Benn und Margret Boveri 1949–1956, ebd., S. 51–62.
Briefwechsel mit dem Merkur. 1948–1956 (Briefe Bd. VII). Hg. von Holger Hof. Stuttgart 2004. ISBN 3-608-93697-1
Gottfried Benn – Thea Sternheim. Briefwechsel und Aufzeichnungen. Mit Briefen und Tagebuchauszügen Mopsa Sternheims, Hg. von Thomas Ehrsam. Göttingen 2004.
Monologische Kunst? Ein Briefwechsel zwischen Alexander Lernet-Holenia und Gottfried Benn. Im Anhang: Nietzsche – Nach 50 Jahren. Wiesbaden, Limes, 1953.
Gottfried Benn/Ernst Jünger: „Briefwechsel 1949–1956“. Hg. von Holger Hof. Stuttgart 2006
Briefe an den Limes Verlag 1948–1956, mit der vollständigen Korrespondenz auf CD-ROM, Stuttgart 2006 (Briefe. Bd. VIII).

Lesungen, Vorträge

Benn hat oft aus seinen Werken vorgelesen. Rundfunklesungen sind seit 1928 überliefert.

Gottfried Benn: Das Hörwerk 1928–1956, hrsg. von Robert Galitz, Kurt Kreiler und Martin Weinmann, 2004, mp3-CD, Laufzeit über 11 Stunden.
Altern als Problem für Künstler, Alexander Verlag Berlin 2006, ISBN 978-3-89581-150-0

Filmographie

Fernseh-Gespräch anlässlich des 70. Geburtstages vom 3. Mai 1956; 16 mm Film, 9 Minuten
Reisen mit Benn. Ein Film von Andreas Christoph Schmidt mit Ursula Ziebarth über die letzten Lebensjahre Benns. SFB/WDR 1998, 45 min
„Gottfried Benn. Schakal und Engel – hellgeäugt und schwarzgeflügelt“, Dokumentation, 45 Min., Deutschland 2006, Regie: Jürgen Miermeister[62], Produktion: ZDF, Erstausstrahlung: 20. Juli 2006

Ehrungen

1951: Georg-Büchner-Preis
1953: Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
1956 Großer Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen
1975/2001: Ehrengrab der Stadt Berlin auf dem Waldfriedhof Dahlem, Hüttenweg 47


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